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Entscheidung S 20 KR 15/21


Metadaten

Gericht SG Neuruppin 20. Kammer Entscheidungsdatum 18.01.2022
Aktenzeichen S 20 KR 15/21 ECLI ECLI:DE:SGNEURU:2022:0118.S20KR15.21.00
Dokumententyp Gerichtsbescheid Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Klagen werden abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Gerichtskosten werden in Verfahren der vorliegenden Art nicht erhoben.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die von der Klägerin an die Beklagte zu entrichtenden Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und zur sozialen Pflegeversicherung aus Versorgungsbezügen für den Zeitraum ab dem 01. Juli 2019.

Die im Dezember 1954 geborene Klägerin, die seit dem 01. Juni 2018 bei der Beklagten kranken- pflegeversichert ist, ist aufgrund ihres Rentenbezuges seit dem 01. Januar 2019 versicherungspflichtig. Nachdem der Klägerin unter dem 01. Juni 2019 Kapitalleistungen aus Versorgungsbezügen in Höhe eines Betrages von 28.631,64 Euro ausgezahlt worden waren, setzte die Beklagte mit sozialverwaltungsbehördlichen Verfügungen vom 05. Juli 2019 Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und zur sozialen Pflegeversicherung fest. Die hiergegen erhobenen Widersprüche wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheiden vom 20. Mai 2020 als unbegründet zurück. Wegen der Begründung der Beklagten verweist die Kammer gemäß § 105 Abs 1 S 3 SGG iVm § 136 Abs 2 S 1 SGG auf die Ausführungen auf Seite 2 (dort jeweils ab dem dritten Satz) bis Seite 3 (dort jeweils bis zu dem zweiten Satz) der Widerspruchsbescheide der Beklagten vom 20. Mai 2020.

Hiergegen hat die anwaltlich vertretene Klägerin mit Schriftsatz vom 19. Juni 2020 – bei dem Sozialgericht Neuruppin am gleichen Tage eingegangen – bei dem erkennenden Gericht Klagen erhoben. Sie meint im Wesentlichen, schon die Beitragsberechnung sei nicht schlüssig und nachvollziehbar. Darüber hinaus läge der garantierte monatliche Rentenbetrag in Höhe von 142,03 Euro niedriger als die Freigrenze in Höhe von 159,25 Euro (für das Jahr 2020), so dass die Klägerin, die die Kapitalisierung gewählt habe, ungleich behandelt werde, zumal bereits der Ansatz von lediglich zehn Jahren hinsichtlich der Kapitalisierung zur Ermittlung des monatlichen Betrages für die Sozialabgaben angesichts der gestiegenen Lebenserwartung für Frauen und der gesunkenen bzw sogar negativen Zinsen insbesondere bei Frauen viel zu kurz bemessen sei. Auch sei fraglich, ob § 229 Abs 1 S 3 SGB V überhaupt einschlägig sei, jedenfalls schließe sich die Klägerin der im Beschluss des Bayerischen Landessozialgerichts vom 30. Oktober 2020 – L 20 KR 151/20 – (dort RdNr 14) dargestellten Auffassung und der dort zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an. Im Übrigen werde bestritten, dass angesichts des stattgefundenen Umlaufverfahrens die Widerspruchsbescheide wirksam ergangen sind.

Nachdem die Beklagte mit sozialverwaltungsbehördlicher Verfügung vom 29. Oktober 2020 die monatlichen Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung aus Versorgungsbezügen mit Wirkung ab dem 01. Januar 2020 neu festgesetzt hatte, beantragt die Klägerin (nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß) nunmehr,

die mit den Bescheiden der Beklagten vom 05. Juli 2019 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 20. Mai 2020 in der Fassung des Bescheides vom 29. Oktober 2020 verlautbarten Beitragsfestsetzungsverfügungen der Beklagten aufzuheben.

Die Beklagte hat keinen Antrag gestellt. Sie trägt im Wesentlichen vor, der der Klägerin ausgezahlte Versorgungsbezug sei eine beitragspflichtige Einnahme, auf die Beiträge zu leisten seien. Der Betrag der Kapitalleistung werde auf zehn Jahre umgelegt, so dass der umgerechnete monatliche Versorgungsbezug, aus dem die Beiträge zu berechnen sei, 238,60 Euro betrage. Aus diesem Betrag seien die Beiträge auch berechnet worden, die klägerischen Ausführungen gingen von unzutreffenden Beträgen aus. Aufgrund des Betriebsrentenfreibetragsgesetzes seien die Beiträge mit Wirkung ab dem 01. Januar 2020 geringer festgesetzt werden. Da sich die Klägerin für die Auszahlung einer Einmalzahlung entschieden habe, müsse sie auch die sich aus dem Gesetz für die Beitragsberechnung ergebenden Konsequenzen tragen, an die die Beklagte gebunden sei, auch wenn sich die Klägerin ungerecht und ungleich behandelt fühle. Für die Beklagte sei nicht ersichtlich, warum sich die Klägerin auf den Beschluss des Bayerischen Landessozialgerichts berufe. In dessen Entscheidung sei die Rechtmäßigkeit der Verbeitragung von Kapitalleistungen aus betrieblicher Altersversorgung bestätigt worden. Angesichts der mit Wirkung zum 28. März 2020 geschaffenen Neuregelung des § 64 Abs 3a SGB IV, der eine schriftliche Abstimmung durch die Widerspruchsausschüsse der Beklagten zulasse, sei schließlich auch der Widerspruchsbescheid wirksam ergangen.

Das Gericht hat die Beteiligten mit Verfügungen vom 07. Dezember 2021 zu der beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte sowie auf die die Klägerin betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.

Entscheidungsgründe

Die Klagen haben keinen Erfolg.

1. Über die Klagen konnte die Kammer gemäß § 105 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten aufweist, der Sachverhalt geklärt ist, die Beteiligten zuvor mit den gerichtlichen Verfügungen vom 07. Dezember 2021 zu dieser beabsichtigten Entscheidungsform ordnungsgemäß angehört worden sind, eine ausdrückliche Zustimmung der Beteiligten hierzu nicht erforderlich ist und weil das Gericht vor seiner Entscheidung – ebenso wie im Rahmen der mündlichen Verhandlung – weder zur Darstellung seiner Rechtsansicht (vgl Bundessozialgericht, Beschluss vom 03. April 2014 – B 2 U 308/13 B, RdNr 8 mwN) noch zu einem umfassenden Rechtsgespräch verpflichtet ist (vgl Bundessozialgericht, Urteil vom 30. Oktober 2014 – B 5 R 8/14 R, RdNr 23).

2. Streitgegenstand des sozialgerichtlichen Verfahrens ist die Höhe der von der Klägerin zu entrichtenden Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und zur sozialen Pflegeversicherung seit dem 01. Juli 2019. Gegenstand des Klageverfahrens sind dabei die in der – der Klägerin unterstellten (vgl § 123 SGG) – Antragsformulierung näher bezeichneten Beitragsfestsetzungsverfügungen der Beklagten. Insbesondere ist auch die später ergangene Beitragsfestsetzungsverfügung der Beklagten vom 29. Oktober 2020 bereits Gegenstand des vorliegenden Klageverfahrens geworden, weil sie gemäß § 96 Abs 1 SGG die Beitragsfestsetzungsverfügungen der Beklagten vom 05. Juli 2019 mit Wirkung ab dem 01. Januar 2020 – jedenfalls soweit sie die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung regeln – abänderten.

3. Die danach interessengerecht ausgelegten – vgl erneut § 123 SGG – Begehren der Klägerin, die darauf gerichtet sind, die mit den Bescheiden der Beklagten vom 05. Juli 2019 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 20. Mai 2020 in der Fassung des Bescheides vom 29. Oktober 2020 verlautbarten Beitragsfestsetzungsverfügungen aufzuheben, sind als isolierte Anfechtungsklagen gemäß § 54 Abs 1 Regelung 1 SGG iVm § 56 SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig.

4. Die zulässigen Klagen sind jedoch unbegründet, weil die angegriffenen Verfügungen rechtmäßig sind und die Klägerin durch sie nicht in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten beschwert ist (vgl § 54 Abs 2 S 1 SGG).

a) Die Beklagte hat die Beiträge zur gesetzlichen Kranken- sowie zur sozialen Pflegeversicherung für den Zeitraum ab dem 01. Juli 2019 zu Recht in der verlautbarten Höhe festgesetzt und hierbei die rechtlichen Grundlagen hierfür in nicht zu beanstandender Weise angewandt.

b) Die angegriffenen Beitragsfestsetzungsverfügungen der Beklagten sind unter Berücksichtigung der maßgeblichen gesetzlichen Grundlagen des § 226 Abs 1 S 1 Nr 3 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V), des § 226 Abs 2 SGB V, des § 228 Abs 1 S 1 SGB V, des § 229 Abs 1 S 1 Nr 5 SGB V, des § 229 Abs 1 S 3 SGB V, des § 238 SGB V, des § 6 Abs 6 SGB V, des § 248 S 1 SGB V, des § 250 Abs 1 Nr 1 SGB V iVm § 252 Abs 1 S 1 SGB V und des § 57 Abs 1 S 1 des Elften Buches Sozialgesetzbuch – Soziale Pflegeversicherung – (SGB XI), jeweils in der Fassung, die die genannten Vorschriften im streitgegenständlichen Zeitraum hatten, weil in Rechtsstreitigkeiten der vorliegenden Art das zum damaligen Zeitpunkt geltende Recht anzuwenden ist, was auch für die weiteren zitierten Vorschrift gilt <sog Geltungszeitraumprinzip, vgl dazu aus dem Rechtskreis des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) nur etwa: Bundessozialgericht, Urteil vom 19. März 2020 – B 4 AS 1/20 R, RdNr 13 mwN), nicht zu beanstanden. Die Kammer sieht gemäß § 105 Abs 1 S 3 SGG iVm § 136 Abs 3 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, verweist auf die Ausführungen der Beklagten auf Seite 2 (dort jeweils ab dem dritten Satz) bis Seite 3 (dort jeweils bis zu dem zweiten Satz) der Widerspruchsbescheide der Beklagten vom 20. Mai 2020 und daneben in entsprechender Anwendung der Regelungen des § 105 Abs 1 S 3 SGG iVm § 136 Abs 3 SGG auf die ausführlichen Ausführungen der Beklagten in ihrem Schriftsatz vom 19. August 2021, weil sie diese für überzeugend hält und deshalb auch zur Grundlage ihrer eigenen Entscheidung macht.

Den in Bezug genommenen Erwägungen der Beklagten hat die Klägerin nach Auffassung des Gerichts auch im Klageverfahren nichts Entscheidungserhebliches entgegen gesetzt. Entgegen der Auffassung der Klägerin sind die Versorgungsbezüge der Klägerin in dem erfolgten Umfang zu verbeitragen. Auch aus Sicht des Gerichts ist entscheidend, dass sich die Klägerin für die Auszahlung einer Einmalzahlung entschieden hat und deshalb auch die sich aus dem Gesetz für die Beitragsberechnung ergebenden Konsequenzen tragen muss.

Die verfassungsrechtlichen Bedenken der Klägerin teilt das Gericht in Übereinstimmung mit den Erwägungen des Bayerisches Landessozialgerichtes in seinem Beschluss vom 30. Oktober 2020 – L 20 KR 151/20 – (vgl dort insbesondere RdNr 40ff, auch mit zahlreichen Nachweisen aus der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung), die es für überzeugend hält und denen sie deshalb auch folgt, nicht. Soweit sich die Klägerin zur Stützung ihres Begehrens ebenfalls auf diese Entscheidung beruft, kann sie hiermit schon deshalb nicht durchdringen, weil sie lediglich das Vorbringen des dortigen Berufungsklägers und nicht die hier zugrunde gelegte Rechtsauffassung des Bayerischen Landessozialgerichts zitiert hat, die indes zur Zurückweisung der Berufung geführt hatte.

Schließlich hat das Gericht in Übereinstimmung mit der Auffassung der Beklagten angesichts der durch Artikel 3 des Gesetzes für den erleichterten Zugang zu sozialer Sicherung und zum Einsatz und zur Absicherung sozialer Dienstleister aufgrund des Coronavirus SARS-CoV-2 (Sozialschutz-Paket) vom 27. März 2020 (BGBl I S 575, 576) – entsprechend Artikel 11 Abs 1 des Gesetzes mit Wirkung zum 28. März 2020 (BGBl I S 575, 579) – geschaffenen Neuregelung des § 64 Abs 3a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – (SGB IV), der eine schriftliche Abstimmung durch die Widerspruchsausschüsse der Beklagten aus den von dem Beklagten mit Blick auf die Vermeidung unnötiger Ansteckungsrisiken dargelegten wichtigen Gründen zulässt, auch keine Bedenken hinsichtlich der Wirksamkeit der in dieser Art und Weise ergangenen Widerspruchsbescheide.

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 105 Abs 1 S 3 SGG iVm § 193 Abs 1 S 1 SGG. Es entsprach dabei der Billigkeit, dass die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten haben, weil die Klägerin mit ihrem Begehren vollumfänglich unterlag, während die Aufwendungen der Beklagten schon von Gesetzes wegen nicht erstattungsfähig sind (§ 105 Abs 1 S 3 SGG iVm § 193 Abs 4 SGG iVm § 184 Abs 1 SGG).

6. Gerichtskosten werden in Verfahren der vorliegenden Art nicht erhoben (§ 105 Abs 1 S 3 SGG iVm § 183 S 1 SGG).