Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 20. Senat | Entscheidungsdatum | 17.02.2022 | |
---|---|---|---|---|
Aktenzeichen | L 20 AS 229/20 | ECLI | ECLI:DE:LSGBEBB:2022:0217.L20AS229.20.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 31 Abs 1 SGB 2, § 31a Abs 1 SGB 2, § 31b Abs 1 SGB 2 |
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. Januar 2020 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Kläger wendet sich gegen einen Sanktionsbescheid des Beklagten für die Zeit vom 1. Februar 2019 bis zum 30. April 2019.
Ein Sanktionsbescheid vom 17. Juli 2018 für den Zeitraum vom 1. August 2018 bis 31. Oktober 2018 wegen Nichterscheinens zur Aufnahme eines Beschäftigungsverhältnisses wurde aufgehoben, weil der Kläger bestritt, den Vermittlungsvorschlag erhalten zu haben.
Eine weitere Sanktionsentscheidung vom 20. September 2018 für den Zeitraum vom 1. Oktober 2018 bis 31. Dezember 2018 wegen Nichtnachweises selbständiger Bewerbungsbemühungen wurde aufgehoben, da die – zu dem Zeitpunkt geltende - Eingliederungsvereinbarung, aus der sich die Pflicht zu Eigenbemühungen ergab, nicht mit einer entsprechenden Rechtsbehelfsbelehrung versehen war.
Mit Schreiben vom 4. Dezember 2018 bot der Beklagte dem Kläger zur Heranführung an den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt die Teilnahme an einem Bewerbungscenter im Zeitraum vom 17. Dezember 2018 bis 4. Januar 2019 in Vollzeit an. In dem Schreiben heißt es: „Notwendige Kosten (z. B. Fahrkosten), die im Zusammenhang mit ihrer Teilnahme an der Maßnahme entstehen, können übernommen werden. Zum Antrag nutzen Sie bitte den Erklärungsbogen.“
Mit Schreiben vom 27. Dezember 2018 hörte der Beklagte den Kläger zum möglichen Eintritt einer Sanktion an, da er nicht an der Maßnahme teilgenommen habe.
Nachdem der Kläger auch hierauf nicht reagierte, minderte der Beklage mit Bescheid vom 22. Januar 2019 für die Zeit vom 1. Februar 2019 bis 30. April 2019 den Arbeitslosengeld II-Anspruch um 30 % des maßgeblichen Regelbedarfs (127,00 Euro monatlich). Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass dem Kläger die Maßnahme unter Berücksichtigung seiner Leistungsfähigkeit und persönlichen Verhältnisse zumutbar war, er sich trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen geweigert habe, diese Maßnahme aufzunehmen und einen wichtigen Grund auch auf die Anhörung hin nicht mitgeteilt habe.
Auf den dagegen erhobenen Widerspruch verfasste der Beklagte den Prüfvermerk vom 31. Januar 2019 zur Akte in dem es heißt: „Der Kunde wird seit Mai 2018 durch zuständige AV immer wieder auf die Einreichung seiner Bewerbungsunterlagen hingewiesen. Am 2. Mai 2018 wurde mit dem Kunden besprochen, dass sollten keine Nachweise erfolgen, er seitens des JC ggf. mit Zuweisung unterstützt wird. … Da der Kunde bis Rücklauf EGV keinerlei Nachweis über seine Bewerbungen eingereicht hat, weder Lebenslauf, noch Anschreiben in grober Form, wurde er am 4. Dezember 2018 für die 14tägige MAT-Bewerbercenter zugewiesen. Hier soll der Kunde unterstützt werden.“
Mit Widerspruchsbescheid vom 7. Februar 2019 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Der Widerspruchsführer habe die ihm zugewiesene Maßnahme nicht angetreten. Hierin liege die Pflichtverletzung, die nicht bestritten werde. Ein wichtiger Grund läge nicht vor. In der zugewiesenen Maßnahme werde ausgeführt, dass Kosten im Zusammenhang mit der Teilnahme an der Maßnahme erstattet würden (z.B. Fahrtkosten). Aus diesem Grunde können die Zuweisung nicht rechtswidrig sein. Die zugewiesene Maßnahme sei auch zumutbar gewesen. In Anbetracht dessen, dass der Kläger seit 2015 keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen sei, sei er als nicht marktnah einzustufen. Um eine Eingliederung in Arbeit näher zu bringen, sei es erforderlich, dass ein Bewerbungstraining stattfinde. Dass einem solche Gründe im Sinne von § 10 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) entgegenstehen, könne nicht erkannt werden. Solche würden in der formularmäßigen Begründung des Widerspruchs auch nicht vorgetragen. Eine gesetzliche Grundlage für das Festschreiben in der Eingliederungsvereinbarung sei nicht vorgesehen.
Hiergegen hat der Kläger am 14. Februar 2019 bei dem Sozialgericht Berlin Klage erhoben. Die Maßnahme sei bereits nicht zumutbar gewesen, weil es einer ausreichend deutlichen Kostenübernahme hinsichtlich der angemessenen Kosten für die Teilnahme an der Maßnahme gefehlt habe. Zudem fehle es an einer ordnungsgemäßen Ermessensausübung hinsichtlich der konkreten Maßnahme. Im übrigen werde bestritten, dass die Maßnahme für den Kläger zumutbar gewesen sei. Die Sanktion sei zudem rechtswidrig, weil die Maßnahme nicht in der aktuellen Eingliederungsvereinbarung vereinbart worden sei, weil die gemäß § 15 SGB II vorgeschriebene Potentialanalyse nicht stattgefunden habe und weil die gesetzliche Grundlage gemäß § 31 ff. SGB II, auf welcher der Sanktionsbescheid beruhe, verfassungswidrig sei.
In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger ausgeführt, dass er bereits vor längerer Zeit, etwa neun Jahren, eine ähnliche Maßnahme absolviert habe.
Der anwaltlich vertretene Kläger hat beantragt,
den Sanktionsbescheid vom 22. Januar 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Februar 2019 aufzuheben.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Mit Urteil vom 30. Januar 2020 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Antragsteller habe ein Maßnahmeangebot mit ordnungsgemäßer Rechtsfolgenbelehrung erhalten und habe an der Maßnahme nicht teilgenommen. Einen wichtigen Grund habe der Antragsteller nicht vorgetragen. Die Sanktion sei auch nicht deswegen rechtswidrig, weil die zugrundeliegende Maßnahmezuweisung rechtswidrig gewesen sei. Die Maßnahme sei insbesondere nicht deshalb rechtswidrig, weil keine Übernahme von Kosten konkret ausgesprochen worden sei. Es genüge, wenn entsprechende Leistungen abstrakt getroffen würden. Die exakte Ausgestaltung der jeweiligen Leistung könne dem Antragsverfahren vorbehalten bleiben.
Die Maßnahmezuweisung sei auch nicht ermessensfehlerhaft. Die Beklagte habe die Gründe in dem Vermerk vom 31. März 2019 ausführlich dargelegt. Nach Auffassung der Kammer sei ein Zuweisungsschreiben – wie eine Meldeaufforderung, die ebenfalls im Ermessen stehe – erst bei Vorliegen besonderer Umstände im einzelnen zu begründen. Bis zum Vorliegen besonderer Umstände genüge die kurze Angabe des Zweckes.
Der Kläger hat gegen das Urteil am 11. Februar 2020 die vom Sozialgericht zugelassene Berufung eingelegt. Zur Begründung wiederholt er im Wesentlichen seinen Vortrag aus dem erstinstanzlichen Verfahren und beruft sich auf die Rechtsprechung des LSG Niedersachsen Bremen vom 24. November 2015 – L 7 AS 1519/15 B ER zur Anforderung der Kostenübernahmeregelung sowie zu den Anforderungen an die Ermessensausübung bei Maßnahmen zur Eingliederung in Arbeit.
Soweit das Sozialgericht auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts für Kettensanktionierungen wegen Meldeversäumnissen stütze, handele es sich um eine gänzlich andere Fallkonstellation. Die Sanktion sei zudem rechtswidrig, weil die Maßnahme nicht in der aktuellen Eingliederungsvereinbarung vereinbart worden sei und die gemäß § 15 SGB II vorgeschriebene Potentialanalyse nicht stattgefunden habe. Schließlich fehle es der Feststellung der Pflichtverletzung an einer ordnungsgemäßen Rechtsfolgenbelehrung, weil sie mit den grundgesetzlichen Vorgaben nach Maßgabe der bundesverfassungsrechtlichen Entscheidung vom 5. November 2019 – 1 BvL 7/16 – nicht in Einklang stehe (Verweis auf SG Hamburg, Urteil vom 24. September 2020 – S 58 AS 369/17 -).
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. Januar 2020 sowie den Bescheid vom 22. Januar 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Februar 2019 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung verweist er auf die nach seiner Auffassung überzeugenden Ausführungen des Sozialgerichts Berlin.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. Januar 2020 sowie der Sanktionsbescheid vom 22. Januar 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Februar 2019 erweisen sich als rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.
Regelungsgegenstand der streitbefangenen Bescheide ist die Feststellung einer Sanktion und der sich daraus ergebenden prozentualen Alg II-Minderungen, sowie der Ausspruch über die entsprechende Änderung der betroffenen Bewilligungsbescheide nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X. Diese Regelungen hat der anwaltlich vertretene Kläger zulässigerweise ausdrücklich mit der Anfechtungsklage angegriffen. Bereits zur Feststellung von Meldeversäumnissen mit dem Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld für die Dauer einer Sperrzeit nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung (SGB III) hat das BSG es als gerechtfertigt angesehen, die Überprüfung auf die Minderung als solche zu beschränken, wenn eine solche Beschränkung vom Kläger ausdrücklich gewollt ist und keinerlei Zweifel an einer Klagebeschränkung oder Klagerücknahme bestehen (BSG Urteil vom 18.8.2005 - B 7a AL 4/05 R - SozR 4-1500 § 95 Nr 1 RdNr 8; BSG Urteil vom 17.10.2007 - B 11a/7a AL 44/06 R-RdNr 12). Solche Zweifel bestehen hier nicht. Das SG hat das Begehren des Klägers insofern zu Recht dahingehend verstanden (§ 123 SGG), dass er eine gerichtliche Entscheidung lediglich hinsichtlich der Absenkungsentscheidung, nicht jedoch auch hinsichtlich des im streitigen Zeitraum zu zahlenden Alg II begehrt. Mit der Aufhebung der angeordneten Minderung um 127,20 Euro monatlich wäre dem klägerischen Begehren vollständig genüge getan.
Zu Recht hat das Sozialgericht entschieden, dass die auf § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 31a Abs. 1, § 31b Abs. 1 SGB II gestützte Entscheidung der Beklagten rechtlich nicht zu beanstanden ist. Danach mindert sich das Arbeitslosengeld jeweils um 30% des für den Leistungsberechtigten nach § 20 maßgeblichen Regelbedarfs, wenn dieser trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis eine zumutbare Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit nicht antritt. Dies gilt nur dann nicht, wenn der Leistungsberechtigte einen wichtigen Grund für sein Verhalten darlegt und nachweist.
Die Voraussetzungen für die formelle Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides, insbesondere das Vorliegen einer Anhörung nach § 24 SGB X sind erfüllt.
Rechtgrundlage für die festgestellte Pflichtverletzung ist hier § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II, da das Angebot außerhalb des Eingliederungsverwaltungsakts erfolgte (vgl. Hahn in: Eicher/Luik/Harich, SGB II 5. Aufl. 2021, § 31 Nr. 49). Der Beklagte und das Sozialgericht sind zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger eine ihm zumutbare Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit nicht angetreten hat.
Auch hat das Sozialgericht zutreffend entschieden, dass die nicht angetretene Maßnahme dem Kläger zumutbar war, wobei die Gerichte dies nach Auffassung des Bundessozialgerichts in jedem Falle inzident zu prüfen haben, unabhängig davon, ob der Kläger sich hierauf beruft und unabhängig davon, welche Grundlage die Teilnahme an der Maßnahme hat (vgl. BSG, Urteil vom 15. Dezember 2010 – B 14 AS 92/09 R, juris Rn. 22). Im vorliegenden Fall besteht kein Anlass für Zweifel an der Zumutbarkeit. Insbesondere dem im Prüfvermerk zum Widerspruch vom 31. Januar 2019 genannten Umständen ist zu entnehmen, dass der Kläger durchaus Hilfe bei den Bewerbungsbemühungen bedurfte. Der Kläger ist diesem Eindruck auch nicht entgegengetreten, weshalb sich die Maßnahme die insbesondere auf das Bewerbungs-Coaching abzielte, hier nicht nur als zumutbar, sondern als geboten darstellte.
Die als Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für die Teilnahmeaufforderung notwendige Ermessensausübung des Beklagten ist nicht zu beanstanden.
Zu deren Überprüfung ist von Folgendem auszugehen: Soweit ein Leistungsträger ermächtigt ist, nach seinem Ermessen zu handeln, ist sein Handeln nur rechtswidrig, wenn die gesetzlichen Grundlagen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck des Ermessens nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 54 Abs 2 Satz 2 SGG sowie § 39 Abs 1 Satz 1 SGB I zu Ermessensleistungen). Abgesehen von einer Ermessensreduzierung auf Null hat der Gesetzgeber dem Leistungsträger mit der Einräumung von Ermessen eine Auswahlbefugnis hinsichtlich mehrerer gleichermaßen rechtmäßiger Entscheidungsmöglichkeiten auf der Rechtsfolgenseite eröffnet. Zur Sicherung der Funktionentrennung (Art 20 Abs 2 Satz 2 GG) und der Entscheidungsfreiheit des Leistungsträgers über die Zweckmäßigkeit seines Handelns ist die Überprüfung seiner Ermessensentscheidung durch die Gerichte auf die Rechtmäßigkeitsprüfung begrenzt ("Rechtmäßigkeits-, aber keine Zweckmäßigkeitskontrolle"). Das Gericht hat nur zu prüfen, ob der Träger sein Ermessen überhaupt ausgeübt, er die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder er von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (§ 54 Abs 2 Satz 2 SGG; vgl auch zum Nachfolgenden jeweils mwN nur: BSG Urteil vom 18.3.2008 - B 2 U 1/07 R-BSGE 100, 124 = SozR 4-2700 § 101 Nr 1, RdNr 13 ff und BSG Urteil vom 9.11.2010 - B 2 U 10/10 R - SozR 4-2700 § 76 Nr 2 RdNr 12 ff).
Ein Ermessensnichtgebrauch, bei dem überhaupt keine Ermessenserwägungen angestellt werden und so gehandelt wird, als ob eine gebundene Entscheidung zu treffen ist, ist nicht festzustellen, weil der Beklagte das Maßnahmeangebot ausgesprochen hatte, um die berufliche Situation des Klägers zu verbessern, was angesichts der Länge seines Leistungsbezugs und der Tatsache, dass es ihm bis zu dem Zeitpunkt nicht gelungen war, selbständig Bewerbungsbemühungen auszuführen, naheliegend war. Eine Ermessensüberschreitung, bei der eine Rechtsfolge gesetzt wird, die in der gesetzlichen Regelung nicht vorgesehen ist, scheidet aus. Denn die vom Beklagten ausgesprochene Maßnahmeaufforderung ist ein vom Gesetz vorgesehenes Ergebnis seiner Ermessensausübung.
Die Voraussetzungen für eine Ermessensunterschreitung oder ein Ermessensmangel, bei denen zwar Ermessenserwägungen angestellt werden, diese indes unzureichend sind, weil sie z.B. nur aus formelhaften Wendungen bestehen oder relevante Ermessensgesichtspunkte nicht berücksichtigt werden, oder für einen Ermessensfehlgebrauch oder Ermessensmißbrauch, bei denen sachfremde Erwägungen angestellt werden, sind vorliegend nicht erfüllt. Denn die Teilnahme an einem Bewerbungs-Coaching war angesichts der langjährigen Arbeitslosigkeit des Klägers und seiner wenig ausgebildeten Fähigkeit Bewerbungen zu verfassen, praktisch geboten. Ob es geboten war, diese weiteren Zwecke ausdrücklich zu benennen, kann angesichts der genannten zulässigen Zwecke – bezogen auf die einzelne Maßnahme – dahingestellt bleiben. Die in dem Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides genannten Zwecke dienten dem zentralen Ziel des SGB II, die Arbeitsuchende leistungsberechtigte Person bei der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zu unterstützen und ihr die Fähigkeiten zu vermitteln, wie sie eine solche Erwerbstätigkeit erlangen kann (vgl. § 1 Abs. 2 SGB II; BSG Urteil vom 29. April 2015 – B 14 AS 19/14 R – zur Meldeaufforderung). Das Sozialgericht hat zutreffend angenommen, dass dieser Rechtsgedanke, den das Bundessozialgericht zu Meldeaufforderungen entwickelt hat, hinsichtlich einer Maßnahme-Aufforderung entsprechend gilt. Gerade wenn sich wie hier das Ergebnis der Ermessensausübung von selbst versteht, bedarf es insoweit nach § 35 Abs. 1 Satz 3 SGB X keiner weiteren das Selbstverständliche darstellende Begründung.
Die Pflichtverletzung folgte weiterhin trotz schriftlicher Belehrung über deren Rechtsfolgen und einer entsprechenden Kenntnis des Klägers.
Dem Kläger stand auch kein wichtiger Grund für die Nichtteilnahme an der Maßnahme zur Seite. Ein solcher wird auch nicht vorgetragen. Allein die Tatsache, dass der Kläger bereits vor neun Jahren an einer entsprechenden Maßnahme teilgenommen haben will, spricht im Hinblick auf seine Schwierigkeiten zum damaligen Zeitpunkt hinsichtlich der Erlangung eines Arbeitsplatzes nicht gegen die erneute Teilnahme an einer solchen Maßnahme.
Die Teilnahme war auch nicht deshalb unzumutbar, weil der Beklagte in seinem Schreiben vom 4. Dezember 2018 keine verbindliche Auskunft erteilt hat, welche Leistungen (insbesondere Fahrkosten) während der Maßnahme gewährt werden. Insoweit heißt es in dem Schreiben vom 4. Dezember 2018, dass notwendige Kosten (z.B. Fahrkosten), die im Zusammenhang mit der Teilnahme an der Maßnahme entstehen, übernommen werden können. Zur Beantragung nutzen sie bitte den Erklärungsbogen. Der Senat folgt insoweit nicht der Auffassung des Landessozialgerichts Niedersachsen – Bremen im Beschluss vom 24. November 2015 – L 7 AS 1519/15 B ER, nach der aus solchen Angaben nicht zuverlässig zu entnehmen sei, ob und welche ihm während der Eingliederungsmaßnahme entstehenden Kosten vom Antragsgegner als angemessen und notwendig angesehen würden und in welcher Höhe diese übernommen werden sollten, insbesondere ob sich der Antragsteller eine Ermessensentscheidung darüber vorbehalte.
Vielmehr hält es der Senat für ausreichend, dass dem Kläger in dem genannten Schreiben die rechtlichen Voraussetzungen eines Erstattungsanspruches angekündigt werden. Eine weitere Konkretisierung der Kostenübernahmeregelung ist weder erforderlich noch möglich, da die Übernahme der angemessenen Kosten bezogen auf den konkreten Einzelfall anhand der gesetzlichen Bestimmungen zu prüfen ist und eine weitere Konkretisierung der Kostenübernahmeregelung ggf. das Recht des Betroffenen auf Würdigung der konkret geltend gemachten Kosten in unzulässiger Weise beeinträchtigen würde (Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12. Juni 2013 – L 7 AS 40/13 B –, juris). Auch das Bundessozialgericht lässt es regelmäßig ausreichen, wenn die auf Antrag bestehenden Ansprüche dem Grunde nach verbindlich bezeichnet waren (BSG, Urteil vom 23. Juni 2016 – B 14 AS 42/15 R –, BSGE 121, 268-275, SozR 4-4200 § 15 Nr 6; vgl BSG Urteil vom 15.2.1979 - 7/12 RAr 43/77 - SozR 4100 § 119 Nr 7 S 32; BSG Urteil vom 16.10.1990 - 11 RAr 65/89 - SozR 3-4100 § 119 Nr 4 S 17).
Die Maßnahme erweist sich auch nicht deshalb als rechtswidrig, weil eine Potentialanalyse nicht stattgefunden habe. Der Prozessbevollmächtigte verweist insoweit zutreffend auf § 15 SGB II, mit dem mit Wirkung zum 1. August 2016 eine solche Potentialanalyse als Voraussetzung für die Vermittlung und Beratung sowie den Einsatz von Eingliederungsleistungen eingeführt worden ist. Unabhängig davon, ob eine solche Potentialanalyse vor Erlass des die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakts vom 29. November 2018 durchgeführt worden ist, würde sich das Fehlen einer solche Analyse allein auf die Rechtmäßigkeit der Eingliederungsvereinbarung auswirken, nicht jedoch auf weitere Maßnahmen, die ggf. ausfüllend oder ergänzend neben der Eingliederungsvereinbarung veranlasst werden.
Auch das Argument des Prozessbevollmächtigten des Klägers, dass die Sanktionen zudem rechtswidrig sei, weil die Maßnahme nicht in der für den hier betreffenden Zeitraum anwendbaren Eingliederungsvereinbarung (gemeint ist wohl der die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakts vom 29. November 2018) vereinbart worden sei, greift nicht durch. Nach § 15 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 SGB II sollen von Seiten des Leistungsträgers die Leistungen zur Eingliederung in Ausbildung oder Arbeit nach den §§ 14 bis 18e SGB II, die die leistungsberechtigte Person erhält, geregelt werden; wegen der Verweisungen aus § 16 SGB II kommen dabei auch Eingliederungsleistungen des SGB III in Betracht. Da zum Zeitpunkt des Abschlusses einer Eingliederungsvereinbarung die weitere Entwicklung für die nächsten sechs Monate jedoch nicht in allen Einzelheiten überblickt werden kann, besteht allerdings ein Bedürfnis, die Förderungsmaßnahmen zunächst allgemeiner zu formulieren. Zwar muss die Unterstützung durch den SGB II –Leistungsträger in der Eingliederungsvereinbarung konkret und verbindlich bestimmt sein. Dies schließt ergänzende oder unterstützende Maßnahmen jedoch nicht aus. Vorliegend war der Kläger verpflichtet, eine Anzahl von Bewerbungen zu veranlassen, wozu er offensichtlich nicht in der beabsichtigten Weise befähigt war. Es steht dem Leistungsträger deshalb offen, neben den konkreten und verbindlichen Eingliederungsmaßnahmen, weitere Maßnahmen zu veranlassen, die dem Förderungszweck dienen. Die Konkretisierungspflicht der Maßnahmen in der Eingliederungsvereinbarung dient der leistungsberechtigten Person dazu, dass die Verwaltung sich abgesprochener Leistungen nicht entziehen können soll, sie dient nicht dazu, weitere Maßnahmen, die nicht konkret und verbindlich vereinbart sind, abzuwehren.
Die Regelungen in § 31a Abs. 1 Satz 1, 2 und 3 in Verbindung mit § 31b SGB II sind wie in dem vorliegenden Fall des § 31 Abs. 1 SGB II mit dem Grundgesetz vereinbar. Der Gesetzgeber hat in § 31 Abs. 1 SGB II erwerbsfähigen Leistungsberechtigten verhältnismäßig Pflichten auferlegt, um im Sinne von § 10 SGB II zumutbar an der Überwindung der eigenen Bedürftigkeit mitzuwirken. Auch die Entscheidung des Gesetzgebers, die in § 31 Abs. 1 SGB II normierten Pflichten nach § 31a und 31b SGB II, wenn nach § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II kein wichtiger Grund für ihre Nichterfüllung vorliegt, mit der Sanktion durchzusetzen, dass Leistungen in Höhe des für diese Person maßgebenden existenzsichernden Regelbedarfs im Sinne des § 20 SGB II vorübergehend gemindert werden, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BVerfG, Urteil vom 5. November 2019 – 1 BvL 7/16, BVerfGE 152, 68 ff. Rz. 211). Auch die in § 31 a Abs. 1 Satz 1 SGB II normierte Höhe einer Leistungsminderung von 30% des maßgebenden Regelbedarfs im Fall der Verletzung einer Pflicht nach § 31 Abs. 1 SGB II ist nach dem Bundesverfassungsgericht für sich genommen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Bundesverfassungsgericht hat die Sanktionsregelungen der §§ 31a Abs. 1 Satz 1, 2 und 3 und § 31b SGB II in den Fällen des § 31 Abs. 1 SGB II mit den von ihm tenorierten Einschränkungen weiter für anwendbar erklärt und die Wirksamkeit nicht bestandskräftiger Bescheide über Leistungsminderungen nach § 31 Abs. 1 Satz SGB II, die vor seiner Urteilsverkündung festgestellt worden sind, festgestellt (vgl. BVerfG, Urteil vom 5. November 2019 a.a.O., Rz. 218, 221). Die strittige Sanktion ist deshalb auch nicht herabzusetzen oder zu verkürzen. Härtefall und Wohlverhalten sind auch bei nicht bestandskräftigen Sanktionsbescheiden nicht zu prüfen, wenn der Sanktionszeitraum – wie hier - vor dem 05. November.2019 abgelaufen ist (ebenso Schifferdecker und Brehm, NZS 2020, Seiten 1 ff, 5; Greiser und Susnjar, NJW 2019, Seiten 3683 ff, 3685).
Anders als der Prozessbevollmächtigte des Klägers unter Verweis auf das SG Hamburg, Urteil vom 24. September 2020 – S 58 AS 369/17 - meint, führen die bundesverfassungsrechtlichen Vorgaben in der Entscheidung vom 5. November 2019 – 1 BvL 7/16 – auch nicht dazu, dass es der Feststellung der Pflichtverletzung auch an einer ordnungsgemäßen Rechtsfolgenbelehrung mangelt. Eine Rechtsfolgenbelehrung kann sich nämlich nur auf die im Zeitpunkt der Belehrung bestehenden Rechtslage beziehen (König in BeckOK Sozialrecht, Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Meßling/Udsching, 63. Edition, Stand: 01.12.2021¸so auch jurisPK-SGB II/Weber § 31 Rn. 138.1). Dies ergibt sich bereits aus den zeitlichen Abläufen: Einem SGB II-Leistungsträger ist es unmöglich einen Leistungsberechtigten auf eine sich aus einer zukünftigen Entscheidung des BVerfG ggf. ergebende Rechtslage aufzuklären. Die Warn- und Steuerungsfunktion der Rechtsbehelfsbelehrung, die dem Leistungsberechtigten das gewünschte Verhalten ermöglichen soll, ist zudem hinreichend erfüllt, wenn er über die Rechtsfolgen im Falle eines pflichtwidrigen Verhaltens aufgeklärt ist, die nach geltender Rechtslage eintreten. Zu den nach seiner Entscheidung zu stellenden Anforderungen an die Rechtsfolgenbelehrung hat sich das BVerfG nicht geäußert und gerade keine das bisherige Recht modifizierenden Übergangsregelungen geschaffen. Der Ausspruch des BVerfG zur weiteren Wirksamkeit der Sanktionsbescheide mit 30% Minderung impliziert außerdem, dass eine vormalig korrekte Belehrung auch weiterhin ausreichend ist. Denn ansonsten wären sämtliche Sanktionen mit 30% Minderung in Altfällen rechtswidrig und aufzuheben, was den Ausspruch zur Wirksamkeit entbehrlich machen würde. Zudem hat das BVerfG selbst zu dem vom Sozialgericht Gotha vorgelegten Rechtsstreit ausgeführt, dass dieses vertretbar davon ausgegangen sei, eine Rechtsfolgenbelehrung nach den damaligen gesetzlichen Regelungen habe den rechtlichen Anforderungen entsprochen (BVerfG, Urteil vom 5. November 2019 - 1 BvL 7/16, juris Rn. 110). Daraus hat das LSG Sachsen-Anhalt (Beschluss vom 27.01.2021 – L 2 AS 24/21 B ER) zutreffend geschlussfolgert, dass keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen das bisherige Recht zu den Anforderungen an die Rechtsfolgenbelehrung bestanden.
Damit erweist sich auch die Änderung der betroffenen Bewilligungsbescheide nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X als rechtmäßig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 SGG) liegen nicht vor.