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Entscheidung 10 UF 25/21


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 2. Senat für Familiensachen Entscheidungsdatum 08.03.2022
Aktenzeichen 10 UF 25/21 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2022:0308.10UF25.21.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Beschwerde der Mutter gegen den Beschluss des Amtsgerichts Fürstenwalde/Spree vom 10.01.2019 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Der Beschwerdewert wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Durch Beschluss vom 10.01.2019 hat das Amtsgericht die elterliche Sorge für die beiden Kinder dem Vater allein übertragen und den Umgang der Mutter mit den Kindern geregelt. Wegen der Regelung im Einzelnen, der tatsächlichen Feststellungen und der Begründung wird auf jenen Beschluss Bezug genommen.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Mutter mit der Beschwerde. Sie trägt vor:

Das vom Amtsgericht eingeholte Gutachten des Sachverständigen Dr. P… sei nach der von ihr eingeholten methodenkritischen Stellungnahme der Diplom-Psychologen S… und Professor Dr. W… (Bl. 496 ff. der Gerichtsakte - alle weiteren Blattzahlen beziehen sich, soweit nicht anders angegeben, auf die Gerichtsakte) mangelhaft, was allein schon die Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung rechtfertige.

Ihr Ablehnungsgesuch gegen den zuständigen Richter wegen des Eindrucks der Befangenheit sei zu Unrecht zurückgewiesen worden. Fehlerhaft und entscheidungsrelevant seien auch die Erteilung eines unklaren Sachverständigenauftrags sowie die Verwertung des unzulänglichen Gutachtens gewesen. Zur Entscheidungsfindung sei erforderlich gewesen, sowohl ein fundiertes aussagepsychologisches Gutachten als auch ein familienpsychologisches Sachverständigengutachten einzuholen.

Er sei nicht ausreichend thematisiert und abgewogen worden, inwieweit die Äußerungen L… durchaus Erlebnis basiert sein könnten, d. h. ein sexueller Missbrauch durch den Vater möglich sei. So liege eine schriftliche Aussage des Trägers der Kita vor, in der bestätigt werde, dass L… in den Jahren 2016 und 2017 durch sexualisierte Verhaltensweisen aufgefallen sei, die der Erwachsenensexualität zuzuordnen gewesen seien. Es habe auch Aussagen von L… zu möglichen sexuellen Übergriffen gegeben, die in ihrer, der Mutter, Abwesenheit stattgefunden hätten. Eine Befragung der Kitaerzieherin sei im Hinblick auf L… eindeutige Angaben zu sexuellen Übergriffen durch den Vater unbedingt geboten gewesen. Auch Stellungnahmen der Kinderärztin Frau Dr. S… und des früheren Kinderarztes Herrn Dr. K… seien in Betracht zu ziehen. Letzterer habe ihr, der Mutter, empfohlen, L... bei einem Kinderpsychologen vorzustellen, wobei der Vater bedauerlicherweise seine Zustimmung zu einer Vorstellung des Kindes bei der Kinderpsychologin in Königs Wusterhausen verweigert habe. Auch die Ärztinnen des Klinikums Rüdersdorf sowie der Kriminalbeamte, der L... am 06.01.2018 vernommen habe, seien anzuhören.

Zu beachten sei auch, dass L... aggressiv auf ihren Bruder reagiert habe und darauf angesprochen geäußert habe, sie sei ein „böses und schlechtes Kind und an allem schuld“. Diese Worte habe L... weinend und permanent wie in einer „Endlosschleife“ wiederholt.

Anders als im Strafverfahren, wo derartige Unsicherheiten zugunsten des Beschuldigten zu werten wären, hätte in einem familiengerichtlichen Verfahren der Schutz der Kinder Vorrang. Angemessen wäre der Einsatz begleiteter Umgänge oder zumindest eines Umgangspflegers für die Übergabe der Kinder gewesen.

Eine Rückführung der Kinder in ihren Haushalt sei geboten. Das Amtsgericht habe nicht ohne vorherige Anhörung der Kinder entscheiden dürfen. Dies gelte ungeachtet der Hinzuziehung einer Verfahrensbeiständin, zumal diese sich nur einmal mit den Kindern unterhalten habe, und zwar während des Aufenthalts der Kinder in der Pflegeeinrichtung.

Die angebliche Gefährdung der Kinder in ihrem Haushalt sei nur vage angedeutet worden und völlig unkonkret geblieben. Die Herausnahme der Kinder und das Verbringen in eine Pflegestelle seien unverhältnismäßig gewesen.

Das Gutachten habe, obwohl dies seinem Auftrag nicht entsprochen habe, bestätigt, dass sie, die Mutter, erziehungsfähig sei. Der Vater hingegen sei nicht ausreichend erziehungsfähig, um die Kinder in seinem Haushalt zu betreuen. Die Kinder würden in seinem Haushalt nicht ausreichend von ihm persönlich, sondern umfangreich von seiner Freundin und den über 80-jährigen Großeltern betreut. Der Vater sei auch nicht bindungstolerant und handele nicht dem Kindeswohl entsprechend. So sei ihr vereinbarter Umgang mit den Kindern immer wieder über mehrere Wochen hinweg ausgefallen. Auf Wünsche nach Ersatzterminen habe der Vater nicht kooperativ reagiert.

Als die Kinder noch in ihrem Haushalt gelebt hätten, hätten sie immer wieder angegeben, nicht zum Vater zu wollen. Dies habe insbesondere auch J... geäußert.

Die Mutter beantragt,

ihr die alleinige elterliche Sorge für die beiden Kinder zu übertragen,
hilfsweise,

den Eltern die elterliche Sorge zur gemeinsamen Ausübung zu übertragen.

Der Vater tritt der Beschwerde entgegen. Er trägt vor:

Es sei schon nicht ersichtlich, welches Ziel die Mutter mit der Beschwerdeführung genau verfolge. Die Rüge der unterbliebenen Anhörung der Kinder sei nicht nachvollziehbar, weil die Mutter, als dies bei der Anhörung am 07.01.2019 beschlossen worden sei, nicht interveniert habe.

Die Kinder lebten mittlerweile seit Juni 2018 in seinem Haushalt und hätten sich sehr gut entwickelt. Insbesondere habe L... Dritten gegenüber seitdem zu keinem Zeitpunkt mehr irgendwelche Angaben zu einem möglichen Missbrauch durch ihn, den Vater, gemacht, sexualisiertes Verhalten gezeigt oder Ähnliches.

Im Rahmen der zahllosen Strafanzeigen der Mutter gegen ihn seien die Missbrauchsvorwürfe – die sich ursprünglich auch auf J... bezogen hätten – äußerst fundiert abgeklärt worden. Die Staatsanwaltschaft habe schließlich sämtliche Ermittlungen eingestellt. Die von der Mutter benannten Personen hätten sich in der Vergangenheit offenbar von ihr instrumentalisieren lassen. Die Vorwürfe seien aber nun widerlegt. Dessen ungeachtet halte die Mutter an ihren Vorwürfen weiter fest.

In der Vergangenheit habe die Mutter zugesagt, therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen. In der Psychologie werde zwanghaftes Festhalten an Vorwürfen des Kindesmissbrauchs dem Münchhausen-By-Proxy-Syndrom zugeordnet, das die Mutter seit Jahren unbehandelt lasse. Dies alles mache deutlich, dass das Verhalten der Mutter das Kindeswohl gefährdet habe, weshalb die Herausnahme der Kinder aus ihrem Haushalt gerechtfertigt gewesen sei.

Eine gemeinsame elterliche Sorge wäre vor dem Hintergrund der Vorwürfe der Mutter, aber auch wegen der Verweigerung jeglicher Kommunikation und Kooperation, nicht dem Kindeswohl dienlich. Daran ändere die von der Mutter vorgelegte „Methodenkritische Stellungnahme“ des Bremer Instituts für Gerichtspsychologie nichts. Im gesamten „World Wide Web“ fänden sich keine aussagekräftigen Angaben über dieses Institut. An dessen Seriosität sei schon wegen des geradezu rufschädigenden Umgangs mit einem renommierten Berliner Kollegen zu zweifeln.

Die Mutter manipuliere insbesondere L... während der Umgänge nach wie vor. So vermittle sie dem Kind immer wieder, dass sie das Wechselmodell mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln durchsetzen werde. Im Hinblick auf diese Manipulationen müsse über einen begleiteten Umgang nachgedacht werden. Nach den Umgängen sei L... oft sehr aufgedreht und spreche mit verstellter Stimmen.

Der Vorwurf der Mutter, er, der Vater, habe ihr die Kinder längere Zeiten vorenthalten, sei zu bestreiten. Zum Umgang sei noch anzumerken, dass die Mutter darauf bestehe, dass die von ihr gekaufte Kleidung und auch Spielsachen bei ihr in Brandenburg zu bleiben hätten. Dementsprechend bitte er L..., die von ihm erhalten Spielsachen wieder zu ihm zurückzubringen.

Auch bei ihm reagiere L... aggressiv auf ihren Bruder und erkläre, dieser sei an allem schuld. Er, der Vater, vermittle L... dann, dass das nicht richtig sei, sondern allein Erwachsene die Verantwortung trügen. Aus seiner Sicht zeige L... hier eine Haltung der Zerrissenheit und auch des Schadens, den jahrelange Vorwürfe und Verhaltensweisen der Mutter in der kleinen Familie verursacht hätten. Dennoch ermutige er die Kinder immer wieder, sich auf den Umgang mit der Mutter zu freuen und die Zeit mit ihr zu genießen, weil beide Eltern die Kinder liebten. Insofern treffe der Vorwurf nicht zu, er mache die Mutter vor den Kindern schlecht.

Dass das Jugendamt die Mutter von Hilfeplangespräch ausgeschlossen haben soll, werde ausdrücklich bestritten. Die Mutter gebe nicht an, von welchen Gesprächen die Rede sein solle. Seit Januar 2019 fänden solche Gespräche auch nicht mehr statt, weil die Angelegenheit für das Jugendamt abgeschlossen sei.

Warum die Mutter auf das Nestmodell zurückkomme, sei nicht nachvollziehbar. Dieses Interimsmodell sei seit Januar 2019 längst außer Kraft. Seit diesem Zeitpunkt würden die Kinder im Wege des Residenzmodells von ihm betreut. Die Mutter verweigere im Übrigen Absprachen bezüglich der weiteren Nutzung des gemeinsamen Hauses und des Hausrats. Eine konstruktive Lösung habe trotz anwaltlicher Intervention bis jetzt nicht gefunden werden können.

Wegen der Einschulungsfeier von L... habe die Mutter mit ihm keinen Kontakt gesucht. Er habe ihr das Programm der Einschulungsfeier zukommen lassen. Bei der Einschulungsfeier selbst habe die Mutter ihn komplett übergangen; das sei selbst für J... deutlich spürbar gewesen. Auch bei einer Schulsportversammlung habe die Mutter ihn vollständig ignoriert. Zu verschiedenen Müttern von Freunden von L... habe die Mutter ebenfalls jeden Kontakt abgebrochen und grüße diese nicht einmal mehr.

Während der Umgänge bei der Mutter habe L... schon zum zweiten Mal eine Geburtstagseinladung nicht annehmen wollen. Ihrer Freundin … gegenüber habe L... mitgeteilt, dass „die Mama-Zeit so kostbar und selten“ sei, dass sie nicht zum Geburtstag gehen wolle. Es liege die Vermutung nahe, dass die Mutter ihr diese Formulierung vorgegeben habe.

Während seiner Kur mit den Kindern habe die Mutter keinen Kontakt gesucht, obwohl ihr die Adresse bekannt gewesen sei. Er selbst habe keinen telefonischen Kontakt herstellen können, weil ihm die Nummer der Mutter nicht bekannt gegeben worden sei. Dadurch habe die Mutter im Ergebnis sieben Wochen keinen Kontakt zu ihren Kindern gehabt.

Angesichts der fehlenden Kommunikation zwischen den Eltern komme eine gemeinsame Ausübung des Sorgerechts nicht in Betracht, ebenso wenig die Installation eines Wechselmodells.

Der im Beschwerdeverfahren zunächst zuständige 3. Familiensenat hat durch Beweisbeschluss vom 22.01.2020 ein ergänzendes Sachverständigengutachten zu der Frage eingeholt, was für bzw. gegen den Erlebnisbezug der Angaben L...s hinsichtlich eines sexuellen Missbrauchs durch ihren Vater spreche und die Psychologin Dr. A… B… in Potsdam als Sachverständiger bestellt. Die Sachverständige hat das Gutachten unter dem 30.05.2021 erstattet und auf Einwände der Mutter das Gutachten unter dem 22.10.2021 mit einer ergänzenden Stellungnahme versehen. Wegen der Einzelheiten wird auf die schriftlichen Äußerungen der Sachverständigen Bezug genommen.

Das Jugendamt hat sich zuletzt dahingehend geäußert, dass es mit Rücksicht auf den tiefgreifenden Elternkonflikt bei der alleinigen elterlichen Sorge des Vaters bleiben solle.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Der Senat hat die Eltern, die Verfahrensbeiständin und die Kinder angehört. Insoweit wird auf das Protokoll und den Anhörungsvermerk zum Senatstermin vom 11.01.2022 verwiesen.

II.

Die gemäß §§ 58 ff. zulässige Beschwerde ist unbegründet. Zu Recht hat das Amtsgericht die elterliche Sorge für die beiden Kinder dem Vater allein übertragen.

1.

Das Amtsgericht hat zwar eine Entscheidung sowohl über die elterliche Sorge als auch über den Umgang getroffen. Die Mutter hat aber mit dem Schriftsatz vom 09.09.2021 (Bl. 809) ausdrücklich nur Anträge zur Abänderung der Entscheidung über die elterliche Sorge gestellt. Mithin ist dem Senat allein die elterliche Sorge als Beschwerdegegenstand angefallen.

2.

Einer Auseinandersetzung mit dem Vorbringen der Mutter, ihr Ablehnungsgesuch gegen den zuständigen Richter wegen der Besorgnis der Befangenheit sei zu Unrecht zurückgewiesen worden, bedarf es nicht. Denn der Senat trifft als Tatsachengericht zweiter Instanz eine eigene Sachentscheidung. Diese Entscheidung hat sich allein am Kindeswohl zu orientieren, § 1697a BGB. Dabei sind vor allem die gegenwärtigen Verhältnisse maßgebend. Mithin kommt es auch auf die Frage, ob dem Amtsgericht in der Vergangenheit Verfahrensfehler unterlaufen sind, nicht entscheidend an. Dies gilt auch für die von den beteiligten Eltern im Beschwerdeverfahren thematisierte Frage, ob die schon vor langer Zeit erfolgte Herausnahme der Kinder aus dem Haushalt der Mutter gerechtfertigt war.

3.

Der angefochtene Beschluss ist weder entsprechend dem Hauptantrag der Mutter im Schriftsatz vom 09.09.2021 dahin abzuändern, dass ihr die alleinige elterliche Sorge für die beiden Kinder zu übertragen, noch ist auf ihren Hilfsantrag den Eltern die elterliche Sorge zur gemeinsamen Ausübung zu übertragen.

a)

Das Amtsgericht weist im angefochtenen Beschluss darauf hin, das Verfahren sei ursprünglich auf Anregung des Vaters nach § 1666 BGB eingeleitet worden. In der Sache hat das Amtsgericht nun aber eine Sorgerechtsentscheidung gemäß § 1671 BGB und eine Umgangsregelung gemäß §§ 1684, 1696 BGB angetroffen. Soweit es den mit der Beschwerde angegriffene Verfahrensgegenstand der elterlichen Sorge betrifft, ist daher der Vorschrift des § 1671 BGB der Maßstab für die zu treffende Entscheidung zu entnehmen.

b)

Das Aufenthaltsbestimmungsrecht ist hier schon deshalb auf einen Elternteil allein zu übertragen, weil Streit über den weiteren Aufenthalt die Kinder besteht (vgl. Senat, Beschluss vom 23.12.2016 – 10 UF 23/16, BeckRS 2016, 124514 Rn. 19). Beide Elternteile haben noch im Senatstermin deutlich gemacht, dass die Kinder bei ihnen leben sollen. Doch auch die elterliche Sorge im Übrigen ist einem Elternteil allein zu übertragen.

Gemäß § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB ist dem Antrag auf Übertragung der elterlichen Sorge oder eines Teil der elterlichen Sorge stattzugeben, soweit zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge und die Übertragung auf den antragenden Elternteil dem Kindeswohl am besten entspricht. Mit der Neuregelung der Übertragung der elterlichen Sorge durch das Kindschaftsrechtsreformgesetz vom 16.12.1997 (BGBl. 1997, Teil I, Seite 2942 ff.) hat der Gesetzgeber kein Regel-Ausnahme-Verhältnis in dem Sinn geschaffen, dass ein Vorrang zu Gunsten der gemeinsamen elterlichen Sorge besteht und die Alleinsorge eines Elternteils nur in Ausnahmefällen als ultima ratio, als letzte Möglichkeit, in Betracht kommt (BGH, FamRZ 2008, 592; FamRZ 2005, 1167; FamRZ 1999, 1646, 1647; KG [17. ZS], FamRZ 2000, 502 f.; KG [16. ZS], FamRZ 2000, 504; siehe auch BVerfG, FamRZ 2004, 354). Es besteht auch keine gesetzliche Vermutung dahin, dass die gemeinsame Sorge nach der Trennung der Eltern weiterhin die für das Kind beste Form der Wahrnehmung elterlicher Verantwortung ist (BGH, FamRZ 2008, 592).

Bei der Entscheidung über die Anordnung oder Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge ist insbesondere zu berücksichtigen, wenn es im Verhältnis der Eltern an einer Grundlage für ein Zusammenwirken im Sinne des Kindeswohls fehlt. Ein nachhaltiger und tiefgreifender Elternkonflikt kann zur Folge haben, dass die gemeinsame elterliche Sorge dem Kindeswohl widerspricht (BGH, Beschluss vom 15.6.2016 - XII ZB 419/15, FamRZ 2016, 1439 Rn. 21). Die gemeinsame Ausübung der Elternverantwortung setzt ein Mindestmaß an Übereinstimmung in wesentlichen Bereichen der elterlichen Sorge und insgesamt eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern voraus (BGH, a.a.O., Rn. 23). Die gemeinsame elterliche Sorge ist daher nicht anzuordnen, wenn eine schwerwiegende und nachhaltige Störung auf der Kommunikationsebene der Eltern vorliegt, die befürchten lässt, dass den Eltern eine gemeinsame Entscheidungsfindung nicht möglich sein wird und das Kind erheblich belastet würde, würde man die Eltern zwingen, die Sorge gemeinsam zu tragen. Maßgeblich ist, welche Auswirkungen die mangelnde Einigungsfähigkeit der Eltern bei einer Gesamtbeurteilung der Verhältnisse auf die Entwicklung und das Wohl des Kindes haben wird (BGH, a.a.O., Rn. 24). Die Kommunikation der Eltern kann bereits dann schwer und nachhaltig gestört sein, wenn die Eltern zwar miteinander in Kontakt treten, hierbei aber regelmäßig nicht in der Lage sind, sich in der gebotenen Weise sachlich über die Belange des Kindes auszutauschen und auf diesem Wege zu einer gemeinsamen Entscheidung zu gelangen. Dann ist zu prüfen, ob hierdurch eine erhebliche Belastung des Kindes zu befürchten ist (BGH, a.a.O., Rn. 25). Zur Begründung der Alleinsorge in einem solchen Fall ist nicht zusätzlich die Feststellung einer günstigen Prognose dahingehend erforderlich, dass die Eltern aufgrund der gerichtlichen Entscheidung für die Alleinsorge ihren Streit nicht fortsetzen werden. In die Abwägung ist vielmehr einzubeziehen, ob durch die Alleinsorge die Konfliktfelder zwischen den Eltern eingegrenzt werden, was für sich genommen bereits dem Kindeswohl dienlich sein kann, während bereits das Risiko, dass das Kind durch die Begründung der gemeinsamen Sorge verstärkt dem fortdauernden Konflikt der Eltern ausgesetzt wird, dem Kindeswohl entgegenstehen kann (BGH, a.a.O., Rn. 28).

Der Antrag eines Vaters auf Einräumung bzw. Beibehaltung der Mitsorge kann erfolglos bleiben, wenn der Vater selbst meint, eine Kommunikation zwischen ihm und der Mutter sei nicht möglich gewesen, die Gespräche beim Jugendamt ebenso wie eine Mediation fruchtlos verlaufen und die Eltern könnten bei Begegnungen nicht einmal Höflichkeitsfloskeln austauschen (vgl. Senat, Beschluss vom 10.3.2015 - 10 UF 19/14, BeckRS 2016, 08367). Gegen die Anordnung bzw. Aufrechterhaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge kann auch sprechen, wenn es zu derben Beleidigungen des Vaters gegenüber der Mutter kommt, die Eltern einander nicht ohne Auseinandersetzungen begegnen können und dies dem Kind nicht verborgen bleibt (Senat, Beschluss vom 3.6.2014 - 10 UF 237/13, BeckRS 2015, 02258). So kann es auch liegen, wenn es dem Vater an Wertschätzung in Bezug auf die Erziehungsleistung der Mutter fehlt (Senat, Beschluss vom 17.6.2014 - 10 UF 5/14, BeckRS 2015, 18022). Eine dem Kindeswohl nicht zuträgliche gemeinsame elterliche Sorge kann grundsätzlich unabhängig davon, welcher Elternteil für die fehlende Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit (überwiegend) verantwortlich ist, nicht angeordnet werden (Senat, Beschluss vom 15.2.2016 - 10 UF 216/14, BeckRS 2016, 03544).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze besteht im vorliegenden Fall keine Grundlage für den Fortbestand der gemeinsamen elterlichen Sorge. Angesichts der erheblichen Konflikte der Eltern und der fehlenden Möglichkeiten, sich untereinander abzustimmen, ist die gemeinsame elterliche Sorge gemäß § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB aufzuheben.

Die Mutter selbst hat im Senatstermin die Kommunikation mit dem Vater als sehr schwierig bezeichnet. Deshalb verkehre sie nur noch schriftlich mit ihm.

Der Vater hat vor dem Senat von einem Vernichtungsfeldzug der Mutter seit 2016 gesprochen. Ausdrücklich hat er erklärt, dass er, solange die Mutter die Vorwürfe hinsichtlich des sexuellen Missbrauchs aufrechterhalte, keine Grundlage für Gespräche sehe. Wenn es ausnahmsweise doch zu einem Austausch komme, sei dieser „sehr speziell“. Da zeigten sich sehr unterschiedliche Wahrnehmungen von gleichen Ereignissen.

Ausdruck der gestörten Kommunikation zwischen den Eltern sind insbesondere auch die unterschiedlichen schriftsätzlichen Darstellungen hinsichtlich der Abstimmung während der Kur des Vaters mit den Kindern sowie die Angaben der Eltern im Senatstermin bezüglich des Umgangs zum Ende des Jahres 2021. Insoweit trifft die Einschätzung des Vaters von unterschiedlichen Wahrnehmungen zu.

Die Eltern werfen sich überdies wechselseitig vor, den anderen Elternteil nicht hinreichend über Belange der Kinder zu informieren bzw. eigenmächtig zu handeln. Die Mutter hat im Senatstermin beklagt, vom Vater über Erkrankungen der Kinder nicht ausreichend informiert zu werden. Der Vater demgegenüber hat kritisiert, dass die Mutter auf einer Elternversammlung gewesen sei, eine Elternvertreterin angesprochen und E-Mails an die Schule geschrieben habe.

Schließlich hat auch die Verfahrensbeiständin im Senatstermin erklärt, die Eltern sollten davon Abstand nehmen, die Schuldfrage zu thematisieren; sie seien als Eltern keinen Schritt vorwärtsgekommen. Bemerkenswert ist die Einschätzung der Verfahrensbeiständin, die Eltern „bekriegten sich massiv“ und das vorliegende Verfahren steche aus den Akten, mit denen sie bisher Zugang zu tun gehabt habe, weit heraus. Es sei nicht schön, was mit den Kindern geschehe.

Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass der Konflikt der Eltern auch den Kindern nicht verborgen bleibt und sie darunter leiden. Der Umgang der Mutter mit den Kindern ist so geregelt, dass die Eltern meist nicht zum Zwecke der Übergaben aufeinandertreffen. Ganz vermeiden lassen sich solche Kontakte aber nicht, etwa wenn in den Schulferien die Kinder nicht aus den jeweiligen Einrichtungen abgeholt werden können. Die nicht ganz auszuschließende Gefahr, dass es auch bei solchen Zusammentreffen zu Auseinandersetzungen der Eltern kommt, rechtfertigt es aber nicht, die durch Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge zu erwartenden Konflikte ebenfalls in Kauf zu nehmen. Hier gewinnt der bereits angesprochene Gedanke der Eingrenzung der Konfliktfelder an Bedeutung. Jedenfalls in Bezug auf Angelegenheiten der elterlichen Sorge, beispielsweise im Zusammenhang mit der von den Eltern angesprochenen Differenzen hinsichtlich der Gesundheitsfürsorge und der schulischen Belange, sind zukünftig Auseinandersetzungen nicht mehr zu erwarten.

c)

Wenn danach die gemeinsame elterliche Sorge insgesamt aufzuheben ist, entspricht es dem Kindeswohl am besten, wenn der Vater das Sorgerecht allein ausübt. Denn dies bietet die Gewähr dafür, dass die Kinder weiterhin im Haushalt des Vaters leben, weil dieser dann auch Inhaber des alleinigen Aufenthaltsbestimmungsrechts ist. Die Mutter hat im Senatstermin zwar nicht ausdrücklich die Forderung erhoben, die Kinder sollten (sofort) in ihren Haushalt wechseln, sondern sogar geäußert, wenn so entschieden werden sollte, dass es beim jetzigen Zustand bleibe, müsse sie das akzeptieren. Sie hat aber auch erklärt, dass es am besten sei, wenn die Kinder bei ihr leben würden. Dem Kindeswohl entspricht es jedoch am besten, wenn es bei der gegenwärtigen Situation, dem Lebensmittelpunkt der Kinder beim Vater, bleibt.

Maßstab für die zu treffende Sorgerechtsentscheidung ist das Kindeswohl. Bei der Frage, welchem Elternteil die elterliche Sorge zu übertragen ist, ist eine Abwägung nachfolgender Gesichtspunkte vorzunehmen (vgl. Lack, in: Johannsen/Henrich/Althammer, Familienrecht, 7. Aufl., § 1671 BGB Rn. 51 ff.):

- der Kontinuitätsgrundsatz, der auf die Einheitlichkeit, Gleichmäßigkeit und Stabilität der Erziehungsverhältnisse abstellt,

- der Wille des Kindes, soweit er mit seinem Wohl vereinbar ist und das Kind nach Alter und Reife zu einer Willensbildung im natürlichen Sinne in der Lage ist,

- die Bindung des Kindes an beide Elternteile und etwa vorhandene Geschwister sowie

- der Förderungsgrundsatz, nämlich die Eignung, Bereitschaft und Möglichkeit der Eltern zur Übernahme der für das Kindeswohl maßgeblichen Erziehung und Betreuung.

Die einzelnen Kriterien stehen allerdings nicht wie Tatbestandsmerkmale kumulativ nebeneinander. Jedes von ihnen kann im Einzelfall mehr oder weniger bedeutsam für die Beurteilung sein, was dem Wohl des Kindes am besten entspricht (vgl. hierzu BGH, FamRZ 2011, 796; FamRZ 2010, 1060). Die Beurteilung des Kindeswohls anhand der genannten Gesichtspunkte und deren Gewichtung ist Aufgabe des Senats. Dies führt hier im Ergebnis dazu, dass die elterliche Sorge auf den Vater zu übertragen ist.

aa)

Unter dem Gesichtspunkt des Förderungsgrundsatzes ist der Vater vorzugswürdig.

(1)

Erziehungsdefizite der Eltern sind nicht zutage getreten.

Nach dem Gutachten der Sachverständigen Dr. B… ist L... insgesamt altersgerecht entwickelt (Seite 60, 61 f. des Gutachtens vom 30.05.2021 – alle weiteren Seitenangaben beziehen sich, soweit nicht anders angegeben, auf dieses Gutachten). Auffällig ist zwar, dass das Mädchen auch mit acht Jahren noch Probleme hat, allein in einem Bett zu schlafen (vgl. Seite 50 f., 53 sowie Transskript 1, Bl. 7 und 8 und 14 von 16). Die Verantwortung für diesen Umstand kann aber nicht einem Elternteil allein zugewiesen werden. L... hat bei ihrer Anhörung vor dem Senat ausdrücklich erklärt, dass sie sowohl beim Vater als auch bei der Mutter mit diesen jeweils gemeinsam im Bett schlafe. Allein zu schlafen, traue sie sich nicht, weil es immer so dunkel sei.

Das subjektive Empfinden L...s, der Vater schimpfe häufiger als die Mutter (vgl. Gutachten Seite 50 sowie Transskript 1, Bl. 6 von 16), ist ohne Bedeutung. Dies gilt umso mehr, als der Vater die alltägliche Betreuungsperson ist, also eher die Notwendigkeit sehen wird, erzieherisch auf die Kinder einzuwirken als die Mutter, die vor allem am Wochenende Kontakt mit den Kindern hat und bei der die gemeinsame Freizeitgestaltung im Vordergrund stehen dürfte.

Dass der Vater – wie die Mutter geltend macht - die Kinder nicht durchgängig allein betreut, sondern insoweit auch manchmal seine Freundin oder seine Eltern hinzuzieht, ist nicht zu beanstanden, sondern stellt eine übliche Handhabung im Rahmen des familiären Zusammenlebens dar.

(2)

Die aktuellen Wohnverhältnisse sprechen eher für den Vater. Die Mutter hat im Senatstermin eingeräumt, dass sie zurzeit noch im Haus ihrer Eltern lebe und dort keine selbstständige Wohnung habe, sondern nur zwei Zimmer und Bad. Zudem hat sie einen Nebenwohnsitz in S... bei Magdeburg erwähnt, in dem manchmal auch der Umgang mit den Kindern stattfinde. Schließlich hat die Mutter erklärt, sie würde, wenn die Umstände es erfordern, nach E... ziehen, also in den Ort, in dem die Kinder gegenwärtig beim Vater leben. Mithin sind die Wohnverhältnisse der Mutter ungeklärt. Beim Vater dagegen steht ausreichender Wohnraum auch für die Zukunft unstreitig zur Verfügung.

(3)

Im Zentrum des vorliegenden Verfahrens steht der von der Mutter dem Vater gegenüber erhobenen Vorwurf des sexuellen Missbrauchs zulasten von L.... Dieser Vorwurf hat im Rahmen des Förderungsgrundsatzes Gewicht. Sollte der Vater tatsächlich seine Tochter sexuell missbraucht haben, lässt sich – ungeachtet des strafrechtlichen Aspekts – schwerlich vorstellen, dass man ihm das Aufenthaltsbestimmungsrecht belässt, etwa mit der Begründung, es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass sich nach dem Jahr 2016 noch einmal so etwas ereignet hätte.

Der Aufklärung des Vorwurfs des sexuellen Missbrauchs dient das vom vormals zuständigen 3. Familiensenat des Oberlandesgerichts im Rahmen der Amtsermittlung gemäß § 26 FamFG eingeholte Sachverständigengutachten. Die Sachverständige Dr. B... kommt in ihrem Gutachten vom 30.05.2021 zu dem Ergebnis, dass sich über die Angaben des Mädchens der Realitätsbezug eines sexuellen Missbrauchs durch den Vater nicht belegen lasse (Seite 76). L..., die inzwischen beim Vater lebe, habe sexuelle Übergriffe des Vaters verneint. Über die Angaben gegenüber dem Vorgutachter lasse sich unter anderem in Ermangelung der Fähigkeit, eine qualitativ hinreichende Aussage zum mutmaßlichen Geschehen abzugeben, ein Erlebnisbezug über die Methode der aussagepsychologischen Untersuchung nicht belegen, weswegen die Aussageentstehung und -entwicklung im Rahmen der Qualitätsprüfung beleuchtet worden sei. Wie dem Schriftverkehr mit dem Senat zu entnehmen sei, sei darauf hingewiesen worden, dass die Frage, wie die kindlichen Äußerungen und Verhaltensweisen im Kontext der Beziehungen des Kindes zu den Familienmitgliedern zu bewerten seien, nicht mit der Methode der Aussagepsychologie zu beantworten sei, sodass auf die Erörterung verzichtet worden sei.

Nach dem Gutachten ist davon auszugehen, dass es, weil L... aktuell keine Äußerungen mehr tätigt wie noch im Alter von dreieinhalb Jahren, also keine Äußerungen etwa des Inhalts, der Vater habe sie im Genitalbereich angefasst (Seite 51 des Gutachtens sowie Transskript zwei, Bl. 9 von 19), keine Anhaltspunkte für solche Handlungen des Vaters gibt. Es könne davon ausgegangen werden, dass als traumatisch erlebte Ereignisse im Gedächtnis blieben und für ein Kind reproduzierbar wären (Seite 64). L... aber habe von sich aus keine Angaben gemacht, die auch nur im weitesten Sinne vermuten ließen, sie sei Opfer eines sexuellen Missbrauchs geworden. Selbst bei direktem Nachfragen, nachdem sie keine Anknüpfungsantworten angeboten habe, habe sie verneint, dass der Vater sie in einer Weise missbraucht, sich übergriffig verhalten oder ihr Leid zugefügt habe (Seite 65 f.). Eine Lügenkompetenz des Mädchens vermochte die Sachverständige nicht festzustellen (Seite 62). Der aktuelle Wissensstand des Mädchens um Sexualität und Sexualdelinquenz sei nur rudimentär entwickelt und stagniere bei der naiven Unterscheidung von Jungen und Mädchen (Seite 63 sowie Transskript 2, Bl. 2 und 3 von 19). Damit fehle ihr das Wissen, um absichtlich einen sexuellen Missbrauch vorzutäuschen (Seite 63). Allein der von der Mutter zusammengestellte Symptomkatalog sei für einen Nachweis von Missbrauchshandlungen nicht geeignet (Seite 72 f.).

Die überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen macht sich der Senat zu Eigen. Vor diesem Hintergrund lässt sich die von der Mutter gewünschte Feststellung, ein sexueller Missbrauch L...s durch den Vater habe stattgefunden, nicht treffen. Das steht im Einklang mit dem Ergebnis des vom Amtsgericht eingeholten „familien-/aussagepsychologische Gutachten“ des Sachverständigen Dr. P... vom 31.05.2018 - 10 F 821/16. Dieser hatte zusammenfassend festgestellt, dass es keine empirisch belegbaren Hinweise für ein erlebnisorientiertes (inkriminiertes) Missbrauchsgeschehen sexueller Konnotation für Vater und Kind(er) gebe. Dieses Gutachten ist im Hinblick auf etwaige methodische Mängel von der Mutter mit einer von ihr vorgelegten methodenkritischen Stellungnahme des Bremer Instituts für Gerichtspsychologie vom 05.03.2019 (Bl. 496 ff.) angegriffen worden. Darüber hinaus hat sich die Sachverständige Dr. B... in ihrem an den 3. Familiensenat gerichteten Schreiben vom 02.10.2020 von jenem Gutachten methodisch distanziert und dabei insbesondere den Grundsatz, dass aussagepsychologische Gutachten nicht mit familienrechtlichen Fragestellungen und Methoden vermischt werden dürfen, hervorgehoben (Bl. 669). Ob es insoweit Gründe zur Beanstandung gibt, kann dahinstehen. Denn jedenfalls rechtfertigen etwaige Mängel nicht automatisch den Umkehrschluss, der gegen den Vater gerichtete Vorwurf des sexuellen Missbrauchs sei zu Recht erhoben worden. Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass zwei gerichtlich bestellte psychologische Sachverständige übereinstimmend keine hinreichenden Hinweise für einen sexuellen Missbrauch durch den Vater gefunden haben.

Dass weitergehende Ermittlungen noch zu einem abweichenden Ergebnis führen könnten, ist nicht ersichtlich. Auch die Mutter hat weitere Ermittlungsmöglichkeiten nicht aufgezeigt. Schon in der von ihr vorgelegten methodenkritischen Stellungnahme wird ausdrücklich hervorgehoben, dass die Ausführungen zur Qualität des Gutachtens des Sachverständigen Dr. P... keinerlei eigene Feststellungen oder Schlussfolgerungen dazu erlaubten, inwieweit L... Werner Angaben gemacht hat, die auf das Erleben eines sexuellen Kindesmissbrauchs schließen ließen (Bl. 497a R). Also ergeben sich auch aus dieser Stellungnahme keine greifbaren Anhaltspunkte für einen sexuellen Missbrauch.

Hinsichtlich des Gutachtens der Sachverständigen Dr. B... hat die Mutter keine methodenkritische Stellungnahme vorgelegt. Abgesehen von einer aus ihrer Sicht anzubringenden Korrektur der Sachverhaltsdarstellung (Bl. 795 ff.) und allgemeinen Hinweisen zu Fehlern, die im Zusammenhang mit der Aufklärung des Vorwurfs eines sexuellen Missbrauchs auftreten könnten (Bl. 801 ff.), beschränkt sich die Mutter darauf, auszuführen, maßgeblich und dennoch sehr bedauerlich sei die Feststellung der Sachverständigen, keine Aussage dazu tätigen zu können, inwieweit die Aussagen von L... über einen Missbrauch durch den Vater Erlebnisbezug hätten. Im Ergebnis ist festzustellen, dass auch die Mutter keine Ansätze für weitergehende Ermittlungen hinsichtlich des sexuellen Missbrauchs aufzeigt.

(4)

Die Bindungstoleranz ist bei der Mutter geringer ausgeprägt als beim Vater.

Bei der Bindungstoleranz handelt es sich um die Fähigkeit und Bereitschaft, die Beziehung des Kindes zum anderen Elternteil zu erhalten und zu fördern (BGH, Beschluss vom 16.03.2011 - XII ZB 407/10, FPR 2011, 460 Rn. 57, beck-online). Die Bindungstoleranz ist unter dem Gesichtspunkt des Förderungsgrundsatzes von Bedeutung (vgl. BeckOGK/Fuchs, Stand 01.02.2022, BGB § 1671 Rn. 218; BeckOK BGB/Veit, 61. Edition 01.02.2022, BGB § 1671 Rn. 75).

Die Mutter hat dem Vater im Beschwerdeverfahren vorgeworfen, er sei nicht bindungstolerant. Das macht sie wohl an dem angeblich zeitweise nicht gewährten Umgang fest. Die diesbezüglichen Behauptungen hat der Vater aber zurückgewiesen. Allein der Umstand, dass der Vater in der Vergangenheit gegen die Mutter Anzeigen wegen Verleumdung erstattet hat (Bl. 755), steht der Annahme ausreichender Bindungstoleranz nicht entgegen. Denn angesichts der massiven Vorwürfe der Mutter ist es dem Vater nicht zu verdenken, seinerseits strafrechtliche Konsequenzen zu ziehen.

Nach alledem greifen die Einwände der Mutter hinsichtlich der fehlenden Bindungstoleranz des Vaters nicht durch. Vielmehr ist ihre eigene Bindungstoleranz eingeschränkt.

Nach den Ausführungen unter (3) kann bei Prüfung des Förderungsgrundsatzes nicht unterstellt werden, der Vater habe L... sexuell missbraucht. Dessen ungeachtet hat die Mutter diesen Vorwurf über Jahre hinweg aufrechterhalten. Auch bei ihrer persönlichen Anhörung durch den Senat hat sie die Vorwürfe nicht ausdrücklich aufgegeben. Sie hat zwar einerseits erklärt, nicht in der Vergangenheit verhaftet zu sein, sich andererseits aber von ihren Vorwürfen nicht eindeutig distanziert. So hat sie geäußert, sie komme nur schwer damit klar, dass die Kinder beim Vater seien; es sei ein abrupter Abbruch auf einer Grundlage gewesen, mit der sie nicht habe mitgehen können. Damit ist offensichtlich das Gutachten des Sachverständigen Dr. P... gemeint, in dem die Feststellung eines sexuellen Missbrauchs durch den Vater nicht getroffen worden ist. Im Anschluss hat die Mutter erläutert, sie habe die Vorwürfe gegenüber dem Vater weiter aufrechterhalten, weil das erste Gutachten schlecht gewesen sei und deshalb nicht alles ermittelt worden sei. Dass sie nun, nachdem ein zweites Sachverständigengutachten mit letztlich dem selben Ergebnis vorliegt, ihre Vorwürfe fallen lässt, hat die Mutter auch im Senatstermin nicht erklärt. Das vorangehende schriftsätzliche Vorbringen enthält zumindest – wie ausgeführt – geringfügige Kritik formaler Art am Gutachten, ohne sich mit dessen Ergebnis eingehender auseinanderzusetzen. Dass sie etwa das Ergebnis des Gutachtens – keine hinreichenden Anhaltspunkte für einen sexuellen Missbrauch durch den Vater – teilt, hat die Mutter zu keinem Zeitpunkt erklärt.

Dass für die Mutter der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs nach wie vor nicht „vom Tisch ist“, beeinflusst offensichtlich auch ihr Verhalten. Der Vater hat gegenüber der Sachverständigen angegeben, die Mutter würde ihn bei Begegnungen nicht begrüßen und auf seine Fragen nicht antworten; solche Feindseligkeiten würden die Kinder sicher bemerken (Seite 53). Diese Einschätzung wird bestätigt durch die spontane Äußerung J...‘ zu Beginn seiner Anhörung durch den Senat. Hier hat er erklärt, die Mama sage manchmal schlechte Dinge über den Papa; das sei „blöd“.

(5)

Die Mutter hat im Senatstermin beanstandet, der Vater habe auf ihre Hinweise hinsichtlich der Gesundheit und Versorgung der Kinder nicht reagiert und sie nicht ausreichend über Erkrankungen der Kinder informiert. In diesem Zusammenhang ist zunächst festzuhalten, dass dem Vater aufgrund des gemäß § 40 Abs. 1 FamFG wirksamen angefochtenen Beschlusses die elterliche Sorge für die Kinder allein zustand, er mithin nicht verpflichtet war, die Mutter etwa bei Fragen der Gesundheitsfürsorge mit einzubeziehen. Hinzu kommt, dass die Kommunikation zwischen den Eltern – wie bereits ausgeführt – gestört ist, sodass es auch unter diesem Gesichtspunkt zumindest nachvollziehbar ist, wenn der Vater im Hinblick auf die Gesundheit der Kinder nicht das Gespräch bzw. den Kontakt mit der Mutter sucht.

(6)

Die Art, wie die Eltern ihren Kindern gegenüber mit dem vorliegenden Gerichtsverfahren umgehen, ist mit Rücksicht auf die Geschehnisse in der Vergangenheit nicht zu beanstanden.

Die Mutter hat sich nach ihren Angaben im Senatstermin insoweit zurückgenommen, ist aber von den Kindern selbst auf den Gerichtstermin angesprochen worden. Auf L... Äußerung, sie wisse gar nicht, wie sie sich entscheiden solle, habe sie, die Mutter, erwidert: „Sage, was dein Herz dir sagt.“ Die Mutter hat dies damit begründet, sie habe noch mehr Druck für die Kinder vermeiden wollen. Dies ist nachvollziehbar.

Der Vater hat nach seinen Angaben vor dem Senat mit den Kindern über das Gerichtsverfahren gesprochen, ihre Fragen beantwortet und vor allem darauf hingewiesen, dass das Gericht entscheide. Auch dies ist nicht zu beanstanden.

(7)

Es ist davon auszugehen, dass die gesundheitliche Versorgung der Kinder und die „U-Untersuchungen“ ordnungsgemäß erfolgt sind (vgl. nur Seite 57 des Gutachtens). Die Mutter hat im Schriftsatz vom 09.09.2021 die aus ihrer Sicht unzureichende Zahnpflege thematisiert. Dem ist der Vater im Schriftsatz vom 16.10.2021 substantiiert entgegengetreten. Insoweit zeigt sich vor allem wieder die unterschiedliche Wahrnehmung der Eltern hinsichtlich der Belange der Kinder. Tatsächliche Defizite lassen sich bei keinem Elternteil feststellen.

(8)

Nach alledem ergibt sich im Hinblick auf den Förderungsgrundsatz ein Vorrang des Vaters. Denn während die Bedenken der Mutter, insbesondere der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs, nicht durchgreifen, sind auf Seiten der Mutter nicht nur die Wohnverhältnisse ungeklärt, sondern ihre Bindungstoleranz ist auch geringer ausgeprägt als diejenige des Vaters.

bb)

Der von den beiden Kindern geäußerte Wille spricht nicht dagegen, es bei der gegenwärtigen Situation zu belassen, also dem Lebensmittelpunkt der Kinder beim Vater.

Die Kinder sind vom Amtsgericht nicht angehört worden. Im Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung war L... fünfeinhalb Jahre alt, J... gerade etwas über drei Jahre alt. Eine autonome Entscheidung der Kinder über ihren zukünftigen Aufenthalt war zu diesem Zeitpunkt kaum denkbar. Dessen ungeachtet hätte das Amtsgericht trotzdem eine Kindesanhörung durchführen müssen. Auch wenn in § 159 FamFG in der bis zum 30.06.2021 geltenden Fassung der Gedanke, dass man sich von dem Kind einen persönlichen Eindruck verschaffen müsse, noch nicht ausdrücklich seinen Niederschlag gefunden hat, schwang er dennoch schon mit (vgl. auch Keidel/Engelhardt, FamFG, 20. Aufl., § 159 Rn. 8a; Ziegler, in: Schulte-Bunert/Weinreich, FamFG, 6. Aufl., § 159 Rn. 6; Döll, in: Johannsen/Henrich/Althammer, Familienrecht, 7. Aufl., § 159 FamFG Rn. 5 f.). Vor diesem Hintergrund begegnet es auch in Anwendung von § 159 FamFG in der bis zum 30.06.2021 geltenden Fassung Bedenken, dass der Amtsrichter – einräumend, die Kinder nur in einem anderen Verfahren am 13.07.2016 kurz kennengelernt zu haben – vor Erlass der Entscheidung vom 10.01.2019, also rund zweieinhalb Jahre später, von der erneuten Anhörung der Kinder vorrangig mit der Begründung abgesehen hat, es habe insoweit Einvernehmen mit den Eltern, der Verfahrensbeiständin und dem Jugendamt bestanden (Seite 7 des Beschlusses). Auf Seite 12 ist dann noch pauschal von einer „Schonung der Kinder“ die Rede. Das überzeugt schon deshalb nicht, weil im Leben der Kinder gerade ein halbes Jahr vor Erlass der angefochtenen Entscheidung eine erhebliche Änderung eingetreten ist, indem sie mit dem Zwischenschritt des Nestmodells vom Haushalt der Mutter in den Haushalt des Vaters gewechselt sind. Das Nestmodell ist im Termin vom 13.06.2018 vereinbart worden, ohne die Kinder insoweit anzuhören (BA 10 UF 821/16, Bl. 407).

Der Senat hat die Kinder persönlich angehört. Eine Willensbekundung zugunsten eines Aufenthalts bei der Mutter hat lediglich J... abgegeben. Er hat im Verlauf seiner Anhörung erklärt, er wolle gerne bei der Mama leben. Dass es sich hierbei um eine eindeutige Willensäußerung, gegründet auf einer Abwägung von Vor- und Nachteilen handelt, kann nicht angenommen werden. Erläuternd hat J... lediglich angegeben, er vermisse die Mama beim Papa. Zugleich hat er aber erkennen lassen, es gebe auch Situationen, in denen er den Papa vermisse; den wolle er dann besuchen. Eine Präferenz zugunsten der Mutter hatte J... schon in seinem Eingangsstatement erkennen lassen. Hier hat er nämlich erklärt, er wolle gerne länger bei der Mama bleiben. Dies hat er damit begründet, dass es dort den Hund ... gebe. Dieser Hund trägt den gleichen Namen wie das Kuscheltier, das J... zur Anhörung mitgenommen hat. Die Äußerung ist also von der eher vordergründigen Überlegung geprägt, den bei der Mutter lebenden Hund häufiger sehen zu können. Damit steht im Einklang, das J... auf weiteres Befragen durch den Senat erklärt hat, dass auch die derzeitige Regelung für ihn in Ordnung sei; die „Mama-Zeit“ sollte aber so lang sein wie die „Papa-Zeit“. Letztlich geht der Wille des Jungen also eher dahin, beide Eltern gleichzubehandeln. So erklärt sich auch der Wunsch, gerne länger bei der Mama bleiben zu wollen, da er diese gegenwärtig lediglich während der Umgangskontakte sieht.

Äußerungen des Jungen in Richtung einer Entscheidung für die Mutter haben auch der Vater und die Verfahrensbeiständin im Senatstermin wiedergegeben. Von einer eindeutigen Willensbekundung zugunsten der Mutter kann aber schon deshalb nicht ausgegangen werden, weil die Mutter selbst von einer anderslautenden Bekundung ihres Sohnes berichtet hat. Im Senatstermin hat sie folgende Äußerung von J... wiedergegeben: „Ich möchte, dass es bleibt, wie es ist, nur mehr Zeit mit dir.“

Allein der Umstand, dass J... nach der Schilderung der Verfahrensbeiständin zum Ende des Senatstermins vom 11.01.2022 aufgeregt gefragt hat, warum er nicht mit der Mama nach Hause fahren könne, rechtfertigt keine abweichende Beurteilung. Insoweit lässt sich nicht feststellen, aufgrund welcher Äußerungen von im Termin anwesenden Personen oder auch Begleitpersonen der Junge zu der Annahme gelangt ist, er werde nach dem Termin mit der Mutter fahren. Auch ergibt sich aus der Äußerung nicht unbedingt, dass er nun von einem dauerhaften Aufenthalt der Mutter ausgegangen ist. Ebenso ist es möglich, dass J... angenommen hat, er werde auf Besuch zur Mutter fahren.

L... hat gegenüber dem Senat zunächst erklärt, es gefalle ihr beim Vater gut, sie wolle aber mehr Umgang mit der Mutter haben. Dann hat sie betont, sie wisse eigentlich nicht wirklich, was sie wolle bzw. wo sie wohnen wolle. Eigentlich sei alles gut so, wie es sei. Sie wisse nicht, wo sie wohnen wolle, weil sie beide Eltern gleich lieb habe. Ergänzend hat sie lediglich angegeben, es solle „mehr ungerade Wochen geben“ und die Ferien sollten besser aufgeteilt werden. Da L..., wie ihre Äußerungen zu Beginn der Anhörung zeigen, die „ungeraden Wochen“ mit der Mutter in Verbindung bringt, lässt sich auch hier eine Tendenz erkennen, die Eltern möglichst gleichzubehandeln. Dies unterstreicht die Einschätzung der Sachverständigen, die bei L... nach wie vor Anzeichen eines Loyalitätskonflikts festgestellt hat (Seite 60).

Mithin bestätigt sich hier die gefestigte Rechtsprechung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts, dass der Kindeswille regelmäßig erst ab einem Alter des Kindes von etwa 12 Jahren eine einigermaßen zuverlässige Entscheidungsgrundlage bietet (OLG Brandenburg - 1. Familiensenat -, Beschluss vom 19.03.2008 – 9 UF 213/07, BeckRS 2008, 16527; OLG Brandenburg - 2. Familiensenat -, Beschluss vom 25.11.2010 - 10 UF 135/10, BeckRS 2010, 30458; OLG Brandenburg - 3. Familiensenat -, Beschluss vom 29.04.2021 – 15 UF 64/21, BeckRS 2021, 10772 Rn. 53; OLG Brandenburg - 5. Familiensenat -, Beschluss vom 29.07.2013 - 3 UF 47/13, BeckRS 2013, 19107; s.a. OLG Brandenburg – 4. Familiensenat - Beschluss vom 19.09.2012 – 13 UF 9/11, BeckRS 2012, 21727). Bei jüngeren Kindern steht regelmäßig der Loyalitätskonflikt im Vordergrund, so dass sich eine autonome Willensbildung selten feststellen lässt.

cc)

Unter dem Gesichtspunkt der Bindungen zu den Eltern ergibt sich kein Vorrang für einen Elternteil. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Kinder zu beiden Elternteilen sehr gute Bindungen haben.

Wie schon ausgeführt, gibt es bei J... Situationen, in denen er die Mutter vermisst und Situationen, in denen er den Vater vermisst. Er hat auch freudig beschrieben, wie er sowohl mit dem Vater als auch mit der Mutter spiele. L... hat – wie ebenfalls schon ausgeführt – erklärt, dass sie beide Eltern gleich lieb habe. Beide Kinder haben übereinstimmend geäußert, sie würden sich an die Mutter oder an den Vater wenden, wenn sie Kummer hätten. Das alles ist Ausdruck intakter Bindungen zu beiden Elternteilen. Dies hat offensichtlich auch die Mutter erkannt. Sie hat zwar bei ihrer Anhörung vor dem Senat darauf hingewiesen, sie sei früher die primäre Bezugsperson für die Kinder gewesen. Die Kinder hätten inzwischen Bindungen aber auch zum Vater aufgebaut.

dd)

Der Grundsatz der Geschwisterbindung ist hier ohne Bedeutung. Dass eine Trennung der Geschwister in Betracht kommt, ist bisher – soweit ersichtlich – von keinem Elternteil erwogen worden. Andererseits ist bisher auch nicht erkennbar, dass gerade in Bezug auf ein Geschwisterkind ein Elternteil vorrangig als Aufenthaltsbestimmungsberechtigter bzw. alleiniger Inhaber der elterlichen Sorge in Betracht kommt.

ee)

Dass im vorliegenden Fall Bindungen der Kinder zu anderen Bezugspersonen von großer Bedeutung sind, ist weder dargetan noch sonst ersichtlich. Aus dem Sachverständigengutachten ergibt sich, dass Großelternpaare sowohl mütterlicherseits als auch väterlicherseits vorhanden sind. Die gelegentlichen Kontakte dorthin sind aber für eine Entscheidung über das Aufenthaltsbestimmungsrecht bzw. die alleinige elterliche Sorge nicht von Bedeutung.

ff)

Eindeutig für den Vater streitet der Kontinuitätsgrundsatz. Seit Mitte 2018 leben die Kinder überwiegend bei ihm. Diesen Aspekt stellt auch die Verfahrensbeiständin in den Mittelpunkt ihrer aktuellen Stellungnahme vom 31.12.2021. Sie verweist in diesem Zusammenhang auf das Bedürfnis der Kinder nach innerer und äußerer Ruhe, das durch ein Wiederaufleben der gemeinsamen elterlichen Sorge oder durch eine Alleinsorge der Mutter gefährdet wäre. Im Senatstermin vom 11.01.2022 hat die Verfahrensbeiständin noch einmal ausdrücklich erklärt, die Kinder hätten jetzt Kontinuität und Sicherheit, so müsse es bleiben. Eine Änderung sei aus ihrer Sicht nicht vertretbar.

Dieser Einschätzung tritt der Senat bei. Den vom Jugendamt vorgelegten Berichten der Kita vom 23.09.2021 und der Schule vom 15.12.2021 ist eine altersgerechte Entwicklung der Kinder zu entnehmen. Im Anhörungstermin hat sich der Senat davon überzeugen können, dass es den Kindern gut geht. Vor diesem Hintergrund besteht keine Veranlassung, an der gegenwärtigen Situation etwas zu ändern.

gg)

Bei Abwägung der vorstehend näher ausgeführten Gesichtspunkte ist die elterliche Sorge dem Vater allein zu übertragen.

Während sich hinsichtlich des Willens der Kinder und ihrer Bindungen kein Vorrang eines Elternteils ergibt, sprechen der Förderungsgrundsatz und der Kontinuitätsgrundsatz für den Vater. Dies gebietet eine Sorgerechtsentscheidung zu seinen Gunsten.

d)

Da nach alledem die elterliche Sorge dem Vater allein zu übertragen ist, hat der von der Mutter gestellte Hauptantrag keinen Erfolg. Gleiches gilt aber auch für ihren hilfsweise gestellten Antrag, den Eltern die elterliche Sorge zur gemeinsamen Ausübung zu übertragen. Der Sache nach handelt es sich ohnehin lediglich um das Begehren, den Antrag des Vaters auf Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge abzuweisen. Da die Voraussetzungen für eine positive Bescheidung des Antrags des Vaters nach den vorstehenden Ausführungen vorliegen, kann die Mutter auch mit ihrem hilfsweise erklärten Begehren keinen Erfolg haben.

4.

Die Mutter hat im Senatstermin den Wunsch nach einer Ausweitung des Umgangs mit den Kindern geäußert. Die Kinder haben sich bei ihrer Anhörung durch den Senat für eine eher gleichmäßige Betreuung durch beide Elternteile ausgesprochen. Ob dieser Wunsch einer autonomen Willensbildung der Kinder entspricht oder ob er eher Ausdruck eines Loyalitätskonflikt bzw. des Anspruchs, beide Elternteile gleichzubehandeln, ist, braucht an dieser Stelle nicht entschieden zu werden. Gleiches gilt für die Frage, ob das vom Vater im Senatstermin geäußerte Begehren, der Umgang solle neu festgelegt werden mit Einschränkungen gegenüber der Mutter, gerechtfertigt ist. Denn das Umgangsrecht ist dem Senat – wie bereits ausgeführt – nicht angefallen. Auswirkungen auf die Entscheidung über die elterliche Sorge ergeben sich insoweit nicht.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Die Wertfestsetzung ergeht auf der Grundlage von § 45 FamGKG in der bis zum 31.12.2020 geltenden Fassung, wobei im Hinblick auf den Umfang des Verfahrens ein höherer Wert als der Regelwert von seinerzeit 3000 € gerechtfertigt ist.

Gegen diesen Beschluss ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.