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Entscheidung 2 AR 4/22


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 2. Strafsenat Entscheidungsdatum 22.03.2022
Aktenzeichen 2 AR 4/22 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2022:0322.2AR4.22.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung wird zurückgestellt.

Gegen den Verfolgten wird die Fortdauer der Auslieferungshaft angeordnet.

Gründe

I.

Die griechischen Justizbehörden ersuchen mit dem Europäischen Haftbefehl der Staatsanwaltschaft beim Berufungsgericht Thessaloniki vom 9. Februar 2018 (Az. 50/18 E) um die Auslieferung des Verfolgten zum Zwecke der Vollstreckung der gegen ihn durch rechtskräftiges Urteil des Berufungsgerichts Thessaloniki vom 11. Mai 2015 (Az. 895 – 436/28-06-2021) verhängten Freiheitsstrafe von fünf Jahren, von denen noch vier Jahre, zehn Monate und 19 Tage zu verbüßen sind.

Dem Verfolgten wird zur Last gelegt, in der Zeit vom 11. September bis zum 3. November 1995 in ... in gewerbsmäßiger Tatbegehung gemeinsam mit J… T… nacheinander in sechs Häuser eingebrochen zu sein und dabei Gegenstände im Gesamtwert von 2.450.000 Drachmen gestohlen zu haben.

Der Verfolgte wurde in dieser Sache am 21. Januar 2022 festgenommen und befindet sich aufgrund des Auslieferungshaftbefehls des Senats vom 27. Januar 2022 in Auslieferungshaft in der Justizvollzugsanstalt … . Er hat sich bei seinen richterlichen Vernehmungen vor dem Amtsgericht Königs Wusterhausen am 22. Januar 2022 und vor dem Amtsgericht Cottbus am 9. März 2022 mit einer Auslieferung im vereinfachten Verfahren nicht einverstanden erklärt und auf die Beachtung des Spezialitätsgrundsatzes nicht verzichtet.

Die Generalstaatsanwaltschaft beabsichtigt, Bewilligungshindernisse nicht geltend zu machen, und beantragt, die Auslieferung für zulässig zu erklären, der beabsichtigten Bewilligung der Auslieferung zuzustimmen sowie die Fortdauer der Auslieferungshaft anzuordnen.

II.

1. Der Senat stellt die Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung vorerst zurück, weil die in Griechenland zu erwartenden konkreten Haftbedingungen für den Verfolgten zunächst noch näherer Klärung bedürfen. Wegen der Eilbedürftigkeit ergeht dieser Beschluss, durch den der Verfolgte auch nicht beschwert ist, insoweit ohne vorherige Anhörung.

a) Die Auslieferung, die sich gemäß § 1 Abs. 4, 78 IRG nach den §§ 80 ff. IRG richtet, mit denen der Rahmenbeschluss 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (ABlEG Nr. L 190 v. 18. Juli 2002 S. I - RbEuHb) umgesetzt worden ist, erscheint weiterhin nicht von vornherein unzulässig (§ 15 Abs. 2 IRG).

Der Europäische Haftbefehl enthält die gemäß § 83 a Abs. 1 IRG erforderlichen Angaben. Umstände, die einer Zulässigkeit der Auslieferung im Sinne des § 81 IRG entgegenstehen könnten, sind nicht gegeben. Die dem Ersuchen zugrunde liegende Straftaten sind auch nach deutschem Recht strafbar (§ 242 StGB), in Griechenland mit einer Höchststrafe von mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht und die zu vollstreckende Freiheitsstrafe beträgt mehr als vier Monate (§ 3 Abs. 3, § 81 Nrn. 1, 2 IRG).

Dass das der beabsichtigten Strafvollstreckung zugrunde liegende Berufungsurteil in Abwesenheit des Verfolgten ergangen ist, stellt kein Auslieferungshindernis dar, weil ihm nach Mitteilung der griechischen Behörden gemäß Art. 473 Abs. 1 c der griechischen Strafprozessordnung das Recht zusteht, innerhalb von zehn Tagen Rechtsmittel einzulegen und eine bedingungslose Neuverhandlung des Falles zu verlangen (§ 83 Abs. 4 IRG).

Der Umstand, dass der Verfolgte nach Angaben seines Beistandes bei einer Auslieferung als albanischer Staatsbürger um sein Leben fürchte, weil Griechenland und Albanien verfeindet seien, führt mangels näherer objektiver Anhaltspunkte für eine tatsächliche Bedrohungslage nicht zu Unzulässigkeit der Auslieferung. Entsprechendes gilt für die Vorlage eines Dokuments über ein griechisches Führungszeugnis ohne Voreintragung, aus dem sich mangels hinreichender Aussagekraft durchgreifende Zweifel an der Berechtigung des Auslieferungsersuchens nicht ergeben.

Da der Verfolgte in Deutschland keinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, liegt auch ein Bewilligungshindernis gemäß § 83b Abs. 2 IRG nicht vor.

b) Der Senat sieht sich allerdings im Hinblick auf die noch ungeklärten Haftbedingungen, die den Verfolgten im Falle seiner Auslieferung erwarten, zum gegenwärtigen Zeitpunkt daran gehindert, die Zulässigkeit der Auslieferung festzustellen.

Nach der im Anschluss an Berichte des Komitees des Europarates zur Verhütung von Folter und unmenschlicher und erniedrigender Behandlung oder Strafe ergangenen obergerichtlichen Rechtsprechung im Auslieferungsrecht bestehen grundsätzlich und nach wie vor Bedenken, ob die in Griechenland vorherrschenden Haftbedingungen den Mindestanforderungen an einen menschenwürdigen Strafvollzug genügen, so dass ein Auslieferungshindernis gemäß § 73 IRG i.V.m. Art. 3 MRK, Art. 6 Abs. 3 EUV in Betracht kommt, das noch auszuräumen sein wird (vgl. hierzu OLG Düsseldorf, Beschl. v. 14. Dezember 2015 – III-3 AR 15/15; OLG Hamm, Beschl. v. 30. November 2017 – III-2 Ausl 81/17; OLG Stuttgart, Beschl. v. 8. Juni 2016 – 1 Ausl 321/15; OLG München, Beschl. v. v. 9. Januar 2018 – 1 AR 319/17; Brandenburgisches Oberlandesgericht, 1. Strafsenat, Beschl. v. 17. Dezember 2020 – 1 AR 30/20 [S], jeweils zit. nach Juris; vgl. auch OLG Zweibrücken, Beschl. v. 22. April 2021 – 1 AR 12/20 A, 2 Ausl A 9/20 unter Rn. 6). Demgemäß bedarf es noch der Einholung einer Zusicherung der griechischen Behörden darüber, dass beim Verfolgten ein Strafvollzug gewährleistet ist, der hinsichtlich der Mindestfläche des Haftraums, der Beleuchtung, Frischluftzufuhr, sanitären Situation sowie der Verpflegung den Anforderungen der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte genügt.

2. Es besteht nach wie vor der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 IRG), weil angesichts der hohen zu vollstreckenden Strafe überwiegend wahrscheinlich ist, dass der Verfolgte sich nicht freiwillig seiner Auslieferung stellen würde. Er ist nach seinen Angaben mit einer in Albanien lebenden Frau verheiratet, war zum Besuch eines in Deutschland lebenden Freundes eingereist, bei dem er sich aufhalten kann, und verfügt ansonsten in Deutschland nicht über feste soziale Bindungen, die der Fluchtgefahr entgegenwirken könnten. Weniger einschneidende Maßnahmen gemäß § 25 IRG bieten bei dieser Sachlage keine ausreichende Gewähr, die Auslieferung sicherzustellen.

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit steht unter Berücksichtigung der Höhe der gegen den Verfolgten verhängten Strafe der weiteren Fortdauer der Auslieferungshaft nicht entgegen.

Auch wenn eine Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung derzeit noch nicht möglich ist und die von der Generalstaatsanwaltschaft am 15. Februar 2022 beantragte Vernehmung des Verfolgten durch das Amtsgericht Cottbus nach § 28 IRG nicht umgehend, sondern erst am 9. März 2022 durchgeführt werden konnte, weist der bisherige Verfahrensgang nach der Festnahme des Verfolgten am 21. Januar 2022 durchgreifende Verstöße gegen das Gebot besonderer Beschleunigung insgesamt noch nicht auf.