Gericht | OLG Brandenburg 3 . Zivilsenat | Entscheidungsdatum | 22.03.2022 | |
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Aktenzeichen | 3 U 32/18 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2022:0322.3U32.18.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 18.04.2018, Az. 4 O 179/13, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der Kosten der Streithelferin der Beklagten zu tragen. Die Streithelfer des Klägers tragen ihre Kosten selbst.
3. Dieses sowie das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Vollstreckungsgläubiger durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubiger vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
5. Der Berufungsstreitwert beträgt 49.370 €.
I.
Der Kläger begehrt Schadenersatz und Schmerzensgeld wegen des Bruches einer von der Beklagten hergestellten, in seine linke Hüfte implantierten Hüftendoprothese.
Am 01.12.2009 wurde dem Kläger in der Klinik der Streithelferin zu 2 eine von der Beklagten produzierte Hüftendoprothese des Typs M..., bestehend aus einer Sphäricon Pressfitpfanne 56/C, einem Keramikeinsatz (-inlay) der Größe 36/C, einem M... Schaft 05/L und einem Keramikkopf der Größe 36/S durch den Streithelfer zu 1 eingesetzt. Die Pfanne dieser Prothese bestand aus einem Keramikinlay, hergestellt von der Streithelferin der Beklagten aus dem Material (X1), und ist im Hause der Beklagten in eine Metallummantelung (sog. Hütchen) eingepresst worden.
Seit 2004/2005 wird für die Verwendung in Hüftendoprothesen auch ein anderer Keramikwerkstoff auf dem Markt angeboten, der gegenüber dem Materialtyp (X1) eine höhere Risszähigkeit und geringere Abriebrate aufweist. Beide Materialien werden, auch in Kombination mit anderen, bis heute bei der Herstellung von Endoprothesen verwendet, das beim Kläger verwendete Keramikinlay (X1), Größe 36/C, jedoch seit 2011 in Deutschland nicht mehr vertrieben, ohne dass allerdings ein Rückruf entsprechend hergestellter Prothesen erfolgt wäre. Zur Produktion von Hüftendoprothesen mit Inlays der zuvor nicht hergestellten Größe 36 mm war die Beklagte übergegangen, um eine verbesserte Funktionalität und Beweglichkeit ihres Prothesensystems zu erreichen; allerdings war damit zwangsläufig eine Verringerung der Wanddicke der Inlays von 6 mm auf 4 mm verbunden.
Nach Einsatz der stretgegenständlichen künstlichen Hüfte war der Kläger zunächst beschwerdefrei und nicht bewegungseingeschränkt. Nachdem jedoch bei ihm Beschwerden aufgetreten waren, fand am 27.03.2012 eine Revisionsoperation statt, in deren Zuge die am 01.12.2009 eingesetzte Keramikkugel mit Keramikhalbschale inklusive Metallummantelung explantiert und ersetzt wurde.
Der Kläger hat bereits erstinstanzlich die Auffassung vertreten, die ihm inplantierte künstliche Hüfte des von der Beklagten hergestellten Typs sei mangelhaft gewesen und es habe insoweit ein Herstellerfehler vorgelegen; er habe, so hat er weiter behauptet, am 18.03.2012 nach dem Aufstehen von einer Gartenliege ein leises Quietschen in der linken Hüfte bemerkt; das Geräusch habe sich im Laufe des Tages weiter verstärkt; in der daraufhin aufgesuchten Klinik der Streithelferin zu 2 sei ein Bruch des Keramikinlays (/-inserts) festgestellt worden; im Anschluss an den stationären Aufenthalt habe er sich bis zum 24.04.2012 in eine Rehabilitationsklinik begeben müssen; gleichwohl sei er seit der bei ihm durchgeführten Revisionsoperation nicht mehr schmerzfrei und auch sein Gangbild habe sich irreversibel verschlechtert; aus dem in einem gleichgelagerten Fall eingeholten Privatgutachten des Orthopäden Dr. H... (Anlage K 2 zur Klageschrift) ergebe sich die Fehlerhaftigkeit des nämlichen Produkts, wobei sich die Fehlpositionierung zumindest bruchbegünstigend ausgewirkt habe; der Bruch des Inlays sei auf dessen Fehlpositionierung in der Metallummantelung zurückzuführen: das Keramikinlay sei mit 0,65 mm zu tief in die Metallummantelung eingepresst worden; es handele sich um einen Serienschaden; der Herstellerfehler betreffe die unter Verwendung des Keramikmaterials (X1) hergestellten Keramikinlays der Größe 36 mm; die Versagensrate dieses Produktes liege zehnmal höher als die allgemeine Versagensrate von Keramikinlays und - angesichts einer Quote von 0,5 % - 25mal höher als die Bruchrate der aus dem Material (X2) bestehenden Keramikinlays; das weitaus besser geeignete Material (X2) sei bereits seit 2004 auf dem Markt verfügbar gewesen; der entstandene Bruch sei zudem auch auf einen Materialfehler der Metallummantelung zurückzuführen: aufgrund dieses Fehlers habe sich das Metallhütchen im Laufe der Gebrauchszeit geweitet und nach der Implantation zu Mikroseparationen geführt, was schließlich zu dem Bruch beigetragen habe;
aufgrund der notwendig gewordenen Revisionsoperation und der nachfolgenden Rehabilitationsmaßnahmen habe er, der Kläger, seinen Lehrauftrag für das Sommersemester 2012 an der Universität … nicht wahrnehmen können, wodurch er einen finanziellen Schaden in Höhe von 945 € erlitten habe; außerdem habe er Zuzahlungen in Höhe von 100 € für die Behandlung in der Klinik der Streithelferin zu 2 und in Höhe von 170 € für den Reha-Aufenthalt leisten müssen;
es sei ihm auch nicht mehr möglich, der Haus- und Gartenarbeit im zuvor gehandhabten Umfang nachzukommen; der dadurch entstandene Haushaltsführungsschaden sei mit 5,5 Stunden wöchentlich zu je 10 € netto zu berechnen und betrage monatlich 220 €;
bei der Bemessung des ihm zustehenden Schmerzensgeldanspruches seien, so meint der Kläger, die durch die vermeidbare Revisionsoperation einschließlich weiterer Anschlussbehandlungen aufgetretenen Schmerzen sowie der damit verbundene Zeitverlust und Verlust der Lebensqualität sowie die chronifiziert fortbestehenden Schmerzen und sein irreversibel verschlechtertes Gangbild zu berücksichtigen; materielle und immaterielle zukünftige Schäden seien nicht auszuschließen.
Der Kläger und die Streithelfer zu 1 und 2 haben erstinstanzlich beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger einen Geldbetrag von 4.130 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt werde, mindestens jedoch 30.000 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit betragen solle,
3. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger ab dem 01.04.2013 einen monatlichen Geldbetrag in Höhe von 220 € zu zahlen,
4. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger weitere 1.827,84 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Zustellung der Klage zu zahlen;
5. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger jeglichen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihm aufgrund der Fehlerhaftigkeit des Medizinproduktes zukünftig noch entstehen wird, sofern diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat gemeint, die streitgegenständliche Prothese sei nicht fehlerhaft hergestellt worden oder anderweitig mangelhaft; die von dem Orthopäden H... in anderer Sache getätigten Feststellungen seien auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar; sie könne ausschließen, dass eine erhebliche Höhendifferenz von 0,65 mm zwischen Keramikinlay und Metallvollummantelung bei der Endkontrolle nicht bemerkt worden wäre; es sei davon auszugehen, dass eine übermäßige plötzliche Krafteinwirkung, beispielsweise ein Sturz, das Keramikinlay tiefer in den Konus getrieben habe, wodurch es zu Spannungen in dem Bauteil gekommen sei, welche schließlich den Bruch bewirkt hätten; das in der Prothese des Klägers verwendete Inlay habe weder Material-, noch Fertigungsfehler aufgewiesen, was sich auch aus dem Abnahmeprüfzeugnis 3.1 nach EN 10204 (Anlage N1 zum Schriftsatz der Streithelferin zu 3 vom 27.04.2017) ergebe; die in-vivo-Bruchrate in Bezug auf die Hüftendoprothetik werde in der medizinischen Fachliteratur mit erheblichen Bandbreiten angegeben; das Keramikmaterial (X2) stelle lediglich eine Weiterentwicklung dar und sei nicht etwa in Reaktion auf etwa bekanntgewordene Materialfehler von (X1) entwickelt worden, was sich auch daran zeige, dass noch heute entsprechende Kugelköpfe und Inlays hergestellt sowie vertrieben würden; Bruchfestigkeit und Bruchzähigkeit seien nicht mit der Bruchanfälligkeit zu verwechseln: letztere werde durch das Gesamtsystem - Material, Einbausituation, Anatomie und Patientenverhalten - beeinflusst; zum Operationszeitpunkt 2009 sei eine Überlegenheit des Keramikmaterials (X2) gegenüber (X1) hinsichtlich dessen Bruchfestigkeit nicht erkennbar gewesen; aufgrund umfangreicher Zulassungsprüfungen hätten ihr, der Beklagten, aus (X2) hergestellte Inlays und Köpfe zudem erst nach Erteilung des Prüfzertifikats ab Ende Juni 2010 für den Einbau zur Verfügung gestanden;
der Schmerzensgeldanspruch sei überzogen und die behaupteten Beeinträchtigungen sowie eingetretenen materiellen Schäden weder plausibel noch nachvollziehbar; die geltend gemachten Zuzahlungen seien nicht erstattungsfähig; auch sei der Kläger nicht berechtigt, die Zahlung der entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten an sich selbst zu verlangen, weil die von ihm eingeschaltete Rechtsschutzversicherung ihn lediglich dazu ermächtigt habe, diese Forderung in gewillkürter Prozessstandschaft für sie geltend zu machen.
Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Einholung schriftlicher Gutachten und Vernehmung des Sachverständigen Dipl. Ing. Dr. B.... Wegen des Ergebnisses der erstinstanzlichen Beweisaufnahme wird auf die schriftlichen Gutachten des Sachverständigen vom 07.08.2016 und 09.03.2017 sowie seine mündlichen Ergänzungen gemäß dem Inhalt des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 14.03.2018 Bezug genommen.
Mit Urteil vom 18.04.2018 hat die Zivilkammer die Klage abgewiesen.
Zur Begründung ihrer Entscheidung hat sie ausgeführt, dem Kläger sei bereits nicht der Nachweis gelungen, dass die Beklagte ein fehlerhaftes Produkt in den Verkehr gebracht und deshalb gemäß § 1 Abs. 1 ProdHaftG verpflichtet sei, ihm die aufgrund des Produktfehlers entstandenen Schäden zu ersetzen.
Der Kläger, so die Kammer, habe schon nicht belegen können, dass das bei ihm verwendete Keramikinlay zu tief in die Metallummantelung eingepresst worden sei; der Sachverständige B... habe im Gegenteil festgestellt, dass das Inlay an allen vier im Abstand von 90 Grad gemessenen Punkten zwischen 0,053 mm und 0,157 mm über die Kante des Metallhütchens herausgestanden habe und keine Anhaltspunkte dafür vorhanden gewesen seien, dass das Inlay durch einen Riss des Keramikinlays im Pfannenboden oder eine Explantation bzw. postoperative Manipulation nachträglich eine andere Position eingenommen und dabei teilweise aus dem Hütchen herausgedrückt worden sei; ein zu tiefes Einpressen des Inlays in die Metallummantelung könne bei dieser Sachlage nicht bruchursächlich gewesen sein, so der Sachverständige;
vielmehr habe der Sachverständige, so das Instanzgericht weiter, als Bruchursache die Einwirkung einer erheblichen Kraft im Sinne eines Gewaltbruches auf den Boden des Keramikinlays ausgemacht, die nicht allein einem Unfallereignis geschuldet sein müsse, sondern auch etwa im Falles eines Sprunges des Klägers von einer Treppenstufe auf den Erdboden gewirkt haben könne; dabei unterliege die Verwendung eines Prothesenkopfes mit einem Aufnahmekonus S grundsätzlich einem höheren Mikroseparationsrsiko - des Herausgleitens der Kugel aus dem Inlay - als von solchen der Größe XL, die anders als vorgenannte eine geringere Luxuations(=Herausgleitens)tendenz hätten, weil sich der Anpressdruck der Kugel in der Gelenkpfanne aufgrund des quasi längeren Schenkelhalses vergrößere; eine höhere Mikroseparation bewirke einen verstärkten Abrieb von Kugel und Gelenkpfanne und berge langfristig die Gefahr von Rissbildungen sowie Brüchen des Inlays; auf der Oberfläche des streitgegenständlichen Objekts hätten sich nach den Feststellungen des Sachverständigen bereits Verschleißanzeichen finden lassen; diese vorhandene Mikroseparation habe im Zusammenspiel mit einer plötzlichen Krafteinwirkung ausgereicht, um den eingetretenen Bruch und das Versagen des aus Biolox (X1), einem bruchanfälligeren Material, bestehenden Keramikinlays zu bewirken.
Daraus ergebe sich, so das Landgericht, dass die Verwendung des Keramikmaterials (X1) der Streithelferin der Beklagten für den festgestellten Gewaltbruch mindestens mitursächlich gewesen sei, während die vom Kläger als weitere mögliche Ursachen genannten Umstände, nämlich Spannungen im Bauteil bzw. eine Verkantung oder anderweitige Fehlerhaftigkeit des Metallhütchens, nicht hätten verifiziert werden können und auch nicht plausibel seien, habe der Sachverständige B... doch festgestellt, dass die angebliche Instabilität des Metallhütchens wegen der stabilen Verankerung der Gelenkpfanne in der Beckenkonstruktion folgenlos geblieben wäre.
Danach stehe gerade nicht fest, dass ein Produktfehler im Sinne von § 3 ProdHaftG, insbesondere aufgrund der Verwendung des Werkstoffs (X1) ein Konstruktionsfehler der implantierten Prothese, vorliege; es gebe keine Hinweise darauf, dass die Beklagte bei der Herstellung der Prothese gegen anerkannte technische Regeln oder sonstiges nach dem Stand von Wissenschaft und Technik gesichertes Wissen verstoßen habe; insbesondere ergebe sich aus dem Gutachten des Sachverständigen B... nicht nur, dass der Werkstoff (X1) bereits Jahre vor der bei dem Kläger stattgefundenen Hüftoperation genutzt, sondern auch noch bis in das Jahr 2012 hinein weiterhin verwendet worden sei, obwohl bereits seit 2010 auch der Werkstoff (X2) auf dem Markt gewesen und ebenfalls verwendet worden sei; dieser habe der Beklagten bei Auslieferung und Einbau des streitgegenständlichen Implantats zudem noch nicht zur Verfügung gestanden und stelle sich als bloße Weiterentwicklung des Ausgangsmaterials dar; im übrige ergebe sich aus der vom Sachverständigen mit Blick auf die Bruchraten der jeweiligen Fabrikate erstellten Tabelle, dass allein Inlays der Größe 36 C (vgl. Bl. 619 GA) eine höhere Versagensrate aufwiesen, nicht aber aus dem gleichen Material - (X1) - hergestellte Inlays anderer Größen;
allein auf der Grundlage der für Keramikinlays der vorliegenden Art festgestellten erhöhten Bruchrate lasse sich die Haftung der Beklagten nach dem Produkthaftpflichtgesetz nicht schon begründen; die zu Herzschrittmachern und cardioverten Defibrillatoren ergangene gegenteilige Rechtsprechung sei fallbezogen nicht anwendbar, sodass allein aufgrund der Versagensrate, ohne konkreten Fehlernachweis, ein Produktfehler im Sinne von § 3 Abs. 1 ProdHaftG nicht anzunehmen sei; die skizzierte Rechtsprechung betreffe lebenserhaltende medizinische Geräte, deren Fehlfunktion lebensbedrohlich sein könne und deren fehlerfreie Funktion grundsätzlich nicht durch andere Parameter beeinflusst werde; insofern maßgeblich seien zuvorderst die Hard- und Software und weniger mechanische Abläufe wie im Falle der Herstellung von künstlichen Hüftprothesen; nicht nur das Material, sondern auch die Einbausituation, die Anatomie des Patienten, dessen körperlicher Zustand und späteres (Geh-)Verhalten spielten insofern für die Höhe der Ausfallrate eine mitentscheidende Rolle, so dass der Schadensquote kein hinreichendes Indiz für einen Serienschaden beizumessen sei; davon abgesehen sei der Schutz von Patienten mit Herzschrittmachern und Defibrillatoren eindeutig wesentlich höher einzustufen und nicht vergleichbar mit demjenigen von solchen mit Hüftendoprothesen, auch die Implantierungssituation sei nicht vergleichbar;
schließlich, so die Zivilkammer, komme auch eine Haftung der Beklagten aus § 823 Abs. 1 BGB wegen der Verletzung einer Produktbeobachtungspflicht nicht in Betracht; ein Fehlverhalten der Beklagten sei nicht erkennbar: der Beklagten sei das Problem der größeren Versagensrate von Inlays der Größe 36 C nicht vor 2009 bekannt gewesen, ein Rückruf entsprechender Implantate sei nicht erfolgt, diese seien vielmehr bis 2012 weiter eingebaut worden, und der Kläger habe Gegenteiliges nicht zu substantiieren vermocht.
Gegen die Entscheidung des Landgerichts wendet sich der Kläger mit seiner form- und fristgerecht eingelegten sowie begründeten Berufung.
Er rügt eine fehlerhafte Anwendung des materiellen Rechts seitens des Landgerichts und eine unzulängliche Erschöpfung des streitgegenständlichen Sachverhalts, insbesondere das Übergehen angebotener Beweise.
Hierzu macht der Kläger geltend, bereits erstinstanzlich darauf verwiesen zu haben, dass die Beklagte von Rechts wegen genötigt gewesen wäre, ausschließlich noch das - wie entsprechende Veröffentlichungen der Beklagten belegten - bereits seit 2003 auf dem Markt befindliche Keramikmaterial (X2) zu verwenden, das nach den Informationsbroschüren der Streithelferin zu 3 weniger bruchanfällig als das fallbezogen verwendete sei, was ihr bereits seit 2005 bekannt gewesen sei; zudem erhöhe sich aufgrund der zu geringen Wanddichte bei Keramikinlays der Größe 36 mm deren Bruchwahrscheinlichkeit, was der Beklagten aufgrund entsprechender allgemeiner Erfahrungen bereits im Entwicklungszeitpunkt habe bekannt gewesen sein müssen, so dass der Einwand aus § 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdHaftG nicht greife; insofern liege zumindest ein Instruktionsfehler vor, denn die Beklagte habe auf die erhöhte Bruchanfälligkeit ihrer 36 mm-Inlays in deren Gebrauchsanweisung nicht hingewiesen; zur Feststellung eines Konstruktionsfehlers des streitgegenständlichen Produkts sei die Bruchrate der beklagtenseitig hergestellten 36 mm-Inlays derjenigen aller gebräuchlichen Inlaygrößen gegenüberzustellen, nicht lediglich derjenigen von 36 mm-Inlays anderer Hersteller;
der erstinstanzlich beauftragte Sachverständige B... habe sich nicht zu etwaigen Sollwerten bzw. Toleranzen der Einsinkhöhe des Inlays in das Metallhütchen der verwendeten Prothese geäußert und seine Feststellung, das erste Bruchereignis habe sich erst im Jahr 2009 ereignet, sei nicht belegt worden;
zudem sei die auf Herzschrittmacher und kardioverte Defibrillatoren bezogene, von der Zivilkammer im übrigen missverstandene, Rechtsprechung des EUGH zum abstrakten Fehlerbegriff, nach der ein Medizinprodukt bereits dann einen Fehler aufweise, wenn es aus einer Serie mit höherer Fehlerwahrscheinlichkeit stamme, auch auf andere Medizinprodukte wie das vorliegende anzuwenden, da weder Fehlfunktionen der erfassten Geräte stets den Eintritt einer unmittelbaren Lebensgefahr bewirkten, noch Hüftprothesenbrüche generell ungefährlich bzw. nicht lebensbedrohlich seien, vielmehr erhebliche Sekundärschäden hervorrufen könnten, der EuGH dessen ungeachtet auch selbst nicht deutlich gemacht habe, dass seine Entscheidung nur für wenige und in bestimmter Form spezielle Einzelprodukte Anwendung finden solle; ein Serienfehler im dargestellten Sinn sei fallbezogen gerade anzunehmen, wie der Tabelle im Anhang des schriftlichen Gutachtens Dr. B...s (vgl. Bl. 619 GA) zu entnehmen sei: 22 gleichartige, dieselbe Objektgröße (36 C) betreffende Schadensfälle seien ermittelt worden, wobei die ermittelte Ausfallrate bei einer Gesamtzahl von 4.343 verbauten Implantaten mehr als 0,5 % betrage und damit statistische Relevanz besitze, da sich um das 50fache höher liege als bei anderen Inlaygrößen desselben Herstellers; das gleiche - hinreichende Relevanz - ergebe sich auch noch im Vergleich mit Inlays aller verwendeten Größen;
seine erstinstanzliche Behauptung, das Inlay sei beim Einpressen des Metallhütchens zu tief eingepresst worden, halte er ferner zwar nicht mehr aufrecht, gehe aber stattdessen davon aus, dass es entweder schief eingepresst worden sei oder aufgrund einer nachträglichen Dehnung bzw. Erweiterung seine Position dergestalt verändert habe, dass das Inlay jedenfalls schief, d.h. nicht bündig im Metallhütchen, gesessen habe, was den Bruch zumindest mitverursacht habe.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des am 18.04.2018 verkündeten Urteils des Landgerichts Potsdam, Az. 4 O 179/13, entsprechend seinen erstinstanzlichen Anträgen zu verurteilen.
Die Beklagte und die Streithelferin zu 3 beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie stützen das angefochtene Urteil.
Hierzu machen sie insbesondere geltend, die Rechtsprechung des EuGH zum abstrakten Fehlerbegriff sei vorliegend unanwendbar: den insofern entschiedenen Fällen hätten konstruktive Fehler der implantierten Geräte zugrunde gelegen, die fallbezogen jedoch gerade nicht nachgewiesen seien, stehe doch nicht fest, dass die vom Sachverständigen B... ermittelte Ausfallrate im Zusammenhang mit konstruktiven Mängeln des streitgegenständlichen Produkts stünden; auch setzten die in Bezug genommenen Entscheidungen voraus, dass die fraglichen Medizinprodukte eine gesundheitsschützende Funktion hätten, d.h. Fehlfunktionen im Sinne einer anormalen Potenzialität unmittelbare Todesgefahren hervorriefen, woran es mit Blick auf Hüftprothesen gerade fehle; Hüftprothesen seien anders als die Herzfunktionen unterstützende Geräte auch einer ständigen Belastung durch die Benutzer ausgesetzt, Fehler könnten mithin in erhöhtem Maße mit Art und Umfang ihrer Verwendung im Zusammenhang stehen; im übrigen lege der Rechtsprechung des EuGH der Gedanke weitestgehender Fehlerprävention zugrunde, wofür ein Fehlerverdacht genügen müsse, während mit Blick auf den Kläger der behauptete Schaden bereits eingetreten sei;
zugleich habe der Kläger den ihm auch im Produkthaftungsrecht obliegenden Beweis eines Fehlers nicht erbracht, habe der Sachverständige B... doch festgestellt, dass sich die von ihm behauptete Bruchrate von - gegenüber vergleichbaren Produkten anderer Hersteller um das 10fache erhöhten - 0,5 % nicht verifizieren lasse; dass weder ein Material- noch ein Konstruktionsfehler vorlägen, zeige sich auch daran, dass ihre Streithelferin aus (X1) produzierte Kugelköpfe und Inlays weiterhin produziere sowie verkaufe, ohne dass bislang ein Rückruf erfolgt sei; Ursache des Bruches sei streitgegenständlich, wie sachverständig festgestellt, allein eine Mikroseparation gewesen, ohne dass diese einer zu tiefen Einbringung der Keramikschale in das Metallhütchen oder deren Verkanten durch ein „schiefes“ Einpressen des Inlays im Zuge des Herstellungsprozesses geschuldet gewesen sei; andere Bruchursachen habe der Sachverständige B... gerade ausgeschlossen;
dessen ungeachtet verbleibe es dabei, dass der Streithelferin zu 3 der Werkstoff (X1) erst nach Abschluss seines Zulassungsverfahrens ab 25.06.2010 - und damit nachoperativ - zur Verwendung zur Verfügung gestanden habe.
Der Senat hat gemäß Beschluss vom 02.07.2019 Beweis erhoben über die Behauptung des Klägers, Hüftendoprothesen nach Art der ihm eingesetzten hätten eine signifikant höhere Ausfallrate aufgewiesen als im Zeitpunkt ihrer Auslieferung verfügbare Hüftendoprothesen anderer Hersteller, die Keramikinlays der Größe 36 mm in vergleichbaren Fertigprodukten verwendet haben, die ggf. festzustellende signifikant höhere Ausfallrate des streitgegenständlichen Inlays lasse den Schluss darauf zu, dass diese auf dessen Produkteigenschaften und nicht auf andere Ursachen (OP-Methoden, Verwendung bei bestimmten Patientengruppen etc.) zurückzuführen sei, und eine ggf. gemäß Ziffer 1 festzustellende signifikant höhere Ausfallrate des streitgegenständlichen Keramikinlays sei im Auslieferungszeitpunkt nach dem damaligen Stand der Wissenschaft und Technik objektiv erkennbar gewesen, durch Einholung schriftlicher Gutachten des Sachverständigen PD Dr.-Ing. habil. D. K... in R…. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der schriftlichen Gutachten des Sachverständigen vom 26.09.2020, Bl. 699 ff GA, und vom 17.01.2022, Bl. 1356 ff GA, und deren ergänzende Erläuterung in dem Termin der Berufungsverhandlung vor dem Senat am 25.01.2022, Bl. 1372 ff GA, Bezug genommen.
II.
Die Berufung ist zulässig; sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.
In der Sache hat das Rechtsmittel jedoch keinen Erfolg.
Dem Kläger stehen die geltend gemachten Ansprüche, als deren Grundlage im Verhältnis zur Beklagten nur § 1 Abs. 1 ProdHaftG i.V.m. § 8 und § 9 ProdHaftG bzw. § 1 Abs. 1 ProdHaftG i.V.m. § 253 BGB in Betracht kommt, nicht zu.
Sämtliche vorgenannte Ansprüche setzen voraus, dass die am 01.12.2009 bei dem Kläger implantierte Hüfttotalendoprothese einen Produktfehler im Sinne des § 3 ProdHaftG aufwies, der dafür ursächlich geworden ist, dass das Keramikinlay gebrochen ist und deshalb am 27.03.2012 eine Revisionsoperation durchgeführt werden musste. Ein solcher Produktfehler der streitgegenständlichen Hüfttotalendoprothese kann indes nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme unter keinem Gesichtspunkt festgestellt werden.
Gemäß § 3 Abs. 1 ProdHaftG hat ein Produkt einen Fehler, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere seiner Darbietung, des Gebrauchs, mit dem billigerweise gerechnet werden kann, sowie des Zeitpunkts, in dem es in Verkehr gebracht wurde (§ 3 Abs. 1 ProdHaftG), berechtigterweise erwartet werden kann. Abzustellen ist dabei nicht auf die subjektive Sicherheitserwartung des jeweiligen Benutzers, sondern objektiv darauf, ob das Produkt diejenige Sicherheit bietet, die die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält. Dies ist nach denselben objektiven Maßstäben zu beurteilen wie bei den Verkehrspflichten eines Herstellers im Rahmen der deliktischen Haftung gemäß § 823 Abs. 1 BGB. Dementsprechend ist auch im Anwendungsbereich des ProdHaftG zu unterscheiden zwischen Fabrikations-, Konstruktions- und Instruktionsfehlern (BGH, Urteil vom 16.06.2009 – VI ZR 107/08 – Rn. 12, juris).
Die Darlegungs- und Beweislast für den Fehler – ebenso wie für den Schaden und den ursächlichen Zusammenhang zwischen Fehler und Schaden - trägt der Geschädigte (§ 1 Abs. 4 S. 1 ProdHaftG). Dieser danach ihm obliegende Beweis ist dem Kläger nicht zur Überzeugung des Senats gelungen.
1. Der Kläger kann sich insbesondere nicht mit Erfolg darauf stützen, des Beweises eines Fabrikations- oder Konstruktionsfehlers der konkreten Hüfttotalendoprothese bzw. genauer des modularen Keramikeinsatzes der implantierten Pfanne bedürfe es bereits deshalb nicht, weil insoweit ein sogenannter potenzieller (Serien-)Fehler vorliege.
Zwar trifft es zu, dass ein Fehler im Sinne des § 3 Abs. 1 ProdHaftG auf der Grundlage der Auslegung des Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 85/374/EWG durch den EuGH (Urteil vom 05.03.2015 – C-503/13 und C-504/13 – juris Rn. 37 ff.) bei bestimmten medizinischen Produkten bereits dann bejaht werden kann, wenn bei einer signifikanten Anzahl von Produkten derselben Produktgruppe oder Produktionsserie eine Fehlfunktion aufgetreten ist mit der Folge, dass aufgrund eines demgemäß potenziellen Fehlers alle Produkte dieser Gruppe oder Serie als fehlerhaft einzustufen sind, ohne dass ein Fehler des konkreten Produkts nachgewiesen werden muss (BGH, Urteile vom 09.06.2015 – VI ZR 327/12 und VI ZR 284/12).
a) Entgegen der Auffassung der Beklagten sprechen auch durchaus gute Gründe dafür, diese Rechtsprechung, die in Bezug auf Herzschrittmacher und implantierbare Cardioverte Defibriallatoren entwickelt worden ist, auf Fehlfunktionen von Hüftprothesen zu übertragen (ebenso KG, Urteil vom 28.08.2015 – 4 U 189/11; Heynemann, GuP 2021, 32 ff.; OLG Brandenburg, Urteil vom 15.02.2021 - 4 U 193/16; a.A. KG, Urteil vom 25.07.2019 – 20 U 115/17; zweifelnd auch Schaub, MedR 2016, 138, 140; zur Übertragbarkeit auf andere Produkte im Allgemeinen vgl. auch: Timke, NJW 2015, 3060 ff.; Wagner, JZ 2016, 292 ff.; ders. Münchener Kommentar, BGB, 8. Aufl., 2020 Rn. 53 ff.). Dabei darf allerdings nicht verkannt werden, dass angesichts der möglichen Todesgefahr, die für Patienten bei einer Fehlfunktion eines Herzschrittmachers oder Defibrillators besteht, die Anforderungen an die Sicherheit dieser Geräte, die die Patienten zu erwarten berechtigt sind, in Anbetracht ihrer Funktion und der Situation besonderer Verletzlichkeit der diese Geräte nutzenden Patienten besonders hoch sind und die Potentialität des durch eine Fehlfunktion verursachten Personenschadens besonders groß ist (zu diesen beiden Aspekten der Begründung vgl. nur: EuGH, Urteil vom 05.03.2015 – C-503/13 und C-504/13 – juris Rn. 40/41). Insbesondere der letztgenannte Aspekt der Potentialität des Personenschadens besteht jedoch auch bei einer implantierten Hüftprothese. So ist die Fehlfunktion einer Hüftprothese regelmäßig bereits als solche mit einer Gesundheitsschädigung verbunden. Ebenso regelmäßig steht – wie hier – der Bruch des Inlays der Pfanne in Rede und begründet die Fehlfunktion einer Hüftprothese zudem die Notwendigkeit einer (Revisions-)Operation zur Explantation der alten und Implantation einer neuen Prothese oder zumindest eines Teils derselben. Diese Operation wiederum ist ihrerseits ein schwerer körperlicher Eingriff und verlangt eine Anästhesie, die nach allgemeiner Lebenserfahrung ebenfalls nicht risikolos ist. Angesichts dieser Konsequenzen rechtfertigen die Zwecke des ProdHaftG auch im Falle einer Fehlfunktion einer implantierten Hüftprothese insbesondere, dem Benutzer/Patienten einen Anspruch gegen den Hersteller eines solchen Medizinproduktes bereits dann zu gewähren, wenn sich der Schaden zwar noch nicht realisiert hat, jedoch bei Produkten derselben Produktgruppe oder Produktserie in einer so großen Anzahl von Fällen eine Fehlfunktion aufgetreten ist, dass der konkrete Verdacht begründet ist, diese Fehlfunktion werde früher oder später auch bei allen anderen Produkten der derselben Produktgruppe oder Produktserie eintreten.
b) Der Anwendbarkeit der Rechtsprechung zur Haftung eines Herstellers nach den Regeln des ProdHaftG für einen potenziellen Fehler zugunsten des Klägers steht auch nicht entgegen, dass die den Entscheidungen des BGH zugrunde liegenden Fälle jeweils Ansprüche der dortigen Kläger in einer Situation betrafen, in der sich die Fehlfunktion noch nicht realisiert hatte, die Kläger vielmehr präventiv eine Revisionsoperation durchführen wollten und von dem jeweiligen Produkthersteller die Erstattung der Aufwendungen für diese Maßnahme verlangten. Daraus kann nach Auffassung des Senats nicht der Schluss gezogen werden, dass sich die Haftung eines Herstellers für einen potenziellen Fehler auf präventive Maßnahmen beschränkt (so jedoch wohl: Kaufmann/Seehafer, MedR 2017, 369, 373), würde dies doch bedeuten, dass derjenige, bei dem sich die Fehlfunktion eines Produktes bereits realisiert hat, schlechter stünde als derjenige, bei dem lediglich ein konkreter Verdacht einer Fehlfunktion festgestellt werden kann; dies wäre mit dem Schutzzweck des ProdHaftG nicht vereinbar (vgl. OLG Brandenburg, Urteil vom 15.02.2022 - 4 U 193/16 -).
c) Die vorstehenden Fragen bedürfen gleichwohl keiner abschließenden Beurteilung, weil ein Verdacht, dass der Bruch des Keramikinlays als Teil des modularen Keramikeinsatzes der Pfanne der bei der Klägerin implantierten Hüfttotalendoprothese auf einem Fehler im Sinne des § 3 ProdHaftG beruht, nur dann eine Haftung der Beklagten begründen könnte, wenn feststünde, dass eine entsprechende zu einem Bruch des Inlays führende Fehlfunktion bei einer signifikanten Anzahl von Produkten derselben Produktgruppe oder Produktionsserie aufgetreten ist. Dies ist jedoch nicht der Fall.
Insbesondere reicht es nicht aus, dass der Sachverständige Dr. K... in seinem Gutachten vom 26.09.2020 festgestellt hat, die in der Auswertung der Verkaufs- und Versagenszahlen der Beklagten, Stand: 31.12.2012 (Anlage A9 zum Gutachten des Sachverständigen Dr. B... vom 23.07.2014 aus dem Rechtsstreit, Az. OLG Brandenburg 4 U 193/16; lesbare Kopie Bl. 619 d.A.), ausgewiesene Bruchrate für das streitgegenständliche Keramikinlay 36 C-forte entspreche, verglichen mit der in der veröffentlichten Statistik der Streithelferin der Beklagten dokumentierten Versagensrate von (X1) Inlays aller Größen (38 auf 100.000 Fälle = 0,038 %), nahezu dem 5,5-fachen bzw., lege man die von der Beklagten als Anlage BLD BE4 vorgelegte Tabelle (Stand 13.11.2019) zugrunde, sogar einer nahezu 9-fach erhöhten Rate. Ebensowenig kann sich der Kläger darauf stützen, dass der Sachverständige Dr. K... in seinem Ergänzungsgutachten vom 17.01.2022 auch in der Auswertung der Meta-Studie Y... et al. 2020 zu dem Ergebnis gelangt ist, dass die Bruchrate bei (X1)-Inlays aller Größen (wegen der erheblichen Unterschiede zwischen den Angaben der Streithelferin der Beklagten und denjenigen in der Literatur) gemittelt bei 0,2 % liege, während sich für das streitgegenständliche (X1) Inlay der Größe 36 mm der Beklagten unter Zugrundelegung der Gesamtzahl der Implantationen eine Bruchrate von 0,82 % ergebe.
Auf diese Feststellungen ließe sich die Annahme eines die Haftung der Beklagten begründenden potenziellen Fehlers des bei dem Kläger implantierten Keramikinlays aus dem Material (X1) der Größe 36 mm nur dann stützen, wenn sämtliche Keramikinlays aus dem Material (X1) gleich welcher Größe zu derselben Produktgruppe gehören würden. Dies trifft jedoch nicht zu (vgl. OLG Brandenburg, Urteil vom 15.02.2022 - 4 U 193/16).
Ob ein Produkt derselben oder einer anderen Produktgruppe zuzurechnen ist, kann rechtlich nicht allein danach bestimmt werden, ob daran unter einem bestimmten Aspekt dieselben Sicherheitserwartungen gestellt werden; insoweit ist es durchaus nachvollziehbar, dass sich in Bezug auf das Bruchrisiko eines Keramikinlays einer Hüftprothese bei Keramik/Keramik-Gleitpaarungen die Sicherheitserwartung nicht danach unterscheidet, ob es sich um ein Keramikinlay der Größe 28 mm oder der Größe 36 mm handelt. Dies ändert jedoch nichts daran, dass für die Frage der Zuordnung zu derselben Produktgruppe auch und gerade zu berücksichtigen ist, worauf die Unterschiede zwischen den für einen Vergleich heranzuziehenden Produkten beruhen. Dies führt dazu, dass zwischen Keramikinlays des Materials (X1) der Größe 36 mm und solchen kleinerer Größen relevante Unterschiede bestehen, die zur Folge haben, dass diese produkthaftungsrechtlich unterschiedlichen Produktgruppen zuzuordnen sind. Wie bereits der Sachverständige Dr. B... u.a. unter Bezugnahme auf eine durch die M… AG veröffentlichte Ausarbeitung ausgeführt hat, ist mit der Verwendung größerer Pfannen- und Kugeldurchmesser als 28 mm insbesondere der Vorteil verbunden, dass diese ein erweitertes Bewegungsausmaß der Kugel in der Pfanne ermöglichen und damit gleichzeitig das Risiko einer Luxation (Ausrenken) vermindert wird (S. 16 des Gutachtens vom 07.08.2016, Bl. 308 R GA). Wird damit aber einer anderen Sicherheitserwartung, nämlich derjenigen unter dem Aspekt des Luxationsrisikos, Rechnung getragen, so wird die Bedeutung dieses Unterschiedes einer Gleitpaarung der Größe 36 mm im Verhältnis zu einer solchen kleinerer Größen auch mit Blick auf die daran zu stellenden Sicherheitserwartungen nicht dadurch gemindert, dass mit der Verwendung einer größeren Größe gleichzeitig einhergeht, dass die Pfanne und damit das Keramikinlay dünnwandiger gestaltet werden muss. Hinzu kommt, dass ein Operateur die Entscheidung, ob eine Keramik/Keramik-Gleitpaarung der Größe 36 mm oder eine solche eines kleineren Durchmessers besser geeignet ist, regelmäßig nach den physiologischen Voraussetzungen des jeweiligen konkreten Patienten und damit danach treffen wird, ob dieser wegen seiner größeren Beweglichkeit gerade des mit dem größeren Durchmesser der Gleitpaarung verbundenen Schutzes vor einer Luxationsgefahr bedarf. Auch dies spricht dafür, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Keramikinlay aus dem Material (X1) der Größe 36 mm um ein Produkt handelt, das nicht derselben Produktgruppe zuzuordnen ist wie ein Keramikinlay aus dem Material (X1) anderer, insbesondere kleinerer Größen.
Kommt danach aber für die Feststellung einer signifikanten Abweichung des streitgegenständlichen Keramikinlays von vergleichbaren Produkten die maßgebliche Bedeutung der Größe von 36 mm zu, so können derselben Produktgruppe auch nur in Keramik/Keramik-Gleitpaarungen von Hüftprothesen verwandte Keramikinlays dieser Größe 36 mm angehören. Auf der Grundlage dieses Vergleichsmaßstabes lässt sich jedoch nicht feststellen, dass die Bruchrate der von der Beklagten hergestellten Keramikinlays der Größe 36 mm in signifikantem Umfang von derjenigen von Keramikinlays der Größe 36 mm anderer Hersteller abweicht.
Dies gilt allerdings nicht erst deshalb, weil der Sachverständige Dr. K... in seinem Ergänzungsgutachten vom 17.01.2022 in Auswertung der Ergebnisse der Metastudie Y... et. al. 2020 zu dem Ergebnis gelangt ist, dass die Bruchrate der von der Beklagten hergestellten Inlays mit 0,82 % im Mittelfeld der Ergebnisse der Bruchraten von 0,21 % und 1,17 % aus in der Metastudie zusammengefassten vier Studien betreffend Keramikinlays der Größe 36 mm anderer Hersteller liegt. Käme es darauf an, könnten abgesehen davon, dass die Vergleichsstudien weitgehend nur Biolox-(X2)-Produkte betrafen, gute Gründe dafür sprechen, den Sachverständigen eine Nachbegutachtung dahin vornehmen zu lassen, dass auf der Basis der Studie Y... et al. auch solche Produkte einbezogen werden, die eine Versagensquote von „0“ aufweisen. Entscheidend ist vielmehr, dass es für belastbare Feststellungen, auf die eine Haftung der Beklagten für einen potenziellen Fehler des Keramikinlays der bei der Klägerin implantierten Hüftprothese gestützt werden könnte, an einer hinreichenden Datenbasis fehlt. Dies hat der Sachverständige Dr. K... im Rahmen der Erläuterung seines Gutachtens im Termin am 25.01.2022 (Bl. 1372 ff d.A.) eingeräumt und dabei insbesondere geschildert, dass die Datenlage im Zeitraum bis 2011 – nur auf den Zeitraum bis zu diesem Jahr beziehen sich die Bruchraten der Beklagten für Keramikinlays der Größe 36 mm aus dem Material (X1) – gänzlich unzureichend gewesen sei und auch in der Folgezeit bis zur Einführung einer verpflichtenden Meldung aufgrund der neuen EU-Richtlinie Meldungen an die jeweiligen Hersteller und durch diese zu dem neu installierten Melderegister selten und zudem uneinheitlich erfolgt seien. Allein die auf der Grundlage der Metastudie Y... et al. 2020 mögliche Auswertung einiger weniger - aus Sicht des Sachverständigen Dr. K... nur vier - verwertbarer Studien mit jeweils einer geringen Anzahl - zwischen 85 und 472 - von Gleitpaarungen der Größe 36 mm und einer entsprechend geringen - jeweils 1 Bruchereignis - Anzahl von Versagensfällen (S. 4 des Gutachtens vom 17.01.2022 (Bl. 1359 d.A.) liefert keine belastbaren Ergebnisse.
d) Selbst wenn man dieser Sichtweise nicht folgen und mit der Klägerin allein darauf abstellen wollte, dass sich die Sicherheitserwartungen des Verkehrs im Hinblick auf das Bruchrisiko von Keramikinlays einer Hüfttotalendoprothese nicht danach unterscheiden, ob eine Keramik/Keramik Gleitpaarung kleineren oder größeren Durchmessers implantiert wird, reicht die durch den Sachverständigen Dr. K... festgestellte Abweichung der Bruchrate der von der Beklagten hergestellten Keramikinlays aus dem Material (X1) der Größe 36 mm von der Bruchrate von Inlays aus demselben Material aller Größen nicht aus, um eine Haftung der Beklagten wegen eines potenziellen Fehlers zu begründen.
Zwar hat der Sachverständige Dr. K... insoweit in Auswertung der Meta Studie Y... et al. 2020 für Keramikinlays aus dem Material (X) aller Größen unter Einbeziehung der von der Streithelferin der Beklagten berichteten Daten im Mittel Bruchraten von 0,2 % ermitteln können (Ergänzungsgutachten vom 17.01.2022 - Bl. 356 ff, 1360 d.A.), was hinsichtlich der Anzahl der insoweit vorhandenen Daten hinreichend valide sein mag. Auch ergibt sich daraus verglichen mit der Bruchrate von 0,82 % (36 Brüche bei insgesamt 4.343 Implantationen) der streitgegenständlichen Keramikinlays der Größe 36 mm der Beklagten eine Versagensquote von mehr als dem Vierfachen. Dies reicht jedoch nicht aus, um eine Haftung der Beklagten für einen potenziellen Fehler zu begründen. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass danach zum einen auch bei Keramikinlays anderer Größen Brüche nicht zu 100 % ausgeschlossen sind, so dass die berechtigte Sicherheitserwartung im Sinne des § 3 ProdhaftG auch nicht dahin gehen kann, dass keinerlei Bruchrisiko besteht, zum anderen, dass auch eine Versagensquote von 0,82 % bedeutet, dass immerhin eine statistische Wahrscheinlichkeit besteht, dass bei mehr als 99 % der Implantationen kein Bruch auftreten wird, und schließlich, dass ein aus der erhöhten Bruchrate abzuleitender Verdacht eines Produktfehlers nicht ausschließt, dass das konkrete Produkt tatsächlich fehlerfrei ist.
Vergegenwärtigt man sich dies, so ist die Situation eines Benutzers einer Hüfttotalendoprothese, auch wenn bei dieser das Risiko eines Bruchs des Pfanneninlays im Verhältnis zu anderen vergleichbaren Prothesen um mehr als das Vierfache erhöht ist, nicht mit derjenigen eines Benutzers eines Herzschrittmachers oder Defibrillators vergleichbar, für den bereits der Verdacht eines ggf. todbringenden Produktfehlers die Notwendigkeit präventiver Gegenmaßnahmen in Form der Explantation begründet. Bei objektiver Betrachtung wird demgegenüber niemand, dem eine Hüftprothese implantiert wurde, allein aufgrund einer Wahrscheinlichkeit von 0,82 %, dass es zu einem Bruch des Pfanneninlays kommen könnte, einen präventiven operativen Austausch der implantierten Hüftprothese gegen eine solche mit einem geringeren Risiko des Bruchs des Pfanneninlays erwarten. Ebensowenig entspricht es deshalb der mit der Richtlinie 85/374/EWG intendierten Gewährleistung einer gerechten Verteilung der mit der modernen technischen Produktion verbundenen Risiken zwischen dem Geschädigten und dem Hersteller (EuGH, Urteil vom 05.03.2015 - C-503/13 und C-504/13 - Rn. 42, juris) allein aufgrund eines um das wenig mehr als Vierfache im Verhältnis zu vergleichbaren Produkten erhöhten, aber absolut gleichwohl geringen Risikos des Bruchs des Pfanneninlays einer Hüftprothese, den Hersteller gegenüber einem Geschädigten, bei dem sich das Risiko verwirklicht hat, haften zu lassen. Dafür bedürfte es, auch wenn man eine Gleichstellung eines potenziellen mit einem nachgewiesenen Produktfehler auch für Hüftimplantate aus den unter a) ausgeführten Gründen grundsätzlich als möglich erachtet, einer erheblich höheren Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts.
2. Der Beklagten kann auch kein Instruktionsfehler zur Last gelegt werden. Einen solchen kann der Kläger insbesondere nicht daraus herleiten, dass die Beklagte ihn über eine erhöhte Bruchanfälligkeit des bei der streitgegenständlichen Hüftprothese verwandten Keramikinlays der Größe von 36 mm im Verhältnis zu einer Verwendung einer Keramik/Keramik Gleitpaarung mit einem Keramikinlay kleinerer Größe hätte aufklären müssen.
Zwar ist der Hersteller auch dann, wenn sich mit der Verwendung eines Produkts verbundene Gefahren nach dem Stand von Wissenschaft und Technik durch konstruktive Maßnahmen nicht vermeiden lassen oder konstruktive Gefahrvermeidungsmaßnahmen dem Hersteller nicht zumutbar sind und das Produkt trotz der von ihm ausgehenden Gefahren in den Verkehr gebracht werden darf, grundsätzlich verpflichtet, die Verwender des Produkts vor denjenigen Gefahren zu warnen, die bei bestimmungsgemäßem Gebrauch oder nahe liegendem Fehlgebrauch drohen und die nicht zum allgemeinen Gefahrenwissen des Benutzerkreises gehören. Denn den Verwendern des Produkts muss eine eigenverantwortliche Entscheidung darüber ermöglicht werden, ob sie sich in Anbetracht der mit dem Produkt verbundenen Vorteile den mit seiner Verwendung verbundenen Gefahren aussetzen wollen; sie müssen darüber hinaus in die Lage versetzt werden, den Gefahren soweit wie möglich entgegenzuwirken. Dabei werden Inhalt und Umfang der Instruktionspflichten im Einzelfall wesentlich durch die Größe der Gefahr und das gefährdete Rechtsgut bestimmt. Je größer die Gefahren sind, desto höher sind die Anforderungen, die in dieser Hinsicht gestellt werden müssen. Ist durch ein Produkt die Gesundheit oder die körperliche Unversehrtheit von Menschen bedroht, ist schon dann eine Warnung auszusprechen, wenn aufgrund eines ernst zu nehmenden Verdachts zu befürchten ist, dass Gesundheitsschäden entstehen können (vgl. zum ganzen nur: BGH, Urteil vom 16.06.2009 – VI ZR 107/08 – Rn. 23/24).
Ein im vorgenannten Sinne ernstzunehmender Verdacht, dass allein deshalb, weil bei einer Gleitpaarung der Größe 36 mm das Keramikinlay der Pfanne infolge Platzmangels dünnwandiger hergestellt werden musste, über ein bei einer Hüftprothese generell bestehendes - und deshalb sowohl dem Operateur als auch (ggf. vermittelt durch diesen) dem Patienten/Benutzer bekanntes - hinausgehendes erhöhte Risiko bestand, lässt sich jedoch zum maßgeblichen Zeitpunkt des Inverkehrbringens der streitgegenständlichen Hüfttotalendoprothese nicht feststellen. Auch insoweit reicht allein die abstrakte Erkenntnis, dass ein Keramikinlay umso eher bricht, je dünnwandiger es ist, nicht. Dagegen spricht insbesondere, dass die Pfannen der Beklagten auch in einer Größe von 36 mm nach deren unwidersprochenem Vortrag die im Auftrag der Streithelferin der Beklagten durchgeführten Bersttests bestanden haben und erste Bruchereignisse nach dem ebenfalls unstreitigen Vortrag der Beklagten - trotz einer Verwendung des Produkts seit 2005 - erst im Laufe des Jahres 2009 und damit erst im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der streitgegenständlichen Implantation bekannt geworden sind.
3. Auch ein Fabrikationsfehler der dem Kläger implantierten Hüfttotalendoprothese, der ursächlich für den als solchem unstreitigen Bruch des Keramikinlays geworden wäre, lässt sich nicht feststellen.
a) Ein die Haftung der Beklagten begründender Fabrikationsfehler liegt nicht bereits deshalb vor, weil das bei dem Kläger explantierte Keramikinlay einen Abstand von 0,65 mm zu dem oberen Metallrand des sog. „Hütchens“, d.h. der Metallummantelung, aufwies.Dass das Keramikinlay nicht entsprechend eingesunken bzw. zu tief eingepresst worden war, hat der Sachverständige Dr. B... im Ergebnis der Messungen zur Eindringtiefe des beim Kläger implantierten Keramikinlays eindeutig feststellen können. In seinem Gutachten vom 07.08.2016 führte er hierzu ergänzend aus (Bl. 12, Bl. 306 R GA), an allen Messpunkten habe der Keramikeinsatz stattdessen über das Metallhütchen hinausgeragt, der maximale Überstand habe 0,053 mm bis zu 0,157 mm betragen. Aufgrund dessen hat der Kläger seine gegenteilige Behauptung auch im Berufungsrechtszug nicht mehr aufrechterhalten.
b) Dem Umstand, dass das Keramikinlay der dem Kläger implantierten Hüftendoprothese, wie festgestellt, geringfügig über das Metallhütchen herausragte und zudem nicht vollständig gerade darin saß, kommt für die Frage nach dem Vorliegen eines Fabrikationsfehlers ebenfalls keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Einer ergänzenden Beweisaufnahme hierzu in der Berufungsinstanz bedurfte es nicht. Der Sachverständige Dr. B... hat nämlich bereits im Rahmen der mündlichen Ergänzung seiner zuvor erstatteten schriftlichen Gutachten im erstinstanzlichen Gerichtstermin vom 14.03.2018 nachvollziehbar ausgeführt (Protokollabschrift S. 2, Bl. 625 f GA), dass sich aus den entsprechenden Messergebnissen nicht ableiten lasse, dass das Inlay schief oder verkantet in das Metallhütchen eingepresst worden sei, weil dieses im Zuge des Einpressvorgangs die Position einnehme, die möglich sei; das Keramikinlay werde – gleichgültig ob bei dem Verpressen im Rahmen der Fertigung, intraoperativ oder postoperativ infolge einer Einwirkung von Kräften bei Belastung – in jedem Fall so weit einsinken, bis ein Kraftschluss zwischen dem Kreamikinlay und der Metallummantelung vorliege, der eine ausreichend sichere Verbindung gewährleiste; ferner habe sich, so der Sachverständige in seinem Gutachten vom 07.08.2016, dort S. 17 (Bl. 309 GA), ergeben, dass das Keramikinlay trotz der ringförmig am Boden verlaufenen Bruchlinie unverändert fest in der Metallummantelung eingepresst gewesen und deshalb nicht davon auszugehen sei, dass es wegen zu geringer Stabilität aus dem Hütchen „herausgewandert“ sei. Auch der vom Senat beauftragte Sachverständige Dr. K... hat in seiner ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 17.01.2022 (dort S. 6) klar zum Ausdruck gebracht, dass auszuschließen sei, dass die festgestellte geringfügige Verkippung des Inlays um 0,1 mm bei der Montage im Hause des Herstellers verursacht worden sei, wobei ausweislich einer 2012 veröffentlichten Studie Mc… in Laborversuchen ein dadurch bedingt frühzeitiges Versagen von Keramikinlays auch nur bei weit stärkeren Verkippungen von 2 - 4 mm festgestellt worden sei.
Soweit der Kläger geltend gemacht hat, das Keramikinlay könnte auch deshalb zu tief bzw. ungleichmäßig in die Metallummantelung eingesunken sein, weil ein Fehler bei der Fertigung der Metallummantelung aufgetreten sein könnte, indem die Titanlegierung in zu großen Schritten gewalzt worden sein könnte mit der Folge, dass sich die Metallummantelung nach der Fertigung in der Weise geweitet haben könnte, dass „die winklige Seitenwand einen minimal größeren Durchmesser“ eingenommen hat, „der aber für die Bruchempfindlichkeit der Keramik schon zu groß“ gewesen sein könnte, gilt nichts anderes. Auch ein solcher Fertigungsfehler bei der Herstellung der Metallummantelung hätte lediglich zur Folge gehabt, dass das Keramikinlay so tief in die Metallummantelung eingesunken ist, bis ein Kraftschluss zwischen Keramikinlay und Metallummantelung vorlag. Dass das Keramikinlay nicht kraftschlüssig, sondern etwa verkantet in die Metallummantelung eingesunken ist und Spannungen entstanden sind, die zum Bruch des Inlays geführt haben, hat der Sachverständige anhand der festgestellten gleichmäßigen Abriebspuren nachvollziehbar und überzeugend ausgeschlossen.
c) Entscheidend ist letztlich, dass sich nach den denklogisch überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. B... nicht feststellen lässt, dass der Umstand, dass das Inlay zum Zeitpunkt der Explantation leicht schräg in der Metallummantelung steckte, Auswirkungen auf die Bruchsicherheit des bei dem Kläger implantierten Keramikinlays hatte.
Wie bereits das Instanzgericht in der angefochtenen Entscheidung zutreffend dargelegt hat, ist der mit der Erforschung der möglichen Bruchursachen der beim Kläger implantierten Prothese beauftragte Sachverständige vielmehr anhand der vorgefundenen ringförmigen Riss- und Spaltbildungen am Boden des Keramikinlays zu dem überzeugenden Ergebnis gelangt, dass der Boden des Keramikinlays infolge der Einwirkung einer erheblichen Kraft im Sinne eines Gewaltbruches geborsten ist; die Verwendung eines Prothesenkopfes mit dem Aufnahmekonus S, so der Sachverständige, führe grundsätzlich zu einem erhöhten Mikroseparationsrisiko - der Gefahr des Herausgleitens der Kugel aus dem Inlay -, weil sich der Anpressdruck der Kugel in die Pfanne im Vergleich zu anderen, etwa XL-Köpfen, deutlich verringere; die erhöhte Mikroseparation führe zu verstärktem Abrieb sowohl auf der Kugel als auch der Pfanne und langfristig bei Verwendung entsprechender Keramikwerkstoffe zur Rissbildung und schließlich zum Bruch des Inlays; entsprechende Verschleißanzeichen seien an der Oberfläche des Kugelkopfes bereits festzustellen gewesen; Anhaltspunkte dafür, dass eine etwaige Instabilität des Metallhütchens bruchentscheidend gewesen sei, gebe es aufgrund des festgestellten festen Sitzes des Inlays im Hütchen indes nicht. Dass das Keramikinlay nicht kraftschlüssig in die Metallummantelung eingesunken ist und Spannungen entstanden sind, die zum Bruch des Inlays geführt haben, hat der Sachverständige anhand der festgestellten gleichmäßigen Abriebspuren nachvollziehbar und überzeugend ausgeschlossen.
Die festgestellten Mikroseparationen hat der Sachverständige Dr. B... nachvollziehbar und überzeugend damit erklärt, dass das von der Streithelferin der Beklagten produzierte Keramikmaterial vor allem durch seine Sprödigkeit bedingt anfällig auf Zugbelastungen reagiere, wie sie bei zentralem Druck des Keramikkopfes in die Pfanne am Pfannenboden bei dem Zurückdrücken des Kugelkopfes im Rahmen von Mikroseparationen entstünden.
d) Ergibt sich danach jedoch aus den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen Dr. B..., dass nicht das Verkippen des Inlays in der Metallummantelung, sondern das Versagen des Keramikmaterials des Inlays infolge von durch Mikroseparationen ausgelösten Zugkräften für den Bruch des Inlays ursächlich war, so kommt als weiterer im Verantwortungsbereich der Beklagten als Herstellerin der bei der Klägerin implantierten Hüfttotalendoprothese liegender möglicher Fabrikationsfehler lediglich noch in Betracht, dass das Keramikinlay entweder mit zu hohem oder mit zu geringem Druck in das Hütchen eingepresst worden sein könnte mit der Folge, dass es – sei es bereits bei der Fertigung oder sei es durch plötzliche Setzbewegungen im Rahmen der Implantationsoperation oder postoperativ - durch Druckbelastung zu Spannungen im Pol der Keramik gekommen sein könnte, die zu einem Anriss des Keramikinlays geführt haben könnten. Auch ein solcher den zumindest ursprünglichen Schadenshypothesen des Sachverständigen Dr. K... (Gutachten vom 26.09.2020, S. 9/10) entsprechender Kausalverlauf lässt sich jedoch für die konkrete bei dem Kläger implantierte Hüftprothese jedenfalls nicht mehr feststellen.
Allein der Umstand, dass die Beklagte entsprechend der als Anlage BLD 5 vorgelegten Arbeitsanweisung vom 15.09.2006 im Zeitpunkt der Fertigung der streitgegenständlichen Hüftprothese zum Einpressen des Keramikinlays in die Metallummantelung eine Kniehebelpresse ohne Drucksensor verwandt hat, lässt einen für eine solche Feststellung erforderlichen hinreichend sicheren Schluss auf eine Mitursächlichkeit für den konkret bei dem Kläger entstandenen Bruch des Inlays selbst in einer Gesamtschau mit dem zum Zeitpunkt der Explantation festgestellten geringfügig ungleichmäßigen Sitz des Inlays im Metallhütchen nicht zu. Insbesondere begründet die Änderung der Arbeitsanweisung und der technischen Ausstattung der Kniehebelpresse mit einem Drucksensor im Jahr 2009 ebensowenig wie die gänzliche Einstellung der Herstellung von Keramikinlays für Hüfttotalendoprothesen mit Keramik/Keramikgleitpaarungen der Größe 36 mm aus dem Material (X1) ein hinreichendes Indiz dafür, dass ein zuvor gefertigtes Inlay an einem Fabrikationsfehler litt. Dessen ungeachtet haben die Sachverständigen Dr. B... und Dr. K... jedoch, wie bereits ausgeführt, letztendlich entsprechende, im Verantwortungsbereich der Beklagten liegende, Bruchursachen ausgeschlossen.
4. Auch ein für den Bruch des Keramikinlays der am 01.12.2009 bei dem Kläger implantierten Hüfttotalendoprothese ursächlich gewordener Konstruktionsfehler lässt sich nicht feststellen.
Ein Konstruktionsfehler liegt vor, wenn das Produkt schon seiner Konstruktion nach unter dem gebotenen Sicherheitsstandard bleibt. Zur Gewährleistung der erforderlichen Produktsicherheit hat der Hersteller bereits im Rahmen der Konzeption und Planung des Produkts diejenigen Maßnahmen zu treffen, die zur Vermeidung einer Gefahr objektiv erforderlich und nach objektiven Maßstäben zumutbar sind (BGH, Urteil vom 16.06.2009 - VI ZR 107/08 - Rn. 15). Erforderlich sind die Sicherungsmaßnahmen, die nach dem im Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Produkts vorhandenen neuesten Stand der Wissenschaft und Technik konstruktiv möglich sind und als geeignet und genügend erscheinen, um Schäden zu verhindern. Dabei darf der insoweit maßgebliche Stand der Wissenschaft und Technik nicht mit Branchenüblichkeit gleichgesetzt werden; die in der jeweiligen Branche tatsächlich praktizierten Sicherheitsvorkehrungen können durchaus hinter der technischen Entwicklung und damit hinter den rechtlich gebotenen Maßnahmen zurückbleiben. Die Möglichkeit der Gefahrvermeidung ist gegeben, wenn nach gesichertem Fachwissen der einschlägigen Fachkreise praktisch einsatzfähige Lösungen zur Verfügung stehen (BGH a.a.O. Rn. 16). Für die Frage, ob eine Sicherungsmaßnahme nach objektiven Maßstäben zumutbar ist, ist insbesondere die Größe der vom Produkt ausgehenden Gefahr maßgeblich. Je größer die Gefahren sind, desto höher sind die Anforderungen, die in dieser Hinsicht gestellt werden müssen. Bei erheblichen Gefahren für Leben und Gesundheit von Menschen sind dem Hersteller weitergehende Maßnahmen zumutbar als in Fällen, in denen nur Eigentums- oder Besitzstörungen oder aber nur kleinere körperliche Beeinträchtigungen zu befürchten sind. Des Weiteren sind für die Zumutbarkeit die wirtschaftlichen Auswirkungen der Sicherungsmaßnahme, im Rahmen derer insbesondere die Verbrauchergewohnheiten, die Produktionskosten, die Absatzchancen für ein entsprechend verändertes Produkt sowie die Kosten-Nutzen-Relation maßgeblich (BGH a.a.O. Rn. 18).
a) Allein der Umstand, dass es überhaupt zu einem Bruch des Inlays gekommen ist, lässt – dies wird auch von dem Kläger nicht geltend gemacht - keinen Rückschluss auf das Vorliegen eines Konstruktionsfehlers zu. Es ist vielmehr unstreitig, dass zum Zeitpunkt der Implantation der Hüftprothese bei dem Kläger im Dezember 2009 bei Keramik/Keramik-Gleitpaarungen von Kugelkopf und Pfanne (Keramikinlay) Brüche der Pfannen nicht gänzlich ausgeschlossen waren und es deshalb auch nicht der berechtigten Sicherheitserwartung im Sinne des § 3 Abs. 1 ProdhaftG entsprach, dass Brüche des Inlays mit 100%iger Sicherheit ausgeschlossen sein würden.
b) Ein Konstruktionsfehler kann – entgegen der Auffassung des Klägers – aber auch nicht darin gesehen werden, dass die Beklagte für das Inlay das Material (X1) verwandt hat und nicht das Material (X2).
Auch wenn die Streithelferin der Beklagten das Material (X2) bereits im Jahr 2004/2005 auf den Markt gebracht und dieses auch selbst als ein Material dargestellt hat, das geeignet ist, die Gefahr eines Bruchs des Keramikinlays zu vermeiden, da es – im Verhältnis zu dem beim Kläger verwandten Material (X1) - eine erhöhte Risszähigkeit und Bruchfestigkeit aufweise und damit in diesem Sinne weniger bruchanfällig sei, bedeutet dies jedoch nicht, dass das Material (X2) im Zeitpunkt des Inverkehrbringens der steitgegenständlichen Hüfttotalendoprothese vor Dezember 2009 nach gesichertem Fachwissen der einschlägigen Fachkreise als in jeder Hinsicht vorzugswürdige Lösung zu gelten hatte. Selbst wenn die Fortentwicklung des Materials (X1) zu dem Material (X2) zumindest auch gerade dazu diente, Inlays mit geringeren Wandstärken anzubieten und die bei Pfannen größeren Durchmessers ab 36 mm bestehende Bruchgefahr zu vermindern, lässt dies zumindest nicht den Schluss darauf zu, dass es bereits im Jahr 2009 gesichertem Fachwissen entsprach, dass das Material (X2) - was nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. K... (Ergänzungsgutachten vom 17.01.2022; Bl. 1356 ff G.A.) retrospektiv betrachtet ohnehin nicht der Fall ist - diese Erwartung tatsächlich erfüllte. Im übrigen erweist sich das Beklagtenvorbringen, angesichts der erheblichen Dauer von Zulassungsverfahren für entsprechende Medizinprodukte habe das Material (X2) im Zeitpunkt der Implantation noch gar nicht eingesetzt werden dürfen, als durchaus plausibel.
Ebensowenig lässt sich umgekehrt feststellen, dass es der Beklagten zumutbar gewesen wäre, allein wegen der Existenz des Materials (X2) auf den Einsatz des bereits eingeführten und für ihre Produkte zugelassenen Materials (X1) gänzlich oder auch nur in solchen der mit größeren Pfannendurchmessern als 28 mm zu verzichten, da zu diesem Zeitpunkt weder eine signifikant erhöhte Bruchanfälligkeit der zuvor ausschließlich verwendeten (X1)-Produkte ersichtlich, noch die Überlegenheit des Biolox-(X2)-Materials offenkundig oder wissenschaftlich gesichert festgestellt war.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem vom Kläger vorgebrachten Vertriebsstopp für (X1) Inlays; der Vertriebsstopp (nicht Rückruf) der Beklagten für Inlays der Größe 36 mm aus dem Material (X1), verbunden mit dem Angebot solcher Inlays nur noch aus dem Material (X2), erfolgte erst im Juni 2011, d.h. über 1 1/2 Jahre nach dem Eingriff beim Kläger.
III.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 101 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO sind nicht ersichtlich. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Rechtsfrage einer Übertragbarkeit der Rechtsprechung zum potenziellen Fehler auf andere Produkte, über die der Senat im vorliegenden Rechtsstreit nicht abschließend zu entscheiden hatte.