Gericht | OLG Brandenburg 12. Zivilsenat | Entscheidungsdatum | 07.04.2022 | |
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Aktenzeichen | 12 U 26/21 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2022:0407.12U26.21.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 14.12.2020 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer - Einzelrichter - des Landgerichts Cottbus, Az.: 2 O 106/20, teilweise abgeändert.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet sind, als Gesamtschuldner der Klägerin unter Berücksichtigung einer Mithaftungsquote der Klägerin von einem Drittel alle materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die der Klägerin aus dem Unfallereignis vom 14.06.2017 in …, …, im Zufahrtsbereich zum … … entstanden sind bzw. noch entstehen werden, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen sind oder noch übergehen werden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 1/3 und die Beklagte 2/3 zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i. H. v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit i. H. v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
I.
Die Klägerin nimmt die Beklagten auf Feststellung einer Ersatzpflicht für alle materiellen und immateriellen Schäden aus einem Verkehrsunfall vom 14.06.2017 gegen 6:55 Uhr im Zufahrtsbereich zum … in Anspruch, bei dem die auf dem Weg zu ihrer Arbeitsstelle bei der Beklagten zu 1. mit dem Fahrrad fahrende Klägerin mit dem von der Beklagten zu 2. geführten und bei der Beklagten zu 3. haftpflichtversicherten Pkw … der Beklagten zu 1. kollidierte. Der Unfall ereignete sich hinter einer Schranke im Zu- und Abfahrtsbereich des Parkplatzes des …, der für Besucher frei zugänglich ist, und zwar unmittelbar vor einer weiteren Schranke, die den Parkplatzbereich des … von dem Parkplatzbereich der Beklagten zu 1. abtrennt. Die Klägerin war erst unmittelbar vor der Kollision von dem in ihrer Fahrtrichtung links von der Fahrbahn gelegenen Bürgersteig auf die Fahrbahn gewechselt und beabsichtigte unmittelbar nach dem Auffahren auf die Fahrbahn nach rechts in das Parkplatzgelände der Beklagten zu 1. einzubiegen, wobei sie üblicherweise zum Einfahren die Lücke zwischen den dort angebrachten beiden Schrankenteilen nutzte. Am Unfalltag wollte sie hiervon abweichen und im Bereich des aus ihrer Sicht rechten Schrankenteils einfahren, weil sich die Schranken infolge der Annäherung der Beklagten zu 2. öffneten. Die Beklagte zu 2. beabsichtigte nach Öffnen der Schranken in Gegenrichtung zur Klägerin nach links abbiegend aus dem Gelände auszufahren, wobei die ebenfalls bei der Beklagten zu 1. beschäftigte Beklagte zu 2. in Ausübung einer betrieblich veranlassten Tätigkeit handelte. Die Klägerin wurde durch den Unfall schwer verletzt, insbesondere wurde eine Unterschenkelamputation links bei der Klägerin notwendig. Die Parteien streiten zum einen darüber, inwieweit ein Haftungsausschluss nach §§ 104 ff SGB VII eingreift. Ferner besteht Streit darüber, ob sich die Klägerin ein Mitverschulden wegen eines ihr anzulastenden Verkehrsverstoßes anrechnen lassen muss. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Mit am 14.12.2020 verkündetem Urteil hat das Landgericht eine Ersatzpflicht der Beklagten als Gesamtschuldner hinsichtlich aller materiellen und immateriellen Schäden der Klägerin aus dem Unfallereignis festgestellt. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, eine Haftung der Beklagten folge aus §§ 7 Abs. 1, 18 StVG, § 115 VVG. Ein verkehrswidriges Verhalten der Klägerin im Vorfeld durch das Befahren des Fußweges auf der falschen Straßenseite und des von dort erfolgten diagonalen Einfahrens auf die Straße sei nicht unfallursächlich geworden, denn die Kollision sei an einer Stelle erfolgt, die von der Klägerin habe befahren werden dürfen. Die Unfallursache falle vielmehr allein in die Sphäre der Beklagten zu 2., die die von ihr zu durchfahrene Linkskurve erheblich geschnitten habe und nicht mit der erforderlichen Aufmerksamkeit gefahren sei, was sich daraus ergebe, dass sie die Klägerin vor der Kollision nicht gesehen habe. Ein Haftungsausschluss nach §§ 104 ff SGB VII greife nicht ein. Der Unfall sei nicht im Gefahrenbereich der gemeinsamen Arbeitsstätte der Klägerin und der Beklagten zu 2. erfolgt. Auch habe sich eine betriebliche Gefahrenlage, die Ausdruck der betrieblichen Verbindung der Unfallbeteiligten sei, nicht verwirklicht, sondern eine typische Gefahrenlage des Straßenverkehrs. Zum Unfall sei es zwar noch auf dem Gelände des … gekommen, der abgegrenzte Geländeteil sei aber für die Öffentlichkeit zugänglich gewesen, sodass sich die Unfallbeteiligten dort nur als „normale Verkehrsteilnehmer“ bewegt hätten. Wegen der Begründung im Übrigen wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.
Die Beklagten haben gegen das ihnen am 15.01.2021 zugestellte Urteil mit am 15.02.2021 beim Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und das Rechtsmittel nach Verlängerung bis zum 07.04.2021 mit an diesem Tage eingegangenem Schriftsatz begründet.
Die Beklagten beziehen sich auf ihren erstinstanzlichen Vortrag nebst Beweisangeboten. Das Landgericht habe zu Unrecht einen Haftungsausschluss nach §§ 104 ff SGB VII verneint. Der Unfall habe sich im Rahmen des sogenannten innerbetrieblichen Verkehrs ereignet, auch wenn sich die Klägerin noch auf dem Weg zu ihrem eigentlichen Arbeitsplatz befunden habe. Es habe eine betriebseigentümliche Gefahrensphäre bestanden, weil sich die Unfallbeteiligten im Bereich der Schranke in einer Situation begegnet seien, in der sie sich jeweils auf dem Weg zu einer betrieblichen Tätigkeit befunden hätten. Die Klägerin hätte als Teilnehmerin am allgemeinen Straßenverkehr den gewählten Weg nicht eingeschlagen, sondern wäre auf der Fahrbahn gefahren und dort von der Beklagten zu 2. auch bemerkt worden. Es habe sich mithin nicht das allgemeine Wegerisiko realisiert, sondern die Gefahr, die im Schrankenbereich zum Betriebsgelände dadurch begründet sei, dass einige Betriebsangehörige bei der Ausfahrt aus dem Betriebsgelände mit den Anforderungen der Schrankenregelung konfrontiert seien, andere Betriebsangehörige bei ihrer Auffahrt auf das Betriebsgelände hingegen den Vorgaben der Straßenverkehrsordnung widersprechende, unkonventionelle Anfahrtswege wählten. Zudem sei auch die Haftungsabwägung des Landgerichtes fehlerhaft. Die Klägerin habe durch ihre Fahrweise die gesteigerte Sorgfaltspflicht des § 10 StVO verletzt, indem sie den verbotswidrig und in falscher Fahrtrichtung befahrenen Bürgersteig verlassen und die Fahrbahn diagonal überquert habe, obwohl sie das Heben der Schranke und die dahinter haltende Beklagte zu 2. wahrgenommen habe. Sie habe sich insoweit grob verkehrswidrig verhalten. Für die Beklagte zu 2. sei die Klägerin hingegen durch das Befahren des Bürgersteiges zunächst nicht als bevorrechtigte Verkehrsteilnehmerin wahrnehmbar gewesen. Sodann sei die Klägerin durch die linke A-Säule des Pkw verdeckt gewesen. Das Fehlverhalten der Klägerin habe sich entgegen der Annahme des Landgerichtes auch unfallkausal ausgewirkt. Die Wertung des Landgerichtes, das Schneiden der Linkskurve durch die Beklagte zu 2. begründe deren alleinige Haftung, sei dabei schon deshalb unzutreffend, weil die entsprechende Verkehrsregel allein dem Schutz des fließenden Verkehrs diene und nicht dem Schutz von regelwidrig vom gegenüberliegenden Bürgersteig auf die Fahrbahn fahrenden Radfahrern. Nach allem müsse die Betriebsgefahr des … vollständig hinter dem grob verkehrswidrigen Verhalten der Klägerin zurücktreten.
Die Beklagten beantragen,
unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Cottbus vom 14.12.2020, Az. 2 O 106/20, die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin verteidigt das landgerichtliche Urteil. Ein Haftungsausschluss sei nicht gegeben. Der Unfall habe sich bereits vor dem Betriebsparkplatz in einem Bereich ereignet, der dem allgemeinen Straßenverkehr zugänglich gewesen sei. Auch eine betriebseigentümliche Gefahrensphäre habe nicht vorgelegen. Zutreffend sei ferner die vom Landgericht angenommene Haftungsverteilung. Der ihr, der Klägerin, vorgeworfene Verkehrsverstoß sei jedenfalls nicht unfallursächlich geworden. Zudem habe die Beklagte zu 2. den Verkehr nicht hinreichend beachtet und die Kurve geschnitten.
II.
1. Die Berufung ist zulässig, insbesondere ist das Rechtsmittel form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 511, 513, 517, 519, 520 ZPO. Die Beklagten stützen ihr Rechtsmittel u. a. darauf, das Landgericht habe zu Unrecht einen Haftungsausschluss nach §§ 104 ff SGB VII verneint und dabei die Voraussetzungen der Anwendung dieser Vorschriften verkannt. Die Beklagten machen damit einen Rechtsfehler geltend, auf dem das angefochtene Urteil beruhen kann, §§ 513, 546 ZPO.
2. In der Sache hat das Rechtsmittel nur teilweise Erfolg.
a) Die Feststellungsklage ist zulässig, insbesondere liegt ein Feststellungsinteresse der Klägerin hinsichtlich der begehrten Feststellung einer Ersatzpflicht der Beklagten für alle materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfallereignis vom 14.06.2017 vor. Im Hinblick auf die Schwere der Verletzungen der Klägerin, die unter anderem eine Unterschenkelamputation links erlitten hat, sind künftige Schadensfolgen - etwa durch eine Verschlechterung der bei der Klägerin derzeit gegebenen Arbeitsfähigkeit - möglich, wenn auch ihr Eintritt derzeit ungewiss ist (zur Bejahung eines Feststellungsinteresses in einem solchen Fall vgl. BGH WM 2021, S. 1475, MDR 2007, S. 792; Greger in Zöller, ZPO, Kommentar, 34. Aufl., § 256, Rn. 9). Zugleich kann damit nicht von einer abgeschlossenen Schadensentwicklung bei der Klägerin ausgegangen werden, sodass sie insgesamt - also auch bezüglich der bereits entstandenen Schäden - Feststellungsklage erheben kann (vgl. BGH NJW-RR 2016, S. 759; NJW 1984, S. 1552; Greger, a. a. O., Rn. 7a).
b) In der Sache besteht ein Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagten aus §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG sowie aus § 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB, § 223 StGB, § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG unter Berücksichtigung einer Mithaftungsquote der Klägerin von einem Drittel.
aa) Die Haftung der Beklagten ist nicht gemäß §§ 104, 105 SGB VII ausgeschlossen. Der Unfall der Klägerin hat sich für diese nicht auf einem Betriebsweg im Sinne von § 8 Abs. 1 SGB VII ereignet, sondern auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGB VII versicherten Weg, für den die Haftungsprivilegierung der §§ 104, 105 SGB VII nicht gilt.
Nicht veranlasst war insoweit die Herbeiführung einer unanfechtbaren Entscheidung des Trägers der Unfallversicherung bzw. des Sozialgerichtes gem. § 108 SGB VII. Zwischen den Parteien steht schon nicht im Streit, dass für die Klägerin ein Arbeitsunfall gegeben ist. Zugleich ergibt sich dies aus dem Bescheid der Unfallversicherung Bund und Bahn vom 19.11.2018 über die Bewilligung einer Rente für die Klägerin. Nicht vom Träger der Unfallversicherung bzw. dem Sozialgericht zu klären und deshalb von der Bindungswirkung des § 108 Abs. 1 SGB VII auch nicht erfasst sind hingegen Fragen, die für die in § 108 Abs. 1 SGB VII genannten Tatsachen - Vorliegen eines Versicherungsfalls, Leistungsumfang, Zuständigkeit des Unfallversicherungsträgers - ohne Bedeutung sind. Dies betrifft auch die Feststellung der hier streitigen Frage, ob ein Haftungsausschluss nach §§ 104, 105 SGB VII wegen eines Betriebswegeunfalls besteht, da dies für die Beurteilung des Versicherungsfalls irrelevant ist (BAG NZA 2020, S. 745; Stelljes in BeckOK Sozialrecht, 63. Edition, Stand: 01.12.2021, SGB VII § 108, Rn. 20).
Die Klägerin hat einen Wegeunfall im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII erlitten, sodass die Haftungsprivilegierung der §§ 104, 105 SGB VII nicht eingreift. Bei der Abgrenzung des Wegeunfalls von Betriebswegeunfall ist neben dem Ort des Unfalles maßgeblich, inwieweit der Unfall mit der betrieblichen Tätigkeit des Versicherten zusammenhängt und ob er Ausdruck der betrieblichen Verbindung zwischen ihm und dem Unternehmen ist (BGH VersR 2006, S. 221). Dabei ist das Zurücklegen des Weges zur Arbeitsstätte regelmäßig keine betriebliche Tätigkeit, wobei der Weg zur Arbeitsstätte grundsätzlich am Betriebstor endet und sich der Weg auf dem Werksgelände bis zum eigentlichen Arbeitsplatz wegen des engen Zusammenhangs mit der Arbeitsleistung als betriebliche Tätigkeit darstellt, denn der Arbeitnehmer steht hier in enger Berührung mit der Arbeitsleistung anderer Arbeitnehmer des Betriebes, hält sich in der Herrschaftssphäre des Arbeitgebers auf und unterliegt dessen Ordnungsgewalt (BGH, a. a. O.; Wittfeld in BeckOK, a. a. O., § 8, Rn. 37, 164 ff; Jung/Brose in Eichenhofer/von Koppenfels-Spiess/ Wenner, SGB VII, Kommentar, 2. Aufl., § 8, Rn. 108). Nach diesen Grundsätzen kann ein Betriebswegeunfall allerdings auch dann noch anzunehmen sein, wenn er sich außerhalb der Betriebsstätte des Arbeitgebers ereignet (BGH, a. a. O.).
Vorliegend befand sich die Klägerin auf dem Weg zur Arbeitsstätte, ohne dass diesbezüglich irgendwelche Weisungen ihres Arbeitgebers vorgetragen sind. Der Unfall hat sich auch (unmittelbar) vor dem Betriebsgelände der Beklagten zu 1. ereignet, nämlich bevor die Klägerin die Schrankenanlage durchfahren hat, die das Betriebsgelände der Beklagten zu 1. von der Zufahrt zum Parkplatz des … abtrennt. Damit ist der Unfall grundsätzlich und auch hier als Wegeunfall nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII einzuordnen. Zwar ereignete sich der Unfall nicht im Bereich des öffentlichen Straßenverkehrs, sondern auf dem Betriebsgelände des …. Insbesondere machen die Beklagten nicht geltend, dass es sich um eine gemeinsame Betriebsstätte des … mit der Beklagten zu 1. handelt oder dass die Beklagte zu 1. irgendwelche Befugnisse hinsichtlich der Betriebszufahrt oder Verpflichtungen betreffend die Verkehrssicherung dieses Bereiches hat. Zugleich ist der Parkplatz des … für die Öffentlichkeit - nach Durchfahren einer Schranke im Eingangsbereich - allgemein zugänglich, sodass der Verkehr an der Unfallstelle nicht durch die betrieblichen Vorgänge bei der Beklagten zu 1. geprägt wird - etwa durch eine weitgehend alleinige Nutzung des Bereichs durch Mitarbeiter der Beklagten zu 1., sondern die Verhältnisse der Situation eines Werkstores vergleichbar sind, das sich direkt zu einer öffentlichen Straße hin öffnet. Eine andere Beurteilung ist nicht deshalb gerechtfertigt, weil sich der Unfall unter Beteiligung der Beklagten zu 2. ereignet hat, die als Arbeitskollegin der Klägerin in einer betrieblichen Tätigkeit für die Beklagte zu 1. unterwegs gewesen ist. Auch diesbezüglich stellt sich die Kollision am Unfallort nicht anders dar, als eine Kollision zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 2. im Bereich der sich anschließenden öffentlichen Straße, bei der gleichfalls ein betriebliches Gepräge des Geschehens nicht anzunehmen ist. Ohne Erfolg bleibt auch der Verweis der Beklagten auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 25.10.2005 (VersR 2006, a. a. O.). Die dort entschiedene Konstellation ist mit der hiesigen Fallgestaltung schon deshalb nicht vergleichbar, weil sich der Unfall in der zitierten Entscheidung auf einem für den allgemeinen Verkehr gesperrten Hotelparkplatz ereignet hat, den neben den Angestellten des Hotels auch die Beschäftigten des Reinigungsunternehmens nutzten, zwischen denen sich der Unfall beim Verlassen des Parkplatzes nach Ende der Arbeitszeit ereignet hat. Es fehlt mithin gerade an der in der vorliegenden Konstellation gegebenen öffentlichen Zugänglichkeit der Unfallstelle.
bb) Im Rahmen der Haftung der Beklagten aus §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG bzw. aus § 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB, § 223 StGB, § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG muss sich die Klägerin ein Mitverschulden von einem Drittel anrechnen lassen.
Dabei ist den Beklagten eine erhöhte Betriebsgefahr des Pkw der Beklagten zu 1. durch einen der Beklagten zu 2. vorzuwerfenden Verstoß gegen § 10 StVO anzulasten. Die Regelung des § 10 StVO - wie auch die Regelungen der StVO im Übrigen – findet vorliegend Anwendung, obwohl sich die Kollision nicht auf öffentlichem Straßenland, sondern auf einem Parkplatzgelände bzw. der Zufahrt zu einem solchen Gelände ereignet hat. Zwar dient ein Parkplatz nicht dem fließenden, sondern allein dem ruhenden Verkehr, sodass die Bestimmungen der §§ 8 bis 10 StVO grundsätzlich keine Anwendung finden, sondern die gegenseitige Rücksichtnahmepflicht in § 1 Abs. 2 StVO in erhöhtem Maße zu beachten ist (OLG Köln NZV 1994, S. S. 438; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, Kommentar, 46. Aufl., § 8 StVO, Rn. 31 a). Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn die angelegten Fahrspuren auf dem Parkplatz eindeutig Straßencharakter haben und sich bereits aus ihrer baulichen Anlage ergibt, dass sie nicht dem Suchen von Parkplätzen dienen, sondern der Zu- und Abfahrt der Fahrzeuge; in diesem Fall kommen die Vorschriften des der §§ 8 bis 10 StVO unmittelbar oder analog zur Anwendung (OLG Hamm NJW 2015, S. 413; KG NZV 2010, S. 461; Hentschel/König/Dauer, a. a. O.). So liegt der Fall auch hier. Der Unfall hat sich in der Parkplatzzufahrt zum … ereignet, die in diesem Bereich als Straße ausgestaltet ist und von der der durch eine weitere Schranke abgetrennte Parkplatzbereich der Beklagten zu 1. abgeht, ohne dass an der Unfallstelle selbst bereits geparkt werden durfte.
Zugleich hat sich der Unfall bei dem Verlassen des durch eine Schrankenanlage vom übrigen Gelände abgetrennten Parkplatzbereichs der Beklagten zu 1. durch die Beklagte zu 2. und deren Einfahren in den (übergeordneten) Parkplatzbereich des … ereignet. Die Beklagte zu 2. hatte sich dementsprechend gemäß § 10 StVO so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen war. Dabei endet der Einfahrvorgang erst, wenn sich das Fahrzeug endgültig in den fließenden Verkehr eingeordnet hat; auch spricht bei einer Kollision mit dem fließenden Verkehr grundsätzlich ein Anscheinsbeweis für einen Verkehrsverstoß des Einfahrenden (KG NZV 2008, S. 413; Hentschel/König/Dauer, a. a. O., § 10 StVO, Rn. 11). Vorliegend kann dahinstehen, ob eine untypische Verkehrssituation vorlag, die der Anwendung des Anscheinsbeweises entgegenstehen würde, weil sich auch die Klägerin nicht im fließenden Verkehr befunden hat, sondern ihrerseits erst unmittelbar vor der Kollision in den als Fahrstraße ausgestalteten Parkplatzbereich vom neben der Gegenfahrbahn gelegenen Bürgersteig diagonal eingefahren ist. Ein Verstoß der Beklagten zu 2. gegen § 10 StVO folgt indes schon aus deren Einlassung im Termin vor dem Landgericht am 02.11.2020. Die Beklagte zu 2. hat angegeben, sie habe die Klägerin vor dem Unfall überhaupt nicht gesehen. Zugleich hat sie eingeräumt, die Kurve geschnitten zu haben, wobei sie die Fahrbahnfläche infolge der teilweisen Verdeckung durch die A-Säule des von ihr genutzten Fahrzeuges nicht vollständig habe überblicken können. Dies zeigt, dass die Beklagte zu 2. sich gerade nicht so verhalten hat, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen war. Vielmehr hat die Beklagte zu 2. den Straßenbereich, in den sie eingefahren ist, nicht hinreichend beobachtet. Zugleich erfasst der Schutzbereich des § 10 StVO über den fließenden Verkehr hinaus auch alle übrigen Verkehrsteilnehmer (BGH NJW 2018, S. 3095; Hentschel/König/Dauer, a. a. O., Rn. 4), also auch die Klägerin.
Indes fällt auch der Klägerin ein ihr nach § 9 StVG, § 254 Abs. 1 BGB anzurechnender Verstoß gegen § 10 StVO zur Last. Dabei kann die Anwendbarkeit des Anscheinsbeweises wiederum dahinstehen. Der Verstoß gegen § 10 StVO steht bereits nach den Angaben der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht fest. Die Kollision ereignete sich im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Einfahren der Klägerin über den Bürgersteig der Gegenfahrbahn in den Fahrbahnbereich, wobei die Klägerin bereits nicht beabsichtigte, sich in den fließenden Verkehr an der Unfallstelle einzuordnen, sondern die Parkplatzzufahrt in diagonaler Fahrt überqueren und in das sich anschließende Parkplatzgelände der Beklagten zu 1. einfahren wollte. Eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer, namentlich der Beklagten zu 2. hat die Klägerin dabei in keiner Weise ausgeschlossen, sondern ihr Fahrmanöver durchgeführt, obwohl sie bemerkt hatte, dass die Beklagte zu 2. aus dem Parkplatzgelände durch die sich bereits hebenden Schranken ausfahren wollte. Zugleich musste der Klägerin bewusst sein, dass die Beklagte zu 2, sie, die Klägerin, bzw. den von ihr beabsichtigten Fahrweg im Hinblick auf das verbotswidrige Befahren des Bürgersteiges eventuell nicht wahrgenommen oder nicht richtig eingeschätzt hatte. Nicht zutreffend ist insoweit die Auffassung des Landgerichtes, dass sich das verbotswidrige Verhalten der Klägerin auf das Unfallgeschehen nicht ausgewirkt hat. Es steht nicht fest, dass es zum Unfall in der gleichen Weise gekommen wäre, wenn die Klägerin nicht gegen § 10 StVO verstoßen hätte. Die Klägerin hat nicht bewiesen, dass sie von der Beklagten zu 2. auch dann nicht gesehen bzw. beachtet worden wäre, wenn sie sich ordnungsgemäß nach Passieren der ersten Schranke über die Zufahrtsstraße der Unfallstelle genähert hätte (zur insoweit heranzuziehenden Beweislastverteilung für die Fallgruppe des rechtmäßigen Alternativverhaltens vgl. Grüneberg in Grüneberg, BGB, Kommentar, 81. Aufl., Vorb. v. § 249, Rn. 66).
Im Ergebnis der Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensbeiträge erscheint eine Mithaftung der Klägerin im Umfang von einem Drittel geboten. Dabei überwiegt die Schwere des Verkehrsverstoßes der Beklagten zu 2. geringfügig den Verkehrsverstoß der Klägerin, denn die Kollision ereignete sich an einer Stelle, die die Beklagte zu 2. bei einem ordnungsgemäßen Abbiegen ohne ein Schneiden der Kurve schon nicht befahren hätte. Zudem ist die Betriebsgefahr des Kfz zulasten der Beklagten zu berücksichtigen. Nicht vergleichbar ist hingegen die Konstellation in der von den Beklagten zitierten Entscheidung des OLG Hamm (Urteil vom 08.06.2000, veröffentlicht in NZV 2000, S. 468). Im dort entschiedenen Fall war – anderes als hier – dem Kraftfahrer ein Verkehrsverstoß nicht anzulasten.
3. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 S. 1, S. 2 ZPO.
Gründe, die die Zulassung der Revision gem. § 543 Abs. 2 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.
Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf 50.000,00 € festgesetzt, §§ 47 Abs. 1, 48 Abs. 1 S. 1 GKG, § 3 ZPO.