Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 4. Senat | Entscheidungsdatum | 22.02.2022 | |
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Aktenzeichen | OVG 4 S 55/21 | ECLI | ECLI:DE:OVGBEBB:2022:0222.OVG4S55.21.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | Art 33 Abs 2 GG, Art 92 GG, § 10 Abs 1 RiG BB 2011, § 20 Abs 2 S 1 BG BB 2009, § 132 BG BB 2009, § 94 VwGO, § 123 VwGO, Art 19 Abs 1 EUV, Art 267 AEUV |
Das Erfordernis der obergerichtlichen Erprobung von Richtern des Landes Brandenburg vor einer Beförderung in ein Amt der Besoldungsgruppe R 2 ist zumindest für eine Übergangszeit ohne nähere Regelung des Gesetzgebers rechtmäßig.
Die befristete Abordnung von Richtern zum Zweck der Eignungsfeststellung für ein Beförderungsamt (hier: nach Maßgabe der ErprobungsAV Brandenburg) steht im Einklang mit dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 16. November 2021 - C-748/19 -.
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 30. November 2021 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Beschwerde trägt der Antragsteller mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Der Senat prüft nur die innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung am 3. Dezember 2021 vorgebrachte Begründung (§ 146 Abs. 4 Satz 1 und 6 VwGO). Auf deren Prüfung ist das Oberverwaltungsgericht nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auch in einem Konkurrentenstreit beschränkt (BVerfG, Beschluss vom 4. Juli 2018 –2 BvR 1207/18 – juris Rn. 18; Beschluss des Senats vom 20. Juni 2017 – OVG 4 S 17.17 – juris Rn. 2). Eine nachträgliche Begründung, die sich nicht auf die Erläuterung bzw. Vertiefung der bereits vorgebrachten Argumente beschränkt, sondern neuartige Gesichtspunkte einführt, muss der Senat unbeachtet lassen. Gemessen an den vom Antragsteller fristwahrend dargelegten Gründen hat das Verwaltungsgericht Potsdam zu Recht dessen Antrag abgelehnt, im Wege einstweiliger Anordnung die Besetzung der ausgeschriebenen Stelle eines Vorsitzenden Richters / einer Vorsitzenden Richterin am Verwaltungsgericht im Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) zu untersagen. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichts erfüllt der Antragsteller nicht das weiterhin geltende Erfordernis einer obergerichtlichen Erprobung bzw. Ersatzerprobung. Das Verwaltungsgericht verweist insoweit auf die AnforderungsAV und ErprobungsAV.
Der Antragsteller beruft sich in der Beschwerdebegründung für seine Rechtsauffassung, dass seine Erprobung nicht zu fordern sei, auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Juli 2021 – 2 C 2.21 – zur Frage normativer Vorgaben für die Erstellung dienstlicher Beurteilungen durch den Dienstherrn. Dieses Urteil ist schon im angegriffenen Beschluss gewürdigt worden. Das Verwaltungsgericht hat die Auffassung vertreten, dass ein mit dem Bundesverwaltungsgericht zu verlangender Parlamentsvorbehalt im Beurteilungswesen erst nach einer Übergangszeit greife, um einen der verfassungsgemäßen Ordnung noch ferneren Zustand zu vermeiden. Es hat insoweit das Bundesverwaltungsgericht und den erkennenden Senat zitiert. Das Verwaltungsgericht hat die ErprobungsAV in der Fassung vom 4. Mai 2021 (JMBl/21, S. 36) ausdrücklich in diese Erwägungen einbezogen.
Der Antragsteller wirft dem Verwaltungsgericht eine widersprüchliche Argumentation vor. Er meint, es knüpfe mit der „bisherigen Verwaltungsvorschriftenlage“ an die alte, außer Kraft getretene ErprobungsAV an und blende deren Ablösung durch die neue ErprobungsAV aus. Das Verwaltungsgericht beruft sich indes nicht auf die Altfassung. Es schreibt vielmehr, warum eine Neuregelung nicht ausnahmsweise noch für eine gewisse Zeit fortgelten könne, erschließe sich auch angesichts der Argumentation des Antragstellers nicht. Der Antragsteller scheint der unzutreffenden Annahme zu unterliegen, dass die zur Zeit der Rechtsprechungsänderung des Bundesverwaltungsgerichts geltenden Verwaltungsvorschriften für die gesamte Übergangszeit gleichsam eingefroren seien. Der Senat hat indes bereits entschieden, dass in einer Übergangszeit bis zum Erlass einer neuen parlamentsgesetzlichen Grundlage der Austausch von Verwaltungsvorschriften möglich bleibt (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 8. Dezember 2021 – OVG 4 S 27/21 – juris Rn. 13). Demnach gilt, wenn aufgrund einer höchstgerichtlichen Rechtsprechungsänderung eine parlamentsgesetzliche Ausformulierung notwendig sein sollte und noch fehlt, die jeweils aktuelle Verwaltungsvorschrift.
Der Antragsteller entgegnet des Weiteren auf die Annahme des Verwaltungsgerichts, am Erprobungserfordernis aufgrund der Verwaltungsvorschrift sei übergangsweise festzuhalten, dass der Gesetzgeber lediglich einen Beurteilungsauftrag, nicht aber einen Erprobungsauftrag erteilt habe. Ohne Gesetzesauftrag sei das rechtswidrige Erprobungserfordernis nicht einmal für eine Übergangszeit zu rechtfertigen. Das trifft aus mehreren Gründen nicht zu. Erstens hat der Brandenburger Gesetzgeber in § 20 Abs. 2 Satz 1 LBG entschieden, dass Beförderungen von Beamten, die mit einer höherwertigen Funktion verbunden sind, eine vorherige Erprobungszeit voraussetzen. Eine entsprechende Geltung des Erprobungsauftrags für Richter ergibt sich aus der Verweisung in § 10 Abs. 1 BbgRiG auf die beamtenrechtlichen Vorschriften des Landes. Zweitens ermächtigt der Landesgesetzgeber ausdrücklich zum Erlass der erforderlichen Verwaltungsvorschriften im Dienstrecht, wie aus § 132 LBG abzuleiten ist, wenn nicht sogar in spezielleren parlamentsgesetzlichen Regelungen zu deren Erlass aufgefordert wird. Das Bundesverwaltungsgericht lässt „die aufgrund der landesrechtlichen Regelungen erlassenen Verwaltungsvorschriften“ vorübergehend fortgelten, wenn und weil andernfalls die für die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung wichtigen Auswahlentscheidungen nicht getroffen werden könnten (BVerwG, Urteil vom 7. Juli 2021 – 2 C 2.21 – juris Rn. 40). Das ist auf die Funktionsfähigkeit der Rechtsprechung zu übertragen. Die Nachbesetzung der Stellen von Vorsitzenden in gerichtlichen Spruchkörpern ist in der Regel sogar von höherer Dringlichkeit als die Beförderung von Beamten, denn eine längere Vakanzvertretung im Spruchkörper durch Beisitzer ist gerichtsverfassungsrechtlich unzulässig (vgl. BSG, Beschluss vom 29. November 2006 – B 6 KA 34/06 B – juris Rn. 8; Mayer in: Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl. 2021, § 59 Rn. 13 und 3 ff.).
Wegen des hohen Vertrauens, das das Grundgesetz den Richtern einräumt (Art. 92 GG), ist es im Verwaltungsrechtsstreit nicht zu beanstanden (zur derzeitigen Notwendigkeit einer parlamentsgesetzlichen Regelung sogleich), wenn der Dienstherr seine Bestenauslese für ein höheres Richteramt gemäß Art. 33 Abs. 2 GG erst nach besonders eingehender Prüfung der Bewerber trifft. Diese Prüfung erfolgt in vielen Bundesländern durch die Erprobung bzw. Ersatzerprobung. Die Notwendigkeit, Beurteilungsgrundlagen für ein richterliches Beförderungsamt zu schaffen, erlaubt die Heranziehung auch solcher Richter an ein Gericht, die nicht planmäßige Richter dieses Gerichts sind (BVerfG, Beschluss vom 22. Juni 2006 – 2 BvR 957/05 – juris Rn. 7). Es beruht demgemäß auf zwingenden Gründen im Sinne des Gerichtsverfassungsrechts, auf einem unabweislichen Bedürfnis der Rechtspflege, wenn planmäßige Richter unterer Gerichte an obere Gerichte abgeordnet werden, um ihre Eignung zu erproben (so BGH, Dienstgericht des Bundes, Urteil vom 16. März 2005 – RiZ [R] 2/04 – juris Rn. 22 ff.; BSG, Beschluss vom 25. April 2018 – B 14 AS 157/17 B – juris Rn. 6).
Der vom Antragsteller zitierte Beschluss des erkennenden Senats vom 8. Dezember 2021 – OVG 4 S 27/21 – (juris Rn. 10 am Ende) zu den Auswirkungen des Laufbahnprinzips auf die Beförderung von Beamten ergibt nichts anderes. Zum einen kennt das Richteramtsrecht keine Laufbahnordnung (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 9. August 2018 – OVG 4 S 30.18 – juris Rn. 11). Zum andern dürfte der Dienstherr angesichts von Art. 92 GG höhere Anforderungen an die Eignungsfeststellung von Richtern stellen und muss sie insoweit nicht mit Beamten gleichbehandeln. Das Land Brandenburg verlangt indes wie erwähnt von Beamten, vor der Beförderung in ein Amt mit einer höherwertigen Funktion eine Erprobungszeit zu absolvieren (§ 20 Abs. 2 Satz 1 LBG). Die Auffassung des Antragstellers liefe auf das Ergebnis hinaus, dass der brandenburgische Dienstherr die Entscheidungen über die Beförderung von Richtern weniger sorgfältig und aufwendig als bei den Beamten zu treffen hätte.
Nach der bislang einhelligen Auffassung in der höchstrichterlichen Rechtsprechung und im Schrifttum darf der Dienstherr, ohne vom Gesetzgeber dazu ausdrücklich aufgefordert bzw. durch dessen Gesetz genauer angeleitet worden zu sein, eine (Ersatz-)Erprobung von Richtern vor einer Beförderung fordern und einrichten (BVerfG, Beschluss vom 22. Juni 2006 – 2 BvR 957/05 – juris Rn. 7 und 3: der Verfassungsbeschwerdeführer hatte explizit das Fehlen einer gesetzlichen Regelung gerügt; BGH, Dienstgericht des Bundes, Urteil vom 16. März 2005 – RiZ [R] 2/04 – juris Rn. 22 ff.; BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2009 – 3 ZB 55/09 – juris Rn. 7; BVerwG, Urteil vom 4. November 1976 – 2 C 59.73 – juris Rn. 24 f.; BSG, Beschluss vom 25. April 2018 – B 14 AS 157/17 B – juris Rn. 6; Schmidt-Räntsch, DRiG, Kommentar, 6. Auflage 2009, § 46 Rn. 21b; Schnellenbach, Konkurrenzen im öffentlichen Dienst, 2. Auflage 2018, Kapitel 19 Rn. 1 m.w.N. [und der Anmerkung in Rn. 6, die brandenburgische AV verkörpere das klassische Modell der Erprobung, welches höchstrichterlich gutgeheißen worden sei]). Der erkennende Senat hatte sich dieser Auffassung im Beschluss vom 30. September 2019 – OVG 4 S 55.19 – (juris Rn. 8) angeschlossen.
Sollte angesichts der Rechtsfortbildung des Bundesverwaltungsgerichts zur parlamentsgesetzlichen Grundierung von dienstlichen Beurteilungen auch in Bezug auf das Erprobungserfordernis eine hinreichende parlamentsgesetzliche Regelung zu verlangen sein, würde eine solche Rechtsprechungsänderung sich aus dem „im Lauf der Zeit gewandelten verfassungsrechtlichen Blickwinkel“ (BVerwG, Urteil vom 7. Juli 2021 – 2 C 2.21 – juris Rn. 33) ergeben. Dem Gesetzgeber wäre eine angemessene Zeit einzuräumen, um eine geänderte Sichtweise der Gerichte nachzuvollziehen. Bis dahin sind die für die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung und der Rechtspflege wichtigen Auswahlentscheidungen entsprechend den in den Verwaltungsvorschriften getroffenen Anforderungen zu treffen. In dem Zeitfenster, das sich zwischen dem Erkennen einer ungenügenden parlamentsgesetzlichen Regelung und dem Nachbessern durch den Gesetzgeber öffnet, darf der Standard, den Art. 33 Abs. 2 GG sichert, nicht abgesenkt und womöglich Ungeeigneten ein ihnen nicht zustehendes Beförderungsamt übertragen werden. Denn der Leistungsgrundsatz aus Art. 33 Abs. 2 GG dient dem öffentlichen Interesse an der bestmöglichen Besetzung des öffentlichen Dienstes (BVerfG, Beschluss vom 16. Dezember 2015 – 2 BvR 1958/13 – juris Rn. 31). Mit der Fortgeltung der vom Dienstherrn in Verwaltungsvorschriften niedergelegten Anforderungen an die Bestenauslese lässt sich das Qualitätsniveau bis auf Weiteres aufrechterhalten. Die Erprobung ist in besonderer Weise geeignet, Zweifel an der Eignung für das höhere Amt auszuräumen.
Der Antragsteller hat seinem Beschwerdeantrag im Schriftsatz vom 13. Dezember 2021 in der Beschwerdebegründung vom 30. Dezember 2021 den Antrag hinzugefügt, das Beschwerdeverfahren auszusetzen, bis das Normenkontrollverfahren OVG 4 A 1/21 „erledigt ist“. Der Fall gibt dem Senat keinen Grund zu entscheiden, ob § 94 VwGO in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes einschließlich des Rechtsmittelverfahrens anwendbar ist (dagegen Bamberger in: Wysk, VwGO, 3. Aufl. 2020, § 94 Rn. 1; Rudisile in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Band VwGO, Stand Juli 2021, § 94 Rn. 12; dafür Rennert in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 94 Rn. 2; Peters/Schwarzburg in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 94 Rn. 4). Denn auch die Befürworter der Anwendbarkeit halten aufgrund des besonderen Eilbedürfnisses eine Aussetzung im vorläufigen Rechtsschutz in aller Regel für ermessensfehlerhaft (Rennert in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 94 Rn. 2; Peters/Schwarzburg in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 94 Rn. 4). So wäre es hier gleich aus mehreren Gründen. Anstelle der Aussetzung der Entscheidung käme bei gravierenden Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der Auswahlentscheidung eine einstweilige Anordnung, wie sie der Antragsteller beantragt, in Betracht. Der Senat hegt indes, wie oben ausgeführt, keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit. Es kommt hinzu, dass die Normenkontrollklage auch in einem weiteren Sinn (vgl. Rennert in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 94 Rn. 5) nicht vorgreiflich ist, weil hier für das Ergebnis die Fortgeltung der Verwaltungsvorschriften für einen Übergangszeitraum anzunehmen ist, während im Normenkontrollverfahren, wenn es zulässig sein sollte, der behauptete Verstoß gegen den Gesetzesvorbehalt im Zentrum steht. Dazu hat sich der Senat in diesem Beschluss überhaupt nicht verhalten.
Der Antragsteller hält dem Verwaltungsgericht vor, seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt zu haben, weil es den Vortrag zum Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 16. November 2021 – C-748/19 – unbeachtet gelassen habe. Er erneuert seine Begründung in der Beschwerdeinstanz und sieht den Kern seines Vorbringens darin, dass es von einem Lebenszeitrichter für dessen berufliches Fortkommen nicht verlangt werden dürfe, sich an ein anderes Gericht abordnen zu lassen, wobei die Abordnungsdauer jederzeit vom Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts verändert werden könne. Der Antragsteller beantragt, dem Gerichtshof eine von ihm ausformulierte Vorabentscheidungsfrage nach Art. 267 AEUV vorzulegen.
Mit diesem Vortrag dringt der Antragsteller nicht durch. Hätte das Verwaltungsgericht das rechtliche Gehör verletzt, wäre der Fehler dadurch geheilt, dass das Oberverwaltungsgericht in der Entscheidung über die Beschwerde das Vorbringen beachtet (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14. März 2019 – OVG 10 S 17.18 – juris Rn. 15 m.w.N.). Des Weiteren ist eine Vorlage an den Gerichtshof im Hinblick auf die Beschwerdebegründung nicht angezeigt. Dabei hält der erkennende Senat eine Vorlage im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht für prinzipiell ausgeschlossen (so auch Rennert in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 94 Rn. 22). Die Notwendigkeit zur Vorlage besteht jedoch dann nicht, wenn die betreffende gemeinschaftsrechtliche Bestimmung bereits Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof war, auch wenn die jeweiligen Fragen nicht völlig identisch sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Oktober 2020 – 2 C 19.19 – juris Rn. 40; Rennert in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 94 Rn. 21a).
Die vom Gerichtshof im Urteil vom 16. November 2021 behandelte Frage 1 lautete, ob Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 2 EUV und Art. 6 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2016/343 dahin auszulegen seien, dass sie innerstaatlichen Rechtsvorschriften entgegenstünden, nach denen der Justizminister eines Mitgliedstaats einen Richter nach Kriterien, die nicht bekannt gegeben würden, auf bestimmte oder unbestimmte Dauer an ein Strafgericht höherer Ordnung abordnen und die Abordnung unabhängig davon, ob sie auf bestimmte oder unbestimmte Dauer erfolgt sei, jederzeit ohne Angabe von Gründen beenden könne. Der Antragsteller bezieht sich ebenfalls auf Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 2 EUV und hält eine Abordnung zwecks Erprobung, die nach „nicht offengelegten Kriterien jederzeit ohne Angabe von Gründen beendet werden“ könnte, für problematisch.
Der Antragsteller verkennt dadurch, dass er in seinem Antrag die Vorabentscheidungsfrage so formuliert, der Gerichtshof möge entscheiden, ob die Allgemeine Verfügung der Ministerin der Justiz vom 4. Mai 2021 (ErprobungsAV) gegen europäisches Recht verstoße, den möglichen Gegenstand nach Art. 267 AEUV. Der Gerichtshof entscheidet in einem Zwischenverfahren lediglich abstrakt die aufgeworfenen Fragen zum Unionsrecht. Die Vorlage gibt dem Gerichtshof nicht die Kompetenz, über Fragen innerstaatlichen Rechts zu befinden. Er ist nicht eine europäische Revisions- oder Kassationsinstanz (vgl. EuGH, Urteil vom 16. November 2021 – C-748/19 – juris Rn. 75; Ehricke in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 267 AEUV Rn. 7).
Der Gerichtshof hat im Urteil vom 16. November 2021 – C-748/19 – Abordnungen von Richtern im dienstlichen Interesse für rechtmäßig erklärt (juris Rn. 72). Das Erfordernis der Unabhängigkeit verlange aber, dass die Regelung betreffend die Abordnung der Richter die erforderlichen Garantien der Unabhängigkeit und der Unparteilichkeit biete, um auszuschließen, dass eine solche Regelung als Instrument zur politischen Kontrolle des Inhalts justizieller Entscheidungen eingesetzt werde (juris Rn. 73). Das nationale Gericht habe selbst nach den im Urteil des Gerichtshofs dargestellten Grundsätzen zu entscheiden, ob die Umstände, unter denen der Justizminister einen Richter an ein Gericht höherer Ordnung abordnen und die Abordnung beenden könne, insgesamt betrachtet den Schluss zuließen, dass die betreffenden Richter während der Dauer ihrer Abordnung nicht über die Garantien der Unabhängigkeit und der Unparteilichkeit verfügten (juris Rn. 74). Das dem Gerichtshof die abstrakten Fragen vorlegende polnische Gericht stellte den zu beurteilenden Sachverhalt so dar, dass erstens die Kriterien, die der Justizminister bei der Abordnung von Richtern anwendet, nicht bekannt gegeben würden. Außerdem sei der Justizminister befugt, eine Abordnung jederzeit zu beenden, ohne dass die Kriterien, die diese Befugnis gegebenenfalls begrenzten, bekannt wären und ohne dass eine solche Entscheidung begründet werden müsste (siehe EuGH, Urteil vom 16. November 2021 – C-748/19 – juris Rn. 78). Insoweit hielt der Gerichtshof eine Bekanntgabe der Abordnungskriterien zur Vermeidung von Willkür und Manipulation für geboten (juris Rn. 79). Der Gerichtshof setzte weitere Maßgaben (juris Rn. 80 ff.). Damit ist für die Verwaltungsgerichtsbarkeit alles Notwendige an Auslegung des Unionsrechts vorhanden, um die ErprobungsAV und die Erprobungspraxis in Brandenburg auf ihre Vereinbarkeit mit dem Recht der Europäischen Union zu überprüfen. Eine Vorlage in diesem Verfahren ist unnötig.
Die ErprobungsAV genügt den Maßgaben des Unionsrechts in der Auslegung durch den Gerichtshof im Urteil vom 16. November 2021. Der Vorwurf des Antragstellers, die ErprobungsAV gewähre dem Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts durch die Verfügung von Abordnungen und insbesondere auch von deren jederzeitiger Beendigung die Möglichkeit eines maßgeblichen Einflusses auf die Besetzung von Gerichten, ist unberechtigt. Denn die ErprobungsAV (Fassung vom 4. Mai 2021) benennt in Abschnitt A Nr. 1 als einzigen Zweck für eine Abordnung auf ihrer Grundlage die Feststellung der allgemeinen Eignung für ein Amt der Besoldungsgruppe R 2. Die Dauer der Erprobung in einem Spruchkörper eines oberen Landesgerichts beträgt „regelmäßig“ neun Monate. Die Erprobung kann „im Einzelfall“ auf nicht weniger als sechs Monate verkürzt und, wenn wegen besonderer Umstände im Einzelfall die Eignung binnen neun Monaten nicht zuverlässig beurteilt werden kann, auf bis zu zwölf Monate verlängert werden. Steht die Eignung im Einzelfall nach sechs, regelmäßig nach neun und wegen besonderer Umstände erkennbar erst nach zwölf Monaten fest, kehrt der zu erprobende Richter wieder an sein angestammtes Gericht zurück. Dasselbe geschieht, wenn auch nach zwölf Monaten die Eignung immer noch zweifelhaft ist oder aber die Nichteignung feststeht. Die Abordnungen sind auf das für valide Feststellungen gebotene Zeitmaß beschränkt.
Das vom Gerichtshof anerkannte dienstliche Interesse als Rechtfertigung der Abordnung eines Richters an ein anderes Gericht wird von den nationalen Höchstgerichten, soweit es um die Erprobung vor einer Beförderung geht, einhellig bejaht, die Abordnung sogar für zwingend erachtet (siehe oben). In einer derart limitierten Abordnung steht die richterliche Unabhängigkeit nicht in Gefahr. Wie das Bundesverfassungsgericht überzeugend ausführt, ist gerade beim Erstreben eines Beförderungsamtes zu erwarten, dass der Erprobungsrichter sich sachwidrigen Beeinflussungsversuchen widersetzt und seine richterlichen Entscheidungen nicht vom angestrebten Ziel – der Beförderung – abhängig macht. Eine sachgerechte Beurteilung des zur Erprobung an das Oberlandesgericht abgeordneten Richters werde gerade auch diesen Aspekt, dass der Richter selbst seine persönliche und sachliche Unabhängigkeit wahrt, positiv hervorheben (so BVerfG, Beschluss vom 22. Juni 2006 – 2 BvR 957/05 – juris Rn. 7). Die Erprobung dient mithin auch und nicht zuletzt der Feststellung der inneren Unabhängigkeit eines Richters. Der Antragsteller zeigt nicht einmal im Ansatz auf, wie die Erprobungsabordnung „als Instrument zur politischen Kontrolle des Inhalts justizieller Entscheidungen eingesetzt“ (EuGH, Urteil vom 16. November 2021 – C-748/19 – juris Rn. 73) werden könnte. Mit ihr sind Abordnungen in der polnischen Justiz, die ohne jeden Zusammenhang mit der Eignungsfeststellung für ein Beförderungsamt befristet oder unbefristet ohne erkennbaren dienstlichen Grund verfügt werden und vom Justizminister jederzeit wiederum ohne erkennbaren dienstlichen Grund beendet werden können, nicht zu vergleichen.
Soweit der Antragsteller in seinem Schriftsatz vom 25. Januar 2022 neuartige Gründe für seine Beschwerde anführt, sind diese nach Ablauf der Begründungsfrist (§ 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO) vorgetragen und nicht mehr berücksichtigungsfähig.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).