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Polizeidienst; Beamter auf Probe; Straftat während Vorbereitungsdienst; außerdienstliches Vergehen; rechtskräftige Verurteilung; keine Aufnahme ins Führungszeugnis; Mitteilungspflicht; falsche Erklärung vor Ernennung; arglistige TäuschungWiderrechtlichkeit; Rücknahme der Ernennung


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 4. Senat Entscheidungsdatum 07.04.2022
Aktenzeichen OVG 4 S 7/22 ECLI ECLI:DE:OVGBEBB:2022:0407.OVG4S7.22.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 12 Abs 1 Nr 1 BeamtStG, § 51 Abs 1 BZRG, § 53 Abs 1 Nr 1 BZRG, § 53 Abs 2 BZRG, § 80 Abs 3 S 1 VwGO

Leitsatz

Die Rücknahme einer Ernennung wegen arglistiger Täuschung (§ 12 Abs. 1 Nr. 1 BeamtStG) ist ausgeschlossen, wenn der durch § 53 Abs. 1 Nr. 1 BZRG privilegierte Beamte nicht gemäß § 53 Abs. 2 BZRG belehrt worden war.

Tenor

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 11. Februar 2022 wird geändert. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid des Ministeriums des Innern und für Kommunales vom      10. November 2021 wird wiederhergestellt.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 7. März 2022 für beide Instanzen auf 9.100 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antragsteller wendet sich im Wege vorläufigen Rechtsschutzes gegen die für sofort vollziehbar erklärte Rücknahme seiner Ernennung zum Polizeiobermeister unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe. Das Ministerium des Innern und für Kommunales stützt den Rücknahmebescheid vom 10. November 2021 auf die Annahme, der Antragsteller habe den Dienstherrn arglistig getäuscht.

Der im Jahr 1989 geborene Antragsteller beging am 1. April 2015, nach Aufnahme in den polizeilichen Vorbereitungsdienst, am Rande eines Fußballspiels eine Straftat. Er wurde deswegen mit rechtskräftigem Strafbefehl des Amtsgerichts Kiel vom 19. Mai 2016 wegen Körperverletzung und Beleidigung zu einer Geldstrafe in Höhe von 30 Tagessätzen verurteilt. Der Antragsteller informierte seinen Dienstherrn nicht über den Vorfall, das eingeleitete Strafverfahren und die Aburteilung. Er erklärte am 8. Dezember 2017 auf einem ihm vorgelegten und von ihm unterschriebenen Ankreuzformular unter anderem: „Ich bin gerichtlich nicht vorbestraft.“ und „Seit meiner Einstellung in den Vorbereitungsdienst sind und waren gegen mich keine Ermittlungs- oder Strafverfahren anhängig.“ Der Antragsgegner berief den Antragsteller nachfolgend in das Beamtenverhältnis auf Probe.

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 11. Februar 2022 hat Erfolg. Der Senat prüft nur die innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung vorgebrachte Begründung (§ 146 Abs. 4 Satz 1 und 6 VwGO). Gemessen an den fristwahrend dargelegten Gründen hat das Verwaltungsgericht zu Unrecht den Antrag des Antragstellers abgelehnt, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 19. November 2021 gegen die Rücknahme der Ernennung zum Polizeiobermeister unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe wiederherzustellen.

A. Der Antragsteller rügt allerdings vergeblich die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, dass die von der Behörde zur Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO gegebene Begründung inhaltlich nicht überzeugend sein müsse. Vielmehr müsse die Abwägung der Interessen inhaltlich richtig sein und alle entscheidungserheblichen Gründe vollständig erfasst und abgewogen haben. Der Antragsteller gibt mit dieser Argumentation zu erkennen, dass er die Anforderungen der Verwaltungsgerichtsordnung verkennt. Es entspricht einhelliger Auffassung, dass die der Behörde abverlangte Begründung für die Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO nichts anderes als die Erwägungen zum Ausdruck bringen soll, von denen sich die Behörde leiten lässt. Die nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO gebotene Begründung muss nicht inhaltlich überzeugend sein (siehe OVG Münster, Beschluss vom 2. Februar 2022 – 6 B 1707/21 – juris Rn. 3-5; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. Juli 2020 – OVG 10 S 47.20 – juris Rn. 10; Hoppe, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 55; Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 80 Rn. 97). Ob die Erwägungen stichhaltig sind oder nicht, lässt sich vom Gericht im Rahmen der Abwägung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO prüfen. Insofern kann das formelle Erfordernis der behördlichen Begründung vom materiellen Erfordernis der inhaltlichen Richtigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung eines Bescheids unterschieden werden. Bei dieser für das gerichtliche Prüfprogramm bedeutsamen Unterscheidung bleibt es auch dann, wenn ein Bescheid besonders einschneidende Folgen für den Betroffenen hat. Der Antragsteller beklagt insoweit ein faktisches Berufsverbot. Es obliegt auch in einem solchen Fall der gerichtlichen Abwägung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO, was aus dem Gesetz, aber auch aus dem Schutz der Grundrechte und dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzip folgt.

B. Der Antragsteller wendet sich hingegen zutreffend gegen die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, er habe den Antragsgegner arglistig getäuscht. Die Ernennung eines Landesbeamten ist gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 1 Fall 2 BeamtStG mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn sie durch arglistige Täuschung herbeigeführt wurde (vgl. dazu näher OVG Münster, Beschluss vom 26. Februar 2020 – 6 B 1575/19 – juris Rn. 10; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30. November 2006 – OVG 4 B 11.06 – juris Rn. 41; Werres, in: Schütz/Maiwald, Beamtenrecht, Stand 1.2.2021, BeamtStG § 12 Rn. 33). Das lässt sich hier nicht feststellen, weder anhand der Erklärung des Antragstellers vom 8. Dezember 2017 (I.) noch aufgrund des zuvor unterlassenen Hinweises auf das laufende Ermittlungsverfahren (II.).

I. Der Senat glaubt allerdings nicht der Behauptung des Antragstellers im Beschwerdevorbringen, er habe am 8. Dezember 2017 aus Scham die Erinnerung an das Strafverfahren verdrängt und die Erklärung ohne Täuschungsvorsatz abgegeben. Das allgemein gehaltene Vorbringen, die strafgerichtliche Verurteilung eines Polizeibeamten sei ein so schambesetzter Makel, dass der Beamte sie alsbald vergesse, ist lebensfremd. Der angebliche psychologische Mechanismus, in dessen Folge beim Abverlangen der Erklärung das angebliche Schamgefühl nicht getriggert worden, sondern die Erinnerung weiter verschlossen geblieben wäre, bleibt unerklärt.

Dem Antragsteller war vielmehr seine Verurteilung bewusst, als er am 8. Dezember 2017 die Erklärung abgab. Das räumt er – im Widerspruch zu seinem eben skizzierten Vortrag – im Beschwerdevorbringen indirekt ein. Denn der Antragsteller behauptet, er habe auf seine Rehabilitierung vertraut und darauf, dass die Allgemeinheit bereits Genugtuung erlangt habe. Das wäre eine bewusste, unverdrängte Vermutung, die der Antragsteller im präsenten Wissen der eigenen Verurteilung gehegt hätte. Der Antragsteller räumt damit ein, am 8. Dezember 2017 die Unwahrheit erklärt zu haben, hält sich lediglich für berechtigt zur Täuschung. In dieselbe Richtung geht seine Berufung auf Schweigerechte nach dem Bundeszentralregisterrecht. Der Antragsteller meint, er dürfe sich gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 1 BZRG als unbestraft bezeichnen und müsse nicht den der Verurteilung zugrunde liegenden Sachverhalt offenbaren, da der Dienstherr ihn nicht im Sinne von § 53 Abs. 2 BZRG belehrt habe. Der Antragsteller führt dazu den Gedanken einer Täuschung ohne Arglist ein. Das trifft den entscheidenden Punkt.

Es fehlt an einer arglistigen Täuschung, wenn der Täuschende zur Täuschung berechtigt ist. Die Täuschung ist dann nicht widerrechtlich (vgl. von Roetteken, in: von Roetteken/Rothländer, BeamtStG, Stand Oktober 2021, § 12 Rn. 83, 90). § 12 Abs. 1 Nr. 1 Fall 2 BeamtStG greift mit dem Rücknahmegrund der arglistigen Täuschung eine Wortwahl auf, die sich seit langem in deutschen Gesetzen findet, etwa in § 123 Abs. 1 BGB. Dort wird die widerrechtliche Drohung von der arglistigen Täuschung unterschieden. Es ist gleichwohl für das Bürgerliche Gesetzbuch anerkannt, dass auch eine arglistige Täuschung ein widerrechtliches Verhalten voraussetzt. Der Gesetzgeber hat es lediglich als überflüssig angesehen, der arglistigen Täuschung das Attribut „widerrechtlich“ ausdrücklich voranzustellen, weil er davon ausging, dass jede arglistige Täuschung selbstverständlich auch widerrechtlich sei (Singer / von Finckenstein, in: Staudinger, BGB, Stand 2021, BGB § 123 Rn. 32 unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte des BGB).

Insoweit wäre das Merkmal der Arglist nicht allein dem subjektiven Tatbestand, sondern auch der Frage der Rechtfertigung zugeordnet. Dafür spricht, dass der Begriff „Arglist“ den Vorwurf enthält, Arges verwirklichen zu wollen. Zu demselben Ergebnis führt die wohl überwiegend geteilte Rechtsauffassung, der objektive und der subjektive Tatbestand (Täuschung und Arglist) werde durch ein ungeschriebenes Erfordernis der Widerrechtlichkeit ergänzt. Arglist bedeutet dann nicht mehr als Vorsatz zur Verwirklichung des Tatbestands (siehe Summer, in: Franke/Weiß, GKÖD, BBG § 14, Stand 2009, Rn. 12 mit weiteren Nachweisen) und lässt die Frage der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der Täuschung unberührt.

Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob vor einer Ernennung im Dienstrecht alle Fragen des Dienstherrn zutreffend beantwortet werden müssen, jedenfalls nicht falsch beantwortet werden dürfen mit der Folge, dass die Fragen allenfalls unbeantwortet bleiben könnten (mit Weiterungen für das Verfahren), um eine arglistige Täuschung zu vermeiden. Es kann auch offenbleiben, ob und unter welchen Voraussetzungen zwischen zulässigen und unzulässigen Fragen zu unterscheiden sei (siehe zum Ganzen von Roetteken, in: von Roetteken/Rothländer, BeamtStG, Stand Oktober 2021, § 12 Rn. 82 ff. mit weiteren Nachweisen zum Streitstand) mit der Konsequenz, dass die zulässigen Fragen zutreffend beantwortet werden müssen. Denn die Lösung dieses Falls ergibt sich allein aus den Besonderheiten des § 53 BZRG.

Der Antragsteller hat die ihm abverlangte erste Erklärung mit den beiden vorformulierten Antwortmöglichkeiten, er sei gerichtlich nicht vorbestraft oder er sei gerichtlich vorbestraft, rechtens beantwortet. Denn der Antragsteller durfte sich nach § 53 Abs. 1 Nr. 1 BZRG als unbestraft bezeichnen. Die Verurteilung des Antragstellers zu einer Geldstrafe in Höhe von 30 Tagessätzen fällt unter § 53 Abs. 1 Nr. 1 BZRG (siehe § 32 Abs. 2 Nr. 5 Buchst. a BZRG). Die Begriffe „nicht vorbestraft“ (im Formular) und „unbestraft“ (laut Gesetz) sind inhaltlich identisch. Das Recht, sich selbst als unbestraft zu bezeichnen, erlaubt die Zeichensetzung, also ein aktives Tun. Die Schutzwirkung der Norm beschränkt sich nicht darauf, dass die Verurteilung verschwiegen, mithin eine Mitteilung unterlassen werden darf. Der Gesetzgeber setzt dieses Selbstbehauptungsrecht des Verurteilten dem Recht der Allgemeinheit aus § 51 Abs. 1 BZRG gegenüber, eine noch nicht aus dem Bundeszentralregister zu tilgende Tat und die Verurteilung der betroffenen Person im Rechtsverkehr vorzuhalten und zu ihrem Nachteil zu verwerten, wenn sie denn bekannt sind. Deswegen ist die Behauptung des Verurteilten, unbestraft zu sein, rechtens, aber unwahr. Ob dem Verurteilten bekannt ist, dass er sich nach § 53 Abs. 1 Nr. 1 BZRG als unbestraft bezeichnen darf, oder ob er annimmt, unberechtigt zu lügen, ist für die Schutzwirkung der Norm unerheblich. Der untaugliche Versuch einer unlauteren Beeinflussung berechtigt nicht zur Rücknahme der Ernennung (vgl. von Roetteken, in: von Roetteken/Rothländer, BeamtStG, Stand Oktober 2021, § 12 Rn. 52).

Der Antragsteller hat demgegenüber die von ihm erwartete zweite Erklärung, seit der Einstellung in den Vorbereitungsdienst „sind und/oder waren“ keine oder aber doch Ermittlungs- oder Strafverfahren anhängig, unzutreffend abgegeben. Denn es war seit seiner Verbeamtung ein Ermittlungs- und Strafverfahren anhängig, das in die genannte Verurteilung mündete. Der Gesetzgeber stellt insoweit keine Sachverhaltsfiktion („das Verfahren gilt als nicht anhängig“) bereit, auf die sich ein Betroffener „als wahr“ berufen dürfte. Gleichwohl fällt dem Antragsteller seine unzutreffende Aussage nicht zur Last. Denn er brauchte nach § 53 Abs. 1 Nr. 1 BZRG den seiner Verurteilung zugrunde liegenden Sachverhalt nicht zu offenbaren. Wenn etwas nicht offenbart zu werden braucht, darf der Berechtigte schweigen. Er kann ohne eine Nachfrage des Dienstherrn die Mitteilung unterlassen und er darf auf Erkundung des Dienstherrn den Sachverhalt fälschlich verneinen (vgl. Günther, DÖD 1990, 281 <292>). Die falsche Verneinung eines Sachverhalts auf Nachfrage muss von der Schutzwirkung des § 53 Abs. 1 Nr. 1 BZRG erfasst sein; andernfalls hinge es davon ab, ob lediglich zur Mitteilung einschlägiger Sachverhalte aufgefordert oder ob zusätzlich die Verneinung solcher Sachverhalte abverlangt würde. Hier wurde vom Antragsgegner beides ermittelt. Nach dem Formularvordruck hätte der Antragsteller etwaige Ermittlungs- und Strafverfahren nach Art, Datum, Aktenzeichen und Behördenanschrift sowie Ausgang des jeweiligen Verfahrens auflisten sollen. Der Antragsgegner begnügte sich in seinem Formular nicht mit der detaillierten Bejahung von Ermittlungs- und Strafverfahren, sondern verlangte daneben auch ausdrücklich, solche Verfahren gegebenenfalls zu verneinen.

Der einer Verurteilung zugrunde liegende Sachverhalt im Sinn des § 53 Abs. 1 BZRG betrifft nicht lediglich Informationen wie die Zeit, den Ort und weitere Einzelheiten der Tat. Der Berechtigte braucht bereits nicht zu offenbaren, dass es überhaupt zu einem Verfahren gekommen ist, wenn es in einer Verurteilung mündete, die von § 53 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 BZRG erfasst wird. Denn das Recht, sich als unbestraft bezeichnen zu dürfen, ist wenig wert, falls offenbart werden müsste, dass es ein Strafverfahren gegeben hat. Nach dem Schutzzweck der Norm soll es dem Verurteilten möglich sein, im allgemeinen Verkehr als unbescholten aufzutreten. Die Vorschrift trägt zur Resozialisierung bei (Malek, in: Müller/Schlothauer/Knauer, Münchener Anwaltshandbuch Strafverteidigung, 3. Aufl. 2022, § 30 Rn. 104).

Der Senat weist darauf hin, dass es im Anwendungsbereich von § 53 BZRG nicht wie vielleicht sonst (siehe von Roetteken, in: von Roetteken/Rothländer, BeamtStG, Stand Oktober 2021, § 12 Rn. 90) entscheidend ist, ob Fragen des Dienstherrn prinzipiell zulässig oder unzulässig sind. Vielmehr dürfen auf der Grundlage von § 53 BZRG Fragen, die grundsätzlich zulässig sein mögen, ausnahmsweise falsch beantwortet werden. Wenn und soweit die Frage nach laufenden oder ohne Verurteilung eingestellten Ermittlungsverfahren zulässig ist (vgl. generell BVerwG, Beschluss vom 20. Juli 2016 – 2 B 17.16 – juris Rn. 26 und speziell VGH Kassel, Beschluss vom 23. August 2021 – 1 B 924/21 – juris Rn. 41; BAG, Urteil vom 20. März 2014 – 2 AZR 1071/12 – juris Rn. 29 und 49; VGH Mannheim, Beschluss vom 27. November 2008 – 4 S 2332/08 – juris Rn. 7; von Roetteken, in: von Roetteken/Rothländer, BeamtStG, Stand Oktober 2021, § 12 Rn. 104 f.), wäre eine Täuschung grundsätzlich widerrechtlich und nur ausnahmsweise berechtigt, nämlich im Fall einer nach § 53 Abs. 1 Nr. 1 BZRG privilegierten Verurteilung. Der Dienstherr muss den Bewerber nicht über das Privileg aus dieser Gesetzesbestimmung belehren, damit die Frage generell zulässig ist. Das ergibt sich im Umkehrschluss aus § 53 Abs. 2 BZRG. Danach ist dem Dienstherrn eine Belehrung nur dann geboten, wenn er das Privileg ausschließen will.

II. Das Verwaltungsgericht hat eine (widerrechtliche) arglistige Täuschung nicht nur in der Erklärung vom 8. Dezember 2017 gesehen, dass keine Ermittlungs- oder Strafverfahren seit der Einstellung in den Vorbereitungsdienst anhängig (gewesen) seien. Es hat „zudem – und vor allem“ darauf abgestellt, dass der Antragsteller die Einleitung und Durchführung des Ermittlungs- und Strafverfahrens vor dessen rechtskräftigem Abschluss nicht offenbart habe. Das Verwaltungsgericht nimmt an, dass dem Antragsteller vor und bald nach Begründung des Beamtenverhältnisses auf Widerruf verdeutlicht worden sei, er müsse laufende Verfahren mitteilen, und bezieht sich dazu vor allem auf die Belehrung des Antragstellers vom 12. Februar 2015. Der Antragsteller habe die Mitteilung widerrechtlich unterlassen und den Dienstherrn dadurch arglistig getäuscht. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Antragsteller über die ihm auferlegte Pflicht zur unaufgeforderten Offenbarung von laufenden Verfahren hinreichend belehrt worden sei und ob er die Mitteilung mit oder ohne Arglist unterließ. Der Ansatz des Verwaltungsgerichts beruht auf der verbreiteten und wohl zutreffenden Annahme, dass das Privileg aus § 53 Abs. 1 Nr. 1 BZRG nur für die dort erfassten Verurteilungen und nicht für noch laufende Strafverfahren gilt (vgl. Malek, in: Müller/Schlothauer/Knauer, Münchener Anwaltshandbuch Strafverteidigung, 3. Aufl. 2022, § 30 Rn. 105; Günther, DÖD 1990, 281 <292 f.>), womöglich auch nicht für ohne Verurteilung eingestellte Verfahren (siehe VGH Kassel, Beschluss vom 23. August 2021 – 1 B 924/21 – juris Rn. 45 ff. in Auseinandersetzung mit dem BAG).

Der Senat hält den Rückgriff des Verwaltungsgerichts auf die unterlassene Mitteilung vor rechtskräftiger Verurteilung im Sinn von § 53 Abs. 1 Nr. 1 BZRG für nicht gangbar. Nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 BeamtStG muss die Ernennung durch arglistige Täuschung herbeigeführt worden sein. Das Gesetz verlangt mit dem Merkmal der Herbeiführung einen Kausalzusammenhang zwischen arglistiger Täuschung und Ernennung (Werres, in: Schütz/Maiwald, Beamtenrecht, Stand 1.2.2021, BeamtStG § 12 Rn. 41). Holt der Dienstherr eine ausdrückliche Erklärung darüber ein, ob der Ernennungsbewerber vorbestraft ist oder gegen ihn Verfahren geführt werden oder wurden, lässt sich der maßgebliche Sachbearbeiter durch die in dieser Erklärung abgegebenen Informationen zu Ernennung verleiten. Es liegt fern, dass er zusätzlich oder gar vorrangig würdigt, dass in den Monaten zuvor keine Offenbarung eines laufenden Ermittlungsverfahrens zur Personalakte gelangte. Ein womöglich vorhandener Irrtum wird durch die spätere Erklärung aufrechterhalten und bekräftigt (vgl. von Roetteken, in: von Roetteken/Rothländer, BeamtStG, Stand Oktober 2021, § 12 Rn. 81), sie schiebt sich gleichsam vor das frühere Verschweigen. Der Kausalzusammenhang zwischen Unterlassung und Ernennung ist nicht nur tatsächlich brüchig, sondern auch rechtlich unterbrochen. Denn das Verlangen, ein laufendes Ermittlungsverfahren mitzuteilen, erfährt seine Berechtigung darin, dass an dessen Ende eine nicht nach § 53 Abs. 1 Nr. 1 BZRG privilegierte Verurteilung erfolgen könnte. Tritt dieser Fall einer höheren Bestrafung am Ende nicht ein, heilt § 53 Abs. 1 Nr. 1 BZRG die Unterlassung im Vorfeld.

III. Nach alldem wäre eine Rücknahme der Ernennung wegen arglistiger Täuschung über die Verurteilung zu einer Geldstrafe in Höhe von 30 Tagessätzen nur rechtmäßig gewesen, wenn der Antragsgegner den Antragsteller gemäß § 53 Abs. 2 BZRG darüber belehrt hätte, dass er kein Recht aus § 53 Abs. 1 Nr. 1 BZRG gegenüber der obersten Landesbehörde habe (vgl. BAG, Urteil vom 20. März 2014 – 2 AZR 1071/12 – juris Rn. 34). Eine solche Belehrung nimmt dem verurteilten Empfänger nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut das Recht, sich als unbestraft zu bezeichnen und den zugrunde liegenden Sachverhalt zu verschweigen; falsche Angaben gegenüber der obersten Landesbehörde wären im Sinne von § 12 Abs. 1 Nr. 1 BeamtStG widerrechtlich. Die Bedeutung der Belehrung erschöpft sich nicht darin, dass die oberste Landesbehörde ihre erweiterten Auskunftsmöglichkeiten nutzen darf (so aber anscheinend von Roetteken, in: von Roetteken/Rothländer, BeamtStG, Stand Oktober 2021, § 12 Rn. 102). Denn das Recht auf erweiterte Auskunft gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 2 BZRG steht der obersten Landesbehörde ohne weiteres nach Maßgabe des § 41 Abs. 3 BZRG zu. Die Belehrung hätte in den Erklärungsvordruck für die Ernennungsbewerber aufgenommen werden können (siehe BAG, Urteil vom 15. November 2012 – 6 AZR 339/11 – juris Rn. 2). Der Antragsgegner hatte den Antragsteller jedoch nicht gemäß § 53 Abs. 2 BZRG belehrt.

IV. Ob der Antragsteller gemäß § 23 Abs. 3 BeamtStG aus dem Beamtenverhältnis auf Probe entlassen werden darf (vgl. dazu OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Januar 2022 – OVG 4 S 39/21 – juris), wie es der Antragsgegner mit einem weiteren Bescheid verfügte, ist nicht Streitgegenstand dieses Verfahrens.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1, § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).