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Entscheidung OVG 10 S 42/21


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 10. Senat Entscheidungsdatum 16.02.2022
Aktenzeichen OVG 10 S 42/21 ECLI ECLI:DE:OVGBEBB:2022:0216.OVG10S42.21.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 60 Abs 1 VwGO, § 146 Abs 4 S 2 VwGO, § 85 Abs 2 ZPO, § 294 Abs 1 ZPO

Leitsatz

1. Ein Rechtsanwalt darf auch bei einem so wichtigen Vorgang wie der Anfertigung einer Rechtsmittelbegründungsschrift seinen zuverlässigen Büroangestellten eine konkrete Einzelanweisung erteilen, deren Ausführung er grundsätzlich nicht mehr persönlich überprüfen muss.
2. Bei einer nur mündlich erteilten Einzelanweisung müssen aber ausreichende Vorkehrungen getroffen werden, dass die Anweisung nicht in Vergessenheit gerät. Hierfür genügt es, die Korrekturanweisung auf dem fehlerhaft adressierten Schriftsatz handschriftlich zu vermerken.
3. Solche Vorkehrungen sind nur dann entbehrlich, wenn die Bürokraft die unmissverständliche Weisung erhält, den zu erledigenden Vorgang sofort auszuführen.

Tenor

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 16. Juli 2021 wird verworfen.

Die Kosten der Beschwerde tragen die Antragsteller mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 3.750,00 EUR festgesetzt.

Gründe

Die Antragsteller wenden sich gegen ein Bauvorhaben des Beigeladenen. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes mit Beschluss vom 16. Juli 2021 zurückgewiesen.

Die hiergegen gerichtete Beschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist bereits unzulässig.

1. Die innerhalb der zweiwöchigen Beschwerdefrist (§ 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO) beim Verwaltungsgericht eingelegte Beschwerde ist nicht fristgemäß begründet worden.

Nach § 146 Abs. 4 VwGO ist die Beschwerde gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (§§ 80, 80a und 123 VwGO) innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen (Satz 1). Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen (Satz 2). Hierüber sind die Antragsteller durch die Rechtsbehelfsbelehrung des angegriffenen Beschlusses ordnungsgemäß belehrt worden (BA S. 13).

Ausgehend von der Zustellung des angegriffenen Beschlusses an die im erstinstanzlichen Verfahren bereits anwaltlich vertretenen Antragsteller am 26. Juli 2021 hätte die Beschwerde bis zum 26. August 2021 begründet werden müssen (§ 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO, § 188 Abs. 2 BGB). Innerhalb dieser Frist ist eine Beschwerdebegründung beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg indes nicht eingegangen.

Die Begründungsfrist konnte auch nicht durch den an das Verwaltungsgericht adressierten Schriftsatz vom 26. August 2021 gewahrt werden, der am selben Tage per Fax dort einging. Ein fristgerechter Eingang beim erstinstanzlichen Gericht genügt ausweislich des klaren Wortlautes von § 146 Abs. 4 Satz 2 VwGO nicht. Seitens des Verwaltungsgerichts ist dieser Schriftsatz per Post an das Oberverwaltungsgericht weitergeleitet worden, wo er aber erst am 2. September 2021 eingegangen ist, also nach Ablauf der Frist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO.

2. Die beantragte Wiedereinsetzung in die Begründungsfrist kommt nicht in Betracht. Die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand setzt gemäß § 60 Abs. 1 VwGO voraus, dass der Betroffene ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Dies ist hier nicht der Fall.

Ein Verschulden, das eine Wiedereinsetzung nach § 60 Abs. 1 VwGO ausschließt, liegt vor, wenn ein Beteiligter diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden im Hinblick auf die Fristwahrung geboten ist und ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falls zuzumuten war (W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 60 Rn. 9 m.w.N.). Das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten muss sich ein Beteiligter dabei gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen.

Die Verfahrensbevollmächtigte der Antragsteller trägt - unter Versicherung an Eides statt - vor, dass die Beschwerdebegründung am 26. August 2021 fertiggestellt und ihr von einem langjährigen Mitarbeiter zur Unterschrift vorgelegt worden sei. Hierbei sei ihr aufgefallen, dass der Schriftsatz fehlerhaft an das Verwaltungsgericht Berlin adressiert war. Daher habe sie ihren seit dem Jahr 2008 angestellten und äußerst zuverlässigen Mitarbeiter angewiesen, den bereits unterzeichneten Schriftsatz an das Oberverwaltungsgericht umzuadressieren. Dieser habe ihr bestätigt, die Veränderung vorzunehmen und das Schriftstück erst danach an das Oberverwaltungsgericht per Fax zu versenden. Kurz vor Verlassen der Kanzleiräume gegen 17.30 Uhr wegen eines dringenden Außentermins habe die Verfahrensbevollmächtigte ihren Mitarbeiter noch einmal angewiesen, die Umadressierung vorzunehmen. Trotz nochmaliger telefonischer Erinnerung um 18.15 Uhr desselben Tages habe der Mitarbeiter den Schriftsatz unverändert an das Verwaltungsgericht Berlin gesandt.

a. Mit diesem Vortrag hat die Verfahrensbevollmächtige der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht, dass sie die ihr nach der konkreten Sachlage gebotene Sorgfalt bei der Prüfung des Schriftsatzes vom 26. August 2021 bezüglich der richtigen Adressierung an das Rechtsmittelgericht beachtet hat.

Bei der Anfertigung von Rechtsmittelschriften – wie hier der Begründung der Beschwerde – handelt es sich um eine eigenverantwortliche Tätigkeit eines Rechtsanwalts, die dem Büropersonal, mag dies auch zuverlässig und gut geschult sein, nicht überlassen werden darf (BVerwG, Beschluss vom 16. November 1982 -BVerwG 9 B 14473.82 -, juris Rn. 2). Der Rechtsanwalt trägt deshalb für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Beschwerdebegründung einschließlich ihrer Adressierung an das richtige Gericht, bei dem die Begründung einzureichen ist, die alleinige Verantwortung (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. Januar 2015 - OVG 10 N 54.14 -, juris Rn. 3 m.w.N.).

Danach ist hier ein eigenes Verschulden der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsteller anzunehmen, weil sie den Schriftsatz vom 26. August 2021 unterzeichnet hat, obwohl ihr die fehlerhafte Adressierung nach ihrem eigenen Vortrag aufgefallen sei. Bei Beachtung der zumutbaren Sorgfalt hätte es nicht zu einer Unterzeichnung dieses Schriftsatzes kommen dürfen, um dem versehentlichen Einreichen des Rechtsmittelschriftsatzes beim falschen Gericht vorzubeugen. Dem geltend gemachten Versehen des Büropersonals kommt angesichts dessen keine eigenständige Bedeutung mehr zu. Hat der Rechtsanwalt eine an das falsche Gericht adressierte Rechtsmittelschrift unterschrieben, scheidet eine Wiedereinsetzung wegen weiterer Fehler des Anwaltspersonals grundsätzlich aus, bei deren Vermeidung der Anwaltsfehler noch rechtzeitig hätte korrigiert werden können (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 12. Oktober 2016 - OVG 1 B 10.16 -, juris 1. Ls. und Rn. 16).

b. Die Verfahrensbevollmächtigte der Antragsteller kann sich auch nicht mit dem Vorbringen exkulpieren, dass sie ihren Mitarbeiter zweimal angewiesen habe, den Schriftsatz umzuadressieren, und ihn nach Verlassen der Kanzleiräume hieran nochmals telefonisch erinnert habe.

Zwar darf nach der hier übertragbaren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein Rechtsanwalt auch bei einem so wichtigen Vorgang wie der Anfertigung einer Rechtsmittelbegründungsschrift seinen zuverlässigen Büroangestellten eine konkrete Einzelanweisung erteilen, deren Ausführung er grundsätzlich nicht mehr persönlich überprüfen muss. Wird die Anweisung - wie hier - nur mündlich erteilt, müssen in der Kanzlei jedoch ausreichende organisatorische Vorkehrungen getroffen werden, dass die Anweisung nicht in Vergessenheit gerät (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juni 2013 - XII ZB 47/10 -, juris Rn. 12 m.w.N., fortgeführt durch Beschluss vom 5. Mai 2021 - XII ZB 552/20 -, juris Rn. 15). Solche Vorkehrungen sind nur dann entbehrlich, wenn die Bürokraft zugleich die unmissverständliche Weisung erhält, den zu erledigenden Vorgang sofort auszuführen. Dies gilt auch in den Fällen, in denen der Rechtsanwalt seine Angestellten anweist, die falsche Bezeichnung des Beschwerdegerichts zu korrigieren, und er die Beschwerdebegründungsschrift vor der für erforderlich gehaltenen Korrektur unterzeichnet hat (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Mai 2021 - XII ZB 552/20 -, juris, Rn. 15 m.w.N.).

Diesen Anforderungen genügt die von der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsteller erteilte Anweisung aber nicht.

Dem Wiedereinsetzungsvorbringen ist nicht zu entnehmen, dass die Verfahrensbevollmächtigte ihren Mitarbeiter angewiesen hat, die Korrektur der Adresse sofort auszuführen. Sie konnte sich auch nicht mehr auf die Zusicherung ihres Mitarbeiters verlassen, die Umadressierung sofort vorzunehmen, nachdem dies bei ihrem späteren Verlassen der Kanzlei noch nicht erledigt war. Ausweislich der eidesstattlichen Versicherung ihres Mitarbeiters habe sie vor Verlassen der Kanzlei auch lediglich daran erinnert, die Anweisung „noch am selben Tag“ auszuführen.

Angesichts dessen hätte die Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners durch weitere Maßnahmen sicherstellen müssen, dass die Anweisung vor Versendung des Schriftsatzes zuverlässig ausgeführt wird. Dabei ist es als ausreichend anzusehen, die Korrekturanweisung auf dem fehlerhaft adressierten Schriftsatz handschriftlich zu vermerken (vgl. BGH, Beschluss vom 16. September 2015 - V ZB 54/15 -, juris Rn. 11 m.w.N.). Daran fehlt es hier. Ob es, wie die Verfahrensbevollmächtigte geltend macht, auch genügt, ein gelbes „Post-It“ auf das Adressfeld des falsch adressierten Schriftsatzes zu kleben, kann hier dahingestellt bleiben. Denn dieser Vortrag ist außerhalb der Monatsfrist des § 60 Abs. 2 Satz 1 Hs. 2 VwGO erfolgt und zudem nicht gemäß § 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO i.V.m. § 294 Abs. 1 ZPO glaubhaft gemacht worden. Ein einmaliger Anruf aus der Ferne ist hier jedenfalls als unzureichend anzusehen. Zudem steht der Vortrag der Verfahrensbevollmächtigten, um 18.15 Uhr in der Kanzlei angerufen zu haben, im Widerspruch zu der eidesstattlichen Versicherung ihres Mitarbeiters, wonach der Anruf erst um 18.25 Uhr erfolgte. Zu letzterem Zeitpunkt war der beim Verwaltungsgericht um 18.22 Uhr vorab per Fax eingegangene Schriftsatz vom 26. August 2021 bereits durch den Kanzleiangestellten versandt worden.

c. Im Übrigen durfte die Verfahrensbevollmächtigte der Antragsteller nicht darauf vertrauen, dass die Beschwerdebegründung durch das Verwaltungsgericht noch rechtzeitig an das Oberverwaltungsgericht weitergeleitet werde. Diesbezüglich kommt die Gewährung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur dann in Betracht, wenn ein Schriftsatz so zeitig bei dem unzutreffenden Gericht eingereicht worden ist, dass die fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang überhaupt erwartet werden kann (vgl. ausführlich OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. Januar 2015 - OVG 10 N 54.14 -, juris Rn. 5 m.w.N.). Dies ist hier fernliegend, weil die Zulassungsbegründung erst nach Ende der üblichen Dienstzeit des letzten Tages der Frist an das Verwaltungsgericht per Fax übermittelt worden ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffer 9.8.1 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 18. Juli 2013 (http://www.bverwg.de/informationen/streitwertkatalog.php), wobei der Senat der erstinstanzlichen Wertfestsetzung folgt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).