Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 11. Senat | Entscheidungsdatum | 16.03.2022 | |
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Aktenzeichen | OVG 11 N 14/20 | ECLI | ECLI:DE:OVGBEBB:2022:0316.OVG11N14.20.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 124a Abs 4 S 4 VwGO, § 124 Abs 2 Nr 1 VwGO, Art 6 Abs 1 ARB |
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 20. November 2019 wird abgelehnt.
Die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens trägt der Kläger mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, der diese selbst trägt.
Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ist nach den allein maßgeblichen Darlegungen des Zulassungsantrags (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) nicht gegeben.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts bestehen dann, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung der angegriffenen Entscheidung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und nicht nur die Begründung der angefochtenen Entscheidung oder nur einzelne Elemente dieser Begründung, sondern auch die Richtigkeit des Ergebnisses der Entscheidung derartigen Zweifeln unterliegt. Das ergibt die Begründung des Zulassungsantrags nicht.
Der Vortrag des Klägers, er sei am 12. Juli 2013 in die Türkei gereist, was eine der Zulassungsbegründung beigefügte Grenzpolizeibescheinigung belege, zeigt ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung nicht auf, denn das Verwaltungsgericht hat angenommen, der Kläger sei „mutmaßlich (…) im Sommer 2013“ aus der Bundesrepublik Deutschland ausgereist, was der Angabe des Klägers nicht wiederspricht. Soweit dieser rügt, das Gericht habe sich nicht auf einen konkreten Zeitpunkt festgelegt, zeigt er nicht auf, dass dies erforderlich gewesen wäre.
Auch der Einwand, entgegen erstinstanzlicher Annahme habe er sich 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten, erschüttert die erstinstanzliche Entscheidung nicht. Denn das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung selbständig tragend auf die fehlende Lebensunterhaltssicherung des Klägers gestützt und nur daneben („Abgesehen von der fehlenden Lebensunterhaltssicherung“) festgestellt, dass sich der Kläger vor seiner Ausreise nicht 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe. Die erstinstanzliche Feststellung, dass der Privilegierungstatbestand des § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nur eingreife, wenn der Lebensunterhalt des Ausländers gesichert sei, was im Falle des Klägers nicht festgestellt werden könne, greift das Zulassungsvorbringen indes nicht substantiiert an.
Der bloße Vortrag des Klägers, er habe zu keinem Zeitpunkt Sozialleistungen in Empfang genommen, weshalb seine Lebensunterhaltssicherung ausländerrechtlich nie bezweifelt worden sei, stellt die erstinstanzliche Entscheidung nicht in Frage, da das Verwaltungsgericht ausgeführt hat, allein der Umstand, dass der Kläger offenbar keine öffentlichen Mittel in Anspruch genommen habe, lasse nicht auf eine Lebensunterhaltssicherung schließen, wozu sich das Zulassungsvorbringen nicht verhält. Auch der Einwand, als Arbeitnehmer bzw. Lastwagenfahrer habe er seinen Lebensunterhalt durchgängig sichern können, bei seiner Ausreise habe er in einem Arbeitsverhältnis mit ausreichendem Einkommen gestanden und könne nach seiner Rückkehr bei seinem „ehemaligen Arbeitgeber“ eine hinreichend bezahlte Arbeit antreten, greift mangels Substantiierung nicht durch. Das Verwaltungsgericht hat angenommen, dass der Lebensunterhalt nur dann gesichert sei, wenn dieser in Zukunft auf Dauer ohne Inanspruchnahme anderer öffentlicher Mittel gedeckt sei, was im Falle des Klägers nicht festgestellt werden könne, da die Ausländerakte, wonach der Kläger 96 Monate (8 Jahre) anrechenbare Pflichtbeiträge in der Rentenversicherung geleistet habe, Zeiten der Berufstätigkeit nur für die Zeit vom 2. Juni 1992 bis 31. Mai 2003 belege, hingegen weder vorgetragen noch sonst ersichtlich sei, wovon der Kläger seit dem Jahr 2003 bis zu seiner Ausreise im Sommer 2013 gelebt habe. Hiermit setzt sich das Vorbringen des Klägers, das sich in pauschalen Behauptungen erschöpft und weder konkrete Arbeitgeber noch Tätigkeitszeiträume benennt, nicht auseinander.
Auch das Vorbringen, er habe sich bei Ausreise sechs Monate berechtigt im Ausland aufhalten dürfen und nur einen Urlaub von drei bis vier Wochen geplant, seine Festnahme und Inhaftierung stelle ein unerwartetes bzw. unvorhersehbares Ereignis dar, nimmt keinen Bezug auf die angegriffene Entscheidung und lässt die erforderliche Auseinandersetzung mit dieser vermissen. Weder legt dieses Vorbringen dar, dass entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts für den Fall der Inhaftierung im Ausland eine analoge Anwendung des § 51 Abs. 3 AufenthG bzw. des § 51 Abs. 4 Satz 2 AufenthG geboten sei, noch zeigt er auf, dass sich der Kläger entgegen erstinstanzlicher Annahme mit Erfolg darauf berufen könne, er sei wegen des gegen ihn geführten Strafverfahrens und seiner Inhaftierung in der Türkei nicht in der Lage gewesen, fristgerecht einen Antrag auf Verlängerung der Wiedereinreisefrist zu stellen.
Die Rüge, die erstinstanzlichen Ausführungen zum eigenständigen assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrecht nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 träfen nicht zu, verfängt ebenfalls nicht. Die bloße Behauptung, diese seien „nicht nachvollziehbar“, reicht insofern nicht aus. Soweit der Kläger daneben vorbringt, er habe acht Jahre als türkischer Arbeitnehmer mit Anspruch auf Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis in einem ordentlichen Beschäftigungsverhältnis gestanden, weshalb die Voraussetzungen eines eigenständigen assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrecht nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 gegeben seien, greift er die erstinstanzliche Entscheidung nicht substantiiert an. Die rechtliche Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die in den drei Spiegelstrichen des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 jeweils aufgestellten Bedingungen von den Betroffenen jeweils nacheinander erfüllt werden müssen, wovon ausgehend erst eine dreijährige Beschäftigungsdauer bei dem gleichen Arbeitgeber zu einem Arbeitgeberwechsel (unter Beibehaltung der Branche und Berücksichtigung des Vorrangs für Unionsbürger) berechtige und im Übrigen ein Wechsel des Arbeitgebers dazu führe, dass die Jahresfrist des Art. 6 Abs. 1 1. Spiegelstrich ARB 1/80 neu zu laufen beginne, lässt dieses Vorbringen unbeanstandet. Der bloße Verweis auf die Gesamtdauer der in Deutschland ausgeübten Tätigkeiten stellt aber auch die erstinstanzliche Annahme nicht in Frage, es könne schon nicht festgestellt werden, dass der Kläger Rechte nach dem ersten Spiegelstrich des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erworben habe, da er aufgrund der bei der Firma Genz zurückgelegten Beschäftigungszeit von ca. zwei Jahren und vier Monaten (30. Oktober 1992 bis etwa März 1995) noch kein Recht zum Wechsel des Arbeitgebers erworben habe und alle weiteren, nach dem Ende der Tätigkeit bei der Firma Genz aufgenommenen Beschäftigungen unter einem Jahr geblieben seien und ihm daher keinen assoziationsrechtlichen Anspruch aus Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 haben vermitteln können. Auch die pauschale Behauptung des Klägers, die Tätigkeit bei der Firma Genz habe nach seinem Verständnis dreieinhalb Jahre umfasst, wobei er mangels Unterlagen insoweit nicht konkret vortragen könne, greift diese Feststellung nicht substantiiert an.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 und Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).