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Entscheidung S 20 KR 191/19


Metadaten

Gericht SG Neuruppin 20. Kammer Entscheidungsdatum 16.02.2022
Aktenzeichen S 20 KR 191/19 ECLI ECLI:DE:SGNEURU:2022:0216.S20KR191.19.00
Dokumententyp Gerichtsbescheid Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Vergütung von Leistungen der häuslichen Krankenpflege für den Zeitraum vom 23. Dezember 2014 bis zum 05. November 2015.

Die klagende GmbH erbringt ua im Raum Ostprignitz-Ruppin häusliche Krankenpflegeleistungen und stand im Streitzeitraum ua mit der beklagten AOK aufgrund des „Vertrages gemäß §§ 132 und 132 a Abs. 2 SGB V über die einheitliche Versorgung mit Häuslicher Krankenpflege sowie zur Erbringung von Leistungen nach §§ 198 und 199 RVO (Häusliche Pflege bzw. Haushaltshilfe)“ in entsprechenden vertraglichen Beziehungen.

Verschiedenen bei der Beklagten Versicherten bewilligte die Beklagte für den hier streitgegenständlichen Zeitraum Leistungen der diesen jeweils ärztlich verordneten häuslichen Krankenpflege (ua Blutzuckerkontrollen, Blutdruckmessungen, Insulininjektionen, andere Injektionen, Einreibungen, Dekubitusbehandlungen, das Anlegen und Wechseln von Kompressions- und Wundverbänden, das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen sowie das Richten, das Dosieren und das Verabreichen von Medikamenten).

Die Klägerin übersandte der Beklagten für den Zeitraum vom 23. Dezember 2014 bis zum 05. November 2015 für ihre bei den Versicherten erbrachten Leistungen insgesamt 65 Einzelrechnungen, deren Bezahlung die Beklagte – nach deren Vortrag – teilweise vollständig ablehnte und teilweise nur zu einem Teil vornahm.

Mit Schriftsatz vom 19. Dezember 2018 – bei dem Sozialgericht Neuruppin eingegangen am gleichen Tage – hat die Klägerin bei dem erkennenden Gericht durch Erweiterung einer bereits seit dem 22. Dezember 2017 rechtshängigen Klage, die unter dem gerichtlichen Aktenzeichen S 10 P 108/17 geführt wird, für die aus den 65 Einzelrechnungen noch offenen Beträge Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren auf Zahlung der offenen Rechnungsbeträge weiter verfolgt. Zur Begründung ihres Begehrens meint sie, Gründe für Kürzungen der Rechnungen oder Einbehalte seien nicht gegeben. Jedenfalls seien der Klägerin etwaige Beanstandungen der Beklagten nicht bekannt.

Nachdem das erkennende Gericht das Verfahren in dem Umfang der Klageerweiterung mit Beschluss vom 08. Mai 2019 – S 10 P 108/17 – abgetrennt und zunächst unter dem gerichtlichen Aktenzeichen S 10 P 25/19 weitergeführt und die erkennende Kammer es unter dem jetzigen Aktenzeichen übernommen hat, beantragt die Klägerin nunmehr,

die Beklagte zu verurteilen, ihr einen Betrag in Höhe von 4.409.95 Euro nebst Zinsen hierauf in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19. Dezember 2018 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung ihres Antrages weist sie zunächst darauf hin, dass die Klage hinsichtlich der Rechnungen aus dem Jahre 2014 schon wegen doppelter Rechtshängigkeit unzulässig sei. Diese Rechnungen seien bereits Gegenstand des Verfahrens mit dem gerichtlichen Aktenzeichen S 10 P 108/17. Im Übrigen verweist sie im Wesentlichen darauf, dass sie die Rechnungen beanstandet und die Klägerin die Rechnungen danach nicht wieder eingereicht habe. Schließlich erhebe sie die Einrede der Verjährung.

Das Gericht hat die Beteiligten zuletzt mit Verfügungen vom 19. Januar 2022 zu der beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie auf den Inhalt der Prozessakte sowie der von der Beklagten übersandten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. Diese Unterlagen haben vorgelegen und waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat keinen Erfolg.

1. Über die Klage konnte das Gericht gemäß § 105 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten aufweist, der Sachverhalt geklärt ist, die Beteiligten zuvor mit Verfügungen vom 19. Januar 2022 zu dieser beabsichtigten Entscheidungsform ordnungsgemäß angehört worden sind, eine ausdrückliche Zustimmung der Beteiligten hierzu nicht erforderlich ist und weil das Gericht vor seiner Entscheidung – ebenso wie im Rahmen der mündlichen Verhandlung – weder zur Darstellung seiner Rechtsansicht (vgl Bundessozialgericht, Beschluss vom 03. April 2014 – B 2 U 308/13 B, RdNr 8 mwN) noch zu einem umfassenden Rechtsgespräch verpflichtet ist (vgl Bundessozialgericht, Urteil vom 30. Oktober 2014 – B 5 R 8/14 R, RdNr 23).

2. Die Klage ist nur teilweise zulässig, soweit sie zulässig ist, ist sie unbegründet.

a) Die Klage ist – soweit die vollständige Begleichung der Rechnungen aus dem Jahre 2014 begehrt wird – unzulässig, im Übrigen ist sie zulässig.

aa) Soweit die Klägerin Zahlungsansprüche für die Rechnungen vom 23. Dezember 2014 sowie vom 29. Dezember 2014 geltend macht, steht der Zulässigkeit der Klage die Sperrwirkung des § 202 S 1 SGG iVm § 17 Abs 1 S 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) entgegen. Nach den genannten Regelungen kann eine Sache während der Rechtshängigkeit von keiner Partei – im sozialgerichtlichen Verfahren von keinem Beteiligten – anderweitig anhängig gemacht werden. Die Rechtshängigkeit entfaltet mithin für ein zweites und alle weiteren Verfahren über denselben Streitgegenstand Sperrwirkung. Die Sperrwirkung des § 17 Abs 1 S 2 GVG beginnt mit dem Eintritt der Rechtshängigkeit, hier der Klageerhebung (vgl § 94 SGG), und endet mit der Beendigung der Rechtshängigkeit, die ua mit dem Eintreten der Rechtskraft der Entscheidung erfolgt.

Streitgegenstand des sozialgerichtlichen Klageverfahrens – mithin der aus einem bestimmten Sachverhalt abgeleitete Anspruch des Klägers auf Verurteilung des Beklagten zu der begehrten Leistung (vgl § 123 SGG), der dem auch im Zivilprozessrecht herrschenden zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff entspricht (vgl hierzu etwa Bundessozialgericht, Urteil vom 26. März 2014 – B 10 EG 2/13 R, RdNr 9 mwN) – sind die Ansprüche der Klägerin auf Zahlung auf die von ihr gelegten Rechnungen. Streitgegenstand des mit Klageschriftsatz vom 22. Dezember 2017 eingeleiteten Verfahrens zu dem gerichtlichen Aktenzeichen S 10 P 108/17 sind ua auch Ansprüche der Klägerin auf vollständige Zahlung der genannten Rechnungen aus dem Jahre 2014. Nur in dem Verfahren mit dem gerichtlichen Aktenzeichen S 10 P 108/17 ist daher über die insoweit geltend gemachten Forderungen zu entscheiden. Deshalb entfaltet die bestehende Rechtshängigkeit (vgl § 94 S 1 SGG) der sozialgerichtlichen Klage zu dem Aktenzeichen S 10 P 108/17 Sperrwirkung gegenüber der Klage im vorliegenden Verfahren, soweit hier wie dort die genannten Rechnungsbeträge geltend gemacht werden, weshalb insoweit für das vorliegende Verfahren ein Prozesshindernis besteht, das der Zulässigkeit der Klage insoweit entgegen steht, worauf die Beklagte bereits zu Recht hingewiesen hat.

bb) Im Übrigen ist die Klage indes zulässig. Leistungserbringer können ihre Zahlungsansprüche grundsätzlich im Wege der (echten) Leistungsklage gemäß § 54 Abs 5 SGG geltend machen, denn es handelt sich dabei um einen sogenannten Beteiligtenstreit im Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt, ein Vorverfahren nicht durchzuführen und eine Klagefrist nicht einzuhalten ist (vgl dazu nur Bundessozialgericht, Urteil vom 20. April 2016 – B 3 KR 18/15 R, RdNr 13 mwN).

b) Soweit die Klage danach als (echte) Leistungsklage im Sinne des § 54 Abs 5 SGG zulässig ist, ist sie jedoch unbegründet. Die Klägerin kann jedenfalls etwaige Zahlungsansprüche gegen die Beklagte nicht mehr durchsetzen, sie sind verjährt.

aa) Anspruchsgrundlage der Vergütungsansprüche von Pflegediensten für die Versorgung von Versicherten mit häuslicher Krankenpflege ist für den hier betroffenen Zeitraum die Regelung des § 132a Abs 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) – in der Fassung, die die genannte Vorschrift zum Zeitpunkt der Leistungserbringungen hatte, weil in Rechtsstreitigkeiten über bereits vergangene Zeiträume das zum damaligen Zeitpunkt geltende Recht anzuwenden ist (sog Geltungszeitraumprinzip, vgl dazu nur Bundessozialgericht, Urteil vom 24. Juni 2020 – B 4 AS 8/20 R, RdNr 21 mwN), was auch für die weiteren zitierten Vorschriften gilt – iVm dem zwischen den Beteiligten geschlossenen „Vertrag gemäß §§ 132 und 132 a Abs. 2 SGB V über die einheitliche Versorgung mit Häuslicher Krankenpflege sowie zur Erbringung von Leistungen nach §§ 198 und 199 RVO (Häusliche Pflege bzw. Haushaltshilfe)“. Nach dessen § 34 Abs 5 verjähren der Vergütungsanspruch des Pflegedienstes und der aus Beanstandungen nach § 34 Abs 4 resultierende Erstattungsanspruch der Krankenkasse jeweils nach einem Jahr. Unter Berücksichtigung der gemäß § 69 Abs 1 S 3 SGB V ergänzend heranzuziehenden Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) verjährten die von der Klägerin geltend gemachten Zahlungsansprüche aus den Rechnungen aus dem Jahre 2015 gemäß § 199 Abs 1 BGB iVm § 186 BGB iVm § 187 Abs 1 BGB iVm § 188 Abs 2 BGB iVm § 193 BGB am 02. Januar 2017.

Die insoweit maßgebliche regelmäßige Verjährungsfrist beginnt gemäß § 199 Abs 1 BGB, soweit nicht ein anderer Verjährungsbeginn bestimmt ist, mit dem Schluss des Jahres, in dem 1. der Anspruch entstanden ist und 2. der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste, hier also gemäß § 187 Abs 1 BGB am 01. Januar 2016, denn die Ansprüche sind jedenfalls im Jahre 2015 mit der Fälligkeit der erteilten Rechnungen entstanden und die Klägerin hatte dementsprechend auch zu diesen Zeitpunkten von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt. Die Verjährungsfrist endete daher gemäß § 186 BGB iVm § 188 Abs 2 BGB an sich am 31. Dezember 2016. Da es sich bei dem 31. Dezember 2016 um einen Samstag handelte und der 01. Januar 2017 ein Sonn- und ein Feiertag war, endete die Verjährungsfrist für diese Rechnungen aufgrund der Regelung des § 193 BGB am 02. Januar 2017. Weil die Klägerin ihre Zahlungsklage durch die Klageerweiterung allerdings erst am 19. Dezember 2018 rechtshängig gemacht hat (vgl § 94 S 1 SGG), konnte die Klagerhebung den Ablauf der Verjährungsfrist nicht mehr gemäß § 204 Abs 1 Nr 1 BGB hemmen.

Da auch für Verhandlungen im Sinne der Regelung des § 203 BGB nichts vorgetragen oder sonst ersichtlich ist, ist die Beklagte, die die Einrede der Verjährung auch ausdrücklich erhoben hat, gemäß § 214 Abs 1 BGB berechtigt, die Leistung zu verweigern, weshalb auch die Zahlungsklage ohne Erfolg bleiben muss. Vor diesem Hintergrund kann dann auch offen bleiben, ob und wann die Beklagte die Rechnungen der Klägerin im Sinne der Regelung des § 34 Abs 4 S 1 des maßgeblichen Vertrages (zu Recht) beanstandet hat (vgl zu alledem auch den zwischen den identischen Beteiligten ergangenen Gerichtsbescheid vom 14. Januar 2021 – S 20 KR 483/18, RdNr 16ff; vgl im Übrigen zu der Zulässigkeit der vertraglichen Verkürzung der gesetzlichen Verjährungsfristen: Sozialgericht Potsdam, Urteil vom 08. Februar 2008 – S 7 KR 40/07, RdNr 25ff mwN).

bb) Mangels eines bestehenden Hauptanspruches besteht auch der begehrte Verzinsungsanspruch im Sinne der Regelung des § 69 Abs 1 S 3 SGB V iVm § 288 Abs 1 S 1 BGB von vornherein nicht, weshalb offen bleiben kann, ob Zinsen überhaupt in dem beantragten Umfang erfolgreich begehrt werden könnten.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Teils 3 SGG iVm § 154 Abs 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).