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Entscheidung 1 OLG 53 Ss-OWi 35/22


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 1. Senat für Bußgeldsachen Entscheidungsdatum 30.03.2022
Aktenzeichen 1 OLG 53 Ss-OWi 35/22 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2022:0330.1OLG53SS.OWI35.22.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Zossen  vom 01. Oktober 2021 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des  Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Zossen zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht verurteilte den Betroffenen am 01. Oktober 2021 wegen fahrlässigen Überholens trotz Überholverbots sowie mehrerer fahrlässig begangener Verstöße gegen Vorschriften des Fahrpersonalrechts zu Geldbußen in Höhe von 55,00 €, 45,00 €, 100 € und 100,00 €.

Den Feststellungen des Bußgeldgerichts zufolge steuerte der Betroffene in der Zeit vom 13. Oktober 2020 bis zum 02. November 2020 im gewerblichen Güterkraftverkehr die Sattelzugmaschine mit Anhänger mit dem amtlichen Kennzeichen … und den Sattelauflieger mit dem amtlichen Kennzeichen … mit einem zulässigen Gesamtgewicht von 40 t. Dabei kam es zu folgenden Verstößen:

„1.) Am 02. November 2020 missachtete der Betroffene auf der Bundesautobahn A 13 zwischen den Anschlusstellen Freiwalde und Duben bei Kilometer 45,5 in Fahrtrichtung Dreieck Spreewald das Überholverbot, das durch Zeichen 277 angeordnet war.

2.) In der Zeit vom 13. Oktober 2020, 08:17 Uhr, bis zum 14. Oktober 2020, 00:42 Uhr, überschritt der Betroffene fahrlässig die zulässige Gesamtlenkzeit von zehn Stunden um 40 Minuten.

In Tateinheit hierzu verkürzte er im 24-Stunden-Zeitraum vom 13. Oktober 2020, 08:17 Uhr, bis zum 14. Oktober 2020, 08:17 Uhr, die tägliche Ruhezeit auf sieben Stunden und 34 Minuten. Die tägliche Ruhezeit war: Am 14. Oktober 2020 von 00:43 Uhr bis 08:17 Uhr. Ausgehend von neun Stunden nach Verkürzung unterschritt der Betroffene die tägliche Ruhezeit um eine Stunde und 26. Minuten. Er hatte zwar bis 10:04 Uhr Ruhezeit eingelegt, diese somit jedoch nicht innerhalb des vorgesehenen 24-Stunden-Zeitraums genommen, der um 08:17 Uhr endete.

3.) Am 20. Oktober 2020 in der Zeit von 07:26 Uhr bis 15:56 Uhr erhöhte der Betroffene die ununterbrochene Lenkzeit von fünf Stunden und 30 Minuten auf fünf Stunden und 51 Minuten. Ausgehend von vier Stunden und 30 Minuten sind gleich 45 Minuten Fahrtunterbrechung überschritt der Betroffene fahrlässig die zulässige ununterbrochene Lenkzeit um eine Stunde und 21 Minuten.

In Tateinheit hierzu

a) verkürzte der Betroffene im 24-Stunden-Zeitraum vom 20. Oktober 2020, 07:26 Uhr, bis 21. Oktober 2020, 07:26 Uhr, die tägliche Ruhezeit auf acht Stunden und 14 Minuten. Die tägliche Ruhezeit war: Am 20. Oktober 2020 von 23:12 Uhr bis 21. Oktober 2020, 07:26 Uhr. Ausgehend von neun Stunden nach Verkürzung unterschritt der Betroffene die tägliche Ruhezeit um 46 Minuten. Der Betroffene hat zwar bis 10:12 Uhr Ruhezeit eingelegt, diese somit jedoch nicht innerhalb des vorgesehenen 24-Stunden-Zeitraums genommen, der um 07:26 Uhr endete.

b) verkürzte der Betroffene im 24-Stunden-Zeitraum vom 22. Oktober 2020, 04:49 Uhr, bis 23. Oktober 2020, 04:49 Uhr, die tägliche Ruhezeit auf sechs Stunden und 22 Minuten. Die tägliche Ruhezeit war: Am 22. Oktober 2020 von 22:27 Uhr bis 23. Oktober 2020, 04:49 Uhr. Ausgehend von elf Stunden unterschritt der Betroffene die tägliche Ruhezeit um vier Stunden und 38 Minuten, wobei es sich um die 4. Ruhezeitverkürzung der Woche handelte.

4.) Am 22. Oktober 2020 in der Zeit von 04:49 Uhr bis 22:26 Uhr überschritt der Betroffene fahrlässig die zulässige Gesamtlenkzeit von neun Stunden um zwei Stunden und 18 Minuten, wobei es sich um die 3. Lenkzeitverlängerung der Woche handelte.“

Die Urteilsgründe enthalten zu Ziffer III die Angabe der erhobenen Beweise ohne inhaltliche Wiedergabe, die – das objektive Geschehen einräumende, die „wissentliche und willentliche“ Tatbegehung aber bestreitende – Einlassung des Betroffenen und den schließenden Satz, nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Betroffene die Tat so begangen habe, wie sie in den getroffenen Feststellungen im Einzelnen dargelegt sei. In der rechtlichen Würdigung zu Ziffer IV findet sich ohne Begründung die Darlegung, dem Betroffenen sei Fahrlässigkeit vorzuwerfen, da er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen habe.

Gegen dieses Urteil richtet sich der am 06. Oktober 2021 bei Gericht angebrachte und nach am 14. Dezember 2021 gegenüber seinem Verteidiger erfolgter Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe unter dem 10. Januar 2022 begründete Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde. Dieser rügt mit näheren Ausführungen die Verletzung rechtlichen Gehörs und erhebt in allgemeiner Form die Sachrüge.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg beantragt mit ihrer Stellungnahme vom 10. Februar 2022, den Antrag als unbegründet zu verwerfen. Der Betroffene hat hierzu mit Anwaltsschriftsatz vom 17. Februar 2022 Stellung genommen.

II.

1. Die Rechtsbeschwerde war auf Antrag des Betroffenen gemäß § 80 Abs. 1 Ziff. 2 OWiG zuzulassen. Die insoweit gemäß §§ 80 Abs. 3 S. 1, 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, 344 Abs. 2 S. 2 StPO zu erhebende Verfahrensrüge ist zulässig ausgeführt. Das angefochtene Urteil verletzt das Recht des Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs, Art. 103 Abs. 1 GG, weil es sich weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht mit dessen Einlassung auseinandersetzt.

2. Die nach Zulassung gemäß § 79 Abs. 1 S. 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde ist entsprechend den Bestimmungen der §§ 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, 341, 344, 345 StPO eingelegt und begründet worden und damit zulässig.

3. Das Rechtsmittel hat in der Sache - vorläufigen - Erfolg.

Das angefochtene Urteil genügt nicht den nach §§ 71 Abs. 1 OWiG, 267 StPO an seinen Inhalt zu stellenden Anforderungen.

a) Zunächst fehlt es an der gebotenen Beweiswürdigung. Das Bußgeldgericht hat sich rechtsfehlerhaft mit einer Darstellung der Einlassung des Betroffenen begnügt, die es – soweit bestreitend – als durch das Ergebnis der Beweisaufnahme widerlegt betrachtet. Dabei werden die erhobenen Beweise nur bezeichnet, ohne dass ihre Inhalte dargestellt werden. Zudem fehlt es an der erforderlichen Auseinandersetzung damit, warum den Beweisen mehr Glauben zu schenken war als der Einlassung des Betroffenen. Beides war vonnöten, um das Rechtsbeschwerdegericht in die Lage zu versetzen, die Beweiswürdigung zu überprüfen.

Die Urteilsgründe müssen erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig nachvollziehbaren Tatsachengrundlage beruht und sich nicht als bloße Vermutung erweist (BGH NStZ 2017, 486 m. w. N.). Sie müssen eine Gesamtwürdigung aller in der Hauptverhandlung festgestellten Tatsachen enthalten (BGH NStZ 1993, 501; NStZ-RR 2013, 51; 14, 152). Das bedeutet zwar nicht, dass in den Urteilsgründen stets in allen Einzelheiten darzulegen ist, auf welche Weise der Richter zu bestimmten Feststellungen gelangt ist (BGH NStZ 2009, 403; NStZ-RR 2010, 247) oder dass alle nur irgendwie denkbaren Gesichtspunkte abgehandelt werden müssten (BGH StraFo 2010, 426). Das Beweisergebnis ist aber insoweit zu erörtern, wie es für die Entscheidung von Bedeutung ist (BGH NStZ-RR 2020, 258). Hieraus folgt, dass die Einlassung des Betroffenen nicht nur mitzuteilen, sondern unter Berücksichtigung der erhobenen Beweise gewürdigt werden muss (BGH NStZ-RR 2013, 135; OLG Köln StraFo 2003, 313). Um die Beweiswürdigung entsprechend den Anforderungen des § 261 StPO nachvollziehbar zu machen, muss dargelegt werden, warum der Zeuge und nicht der Betroffene glaubwürdig ist (OLG Düsseldorf VRS 66, 36).

Die Beweiswürdigung muss auch im Bußgeldverfahren so beschaffen sein, dass sie dem Rechtsbeschwerdegericht die rechtliche Überprüfung insbesondere im Hinblick auf mögliche Verstöße gegen Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze ermöglicht. Das Urteil muss deshalb auch erkennen lassen, auf welche Tatsachen das Gericht seine Überzeugung gestützt hat, wie sich der Betroffene eingelassen hat und warum das Gericht dieser Einlassung folgt oder es seine Einlassung für widerlegt ansieht (OLG Düsseldorf NStZ 1985, 323; OLG Karlsruhe ZfS 1993, 105; OLG Oldenburg StV 1984, 374; Göhler, OWiG, 18. Auflage, zu § 71, Rz. 43). Die Angabe von Belastungszeugen, ohne deren Aussage wiederzugeben und zu würdigen, ist unzureichend (OLG Koblenz GA 76, 185). Erst recht fehlerhaft ist das Fehlen jeglicher Beweiswürdigung (OLG Celle NdsRpfl. 76, 181). Nur bei sachlich und rechtlich einfach gelagerten Fällen von geringer Bedeutung kann das Gericht auf die Wiedergabe der Einlassung des Betroffenen und eine Auseinandersetzung mit ihr ohne Verstoß gegen seine materiell-rechtliche Begründungspflicht verzichten (OLG Düsseldorf NStZ 1985, 323). Räumt der Betroffene die Tat nicht in vollem Umfang glaubhaft ein, so sind die tragenden Beweismittel und deren Würdigung anzugeben (OLG Düsseldorf VRS 65, 381; OLG Karlsruhe Die Justiz 1977, 244; OLG Köln VRS 87, 205; OLG Oldenburg StV 1984, 374).

Gemessen hieran, zwingt das Fehlen jeglicher Beweiswürdigung zur Aufhebung des angefochtenen Urteils auf die Sachrüge (vgl. BGH NStZ-RR 1999, 45). Zugleich hat die erhobene Verfahrensrüge der Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs Erfolg.

b) Im Übrigen weist die Rechtsbeschwerdebegründung zurecht darauf hin, dass in den Urteilsgründen eine Auseinandersetzung mit der Einlassung des Betroffenen fehlt, er habe sich in einer Notstandssituation befunden und nicht anders handeln können, als geschehen.

Damit einhergehend, fehlt es an tragfähigen Feststellungen zum Fahrlässigkeitsvorwurf.