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Entscheidung 4 U 83/21


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 4. Zivilsenat Entscheidungsdatum 02.03.2022
Aktenzeichen 4 U 83/21 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2022:0302.4U83.21.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam vom 17. März 2021 – Az.: 8 O 260/20 – wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil sowie das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

I.

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit des Widerrufs eines Darlehensvertrages, der zur Finanzierung eines Fahrzeugkaufs geschlossen wurde.

Die Klägerin unterzeichnete am 24. September 2015 einen – von der Beklagten angenommenen – Darlehensantrag für einen Verbraucherdarlehensvertrag über einen Nettodarlehensbetrag in Höhe von 19.900,00 € zu einem über die gesamte Vertragsdauer gebundenen Sollzinssatz von 3,92 % p. a. über eine Laufzeit von 60 Monaten. Das Darlehen diente der Finanzierung des Kaufpreises für den privatnützigen Erwerb eines gebrauchten Pkw Mercedes GLK 220 CDI 4MATIC BlueEfficie, wobei die Darlehensvaluta - ebenso wie die von der Klägerin geleistete Anzahlung i.H.v. 9.000,00 € - vereinbarungsgemäß an die Verkäuferin ausgezahlt werden sollte und auch wurde.

Die Klägerin löste das Darlehen im Januar 2018 vorzeitig ab. Mit Schreiben vom 20. Oktober 2019 widerrief sie ihre auf Abschluss des Darlehensvertrages gerichtete Willenserklärung.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, das Landgericht Potsdam sei gemäß § 29 ZPO für die von ihr geltend gemachte Zahlungsklage örtlich zuständig, und in der Sache geltend gemacht, der Widerruf sei wirksam. Die Widerrufsfrist von 14 Tagen habe nicht zu laufen begonnen, weil verschiedene Pflichtangaben nach § 356b Abs. 2 S. 1 BGB a.F. i. V. m. § 492 Abs. 2 BGB a.F., Art. 247 §§ 6 - 13 EGBGB a.F. in der Vertragsurkunde nicht enthalten bzw. - wie insbesondere die Widerrufsinformation - fehlerhaft seien.

Die Beklagte hat die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Potsdam gerügt und in der Sache im Wesentlichen vorgetragen, der Widerruf sei verfristet, denn sie habe die Widerrufsinformation sowie die anderen erforderlichen Pflichtangaben ordnungsgemäß erteilt. Die Ausübung des Widerrufs sei rechtsmissbräuchlich. Für den Fall des Erfolgs der Klage hat die Beklagte hilfswiderklagend die Feststellung der Wertersatzpflicht der Klägerin für den Wertverlust des Fahrzeug begehrt sowie – ebenfalls hilfsweise - die Aufrechnung mit einem Nutzungsersatzanspruch in Höhe der vereinbarten Sollzinsen erklärt.

Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 17. März 2021, auf dessen tatsächliche Feststellungen hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes Bezug genommen wird (§ 540 Abs. 1 ZPO), abgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, es sei örtlich nicht, insbesondere auch nicht nach § 29 ZPO, zuständig. Darüber hinaus wäre die Klage aber auch unbegründet, da der Widerruf nicht innerhalb der Widerrufsfrist erklärt worden sei; die Beklagte habe sämtliche Voraussetzungen für den Anlauf der Frist mit Vertragsschluss ordnungsgemäß erfüllt.

Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin. Sie hält daran fest, dass das Landgericht Potsdam für sämtliche geltend gemachten Ansprüche nach § 29 ZPO zuständig sei.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 10. (richtig: 17.) März 2021 - 8 O 260/20 - abzuändern und wie folgt neu zu fassen:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 21.834,20 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen binnen sieben Tagen nach Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs Mercedes Benz GLK 220 CDI mit der FIN (X).

2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 18. Februar 2020 mit der Rücknahme des im unter Ziff. 1 genannten Fahrzeugs im Annahmeverzug befindet.

3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.474,89 € freizustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

und hilfsweise

festzustellen, dass die Klagepartei verpflichtet ist, an die Beklagte hinsichtlich des Fahrzeugs Mercedes Benz GLK 220 CDI mit der FIN (X) Wertersatz zu leisten, soweit der Wertverlust auf einen Umgang mit dem Fahrzeug zurückzuführen ist, der zur Prüfung der Beschaffenheit, der Eigenschaften und der Funktionsweise des Fahrzeugs nicht notwendig war,

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung in Bezug auf die Unzuständigkeit des Landgerichts Potsdam und hält die in erster Instanz erklärte Hilfsaufrechnung aufrecht.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere gemäß §§ 517 ff. ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg.

1.

Zu Recht hat das Landgericht seine örtliche Zuständigkeit für die Zahlungsanträge sowie die als Annexanträge hierzu zu beurteilenden Anträge auf Freistellung von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten sowie auf Feststellung des Annahmeverzuges mit der Folge verneint, dass die Klage insoweit bereits unzulässig ist.

Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Potsdam ist - wie der Senat bereits u. a. mit Urteilen vom 20. Januar 2021 (4 U 94/20 - juris Rn. 87 ff.) und 21. April 2021 (4 U 95/20) ausgeführt hat - nicht nach dem allein in Betracht kommenden § 29 Abs. 1 ZPO (Gerichtsstand des Erfüllungsorts) begründet. Gemäß § 269 Abs. 1 BGB, § 29 Abs. 1 ZPO befindet sich in der Regel der Erfüllungsort dort, wo der Schuldner der jeweils in Rede stehenden Leistung bei Entstehung des (Rückgewähr-)Schuldverhältnisses seinen (Wohn-)Sitz hatte; der gemeinsame (oder einheitliche) Erfüllungsort ist hingegen die vereinbarte oder sich aus den Umständen wie insbesondere der Natur des Schuldverhältnis ergebende Ausnahme. In der gefestigten obergerichtlichen Rechtsprechung ist eine solche Ausnahme anerkannt für die Rückabwicklung der wechselseitigen Leistungen nach Ausübung des gesetzlichen Rücktritts vom Kaufvertrag; der gemeinsame Erfüllungsort ist danach der Ort, an dem sich die Kaufsache nach dem Vertrag bestimmungsgemäß befindet, mithin regelmäßig der Wohnsitz des Käufers (anstelle vieler: OLG Schleswig, Urteil vom 4. September 2012 - 3 U 99/11, juris Rn. 18).

Das Oberlandesgericht Hamm (Urteil vom 27. November 2019 - 31 U 114/18, juris Rn. 78 f.) und nachfolgend OLG Saarbrücken (Urteil vom 13. August 2020 - 4 U 100/19, juris Rn.174 ff.) sowie das OLG Celle (Urteil vom 22. Juli 2020 - 3 U 3/20, juris Rn 64 ff.) erstrecken diese Ausnahme auf die Rückabwicklung des widerrufenen und mit einem Kauf verbundenen Darlehensvertrags mit der Begründung, nach § 358 Abs. 4 S. 5 BGB trete der Darlehensgeber an die Stelle des Verkäufers; die Rückabwicklung erfolge daher - wie beim Kauf - nur zwischen dem Darlehensnehmer und Käufer einerseits und dem Darlehensgeber in der Rolle des Verkäufers andererseits. Nicht von der Hand zu weisen sind die praktischen Vorteile, mit denen ein solcher gemeinsamer Erfüllungsort einherginge; insbesondere würde der Zuständigkeitsaufspaltung entgegenwirkt.

Indes unterscheiden sich gesetzlicher Rücktritt und Widerruf in ihren Voraussetzungen und der Abwicklung ihrer Folgen nicht unerheblich. Hervorzuheben ist insoweit, dass das Rücktrittsrecht Folge einer Pflichtverletzung des Verkäufers ist. Daran anknüpfend wird verbreitet argumentiert, weil der Verkäufer eine mangelhafte Sache geliefert und den Rücktritt zu vertreten habe, sei es keine unangemessene Bevorzugung des Käufers, wenn neben dem Anspruch des Verkäufers auf Rückgabe auch der Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises dort zu erfüllen sei, wo sich der Kaufgegenstand vertragsgemäß befinde, mithin in der Regel am Wohnsitz des Käufers (OLG Schleswig, Urteil vom 4. September 2012 - 3 U 99/11, juris Rn. 18, 32 ff.; OLG Bamberg, Beschluss vom 14. April 2013 - 8 SA 9/13, juris Rn. 21 f; OLG München, Urteil vom 13. Januar 2014 - 19 U 3721/13, juris Rn. 14, 16; OLG Stuttgart, Urteil vom 13. Januar 2016 - 9 U 183/15, juris Rn. 6 f). Das Widerrufsrecht hingegen ist dem Darlehensnehmer nicht als Reaktion auf eine Pflichtverletzung des Darlehensgebers eingeräumt; vielmehr kann es der Darlehensnehmer nach freiem Belieben ausüben (vgl. Kaiser, in: Staudinger, BGB, Stand 2012, § 357 Rn. 9). Auf eine etwaige Verletzung von Pflichtangabepflichten aus Art. 247 §§ 6 - 13 EGBGB kann insoweit nicht abgestellt werden, weil diese lediglich den Lauf der Widerrufsfrist betreffen, welche wiederum keine inhaltliche Voraussetzung des Widerrufs ist.

Ferner wird zum Rücktritt angeführt, den Verkäufer treffe neben der Pflicht zur Kaufpreisrückzahlung auch diejenige zur Rücknahme der Kaufsache durch Abholung; mit deren Erfüllung erfülle der Käufer zugleich seine Rückgabepflicht, so dass Zug um Zug auch die Rückzahlung des Kaufpreises zu erfolgen habe (OLG Hamm, Urteil vom 20. Oktober 2015 - I-28 U 91/15, 28 U 91/15 - juris Rn. 32 f; OLG München, Urteil vom 13. Januar 2014 - 19 U 3721/13, juris Rn. 14, 16). Demgegenüber besteht beim Widerruf keine Pflicht des Darlehensgebers, die finanzierte Kaufsache durch Abholung zurückzunehmen (vgl. Kaiser, in: Staudinger, BGB, Stand 2012, § 357 Rn. 11). Nach § 358 Abs. 4 S. 1 BGB i. V. m. § 357 Abs. 4 S. 4 BGB hat der Verbraucher die Sache zurückzusenden, wovon er auch bei fehlender Eignung der Sache zur Versendung per Post nicht befreit ist (Hönninger, in: jurisPK, 9. Aufl. Stand 1. Februar 2020, § 357 BGB Rn. 13). Ein Austausch der wechselseitigen Rückgewährleistungen Zug um Zug, wie § 348 BGB dies für den Rücktritt regelt, findet von Gesetzes wegen ebenfalls nicht statt (§ 355 Abs. 3 BGB; vgl. Hönninger, in: jurisPK, 9. Aufl. Stand 1. Februar 2020, § 355 BGB Rn. 71); der Käufer ist vielmehr grundsätzlich vorleistungspflichtig (§ 357 Abs. 4 S. 1 BGB).

Der Erwägung, ein einheitlicher Erfüllungsgerichtsstand am Wohnort des Darlehensnehmers für die Rückabwicklung eines mit einem Kaufvertrag verbundenen Darlehensvertrages sei aus Praktikabilitätsgründen und zum Zwecke des Schutzes des Verbrauchers vor den Risiken, die durch eine Aufspaltung von Erwerbs- und Finanzierungsgeschäft drohen, geboten, ist entgegenzuhalten, dass es der Verbraucherdarlehensnehmer selbst in der Hand hat, eine Aufspaltung der an verschiedenen Gerichten zu führenden Prozesse dadurch zu vermeiden, dass er die Darlehensgeberin an dem für deren Sitz (§ 12 ZPO) zuständigen Gericht verklagt. Als Schutz des Verbrauchers bei verbundenen Verträgen vor den Risiken, die durch eine Aufspaltung von Erwerbs- und Finanzierungsgeschäft drohen, hat der Gesetzgeber für ausreichend erachtet, dass nach § 358 Abs. 4 Satz 1 BGB bei einem Widerruf des Darlehensvertrages der Darlehensgeber hinsichtlich der Rechtsfolgen an die Stelle des Verkäufers tritt. Hätte der Gesetzgeber neben dieser materiell-rechtlichen Folge auch verfahrensrechtlich den Schutz des Verbrauchers verbessern wollen, hätte er dies durch eine entsprechend umfassendere Regelung des mit dem Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts eingeführten und mit Wirkung zum 13. Juni 2014 neugefassten Verbrauchergerichtsstandes gemäß § 29c ZPO geregelt und diese Norm nicht auf Klagen, die auf außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen (§ 312b BGB) beruhen, beschränkt. Der Gesetzgeber sah indes hierzu weder bei der Einführung des § 29c ZPO durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz vom 26. November 2001, noch im Zuge der Neufassung bei der Umsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie Veranlassung; vielmehr hat er bei der Einführung des § 29c ZPO ausdrücklich betont, der Verbraucher werde wie bisher geschützt, und der Anwendungsbereich der Vorschrift sei nicht auf andere Verträge mit Verbrauchern erweitert (BT-Drucks.14/6040 S. 278; BT-Drucks.17/12637 S. 66).

Mit der Einführung des § 358 BGB durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz sollten die bisherigen § 9 Abs. 1 und 2 VerbrKrG, § 4 FernAbsG und § 6 TzWrG in einer Vorschrift zusammengefasst werden und eine einheitliche Vorschrift über verbundene Verträge "ohne Änderung der bisherigen Rechtslage" (BT-Drucks. 14/6040 S. 200) geschaffen werden. Für das VerbrKrG hatte der seinerzeitige Gesetzgeber allerdings bewusst von einer besonderen verbraucherschützenden Zuständigkeitsregelung abgesehen (BT-Drucks. 11/5462 S. 16); für einen "ausschließlichen Gerichtsstand für Klagen nach dem Verbraucherkreditgesetz" sah er keinen Bedarf, "weil der Schutz des Verbrauchers bei Klagen gegen ihn durch den Grundsatz des Prorogationsverbotes aus § 38 ZPO (...) ausreichend sichergestellt" sei und ein von den allgemeinen Vorschriften abweichender ausschließlicher Gerichtsstand für Klagen des Verbrauchers gegen den Kreditgeber erschien ihm "nicht erforderlich". Auch im FernAbsG und im TzWrG war eine (verbraucherfreundliche) Zuständigkeitsregelung nicht enthalten. Mangels planwidriger Regelungslücke ist mithin auch kein Raum für eine analoge Anwendung des § 29c ZPO.

Einen - auch nur hilfsweisen - Verweisungsantrag hat die Klägerin auch im Berufungsrechtszug nicht gestellt.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1ZPO; die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit findet ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst, da die Sache weder grundsätzliche Bedeutung aufweist noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern, § 543 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 ZPO.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 29.835,78 festgesetzt, §§ 47, 48 GKG i. V. m. § 3 ZPO. Der Streitwert für den Leistungsantrag zu 1. bestimmt sich nach dem geltend gemachten Betrag. Dem Antrag auf Feststellung des Annahmeverzugs (Berufungsantrag zu 2.) kommt keine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung zu (BGH, Beschluss vom 9. Mai 2017 – XI ZR 484/15). Die mit dem Antrag zu Ziffer 3 geltend gemachten vorgerichtlichen Anwaltskosten bleiben als Nebenforderung nach § 43 Abs. 1 GKG außer Ansatz. Die Werte der Hilfswiderklage sowie der Hilfsaufrechnung bleiben gemäß § 45 Abs. 1 Satz 2 bzw. § 45 Abs. 3 GKG außer Betracht, da über diese nicht entschieden wurde.