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Entscheidung 13 WF 3/22


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 4. Senat für Familiensachen Entscheidungsdatum 16.02.2022
Aktenzeichen 13 WF 3/22 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2022:0216.13WF3.22.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin wird der Beschluss des Amtsgerichts Strausberg vom 16. Dezember 2021 unter Aufrechterhaltung im Übrigen teilweise abgeändert:

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit der Beschwerdeführerin wird auf 29.234,54 € festgesetzt.

Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.

2. Die Gerichtsgebühr für das Beschwerdeverfahren wird auf die Hälfte ermäßigt. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.

Die Beteiligten führen ein Scheidungs- und Folgesachenverfahren. Durch den angefochtenen Beschluss (Bl. 60 f.) hat das Amtsgericht auf Antrag der früheren Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin neben der vorläufigen Wertfestsetzung für die Folgesache Ehegattenunterhalt den vorläufigen Verfahrenswert für die Ehesache auf 19.302,28 € und für die Folgesache Versorgungsausgleich auf 6.590,43 € festgesetzt. Bei der die Ehesache betreffenden Wertbestimmung hat es ein Monatseinkommen der Eheleute von 2.569,35 € und 1.500 € zugrunde gelegt, für jedes Kind einen Betrag von 204 € abgezogen, ein Immobilienvermögen im Wert von 500.000 € berücksichtigt, dieses um Verbindlichkeiten in Höhe von 193.635,38 € bereinigt, Freibeträge von 60.000 € für jeden Ehegatten und von weiteren 10.000 € für jedes Kind abgezogen, und hiervon 5 Prozent angesetzt.

Mit ihrer gegen die vorläufige Wertfestsetzung zur Ehescheidung und zur Folgesache Versorgungsausgleich gerichteten Beschwerde erstrebt die Beschwerdeführerin die Wertfestsetzung in Höhe von 39.932,05 € für die Ehesache. Sie hält den Wert der Immobilie für völlig untersetzt. Die Abzüge und Freibeträge seien nicht erklärt. Möglicherweise bestünden noch Guthaben. Wegen der Einzelheiten wird auf die Beschwerdeschrift Bezug genommen (Bl. 69 ff.).

Das Amtsgericht hat dem Rechtsmittel nicht abgeholfen (Bl. 72), sondern es für unzulässig und im Übrigen auch unbegründet gehalten.

II.

Die Beschwerde ist zulässig.

1. Der Statthaftigkeit der Beschwerde steht vorliegend nicht § 59 FamGKG entgegen (vgl. OLG Köln, AGS 2005, 80 zu der entsprechenden Regelung in § 25 II 1 GKG). Nach dieser Bestimmung ist die Beschwerde nur zulässig, wenn mit der angefochtenen Entscheidung eine Wertfestsetzung nach § 55 Abs. 2 FamGKG getroffen wird; eine vorläufige Festsetzung gemäß § 55 Abs. 1 FamGKG genügt dagegen nicht (vgl. OLG Frankfurt a. M. BeckRS 2017, 123103; OLG Saarbrücken BeckRS 2011, 22635; OLG Hamm BeckRS 2013, 04441; OLG Köln BeckRS 2016, 17274; OLG Zweibrücken Beschl. v. 24.7.2020 – 6 WF 114/20, BeckRS 2020, 42568 Rn. 2, beck-online).

Das Rechtsmittel ist jedoch als Beschwerde nach § 33 Abs. 3 RVG zu behandeln und insoweit statthaft. Die Beschwerdeführerin hat in der Sache eine Wertfestsetzung nach § 33 Abs. 1 RVG für die Berechnung ihrer Rechtsanwaltsgebühren für die Tätigkeit bis zur Niederlegung des Mandats geltend gemacht. Der Antrag war zulässig nach § 33 Abs. 2 RVG, nachdem die Vergütung mit der Beendigung des Mandats fällig geworden ist. Die Festsetzung des Gegenstandswertes der anwaltlichen Tätigkeit nach § 33 Abs. 1 RVG dient dem Zweck, dem Rechtsanwalt auf Antrag die Abrechnung seiner im Rahmen eines Gerichtsverfahrens erbrachten Leistungen zu ermöglichen, wenn wie hier mangels Verfahrensbeendigung eine endgültige Verfahrenswertfestsetzung nach § 55 Abs. 2 FamGKG nicht erfolgen kann. Eine „vorläufige“ Festsetzung des Gegenstandswertes ist insoweit nicht möglich (vgl. OLG Oldenburg FamRZ 2018, 1257; OVG Münster, Beschl. 16.06.2014, 12 E 625/14, juris). Die Beschwerde nach § 33 Abs. 3 RVG ist daher nicht nur dann statthaft, wenn die Festsetzung abweichend von dem Antrag erfolgt oder insgesamt abgelehnt wird, sondern auch dann, wenn eine Bestimmung des Werts des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit unterlassen und stattdessen eine nicht veranlasste vorläufige Wertfestsetzung nach § 55 Abs. 1 FamGKG vorgenommen wird (vgl. OLG Frankfurt a. M. Beschluss vom 17.4.2018 - 5 WF 65/18, BeckRS 2018, 5839 m.w.N.; vgl. OLG Zweibrücken Beschl. v. 24.7.2020 – 6 WF 114/20, BeckRS 2020, 42568 Rn. 3, beck-online).

2. Die Beschwerdesumme des § 33 Abs. 3 RVG ist erreicht. Der Beschwerdeführerin erstrebt eine Erhöhung des Wertes der Ehesache und des Versorgungsausgleichs von 25.892,71 € (19.302,28 € + 6.590,43 €) auf 46.522,48 € (39.932,05 € + 6.590,43 €). Bei 1,3 Gebühren beträgt die Gebührendifferenz 464,10 €.

Die Beschwerde ist teilweise begründet. Gemäß § 23 Abs. 1 S. 1 RVG sind vorliegend zur Wertbestimmung die Vorschriften des FamGKG anzuwenden.

3. Nach § 43 Abs. 1 FamGKG bestimmt sich der Verfahrenswert für die Ehesache unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Umfangs und der Bedeutung der Sache sowie der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Ehegatten, nach dem Ermessen des Gerichts. Die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse im Einzelfall soll die Festsetzung angemessener Gebühren nach sozialen Gesichtspunkten ermöglichen (BVerfG, NJW 1989, 1985). Nach dem Wortlaut der Vorschrift sind die Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Ehegatten sowie der Umfang und die Bedeutung der Sache als Bewertungskriterien gleichrangig in die Gesamtabwägung einzubeziehen.

a) Während für die übrigen Bemessungsfaktoren keine gesetzliche Berechnungsvorschrift existiert, gibt § 43 Abs. 2 FamGKG eine konkrete Berechnungsweise für den Einkommensbetrag vor, der in die Wertberechnung einzubeziehen ist, nämlich das in drei Monaten erzielte Nettoeinkommen beider Ehegatten. Das Familiengericht hat das Erwerbseinkommen der Eheleute auf der Grundlage ihrer übereinstimmenden Angaben in nicht zu beanstandender Weise ermittelt. Hinzu kommt allerdings das Kindergeld.

Nach allgemeinem Verständnis ist Nettoeinkommen der Betrag, der nach Abzug aller auf die Einkünfte entfallenden Abzüge, wie Steuern, Abgaben und Kosten, zum Verbrauch verbleibt (BeckOK KostR/Neumann, 36. Ed. 1.1.2022, FamGKG § 43 Rn. 17). Ob Kindergeld dem Nettoeinkommen zuzurechnen ist, ist streitig (zum Streitstand vergleiche BeckOK KostR/Neumann a. a. O., Rn. 32 ff.). Weil die Eltern hinsichtlich der Verwendung des Kindergeldes ebenso frei sind, wie bei der Verwendung ihrer übrigen Einkünfte, der Kindergeldbezug ihnen zumindest den Einsatz anderer Mittel für den Unterhalt ihrer Kinder erspart und damit ihre wirtschaftlichen Verhältnisse verbessert, folgt der Senat der Auffassung, die das Kindergeld als Einkommen berücksichtigt (vgl. OLG Brandenburg, 2. Familiensenat - 10 WF 111/15 - BeckRS 2016, 4258; Senat - 13 WF 20/10 - BeckRS 2010, 16587; BeckOK KostR/Neumann, 36. Ed. 1.1.2022, FamGKG § 43 Rn. 32b). Das in drei Monaten erzielte Nettoeinkommen beträgt damit 13.432,05 € ([2.569,35 € + 1.500 € + 2 x 204 €] x 3).

Hiervon abzuziehen sind für die gegenüber den beiden Kindern bestehenden Unterhaltsverpflichtungen Beträge in Höhe von 300 € für jedes Kind (vgl. OLG Brandenburg, 2. Familiensenat, 10 WF 71/15 - BeckRS 2016, 4621; Senat - 13 WF 20/10 - BeckRS 2010, 16587; BeckOK KostR/Neumann, a. a. O., § 43 FamGKG Rn. 85). Danach ist insoweit ein Betrag von 12.832,05 € anzusetzen.

b) Dem Grunde nach zutreffend hat das Amtsgericht das Vermögen der Ehegatten mit in die Verfahrenswertberechnung einbezogen.

Hinsichtlich der Frage, in welcher Weise die Vermögensverhältnisse der Beteiligten nach billigem Ermessen bei der Wertermittlung zu berücksichtigen sind, ist die Rechtsprechung uneinheitlich (vergleiche Überblick in: OLG Brandenburg, 3. Familiensenat, Beschluss vom 23.6.2014 - 15 WF 11/14 - NJW-RR 2015, 6). Einigkeit herrscht insoweit darüber, dass vom um Verbindlichkeiten bereinigten Verkehrswert der Vermögensgegenstände auszugehen ist (vgl. BeckOK KostR/Neumann, a. a. O., § 43 Rn. 53 ff.).

Das Amtsgericht hat den Verkehrswert mit 500.000 € zutreffend ermittelt, dass weitere Vermögensgegenstände zu berücksichtigen wären, ist ungeachtet vage gebliebener Vermutungen der Beschwerdeführerin nicht ersichtlich. Dieser Betrag steht im Einklang mit den drei im Juli und November 2020 erstellten Verkehrswertermittlungen der …bank Immobilien GmbH (490.000 €, Bl. 97R), der …hyp AG (461.000 €, Bl. 106) und der H… L… Immobilien (538.000 € Bl. 107R). Dass die Immobilie jetzt, anderthalb Jahre nach dem maßgeblichen Zeitpunkt, zu einem höheren Kaufpreis angeboten wird, ändert an dieser Einschätzung nichts, zumal der entsprechende Preis offenkundig bislang nicht realisiert worden ist.

Zu bereinigen ist dieser Vermögensbetrag um die seinerzeit bestehenden, nachgewiesenen Verbindlichkeiten von 185.935,38 € (Bl. 54 ff.), so dass ein Betrag von 314.064,62 € verbleibt. Die im Fall einer vorzeitigen Kreditablösung anfallende Vorfälligkeitsentschädigung von 7.700 € ist nicht in Abzug zu bringen, weil diese Verbindlichkeit ausweislich des Schreibens der … Bausparkasse AG (Bl. 57) im maßgeblichen Zeitpunkt der Einreichung des Scheidungsantrages noch nicht bestand.

Der Betrag des beiderseitigen Vermögens ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats nur in der Höhe zu berücksichtigen, in der es einen Freibetrag von 60.000 € pro Ehegatte und 10.000 € pro minderjährigem Kind übersteigt (vgl. nur Senat, B. v. 12.2.2021 - 13 WF 123/20, juris; B. v. 13.1.2021 - 13 WF 198/20 - BeckRS 2021, 1005).

Der vereinzelt gebliebenen Auffassung, dass Freibeträge nicht abzuziehen seien (OLG Brandenburg, 2. Familiensenat - 10 WF 71/15 - BeckRS 2016, 4621), etwa im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungswidrigkeit des Vermögenssteuergesetzes (BVerfG, B. v. 22.6.1995 - 2 BvL 37/91, NJW 1995, 2615), weil sich aus den Gesetzesmaterialien nichts zum Willen des Gesetzgebers zum Abzug von Freibeträgen herleiten lasse, oder weil Freibeträge schlicht für entbehrlich gehalten werden, folgt das Beschwerdegericht nicht. In der obergerichtlichen Rechtsprechung wurden bereits zum Zeitpunkt der Normierung des nunmehr maßgeblichen § 43 Abs. 1 Satz 1 FamGKG entsprechende Freibeträge in Ansatz gebracht, wobei zugrunde gelegt werden darf, dass dem Gesetzgeber diese ständige obergerichtliche Rechtsprechung bekannt und auch bewusst war. Gleichwohl hält der Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Gesetz zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG-Reformgesetz-FGG-RG; BT-Drucksache 16/6308) zur Begründung des § 43 FamGKG und dessen Wortlautes nur fest, dass „die geltende Streitwertregelung des § 48 Abs. 2, 3 Satz 1 und 2 GKG für Ehesachen inhaltlich unverändert übernommen werden“ solle (vgl. BT-Drucksache 16/9733). Dem lässt sich entnehmen, dass der Gesetzgeber keine Veranlassung gesehen hat, die jahrzehntelange obergerichtliche Rechtsprechung mit dem Ansatz von Freibeträgen bei der Bemessung des Verfahrenswerts für Ehesachen zu ändern (so auch OLG Bamberg, B. v. 13.4.2017 -. 2 WF 51/17-, BeckRS 2017, 108562). Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Anwendbarkeit des VStG hat ihre Grundlage auch nicht in den in § 6 VStG geregelten Freibeträgen, sondern in der unterschiedlichen Bewertung und damit Besteuerung verschiedener Vermögensarten (vgl. BVerfG, a. a. O.; OLG Bamberg, a. a. O.). Im Rahmen der nach § 48 Abs. 1 Satz 1 FamGKG zu treffenden Ermessensentscheidung für den Einzelfall hält es der Senat daher in ständiger Rechtsprechung für angemessen, einen bestimmten Grundstock des Vermögens belastungsfrei zu halten und Freibeträge in der genannten Höhe anzusetzen.

Von dem nach Abzug dieser Freibeträge verbleibenden Restvermögen von 174.064,62 € wird ein prozentualer Anteil von 5 % angesetzt. Vorliegend ergibt sich danach ein zu berücksichtigender Betrag von 8.703,23 €, der dem dreifachen Nettoeinkommen der Ehegatten hinzugerechnet wird (vgl. OLG Brandenburg, Senat, B. v. 12.2.2021 - 13 WF 123/20 - juris, BeckOK KostR/Neumann, a. a. O., § 43 FamGKG Rn. 60), so dass der Wert der anwaltlichen Tätigkeit in der Ehesache auf 21.535,28 € festzusetzen ist.

4. Der Wert der anwaltlichen Tätigkeit bezogen auf das Versorgungsausgleichsverfahren beträgt 7.699,26 €. Obgleich die Beschwerde den für diese Folgesache festgesetzten Wert nicht angreift, setzt das Beschwerdegericht den Wert unter Zugrundelegung der zutreffenden Grundlagen fest. Die Beschwerdeführerin erstrebt statt einer vorläufigen Verfahrenswertfestsestzung eine Festsetzung des Werts ihrer Tätigkeit nach § 33 Abs. 1 RVG, vgl. oben, II. 1. Dieser Wert ist mit der Beschwerdeentscheidung festzusetzen. Dabei sind sechs Anrechte und das in drei Monaten erzielte Nettoeinkommen von 12.832,05 € (sh. oben II. 3.a)) zugrunde zu legen.

5. Die im Verbund stehenden Folgesachen gelten für die Wertberechnung nach § 16 Nr. 4 RVG als dieselbe Angelegenheit. Die Werte der Scheidung und der Folgesachen sind nach § 22 Abs. 1 RVG zusammenzuzählen. Es ergeben sich 29.234,54 € (21.535,28 € + 7.699,26 €).

6. Angesichts des Teilerfolges des Rechtsmittels entsprach es billigem Ermessen, die Ermäßigung der Gebühr KV 1912 FamGKG (vgl. BeckOK RVG/K.Sommerfeldt/M. Sommerfeldt, § 33 RVG Rn. 26) auf die Hälfte anzuordnen.

Außergerichtliche Kosten sind gemäß § 33 Abs. 9 S. 2 RVG nicht zu erstatten.