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Entscheidung 11 W 7/22


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 11. Zivilsenat Entscheidungsdatum 27.04.2022
Aktenzeichen 11 W 7/22 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2022:0427.11W7.22.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten des Klägers gegen die Gebührenstreitwertfestsetzung für die erste Instanz durch den Beschluss des Einzelrichters der 13. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam vom 16.12.2021 - 13 O 15/21 (LGU 2 = GA I 211R) wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die Prozessparteien streiten in der Hauptsache um die – formelle und materielle – Wirksamkeit von Prämienanpassungen in der privaten Krankenversicherung nach § 203 VVG. Das Landgericht hat die Klage, die im Kern auf die Feststellung der Unwirksamkeit einzelner, näher bezeichneter Beitragserhöhungen und Nichtverpflichtung zur Zahlung der Differenzbeträge (Antrag zu 1), auf die Rückgewähr der in einem bestimmten Zeitraum für konkrete Tarife entrichteten Prämienanteile (Antrag zu 2), auf die Feststellung der Verpflichtung zur Herausgabe gezogener Nutzungen und deren Verzinsung (Antrag zu 3 a und 3 b) sowie auf die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Antrag zu 4) gerichtet ist, abgewiesen und den Gebührenstreitwert für die erste Instanz auf € 10.119,23 festgesetzt. Zugrunde gelegt wurde dabei der Wert der Klageanträge zu 1) und 2). Für das negative Feststellungsbegehren hat die Zivilkammer nach § 9 ZPO das Dreieinhalbfache des Jahresbetrags der in Streit stehenden Erhöhungsbeträge (ohne Abschlag) in Ansatz gebracht. Der Zahlungsantrag wurde nicht in voller Höhe seines Nennwertes berücksichtigt, sondern lediglich insoweit, als die Rückgewähr der Prämiendifferenz für mehr als 42 (12 x 3,5) Monate gefordert wird. Die Vorinstanz vertritt die Ansicht, eine weitergehende Wertaddition scheide aus, weil der Streitgegenstand diesbezüglich derselbe sei (LGU 10). Dagegen wenden sich die Prozessbevollmächtigten des Klägers mit ihrer - aus eigenem Recht eingelegten - Gebührenstreitwertbeschwerde vom 23.02.2022 (GA II 253 f.). Hiermit möchten sie – unter Hinweis auf die Entscheidung des OLG Köln, Urt. v. 17.12.2019 - 9 U 131/18 (juris Rdn. 193 ff. = BeckRS 2019, 53978 Rdn. 148 ff.) – die vollumfängliche Zusammenrechnung beider Teilstreitwerte erreichen. Sie argumentieren, es bestehe keine Identität, weil das Feststellungspetitum in die Zukunft wirke (GA II 254). Das Landgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 28.02.2022 (GA II 255) nicht abgeholfen und diese dem Senat als Rechtsmittelgericht vorgelegt. Die Prozessbevollmächtigten der Beklagten sind der Rechtsauffassung der Streitwertbeschwerde beigetreten (GA II 282).

II.

A. Die Gebührenstreitwertbeschwerde der klägerischen Prozessbevollmächtigten ist an sich statthaft und auch im Übrigen zulässig. Nach § 32 Abs. 2 Satz 1 RVG kann der Rechtsanwalt aus eigenem Recht Rechtsmittel gegen die Festsetzung des Wertes für die Gerichtsgebühren einlegen, falls sich – wie hier gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 RVG – seine Gebühren ebenfalls danach bemessen (arg. § 33 Abs. 1 RVG; vgl. insoweit Schneider in Schneider/Kurpat, Streitwert-Kommentar, 15. Aufl., Verfahrensrecht Rdn. 1.322). Erforderlich ist ferner eine eigene Beschwer, die bei ihm lediglich dann besteht, wenn die endgültige Wertfestsetzung zu gering ausgefallen ist (so Toussaint/Toussaint, KostR, 51. Aufl., GKG § 68 Rdn. 10 m.w.N.). Zudem muss der Wert des Beschwerdegegenstands laut § 68 Abs. 1 Satz 1 GKG € 200,00 übersteigen. Ob diese Mindestbeschwer erreicht ist, richtet sich keineswegs danach, in welchem Ausmaße die Abänderung der Streitwertfestsetzung begehrt wird (Streitwertdifferenz); es kommt stattdessen allein darauf an, in welcher Höhe der jeweilige Beschwerdeführer dadurch in der betreffenden Instanz entweder ein Mehr an Kosten zu entrichten hat oder ein Weniger an Gebühren verdienen kann (so BeckOK-KostR/Laube, 36. Ed., GKG § 68 Rdn. 70; ebenso BDZ/Zimmermann, GKG/FamGKG/JVEG, 5. Aufl., GKG § 68 Rdn. 6). Im Vorliegenden beläuft sich die Vergütungsdifferenz der anwaltlichen Vertreter des Klägers betreffend den ersten Rechtszug auf € 309,40, so dass die zuvor erörterten formellen Voraussetzungen erfüllt sind. Da der Streit betreffend die Hauptsache mittlerweile in der Berufungsinstanz schwebt, ist die sechsmonatige Frist nach § 63 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 68 Abs. 1 Satz 3 GKG ohne Weiteres gewahrt. Ferner wurde die Beschwerde – wie es § 66 Abs. 5 Satz 5 i.V.m. § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG erfordert – ordnungsgemäß beim Landgericht eingelegt, dessen Entscheidung angefochten wird. Obwohl der angegriffene Beschluss von einem Einzelrichter stammt, entscheidet als Berufungsgericht der Senat in voller Besetzung gemäß § 122 Abs. 1 GVG, weil diesem das Verfahren wegen grundsätzlicher Bedeutung von dem nach § 66 Abs. 6 Satz 1 2. Halbs. i.V.m. § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG originär zuständigen Einzelrichter übertragen worden ist (§ 66 Abs. 6 Satz 2 i.V.m. § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG).

B. In der Sache selbst bleibt die Beschwerde jedoch erfolglos. Der durch die Zivilkammer festgesetzte Streitwert liegt auf der Gebührenstufe, die laut der Tabelle in der Anlage 2 sowohl zu § 34 Abs. 1 Satz 3 GKG als auch zu § 13 Abs. 1 Satz 3 RVG von € 10.000,01 bis € 13.000,00 reicht. Damit ist der Gebührenstreitwert für die Eingangsinstanz nicht zu gering bemessen. Im Einzelnen gilt Folgendes:

1. Rechtliche Grundlage für die Bewertung sind hier § 3 und § 9 Satz 1 ZPO i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 1, § 39 Abs. 1 und § 40 GKG. Als maßgeblich erweist sich – laut dem sogenannten Angreiferinteresseprinzip (vgl. dazu Toussaint/Elzer, KostR, 51. Aufl., ZPO § 3 Rdn. 11; MüKoZPO/Wöstmann, 6. Aufl., § 3 Rdn. 4, 5 und 10; Roth, MDR 2017, 1153, 1154; Schumann, NJW 1982, 1257, 1260; ferner OLG Brandenburg a.d.H., Beschl. v. 15.10.2019 - 11 W 24/19, Rdn. 3, juris = BeckRS 2019, 28478; OLG Dresden, Beschl. v. 18.12.2019 - 4 W 896/19, Rdn. 3, juris = BeckRS 2019, 34226; jeweils m. w.N.) – in vermögensrechtlichen Streitigkeiten wie vorliegend generell das mit dem Petitum derjenigen Partei, die das Verfahren des jeweiligen Rechtszuges beantragt hat, offenbarte und entsprechend ihrem Rechtsschutzziel in der Hauptsache zu bewertende wirtschaftliche Interesse an der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung zu Beginn der Instanz. Gemäß § 39 Abs. 1 GKG werden – ähnlich wie nach § 5 ZPO – grundsätzlich die Werte mehrerer Streitgegenstände innerhalb desselben Verfahrens und des nämlichen Rechtszugs zusammengerechnet. Ausnahmen davon bestimmt das Gesetz etwa in § 43 Abs. 1 GKG für den Wert von Früchten, Nutzungen, Zinsen oder Kosten; er bleibt unberücksichtigt, sofern sie mit dem jeweiligen Hauptanspruch als Nebenforderungen geltend gemacht werden. Weil im Streitwertrecht stets eine wirtschaftliche Betrachtung geboten ist, findet nach ganz herrschender Meinung, die der Senat teilt, ferner keine Addition statt, wenn zwar mehrere zivilprozessuale Ansprüche geltend gemacht werden, es aber tatsächlich nicht zu einer Häufung von wirtschaftlichen Werten kommt (arg. § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG; vgl. insb. BGH, Beschl. v. 29.01.1987 - V ZR 136/86, juris Rdn. 2 = BeckRS 1987, 762; ferner BeckOK-KostR/Schindler, 36. Ed., GKG § 39 Rdn. 17 f.; BeckOK-ZPO/Wendtland, 44. Ed. § 5 Rdn. 3; NK-GK/Schneider, 3. Aufl., GKG § 39 Rdn. 14; Toussaint/Elzer aaO, GKG § 39 Rdn. 17; Zöller/Herget, ZPO, 34. Aufl., § 5 Rdn. 8; jeweils m.w.N.). Wirtschaftliche Identität dieser Art, bei der ein ungeschriebenes Additionsverbot besteht, kann sowohl vollumfänglich als auch teilweise vorliegen; daher wird insbesondere der Wert eines Zwischenfeststellungsbegehrens mit dem des zugehörigen Hauptantrages nur insoweit zusammengerechnet, als der Entscheidung über das erstere eine über den Regelungsbereich des letzteren hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. BGH, Beschl. v. 21.11.2019 - XI ZR 500/18, Rdn. 8, juris = BeckRS 2019, 31294; BeckOK-KostR/Schindler aaO; NK-GK/ Schneider aaO; Seggewiße in Schneider/Kurpat, Streitwert-Kommentar, 15. Aufl., Zwischenfeststellungsklage Rdn. 2.6421). § 9 ZPO, der die einheitliche und einfache Bewertung des sogenannten Stammrechts ermöglichen soll, aus dem wiederkehrende Nutzungen oder Leistungen resultieren (vgl. hierzu BeckOK-ZPO/Wendtland aaO, § 9 Rdn. 1; Toussaint/Elzer aaO, ZPO § 9 Rdn. 1; jeweils m.w.N.), und der über § 48 Abs. 1 GKG – ähnlich wie beispielsweise § 41 und § 42 GKG – prinzipiell eine Streitwertdämpfung bewirkt, gibt – insbesondere wenn der darin enthaltene Rechtsgedanke nur analog zur Anwendung kommt – keinen Aufschluss darüber, ob und inwieweit wirtschaftliche Identität mit bezifferten Geldbeträgen besteht, die als solche eingeklagt werden.

2. Im Streitfall ist die Bejahung einer wirtschaftlichen Teilidentität der Klageanträge zu 1) und 2) durch das Landgericht, die mit der bisherigen Judikatur des Senates im Einklang steht, an der weiter festgehalten wird, nicht zu beanstanden. Das Oberlandesgericht Köln, auf dessen frühere Rechtsprechung sich die Beschwerde stützt, zieht in neueren Entscheidungen eine (partielle oder vollständige) wirtschaftliche Identität des Rückzahlungsverlangens und des negativen Feststellungspetitums sehr wohl in Betracht, soweit sich beide auf denselben Zeitraum erstrecken, stellt dabei jedoch auf den Zeitpunkt der Anhängigkeit des Klageverfahrens ab (so OLG Köln, Urt. v. 07.09.2021 - 9 U 199/20, juris Rdn. 72 = BeckRS 2021, 27618 Rdn. 54). Dies entspricht zwar den Entscheidungen des BGH, Beschl. v. 20.01.2021 - IV ZR 294/19, Rdn. 2 (juris = BeckRS 2021, 1269) und Urt. v. 10.03.2021 - IV ZR 353/19, Rdn. 37 (juris = BeckRS 2021, 5402), vermag aber nicht zu überzeugen. Denn in den Konstellationen der hier vorliegenden Art geht es – wofür bereits die nur analoge Heranziehung von § 9 ZPO im Rahmen des § 3 ZPO spricht (vgl. BGH aaO) – nicht um eine klassische Kumulation von künftigen wiederkehrenden Nutzungen oder Leistungen, bei denen der Zeitraum von insgesamt 42 (12 x 3,5) Monaten ab Einreichung der Klage berechnet wird, mit aufgelaufenen Rückständen aus der Zeit davor, die regelmäßig zu addieren sind (§ 42 Abs. 3 Satz 1 GKG). Vielmehr handelt es sich bei dem negativen Feststellungsantrag (zumindest auch) um eine Zwischenfeststellungklage i.S.d. § 256 Abs. ZPO (so BGH, Urt. v. 19.12.2018 - IV ZR 255/17, Rdn. 17 a.E., juris = BeckRS 2018, 33784; BGH [IV ZR 353/19] aaO Rdn. 18). Diese wirkt nicht nur in die Zukunft, sondern klärt das Rechtsverhältnis insgesamt (einschließlich zurückliegender Zeiträume). Deshalb erweist es sich als gerechtfertigt – wie bei Zwischenfeststellungsanträgen üblich und oben bereits erörtert – mit dem Beginn der Anhängigkeit der Streitsache keine zeitliche Zäsur zu verknüpfen. Davon ausgehend macht es letztlich (betragsmäßig) keinen Unterschied, ob man – wie die Zivilkammer (LGU 10) – zunächst das negative Feststellungsbegehren nach § 9 ZPO mit dem Dreieinhalbfachen des Jahresbetrags der in Streit stehenden Erhöhungsbeträge bewertet und dann von dem Rückzahlungsverlangen lediglich die Beträge addiert, die über 42 Monate hinausgehen, oder ob man – was dem Charakter der Zwischenfeststellungsklage eher entspräche – den Leistungsantrag stets mit seinem vollen Nennwert in Ansatz bringt und hinsichtlich der Tarife, in denen sich die Rückforderung auf weniger als 42 Monate erstreckt, die auf den Differenzzeitraum entfallenden Beträge für den Feststellungsantrag hinzurechnet. Denn auf auf beiden Wegen gelangt man im Streitfalle – rechnerisch zutreffend – auf eine Summe i.H.v. € 12.870,87. Dass das Landgericht nur auf € 10.119,23 gekommen ist, da es die € 2.751,64 übersehen hat, die auf die Rückgewähr der gezahlten Prämiendifferenzen im Alttarif 190 entfallen, womit kein Feststellungspetitum korrespondiert, erweist sich als unschädlich, weil die einschlägige Gebührenstufe von € 10.000,01 bis € 13.000,00 reicht. Die Klageanträge zu 3 a), 3 b) und 4) bleiben gemäß § 43 Abs. 1 GKG streitwertneutral; sie betreffen Nutzungen, Zinsen und Kosten, die als Nebenforderungen geltend gemacht werden.

C. Für einen Kostenausspruch besteht kein Anlass. Denn das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei; Kosten der Parteien werden nicht erstattet (§ 68 Abs. 3 GKG).

D. Die Rechtsbeschwerde kann durch den Senat – trotz Abweichung von der Rechtsauffassung, die unlängst in zwei Entscheidungen des IV. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes zum Ausdruck gekommen ist – nicht zugelassen werden, weil der Instanzenzug in Gebührenstreitwertbeschwerdesachen beim Oberlandesgericht endet; gemäß § 66 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG findet keine Beschwerde an die obersten Gerichtshöfe des Bundes statt.