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BK-NR 1102 der Anlage 1 der BKV - Zahnarzthelferin - Quecksilber - Amalgam


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 21. Senat Entscheidungsdatum 21.01.2022
Aktenzeichen L 21 U 69/16 ECLI ECLI:DE:LSGBEBB:2022:0121.L21U69.16.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 9 Abs 1 S 1 SGB 7, BK-NR 1102 Anl 1 BKV

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 1102 (Erkrankung durch Quecksilber oder seine Verbindungen) der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV).

Die im Jahr 1948 geborene Klägerin wurde in den Jahren 1965 bis 1967 zur Zahnarzthelferin ausgebildet. Von 1967 bis ins Jahr 1995 war die Klägerin mit kurzer Unterbrechung als Zahnarzthelferin in W beschäftigt und bezieht seit Dezember 2010 Altersrente für Schwerbehinderte.

Am 17. März 2011 erstellte die Fachärztin für Allgemeinmedizin P für die Deutsche Rentenversicherung ein Gutachten. Diese diagnostizierte bei der Klägerin ein chronisches lumbales Schmerzsyndrom, eine angeborene Sehminderung des linken Auges, arterielle Hypertonie, angegebenen Drehschwindel, Zustand nach Operation eines Borderline-Phylloid-Tumors der rechten Brust sowie Tricuspidalklappeninsuffizienz. Pathologische Reflexe, Sensibilitätsstörungen oder ein Tremor seien nicht feststellbar. Das Alt- und Neugedächtnis sei altersgerecht.

Am 8. Dezember 2011 diagnostizierte der Facharzt für Neurologie Dr. E bei der Klägerin eine Polyneuropathie unklarer Genese. Er teilte mit, dass es keinen Hinweis auf manifeste Paresen gebe und Gang sowie erschwerte Gangproben unauffällig seien.

Des Weiteren erstellte der Facharzt für Orthopädie Dr. Z unter dem 9. Dezember 2011 eine Gutachten für die Deutsche Rentenversicherung. Er diagnostizierte ein cervicales und lumbales pseudoradiculäres Schmerzsyndrom bei degenerativer Wirbelsäulenerkrankung, mittelgradige Coxarthrose links, Knick-Senk-Spreizfüße beidseits mit plantaren Schwielenbildungen sowie Verdacht auf Somatisierungsstörung. Sensomotorische Defizite im Bereich der unteren Extremitäten oder Paresen seien nicht festgestellt worden.

Im August 2012 zeigte die Klägerin den Verdacht auf Vorliegen einer Berufskrankheit bei der Beklagten an. Zur Begründung berief sie sich darauf, dass sie langjährigen Kontakt mit Quecksilber und Amalgam gehabt habe und dies die Ursache ihrer Beschwerden sein könnte, sie esse keine Meeresfrüchte und habe noch nie in ihrem Leben eine Amalgamfüllung gehabt. Dem Antrag waren zahlreiche ärztliche Befunde beigefügt. Hierunter befand sich das Ergebnis eines Bluttests vom 15. April 2012, der einen Quecksilbergehalt von 0,1 µg/l im Blut aufwies.

Die Beklagte leitete daraufhin Ermittlungen zu den arbeitstechnischen Voraussetzungen ein. In diesem Zusammenhang teilte die Klägerin der Beklagten die Namen und Adressen ihrer Arbeitgeber während ihrer Tätigkeit als Zahnarzthelferin mit. Es sei früher üblich gewesen, das Amalgam mit bloßen Fingern bzw. den Händen durchzuziehen und den Überschuss an Quecksilber auszuquetschen, dann in Form zu bringen und es auf einen Träger einzureichen. Sogenannte Amalgampistolen seien erst später benutzt worden, ebenso Einmalhandschuhe. Außerdem habe während ihrer Lehre bei Dr. Z ein Quecksilberunfall stattgefunden. Dabei habe der Arbeitgeber versehentlich einen Amalgammischer mitsamt dem darin enthaltenen Quecksilber umgestoßen, so dass sich das gesamte Quecksilber über Schreibtisch und Fußboden ergossen habe.

Unter dem 21. September 2012 versandte die Beklagte Fragebögen an die von der Klägerin als Arbeitgeber genannten acht Zahnärzte. Diese kamen alle jeweils mit der Mitteilung zurück, dass der Empfänger unter der angegebenen Adresse nicht zu ermitteln sei bzw. auf Grund der Übernahme der Praxis durch eine andere Zahnärztin keine Angaben möglich seien. Darüber hinaus forderte die Beklagte Befundberichte der behandelnden Ärzte der Klägerin an.

In einer beratungsärztlichen Stellungnahme für die Beklagte vom 31. Oktober 2012 kam der Facharzt für Neurologie Dr. Dr. W zu dem Ergebnis, dass sich kein begründeter Verdacht einer beruflich bedingten Polyneuropathie durch Intoxikation mit Quecksilber ergebe. Die Polyneuropathie bei der Klägerin sei gering ausgeprägt. Sie bedinge keinesfalls eine rentenberechtigende Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE), zumal das Gangbild und die erschwerten Gangproben unauffällig gewesen seien und keine manifesten Paresen vorlägen. Eine Quecksilberintoxikation sei nicht nachvollziehbar. Die Blutwerte der Klägerin seien normgerecht (unter dem Referenzwert von 2,0 µg/l). Die Ursache für die Polyneuropathie sei unklar. In Betracht kämen ein Diabetes mellitus, eine Vitaminstoffwechselstörung oder auch toxische Einflüsse.

Der Gewerbearzt des Landesamtes für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit Berlin stimmte dieser Einschätzung am 19. Dezember 2012 zu.

Mit Bescheid vom 15. Januar 2013 lehnte die Beklagte die Feststellung einer Berufskrankheit nach Nr. 1102 der Anlage 1 zur BKV im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass sich kein begründeter Verdacht einer beruflich bedingten Polyneuropathie durch Intoxikation mit Quecksilber ergebe.

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 13. Februar 2013 Widerspruch ein. Es sei ein zeitlicher Zusammenhang gegeben, da sich die Intoxikationserscheinungen erst nach einer gewissen Latenzzeit zeigten. Andere Mediziner, die sie in der Sache kontaktiert habe, hätten einen Zusammenhang für möglich gehalten. Es handele sich nicht nur um eine geringgradige Polyneuropathie. Sie leide unter Gangunsicherheit mit Schwankschwindel, Kraftverlust und Missempfindungen an den Fingern. Zudem habe sie schmerzhafte Beschwerden an der gesamten Wirbelsäule durch die langjährige Rumpfbeugehaltung am Arbeitsplatz. Weiter leide sie an verschiedenen Atemwegserkrankungen, welche ebenfalls typisch für Angestellte in Zahnarztpraxen seien. Die Klägerin fügte einen Befundbericht vom 15. Februar 2013 bei, aus dem eine Quecksilberkonzentration im Urin von < 1 µg/l hervorging.

Mit Widerspruchsbescheid vom 26. November 2013 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Allein der Umgang mit Quecksilber reiche für die Anerkennung der Erkrankungen der Klägerin als Berufskrankheit nach der Nr. 1102 der Anlage zur BKV nicht aus. Eine über das normale Maß hinausgehende Intoxikationsgefahr sei nicht nachgewiesen worden. Gegen eine Intoxikation spreche insbesondere, dass die Untersuchungen einen über das normale Maß hinausgehenden Quecksilbergehalt des Blutes nicht ergeben hätten.

Die Klägerin beschwerte sich daraufhin im April 2014 beim Bundesversicherungsamt (BVA) über die Arbeitsweise der Beklagten und den erfolglosen Ausgang des Verfahrens, woraufhin die Beklagte das gesamte Verfahren nochmals hinsichtlich ausstehender Ermittlungen prüfte, nachträglich eine weitere, letztlich ergebnislose, Befragung eines Arbeitgebers einleitete und gegenüber dem BVA unter dem 24. April 2014 ausführliche Stellung nahm.

Am 27. Mai 2014 beantragte die Klägerin die Überprüfung des Bescheides vom 15. Januar 2013 und begründete dies damit, dass ihr beratender Arzt Dr. M, K, gravierende Verfahrensfehler seitens der Beklagten festgestellt habe.

Mit Bescheid vom 5. September 2014 lehnte die Beklagte den Überprüfungsantrag ab. Der Bescheid vom 15. Januar 2013 sei nicht zu beanstanden. Die Quecksilberbelastung der Klägerin während ihrer Tätigkeit als Zahnarzthelferin habe nicht auf konkrete Angaben gestützt werden können. Die Literaturdaten aus den 80er Jahren belegten, dass die maximale Arbeitsplatzkonzentration in Zahnarztpraxen eingehalten worden sei. Es habe sich auch kein plausibler Zusammenhang zwischen dem Auftreten von neurologischen Beschwerden und dem Ende der Tätigkeit im Jahr 1995 herstellen lassen.

Hiergegen legte die Klägerin am 7. Oktober 2014 Widerspruch ein. Ca. 1970 sei es in der Zahnarztpraxis, in der sie gearbeitet habe, zu einem Quecksilberunfall gekommen. Ihre medizinischen Befunde würden zu einer Quecksilberintoxikation passen. Sie fügte ihrem Widerspruch eine ärztliche Bescheinigung des Facharztes für Innere Medizin Dr. P vom 16. Dezember 2013 bei. In dieser führte dieser aus, dass bei der Klägerin kein Hinweis auf Diabetes mellitus vorliege. Eine toxische Genese der vom Neurologen diagnostizierten Polyneuropathie sei möglich.

Mit Widerspruchsbescheid vom 24. März 2015 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin im Wesentlichen mit der Begründung des Ausgangsbescheides zurück.

Am 24. April 2015 hat die Klägerin vor dem Sozialgericht Potsdam Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt hat. Sie hat vorgetragen, dass keine gründlichen Ermittlungen erfolgt seien. Es sei keine Prüfung zu den arbeitstechnischen Voraussetzungen vorgenommen worden. Weiter sei auch kein Gutachten eingeholt worden. Es müsse ein medizinisches Zusammenhangsgutachten erstellt werden und der behandelnde Arzt müsse gehört werden. Erste Symptome einer Polyneuropathie seien bereits 1985 aufgetreten. Auch langjährige Belastungen mit Quecksilber im Niedrigdosisbereich führten mit großer Wahrscheinlichkeit zu irreversiblen Nervenschäden. Die klinische Diagnose einer Polyneuropathie könne auch noch mehrere Jahre nach Expositionsstopp gestellt werden. Im Übrigen seien bei ihr noch 17 Jahre nach Expositionsstopp erhöhte Quecksilberwerte festgestellt worden. Die Klägerin hat unter anderem neben umfangreichen Befundunterlagen eine Veröffentlichung „Quecksilber - eine der schädlichen Substanzen weltweit“ des Facharztes für Allgemeinmedizin Peter Jennrich im Auftrag von Greenpeace e.V. vom Mai 2015, das „Kieler Amalgam-Gutachten 1997 - Medizinische, insbesondere toxikologische Feststellungen im Zusammenhang mit einer rechtlichen Beurteilung der Herstellung und des Vertriebs von Amalgam als Material für Zahnfüllungen“ von Prof. Dr. Wassermann, M. Weitz, Dr. Alsen-Hinrichs aus dem Jahr 1997, eine Veröffentlichung von Dr. Mutter „Amalgam als Quecksilberquelle für Mensch und Umwelt“ (Quelle Internet) vorgelegt.

Die Klägerin hat beantragt,

den Bescheid vom 5. September 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. März 2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 15. Januar 2013 aufzuheben und festzustellen, dass bei der Klägerin eine Berufskrankheit nach Ziffer 1102 der Anlage zur BKV

vorliegt.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat zur Begründung auf ihr Vorbringen im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren verwiesen und dieses vertieft. Eine Arbeitsplatzbeschreibung durch den Präventionsdienst sei nicht möglich, da keiner der früheren Arbeitsplätze mehr existiere. Aus diesem Grund sei die Beurteilung in Anlehnung an das Forschungsergebnis „Quecksilber in Zahnarztpraxen“ erfolgt. Weitere Diagnostik oder Begutachtung sei nicht erforderlich. Die Blut- und Urinwerte der Klägerin lägen im Normbereich.

Mit Urteil vom 11. März 2016 hat das Sozialgericht Potsdam die Klage abgewiesen. Die Beklagte habe mit dem Bescheid vom 15. Januar 2013 zu Recht die Feststellung einer Berufskrankheit nach Nummer 1102 abgelehnt. Für das Gericht stehe nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest, dass die Klägerin während ihrer beruflichen Tätigkeit als Zahnarzthelferin in gesundheitsgefährdendem Ausmaß mit Quecksilber oder dessen Verbindungen in Berührung gekommen sei. Auf der Grundlage der wissenschaftlichen Diskussion zur Frage der Gefährdung von Mitarbeitern in Zahnarztpraxen durch Quecksilber sei davon auszugehen, dass in den Zahnarztpraxen in den alten Bundesländern bis ins Jahr 1970 eine Quecksilberbelastung für das Personal aufgetreten sein könne. Für die Frage, ob in der Zeit vor 1970 die Grenzwerte überschritten worden seien, müssten die konkreten Arbeitsbedingungen im Rahmen des Arbeitslebens ermittelt werden. Derartige Ermittlungen seien nicht mehr möglich, weil die ehemaligen Arbeitgeber der Klägerin nicht mehr befragt werden könnten. Die von der Klägerin vorgelegten Erklärungen ehemaliger Kollegen und Arbeitgeber bezögen sich auf die Zeit ab 1972. Auch Ansatzpunkte für Ermittlungen hinsichtlich des von der Klägerin vorgetragenen Quecksilberunfalls habe es nicht gegeben. Darüber hinaus habe der bei der Klägerin nachgewiesene HBM-Wert unter dem Wert von 5 µg/g Kreatin bzw. 7 µg/l g gelegen, welcher auf eine erhöhte Belastung hinweise. Die Anhörung eines Experten zur Frage der Gefährlichkeit von Quecksilber habe unterbleiben können, da er keine Angaben zur konkreten Belastung der Klägerin hätte machen können.

Gegen das am 15. April 2016 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 10. Mai 2015 Berufung eingelegt. Die Entscheidung des Sozialgerichts sei fehlerhaft. Sie beruhe allein auf der Einschätzung des bei der Beklagten angestellten Arztes Dr. Dr. W, der kein Arbeitsmediziner sei und sie nicht untersucht habe. Die Belastungen durch Metalle könnten sich allein durch Blut- und Urinwerte nicht sicher nachweisen oder ausschließen lassen. Die Anerkennung der Berufskrankheit setze keine konkrete Belastungsdosis voraus. Die typischen Symptome habe sie schon bei ihrem Antrag auf Anerkennung eines Grades der Behinderung beim Landesamtes für Soziales und Versorgung angegeben. § 9 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch - SGB VII - finde Anwendung.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 11. März 2016 sowie den Überprüfungsbescheid vom 5. September 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. März 2015 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, unter Aufhebung des Bescheides vom 15. Januar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. November 2013 festzustellen, dass bei ihr, der Klägerin, die Berufskrankheit nach Nr. 1102 der Anlage 1 der BKV vorliegt.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Voraussetzungen des § 9 Abs. 3 SGB VII lägen nicht vor. Es gebe keinen gesicherten Erfahrungssatz, dass bei beruflicher Exposition mit Quecksilber die Voraussetzungen der Berufskrankheit Nr. 1102 erfüllt seien. Die Expositionshöhe müsse individuell nachgewiesen werden. Für beruflich Exponierte sei der biologische Arbeitsplatztoleranzwert (BAT-Wert) als Beurteilungskriterium heranzuziehen. Der BAT-Wert für die Konzentration im Harn liege bei 200 µg Hg/l, für die Konzentration im Blut bei 50 µg Hg/l. Anhand dieses Wertes lasse sich relativ sicher sagen, ob eine längerfristige Exposition vorgelegen habe. Die Stellungnahme des beratenden Arztes Dr. W vom 9. November 2012 sei aus der Gerichtsakte zu löschen, da ein Verstoß gegen § 200 Abs. 2 SGB VII vorliege.

Am 28. Juli 2016 ist ein Erörterungstermin durchgeführt worden. Diesbezüglich wird auf die Niederschrift zur Gerichtsakte verwiesen.

Auf Veranlassung des Senates hat der Arzt für Allgemein- und Arbeitsmedizin L das Sachverständigengutachten vom 6. März 2018 erstattet. Er ist nach ambulanter Untersuchung der Klägerin vom 13. Februar 2018 zu der Einschätzung gelangt, dass die Klägerin an einem chronischen Schmerzsyndrom an Hals- und Lendenwirbelsäule bei degenerativen knöchernen Veränderungen und auch Bandscheibenschäden ohne feststellbare Nervenwurzelreizerscheinungen, Verdacht auf vorzeitigen Hüftgelenksverschleiß links, Fußfehlform beidseits, Bluthochdruck, angeborener Sehminderung des linken Auges, angegebener Schwindelneigung sowie Verdacht auf Somatisierungsstörung leide. Keines dieser Leiden sei auf den Umgang oder Kontakt der Klägerin mit Quecksilber oder seinen Verbindungen zurückzuführen. Hinsichtlich der 2011 erstmalig durch einen Neurologen festgestellten Polyneuropathie sei eine wesentliche Ausprägung dieses Leidens anlässlich der gutachterlichen Untersuchung nicht festzustellen. Auch 2011 seien zwar polyneuropathische Störungen nicht mit Sicherheit auszuschließen gewesen, diese seien jedoch eher geringgradig gewesen. Durch die anlässlich der im März 2011 durch die Fachärztin für Allgemeinmedizin Frau P im Auftrag der DRV erfolgte internistisch orientierte Untersuchung und die dabei erhobenen Befunde lasse sich eine wesentliche polyneuropathische Störung der unteren Extremitäten ausschließen. Gleiches gelte für die vom Orthopäden Dr. Z

im November 2011 erfolgte weitere Begutachtung im Rahmen des Rentenverfahrens. Daher könne ein wesentliches Leiden, welches mit dem beruflichen Umgang oder Kontakt mit Quecksilber oder seinen Verbindungen in Zusammenhang gebracht werden könnte, nicht festgestellt werden. Die Ursachen für die festgestellten Leiden der Klägerin seien in außerberuflichen oder in schicksalhaften Faktoren zu sehen. Zwar sei die Klägerin ohne Zweifel im Zusammenhang mit ihrer versicherten Tätigkeit einer Quecksilberbelastung ausgesetzt gewesen. Die äußere Einwirkung durch Quecksilber sei jedoch gering, des Weiteren lag und liege aktuell keine relevante Krankheit vor, welche im Zusammenhang mit der Einwirkung von Quecksilber zu sehen sei, er schließe sich daher der Stellungnahme des beratenden Arztes Dr. W vom 31. Oktober 2012 an. Zur Arbeitsbelastung mit Quecksilber bzw. Amalgam hat der Sachverständige ausgeführt, dass sich mit großer Wahrscheinlichkeit verschüttetes flüssiges Quecksilber nicht wesentlich erhöhend auf die Raumluftkonzentration auswirke. Denn die in verschiedenen Studien in den 80er Jahren gemessenen Konzentrationen, welche sämtlich die Grenzwerte nicht überschritten, beinhalteten gerade auch Fälle, in denen es zum Verschütten von Quecksilber gekommen sei. Wesentlich für die Raumluft-Konzentration seien vielmehr die einzelnen typischen Arbeitsverrichtungen beim Herstellen und Einlegen von Amalgamfüllungen. Dabei seien die damaligen Grenzwerte eingehalten worden. Soweit es zu einer Überschreitung heute geltender Grenzwerte gekommen sei, sei diese Überschreitung als eher gering anzusehen. Als Anlage zum Gutachten hat der Sachverständige als u. a. von ihm verwendete Literatur auch auf die AWMF Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin e.V. Nr. 002/023 „Quecksilber“ - Stand Februar 2009 - sowie die Leitlinie der Nr. 002/003 „Arbeiten unter Einwirkung von Quecksilber und seinen Verbindungen“ - Stand Juli 2014 - verwiesen.

Auf den Antrag der Klägerin nach § 109 SGG hat am 23. Oktober 2018 der Arbeits- und Betriebsmediziner Dr. M ein Gutachten nach Aktenlage erstattet. Weder die Beklagte noch die Sozialgerichte hätten ausreichende Ermittlungen vorgenommen. Da eine Begutachtung durch einen unabhängigen Sachverständigen nicht erfolgt sei, lägen keine gesicherten Erkenntnisse zum Vorliegen oder Nicht-Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen vor. Hinsichtlich der klinischen Diagnosesicherung sei zu kritisieren, dass keine fachgerechte klinische Diagnosesicherung erfolgt sei. Es lägen im Sinne eines Vollbeweises keine gesicherten Erkenntnisse zum Vorliegen oder Nicht-Vorliegen der im amtlichen Merkblatt zur BK Nr. 1102 vorgegebenen Krankheitsbilder vor. Die generelle Geeignetheit der Verursachung der von der Klägerin vorgetragenen Krankheiten durch Amalgam in zahnärztlichen Praxen sei geklärt. Die Wahrscheinlichkeit für eine solche Ursächlichkeit lasse sich im vorliegenden Fall mangels Absicherung der Tatbestandsmerkmale „arbeitstechnische Voraussetzungen“ und „Diagnosesicherung“ nicht bestimmen. Um den Vollbeweisanforderungen beim Tatbestandsmerkmal „Krankheit“ gerecht zu werden, biete sich eine stationäre Begutachtung in einer Rehabilitationsklinik an. Auf jeden Fall sei eine toxikologische Begutachtung erforderlich. Darüber hinaus solle auf Grund der Komplexität des vorliegenden Falles überprüft werden, ob nicht sogar die Begutachtung durch einen Rechtsmediziner erforderlich sei.

Die Klägerin hat daraufhin weitere Ermittlungen von Amts wegen und eine sich daran anschließende erneute Begutachtung durch Dr. M angeregt.

In der mündlichen Verhandlung des Senats vom 16. Mai 2019 hat die Klägerin den Neufeststellungsbescheides des Landesamtes für Soziales und Versorgung vom 12. Februar 2014 über einen Grad der Behinderung von 50 (mit gutachterlicher Stellungnahme von Dr. K vom 12. Januar 2014: u.a. mittelgradige Polyneuropathie, Einzel-GdB 30, Beurteilung: Verschlimmerung, WBS-Syndrom mit Einzel-GdB 20) überreicht. Zudem wurde der Klägerin aufgegeben, die ihr noch vorliegenden Arbeitsverträge mit den Ärzten, bei denen sie tätig gewesen war, zur Akte zu reichen sowie eine Aufstellung derjenigen Kolleginnen und Kollegen, die mit ihr zusammen gearbeitet haben und Aussagen hinsichtlich ihrer Tätigkeit und der Umstände in den Arztpraxen machen können. Im Anschluss daran wurde der Beklagten die Einschaltung des Präventionsdienstes zur Ermittlung der arbeitstechnischen Voraussetzungen der geltend gemachten BK Nr. 1102 aufgegeben. Im Hinblick auf diese weiteren Ermittlungsschritte des Gerichts wurde die mündliche Verhandlung vertagt.

Die Klägerin hat daraufhin im Juni 2019 eine Auflistung ihrer früheren Arbeitgeber unter Angabe der ihr bekannten Anschriften vorgelegt, eine „Bescheinigung“ des Zahnarztes Z vom 3. März 2016, der bestätigte, dass die Klägerin während ihrer Tätigkeit in der Zahnarztpraxis W von 1974 bis 1977 und von März 1978 bis Ende September 1989 als Zahnarzthelferin regelmäßig mit dem Anmischen von Amalgam betraut war, sowie die undatierte „Bestätigung“ der Zahntechnikerin R, dass die Klägerin in der Zahnarztpraxis W von Oktober 1972 bis Ende September 1976 als Zahnarzthelferin beschäftigt war und dort eine verschlossene Quecksilberflasche zu Boden fiel sowie die Quecksilberperlen mit Müllschaufel und Handbesen vom Boden entfernt wurden. Aufgabe der Klägerin sei das Vor- und Zubereiten der Materialien gewesen, Amalgam sei das tägliche Füllungsmaterial gewesen. Die Klägerin verwies darauf, dass sie während ihrer Tätigkeit bei Dr. Z von April 1965 bis Ende August 1972 das Amalgam durch direkten Hautkontakt mittels Zerreibens und Knetens des Amalgams in der Hand ohne Handschuhe zubereitet habe. Ab Oktober 1972 in der Praxis W sei die Zubereitung nicht mehr per Hand erfolgt, sondern über eine Amalgampistole, nur noch die Reinigung sei händisch mit Tupfer und ohne Handschuhe erfolgt. Einmal-Handschuhe hätten erst ab März 1978 während ihrer Tätigkeit bei Dr. Z zur Verfügung gestanden. Ab April 1993 in ihrer Tätigkeit bei Dr. J habe sie auch einen Mundschutz getragen. Sie habe sich nach jedem Patienten die Hände gründlich gewaschen und desinfiziert. Sie habe während der gesamten Zeit ihres beruflichen Lebens mit Amalgam gearbeitet und insbesondere Dämpfe eingeatmet durch Kneten, Mörsern, Formen des Amalgams, durch Reinigen des Dentomaten, Füllen der Amalgampistolen, teilweise auch durch Polieren der Füllungen, Reinigen der mit Amalgam kontaminierten Fußböden und insbesondere durch Hautkontakt.

Die Beklagte hat daraufhin im September 2019 mitgeteilt, dass sie die Anschriften der von der Klägerin benannten ehemaligen Arbeitskollegen weder durch Nachfragen bei der Kassenzahnärztliche Vereinigung Berlin, der Zahnärztekammer Berlin noch beim ehemaligen Arbeitgeber, Dr. Z, habe ermitteln können. Hinsichtlich der Prüfung der arbeitstechnischen Voraussetzungen hat die Beklagte die Stellungnahme ihres Präventionsdienstes vom 27. Januar 2020 übersandt. Deren Grundlage war ein ausführliches persönliches Gespräch einer Mitarbeiterin der Beklagten mit der Klägerin am 22. Oktober 2019, in dem diese die Exposition gegenüber Quecksilber und die Arbeitsbedingungen in den jeweiligen zeitlichen Arbeitsabschnitten nochmals geschildert habe (tabellarische Aufzeichnung dazu auf Seiten 5-7 der Stellungnahme). Außerdem habe die Klägerin im Nachgang zu dem persönlichen Gespräch nochmals eine eigene schriftliche Zusammenfassung der Arbeitsbedingungen an die Beklagte übermittelt. Diese und der Gesprächsvermerk vom 22. Oktober 2019 seien sodann an den Leiter der Abteilung Arbeitsmedizin, Gefahrstoffe und Gesundheitswissenschaften, Bereich Gefahrenstoffe und Toxikologie, Herrn Prof. Dr.-Ing. E, mit der Bitte um Stellungnahme übersandt worden. Auf die Befragung von ehemaligen Arbeitgebern und Arbeitskollegen sei verzichtet worden, weil sich aus der Schilderung der Klägerin keine außergewöhnlichen Arbeitsbedingungen ergeben hätten. Vielmehr habe es sich um typische Arbeitsabläufe in einem Umfeld gehandelt, was zu der damaligen Zeit für Zahnarzthelferinnen normal gewesen sei.

In seiner Stellungnahme vom 2. Januar 2020 ist Prof. Dr. E zu der Einschätzung gelangt, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die BK Nr. 1102 nicht vorlägen. Die vorliegenden Informationen zur Arbeit und den Arbeitsbedingungen der Klägerin ließen eine individuelle quantitative Expositionsermittlung nicht zu, da Messungen der Quecksilberkonzentration in der Luft an den Arbeitsplätzen der Klägerin, exakte Angaben über die konkreten Aktivitäten der Klägerin pro Tag mit Zeitdauer sowie tagesgenaue und quantifizierbare Angaben zu den jeweiligen Quecksilberquellen sowie Angaben zu den Lüftungssituationen an den Arbeitsplätzen (wann und wie waren welche Fenster und Türen mit welcher Öffnungsgröße geöffnet, welche klimatischen Rahmenbedingungen herrschten (Windgeschwindigkeit, Temperatur innen und außen, wurden Ventilatoren eingesetzt, gab es eine Querlüftung?) nicht vorlägen. Die geschilderten Arbeitssituation seien jedoch als branchentypisch einzustufen, sodass eine Übertragung des Expositionswissens zu Tätigkeiten mit Quecksilber in Zahnarztpraxen auf die Arbeitsplätze der Klägerin möglich sei. So sei überwiegend eine inhalative Exposition erfolgt, die während der gesamten Arbeitszeit der Klägerin jedoch unterhalb des heute gültigen Arbeitsplatzgrenzwertes von 0,02 mg/ m³ gelegen habe. Die beschriebenen zwei Ereignisse, bei denen es zur Verschüttung von Quecksilber gekommen sei, könnten zwar zu kurzzeitigen Spitzenwerten geführt haben, diese seien heute jedoch quantitativ nicht mehr nachvollziehbar. Soweit die Klägerin Amalgam ungeschützt mit der Hand zubereitet habe, habe eine Exposition gegenüber einem hautresorptiven und sensibilisierenden Stoff vorgelegen. Eine Quantifizierung der Exposition sei nur nach Fläche und Dauer (mehrere Quadratzentimeter, länger als 15 Minuten/Tag, über ca. sieben Jahre) möglich. Die Exposition könne allerdings bezüglich der Menge und des Umfangs der betroffenen Hautfläche bei der Klägerin als sehr gering angesehen werden. Beigefügt war die Veröffentlichung von Halsen, Wegscheider, „Tätigkeiten mit Quecksilber in Zahnarztpraxen“, in: Eickmann at al.; Chemische Gefährdungen im Gesundheitsdienst, 2014.

Unter dem 1. März 2020 hat die Klägerin Einwände hiergegen vorgebracht: Aus der Veröffentlichung der Beklagten „Quecksilber in Zahnarztpraxen“, Stand 4/2007 und 8/2012 folge, dass mit den in den 60er Jahren üblichen Arbeitstechniken (Anmischen von Amalgam im Mörser, Arbeiten ohne Trockenabsaugung) eine mittlere Raumluftkonzentration im Bereich von 10-50 µg Quecksilber pro Kubikmeter aufgetreten sei. Dadurch werde der heute gültige Grenzwert bereits im inhalativen Bereich überschritten (0,02 mg/ m³). Hinzu komme die von Prof. Dr. E bestätigte dermale Belastung. Nach der damals hohen Zahl betroffener Patienten mit ca. 20 Füllungen Amalgam pro Tag sei auch über die dermale Exposition eine erhebliche biologische Belastung der Klägerin gegenüber Quecksilber anzunehmen. Die aus inhalativer und dermaler Belastung zu kumulierenden Werte würden daher sicherlich oberhalb der biologischen und arbeitstechnischen Toleranzwerte liegen. Auf die Gesamtbelastung gehe Prof. Dr. E bewusst nicht ein, was den Arbeitsbedingungen der Klägerin von 1965-1970 nicht gerecht werde. In der Gesamtbeurteilung sei daher entgegen der Behauptung der Beklagten für die Jahre 1965-1970 von einer erheblichen Überschreitung der damaligen und heutigen Grenzwerte auszugehen.

Hierzu hat Prof. Dr. E unter dem 15. April 2020 Stellung genommen. In der von der Klägerin zitierten Publikation „Quecksilber in Zahnarztpraxen“ werde darauf verwiesen, dass die vielfältigen Messungen in der Raumluft von Zahnarztpraxen in Deutschland schon seit den 1960er Jahren belege, dass die Quecksilberkonzentration im Atembereich der Beschäftigten im Schichtmittel weit unter 20 µg/m³ liege. Davon zu unterscheiden seien die zitierten zwei amerikanischen Studien aus dem Jahr 1983, in denen deutlich höhere Raumluftbelastungen in den dort untersuchten Zahnarztpraxen und Kliniken beschrieben seien. Dies liege daran, dass die räumlichen Situationen in verschiedenen Ländern unterschiedlich seien. Ebenso könnten sich auch die Messverfahren und Maßstäbe zur Beurteilung von Arbeitsplatzbelastungen unterscheiden. In Deutschland müsse die Beurteilung von Arbeitsplätzen anhand von Arbeitsplatzgrenzwerten (AGW) nach den Vorgaben des technischen Regelwerks für Gefahrstoffe (TRGS) erfolgen. Die dort genannten Vorgaben an die Gerätespezifikation, die Auswahl von Messpunkten, die Messdauer und die Ermittlung der Schichtmittelwerte werde insbesondere von Publikationen, die aus anderen Regionen der Welt kämen, regelmäßig nicht erfüllt. Dies gelte auch für die genannten beiden amerikanischen Publikationen. Aus diesen Gründen habe sich die Präventionsabteilung der Beklagten in der Stellungnahme vom 2. Januar 2020 auf die fundierten in Deutschland ermittelten Verhältnisse bezogen, die eine deutliche Unterschreitung des Arbeitsplatzgrenzwertes von 20 µg/m³ bedeute. Eine Quantifizierung der dermalen Quecksilberbelastung oder gar eine Summation von dermaler und inhalativer Quecksilberaufnahme sei dem Präventionsdienst nicht möglich. Aktuell sei auch niemand bekannt, der dies fachkundig für die Beschäftigten in zahnärztlichen Einrichtungen vornehmen könne. Die TRGS 401 „Gefährdung durch Hautkontakt - Ermittlung, Beurteilung, Maßnahmen“, Ausgabe Juni 2008, stelle die Grundlage für die Gefährdungsermittlung bei Hautkontakt dar, wobei jedoch keine Quantifizierung der dermalen Belastung gefordert werde, da unter anderem kein dermaler Arbeitsplatzgrenzwert existiere. Die Beurteilung finde auf der Ebene einer Gefährdungskategorisierung statt (geringe, mittlere, hohe Gefährdung). Diesem Ansatz folgend werde dem Umgang mit Quecksilber, wie er in Zahnarztpraxen in Deutschland in den 1960sechziger Jahren üblich gewesen sei, eine mittlere Gefährdung zugeordnet. Aufgrund dieser Zusammenhänge müsse die Präventionsabteilung bei der Beurteilung vom 2. Januar 2020 bleiben: Die Klägerin sei während ihrer Tätigkeit als Zahnarzthelferin regelmäßig gegenüber Quecksilberdämpfen exponiert gewesen. Die Arbeitsbedingungen und die Tätigkeiten hätten sich zwar an den verschiedenen Arbeitsplätzen etwas unterschieden. Dennoch lasse sich aufgrund der vorliegenden Informationen zu Quecksilberbelastungen in Zahnarztpraxen in Deutschland der 1960er bis in die 2000er Jahre folgern, dass eine inhalative Belastung von 0,02 µg/m³ als Schichtmittelwert bei weitem nicht erreicht worden sei und auch die zu erwartenden Kurzzeitbelastungen unterhalb des entsprechenden Kurzzeitwertes der TRGS 900 (= 0,16 mg/m³) geblieben seien. Der Arbeitsplatzgrenzwert (AGW) für Quecksilber (AGW = 0,02 mg/m³) sei daher regelmäßig eingehalten worden. Während der Arbeitssituationen, in denen Amalgam ungeschützt mit der Hand zubereitet worden sei, habe eine Exposition gegenüber einem hautresorptiven und sensibilisierenden Stoff vorgelegen. Eine Quantifizierung der dermalen Exposition sei nur nach Fläche und Dauer möglich (siehe oben), sie könne allerdings bezüglich der Menge und des Umfangs der betroffenen Hautfläche als sehr gering angesehen werden, eine Quantifizierung im Sinne der Benennung einer biologisch aufgenommenen Menge sei nicht möglich.

Hierzu hat die Klägerin unter vom 20. Mai 2020 darauf verwiesen, dass die Stellungnahme des Präventionsdienstes die maßgebliche Veröffentlichung „Quecksilber in Zahnarztpraxen“ Erstveröffentlichung 4/2007, Stand 8/2012, nicht zutreffend wiedergebe. Vielmehr habe die Klägerin zutreffend zitiert, dass nicht bereits in den 1960er Jahren, sondern erst in den 1980er Jahren der Arbeitsplatzgrenzwert in Zahnarztpraxen in Deutschland durch die Verwendung neuer Arbeitstechniken eingehalten worden sei, nicht jedoch in den 1960er Jahren. Damit führe der Präventionsdienst das Gericht bewusst in die Irre, indem Messwerte der 1980er Jahre als solche der 1960er Jahre ausgegeben würden. Es habe sich auch nicht um amerikanische Studien gehandelt, was als weiterer Täuschungsversuch zu werten sei. Die zutreffende Darstellung der Klägerin zu den Expositionsergebnissen in den 1960er Jahren resultiere aus der Darstellung auf Seite 15 der Publikation.

Hierzu hat Prof. Dr. E unter dem 7. August 2020 erwidert, dass die von der Klägerin angesprochene Publikation „Quecksilber in Zahnarztpraxen“ zum Entstehungszeitpunkt 2007 nicht die Aufgabe eines Literaturreviews oder einer enzyklopädischen Zusammenfassung gehabt habe. Sie sei nach einigen Jahren durch andere Materialien ersetzt worden, z.B. die zitierte Veröffentlichung von Halden, Wegschneider, „Tätigkeiten mit Quecksilber in Zahnarztpraxen“ in: Eickmann et al.; Chemische Gefährdungen im Gesundheitsdienst, 2014.

Die Analyse der retrospektiven Belastung durch chemische Substanzen könne an den Arbeitsplätzen des Gesundheitsdienstes in der Regel erst ab ca. 1985 auf Messungen der Beklagten zurückgreifen, da die Forderung der arbeitsplatzbezogenen „Gefährdungsbeurteilung“ erst mit dem Inkrafttreten der Gefahrstoffverordnung (1986) auf den Gesundheitsdienst ausgeweitet worden sei. Daher habe der Präventionsdienst für die Zeit davor Literaturdaten genutzt, die Messungen in Zahnarztpraxen der 1960er Jahre dokumentierten. Die Auswertung einer Literaturrecherche zur Quecksilberbelastung in Zahnarztpraxen in den 1960er Jahren in Deutschland habe zu einer Reihe von Fachartikeln geführt (siehe Publikationen 6-12 Bl. 561 GA, beginnend mit den Jahren 1964,1965,1968). Die beste messtechnische Arbeit stamme von Kropp (1963, 1964) mit Darstellung der Messdaten. Zwar seien dort auch Werte oberhalb von 20 µg/m³ gemessen worden, dies jedoch unter besonderen Bedingungen, die nicht den Mittelwert darstellten, sondern Sonderereignisse abbildeten. Die Verteilung aller anderen Werte liege zu einem 95-Perzentil unter 20 µg/m³. Im Ergebnis müsse davon ausgegangen werden, dass eine inhalative Belastung von 0,02 mg/m³ (= 20 µg/m³) als Schichtmittelwert während der gesamten zu betrachtenden Arbeitszeit an den verschiedenen Arbeitsplätzen nicht erreicht worden sei, auch wenn es kurzzeitig zu Expositionsspitzen darüber habe kommen können.

Hierzu hat die Klägerin angeregt, die umfangreichen Zusammenstellungen der Expositionen in früheren Jahren bei der Beklagten anzufordern. Die Beklagte hätte frühzeitiger die Arbeitsplatzsituation der Klägerin ermitteln müssen, so stehe sie, die Klägerin, nun in der Beweisnot, da wesentliche Zeitzeugen nicht mehr zur Verfügung stünden.

Die Beklagte hat daraufhin die Broschüre „Quecksilber in Zahnarztpraxen“, Autoren Dr. Halsen, Dr. Eickmann, Dr. Wegscheider, BGW, Fachbereich Gefahrstoffe und Toxikologie, Stand 04/2007 sowie unter dem 18. Januar 2021 die Stellungnahme von Prof. Dr. E vom 20. Dezember 2020 sowie die Publikation „Quecksilberbelastung in Zahnarztpraxen - früher und heute -“ (Autoren Halsen und Wegscheider, BGHW, Bereich Gefahrstoffe, veröffentlicht im September 1997) übersandt.

Auf den Antrag der Klägerin, der Sachverständige Dr. M möge auf die Beweisfragen abschließend antworten, hat dieser unter dem 30. August 2021 lediglich empfohlen, dass die Begutachtung des Tatbestandsmerkmals „Krankheit“ einem Rechtsmediziner mit toxikologischer Erfahrung und die abschließende Zusammenhangsbegutachtung einem Arbeitsmediziner vorbehalten bleiben sollte. Die Expositionsbewertung der Beklagten bedürfe der Objektivierung durch eine unabhängige Stelle.

Die Klägerin hat daraufhin im September 2021 angeregt, eine toxikologische Beurteilung von Amts wegen zu veranlassen. Die Beklagte verwies ihrerseits darauf, dass sie, die Beklagte, bereits die gesetzliche Unfallversicherung sei. Im Übrigen erscheine ein Zusammenhangsgutachten auf toxikologischem Bereich erst dann sinnvoll, wenn die Erkrankung sowie die Exposition mit Gewissheit nachgewiesen seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten und auf den der Gerichtsakten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung der Klägerin (§§ 143151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) hat keinen Erfolg. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Überprüfungsbescheid vom 5. September 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. März 2015 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten, unter Aufhebung des Bescheides vom 15. Januar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. November 2013 eine Berufskrankheit Nr. 1102 festzustellen.

Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden ist.

Bei Erlass des Bescheides vom 15. Januar 2013 ist weder das Recht unrichtig angewandt worden noch ist von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden. Die Beklagte hat mit Bescheid vom 15. Januar 2013 zu Recht die Feststellung einer Berufskrankheit nach Nr. 1102 der Anlage 1 zur BKV bei der Klägerin abgelehnt.

Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) sind Berufskrankheiten Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3, 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleidet. Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII ist die Bundesregierung ermächtigt, Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Dies geschieht in der BKV, nach deren § 1 Berufskrankheiten die in der Anlage 1 bezeichneten Krankheiten sind (sogenanntes Listenprinzip). In der Anlage 1 zur BKV vom 31. Oktober 1997 (BGB I, S. 2623), die sich insoweit nicht mehr geändert hat, ist die BK 1102 als „Erkrankungen durch Quecksilber oder seine Verbindungen“ bezeichnet.

Mit der Aufnahme einer Krankheit in die Liste der Berufskrankheiten wird indes nur die mögliche Ursächlichkeit einer beruflichen Schädigung generell anerkannt und die Erkrankung als solche für entschädigungswürdig befunden. Im Einzelfall setzt die Feststellung einer Berufskrankheit voraus, dass der Betroffene im Rahmen einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit schädigenden Einwirkungen im Sinne der Berufskrankheit ausgesetzt war, die geeignet sind, einen entsprechenden Gesundheitsschaden zu bewirken, und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dabei müssen die versicherte Tätigkeit, die Verrichtung, die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich ihrer Art und ihres Ausmaßes und die Krankheit als solche im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen (vgl. BSG, Urteil vom 2. April 2009, B 2 U 9/08 R, Rn. 9, juris; Urteil vom 7. April 2013, B 2 U 11/12 R, Rn. 12, juris). Der ursächliche Zusammenhang zwischen Einwirkung und Erkrankung beurteilt sich nach der unfallrechtlichen Kausalitätslehre von der wesentlichen Bedingung. Danach sind nur die Bedingungen (mit-) ursächlich, die wegen ihrer besonderen Bedeutung für den Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Für die Feststellung des Ursachenzusammenhangs genügt im Übrigen die hinreichende Wahrscheinlichkeit. Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden; die reine Möglichkeit genügt nicht (vgl. BSG, Urteil vom 2. November 1999, B 2 U 47/98 R, Rn. 14, juris; Urteil vom 7. April 2013, B 2 U 11/12 R, Rn. 12, juris).

In Anwendung dieser Grundsätze kommt die Feststellung der streitigen BK Nr. 1102 nicht in Betracht.

Vorliegend ist schon nicht mit dem notwendigen Vollbeweis nachgewiesen, dass die Klägerin schädigenden Einwirkungen im Sinne der BK Nr. 1102 ausgesetzt war, die geeignet waren, eine Erkrankung hervorzurufen. Zwar steht für den Senat fest, dass die Klägerin im Rahmen ihrer Tätigkeit als Zahnarzthelferin ab 1965 inhalativen und dermalen Kontakt mit Quecksilber bei ihrem Umgang mit Amalgam hatte. Amalgam ist eine Legierung aus Kupfer, Zinn, Silber und Quecksilber und wurde in dem o. g. Zeitraum in Zahnarztpraxen als Füllmaterial verwandt (Dr. Halsen, Dr.-Ing. Eickmann, DM Wegscheider, Quecksilber in Zahnarztpraxen, Stand 8/2012, BGWforschung). Jedoch wurde eine inhalative Belastung im Umfange des Arbeitsplatzgrenzwertes (AGW) von 20 µg/m³ als Schichtmittelwert nicht erreicht und auch die zu erwartenden Kurzzeitbelastungen blieben unterhalb des entsprechenden Kurzzeitwertes der Technischen Regel für Gefahrstoffe 900 (TRGS) mit 16 µg/m³.

Nach dem Merkblatt zur BK Nr. 1102 besteht die Gefahr einer Quecksilber-Exposition bei der Verwendung insbesondere dann, wenn Quecksilber verschüttet oder der farb-und geruchslose Quecksilberdampf oder quecksilberhaltige Staub eingeatmet wird. In geringem Umfang ist auch die Aufnahme über die Haut oder den Magen-Darm-Trakt möglich. Die hier allenfalls in Betracht kommende chronische Form der Erkrankung entsteht in der Regel durch langzeitige Aufnahme kleinster Quecksilber-Mengen. Das Krankheitsbild ist uncharakteristisch und unspezifisch, überwiegend jedoch durch Symptome seitens des zentralen Nervensystems gekennzeichnet (Merkblatt BK 1102).

Dem Wortlaut der Berufskrankheit Nr. 1102 ist eine Quecksilber-Mindestbelastungsdosis nicht zu entnehmen. Aus dem Fehlen einer Angabe zum Grad der erforderlichen Einwirkungen kann aber nicht gefolgert werden, dass der Kontakt mit Quecksilber schlechthin ausreicht. Vielmehr hat der Verordnungsgeber bei der Formulierung der Berufskrankheiten-Tatbestände vielfach bewusst auf die Angabe konkreter Belastungsarten und Belastungsgrenzwerte verzichtet und stattdessen auslegungsbedürftige unbestimmte Rechtsbegriffe verwendet, um bei der späteren Rechtsanwendung Raum für die Berücksichtigung neuer, nach Erlass der Verordnung gewonnener und bekannt gewordener wissenschaftlicher Erkenntnisse zu lassen. Von daher ist es notwendig, die Begriffe auf der Grundlage des im Entscheidungszeitraum erreichten Forschungsstandes zu konkretisieren und festzustellen, wie danach die beruflichen Einwirkungen beschaffen sein müssen, um die betreffende Krankheit hervorrufen zu können. Die Frage, welcher Einwirkungen es mindestens bedarf, um eine Berufskrankheit zu verursachen, ist unter Zuhilfenahme medizinischer, naturwissenschaftlicher und technischer Sachkunde nach den im Entscheidungszeitpunkt aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu beantworten (BSG, Urteil vom 27. Juni 2006, B 2 U 20/04 R, Rn. 19f, beck-online).

Auf der Grundlage der wissenschaftlichen Diskussion (u. a. Halsen, Eickmann, Wegscheider, Quecksilber in Zahnarztpraxen, BGWforschung) zur Frage der Gefährdung von Mitarbeitern in Zahnarztpraxen durch Quecksilber ist davon auszugehen, dass in den Zahnarztpraxen in den alten Bundesländern bis ins Jahr 1970 eine Quecksilberbelastung für das Personal aufgetreten sein kann, die den heute, seit 2012, durch die TRGS 900 festgelegten Arbeitsplatzgrenzwert (AGW) von 20 µg/m³ (Dr. Halsen u. a., a.a.O.) überschreitet. Für die Jahre ab 1970 ist grundsätzlich davon auszugehen, dass durch verbesserte Verarbeitungstechniken der Arbeitsplatzgrenzwert eingehalten wurde und damit eine Gesundheitsgefahr auszuschließen ist. Insofern wird verwiesen auf die Veröffentlichung der BGWforschung „Quecksilber in Zahnarztpraxen“ (Erstveröffentlichung 4/2007, Stand 8/2012) sowie die überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Lanz. Dieser hat darauf hingewiesen, dass sich die Arbeitsbedingungen seit 1970 zunehmend verändert haben durch z.B. die Verwendung von Mischapparaturen, die Verbesserung der Feilungszusammensetzung sowie den Einsatz von Trockenabsaugung.

Die Messdaten zur Quecksilberbelastung in Zahnarztpraxen (BGWforschung) berücksichtigten dabei auch die Aufnahme über die Haut.

Auch für die Zeit vor 1970 ist nicht nachgewiesen, dass die Klägerin schädigenden Einwirkungen von Quecksilber ausgesetzt war. Aufgrund der Toxizität von Quecksilber wurden bereits sehr früh Untersuchungen zur Raumluftbelastung in Zahnarztpraxen durchgeführt und veröffentlicht. Diese belegen, dass in Praxen mit in den 1960er Jahren üblichen Arbeitstechniken, wie Anmischen von Amalgam im Mörser und das Arbeiten ohne Trockenabsaugung und ohne Handschuhe, mittlere Raumluftkonzentrationen im Bereich von 10-50 µg Quecksilber/m³ auftraten. Aufgrund neuer Arbeitstechniken, insbesondere der ausschließlichen Verwendung von Silberamalgam, von vordosierten Kapseln sowie des Einsatzes einer Trockenabsaugung beim Bearbeiten des Amalgams, ist davon auszugehen, dass seit etwa 1970 der heutige AGW von 20 µg/m³, der eine tägliche Belastungsdauer von acht Stunden berücksichtigt, nicht überschritten wird. Dies wird belegt durch verschiedene in der Veröffentlichung der BGWforschung und im Sachverständigengutachten aufgeführte, in den 1980er Jahren in Deutschland, der Schweiz und Schweden durchgeführte Messungen. Bei diesen betrug die mittlere Quecksilberkonzentration im Raum max. 3 µg/m³.

Die von der Klägerin angeforderten Messergebnisse von Kroppaus den Jahren 1963 und 1964 hat die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 7. August 2020 dargestellt. Daraus ergibt sich, dass der Arbeitsplatzgrenzwert (AGW) für Quecksilber von 0,02 mg/m³ regelmäßig eingehalten (Halsen, Wegscheider, Tätigkeiten mit Quecksilber in Zahnarztpraxen, in: Eickmann et. al., Chemische Gefährdungen im Gesundheitsdienst, 2014, Seite 430). Bei den Messungen im Mai 1963 und Januar 1964 wurde zu 95 % ein Schichtmittelwert unter dem heute aktuellen AGW von 20 µg/m³ ermittelt. Auch wenn, wie der Präventionsdienste der Beklagten in seiner Stellungnahme vom 7. August 2020 ausgeführt hatte, aus den Messdaten von Kropp in den Jahren 1963 und 1964 in geringem Umfang (5%) auch Werte oberhalb von 20 µg/m³ gemessen wurden, waren diese unter Berücksichtigung der vorherrschenden Rahmenbedingungen auf Sondersituationen (Erhitzen von Kupferamalgam, benennbare Ereignisse mit relevanter Quecksilber-Freisetzung, die unmittelbar vor den Messungen stattgefunden hatten) zurückzuführen. Unter Berücksichtigung dieser Sonderereignisse liegen fast alle Werte mit einem 95-Perzentil unterhalb von 20 µg/m³. Auch nach den weiteren von Kropp vorgenommenen Messungen aus 110 Arztpraxen lag die mittlere Quecksilberkonzentration in der Atemluft der Beschäftigten unter Berücksichtigung der üblichen mit Amalgam verbundenen Tätigkeiten zwischen 7,6 µg/m³ (41 Praxen mit weniger als 15 Amalgam-Anmischungen pro Tag) und 12,9 µg/m³ (19 Praxen mit mehr als 25 Einmischungen pro Tag). Aus dieser Untersuchung von Kropp geht auch hervor, dass in Praxisräumen, in denen lange, d. h. mehr als 2 Stunden, nicht gelüftet wurde, die mittlere Quecksilberkonzentration auf 10,5 µg/m³ stieg, während sie bei geöffneter Raumtür bzw. gekipptem Fenster bei 7,3 µg/m³ lag. Bei einer sauberen Anmischung in einem Mörser auf einem Tisch führte dies zu einer mittlere Quecksilberkonzentration von 8,0 µg/m³, während das freihändige Mörsern die mittlere Quecksilberbelastung auf 10,5 /m³ erhöhte. Bei der Verwendung von Mischgeräten betrug die mittlere Quecksilberbelastung zwischen 8,2 und 9,2 µg/m³. Nach der Analyse zeigt sich, dass die mittleren Quecksilberkonzentrationen immer unter 20 µg/m³ lagen, unabhängig von Zahl und Art der Anmischungen, der Lüftung oder des Alters der Praxis. Alle diese Faktoren haben Einfluss auf die Luftbelastung, die ständig schwanken kann, dieser Einfluss ist allerdings begrenzt. So konnten kurzzeitig, unter bestimmten Rahmenbedingungen, erhöhte Quecksilberkonzentrationen auftreten, wie dargelegt. Dies hatte aber auf die mittlere Quecksilberkonzentration, die für die aufgenommene Quecksilberdosis relevant ist, keinen entscheidenden Einfluss.

Etwas anderes ergibt sich nicht aus dem von der Klägerin geschilderten Quecksilberunfall, der sich nach ihren Angaben Anfang der 1970er Jahre zugetragen hat. Der Sachverständige L weist diesbezüglich überzeugend darauf hin, dass es in jeder Zahnarztpraxis hin und wieder zum Verschütten von Quecksilber gekommen sein dürfte und deshalb davon auszugehen ist, dass die gemessenen Werte bereits Quecksilberunfälle berücksichtigen. Verschüttetes Quecksilber hat sich danach nicht wesentlich erhöhend auf die Raumluftkonzentration ausgewirkt. Schädigende Wirkungen durch Quecksilber sind deshalb für die Zeit vor und ab 1970 nicht anzunehmen, zumal die Klägerin im direkten Ermittlungsgespräch gegenüber der Beklagten vom 22. Oktober 2019 und in ihren eigenen schriftlichen Darstellungen keine Arbeitsbedingungen geschildert hat, die vom Normalfall abweichen. Dies wird belegt durch die zusammenfassende Darstellung der Ermittlungsergebnisse und der Expositionsanalyse der Beklagten vom 25. Januar 2020.

Dass es konkret im Falle der Klägerin zur Überschreitung des heute geltenden Grenzwertes kam, ist nicht nachgewiesen. Messergebnisse aus den Zahnarztpraxen, in den die Klägerin ab 1965 tätig war, liegen nicht vor. Die Messungen können auch nicht nachgeholt werden. Die Zahnarztpraxen, in denen die Klägerin tätig war, sind größtenteils nicht mehr vorhanden oder bestehen an anderen Orten unter anderen räumlichen und bautechnischen Bedingungen fort. Abgesehen davon haben sich die Arbeitsbedingungen im Vergleich zu der Zeit ab 1965 deutlich verändert. Auch eine Ermittlung der damaligen konkreten Arbeitsbedingungen der Klägerin ist nicht mehr möglich. Arbeitgeber oder Kollegen, die hierzu genaue Angaben machen könnten, sind nicht vorhanden. Auch die nochmaligen Ermittlungen des Senates und Bemühungen der Klägerin führten zu keinem konkreteren Erkenntnisgewinn. Insofern geht der Einwand des Sachverständigen Dr. M, dass noch eine Begutachtung der Einwirkungen durch unabhängige Sachverständige erfolgen müsse, mangels Grundlagen für eine derartige Begutachtung ins Leere. Schließlich gibt es auch keine sonstigen Anhaltspunkte dafür, dass in den Zahnarztpraxen, in denen die Klägerin von 1970 tätig war, Arbeitsbedingungen vorherrschten, die nicht den damals üblichen Arbeitsbedingungen in Zahnarztpraxen entsprachen und Anhaltspunkte für ein Überschreiten des Grenzwertes vermitteln.

Nachvollziehbar sind für den Senat die Ausführungen des Präventionsdienstes der Beklagten vom 15. April 2020, dass auch eine Quantifizierung der dermalen Belastung oder gar eine Summation der dermalen und inhalativen Quecksilberaufnahme nicht möglich ist. Nach der TRGS 401 „Gefährdung durch Hautkontakt - Ermittlung, Beurteilung, Maßnahmen“ (Ausgabe: Juni 2008, zuletzt berichtigt GMBl 2011 S. 175), welche die Grundlage für die Gefährdungsermittlung bei Hautkontakt darstellt, wird keine Quantifizierung der dermalen Belastung gefordert, da unter anderem keine dermalen Arbeitsplatzgrenzwerte existieren. Die Beurteilung findet auf der Ebene einer Gefährdungskategorisierung statt - bezogen auf eine geringe, mittlere oder hohe Gefährdung. Der Umgang mit Quecksilber, wie er in Zahnarztpraxen in Deutschland in den 1960er Jahren üblich war, wird unter diesem Aspekt einer mittleren Gefährdung zugeordnet.

Der Nachweis einer Exposition gelingt auch nicht über den Biologischen Grenzwert für metallisches Quecksilber und anorganische Quecksilberverbindungen nach TRGS 903. Danach liegt der BGW bei 25 µg Quecksilber/g Kreatinin im Blut bei achtstündiger Beschäftigung und einer Lebensarbeitszeit von 40 Jahren, ohne dass gesundheitliche Schäden zu erwarten sind (Halsen, Wegscheider, Tätigkeiten mit Quecksilber in Zahnarztpraxen, in: Eickmann et. al, a.a.O., S. 430). Nach den Ausführungen des Sachverständigen L ergab die Bestimmung des Quecksilbers im Blut bei der Klägerin am 15. Mai 2011 lediglich 0,1 µg/l. Der Referenzbereich der Normalbevölkerung liegt bei maximal dem 20-Fachen. Bei der ein Jahr später erfolgten Quecksilberbestimmung im Harn am 14. Februar 2013 wurde eine Quecksilberkonzentration von unter 1 µg/l ermittelt. Damit lässt sich für die Jahre 2012 und 2013 eine Quecksilberbelastung, die gesundheitliche Schäden erwarten lässt, nicht nachweisen. Dies schließt zwar, wie der Sachverständige weiterhin zutreffend ausführt, grundsätzlich eine Quecksilberbelastung zum Zeitpunkt der Berufstätigkeit als Zahnarzthelferin ab 1965 nicht aus. Messergebnisse aus früheren Jahren standen nicht zur Verfügung.

Nach alledem gelangt der Senat nicht zu der Gewissheit, dass die Klägerin während ihrer Tätigkeit als Zahnarzthelferin schädigenden Quecksilberkonzentrationen ausgesetzt war.

Aufgrund des fehlenden Nachweises beruflich relevanter Einwirkungen kann der Senat offenlassen, ob die Klägerin an Erkrankungen leidet, die durch Quecksilber hervorgerufen werden können.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Gründe nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.