Gericht | SG Neuruppin 26. Kammer | Entscheidungsdatum | 11.03.2022 | |
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Aktenzeichen | S 26 AS 63/22 ER | ECLI | ECLI:DE:SGNEURU:2022:0311.S26AS63.22ER.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Die aufschiebende Wirkung der bei dem Sozialgericht Neuruppin am 18. Februar 2022 eingegangenen Klage des Antragstellers vom 12. Februar 2022 – S 26 AS 89/22 – gegen die mit dem Bescheid des Antragsgegners vom 10. Januar 2022 verlautbarten aufhebenden Verfügungen in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Januar 2022 wird für den Zeitraum vom 03. Februar 2022 bis zum 31. Mai 2022 angeordnet.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Der Antragsgegner trägt die Hälfte der dem Antragsteller entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens.
Gerichtskosten werden in Verfahren der vorliegenden Art nicht erhoben.
Die Beteiligten streiten im Wesentlichen um die Rechtmäßigkeit von dem Antragsgegner für den Zeitraum vom 01. Februar 2022 bis zum 31. Mai 2022 aufgrund der Annahme des Fortbestehens einer ehelichen Gemeinschaft erteilten Aufhebungsverfügungen sowie um die Rechtmäßigkeit für den Zeitraum vom 01. Juni 2021 bis zum 31. Mai 2022 erteilten Ablehnungsverfügungen.
Der bei dem Sozialgericht Neuruppin am 03. Februar 2022 eingegangene (nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäße) Antrag des Antragstellers,
die aufschiebende Wirkung der bei dem Sozialgericht Neuruppin am 18. Februar 2022 eingegangenen Klage des Antragstellers vom 12. Februar 2022 – S 26 AS 89/22 – gegen die mit dem Bescheid des Antragsgegners vom 10. Januar 2022 verlautbarten aufhebenden Verfügungen in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Januar 2022 anzuordnen
sowie darüber hinaus
den Antragsgegner zu verpflichten, dem Antragsteller passive Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach den Bestimmungen des SGB II für den Bewilligungszeitraum ab dem 01. Juni 2021 auch im Umfang der ihm entstandenen und entstehenden Kosten der Unterkunft und Heizung zu gewähren,
hat im tenorierten Umfang Erfolg, im Übrigen bleibt er erfolglos.
1. a) Die Rechtsschutzgewährung hinsichtlich der im Rahmen der Leistungsgewährung nach den Bestimmungen des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) mit dem Bescheid des Antragsgegners vom 10. Januar 2022 verlautbarten aufhebenden Verfügungen in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Januar 2022 hat nicht in Form einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs 2 S 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zu erfolgen. Vorläufiger Rechtsschutz ist insoweit vielmehr nur nach § 86b Abs 1 S 1 Nr 2 SGG statthaft. Denn der Antragsteller wendet sich gegen ihn insoweit belastende Verfügungen, die ihm die zuvor mit dem Bewilligungsbescheid vom 11. August 2021 für jeden Monat des Bewilligungszeitraumes gewährten Rechtspositionen mit Wirkung ab dem 01. Februar 2022 wieder nehmen (vgl zum sog Monatsprinzip die Regelungen des § 11 Abs 2 S 1 SGB II, § 11 Abs 3 S 1 SGB II, § 20 Abs 1 S 3 SGB II, § 37 Abs S 2 SGB II sowie § 41 Abs 1 S 2 SGB II; vgl dazu auch Bundessozialgericht, Urteil vom 30. März 2017 – B 14 AS 18/16 R, RdNr 18 sowie Bundessozialgericht, Urteil vom 30. Juli 2008 – B 14 AS 26/07 R, RdNr 28).
Weil diese Verfügungen – hierbei handelt es sich für jeden Monat des Aufhebungszeitraums um Verwaltungsakte im Sinne des § 31 S 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) – den Antragsteller belasten, ist (der Anfechtungswiderspruch und) die Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 Regelung 1 SGG) in der Hauptsache die richtige Rechtsschutzform. Da der Widerspruch und die Klage des Antragstellers jedoch gemäß § 86a Abs 2 Nr 4 SGG in Verbindung mit § 39 Nr 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung entfaltet, kann das Gericht der Hauptsache im einstweiligen Rechtsschutz nach § 86b Abs 1 S 1 Nr 2 SGG die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs oder der Anfechtungsklage ganz oder teilweise anordnen.
Der so verstandene statthafte Antrag ist auch im Übrigen zulässig. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners ist der einstweilige Rechtsschutzantrag insbesondere nicht bereits deshalb unzulässig, weil die sozialverwaltungsbehördlichen Aufhebungsverfügungen vom 10. Januar 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Januar 2022 wegen Versäumung der Klagefrist (§ 87 Abs 1 S 1 SGG iVm § 87 Abs 2 SGG) bestandskräftig und damit für die Beteiligten und das Gericht bindend geworden wären (vgl § 77 SGG). Denn nach summarischer Prüfung des dem Gericht vorliegenden Tatsachenmaterials lässt sich nicht feststellen, ob der Antragsteller die Klagefrist tatsächlich versäumt hat. Denn es ist derzeit nicht erkennbar, ob der Widerspruchsbescheid des Antragsgegners vom 12. Januar 2022, der dem Antragsteller offenbar mit einfacher Post bekannt gegeben worden ist (§ 37 Abs 1 S 1 SGB X iVm § 39 Abs 1 SGB X), dem Antragsteller mehr als einen Monat vor dem Tag des Einganges der Klageschrift bei dem erkennenden Gericht am 18. Februar 2022 zugegangen ist (vgl zur Fristberechnung § 26 Abs 1 SGB X iVm § 188 Abs 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches <BGB> iVm § 187 Abs 2 S 1 BGB). Gemäß § 37 Abs 2 S 1 SGB X gilt zwar ein Verwaltungsakt mit dem dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekanntgegeben, was gemäß § 37 Abs 2 S 3 SGB X jedoch nicht gilt, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen. Diese sog Zugangsfiktion greift aber schon nach ihren tatbestandlichen Voraussetzungen nur dann ein, wenn der Tag der Aufgabe zur Post in den Behördenakten vermerkt wurde (vgl zum Erfordernis eines solchen Vermerks: Bundessozialgericht, Urteil vom 28. November 2006 – B 2 U 33/05 R, RdNr 15 sowie Bundessozialgericht, Urteil vom 06. Mai 2010 – B 14 AS 12/09 R, RdNr 10).
Dies ist hier jedoch bei dem Widerspruchsbescheid vom 12. Januar 2022 nicht der Fall. Zwar trägt die in den Verwaltungsvorgängen des Antragsgegners befindliche Kopie des Widerspruchsbescheides auf der ersten Seite vor dem Datum einen handschriftlichen „PA“-Vermerk mit einer Unterschrift. Dieser Vermerk, der angesichts der gut lesbaren Unterschrift offensichtlich von der Verfasserin des Widerspruchsbescheides selbst stammt, gibt aber jedenfalls keinen Aufschluss über den Tag der Aufgabe des Briefes zur „Post“, womit nur diejenige Institution gemeint sein kann, die den Brief zu befördern hat. Vielmehr handelt es sich zur Überzeugung des Gerichtes lediglich um die Bestätigung eines innerbehördlichen Vorgangs, nämlich um die Zuleitung an die Poststelle des Antragsgegners, die den Versand durch das Postunternehmen zu veranlassen hatte. Hinsichtlich der nachfolgenden Vorgänge, nämlich der Aufgabe des Briefes beim Postunternehmen bzw ggf auch dem Einwurf des Briefes in den Postkasten, enthalten die von dem Antragsgegner vorgelegten Verwaltungsvorgänge keine Vermerke mehr.
Da der Antragsgegner den tatsächlichen Zeitpunkt des Zugangs des Widerspruchsbescheides vom 12. Januar 2022 voraussichtlich auch nicht nachweisen kann, ist zu Gunsten des Antragstellers davon auszugehen, dass der Widerspruchsbescheid ihm nicht vor dem 18. Januar 2022 zugegangen ist (vgl zum Ganzen auch Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20. Oktober 2010 – L 10 AS 745/10 B PKH, RdNr 5).
b) Der so verstandene insgesamt zulässige Antrag ist – im tenorierten Umfang – auch begründet. Ein hierauf gerichteter Antrag ist dann begründet, wenn eine Interessenabwägung ergibt, dass dem privaten Interesse des Antragstellers an der Herstellung der aufschiebenden Wirkung gegenüber dem (durch den Antragsgegner vertretenen) Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung der Vorrang zu geben ist. Dabei ist zu beachten, dass der Gesetzgeber grundsätzlich die sofortige Vollziehung angeordnet hat. Davon abzuweichen besteht nur Anlass, wenn im Einzelfall gewichtige Argumente für eine Umkehr des gesetzgeberisch angenommenen Regelfalls sprechen, dh besondere Umstände vorliegen, die ausnahmsweise das Privatinteresse des vom Verwaltungsakt Belasteten in den Vordergrund treten lassen. Ein wesentliches Kriterium bei der Interessenabwägung ist die nach vorläufiger Prüfung der Rechtslage zu bewertende Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs in der Hauptsache. Hat die Hauptsache offensichtlich Aussicht auf Erfolg, ist die aufschiebende Wirkung in der Regel anzuordnen, weil am Vollzug eines rechtswidrigen Bescheides in der Regel kein öffentliches Interesse besteht. Bei einem als rechtmäßig zu beurteilenden Verwaltungsakt hingegen ist das öffentliche Interesse am Vollzug regelmäßig vorrangig. Sind die Erfolgsaussichten nicht in dieser Weise abschätzbar, dh ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, so ist jedenfalls in Fällen, in denen wie vorliegend, existenzsichernde Leistungen in Frage stehen und damit die Wahrung der Würde des Menschen berührt wird, eine Folgenabwägung vorzunehmen, die auch Fragen des Grundrechtsschutzes einbezieht.
c) Nach diesen Maßstäben war die aufschiebende Wirkung der Klage teilweise im tenorierten Umfang anzuordnen.
aa) Das Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiegt hier ausnahmsweise das Vollziehungsinteresse des Antragsgegners, soweit mit den sozialverwaltungsbehördlichen Verfügungen des Antragsgegners vom 10. Januar 2022 die Bewilligung von Leistungen für den Regelbedarf für den Zeitraum vom 01. Februar 2022 bis zum 31. Mai 2022 für jeden Monat des Bewilligungszeitraumes aufgehoben worden ist. Denn diese sozialverwaltungsbehördlichen Verfügungen des Antragsgegners werden sich im Hauptsacheverfahren voraussichtlich als rechtswidrig erweisen und zugleich den Antragsteller in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten beschweren (§ 54 Abs 2 S 1 SGG).
Unabhängig von der Frage, welche Rechtsgrundlage für die hier vorgenommene teilweise Aufhebung (im weiteren Sinne) in Betracht kommt – entweder § 40 Abs 1 S 1 und § 40 Abs 2 Nr 3 SGB II iVm § 330 Abs 3 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – (SGB III) iVm § 48 Abs 1 S 1 und 2 SGB X oder aber sogar (teilweise) § 40 Abs 1 S 1 und § 40 Abs 2 Nr 3 SGB II iVm § 330 Abs 2 SGB III iVm § 45 Abs 1 und § 45 Abs 2 S 2 und ggf § 45 Abs 2 S 3 Nr 1, 2 und 3 SGB X – spricht Überwiegendes dafür, dass sich die Aufhebungsentscheidung des Antragsgegners als rechtswidrig erweisen wird.
Der Antragsgegner hat zur Begründung der Aufhebungsentscheidungen im Wesentlichen ausgeführt, dass der Antragsteller mit seiner Ehefrau eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs 3 Nr 3a SGB II bilde und dass er die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Ehefrau des Antragstellers bislang nicht weiter habe aufklären können, was zu Lasten des Antragstellers gehe.
Diese – insoweit für den Antragsgegner offenbar – maßgebliche Begründung trägt indes nicht die Aufhebungen der Leistungsbewilligungen, weil es an einer entscheidenden Voraussetzung für solche Aufhebungen fehlt. Notwendig für die Verneinung der Hilfebedürftigkeit ist in derartigen Konstellationen nicht nur das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft, sondern ebenfalls, dass innerhalb der Bedarfsgemeinschaft ein ausreichendes zu berücksichtigendes Einkommen erzielt wird und dass dessen Höhe feststeht (§ 9 Abs 2 SGB II). Zur Höhe des zu berücksichtigenden Einkommens hat der Antragsgegner in den angegriffenen Verfügungen allerdings keine Feststellungen getroffen, keine Berechnungen vorgenommen und insbesondere keinerlei Ermittlungen hierzu vorgenommen oder diese bislang nicht konsequent – notfalls mit Mitteln der Verwaltungsvollstreckung – zu Ende geführt. Die Annahme, dem Antragsteller stünden keinerlei Leistungen zu, was es rechtfertigen würde, die Leistungsbewilligungen vollständig aufzuheben, war jedenfalls keine Feststellung aufgrund von Ermittlungen, sondern eine bloße Vermutung, auf die jedoch die Aufhebungsverfügungen nicht gestützt werden können (vgl nur Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Juni 2015 – B 14 AS 30/14 R, RdNr 17).
Dass es Aufgabe des Antragsgegners ist, alle Tatsachen zu ermitteln, die zum Erlass eines Verwaltungsakts notwendig sind, folgt aus dem in § 20 SGB X festgeschriebenen Untersuchungsgrundsatz, dessen Reichweite sich nach dem jeweiligen Gegenstand des Verwaltungsverfahrens richtet (vgl nur Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Juni 2015 – B 14 AS 30/14 R, RdNr 18 unter Hinweis auf Siefert in von Wulffen/Schütze, SGB X, § 20, RdNr 5). Es müssen somit alle Tatsachen ermittelt werden, die für die Verwaltungsentscheidung wesentlich im Sinne von entscheidungserheblich sind. Ein Absehen von Ermittlungen ist nur zulässig, wenn es auf die ungeklärte Tatsache nicht ankommt, sie offenkundig ist oder als wahr unterstellt werden kann oder das Beweismittel unerreichbar ist (vgl nur Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Juni 2015 – B 14 AS 30/14 R, RdNr 18 unter Hinweis auf Siefert, aaO, § 20, RdNr 15 sowie Luthe in jurisPK-SGB X, § 20, RdNr 13).
Dementsprechend durfte es der Antragsgegner bei seiner Prüfung, ob die Voraussetzungen für eine vollständige Aufhebung der Leistungsverfügungen vorlagen, nicht offen lassen, ob und ggf in welcher Höhe Einkommen vorhanden ist, das für die Deckung der Bedarfe der Bedarfsgemeinschaft ganz oder teilweise ausgereicht hätte. Es kam dann bei der folgenden Prüfung auch – entgegen der Auffassung des Antragsgegners – nicht darauf an, ob der Antragsteller seine Hilfebedürftigkeit darlegen konnte oder gar Beweislosigkeit eingetreten ist, sondern in der Aufhebungssituation war der Antragsgegner gehalten, die erforderlichen Ermittlungen zum zu berücksichtigenden Einkommen und der sich daraus ergebenden Folgen für die Hilfebedürftigkeit der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft anzustellen, wozu er zunächst das Verfahren nach § 60 Abs 4 S 1 SGB II gegenüber der Ehefrau hätte konsequent zu Ende führen müssen.
Nach den allgemeinen Regeln für die Darlegungs- und Beweislast gilt, dass derjenige die objektiven Tatsachen darlegen muss, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen. Dies betrifft sowohl das Vorhandensein von positiven, als auch das Fehlen von negativen Tatbestandsvoraussetzungen (vgl nur Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Juni 2015 – B 14 AS 30/14 R, RdNr 20 unter Hinweis auf Bundessozialgericht, Urteil vom 24. Oktober 1957 – 10 RV 945/55). Damit trägt der Antragsgegner – offenbar entgegen seiner Auffassung – nicht nur die objektive Beweislast für die belastende Aufhebungsentscheidung (vgl nur Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Juni 2015 – B 14 AS 30/14 R, RdNr 20 unter Hinweis auf Bundessozialgericht, Urteil vom 13. September 2006 – B 11a AL 13/06 R, RdNr 18; Bundessozialgericht, Urteil vom 20. Oktober 2005 – B 7a/7 AL 102/04 R, RdNr 13 ff sowie Bundessozialgericht, Urteil vom 02. April 2009 – B 2 U 25/07 R), sondern er ist bereits im vorherigen Verfahrensstadium verpflichtet, die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Norm, auf die er seine Verwaltungsentscheidung stützt, zu ermitteln und entsprechend festzustellen, damit sich der Leistungsberechtigte im Verfahren mit seiner Argumentation auf die die Entscheidung tragenden Gründe einrichten kann.
Das ist auch deshalb nicht ausnahmsweise unbeachtlich, weil von Ermittlungen abgesehen werden konnte, da die ungeklärte Tatsache nicht oder nur unter unzumutbar erschwerten Bedingungen zu erreichen war. Vielmehr stand dem Antragsgegner gerade für Sachverhalte wie dem vorliegenden, die Möglichkeit zur Verfügung, sich zur Ermittlung des Vorliegens der tatsächlichen Voraussetzungen des Leistungsanspruchs unmittelbar an den Dritten zu wenden. Der Antragsgegner hat zwar auf der Grundlage des § 60 Abs 4 S 1 Nr 1 SGB II einen Verwaltungsakt erlassen, jedoch die ihm zur Seite stehenden Zwangsvollstreckungsmöglichkeiten – insbesondere der Erlass eines vollstreckungsrechtlichen Zwangsgeldverwaltungsaktes gemäß § 40 Abs 6 SGB II – noch nicht vollständig ausgeschöpft, zudem wäre bei unterbliebener oder pflichtwidriger Erfüllung der Auskunftspflicht durch den Dritten zu erwägen, die Rechte und Befugnisse nach den §§ 62 und 63 SGB II (Schadenersatz, Ordnungswidrigkeitenrecht) in Anspruch zu nehmen (vgl nur Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Juni 2015 – B 14 AS 30/14 R, RdNr 21 unter Hinweis auf Blüggel in Eicher, SGB II, § 60, RdNr 56 ff mwN).
Abgesehen davon, dass dies im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens ohnehin untunlich ist, ist das Gericht im Übrigen aufgrund seiner Amtsermittlungspflicht gemäß § 103 SGG auch nicht verpflichtet, die von dem Antragsgegner unterlassene Ermittlung des zu berücksichtigenden Einkommens und Vermögens als Voraussetzung für seine Aufhebungsverfügungen hinsichtlich der bewilligenden Verfügungen nachzuholen.
Die Gerichte sind grundsätzlich verpflichtet, den angefochtenen Verwaltungsakt in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht umfassend nachzuprüfen (vgl § 54 Abs 2 S 1, § 103 SGG); die beklagte Behörde kann deshalb im Laufe des Gerichtsverfahrens neue Tatsachen und Rechtsgründe „nachschieben“ (vgl nur Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Juni 2015 – B 14 AS 30/14 R, RdNr 23 ua unter Hinweis auf Bundessozialgericht, Urteil vom 24. Februar 2011 – B 14 AS 87/09 R sowie Bundessozialgericht, Urteil vom 21. September 2000 – B 11 AL 7/00 R, BSGE 87, 132, 139 = SozR 3-4100 § 128 Nr 10 S 87 f: nicht nur „Kassation“, sondern auch „Reformation“). Hinsichtlich eines solchen Nachschiebens von Gründen gibt es jedoch bei belastenden Verwaltungsakten, die im Wege der reinen Anfechtungsklage angefochten werden, Einschränkungen, wenn die Verwaltungsakte dadurch in ihrem Wesen verändert werden und der Betroffene infolgedessen in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt werden kann (vgl nur Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Juni 2015 – B 14 AS 30/14 R, RdNr 23 ua unter Hinweis auf BSGE 3, 209, 216; BSGE 9, 277, 279 f; BSGE 29, 129, 132; BSGE 38, 157, 159; BSGE 87, 8, 12; Kischel, Folgen von Begründungsfehlern, 2004, 189 ff).
Da die Aufrechterhaltung eines Verwaltungsakts mit einer völlig neuen tatsächlichen Begründung dem Erlass eines neuen Verwaltungsakts gleichkommt, würde das Gericht anderenfalls entgegen dem Grundsatz der Gewaltentrennung (Art 20 Abs 2 S 2 des Grundgesetzes) selbst aktiv in das Verwaltungsgeschehen eingreifen (vgl nur Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Juni 2015 – B 14 AS 30/14 R, RdNr 23 unter Hinweis auf BSGE 9, 277, 280). Eine solche Änderung des „Wesens“ eines Verwaltungsakts, das in Anlehnung an den Streitgegenstand eines Gerichtsverfahrens bestimmt werden kann (vgl nur Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Juni 2015 – B 14 AS 30/14 R, RdNr 23 unter Hinweis auf BSGE 9, 277, 280 sowie Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl 2015, § 113 RdNr 69), ist ua angenommen worden, wenn die Regelung auf einen anderen Lebenssachverhalt gestützt wird, zB bei einem Streit um die Höhe einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung im Laufe des Gerichtsverfahrens ein weiteres Element der Rentenberechnung vom Rentenversicherungsträger in Abrede gestellt wird (vgl nur Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Juni 2015 – B 14 AS 30/14 R, RdNr 23 unter Hinweis auf BSGE 38, 157, 159; BSG SozR 1500 § 77 Nr 56), oder wenn auf eine andere Rechtsgrundlage zurückgegriffen werden soll, die einem anderen Zweck dient (vgl nur Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Juni 2015 – B 14 AS 30/14 R, RdNr 23 unter Hinweis auf Bundessozialgericht, Urteil vom 24. Februar 2011 – B 14 AS 87/09 R, RdNr 16).
Neben dieser Entwicklung der Rechtsprechung hat der Gesetzgeber einerseits in § 41 Abs 2 SGB X die Heilungsmöglichkeiten für Verfahrens- und Formfehler der Behörde bei Erlass eines Verwaltungsakts bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines gerichtlichen Verfahrens erleichtert (vgl nur Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Juni 2015 – B 14 AS 30/14 R, RdNr 24 unter Hinweis auf Dolderer, DÖV 1999, 104 ff) und andererseits die Möglichkeit der Zurückverweisung vom Gericht an die Behörde eingeführt, wenn diese Ermittlungen unterlässt (§ 131 Abs 5 SGG), sowie dem Gericht das Recht eingeräumt, der Behörde die Kosten einer von ihr unterlassenen und vom Gericht nachgeholten Ermittlung aufzuerlegen (§ 192 Abs 4 SGG). Hierdurch sind die Heilungs- und Nachbesserungsmöglichkeiten der Behörde in formeller Hinsicht erweitert worden, während sie auf der anderen Seite ihre Ermittlungsarbeit nicht auf die Gerichte verlagern soll, weil diese für die materielle Entscheidung von zentraler Bedeutung ist und deren Kern und damit das Wesen des erlassenden Verwaltungsakts bestimmt. Ausgehend von diesen Konkretisierungen des Gesetzgebers und der zuvor dargestellten Rechtsprechung ist in reinen Anfechtungssachen das Nachschieben von Gründen durch die Behörde regelmäßig unzulässig (vgl nur Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Juni 2015 – B 14 AS 30/14 R, RdNr 24 unter Hinweis auf Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 29. Juni 2015 – 1 C 2/15, RdNr 14 f zur gesetzlich ausdrücklich angeordneten Pflicht der Gerichte zur Nachermittlung neuer Sachverhalte im Asylrecht), wenn dieser umfassende Ermittlungen seitens des Gerichts erfordert, die Behörde ihrerseits insofern keine Ermittlungen angestellt hat und der Verwaltungsakt hierdurch einen anderen Wesenskern erhält, weil dann der angefochtene Verwaltungsakt – bei einem entsprechenden Ergebnis der Ermittlungen – mit einer wesentlich anderen Begründung Bestand hätte (vgl nur Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Juni 2015 – B 14 AS 30/14 R, RdNr 24 unter Hinweis auf Kischel, Folgen von Begründungsfehlern, 2004, 190 f).
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hätte erst das Gericht – abgesehen davon, dass dies (wie bereits dargelegt) im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens ohnehin untunlich ist – durch die Ermittlung des Einkommens der Ehefrau des Antragstellers die Grundlagen für die Rechtmäßigkeit der Verwaltungsakte legen können und hätte damit das Wesen der angegriffenen Aufhebungsverwaltungsakte verändert. Trotz des Zusammenhangs zwischen dem Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft und der Erzielung von Einkommen innerhalb der Bedarfsgemeinschaft nach § 9 Abs 2 SGB II handelt es sich nämlich um grundlegend verschiedene Prüfungspunkte, bei denen eigenständige Ermittlungen erforderlich sind, wie zB die Auskunfts- und Mitwirkungspflichten nach § 60 SGB II zeigen. Es handelt sich also nicht nur um eine Ergänzung des Sachverhalts, auf den der Antragsgegner seine Entscheidung gestützt hat, sondern um die umfassende Prüfung einer weiteren Voraussetzung für die angefochtenen Aufhebungsverfügungen, die der Antragsgegner bisher nur unzureichend und unter Verkennung der Beweislastregeln beachtet hatte und deren Prüfung und Aufklärung in tatsächlicher Hinsicht in erster Linie von ihm durchzuführen war. Außerdem würden hierdurch die Verteidigungsmöglichkeiten des Antragstellers erheblich erschwert werden, weil die gesonderte Prüfung der Rechtmäßigkeit des Auskunftsverlangens seitens des Antragsgegners gegenüber der Ehefrau des Antragstellers hinsichtlich des auf der Grundlage von § 60 Abs 4 S 1 SGB II zu führenden Verfahrens entfallen wäre. Im Rahmen der Anfechtungsklage in der Hauptsache ist es aber Aufgabe des Gerichts, die Entscheidung der Verwaltungsbehörde zu überprüfen, nicht aber die Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit von angefochtenen Verwaltungsakten erst zu schaffen (vgl nur Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Juni 2015 – B 14 AS 30/14 R, RdNr 25).
bb) Die zeitlich begrenzte Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage beruht auf der Überlegung, dass erst durch den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes bei Gericht die existenzielle Notlage dokumentiert wird und eine einstweilige Regelung regelmäßig – und auch hier – nur für die Zukunft gewährt werden kann; der darüber hinausgehende Antrag war daher abzulehnen. Wegen der Vorläufigkeit des gerichtlichen Rechtsschutzes war die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage zudem auf das Ende des laufenden Bewilligungsabschnittes zu begrenzen.
cc) Das Gericht hat schließlich davon abgesehen, den Antragsgegner gemäß § 86b Abs 1 S 2 SGG, der einen unselbstständigen Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch normiert, auch vorläufig zu verpflichten, die dem Antragsteller aufgrund der angegriffenen sozialverwaltungsbehördlichen Aufhebungsverfügung nicht mehr gewährten Regelbedarfsleistungen entsprechend der ursprünglichen Bewilligungsentscheidung an den Antragsteller auszuzahlen. Das Gericht geht vielmehr davon aus, dass der Antragsgegner schon allein aufgrund der im Tenor ausgesprochenen Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage die entsprechenden Leistungen – rückwirkend – ab dem 03. Februar 2022 gewähren wird.
2. a) Soweit sich der Antrag des Antragstellers auch auf die – abtrennbaren – Verfügungen hinsichtlich der bereits mit dem Bewilligungsbescheid vom 11. August 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Januar 2022 verlautbarten ablehnenden Verfügungen hinsichtlich der Kosten der Unterkunft und Heizung für den Zeitraum vom 01. Juni 2021 bis zum 31. Mai 2022 bezieht, müsste er sein Begehren auf Verpflichtung des Antragsgegners zur Gewährung von Leistungen nach dem SGB II angesichts der insoweit ablehnenden sozialverwaltungsbehördlichen Entscheidungen des Antragsgegners mit einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 Regelung 1 des Sozialgerichtsgesetzes <SGG> iVm § 54 Abs 4 SGG iVm § 56 SGG) verfolgen. Im Rahmen des gerichtlichen einstweiligen Rechtsschutzes ist sein Begehren daher auf den Erlass einer Regelungsverfügung im Sinne des § 86b Abs 2 S 2 SGG gerichtet.
Der so verstandene statthafte Antrag ist auch im Übrigen zulässig. Da der Antragsteller – wie bereits ausführlich dargelegt – die Klagefrist im Sinne des § 87 Abs 1 S 1 SGG iVm § 87 Abs 2 SGG nach bisherigem Kenntnisstand nicht versäumt hat, liegt mangels Eintrittes der Bindungswirkung der maßgeblichen sozialverwaltungsbehördlichen Verfügungen (§ 77 SGG) – entgegen der Auffassung des Antragsgegners – ein noch immer regelungsfähiges Rechtsverhältnis vor.
b) Der danach insgesamt zulässige Antrag ist jedoch unbegründet. Gemäß § 86b Abs 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs – die Rechtsposition, deren Durchsetzung im Hauptsacheverfahren beabsichtigt ist – sowie des Anordnungsgrunds – die Eilbedürftigkeit der begehrten vorläufigen Regelung – sind glaubhaft zu machen <§ 86 Abs 2 S 4 SGG iVm § 920 Abs 3 der Zivilprozessordnung (ZPO)>. Ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund sind glaubhaft gemacht, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen überwiegend wahrscheinlich sind. Dies erfordert, dass mehr für als gegen die Richtigkeit der Angaben spricht (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 86b, RdNr 16b).
Steht dem Antragsteller ein von ihm geltend gemachter Anspruch voraussichtlich zu und ist ihm nicht zuzumuten, den Ausgang des Verfahrens abzuwarten, hat er Anspruch auf die beantragte Leistung im Wege vorläufigen Rechtsschutzes. Zwar sind im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung grundsätzlich die Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu prüfen. Ist im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage jedoch nicht möglich, so ist eine Entscheidung auf der Grundlage einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange der Antragstellerin einerseits und der öffentlichen Belange des Antragsgegners andererseits vorzunehmen (vgl Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/06, NVwZ 2005, S 927 ff).
Die Voraussetzungen für den Erlass einer solchen Regelungsverfügung nach § 86b Abs 2 S 2 SGG liegen indes nicht vor. Insoweit fehlt es jedenfalls an der Glaubhaftmachung des Bestehens eines Anordnungsgrundes. Eine einstweilige Anordnung kann nämlich nur dann ergehen, wenn ohne sie schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren Beseitigung eine spätere Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Dies ist hier weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich. Der Antragsteller hat einen Anordnungsgrund jedenfalls nicht zur Überzeugung des Gerichts glaubhaft gemacht. Er hat insbesondere nicht überzeugend dargetan, dass bei Nichtgewährung der erstrebten Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung eine schier unerträgliche existenzielle Notlage eintritt oder fortwirkt, die den Erlass einer einstweiligen Anordnung insoweit zu rechtfertigen vermag. Die Kammer hat – abgesehen von dem pauschalen Vortrag des Antragstellers – insbesondere keinerlei Anhaltspunkte für die Annahme, dass dem Antragsteller tatsächlich Wohnungslosigkeit droht oder diese gar unmittelbar bevorsteht, wenn der Antragsgegner ihm (vorläufig) keine Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung gewährt. Insoweit verkennt der Antragsteller, dass vorläufige Rechtsschutzmaßnahmen nicht dazu dienen, zu Lasten anderer Beteiligter der Hauptsacheverfahren eine schnellere Entscheidung zu erlangen. Sie ist vielmehr nur dann zu treffen, wenn ohne sie schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren Beseitigung eine spätere Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Dies ist – wie bereits ausgeführt – nicht ersichtlich. Insoweit ist es dem Antragsteller zuzumuten, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten.
3. Da der Antragsteller nur zu einem Teil obsiegt hat, entspricht es billigem Ermessen im Sinne des entsprechend anwendbaren § 193 Abs 1 S 1 SGG, dass der Antragsgegner die Hälfte der dem Antragsteller entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens trägt,die Aufwendungen des Antragsgegners sind in entsprechender Anwendung des § 193 Abs 4 SGG iVm § 184 Abs 1 SGG schon von Gesetzes wegen nicht erstattungsfähig.
4. Gerichtskosten werden in entsprechender Anwendung der Regelung des § 183 S 1 SGG in Verfahren der vorliegenden Art nicht erhoben.