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Entscheidung 1 AR 14/20


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 1. Strafsenat Entscheidungsdatum 20.04.2021
Aktenzeichen 1 AR 14/20 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2021:0420.1AR14.20.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

1. Die Auslieferung des Verfolgten (X1) an die Russische Föderation zum Zwecke der Strafverfolgung wegen

-der in dem Beschluss des Hamownitscheskiy Bezirksgerichts der Stadt Moskau vom 07. September 2005 (Strafsache Nr. 320070) über die Auswahl der Sicherheitsmaßregel in Form von Inhaftnahme in Verbindung mit dem Beschluss der Ermittlungsabteilung für besonders wichtige Angelegenheiten der Untersuchungsverwaltung des zentralen Verwaltungsbezirks Moskau vom 03. August 2020 (Strafsache Nr. 320070) über die Heranziehung des Verfolgten als Beschuldigten der bezeichneten strafbaren Handlungen (Vorwurf der vorsätzlichen Tötung des (Y1) und des (Y2)

und

-der in dem Beschluss des Lefortovskij Bezirksgerichts der Stadt Moskau vom 01. November 2007 (Strafsache Nr. 288) über die Auswahl der Vorbeugungsmaßnahme der Inhaftierung in Verbindung mit dem Beschluss der Hauptuntersuchungsverwaltung FSB Russlands vom 10. Mai 2006 (Strafsache Nr. 288) über die Heranziehung des Verfolgten als Beschuldigten der bezeichneten strafbaren Handlung (Vorwurf der Verabredung zur Tötung des Abgeordneten der Staatsduma der Föderalen Versammlung der Russischen Föderation (Z2))

wird für zulässig erklärt.

2. Die Erklärung der Zulässigkeit steht unter der Voraussetzung der von der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation gegebenen Zusicherungen:

a) Der Spezialitätsgrundsatz wird beachtet (Art. 14 EuAlÜbk).

b) Der Verfolgte wird weder Folter noch grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen.

c) Dem Verfolgten stehen im gerichtlichen Verfahren alle Möglichkeiten der Verteidigung einschließlich der Stellung eines anwaltlichen Beistands mit ungehindertem Zugangsrecht offen.

d) Mitglieder des Konsulardienstes der deutschen Botschaft in Russland dürfen bei den Gerichtsverfahren anwesend sein; der deutschen Botschaft bzw. den Konsulaten ist auf Anfrage eine Kopie der rechtskräftigen endgültigen prozessualen Entscheidung zu übermitteln.

e) Die Untersuchungshaft und eine sich möglicherweise anschließende Strafhaft werden nicht in dem Föderalkreis Nordkaukasus, sondern in einer anderen Region der russischen Föderation vollstreckt.

f) Der Verfolgte wird in einer Haftanstalt untergebracht, die den Anforderungen der Europäischen Menschenrechtskonvention und den Europäischen Strafvollzugsvorschriften vom 11. Januar 2006 entspricht.

g) Nach Beendigung der Strafverfolgung oder - im Falle einer Verurteilung - nach Verbüßung der erkannten Freiheitsstrafe oder Amnestierung darf der Verfolgte das Hoheitsgebiet der Russischen Föderation verlassen.

h) Mitglieder des Konsulardienstes der deutschen Botschaft in Russland dürfen den Verfolgten jederzeit zum Zweck der Kontrolle der Einhaltung der vorgenannten Bedingungen besuchen und als Beobachter am gerichtlichen Verfahren teilnehmen.

Für die Dauer der Corona-Pandemie gewährleistet die Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation die Möglichkeit für konsularische Besuche bei dem Verfolgten in Einrichtungen des Strafvollzugssystems im Rahmen der russischen Gesetze unter der Bedingung der Einhaltung von sanitär-epidemologischen Maßnahmen (Präventivmaßnahmen), die auf die Vorbeugung der Verbreitung der neuen Corona-Infektion gerichtet sind.

Den bevollmächtigten Angehörigen der Botschaft oder der Konsulareinrichtungen der Bundesrepublik Deutschland in der Russischen Föderation wird die Durchführung von Telefonaten mit dem Verfolgten in den Einrichtungen des russischen Strafvollzugssystems zugesichert.

i) Der diplomatischen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland wird zur Gewährleistung der Überprüfungsmöglichkeiten der Haftbedingungen der Ort mitgeteilt werden, an dem der Verfolgte im Falle seiner Auslieferung inhaftiert und das gerichtliche Verfahren gegen ihn geführt wird. Im Fall der Verlegung des Verfolgten in eine andere Haftanstalt wird die diplomatische Vertretung der Bundesrepublik Deutschland unverzüglich über den neuen Ort der Inhaftierung unterrichtet werden.

3. Die Auslieferungshaft dauert fort.

Gründe

I.

1. Die Behörden der Russischen Föderation ersuchen mit dem auf dem Interpolweg übermittelten Fahndungs- und Festnahmeersuchen vom 04. August 2017 unter Bezugnahme auf den Haftbefehl des Khamovniki District Court (Hamownitscheskiy Bezirksgericht) vom 07. September 2005 und auf den Haftbefehl des Lefortovo District Court (Lefortovskij Bezirksgericht) in Moskau vom 01. November 2007 um die Auslieferung des Verfolgten zum Zwecke der Strafverfolgung wegen Totschlags nach Art. 105 Abs. 2a des Strafgesetzbuchs der Russischen Föderation und wegen Organisation eines Angriffs auf das Leben eines staatlichen Funktionärs in der Absicht der Unterbindung seiner staatlichen Tätigkeit (Terrorakt) nach Art. 33 Abs. 3, 277 des Strafgesetzbuchs der Russischen Föderation.

Der Verfolgte wurde am 15. Juli 2020 in Frankfurt (Oder) vorläufig festgenommen. Am 16. Juli 2020 erließ das Amtsgericht Frankfurt (Oder) eine Festhalteanordnung (Az.: 45 Gs 1216/20). Mit Beschluss vom 24. Juli 2020 erließ der Senat einen vorläufigen Auslieferungshaftbefehl, den er nach Eingang der Auslieferungsunterlagen am 21. August 2020 durch einen unbeschränkten Auslieferungshaftbefehl ersetzte. Haftfortdauerentscheidungen folgten am 19. Oktober 2020, 02. November 2020, 23. Dezember 2020 und 22. Februar 2021. Wegen der Einzelheiten wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Entscheidungen des Senats verwiesen.

Der Verfolgte befindet sich aufgrund der vorgenannten Entscheidungen seit dem 15. Juli 2020 in Auslieferungshaft, gegenwärtig in der Justizvollzugsanstalt (…).

2. Nach den dem Senat vorliegenden Auslieferungsunterlagen, insbesondere den Beschlüssen der Hauptermittlungsverwaltung des Ermittlungskomitees Russlands für die Stadt Moskau vom 10. Mai 2006 und vom 03. August 2020, den Verfolgten als Beschuldigten zur Verantwortung zu ziehen, der Entscheidung über die Auswahl der Vorbeugungsmaßnahme der Inhaftierung des Lefortovskij Bezirksgerichts der Stadt Moskau vom 01. November 2007, der Anordnung über die Auswahl der Sicherheitsmaßregel in Form von Inhaftnahme der Hauptermittlungsverwaltung des Hamownitscheskiy Bezirksgerichts der Stadt Moskau vom 07. September 2005, der Anordnung der Ausschreibung des Verfolgten zur internationalen Fahndung durch die Zwischenbezirksstaatsanwaltschaft der Stadt Moskau vom 07. September 2005 und dem Beschluss über die Ausschreibung zur internationalen Fahndung der Hauptermittlungsverwaltung des Ermittlungskomitees Russlands für die Stadt Moskau vom 18. Mai 2006, dem Beschluss der 3. Abteilung der operativen Fahndungsverwaltung Russlands über die Ausschreibung des Verfolgten zur internationalen Fahndung vom 18. September 2007, dem Beschluss der Untersuchungsverwaltung Russlands über die Heranziehung als Beschuldigten vom 10. Mai 2006 sowie der amtlichen Übersetzung der Art. 15 (Kategorien der Verbrechen), Art. 33 (Arten der Mittäter an einem Verbrechen), Art. 78 (Befreiung von der strafrechtlichen Verantwortlichkeit im Zusammenhang mit Erlöschen der Verjährungsfrist), Art. 105 (Totschlag) und Art. 277 (Anschlag auf das Leben einer Staats- bzw. Gesellschaftsperson) des Strafgesetzbuchs der Russischen Föderation, werden dem Verfolgten folgende Straftaten vorgeworfen:

a) Nach der Sachverhaltsschilderung in der Verordnung über die Heranziehung als Beschuldigter/Haftbefehl vom 03. August 2020 wird dem Verfolgten zur Last gelegt, am 16. April 2005 in Moskau zwei Menschen, nämlich (Y1) und (Y2), aufgrund „feindschaftlicher Beziehungen“ vorsätzlich erschossen zu haben.

Der Verfolgte soll am Tattag, am 16. April 2005, gegen 6:37 Uhr gemeinsam mit dem späteren Opfer (Y1) den Hauseingang Nr. … des Hauses Nr. …/… der Straße B… P… in M… betreten haben und in die Wohnung des (Y1), Wohnungsnummer …, gegangen sein, in der sich auch das spätere weitere Opfer (Y2) befunden habe. Der Verfolgte soll dabei laut Sachverständigenbericht Nr. (a) eine „einwandfrei funktionierende Schusswaffe“ mit sich geführt haben. Zwischen 6:37 Uhr und 7:26 Uhr soll der Verfolgte in der Wohnung des (Y1) „mit Absicht eines Mordes“, „die Unvermeidlichkeit des Eintritts des öffentlichen verbrecherischen Erfolges berechnet in Form vom Tod der Geschädigten, den Eintritt ihres Todes gewünscht“, zunächst durch zwei Schüsse den (Y1) und anschließend durch vier Schüsse den (Y2) getötet haben.

Nach dem Sachverständigenbericht Nr. 0807 vom 23. Mai 2005 habe (Y1) Durchschussverletzungen am Kopf mit u. a. vielzähligen Lochbrüchen der Schädeldachknochen und des Siebbeinknochens sowie eine Schädigung des Gehirns, Blutungen im Inneren der Hirnhaut, der Hirnkammern und im Gehirngewebe erlitten, darüber hinaus eine Brustverletzung links mit Streifwunde der Seitenwand der linken Herzkammer sowie eine Schädigung des Oberlappens der linken Lunge. Der Tod des (Y1) sei am Tattag am Tatort eingetreten und unmittelbare Folge der vorgenannten Verletzungen im Kopfbereich.

Nach dem Sachverständigenbericht Nr. 0808 vom 30. Mai 2005 seien bei (Y2) u. a. eine Schusswunde im Kopf, eindringend in die Schädelhöhle mit Schädigungen des Schädelgewölbes und des Gehirns, sowie innere Blutungen unter der Hirnhaut in der Hirnkammer, zwei Schussverletzungen in die linke Brusthälfte mit diversen Schädigungen der Lunge, Interkostalmuskeln und Blutgefäßen sowie eine weitere Schussverletzung im unteren Drittel des linkten Unterarms festgestellt worden. Der Tod des (Y2) sei am Tattag am Tatort eingetreten und unmittelbare Folge der vorgenannten Verletzungen im Kopf- und Lungenbereich.

Die dem Verfolgten angelasteten Taten sind ausweislich der beigefügten Abschrift des Art. 105 Abs. 2a des Strafgesetzbuchs der Russischen Föderation als Totschlag strafbar und mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu 20 Jahren oder mit Todesstrafe bedroht, wobei letztere nach Art. 59 Abs. 2.1 des Strafgesetzbuchs der Russischen Föderation gegen eine von einem ausländischen Staat zum Zweck der Strafverfolgung ausgelieferte Personen nicht verhängt wird.

Der Beschluss des Hamownitscheskiy Bezirksgerichts der Stadt Moskaus über die Auswahl der Sicherheitsmaßregel in Form der Inhaftnahme und die Ausschreibung des Verfolgten zur internationalen Fahndung durch die Hauptermittlungsabteilung des Ermittlungskomitees Russlands für die Stadt Moskau datieren vom 7. September 2005.

b) Mit dem Beschluss der Hauptermittlungsverwaltung des Ermittlungskomitees Russlands für die Stadt Moskau über die Heranziehung des Verfolgten als Beschuldigten vom 10. Mai 2006 wird dem Verfolgten des Weiteren vorgeworfen, im November 2005 das Angebot des (Z1) angenommen zu haben, gegen eine Belohnung von 150.000,00 US-Dollar den Delegierten der Staatsduma der Russischen Föderation (Z2) zu töten. In der Folgezeit soll der Verfolgte als Organisator des Vorhabens gehandelt haben. Er soll im Zeitraum von November 2005 bis Dezember 2005 (Z3), (Z4) und weitere unbekannte Personen als Mittäter einbezogen und die Funktionen und Aufgaben für die Vorbereitung und Tötung des (Z2) verteilt haben. Dem (Z1) soll der Verfolgte die Anweisung gegeben haben, das versprochene Geld an die Mittäter zu übergeben. Die Vollendung der Tat soll jedoch von den Strafverfolgungsbehörden vereitelt worden sein; in diesem Zusammenhang seien (Z1) und (Z3) am 27. Dezember 2005 festgenommen worden.

Es handele sich hierbei um einen Anschlag auf das Leben eines Staatsfunktionärs zwecks Auflösung seiner staatlichen Tätigkeit (Terrorakt) nach Art. 33, Art. 277 des Strafgesetzbuches der Russischen Föderation.

Der Beschluss des Lefortovskij Bezirksgerichts der Stadt Moskaus über die Auswahl der Vorbeugemaßnahme der Inhaftierung datiert vom 1. November 2007, der Beschluss über die Ausschreibung des Verfolgten zur internationalen Fahndung vom 18. September 2007.

3. Die Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation hat unter dem Datum des 19. August 2020 der Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz der Bundesrepublik Deutschland zugesichert, dass das Auslieferungsersuchen nicht dem Zwecke der politischen Verfolgung des Verfolgten oder der Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Volkszugehörigkeit oder politischen Überzeugung diene, dass ihm alle Verteidigungsmöglichkeiten einschließlich anwaltlichen Beistands in der russischen Föderation gewährt und er keiner grausamen, unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung unterworfen werde, mithin Art. 3 und Art. 6 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 sowie entsprechende Konventionen der Organisation der Vereinten Nationen, des Europarates und dazugehörige Protokolle Beachtung finden. Es wurde hervorgehoben, dass nach Art. 59 Abs. 2.1 des Strafgesetzbuches der Russischen Föderation keine Todesstrafe über die von einem ausländischen Staat an die Russische Föderation zwecks Strafverfolgung gemäß einem internationalen Abkommen ausgelieferte Person verhängt wird, wenn nach der Gesetzgebung des ausliefernden Staates keine Todesstrafe für dem Verfolgten vorgeworfene Straftat vorgesehen oder die Nichtverhängung der Todesstrafe eine Voraussetzung für die Auslieferung ist oder wenn keine Todesstrafe aus anderen Gründen verhängt werden darf.

In der Verbalnote vom 19. August 2020 wird weiterhin zugesichert, dass der Verfolgte im Falle seiner Auslieferung nach Russland in einer Haftanstalt untergebracht werde, die den Anforderungen der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 und den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen vom 11. Januar 2006 entspreche, und er nach der Gerichtsverhandlung bzw. – im Verurteilungsfalle – nach einer möglichen Strafvollstreckung das Hoheitsgebiet der Russischen Föderation verlassen dürfe.

Die Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation hat des Weiteren zugesichert, dass Bedienstete der deutschen Botschaft oder Konsularabteilungen in Russland den Verfolgten zur Prüfung der Einhaltung der aufgeführten Zusicherungen während seiner Inhaftierung besuchen dürfen.

Es wurde ferner zugesichert, dass deutsche Konsularbeamte bei den Gerichtsverfahren anwesend sein können und der deutschen Botschaft bzw. dem (General-) Konsulat auf Anfrage eine Kopie der rechtskräftigen endgültigen prozessualen Entscheidung übermittelt werde. Des Weiteren wurde zugesichert, dass die Verbüßung einer möglichen Strafe in einer Haftanstalt außerhalb des Föderationskreises Nordkaukasus stattfinden werde. Es wurde nochmals zugesichert, dass der Verfolgte im Falle seiner Auslieferung nach Russland in einer Haftanstalt untergebracht werde, die den Anforderungen der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 und den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen vom 11. Januar 2006 entspreche.

Des Weiteren wird dargelegt, dass der Verfolgte keine Immunität genieße, die ihn vor strafrechtlicher Verfolgung schütze, die ihm vorgeworfenen Straftaten nicht verjährt seien und er wegen der ihm mit dem Auslieferungsersuchen vorgeworfenen Straftaten bisher nicht verurteilt oder freigesprochen worden sei.

Mit der weiteren Verbalnote vom 19. Februar 2021 teilt die Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation ergänzend mit, dass im Falle einer Auslieferung des Verfolgten und einer Verurteilung zu „einer realen Freiheitsstrafe“ die Strafverbüßung außerhalb des Nordkaukasischen Föderalbezirkes in einer – wie bereits mit Verbalnote vom 18. August 2020 ausgeführt – Haftanstalt erfolgen werde, die den Anforderungen der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 und den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen vom 11. Januar 2006 entspricht. Des Weiteren werden konsularische Besuche während der Corona-Pandemie bei dem Verfolgten in Einrichtungen des Strafvollzugssystems unter der Bedingung der Einhaltung von sanitär-epidemologischen Maßnahmen (Präventivmaßnahmen), die auf die Vorbeugung der Verbreitung der neuen Corona-Infektion gerichtet sind, gewährleistet. Unter dem Datum des 11. März 2021 wird ergänzend zugesichert, dass den bevollmächtigten Angehörigen der Botschaft oder der Konsulareinrichtungen der Bundesrepublik Deutschland in der Russischen Föderation auch die Durchführung von Telefonaten mit dem Verfolgten in den Einrichtungen des russischen Strafvollzugssystems gewährleistet werde.

4. Bei seiner haftrichterlichen Vernehmung vor dem Amtsgericht Frankfurt (Oder) am 16. Juli 2020 (Az. 45 Gs 1216/20) erklärte sich der Verfolgte in Gegenwart seines Beistands, Rechtsanwalt R1 aus Frankfurt (Oder), mit seiner Auslieferung an die Russische Föderation im vereinfachten Verfahren nicht einverstanden und verzichtete auch nicht auf die Beachtung des Spezialitätsgrundsatzes. In der Sache gab er an, dass ihm die gegen ihn erhobenen Vorwürfe „gänzlich unbekannt“ seien und er damit „nichts zu tun“ habe. In der Bundesrepublik Deutschland habe er keinen Aufenthaltsort und keine weiteren sozialen Verbindungen, er sei derzeit in W… wohnhaft, gehe dort einer Tätigkeit nach; sein Wohnsitz sei in T... (Georgien), (B..., ...), eine Ausreise nach Georgien sei ihm derzeit jedoch nicht möglich.

Am 14. September 2020 wurde der Verfolgte vor dem Amtsgericht Cottbus zu dem Auslieferungsersuchen richterlich vernommen (Az. 84 Gs 87/20). Hierbei erklärte er sich in Anwesenheit seiner beiden Beistände (Rechtsanwalt R1 und Rechtsanwalt (R2) mit seiner Auslieferung an Russland erneut nicht einverstanden und verzichtete auch nicht auf die Beachtung des Spezialitätsgrundsatzes. Im Rahmen der richterlichen Vernehmung gab er unter anderem an, er und seine Familie seien „Antikommunisten“ gewesen und er werde in Russland wegen seiner Beteiligung an den Tschetschenienkriegen verfolgt. Im Jahr 2003 habe er in Georgien politisches Asyl beantragt, das ihm 2004 gewährt worden sei. Er sei unter dem Namen (X2) geboren und habe in Georgien eine neue Identität, einen neuen Namen und ein neues Geburtsdatum erhalten. Von den gegen ihn erhobenen Beschuldigungen wisse er nichts (Bd. II, 382R ff. d.A.).

5. Mit Anwaltsschriftsatz vom 17. November 2020 hat der Wahlbeistand des Verfolgten (Rechtsanwalt (R2) dem Senat die am 11. November 2020 dort eingegangenen Unterlagen des georgischen Innenministeriums mit Auszügen aus dem in Georgien betriebenen Asylverfahren des Verfolgten nebst beglaubigter Übersetzung weitergeleitet. Darin befindet sich eine durch das „Ministerium für die Flüchtlinge und Umsiedlung Georgiens“ durch den „Stellvertretenden Minister I… G…“ unterschriebene „Bescheinigung“ vom 19. Juli 2007, in der es heißt: „Bescheinigung. Wird Herrn (X5), Vatersname (… geb. …) darüber ausgestellt, dass er in Georgien als eine Person mit dem Status eine[s] Flüchtling[s] eingetragen wird. Ausweis der Flüchtlinge N 90015-01. Die Bescheinigung gilt während 4 (vier) Monate“ (Bd. III, Bl. 642, 749 d.A.).

In dem „Formular eines Asylbewerbers“ vom 21. März 2007 ist bei den Angaben zur Person unter Ziffer „4. Staatsangehörigkeit“ „Russland“ und unter Ziffer „5. Herkunftsland“ „Dagestan“ eingetragen. Keine Eintragungen finden sich zu Ziffer „17. Wurden Sie in einem Militärdienst gerufen?“, zu Ziffer „18. Haben Sie an Militärstreite teilgenommen?“, zu Ziffer „19. Sind Sie Mitglied einer politischen Gesellschaft oder Partei (Helfer, assoziiertes Mitglied)?“, zu Ziffer „20. Können Sie die Tätigkeit beschreiben? Haben Sie allein gehandelt oder standen Sie unter der Koordinierung?)“ und zu Ziffer „21. Wo waren Sie tätig [...]?“ (deutsche Übersetzung Bd. III, 756).

Unter Ziffer „29. Ursachen zum Verlassen von Herkunftsstaat“ ist angegeben: „Wegen der Unordnung im Staat wurde seinen Bruder von russische Militärdienste vor 2 Monate, aber nach 1. Monat er selbst – (X5) – weggeführt. Aber nach dem Schlagen und Beleidigen wurde er freigelassen. Der Bruder ist bis heute verloren. Die Ursache bestand nur darin, dass die russischen Militärdienenden eine Liste haben, darunter die Personen eingeführt sind, die ideologisch gegen Russen zugestimmt sind. Danach hat die Familie eine große Angst und nach dem Empfehlen der Mutter hat er eigenen Staat verlassen. […]“. (deutsche Übersetzung Bd. III, 756 f.).

In den „Materialien über das Gespräch mit einem Asylbewerber“ (X5) vom 27. Juni 2007 ist unter Ziffer „6. Bitte erzählen Sie über Ihre Tätigkeit in Russland“ folgendes ausgeführt: „[Er] ist Sportler, hat nach dem Schulabschluss nicht gearbeitet. Als in Tschetschenien mit einem Streit angefangen wurde, hat man sein Bruder, aber danach er selbst mehrmals weggeführt, er wurde geschlagen, körperlich beleidigt, die Russen zeigten ihm eine Liste, wo die Personen eingetragen wurden, die ideologisch gegen Russen standen.“ Unter Ziffer „7. Ab welchem Jahr haben Sie Probleme und woran bestehen sie?“ ist angegben: „Als mit dem Streit angefangen wurde, hat Herr (X5) immer Probleme, aber besonders Ende 2006 und Anfang 2007 standen russische Truppen gegen ihn. Die Soldaten verlangen Umzug auf ihre Seite und Kampf gegen Tschetschenien.“ Bei Ziffer „9. Wer und wo sind Ihre Eltern?“ ist ausgefüllt: „Die Eltern befinden sich in Dagestan. Der Vater arbeitet auf dem Markt, die Mutter ist Hausfrau.“ (deutsche Übersetzung Bd. III, Bl. 764).

6. a) Die Generalstaatsanwaltschaft hat unter dem 30. November 2020 beantragt, die Auslieferung des Verfolgten zum Zwecke der Strafverfolgung hinsichtlich der in dem Fahndungs- und Festnahmeersuchen vom 4. August 2017 dargelegten Straftaten für zulässig zu erklären.

b) Hierauf hat der Verfolgte über seinen Beistand (Rechtsanwalt (R2) mit Schriftsatz vom 21. Dezember 2020 ausgeführt, seine Angaben zu seinem Asylverfahren in Georgien seien in Übereinstimmung mit dem Geheimdienst Georgiens erfolgt. Da er „nunmehr akzeptieren“ müsse, dass diese „nicht ausreichend“ seien, „erklärt er“, dass er gemeinsam mit dem durch russische Agenten am 18. August 2019 im „K… B… T…“ ermordeten (Z5) (alias (Z6) für den georgischen Geheimdienst gearbeitet habe. Er habe bereits im ersten Tschetschenienkrieg unter Kompanieführer „(Z7)“ (phonetisch) gekämpft und habe die späteren Präsidenten (Z8) und (Z9) kennengelernt. Seine Schwester habe den saudischen General „(Z11) geheiratet, der den Tschetschenen zur Unterstützung gesandt worden sei; schon aus diesem Grund habe der Verfolgte und seine Familie unter „Beobachtung“ der „russischen Abwehr“ gestanden. Des Weiteren heißt es in dem Anwaltsschriftsatz vom 21. Dezember 2020, dass der Verfolgte „im Besitz von Informationen“ zur Ermordung des (Z5) sei. Der Verfolgte sei bereit, diese dem Bundesnachrichtendienst mitzuteilen. Hierdurch könnten die Hintergründe des derzeit vor dem Berliner Kammergericht verhandelten Verfahrens gegen den russischen Attentäter aufgeklärt werden. Führungsoffiziere des Verfolgten bei dem georgischen Geheimdienst sollen die Herren (Z12) und (Z13) gewesen sein. Schließlich wird angekündigt, dass die Ehefrau und die Schwester des Verfolgten „über den Jahreswechsel“ „Dokumente und Videos“ zusammenstellen würden, die die vorgenannten Ausführungen stützen und bestätigen würden.

c) Der Senat hat daraufhin mit Beschluss vom 23. Dezember 2020 unter Anordnung der Fortdauer der Auslieferungshaft die Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung des Verfolgten zur weiteren Sachaufklärung zurückgestellt, um den Beiständen des Verfolgten die Möglichkeit einzuräumen, den neuen Sachvortrag zur Tätigkeit des Verfolgten für den georgischen Geheimdienst zu ergänzen, und um der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg ebenfalls eine weitere Sachaufklärung und ergänzende Stellungnahme zu ermöglichen.

aa) Bereits unter dem 22. Dezember 2020 hatte die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg dem Generalbundesanwalt den Schriftsatz des Beistandes des Verfolgten vom 21. Dezember 2020 übermittelt mit der Bitte, etwaige Erkenntnisse über eine Tätigkeit des Verfolgten für den georgischen Geheimdienst mitzuteilen. Den Hintergrund hierfür bot auch eine Erklärung des Verfolgten in seiner richterlichen Vernehmung vor dem Amtsgericht Cottbus am 14. September 2020 des Inhalts, einer seiner Kameraden in den Tschetschenienkriegen, (Z5), habe ebenfalls Asyl in Georgien erhalten und sei „in Berlin von den Russen erschossen“ worden. Deshalb wolle das Bundeskriminalamt ihn, den Verfolgten, in dem Verfahren gegen (Z14), dem der Mord an (Z5) vorgeworfen werde, als Zeugen vernehmen. Maßgeblich sei die Frage, ob dem Verfolgten im Falle seiner Auslieferung an die Russische Föderation politische Verfolgung drohe.

Mit Schreiben vom 23. Dezember 2020 teilte der Generalbundesanwalt mit, das Bundeskriminalamt mit der Steuerung von Erkenntnisanfragen an die deutschen Nachrichtendienste und der Einholung einer vorläufigen Bewertung durch den Verbindungsbeamten des Bundeskriminalamts in Tiflis beauftragt zu haben.

bb) Unter dem Datum des 12. Januar 2021 übermittelte der Beistand des Verfolgten dem Senat notariell beglaubigte Erklärungen der Schwester und der Ehefrau des Verfolgten. In der halbseitigen Erklärung der Schwester des Verfolgten heißt es in deutscher Übersetzung:

„Ich, M B, […] wurde am 1980 […] in Dagestan geboren [...]. 1996 habe ich Herrn „(Z10)“, s.g. SSA aus Saudi Arabien geheiratet, wohnhaft damals in Tschetschenien, er hat gegen russische Aggression, auch gegen russische Truppen in Afghanistan gekämpft. […] Mein Ehemann war ein genereller und berühmter Führer und galt als erster Feind für die russischen Sonderämter, meinen Bruder (X2) war in einer engen und verwandtschaftlichen Verbindung mit meinem Ehemann und besaß auch viele wichtige Informationen. Russische Sonderdienste verfolgen ihn immer noch. Seit so vielen Jahren sind wir mit diesem Problem konfrontiert und werden nicht in Ruhe gelassen. Im Fall seines Umzugs nach Russland, wird er gefoltert und getötet.“ (Bd. III, Bl. 832 d.A.).

Die Erklärung der Ehefrau des Verfolgten lautet in deutscher Übersetzung:

„Ich bin Staatsangehörige von Georgien G S… ([…]. Über 15 Jahre [bin] ich mit Herrn (X1) geheiratet […]. Er ist eine ordentliche Person und ausgezeichnete Ehemann und Vater. Während unseres Zusammenlebens hatten wir in mehreren Staaten viele Probleme gekriegt. Die Probleme - die uns kein normales Leben bietet, die uns viele Jahren nachfolgen. Und dieses Problem nennt man - Russland! Meinen Ehemann nahm an Kriegshandlungen in Tschetschenien teil. Er ist eine Person, die seine Heimat sehr mag und hat sie auf Kosten seines Lebens verteidigt.

Er hat ganz viele Verwandte und Bekannte, hat auch das Haus verloren, [er] hat alles gesehen, was wir uns nicht vorstellen können! Er wurde schwer verletzt, was sich immer noch auf seine Gesundheit auswirkt. […] Eine große Rolle in diesem Krieg hat ein [...] Führer namens „(Z10)“, berühmter Führer durch ganze Welt, gespielt. Wer offen und würdevoll gegen die russische Aggression kämpfte, sein persönliches Ziel bestand an Wladimir Putin. „(Z10)“ ist [der] Ehemann von [der] Schwester [des] [(X1)]. Zwischen uns bestand eine enge verwandtschaftliche Verbindung. (Z10) wurde von russischem Sonderdienste getötet, denn sie ihm einen vergifteten Brief schickten. (X1) war über 20 Jahre ein enger Freund von (Z5), den Russland während vieler Jahre verfolgte und sein Leben wegnahm. […] Die russischen Sonderdienste bestrafen mit allen schmutzigen Methoden diejenigen, die gegen sie waren. […]

(X1) besitzt viele Informationen und deswegen wird er durch russische Sonderdienste verfolgt. (X1) hatte solche Probleme auch in der Türkei gehabt, Saudi Arabien und diese Staaten haben ihn nicht an Russland transferiert.“ (Bd. III, Bl. 829 R d.A.).

„Dokumente und Videos“ - wie im Anwaltsschriftsatz vom 21. Dezember 2020 angekündigt - waren den Erklärungen nicht beigefügt.

cc) Am 10. Februar 2021 wurde der Verfolgte in der Hauptverhandlung gegen (Z14) wegen Mordes an (Z5) durch das Berliner Kammergericht zeugenschaftlich vernommen und unter anderem zu seiner Beziehung zu dem Tatopfer und zu seiner Behauptung, für den georgischen Geheimdienst gearbeitet zu haben, befragt. Konkrete Angaben machte der Verfolgte ausweislich eines Aktenvermerks der sachbearbeitenden Oberstaatsanwältin bei der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg vom 11. Februar 2021, die als Zuschauerin an der Sitzung teilgenommen hatte, nicht, auch nicht zu Informationen, über die das Tatopfer und der Verfolgte verfügt haben sollen und die zu der Ermordung des (Z5) und zu seiner Verfolgung geführt hätten.

In dem den Beiständen des Verfolgten übermittelten Aktenvermerk der die Auslieferungssache bearbeitenden Oberstaatsanwältin der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg heißt es:

„Die Unterzeichnerin nahm an der Sitzung des 2. Strafsenats des Kammergerichts am 10. Februar 2021 in der Strafsache gegen (Z14) wegen Mordes im Kriminalgericht Berlin Moabit teil, in der der Verfolgte als Zeuge vernommen worden ist. Der Verfolgte wurde unter anderem über seine Beziehung zu dem Tatopfer (Z5) sowie zu seiner Behauptung, für den georgischen Geheimdienst gearbeitet zu haben und über Informationen zu verfügen, die zum Tod des Tatopfers geführt hätten, befragt. Die Vernehmung erbrachte für das Auslieferungsverfahren keine neuen Erkenntnisse. Die Ausführungen des Verfolgten waren sehr allgemein gehalten. Konkrete Angaben zu seiner Tätigkeit beim georgischen Geheimdienst oder zu Informationen, die für die Frage einer etwaigen politischen Verfolgung in Russland oder als Tatmotiv für die Tötung des (Z5) relevant sein könnten, machte er nicht.“ (Bd. III, Bl. 844 d.A.).

Auch der Wahlbeistand des Verfolgten (Rechtsanwalt (R2) schreibt in seinem Anwaltsschriftsatz vom 12. Februar 2021 von einer „unergiebigen Vernehmung des Verfolgten beim Kammergericht“.

dd) Am 12. Februar 2021 übersandte der Generalbundesanwalt die ihm von dem Verbindungsbeamten des Bundeskriminalamts in Tiflis übermittelte Erkenntnismitteilung des Anti-Terrorzentrums des georgischen Sicherheitsdienstes (State Security Service of Georgia, kurz: SSSG) vom 28. Januar 2021 zu den dort vorliegenden belegbaren Informationen über den Verfolgten bzgl. über die Aktivitäten des Mordopfers (Z5). Danach sei der Verfolgte zum ersten Mal im Jahr 2006 „als Dagestanischer Staatsangehöriger der Russischen Föderation“ vom georgischen Sicherheitsdienst beobachtet worden. Er habe im September 2006 mit gefälschten Papieren von der Türkei aus die Grenze nach Georgien übertreten und sei zunächst festgenommen worden. Nach seiner Freilassung habe er in Georgien Asyl beantragt mit der Begründung, seine Familie und er würden durch die Sonderdienste der Russischen Föderation verfolgt. Sein Bruder und er seien entführt worden, er selbst sei freigelassen worden, sein Bruder werde nach wie vor vermisst. Im Jahr 2007 habe der Verfolgte eine befristete Aufenthaltsgenehmigung für Georgien erhalten, im Jahr 2011 die georgische Staatsangehörigkeit. Im Mai 2012 sei er auf dem Flughafen von Saudi-Arabien auf der Grundlage einer Fahndung der Russischen Föderation wegen Teilnahme an terroristischen Aktivitäten festgenommen, aufgrund unzureichender Beweise aber wieder freigelassen worden. Nach seiner Rückkehr nach Georgien habe er offiziell seinen Nachnamen geändert und sich mit demjenigen seiner Ehefrau „angemeldet“. Danach sei er „systematisch“ in die VAE, nach Katar und in die Ukraine gereist. Über eine Zusammenarbeit mit den Führungsoffizieren des georgischen Geheimdienstes sei nichts bekannt. Die genannten Beamten (Z13) und (Z12) seien seit 2012 nicht mehr „bei den Strafverfolgungsbehörden“ tätig.

ee) Nach einem Schreiben des Bundeskriminalamtes an das Landeskriminalamt Brandenburg vom 4. Januar 2021 könnte es sich bei den von dem Verfolgten benannten „(Z7)“ und „(Z10)“ um die allgemein bekannten Führer im Tschetschenienkrieg (Z15) und (Z16) handeln, die von russischer Seite als Terroristen eingestuft werden. Die weiteren von dem Verfolgten genannten (Z8) und (Z9) seien als ehemalige Präsidenten der nicht anerkannten Republik Tschetschenien allgemein bekannt. Alle vier genannten Personen seien nicht mehr am Leben. Bei der Person (Z13) könne es sich um den früheren stellvertretenden Innenminister Georgiens (Z13) handeln und bei dem Führungsoffizier (Z12) um (… Z12), der laut einer Interpol-Fahndungsnotierung der Russischen Föderation als Offizier im Anti-Terror-Zentrum des georgischen Innenministeriums gearbeitet haben solle. Informationen über eine zeitgleiche Kooperation des Verfolgten mit den georgischen Sicherheitsbehörden wie bei dem getöteten (Z5) lägen jedoch dem Bundeskriminalamt nicht vor.

7. Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat am 18. Februar 2021 die Verfahrensakten unter Aufrechterhaltung ihres Antrags vom 30. November 2020, die Auslieferung des Verfolgten an Russland für zulässig zu erklären und die Fortdauer der Auslieferungshaft anzuordnen, an das Brandenburgische Oberlandesgericht übersandt. Denn nach den vom Generalbundesanwalt veranlassten diversen Erkenntnisanfragen habe sich die Behauptung des Verfolgten, für den georgischen Geheimdienst gearbeitet zu haben, nicht bestätigt.

8. Der Senat hat mit Beschluss vom 22. Februar 2021 die Fortdauer der Untersuchungshaft beschlossen und den Beiständen des Verfolgten Gelegenheit zur Stellungnahme und zugleich rechtliches Gehör zu dem erneuten Antrag der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg gegeben.

Mit Anwaltsschriftsatz (Rechtsanwalt R2) vom 4. März 2021 trug der Verfolgte unter Vorlage einer E-Mail des georgischen Konsulats in Berlin vom 25. Februar 2021 vor, dass den zuständigen georgischen Behörden keine Erkenntnisse über Grenzübergänge (Ein- und Ausreise) des Verfolgten über die georgische Staatsgrenze im April 2005, dem angeblichen Tatzeitraum, vorliegen würden. Mit weiterem Schriftsatz seines Beistands vom 18. März 2021 regt der Verfolgte an, (Z13), der offenbar im Strafverfahren vor dem Berliner Kammergericht gegen (Z14) als Zeuge gehört werden soll, hinsichtlich einer Zusammenarbeit mit dem Verfolgten zu befragen.

Unter dem Datum des 12. April 2021 hat die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg dem Senat die Anfrage des Bundeskiminalamtes an das Bundesamt für Verfassungsschutz und an den Bundesnachrichtendienst vom 28. Dezember 2020 sowie einen Vermerk des Bundeskriminalamtes vom 8. April 2021 über die Erkenntnisse Bundesamtes für Verfassungsschutz übermittelt. Danach werden die Angaben des Verfolgten zu den Personen (Z13), „(Z7)“, „(Z10)“ (Z16) als „überwiegend korrekt“ beschrieben, wobei sie zum Teil um Geburtsdatum, Geburtsort, Todesort, Todesdatum ergänzt werden. Jedoch wird hervorgehoben, dass es sich hierbei nicht um ein Exklusivwissen des Verfolgten handele, vielmehr seien die Informationen des Verfolgten „aufgrund der guten offen zugänglichen Quellen zu den historischen Entwicklungen in der russischen Republiken im Nordkaukasus“ von jedem daran Interessieren zu gewinnen (S. 2 Vermerk vom 8. April 2021, Bd. IV, 1072 d.A.). Hinsichtlich des (Z12) lägen keine Erkenntnisse vor.

Die vorgenannten Unterlagen wurden den Beiständen durch richterlicher Verfügung vom 12. April 2021 zur Kenntnisnahme mit dem Vermerk übermittelt, dass eine Entscheidung des Senats über die Zulässigkeit der Auslieferung des Verfolgten in der 16. Kalenderwoche zu erwarten sei.

Ebenfalls unter dem Datum des 12. April 2021 bittet der Wahlbeistand des Verfolgten (Rechtsanwalt (R2) die für den 27. April 2021 vor dem Berliner Kammergericht avisierte Vernehmung des Zeugen (Z13) abzuwarten, der Zeuge könne „für das hiesige Verfahren entscheidungserhebliche Informationen liefern“ (S. 2 Anwaltsschriftsatz vom 12. April 2021, Bd. IV, 1079 d.A.).

II.

Der Senat entscheidet gemäß dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg. Die Auslieferung des Verfolgten (X1) an die Russische Föderation zum Zwecke der Strafverfolgung wegen der Taten, die in den im Tenor genannten Beschlüssen des Bezirksgerichts Lefortovskij der Stadt Moskau vom 01. November 2007 (Strafsache Nr. 288) in Verbindung mit dem Beschluss der Hauptuntersuchungsverwaltung FSB Russlands vom 10. Mai 2006 und des Hamownitschskiy Bezirksgerichts der Stadt Moskau vom 07. September 2005 (Strafsache Nr. 320070) in Verbindung mit dem Beschluss der Ermittlungsabteilung für besonders wichtige Angelegenheiten der Untersuchungsverwaltung des zentralen Verwaltungsbezirks Moskau vom 03. August 2020 bezeichnet sind, ist zulässig.

1. Der Auslieferungsverkehr mit der Russischen Föderation richtet sich nach dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 (EuAlÜbk) in Verbindung mit dem 2. Zusatzprotokoll vom 17. März 1978, wobei die Auslieferungsersuchen auf dem Geschäftsweg zwischen dem Bundesamt für Justiz einerseits und der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation andererseits zu übermitteln sind (Anlage II Länderteil zur RiVASt).

2. Mit Schreiben vom 19. August 2020 an das Bundesministerium der Justiz hat die Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation um die Auslieferung des Verfolgten ersucht. Dem Auslieferungsersuchen waren die nach Art. 12 Abs. 2 EuAlÜbk, Art. 5 des 2. ZP erforderlichen Unterlagen beigefügt. Sie betreffen insbesondere die Beschlüsse der Hauptermittlungsverwaltung des Ermittlungskomitees Russlands für die Stadt Moskau vom 10. Mai 2006 und 03. August 2020, den Verfolgten als Beschuldigten zur Verantwortung zu ziehen, die Entscheidung über die Auswahl der Vorbeugungsmaßnahme der Inhaftierung des Bezirksgerichts Lefortovskij der Stadt Moskau vom 01. November 2007, die Anordnung über die Auswahl der Sicherheitsmaßregel in Form von Inhaftnahme der Hauptermittlungsverwaltung des Hamovnicheeskii Bezirksgerichts der Stadt Moskau vom 07. September 2005, die Anordnung der Ausschreibung des Verfolgten zur internationalen Fahndung durch die Zwischenbezirksstaatsanwaltschaft der Stadt Moskau vom 07. September 2005 und den Beschluss über die Ausschreibung zur internationalen Fahndung der Hauptermittlungsverwaltung des Ermittlungskomitees Russlands für die Stadt Moskau vom 18. Mai 2006, den Beschluss der 3. Abteilung der operativen Fahndungsverwaltung Russlands über die Ausschreibung des Verfolgten zur internationalen Fahndung vom 18. September 2007, den Beschluss der Untersuchungsverwaltung Russlands über die Heranziehung als Beschuldigten vom 10. Mai 2006 sowie die amtliche Übersetzung folgender Bestimmungen des Strafgesetzbuches der russischen Föderation: Art. 15 (Kategorien der Verbrechen), Art. 33 (Arten der Mittäter an einem Verbrechen), Art. 78 (Befreiung von der strafrechtlichen Verantwortlichkeit im Zusammenhang mit Erlöschen der Verjährungsfrist), Art. 105 (Totschlag) und Art. 277 (Anschlag auf das Leben einer Staats- bzw. Gesellschaftsperson).

Der Inhalt der dem Ersuchen beigefügten Unterlagen entspricht hinsichtlich der Tatvorwürfe im Wesentlichen dem Inhalt des auf dem Interpolweg übermittelten Fahndungs- und Festnahmeersuchens.

Zweifel an der Authentizität der vorgelegten Dokumente bestehen nicht.

Die Auslieferungsunterlagen belegen schlüssig die gegen den Verfolgten erhobenen Tatvorwürfe. Die in den Beschlüssen der Hauptermittlungsverwaltung des Ermittlungskomitees Russlands für die Stadt Moskau vom 10. Mai 2006 und 03. August 2020 über die Heranziehung des Verfolgten als Beschuldigten enthaltenen Sachverhaltsdarstellungen geben hinreichende Auskunft über Tatzeit (16. April 2005 zwischen 06.37 Uhr und 07.26 Uhr und November bis Dezember 2005), Tatort (Wohnung Nr. … des Hauses Nr. …/… in der Straße B… P…, M…) und Tatbeitrag (Abfeuern von insgesamt sechs Schüssen auf die beiden Tatopfer (Y1) und (Y2) sowie Verabredung zur Ermordung des (Z2) der Taten, die dem Verfolgten vorgeworfen werden.

3. Die Auslieferungsfähigkeit gemäß Art. 2 Abs. 1 EuAlÜbk ist zu bejahen.

a) Beiderseitige Strafbarkeit ist gegeben. Die dem Verfolgten vorgeworfenen Straftaten sind nach Art. 105 Abs. 2a des Strafgesetzbuchs der Russischen Föderation und § 212 StGB (Totschlag) sowie nach Art. 33 Abs. 3, 277 des Strafgesetzbuchs der Russischen Föderation (Organisation eines Anschlags auf das Leben einer Staatsperson) und §§ 30 Abs. 2, 212 StGB (Verabredung eines Verbrechens des Totschlags) sowohl in der Russischen Föderation als auch in der Bundesrepublik Deutschland strafbar.

b) Die dem Verfolgten vorgeworfenen Handlungen sind sowohl nach russischem als auch nach deutschem Recht mit einer Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens einem Jahr oder einer schwereren Strafe bedroht. Der dem Verfolgten angelastete Totschlag zweier Personen ist nach Art. 105 Abs. 2a des Strafgesetzbuchs der Russischen Föderation mit Freiheitsstrafe von acht bis 20 Jahren oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit Todesstrafe bedroht, wobei – wie oben erwähnt – nach Art. 59 Abs. 2.1 des Strafgesetzbuches der Russischen Föderation keine Todesstrafe über die von einem ausländischen Staat an die Russische Föderation zwecks Strafverfolgung gemäß einem internationalen Abkommen ausgelieferte Person verhängt wird, wenn - wie im vorliegenden Fall - nach der Gesetzgebung des ausliefernden Staates keine Todesstrafe für die dem Verfolgten vorgeworfene Straftat vorgesehen ist. Nach deutschem Recht wird der Totschlag gemäß § 212 Abs. 1 StGB mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren geahndet. Der Tatvorwurf der Organisation eines Angriffs auf das Leben einer Staatsperson ist nach Art. 33 Abs. 3, 277 des Strafgesetzbuchs der Russischen Föderation mit Freiheitsentzug zwischen zwölf und zwanzig Jahren, lebenslanger Freiheitsstrafe oder Todesstrafe bedroht. Nach deutschem Recht wird die Verabredung zu einem Verbrechen des Totschlags mit Freiheitsstrafe zwischen zwei Jahren und elf Jahren und drei Monaten bestraft, §§ 30 Abs. 1 und 2, 212 Abs. 1, 49 Abs. 1 StGB.

4. Die Prüfung eines hinreichenden Tatverdachts findet im Auslieferungsverkehr nach dem EuAlÜbk grundsätzlich nicht statt (vgl. § 10 Abs. 2 IRG; siehe BVerfG, Beschluss vom 28. Juli 2016, 2 BvR 1468/16, zit. n. juris, dort Rn. 54). Dies beruht auf dem Grundgedanken, dass gemäß Art. 1 EuAlÜbk die Vertragsparteien grundsätzlich völkerrechtlich verpflichtet sind, einander die Personen auszuliefern, die von den Justizbehörden des ersuchenden Staates wegen einer strafbaren Handlung verfolgt werden. Eine Prüfung des Tatverdachts ist daher nur dann zulässig und geboten, wenn und soweit hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der ersuchende Staat seinen Anspruch auf Auslieferung missbräuchlich geltend macht, oder die besonderen Umstände des Falls befürchten lassen, dass der Verfolgte im Fall seiner Auslieferung einem Verfahren ausgesetzt wäre, das gegen unabdingbare, von allen Rechtsstaaten anerkannte Grundsätze und damit gegen den völkerrechtlich verbindlichen Mindeststandard im Sinne des Art. 25 GG verstoßen würde, und die Tatverdachtsprüfung darüber Aufschluss geben kann (BGH, Beschluss vom 15. März 1984, 4 ARs 23/83, zit. n. juris; BGHSt 32, 314; BGH NStZ-RR 2006, 149; Schomburg in: Schomburg/Lagodny, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 6. Auflage, zu Art. 1 EuAlÜbk, Rn. 7).

Derartige Anhaltspunkte liegen hier angesichts der ausführlichen und detaillierten Tatbeschreibung in den Bezugsbeschlüssen nicht vor; Anlass für eine Tatverdachtsprüfung ist nicht gegeben. Die in den auf diplomatischem Weg übermittelten Unterlagen beschriebenen Sachverhalte betreffen offensichtlich Kriminalstraftaten und lassen Rückschlüsse auf eine politische Verfolgung nicht zu.

Zudem bietet die pauschale, nicht mit belegbaren näheren Informationen untersetzte Behauptung des Verfolgten, die Vorwürfe dienten lediglich dazu, ihn wegen seiner Beteiligung an den Tschetschenienkriegen oder wegen seiner Tätigkeit für den georgischen Geheimdienst zu verfolgen, keinen Anlass für eine solche Prüfung. Konkrete Tatsachen, die seine Behauptung einer politischen Verfolgung belegen könnten, benennt der Verfolgte – trotz mehrfacher Aufforderung – nicht, sie sind auch sonst nicht ersichtlich. Seine Angaben bleiben durchweg im Allgemeinen verhaftet und lassen greifbare Anhaltspunkte für Aktivitäten im Tschetschenienkrieg und für die behauptete Tätigkeit für den georgischen Geheimdienst vermissen.

So konkretisierte der Verfolgte beispielsweise seine Angaben anlässlich seiner Zeugeneinvernahme am 10. Febraur 2021 - wie oben ausgeführt - im Verfahren vor dem Berliner Kammergericht im Kriminalgericht Berlin-Moabit gegen (Z14) wegen Mordes an dem georgischen Asylbewerber (Z5) nicht. Auch aus der Erkenntnismitteilung des Verbindungsbeamten des Bundeskriminalamts in Tiflis ergibt sich kein konkreter Anhaltspunkt für eine missbräuchliche Nutzung der Auslieferungsregelungen durch die ersuchende Russische Föderation. Über welche Informationen der Verfolgte verfügt, die Grund für seine Verfolgung und Grund für die - dann staatlicherseits veranlasste - Ermordung des (Z18) gewesen seien, berichtet der Verfolgte trotz mehrfacher Ankündigung durch seinen Beistand nicht und bezieht sich auch nicht auf eine etwaige Schweigepflicht. Zudem bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass eine Tatverdachtsprüfung im vorliegenden Auslieferungsverfahren ein etwaiges missbräuchliches Vorgehen der Russischen Föderation aufdecken könnte.

Auch die oben unter I 6 c) bb) wiedergegebenen Erklärungen der Schwester und der Ehefrau des Verfolgten kommen über Allgemeinplätze nicht hinaus und lassen jegliche Konkretisierung für eine Tätigkeit des Verfolgten im Tschetschenienkrieg oder für den georgischen Geheiimdienst vermissen.

Die oben unter I 5. zitierten Angaben des Verfolgten im vermeintlichen Asylverfahren in Georgien enthalten ebenfalls keine konkreten Angaben des Verfolgten, die auf eine politische Verfolgung durch die Russische Föderation schließen lassen könnten. Hier kommen widersprüchliche Angaben des Verfolgten hinzu. Während er bei seiner richterlichen Vernehmung vom dem Amtsgericht Cottbus am 14. September 2020 angegeben hatte, schon im Jahr 2003 politisches Asyl in Georgien beantragt und im Jahr 2004 erhalten zu haben (Bd. II, 383 d.A.), ergibt sich aus den mit Anwaltsschriftsatz vom 17. November 2020 vorgelegten Unterlagen, dass dies erst im Jahr 2007 der Fall gewesen sei.

Auch die Angaben des Verfolgten zu den Personen (Z15) („Z7“), („Z10)“, (Z13), (Z12), (Z8) und (Z9) beinhalten nach Auffassung des Bundesamtes für Verfassungsschutz und des Bundeskriminalamtes kein Exklusivwissen, sondern es handelt sich lediglich um allgemein zugängliche Informationen. Hinsichtlich des (Z16) ergibt sich dies beispielsweise aus dem Wikipedia-Beitrag im Internet (siehe: https://... ), dem u.a. umfangreiche Informationen zu seiner Rolle in den beiden Tschetschenienkriegen und Ermordung am 19./20. März 2002 durch einen mit Nervenmittel vergifteten Brief enthält. Das gleiche gilt beispielsweise auch für (Z15) („(Z7)“) (siehe: https://...).

Da hier insgesamt keine Veranlassung für eine Verdachtsprüfung gegeben ist, ist von dem Grundsatz auszugehen, dass die Staaten in Auslieferungssachen grundsätzlich untereinander vertrauen können (vgl. BVerfG NStZ 2006, 149).

5. Auslieferungshindernisse liegen nicht vor.

a) Die Auslieferung wird nach Art. 10 EuAlÜbk nicht bewilligt, wenn nach den Rechtsvorschriften des ersuchenden oder des ersuchten Staates die Strafverfolgung oder Strafvollstreckung verjährt ist. Vorliegend ist hinsichtlich der dem Verfolgten vorgeworfenen Tat weder nach deutschem noch nach russischem Recht Verjährung eingetreten.

aa) Für das Recht des ersuchenden Staates folgt dies aus Art. 15 Abs. 5, 78 Abs. 1 lit. d), Abs. 3, 105 Abs. 2 des Strafgesetzbuchs der Russischen Föderation. Danach beträgt die Verjährungsfrist für Totschlag und für Anschlag auf das Leiben einer Staats- bzw. Gesellschaftsperson jeweils 15 Jahre. Der Verlauf der Verjährung wird jedoch „gehemmt“, wenn die Person, die das Verbrechen beging, flüchtig ist (Art. 78 Abs. 3 des Strafgesetzbuches der Russischen Föderation). Mit der Festnahme („Arrestation oder Selbstanklage“) des Beschuldigten beginnt die Verjährungsfrist von neuem zu laufen. Der Verfolgte soll im April 2005 bzw. Dezember 2005 vom Tatort in Moskau geflohen sein. Erst am 15. Juli 2020 führte seine internationale Fahndungsausschreibung zur Festnahme, Verjährung tritt sonach frühestens 2032 ein.

bb) Gemäß deutschem Recht verjährt Totschlag nach 20 Jahren, § 78 Abs. 3 Nr. 2 StGB, die seit Tatbegehung im April 2005 und November/Dezember 2005 noch nicht vergangen sind – Verjährung tritt nach deutschem Recht frühestens 2025 ein.

b) Ferner besteht kein Auslieferungshindernis wegen einer politischen Tat oder militärischen Tat oder wegen einer Zusammenhangstat zu einer solchen, Art. 3 Abs. 1 EuAlÜbk.

Die strafbaren Handlungen, wegen derer die Auslieferung des Verfolgten begehrt wird, sind nicht als solche zu bewerten. Das gilt auch für den Vorwurf, gemäß Art. 277 des Strafgesetzbuchs der Russischen Föderation in der Absicht der Beendigung dessen staatlicher Tätigkeit einen Angriff auf einen staatlichen Funktionär organisiert zu haben. Für die Bewertung ist der politische Gehalt der Tat maßgeblich, der sich vorrangig aus der Art und Weise ihrer Begehung sowie aus der Natur der angegriffenen Rechtsgüter ableiten lässt. Danach ist ein unmittelbarer Angriff auf den Bestand oder die Sicherheit eines Staates einschließlich dessen wesentlicher Funktionen und Institutionen erforderlich. Überwiegt der kriminelle Charakter einer Tat deren politische Zielrichtung, handelt es sich nicht um ein politisches Delikt (BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989, 2 BvR 502/86, BVerfGE 80, 315; OLG Rostock, Beschluss vom 16. Februar 2018 - 20 OLGAusl 37/17, zit. n. juris, dort Rn. 16). Zudem wurde mit dem Europäischen Übereinkommen vom 27. Januar 1977 zur Bekämpfung des Terrorismus (EuTerrÜbk) und dem dazu am 15. Mai 2003 ergangenen Zusatzprotokoll (ZP-EuTerrÜbk) festgelegt, dass in Auslieferungsverfahren zwischen den Vertragsstaaten, zu denen sowohl die Russische Föderation als auch die Bundesrepublik Deutschland zählen, keine der darin enumerativ aufgezählten Straftaten als politische Tat oder als eine mit einer politischen Tat zusammenhängende oder als eine auf politischen Beweggründen beruhende Straftat angesehen wird. Zu den in Art. 1 EuTerrÜbk in der Fassung von Art. 1 ZP-EuTerrÜbk genannten Straftaten gehören unter anderen schwere Angriffe auf das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder die Freiheit völkerrechtlich geschützter Personen einschließlich Diplomaten. Ungeachtet der Frage, ob hier das Tatopfer - Mitglied der russischen Staatsduma - als völkerrechtlich geschützte Person im Sinne des Übereinkommens anzusehen ist, überwiegt bei der dem Verfolgten vorgeworfenen Tat aufgrund des besonders schweren Vorwurfs der Verabredung eines Totschlags der allgemeinkriminelle Charakter.

Anderes ergibt sich entgegen der Auffassung des Verfolgten auch nicht aus dem Schreiben der Botschaft der Russischen Föderation vom 03. August 2020. Soweit darin berichtet wird, dass gegen den Verfolgten auch wegen der Teilnahme an terroristischen Tätigkeiten im Nordkaukasus und der Beteiligung am Beschuss des Gebäudes des FSB-Innenministeriums in Machatschakala/Dagestan im Jahr 2004 Ermittlungen geführt werden, sind diese Vorwürfe nicht Gegenstand des vorliegenden Auslieferungsersuchens. Eine hierauf bezogene Strafverfolgung des Verfolgten ist wegen der von den russischen Behörden abgegebenen Zusicherung der Spezialität ausgeschlossen. Anlass, an der Belastbarkeit dieser Zusicherung zu zweifeln, besteht nicht.

c) Ernstliche Gründe dafür anzunehmen, dass der Verfolgte politisch verfolgt wird, bestehen nicht (Art. 3 Abs. 2 EuAlÜbk). Es besteht – wie die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg in ihren Stellungnahmen vom 30. November 2020 und vom 18. Februar 2021 ausführlich dargelegt hat – kein Auslieferungshindernis wegen drohender politischer Verfolgung.

aa) Allein der Umstand, dass das Ministerium für Flüchtlinge und Umsiedlung in Georgien dem Verfolgten am 19. Juli 2007 Asyl gewährt und ihn später eingebürgert hat, genügt für die Annahme seiner politischen Verfolgung durch die Russische Föderation im Sinne des Art. 3 Abs. 2 EuAlÜbk nicht.

Diese Entscheidung Georgiens ist für das hiesige Auslieferungsverfahren nicht bindend. Die zuständigen Stellen des ersuchten Staates haben, wenn Anhaltspunkte für eine politische Verfolgung im ersuchenden Staat bestehen, eigenständig im Rahmen der anzuwendenden auslieferungsvertraglichen Regelungen zu prüfen, ob dem Verfolgten im Fall seiner Auslieferung politische Verfolgung droht (BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 22. Oktober 2019, 2 BvR 1661/19, NStZ-RR 2020, 62; stattgebender Kammerbeschluss vom 13. November 2017, 2 BvR 1381/17, NJW 2018, 37). Das gilt auch dann, wenn ein anderer Vertragsstaat der Genfer Flüchtlingskonvention - hier Georgien - den Verfolgten als politischen Flüchtling anerkannt hat (BVerfG, Beschluss vom 22. Oktober 2019, 2 BvR 1661/19, NStZ-RR 2020, 62). Der Entscheidung über die Anerkennung des Verfolgten als Flüchtling kommt nur eine indizielle Wirkung zu (BVerfG aaO.; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 27. Juli 2007, 1 AK 41/07, StV 2007, 652; OLG München, Beschluss vom 10. Juli 1995, Ausl 120/94 (48/94), StV 1996, 100; OLG Jena, Beschluss vom 25. Januar 2007, Ausl 7/06, NJW 2007, 1700). Deren Gewicht hängt maßgeblich davon ab, welche Gründe der Verfolgte im Asylverfahren zur Begründung seiner politischen Verfolgung angegeben hat (OLG Karlsruhe aaO.).

Hieran gemessen, liegt keine politische Verfolgung vor. Eine solche ist zu bejahen, wenn sie dem Einzelnen in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale gezielt Rechtsverletzungen zufügt, die ihn nach ihrer Intensität aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen. Die Maßnahme muss dem Betroffenen gezielt Rechtsverletzungen zufügen. Daran fehlt es bei Nachteilen, die jemand aufgrund der allgemeinen Zustände in seinem Heimatland zu erleiden hat wie Hunger, Naturkatastrophen, aber auch bei allgemeinen Auswirkungen von Unruhen, Revolutionen und Kriegen (BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989, 2 BvR 502/86, BVerfGE 80, 315; OVG für das Land NRW, Urteil vom 02. Juli 2013, 8 A 2632/06 A, zit. n. juris, dort Rn. 44).

Tragfähige Informationen zu dem Asylverfahren, welche die Annahme einer politischen Verfolgung für das Auslieferungsverfahren tragen könnten, liegen nicht vor. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat auf Anfrage der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg mitgeteilt, keine Anfrage über das Verbindungspersonal in Georgien stellen zu können, weil der Verfolgte keinen Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland gestellt habe. Eine auf dem Polizeiweg veranlasste Anfrage haben die georgischen Behörden nicht beantwortet. Der Verfolgte hat jedoch einen ihm über seinen Beistand (Rechtsanwalt (R2) vom georgischen Innenministerium mit Schreiben vom 11. November 2020 übermittelten Auszug aus der Asylakte vorgelegt. Danach hat der Verfolgte am 21. März 2007 einen Asylantrag gestellt und – wie oben unter I. 5 dargelegt - angegeben, am 18. März 2007 Russland verlassen zu haben. Die Frage nach einer Mitgliedschaft in einer politischen Gesellschaft oder Partei hat er verneint. Zur Begründung seiner Flucht aus Russland hat er angegeben, dass wegen der Unordnung im Staat Angehörige des russischen Militärs seinen Bruder zwei Monate zuvor und ihn selbst später „weggeführt“ hätten. Er selbst sei nach Schlägen und Beleidigungen wieder freigelassen worden, sein Bruder werde nach wie vor vermisst. Die russischen Militärangehörigen hätten eine Liste mit Namen von Personen gehabt, die ideologisch gegen Russland eingestellt seien. Seine Familie habe deshalb große Angst gehabt, und er habe auf Anraten seiner Mutter das Land verlassen. Später hat der Verfolgte darüber hinaus angegeben, auch seine Mutter sei „weggeführt“ worden. Ihm sei gedroht worden, getötet zu werden. Zu Beginn des 2. Tschetschenienkrieges sei sein Dorf von russischen Truppen belagert worden. Deren Panzer hätten auf jedes Haus geschossen, dabei sei er verwundet worden. Die Russen hätten das Dorf angezündet, obwohl sich dort noch Menschen befunden hätten - diese seien verbrannt.

Bei alledem kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Verfolgte gerade nicht aus Tschetschenien stammt, sondern aus Dagestan. Dass der Verfolgte im August/September 1999 auch am Dagestankrieg teilgenommen hätte, behauptet er nicht.

Insgesamt lassen sich keine tragfähigen Gründe für eine politische Verfolgung des Verfolgten herleiten. Konkreten individuellen Maßnahmen, die einen spezifisch gegen den Verfolgten gerichteten politischen Verfolgungswillen erkennen ließen, war – soweit ersichtlich – der Verfolgte nicht ausgesetzt. Die von dem Verfolgten beschriebenen Handlungen der russischen Militärs fanden während der beiden Tschetschenienkriege statt. Sie beinhalteten Auswirkungen dieser Kriege, nicht jedoch gezielte Rechtsverletzungen zur politischen Verfolgung des Verfolgten. Dieser hat zudem gegenüber der georgischen Asylbehörde angegeben, sich in Russland nicht politisch betätigt zu haben. Eine maßgebliche Bedeutung für die Entscheidung über die Zulässigkeit seiner Auslieferung nach Russland kommt der positiven Asylentscheidung Georgiens nach alldem nicht zu.

bb) Anderes folgt auch nicht aus den vom Verfolgten zur Akte gereichten Erklärungen der Ehefrau und der Schwester des Verfolgten. Darin wird nur unkonkret beschrieben, welche Auswirkungen der Krieg auf die Familie hatte, ohne dass sich hieraus hinreichend greifbare Anhaltspunkte für eine politische Verfolgung ergäben.

cc) Die Behauptung des Verfolgten, er habe für den georgischen Geheimdienst gearbeitet und werde deshalb von den russischen Behörden verfolgt, hat sich nicht bestätigt. Die vom Generalbundesanwalt eingeholte Erkenntnismitteilung des Verbindungsbeamten des Bundeskriminalamts in Tiflis lässt dies nicht erkennen. Darin heißt es zwar, es könnte sich bei den vom Verfolgten benannten Führungsoffizieren um ehemalige Mitarbeiter des georgischen Innenministeriums handeln. Über eine Zusammenarbeit des Verfolgten mit diesen lägen indes keine Erkenntnisse vor. In seiner Zeugenvernehmung am 10. Februar 2021 vor dem Berliner Kammergericht am Kriminalgericht Berlin-Moabit hat der Verfolgte seine pauschale Behauptung, für den georgischen Geheimdienst gearbeitet zu haben und über Informationen zu verfügen, die zu seiner Verfolgung führten, nicht konkretisiert. Soweit er mit Schriftsatz seines Beistandes vom 04. März 2021 vorträgt, er habe bei seiner Vernehmung vor dem Kammergericht ausdrücklich erklärt, einer Vernehmung durch den Generalbundesanwalt allein oder den Bundesnachrichtendienst zuzustimmen, vor der im Saal hergestellten Öffentlichkeit und vor den anwesenden Journalisten aber keine geheimdienstlich relevanten Informationen preisgeben zu können, wird dies durch den Aktenvermerk der Oberstaatsanwältin bei der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg, die an der Verhandlung im Kriminalgericht anwesend war (Bd. III Bl. 844 d. A.), nicht bestätigt. Dessen ungeachtet hatte der Verfolgte über Monate hinweg die Möglichkeit, die behauptete Tätigkeit für den Georgischen Geheimdienst gegenüber dem Senat zu konkretisieren.

Gegen die Richtigkeit seiner vagen Behauptung, seine Tätigkeit für den georgischen Geheimdienst sei der wahre Grund für seine Verfolgung, spricht schließlich, dass sich die Ermittlungen der russischen Strafverfolgungsbehörden bereits zu einem Zeitpunkt gegen ihn richteten, als er nach seinen eigenen Angaben gegenüber den georgischen Behörden im Asylverfahren noch gar nicht in Georgien war - von wo aus er seine Tätigkeit für den Geheimdienst erst aufgenommen haben will. Im Asylverfahren hat er angegeben, am 18. März 2007 Russland verlassen zu haben. Der Haftbefehl in dem Verfahren wegen zweifachen Totschlags datiert bereits vom 07. September 2005, der Beschluss über die Heranziehung des Verfolgten als Beschuldigten wegen des Vorwurfs der Organisation eines Angriffs auf das Leben eines staatlichen Funktionärs vom 10. Mai 2006. Soweit der Verfolgte gegenüber dem Ermittlungsrichter bei dem Amtsgericht Cottbus in seiner Vernehmung vom 14. September 2020 erklärte, sich seit dem Jahr 2003 in Georgien aufzuhalten, vermag der darin liegende Widerspruch zu den Angaben im Asylverfahren nicht zu einer belastbaren Tatsachengrundlage zu führen. Daran vermag auch die mit Schreiben des Beistands des Verfolgten vom 04. März 2021 übersandte Auskunft der georgischen Behörden zu Grenzübertritten des Verfolgten (Ein- und Ausreise) über die georgische Staatsgrenze im April 2005 lägen keine Erkenntnisse vor, nichts zu ändern – der Verfolgte kann die Grenze ohne behördliche Kenntnis überquert haben. Gegen die Glaubhaftigkeit der Darstellung des Verfolgten spricht schließlich, dass er ausweislich der Erkenntnismitteilung des georgischen Zentrums für Terrorismusbekämpfung (SSSG), die der Verbindungsbeamte des Bundeskriminalamts in Tiflis mit Schreiben vom 09. Februar 2021 übersandte, nicht, wie er selbst angab, aufgrund vorangegangener geheimdienstlicher Tätigkeit von den georgischen Behörden mit einer neuen Identität samt neuem Familiennamen ausgestattet wurde, sondern im Jahr 2012 schlicht „offiziell“ den Nachnamen seiner Ehefrau annahm.

Die weiteren Ausführungen des Beistands des Verfolgten im Schriftsatz vom 04. März 2021 vermögen ebenfalls nicht zu einer anderen Bewertung zu führen. Inwiefern die Russische Föderation ihre „Vorgehensweise angepasst“ haben soll, weil es im Jahr 2012 nicht zu einer Auslieferung des Verfolgten aus Saudi Arabien kam, erschließt sich nicht. Nach den Erkenntnissen des georgischen Zentrums für Terrorismusbekämpfung (SSSG) wurde der Verfolgte „aufgrund der unzureichenden Beweise“ nicht in die Russische Föderation ausgeliefert und nicht, weil ihm terroristische Aktivitäten vorgeworfen wurden.

Schließlich geben die Schriftsätze des Beistandes des Verfolgten (Rechtsanwalt (R2) vom 18. März 2021 und vom 12. April 2021 keine Veranlassung zu anderer Beurteilung. Die im Schriftsatz vom 18. März 2021 beigefügte Nachricht der Rechtsanwältin (R3) aus Berlin, welche in dem Strafverfahren vor dem Kriminalgericht Berlin-Moabit die Witwe des ermordeten Opfers (Z5) als Nebenklägerin vertritt, enthält ebenfalls keine konkreten Anhaltspunkte für eine politische Verfolgung, denen nachzugehen der Senat gehalten wäre.

Der Senat sieht auch keine Veranlassung, die mögliche Vernehmung des Zeugen (Z13) im Verfahren gegen (Z14) vor dem Berliner Kammergericht abzuwarten. Der Senat kann in diesem Verfahren keine Fragen an den Zeugen stellen, die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg ist in diesem Verfahren nicht beteiltigt; vor allem aber fehlt es an konkreten, belastbaren Angaben zu dem Verhältnis des Verfolgten zu (Z13). Trotz mehrfacher Aufforderung seitens der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg und zahlreicher Möglichkeiten hat der Verfolgte seine behauptete Tätigkeit für den georgischen Geheimdienst sowie seine Zusammenarbeit oder sein Verhältnis zu den von ihm genannten Personen nicht konkretisiert. Sämtliche Ausführungen des Verfolgten bzw. seiner Beistände beschränken sich auf die bloße Behauptung, für den georgischen Geheimdienst gearbeitet zu haben. Nicht einmal in dem Verfahren gegen (Z14) wegen des „B… T…“ vor dem Berliner Kammergericht anlässlich seiner Vernehmung am 10. Februar 2021 war der Verfolgte in der Lage oder bereit, seine Behauptung, für den georgischen Geheimdienst gearbeitet zu haben, sowie sein Verhältnis zu dem Tatopfer (Z5) zu konkretisieren.

Mangels konkreter Angaben zu einer politischen Verfolgung ist auch eine Vernehmung des Verfolgten durch den Senat nicht veranlasst.

Nach alldem liegt ein Auslieferungshindernis nach Art. 3 Abs. 2 EuAlÜbk wegen politischer Verfolgung nicht vor.

d) Art. 11 EuAlÜbk steht einer Auslieferung des Verfolgten ebenfalls nicht entgegen. Nach Art. 59 Abs. 2.1 des Strafgesetzbuchs der Russischen Föderation wird – wie bereits oben ausgeführt – gegen Personen, die von einem ausländischen Staat an die Russische Föderation gemäß einem internationalen Abkommen ausgeliefert werden, keine Todesstrafe verhängt.

e) Darüber hinaus bestehen keine Auslieferungshindernisse nach Art. 8 und 9 EuAlÜbk. In der Bundesrepublik Deutschland wird kein Strafverfahren gegen den Verfolgten geführt. Auch ist er nicht von einem deutschen Gericht verurteilt worden.

f) Dass dem Verfolgten in Russland die Verhängung und Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe droht, hindert die Auslieferung nicht. Besteht im ersuchenden Staat eine Chance auf Wiedererlangung der Freiheit, besteht kein Auslieferungshindernis, selbst wenn die Chance auf Wiedererlangung der Freiheit gemessen an der deutschen Rechtslage möglicherweise geringer ist (BVerfG, Beschluss vom 06. Juli 2005, 2 BvR 2259/04, zit. n. juris, dort Rn. 31). Diesen Anforderungen genügt das im russischen Strafrecht geregelte gerichtliche Verfahren zur Reststrafenaussetzung zur Bewährung und die Möglichkeit zur Begnadigung (KG, Beschluss vom 03. Juli 2018, (4) 151 AuslA 44/18 (41/18), NStZ-RR 2018, 326). Art. 79 des Strafgesetzbuchs der Russischen Föderation sieht ein geregeltes gerichtliches Verfahren der Reststrafenaussetzung vor. Nach Verbüßung von 25 Jahren der lebenslangen Freiheitsstrafe ist gemäß Art. 79 Abs. 5 des russischen Strafgesetzbuchs eine Reststrafenaussetzung möglich, wenn der Verurteilte keiner weiteren Vollstreckung bedarf. Gemäß Art. 79 Abs. 4 des russischen Strafgesetzbuchs hat das Gericht bei dieser Entscheidung das Verhalten des Verurteilten, seine Einstellung zum Lernen und zur Arbeit während der Strafvollstreckung, seine Einstellung zur Tat, eine etwaige Schadenswiedergutmachung sowie eine gutachterliche Stellungnahme der Vollzugsanstalt zu bewerten. Hierdurch ist den verfassungsrechtlichen Anforderungen ebenso wie denjenigen der Europäischen Menschenrechtskonvention (vgl. hierzu EGMR, Urteil vom 24. Januar 2017, Fälle Nr. 60637/08 und 961/11, § 76 ) Genüge getan (KG aaO.).

g) Schließlich steht Art. 3 EMRK der Zulässigkeit der Auslieferung nicht entgegen.

aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind die deutschen Gerichte bei der Zulässigkeit der Auslieferung von Verfassung wegen gehalten zu prüfen, ob die Auslieferung und die ihr zugrundeliegenden Akte mit den nach Art. 25 GG in der Bundesrepublik Deutschland verbindlichen völkerrechtlichen Mindeststandards und unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätzen ihrer öffentlichen Ordnung vereinbar sind (BVerfG, Beschluss vom 09. März 1983, 2 BvR 315/83, BVerfGE 63, 332; BVerfG, Beschluss vom 31. März 1987, 2 BvR 2/86, BVerfGE 75, 1; BVerfG, 1. Kammer des 2. Senats, Beschluss vom 08. April 2004, StV 2004, 440). Danach werden einer Auslieferung hinsichtlich der Ausgestaltung sowohl des Straf- als auch des Vollstreckungsverfahrens Grenzen gesetzt. Die deutschen Gerichte sind gehindert, an der Auslieferung eines Verfolgten mitzuwirken, dem im ersuchenden Staat eine grausame, unmenschliche oder erniedrigende Strafe und Behandlung droht (BVerfG a. a. O.; OLG Köln, Beschluss vom 18. September 2014 - AuslA 39/14 - 31, Rz. 22, Juris). Auf der Ebene des einfachen Rechts nimmt § 73 IRG dieses verfassungsrechtliche Gebot auf, indem dort die Leistung von Rechtshilfe und damit auch die Auslieferung für unzulässig erklärt wird, wenn sie wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung widersprechen würde (vgl. BVerfG NVwZ 2008, 71 m.w.N. der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung). Dies folgt einerseits aus der im völkerrechtlichen Menschenrechtsschutz fest etablierten Ächtung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung (Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention [MRK]; Art. 7 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966; Übereinkommen gegen Folter oder andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984 sowie innerstaatlich aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG (BVerfG NVwZ 2008, 71 m.w.N. der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung; OLG Dresden, Beschluss vom 10. Juli 2014, Ausl 53/14, zit. nach juris). Gemäß Artikel 3 Abs. 2 EuAlÜbK ist daher die Auslieferung unzulässig, wenn ernstliche Gründe für die Annahme bestehen, dass der Verfolgte aus rassischen, religiösen, nationalen oder politischen Erwägungen verfolgt oder bestraft werden würde bzw. dass er der Gefahr einer Erschwerung seiner Lage aus den vorgenannten Gründen ausgesetzt wäre.

Die damit zusammenhängenden Fragen hat der Senat im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit zu beantworten (BVerfG StV 2004, 440 m.w.N.). Auch in dieser Hinsicht sind Bedenken nicht ersichtlich.

Im Auslieferungsverkehr gilt der Grundsatz, dass dem ersuchenden Staat im Hinblick auf die Einhaltung der Grundsätze der Rechtshilfe in Strafsachen sowie des Völkerrechts Vertrauen entgegenzubringen ist (vgl. Art. 1 EuAlÜbk). Dieser Grundsatz gegenseitigen Vertrauens kann solange Geltung beanspruchen, wie er nicht durch entgegenstehende Tatsachen erschüttert wird. Das ist dann der Fall, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass im Fall einer Auslieferung die unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätze und das unabdingbare Maß an Grundrechtsschutz oder der verbindliche völkerrechtliche Mindeststandard gemäß Art. 25 GG nicht eingehalten werden, etwa, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass im ersuchenden Staat erhebliche systemische Defizite im Strafvollzug herrschen. Dafür müssen stichhaltige Gründe gegeben sein, die gerade im konkreten Fall eine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür begründen, dass in dem ersuchenden Staat die völkerrechtlichen Mindeststandards nicht erfüllt werden.

Vom ersuchenden Staat im Auslieferungsersuchen erteilte völkerrechtlich verbindliche Zusicherungen sind geeignet, etwaige Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit der Auslieferung auszuräumen, sofern nicht im Einzelfall zu erwarten ist, dass die Zusicherung nicht eingehalten wird. Dabei entbindet eine Zusicherung das über die Zulässigkeit der Auslieferung befindende Gericht nicht von der Pflicht, eine eigene Gefahrenprognose anzustellen (BVerfG, Beschluss vom 04. Dezember 2019, 2 BvR 1832/19, zit. n. juris, dort Rn. 42 ff.; BVerfG, Beschluss vom 22. November 2019, - 2 BvR 517/19, zit. n. juris, dort Rn. 35 ff.; BVerfG, Beschluss vom 30. Oktober 2019, 2 BvR 828/19, zit. n. juris, dort Rn. 42 ff.; BVerfG, Beschluss vom 22. Oktober 2019, 2 BvR 1661/19, zit. n. juris, dort Rn. 48; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 13. Oktober 2020, Ausl 301 AR 37/20, zit. n. juris, dort Rn. 17).

Gemessen hieran, besteht vorliegend keine durch tatsächliche Anhaltspunkte begründete Gefahr, dass der ersuchende Staat die völkerrechtlichen Mindeststandards nicht einhalten werde. Zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine politische Verfolgung des Verfolgten liegen, wie bereits dargestellt, nicht vor. Auch sonst sind keine Gründe ersichtlich, die den Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens erschüttern könnten. Die Verfahren, die dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegen, werden im Zuständigkeitsbereich Moskauer Gerichte geführt. Dortige systemische Mängel im Hinblick auf das Strafverfahren oder auf den Strafvollzug sind nicht bekannt. Überdies hat die Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation zugesichert, dass gegen den Verfolgten die Untersuchungshaft und eine mögliche Strafhaft außerhalb des Föderalkreises Nordkaukasus, zu dem auch die Teilrepubliken Tschetschenien und Dagestan gehören, vollstreckt wird. Auch ist zugesichert worden, dem Verfolgten Verteidigungsmöglichkeiten einschließlich anwaltlichen Beistands zu gewähren und ihn keiner Folter und keiner grausamen, unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung zu unterwerfen. Beamte des deutschen Konsulats sind berechtigt, das Erkenntnis- und das Vollstreckungsverfahren zu beobachten und den Verfolgten in der Haftanstalt zu besuchen und mit ihm zu telefonieren. Anhaltspunkte, an der Belastbarkeit dieser Zusicherungen zu zweifeln, sind nicht offenbar geworden.

Es gilt bei alledem die Vermutung, dass sich die Vertragsstaaten im Zuge von Auslieferungsverfahren an gegebene Zusicherungen halten. Denn im Hinblick auf die Einhaltung der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und des Menschenrechtsschutzes ist – wie oben erwähnt – eine vom ersuchenden Staat im Auslieferungsverkehr gegebene völkerrechtlich verbindliche Zusicherung geeignet, etwaige Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit der Auslieferung auszuräumen, sofern nicht im Einzelfall zu erwarten ist, dass die Zusicherung nicht eingehalten wird, wofür es vorliegend keine Anhaltspunkte gibt. Zudem ist nach Mitteilung des Auswärtigen Amtes in einer anderen Auslieferungssache (vgl. Senatsbeschluss vom 10. April 2019, 1 - 53 AuslA 66/17 - 34/17) kein einziger Fall bekannt geworden, in welchem in einem Auslieferungsverfahren durch russische Behörden abgegebene Zusicherungen nicht eingehalten worden sind. Vielmehr sei in diesem Zusammenhang von durchweg positiven Erfahrungen in Auslieferungsfällen mit der Russischen Förderung auszugehen (siehe auch OLG Köln, Beschluss vom 18. September 2014, 6 AuslA 39/14-31, zit. nach juris).

III.

Bezüglich der Auslieferungshaft sind seit der letzten oberlandesgerichtlichen Entscheidung keine neuen Umstände hinzugetreten, die zu einer anderen Beurteilung der Haftfrage Anlass geben könnten. Die Auslieferungshaft dauert aus den Gründen der Senatsentscheidung vom 22. Februar 2021, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, fort; es besteht auch weiterhin der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 IRG.