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Entscheidung 8 K 1776/20.A


Metadaten

Gericht VG Potsdam 8. Kammer Entscheidungsdatum 04.05.2022
Aktenzeichen 8 K 1776/20.A ECLI ECLI:DE:VGPOTSD:2022:0504.8K1776.20.A.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 51 AsylVfG 1992

Leitsatz

1. Humanitäre Gründe von vergleichbarem Gewicht, denen durch länderübergreifende Umverteilung Rechnung zu tragen ist, können auch dann vorliegen, wenn eine Asylbewerberin aus Tschetschenien mit ihren minderjährigen Kindern ihren Ehemann wegen häuslicher Gewalt verlässt und infolgedessen Vergeltungsmaßnahmen von Seiten der Familie ihres Ehemannes und der eigenen Familie bis hin zu einem Ehrenmord befürchten muss.
2. Bei einer Traumatisierung durch das Erleben häuslicher Gewalt durch den Ehemann im Bundesgebiet kann die länderübergreifende Umverteilung einer Asylbewerberin geboten sein, weil die daraus resultierende psychische Erkrankung in einem aufgrund der räumlichen Entfernung von der Betroffenen als subjektiv sicherer empfundenen Umfeld mit besserer Erfolgsaussicht behandelt werden kann.

Tenor

Der Beklagte wird unter Aufhebung seines Bescheides vom 1. Juli 2020 verpflichtet, die Kläger in das Land Schleswig-Holstein umzuverteilen.

Der Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Dem Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Tatbestand

Die Kläger begehren ihre länderübergreifende Umverteilung in das Land Schleswig-Holstein.

Die Kläger sind russische Staatsangehörige tschetschenischer Volkszugehörigkeit. Die Klägerin zu 1. ist die Mutter der Kläger zu. 2. bis 4. Sie reisten im Mai 2016 zusammen mit dem Ehemann der Klägerin zu 1. bzw. dem Vater der Kläger zu. 2. bis 4. sowie der weiteren gemeinsamen Tochter der Klägerin zu 1. und ihres Ehemannes nach Deutschland ein. Der Asylantrag der Familie wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom als unzulässig abgelehnt und die Abschiebung nach Polen angeordnet. Ihren dagegen gerichteten Eilantrag lehnte das Verwaltungsgericht Potsdam mit Beschluss vom ab. Aufgrund des Ablaufs der Überstellungsfrist hob das Bundesamt den Bescheid vom mit Bescheid vom auf. Mit Bescheid vom lehnte das Bundesamt den Asylantrag der klägerischen Familie in der Sache ab und drohte ihr die Abschiebung in Russische Föderation an. Die Klage der Kläger in diesem Verfahren sowie der weitere Tochter der Klägerin zu 1. (VG 16 K 3124/18.A) ist beim Verwaltungsgericht Potsdam zum Zeitpunkt der Entscheidungsfindung noch anhängig.

Die Zentrale Ausländerbehörde des Landes Brandenburg wies die Klägerin und ihre Kinder mit Bescheid vom einer Unterkunft in T...  im Landkreis U...  zu. Mit Schreiben vom beantragte die Klägerin zu 1. für sich und ihre Kinder bei der Landrätin des Landkreises ihre Umverteilung nach mit der Begründung, sie habe Angst um ihr Leben, weil ihr Mann ihr trotz eines Hausverbots ständig auflauere und sie bedrohe. Zuvor hatte sie das Angebot der Unterbringung in einem Berliner Frauenhaus abgelehnt, da sie ohne ihre Freundin nicht gehen wolle. Im Juli wandte sich die Klägerin an die Sozialbetreuung der Gemeinschaftsunterkunft und gab an, sie erhalte seit etwa zwei Wochen per „WhatsApp“ Morddrohungen aus T... . Sie solle bis zum in ihre Heimat zurückkehren und die Kinder ihrem Mann überlassen. Sie vermute, dass ihr Mann Kontakt mit ihrem Vater in Tschetschenien aufgenommen und Gerüchte verbreitet habe, dass sie die Ehe durch Untreue aufs Spiel gesetzt habe. Daher wünsche sie eine Unterbringung in einem Frauenhaus gemeinsam mit ihren Kindern. Am zog die Klägerin mit ihren Kindern in das Frauenhaus, später in das Frauenhaus und im Jahr 2021 in eine Wohnung des Trägers der Familienhilfe um.

Die Klägerin wurde vom Amtsgericht P...  mit Urteil vom wegen Ladendiebstahls zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 15,00 Euro verurteilt. Mit Strafbefehl des Amtsgerichts wurde gegen sie wegen Diebstahls geringwertiger Sachen eine Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 10,00 Euro festgesetzt. Am verurteilte das Amtsgericht sie wegen Diebstahls in zwei Fällen zu sechs Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung. Das Amtsgericht verurteilte sie am 24. Februar 2021 wegen gemeinschaftlich begangenen besonders schweren Diebstahls in zwei Fällen (§ 242 Abs. 1, § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StGB) zu acht Monaten Gesamtfreiheitsstrafe auf Bewährung, während die Gesamtfreiheitsstrafe der Mittäterin (10 Monate) nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Mit Schreiben vom beantragte die Klägerin für sich und ihre Kinder bei der Ausländerbehörde des Landkreises U...  ihre Umverteilung nach … . Der Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom ab. Humanitäre Gründe von vergleichbarem Gewicht i.S.v. § 51 Abs. 1 AsylG lägen nicht vor. Der Schutz vor dem Ehemann bzw. Vater der Kläger könne auch durch eine landesinterne Umverteilung innerhalb des Landes Brandenburg gewährleistet werden. Die von der Klägerin zu 1. geltend gemachten psychischen Probleme könnten auch in Brandenburg behandelt werden, ihre Kinder dort auch die Schule besuchen.

Unter dem beantragte die Klägerin zu 1. für sich und die Kläger zu 2. bis 4. mit Unterstützung durch einen Träger der Familienhilfe die Umverteilung nach Zur Begründung führte sie aus, dass es bereits in der Heimat und verstärkt während des Aufenthaltes in Deutschland zu Gewaltausbrüchen ihres Ehemannes gegenüber ihr und der ältesten Tochter gekommen sei. Dieser habe ihr angedroht, wenn sie ihn verlassen würde, würden er und seine Familie ihr die Kinder wegnehmen und sie nach Tschetschenien ausliefern. Das würde für sie wahrscheinlich den Tod bedeuten, weil in Tschetschenien Frauen, die ihren Mann verlassen hätten, als „schmutzig“ und unwürdig gelten würden. Nachdem sie sich in an die Sozialbehörde gewandt habe, sei ihr Ehemann für sieben Monate des Heimes verwiesen worden. Bei dem Versuch eines klärenden Gespräches mit dem Sozialdienst habe ihr Ehemann den bzw. die Teilnehmer von Seiten des Sozialdienstes massiv bedroht. Die Klägerin habe aus Angst von einer Anzeige bei der Polizei Abstand genommen. Sie habe auch massive Bedrohungen über ihr Handy von Seiten der Familie ihres Ehemannes aus T...  bekommen. Mit Hilfe von Mitarbeitern eines Sozialkaufhauses in, wo die Klägerin damals Sozialstunden geleistet habe, sei es ihr gelungen, mit ihren Kindern nach zu fliehen. Dort habe sie sich einige Tage bei einer Bekannten aufgehalten, bevor sie für drei Monate in das Frauenhaus nach gekommen sei. Seit Dezember 2019 wohne sie in einem Zimmer mit ihren drei Kindern in dem Frauenhaus …. Innerhalb dieser Zeit habe sie bereits fünfmal ihre SIM-Karte wechseln müssen, nachdem ihr Mann immer wieder die Nummer herausbekommen und sie anschließend bedroht habe. Das Ziel ihres Mannes sei nicht, sie zurückzugewinnen, sondern er wolle ihr die Kinder wegnehmen, um seine Ehre wiederzuerlangen.

Dieser Antrag wurde von dem Beklagten mit Bescheid vom abgelehnt. Es sei nicht substantiiert vorgetragen und glaubhaft gemacht worden, dass die Klägerin Schutz vor den Übergriffen ihres Ehemannes und seiner Familie nur durch eine Umverteilung in die Stadt finden könne. In befinde sich zudem eine Erstaufnahmeeinrichtung für Asylsuchende, wo auch Asylsuchende aus T...  ankämen. Daher bestehe die Möglichkeit, dass der Ehemann der Klägerin zu 1. sie auch in ausfindig mache. Eine sichere Unterbringung sei auch im Land Brandenburg möglich.

Die Kläger verfolgen ihr Anliegen mit ihrer Klage vom 13. Juli 2020 und dem am gleichen Tag gestellten Antrag im einstweiligen Rechtsschutz weiter. Sie befänden sich zum ersten Mal seit Jahren in einer sicheren und sich relativ vertraut anfühlenden Umgebung, nachdem die gesamte Familie jahrelang durch den Ehemann und Vater misshandelt und terrorisiert worden sei. Zufällige Ereignisse hätten dazu geführt, dass sie sich jetzt in aufhielten. Die Klägerin zu 1. werde nicht nur von ihrem Ehemann und dessen Familie, sondern auch von ihrer eigenen Familie in T...  bedroht, weil sie mit der Trennung von ihrem Ehemann und durch die Mitnahme der Kinder nicht nur den Ehemann und dessen Familie verletzt, sondern auch im Sinne der t...  Tradition die Ehre ihrer eigenen Familie beschmutzt habe. Ihr Cousin habe ihr mehrere Nachrichten auf das Handy geschickt, in denen er sie mit dem Tod bedroht habe. Am habe er mehrere Nachrichten auf das Handy der ältesten Tochter der Klägerin zu 1. geschickt und diese nach dem Aufenthaltsort ihrer Mutter gefragt bzw. auch sie bedroht. Dies habe sie auch bei der Staatsanwaltschaft angezeigt.

Zudem sei die Umverteilung auch im Interesse ihrer psychischen Gesundheit erforderlich. Die Klägerin zu 1. legte in diesem Zusammenhang psychiatrisch-psychotherapeutische Stellungnahmen des vor, wonach sie an einer schwergradigen Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) und einer schwergradig ausgeprägten depressiven Episode leide. Die Klägerin zu 1. befinde sich dort seit in regelmäßiger ambulanter psychiatrischer Behandlung und werde ärztlich, psychotherapeutisch und medikamentös behandelt. Immer wieder gerate sie im Rahmen des Flashback-Erlebens in schwere dissoziative Zustände und habe auch wiederholt dissoziative Krampfanfälle mit vollständigem Bewusstseinsverlust erlitten. Die Teilnahme an einem Deutschkurs sei bei der bestehenden Konzentrationsproblematik aufgrund der PTBS nicht möglich. Die Sorge, nach zurückkehren zu müssen, löse bei ihr massive Intrusionen, Ängste und vegetative Erregung aus. Im Rahmen der Psychotherapie sei eine deutliche Abhängigkeit der PTBS-Symptomatik mit massiven dissoziativen Zuständen bis hin zu dissoziativen Krampfanfällen von der subjektiv empfundenen Sicherheit der Klägerin zu 1. deutlich geworden. Die subjektive und objektive Sicherheit vor erneuten Übergriffen sei Grundvoraussetzung für eine nachhaltige Remission der Symptomatik. Für eine nachhaltig wirkende Therapie sei ein stabiles persönliches Umfeld ebenfalls dringend erforderlich. Aus ärztlicher und psychotherapeutischer Sicht sei es für den Heilungsprozess wichtig, dass die Klägerin zu 1. an ihrem jetzigen und von ihr erstmals als ausreichend sicher wahrgenommenen Wohnort verbleiben könne.

Die Klägerin zu 1. sei seit der letzten von ihr begangenen Straftat, welche der Verurteilung durch das Amtsgericht zugrunde gelegen habe nicht mehr straffällig geworden. Sie werde seit Juli 2020 vom Jugendhilfeträger betreut. Sie bereue ihre Taten, habe den Kontakt zu früheren Bekannten wie der Mitangeklagten im Verfahren vor dem Amtsgericht abgebrochen und solle mit Hilfe von in das Erwerbsleben integriert werden. Dies habe das Amtsgericht auch bewogen, die Freiheitsstrafe noch einmal zur Bewährung auszusetzen. Die Klägerin zu 1. hat zudem eine – grundsätzlich positive – Stellungnahme ihrer Bewährungshelferin vom vorgelegt.

Die Kläger beantragen sinngemäß,

den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 1. Juli 2020 zu verpflichtet, die Kläger in das … umzuverteilen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er bezieht sich zur Begründung auf den streitgegenständlichen Bescheid vom und den Bescheid vom, mit welchem der erste Umverteilungsantrag abgelehnt worden war. Selbst wenn eine kurzfristige Unterbringung der Kläger in einem Frauenhaus in im Jahr 2019 notwendig gewesen sein sollte, weil zum damaligen Zeitpunkt kurzfristig keine freien Plätze im Land Brandenburg vorhanden gewesen seien, begründe dies keine Notwendigkeit der dauerhaften Unterbringung im Land …. Das Land Brandenburg verfüge über ein breites Netzwerk von ca. 24 Frauenhäusern an unterschiedlichsten Orten mit entsprechenden Unterstützungsmöglichkeiten. Dort könnten die Kläger ausreichenden Schutz vor dem Ehemann der Klägerin zu 1. suchen. Eine Gefährdung im gesamten Land Brandenburg sei weder nachgewiesen noch ersichtlich. Eventuelle in geknüpfte soziale Bindungen könnten auch auf andere Weise, z.B. durch Besuche oder Telefonate aufrechterhalten werden. Eine ausreichende psychiatrische bzw. psychotherapeutische Behandlung der Klägerin zu 1., welche auch ihrem subjektiven Sicherheitsempfinden Rechnung trage, sei auch im Land Brandenburg gewährleistet.

Das Gericht hat den Antrag der Kläger auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes vom 13. Juli 2020 mit Beschluss vom 13. Januar 2021 (Az. VG 8 L 683/20.A) abgelehnt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die von den Beteiligten gewechselten Schriftsätze in diesem Verfahren und dem Verfahren sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten (zwei Hefter) und die Ausländerakte der Landrätin des Landkreises (ein Hefter) verwiesen, welche zum Gegenstand der Entscheidungsfindung gemacht worden sind. Die Akte des Asylklageverfahrens einschließlich der Verwaltungsvorgänge (zwei Hefter) wurde zum Verfahren beigezogen und ist ebenfalls zum Gegenstand der Entscheidungsfindung gemacht worden.

Entscheidungsgründe

Der Berichterstatter kann anstelle der Kammer (§ 87a Abs. 2, Abs. 3 VwGO) und ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO) entscheiden, weil die Beteiligten sich damit einverstanden erklärt haben.

Die Klage hat Erfolg. Sie ist zulässig und begründet.

Der Bescheid des Beklagten vom 1. Juli 2020 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO), weil sie in dem nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung Anspruch auf die von ihnen begehrte länderübergreifende Umverteilung nach haben.

Nach der Vorschrift des § 51 Abs. 1 AsylG ist bei Ausländern, die – wie die Kläger – nicht oder nicht mehr verpflichtet sind, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, der Haushaltsgemeinschaft von Familienangehörigen im Sinne des § 26 Absatz 1 bis 3 AsylG oder sonstigen humanitären Gründen von vergleichbarem Gewicht auch durch länderübergreifende Verteilung Rechnung zu tragen. Da die Umverteilung der Kläger nicht der Herstellung der Haushaltsgemeinschaft von Familienangehörigen dient, kommen allein sonstige humanitäre Gründen von vergleichbarem Gewicht in Betracht. Dazu zählen insbesondere gesundheitliche Gründe, da das Recht auf körperliche Unversehrtheit im Grundgesetz durch Art. 2 Abs. 2 verbürgt ist. Dies kann vor allem dann gelten, wenn ein Asylbewerber aufgrund Krankheit, Schwangerschaft, Alter, Gebrechlichkeit oder sonstiger Gesichtspunkte besonderer Betreuung bedarf. Die Entscheidung liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde, welches bei Vorliegen von gewichtigen Gründe i.S.v. § 51 Abs. 1 AsylG regelmäßig in dem Sinne reduziert ist, dass dem Antrag zu entsprechen ist (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 2. Februar 2006 - A 12 S 929/05 -, juris, Rn. 17; OVG Bautzen, Beschluss vom 7. April 1999 - A 4 S 78/98 -, juris Rn. 4; VG Schwerin, Urteil vom 25. Mai 2020 - 15 A 4528/17 As SN -, juris Rn. 17 f. m.w.N.; Urteil vom 7. Juni 2018 - 15 A 4520/17 As SN -, juris, Rn. 21; VG Bayreuth, Gerichtsbescheid vom 31. Juli 2017 - B 3 K 17.32322 -, juris, Rn. 18; VG München, Gerichtsbescheid vom 13. November 2015 - M 24 K 15.2129 -, juris, Rn. 30; Heusch, in: BeckOK AuslR AsylG, Stand 1. Januar 2022, § 51 Rn. 13; Bergmann/Dienelt, 13. Aufl. 2020, AsylG § 51 Rn. 3). Ob solche Gründe vorliegen, lässt sich nur einzelfallbezogen unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände beantworten (VGH München, Beschluss vom 30. Juni 2015 - 21 ZB 15.30099 -, juris Rn. 8; Beschluss vom 12. September 2002 - 25 ZB 02.31330 -, juris Rn. 1).

Auch eine besondere Betreuungsbedürftigkeit aus gesundheitlichen Gründen ist ersichtlich nicht der Grund für die von den Klägern begehrte Umverteilung. Der Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit der Klägerin zu 1. vor Vergeltungsmaßnahmen von Seiten ihrer Familie bzw. der Familie ihres Ehemannes stellt jedoch ebenso einen humanitären Grund von vergleichbarem Gewicht dar (vgl. dazu im Folgenden 1.) wie die Notwendigkeit der Unterbringung der Klägerin zu 1. in von ihr subjektiv als sicher empfundenen Verhältnissen für die erfolgversprechende Fortsetzung der Behandlung ihrer psychischen Erkrankungen (2.). Entgegenstehende öffentliche Interessen, die eine andere ermessensfehlerfreie Entscheidung des Beklagten als die begehrte Umverteilung zuließe, liegen nicht vor (3.). Die minderjährigen Kläger zu 2.-4. folgen insoweit dem aufenthaltsrechtlichen Status ihrer sorgeberechtigten Mutter (4.).

1. Die von der Klägerin zu 1. begehrte Umverteilung in das Land Schleswig-Holstein ist zum Schutz ihres Lebens und ihrer körperlichen und psychischen Gesundheit (vgl. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) geboten. Nach Überzeugung des Gerichts wird die Klägerin zu 1. nicht nur durch ihren Ehemann bedroht, sondern muss mit Vergeltungsmaßnahmen auch von weiteren Familienmitgliedern ihres Ehemannes und von Mitgliedern ihrer eigenen Familie rechnen, wobei davon auszugehen ist, dass diese Familienmitglieder auf die in der Region Berlin/Brandenburg besonders stark konzentrierte und vernetzte tschetschenische Gemeinschaft zurückgreifen können.

Nach Angaben der Klägerin im Asylklageverfahren VG 16 K 3124/18.A ist sie im Alter von 15 Jahren von ihrem Vater mit ihrem Ehemann zwangsverheiratet worden. während der Ehe habe ihr Ehemann sie geschlagen und erniedrigt. In Tschetschenien habe er sich regelmäßig betrunken und sie dann schwer misshandelt. Auch die älteste Tochter sei von ihrem Vater geschlagen worden. In Deutschland habe sich das gewalttätige Verhalten des Ehemannes fortgesetzt. Dies ist dokumentiert etwa durch die E-Mail eines Mitarbeiters des Sozialamtes der Kreisverwaltung Uckermark vom 17. August 2018 (Bl. 91 der Ausländerakte der Klägerin zu 1.), wonach nach einem Vorfall in der Gemeinschaftsunterkunft durch die Polizei ein 10-tägiges Verbot, die Gemeinschaftsunterkunft zu betreten, gegen den Ehemann der Klägerin zu 1. ausgesprochen worden war und das Sozialamt die unbefristete Umverteilung des Ehemannes auf eine andere Gemeinschaftsunterkunft beabsichtige. Auch ihren Antrag auf Umverteilung nach Leipzig vom 21. August 2018 hat die Klägerin mit drohender Gewalt durch ihren Ehemann begründet (Bl. 90 der Ausländerakte). Die Landrätin des Landkreises hat der Klägerin zu 1. und ihren Kindern daraufhin eine Bescheinigung zur Vorlage bei den Behörden ausgestellt, wonach sie der Unterbringung in einem Frauenhaus außerhalb des Landkreises zustimme (Bl. 92 der Ausländerakte). Der Träger hat das gegen den Ehemann der Klägerin zu 1. ausgesprochene Hausverbot für zwei Gemeinschaftsunterkünfte mit Schreiben vom 11. Februar 2019 (Bl. 101 Ausländerakte) aufgehoben.

In einer Nachricht, welche in einer E-Mail eines Mitarbeiters des Sozialamtes des Landkreises Uckermark vom 7. August 2019 wiedergegeben wird (Bl. 109 Ausländerakte), berichtete die Sozialbetreuerin der Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete Menschen, dass die Klägerin zu 1. erklärt habe, dass sie seit etwa 14 Tagen Morddrohungen aus Tschetschenien über „WhatsApp“ erhalte. Sie solle bis zum 28. Juli 2019 nach Tschetschenien zurückkehren und die Kinder ihrem Mann überlassen.

Die von der Klägerin zu 1. als Ausdruck und mit Übersetzung vorgelegten Text- und Bildnachrichten ihres Cousins an ihr Telefon bzw. das Telefon ihrer Tochter vom 7., 12. und 13. September 2020, die Grundlage für die Strafanzeige der Klägerin zu 1. vom 17. September 2020 war, hält das Gericht für authentisch. Die Gegenannahme, die Klägerin zu 1. habe die Bedrohungslage „inszeniert“, um einen Umzug bzw. Umverteilung in (zunächst) ein Frauenhaus in Schleswig-Holstein zu erreichen, hält das Gericht für fernliegend. Unabhängig davon geht das Gericht aufgrund des in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittels (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderreport 21, Russische Föderation, LGBTI in Tschetschenien, Stand November 2019, S. 3) und von Presseberichten (24 Kugeln, ein Mord und die Ehre, 4. September 2013, https://www.spiegel.de/politik/ausland/ehrenmorde-in-tschetschenien-sind-keine-seltenheit-a-918814.html) davon aus, dass die Drohung mit einem „Ehrenmord“ gegenüber einer Frau, die sich nicht an die in Tschetschenien verbreiteten patriarchalischen Moralvorstellungen hält, auch innerhalb der tschetschenischen Gemeinschaft in Deutschland ernst zu nehmen ist.

Insbesondere droht der Klägerin zu 1. nicht nur Gewalt bzw. Verfolgung durch ihren Ehemann. Vielmehr ist davon auszugehen, dass dieser sowie der Vater der Klägerin zu 1., welcher sich in Tschetschenien aufhält, sich der Hilfe weiterer in Deutschland aufhältiger Familienmitglieder und auch der kleinen, aber gut vernetzten tschetschenischen Gemeinschaft in Deutschland bedienen werden. Im Zusammenhang mit sogenannten „Ehrenmorden“ stellt es eine verbreitete Praxis dar, dass männlichen Familienmitgliedern, welche sich in Deutschland aufhalten, von der Familie im Herkunftsland befohlen wird, ihre Schwester oder Cousine für ihren Lebenswandel in Deutschland zu bestrafen (vgl. „Integrationskurse reichen nicht“, Interview in der Berliner Zeitung vom 2. März 2022). Diese Bedrohungslage besteht zwar grundsätzlich in ganz Deutschland, sie ist aber in der Region Berlin/Brandenburg besonders stark, weil nach Schätzungen 50.000 Tschetschenen in Deutschland und davon ungefähr ein Drittel (16.000) in Berlin und Brandenburg leben. Dem Gericht ist aus anderen Verfahren bekannt, dass tschetschenische Frauen teilweise mehrfach ihren Wohnsitz innerhalb des Landes Brandenburg verlegen mussten, weil es ihren Ehemännern mithilfe der tschetschenischen Gemeinschaft wiederholt gelungen war, sie ausfindig zu machen und erneut zu bedrohen bzw. anzugreifen.

Nach alledem ist die Umverteilung der Klägerin zu 1. in das Land Schleswig-Holstein geboten, um einen wirksameren Schutz ihres Lebens und ihrer körperlichen Unversehrtheit gegenüber der von ihrem Ehemann, dessen Familie und ihrer eigenen Familie ausgehenden Bedrohungslage zu gewährleisten. Das Gericht verkennt nicht, dass auch eine landesinterne Umverteilung im Land Brandenburg grundsätzlich geeignet wäre, die Klägerin zu 1. zu schützen. Aus den vorgenannten Gründen ist jedoch die Annahme gerechtfertigt, die Unterbringung der Klägerin zu 1. im räumlich weiter entfernten Schleswig-Holstein biete ihr einen effektiveren Schutz, weil das Risiko, dort von ihrem Ehemann bzw. dessen Helfern entdeckt zu werden, deutlich geringer sein dürfte.

Der Beklagte überspannt demgegenüber die Anforderungen an das Vorliegen von humanitären Gründen von vergleichbarem Gewicht, wenn er verlangt, die Umverteilung gerade nach Neumünster / Schleswig-Holstein müsse für die Gewährleistung des Schutzes zwingend erforderlich sein. Humanitäre Gründe von vergleichbarem Gewicht im Sinne von § 51 Abs. 1 AsylG liegen nicht erst dann vor, wenn ein drohender Nachteil nicht anders als durch Umverteilung abgewendet werden kann. Es genügt, dass sich die Situation für den Betroffenen im Hinblick auf ein rechtliches Schutzgut von erheblichem Gewicht durch die Umverteilung spürbar verbessert. Dies ist in der Rechtsprechung für die Fallgruppe der Umverteilung schwer erkrankter Personen zu ihren Angehörigen innerhalb des Bundesgebiets anerkannt (vgl. VG Würzburg, Beschluss vom 5. Mai 2020 - W 6 K 18.32318 -, juris Rn. 32; VG München, Urteil vom 18. Oktober 2012 - M 23 K 12.30660 -, juris Rn. 19; VG Augsburg, Beschluss vom 15. November 2010 - Au 5 E 10.1610 -, juris Rn. 27; VG Lüneburg, Urteil vom 13. Oktober 2004 - 1 A 271/04 -, juris Rn. 21). Geht es – wie vorliegend – um den Schutz des Lebens und der körperlichen als auch psychischen (vgl. im Folgenden unter 2.) Gesundheit gegenüber einer Bedrohungslage aus dem familiären Bereich im Inland, kann nach Auffassung des Gerichts nichts Anderes gelten.

Zu keinem anderen Ergebnis führt der denkbare Einwand, die Klägerin zu 1. habe das Land Schleswig-Holstein willkürlich ausgewählt und sei in einem noch weiter entfernten Bundesland etwa in Süddeutschland noch besser geschützt. Zwar trifft es zu und wird von der Klägerin auch selbst eingeräumt, dass es einem Zufall geschuldet war, dass sie im Juli bzw. August 2019 einen Platz in einem Frauenhaus in Rendsburg gefunden hatte. Im entscheidungserheblichen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 S. 1 HS 2 AsylG) ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin zu 1. nun in Neumünster bzw. Kiel psychiatrisch und psychotherapeutisch behandelt wird, sie seit April 2020 offenbar nicht mehr straffällig geworden ist und ihr damit eine Stabilisierung ihrer persönlichen Situation gelungen ist. Die Kläger zu 2.-4. gehen in Neumünster zu Schule und haben dort soziale Bindungen geknüpft. Diese – bescheidenen, aber doch anzuerkennenden – Integrationserfolge, die auch im öffentlichen Interesse liegen, würden bei einer Rückkehr der Kläger das Land Brandenburg aufs Spiel gesetzt.

Das in dem Beschluss der Kammer vom 13. Januar 2021 (VG 8 L 683/20.A) dagegen angeführte Argument, ein Asylbewerber dürfe durch einen eigenmächtigen Umzug, durch den er Tatsachen geschaffen habe, seine Rechtsposition nicht verbessern (vgl. VG München, Urteil vom 1. August 2016 - M 24 K 16.2016 -, juris, Rn. 18), hält das Gericht im Grundsatz für richtig, im vorliegenden Fall aber nicht für tragfähig. Der Entscheidung des Verwaltungsgerichts München lag ein Fall zugrunde, in dem ein Minderjähriger aus einem ländlich geprägten Landkreis in Bayern eigenmächtigen eine Großstadt umzog und anschließend die begehrte Umverteilung damit begründete, fühle sich dort aufgrund der verfügbaren Jugendhilfeangebote, u.a. Streetdance und Kickboxen, psychisch wohler. Während es in diesem Fall gerechtfertigt ist, den Betroffenen auf das einzuhaltende Umverteilungsverfahren einschließlich der Antragstellung vor dem Ortswechsel zu verweisen, liegt der Fall bei der Klägerin zu 1. anders. Die Kläger, insbesondere die Klägerin zu 1., dürfte sich im Sommer 2019 in einer von großer Angst geprägten psychischen Ausnahmesituation befunden haben. Ihr eigenmächtiges und insoweit rechtswidriges Verhalten ist nach Auffassung des Gerichts zwar durchaus zu ihren Lasten zu berücksichtigen, aber mit einem deutlich geringeren Gewicht als etwa in dem vom Verwaltungsgericht München entschiedenen Fall (vgl. dazu noch im Folgenden unter 3.).

In ähnlicher Weise teilt das Gericht grundsätzlich zwar die Auffassung, dass Gefährdungen von Seiten Dritter grundsätzlich vorrangig durch polizei- und ordnungsrechtliche Maßnahmen (vgl. Heusch, in: BeckOK AuslR, Dokumentstand 1. Januar 2022, AsylG § 51 Rn. 10) oder landesinterne Umverteilung (§ 7 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Gesetz über die Aufnahme von Flüchtlingen, spätausgesiedelten und weiteren aus dem Ausland zugewanderten Personen im Land Brandenburg sowie zur Durchführung des Asylbewerberleistungsgesetzes - Landesaufnahmegesetz vom 15. März 2016, GVBl.I/16, Nr. 11, zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 17. Dezember 2021, GVBl.I/21, Nr. 40) Rechnung zu tragen ist. Dieser Vorrang gilt jedoch nicht absolut und ausnahmslos (vgl. VG Göttingen, Urteil vom 17. November 2005 - 4 A 169/05 -, juris Rn. 29). Im Fall der Klägerin zu 1. bietet die länderübergreifende Umverteilung nach Schleswig-Holstein ihr aus den vorstehend ausgeführten Gründen einen wirksameren Schutz als polizei- und ordnungsrechtliche Maßnahmen oder die landesinterne Umverteilung im Land Brandenburg. Der damit vorliegende humanitäre Grund von vergleichbarem Gewicht wie die Zusammenführung von Mitgliedern der Kernfamilie wird nicht dadurch beseitigt, dass auch andere, aber weniger wirksame Maßnahmen zur Verfügung stehen.

In Abgrenzung zu dem ablehnenden Beschluss der Kammer vom 13. Januar 2021 im Verfahren des einstweilen Rechtsschutzes (VG 8 L 683/20.A) ist darauf hinzuweisen, dass der Vortrag der Klägerin zu 1. zur Bedrohung durch weitere Mitglieder der Familie ihres Ehemannes bzw. ihrer eigenen Familie sowie zu ihrem psychischen Gesundheitszustand (vgl. dazu im Folgenden unter 2.) erst mit Schriftsatz vom 10. Mai 2021 erfolgte und dem Urteil damit ein anderer Sachverhalt als dem Beschluss vom 13. Januar 2021 zugrunde liegt.

2. Ein weiterer humanitärer Grund von vergleichbarem Gewicht folgt aus der Notwendigkeit, die begonnene psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung der schwerwiegenden psychischen Erkrankung der Klägerin zu 1. in einem von ihr als stabil und sicher empfundenen persönlichen Umfeld fortzusetzen. Dies folgt aus der psychiatrisch-psychotherapeutischen Stellungnahmen des . Danach sei bei der Klägerin zu 1. eine schwergradige Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) sowie eine schwergradig ausgeprägte depressive Episode diagnostiziert worden. Grundvoraussetzung für eine nachhaltige Remission der Symptomatik sei eine subjektive und objektive Sicherheit vor erneuten Übergriffen. Jede Form von erlebter Bedrohung unterbreche und verschlechtere den Heilungsprozess, da das bestehende emotional-kognitive Furchtnetzwerk erneut getriggert und verfestigt werde. Eine Traumaexposition sei geplant. Dafür sei ein stabiles sicheres persönliches Umfeld dringend erforderlich. Ein Rückzug nach Brandenburg würde das Bedrohungserleben durch die räumliche Nähe und die geringere Anonymität gegenüber der Familie des Ehemannes verstärken und zu einer Verschlechterung der Symptomatik führen, welche eine Therapie behindern oder unmöglich machen würde.

Das Gericht hat keine Veranlassung, diese von einem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie sowie einer psychologischen Psychotherapeutin getroffenen Feststellungen in Zweifel zu ziehen. Die vorgelegte Stellungnahme vom 3. Mai 2021 genügt grundsätzlich den – hier unmittelbar nicht anwendbaren – Anforderungen an eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung nach § 60 Abs. 2c Satz 2 AufenthG. Das Gericht hält es auch aus Sicht des medizinischen Laien für nachvollziehbar und auch substantiiert dargelegt, dass das Verlassen des von der Klägerin zu 1. subjektiv als sicher empfundenen persönlichen Umfelds in Schleswig-Holstein und die Rückkehr in das von ihr nicht nur subjektiv (vgl. vorstehend unter 1.) als weniger sicher empfundene Bundesland Brandenburg ein hohes Risiko einer Verschlechterung der Symptomatik bis hin zu einer Retraumatisierung birgt.

Das Gericht geht zwar davon aus, dass im Land Brandenburg grundsätzlich geeignete Behandlungsmöglichkeiten für eine PTBS und eine Depression vorhanden sind und für die Klägerin zu 1. auch verfügbar wären. Ausweislich der belastbaren und nachvollziehbaren ärztlichen Stellungnahme, hinsichtlich derer das Gericht keinen Anlass sieht, diese in Zweifel zu ziehen, verspricht eine Behandlung der Klägerin zu 1. in Schleswig-Holstein jedoch einen besseren bzw. nachhaltigeren Behandlungserfolg als eine grundsätzlich auch im Land Brandenburg mögliche Behandlung, weil die Rückkehr nach Brandenburg für die Klägerin zu 1. mit einer erheblichen Verschlechterung ihres subjektiven Sicherheitsempfindens verbunden wäre. Die Erkrankung der Klägerin ist daher nicht aufgrund überlegener medizinischer Behandlungsmöglichkeiten, sondern wegen der besonderen individuellen Umstände ihrer durch traumatische Ereignisse ausgelösten psychischen Erkrankung im Land Schleswig-Holstein besser zu behandeln.

Auch hinsichtlich der Behandlung der psychisch erkrankten Klägerin zu 1. würden die Anforderungen an das Vorliegen humanitärer Gründe von vergleichbarem Gewicht überdehnt, wenn zur Voraussetzung gemacht würde, dass diese Erkrankung zwingend nur am Zielort der gewünschten Umverteilung effektiv behandelt werden kann. Insoweit wird auf das vorstehend zu 1. entsprechend Ausgeführte verwiesen.

3. Im Fall der Klägerin zu 1. liegen auch keine entgegenstehenden öffentlichen Interessen vor, die trotz Vorliegens humanitärer Gründe von vergleichbarem Gewicht zu einem anderen Ergebnis der Ermessensausübung führen (atypischer Fall, vgl. VG Würzburg, Beschluss vom 5. Mai 2020 - W 6 K 18.32318 -, juris Rn. 34). Aus § 52 AsylG folgt, dass die Aufnahmequote nicht als relevanter öffentlicher Belang angeführt werden kann, da ihr durch Anrechnung der umverteilten Personen genüge getan wird (Heusch, in: BeckOK AuslR AsylG, Dokumentsstand 1. Januar 2022, § 51 Rn. 13).

Der Umverteilung steht jedoch – wie bereits unter 1. ausgeführt – das eigenmächtige Handeln der Klägerin zu 1. entgegen, das dem in § 51 Abs. 1 AsylG vorgesehenen Verfahren der vorherigen Beantragung der Umverteilung widerspricht. Die ebenfalls bereits dargelegte psychische Ausnahmesituation, in der die Klägerin zu 1. sich im Sommer 2019 befunden haben muss, als sie gemeinsam mit ihren Kindern zunächst in und dann in Schutz suchte, muss aus Sicht des Gerichts zu einer Berücksichtigung des unrechtmäßigen Verhaltens der Klägerin zu 1. mit deutlich verringertem Gewicht führen. Der danach verbleibende Unrechtsgehalt dieses Verhaltens, durch eigenmächtiges Handeln jenseits der dafür vorgesehenen gesetzlichen Verfahren zu ihren eigenen Gunsten vollendete Tatsachen zu schaffen, ist nach Auffassung des Gerichts zwar durchaus noch erheblich, begründet aber kein anerkennenswertes öffentliches Interesse daran, das Verhalten durch Ablehnung der begehrten Umverteilung zu sanktionieren.

Ein atypischer Fall liegt schließlich auch nicht deshalb vor, weil die Klägerin zu 1. wiederholt straffällig geworden ist. Zum einen hält das Gericht den Vortrag der Klägerin, sie habe mit ihrer kriminellen Vergangenheit gebrochen und sei im Begriff, sich ein neues Leben aufzubauen, insbesondere auch angesichts der Stellungnahme der Bewährungshelferin vom und dem offenbar straffreien Verhalten der Klägerin zu 1. seit für glaubwürdig. Zum anderen vermag das Gericht auch unter Berücksichtigung der von der Klägerin zu 1. begangenen Straftaten nicht zu erkennen, weshalb das Risiko der Begehung weiterer Straftaten bei einem Verbleib der Klägerin zu 1. im Land Schleswig-Holstein höher sein sollte als bei einer Unterbringung in Brandenburg oder einem anderen Bundesland.

4. Ist die Klägerin zu 1. demnach in das Land Schleswig-Holstein umzuverteilen, muss dies im Ergebnis auch für ihre minderjährigen Kinder, die Kläger zu 2.-4., gelten. Diese sind dem gleichen Ort wie ihre Mutter zuzuweisen (vgl. § 50 Abs. 4 Satz 5, § 51 AsylG).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Die Entscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.