Gericht | FG Berlin-Brandenburg 9. Senat | Entscheidungsdatum | 13.12.2021 | |
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Aktenzeichen | 9 K 9159/18 | ECLI | ECLI:DE:FGBEBB:2021:1213.9K9159.18.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden der Klägerin auferlegt.
Die Beteiligten streiten um die Frage, ob der Beklagte die Klägerin als Geschäftsführerin einer B… S.L. wegen rückständiger Abgabenverbindlichkeiten betr. die Jahre 2006 bis 2008 in Höhe von insgesamt rund 238 000 EUR persönlich in Haftung nehmen kann.
Die B… S.L. wurde am 20. Mai 2004 in der Rechtsform einer „Sociedad (de Responsabilidad) Limitada“ (= S.L.) beim Handelsregister von C… (Spanien) als Kapitalgesellschaft registriert. Ihr Nominalkapital betrug 3 010 EUR. Ihren statuarischen Sitz nahm die Gesellschaft unter der Anschrift D…, E…. Unter der gleichen Adresse unterhielt die Kanzlei von Steuerberatern und Rechtsanwälten „F…“ ihr „Office G…“. Direktoren der Kanzlei F… waren Herr H… und Frau I…. Die Kanzlei übernahm in der Folgezeit Beratungsaufgaben für die B… S.L.. Zu einem späteren Zeitpunkt wurde der statuarische Sitz der B… S.L. nach J…, K…, verlegt (Bl. 000022 Haftungsakte). Ihr Geschäftskonto unterhielt die B… S.L. in Spanien bei der Filiale G… der L… Bank AG.
Ausweislich einer späteren Auskunft des Bundeszentralamtes für Steuern – Informationszentrale Ausland (Beiakte Haftung, Bl. 0007) erzielte die B… S.L. in den Jahren 2004 und 2005 keine Umsätze. Als Geschäftsführerin fungierte zunächst eine „M… SL“; ab dem 14. November 2005 wurde diese durch Herrn N… abgelöst. Alleingesellschafter der B… S.L. war zu dieser Zeit der 1943 geborene Herr O…, der damalige Lebensgefährte und spätere Ehemann der Klägerin. Unternehmensgegenstand der B… S.L. war die Vermittlung von Gewerbeimmobilien und Grundstücken sowie die Überlassung eines Arbeitnehmers (Herr O…) an die P… GmbH & Co. KG.
Die 1964 geborene Klägerin war zu Beginn des streitgegenständlichen Zeitraums in Q… wohnhaft. Sie hat einen im Februar 1999 geborenen Sohn namens R…, der in dem hier streitgegenständlichen Zeitraum durchgängig eine Schule besuchte. Im Zeitraum Februar 2003 bis März 2006 war die Klägerin in der Geschäftsleitung einer S… GmbH tätig. Dort verwaltete sie einen Wohnungsbestand von 6.500 Einheiten sowie 72 Gewerbeeinheiten. Das Unternehmen beschäftigte insgesamt 43 Angestellte und unterhielt sieben Außenbüros. In den Jahren 2006 bis 2008 betrieb die Klägerin außerdem in T… (Bundesland Saarland) einzelunternehmerisch eine Boutique „U…“ und in den Jahren 2007 bis 2009 in V… ebenfalls einzelunternehmerisch eine Boutique „W…“ (vgl. Bericht der Steuerfahndungsstelle des Beklagten vom 30. Mai 2012 über die steuerlichen Feststellungen bei der Klägerin betr. die Jahre 2006 bis 2009). Im Jahr 2001 war über das Vermögen der Klägerin ein Insolvenzverfahren eröffnet worden (Az.: …/01 des Amtsgerichts V…). Mit Beschluss des Insolvenzgerichts vom 24. Januar 2008 wurde der Klägerin Restschuldbefreiung erteilt.
Die Klägerin war ferner ab dem 1. Dezember 2004 als eine von vier Personen als Prokuristin der X… GmbH mit Sitz in Y… eingetragen (Handelsregister B des Amtsgerichts Z…, HRB …). Die X… GmbH war einzige persönlich haftende Gesellschafterin der W… GmbH & Co. KG mit Sitz in V…; einzige Prokuristin dieser KG war die Klägerin (Handelsregister des Amtsgerichts V…, HRA …). Mit Vertrag vom 18. Mai 2006 erwarb die B… S.L. den einzigen Kommanditanteil an der W… GmbH & Co. KG von dem bisherigen Kommanditisten AA….
Zum 1. Juli 2006 ging die Klägerin ein Arbeitsverhältnis mit der P… GmbH & Co. KG ein. Die Klägerin wurde als Büroleiterin angestellt. Als regelmäßige Arbeitszeit wurde „von Montag bis Freitag“ bei einer Wochenarbeitszeit von 30 Stunden vereinbart, als Arbeitsort „AB… / T…“. Die P… GmbH & Co. KG wurde bei Abschluss des Arbeitsvertrags von Herrn O… vertreten.
Am 15. Juli 2006 schlossen die P… GmbH & Co. KG (vertreten durch Herrn O…) als Auftraggeberin und die B… S.L., vertreten durch die (damals noch nicht als vertretungsbefugt registrierte) Klägerin, als Auftragnehmerin einen Vertrag, durch den die B… S.L. unter anderem mit der Vermittlung von Gewerbeimmobilien zum Ankauf durch eine AC… Group, AD…, sowie mit der „Beratung im Bereich Kaufverträge und Mietverträge, Wertgutachten“ betraut wurde. Das Vertragsverhältnis sollte im Dezember 2006 beginnen und nach Ablauf von 5 Jahren enden. Als Gegenleistung sollte der Auftraggeber einen monatlichen „Unkostenbeitrag“ von pauschal 3 000 EUR an die B… S.L. zahlen; dieser Betrag sollte sich alle 12 Monate um 10 % erhöhen. Durch Änderungsvertrag vom 1. Oktober 2007 – wiederum abgeschlossen von Herrn O… für die P… GmbH & Co. KG und von der Klägerin für die B… S.L. – wurde der monatliche „Unkostenbeitrag“ auf 3 500 EUR erhöht.
Am 13. September 2006 übernahm die Klägerin als Treuhänderin von ihrem Lebensgefährten O… als Treugeber sämtliche Geschäftsanteile an der B… S.L.. Durch Gesellschafterbeschluss vom gleichen Tag wurde der bisherige Geschäftsführer N… abberufen und stattdessen die Klägerin zur alleinigen Geschäftsführerin der B… S.L. bestellt. Als solche wurde die Klägerin sodann am 22. Februar 2007 im spanischen Handelsregister eingetragen (vgl. Registerauszug, Bl. 77 - 79 d. A.).
Am 1. Oktober 2006 wurde die Klägerin auch zur alleinigen Geschäftsführerin der X… GmbH bestellt (siehe das Protokoll über die Gesellschafterversammlung der vorgenannten Gesellschaft vom 13. Juli 2007); sämtliche für diese Gesellschaft erteilten Prokuren erloschen. Jedenfalls am 13. Juli 2007 war die B… S.L. alleinige Gesellschafterin der X… GmbH.
In einem später gegen die P… GmbH & Co. KG geführten zivilgerichtlichen Verfahren (Amtsgericht AE…, Aktenzeichen 2 C 156/08) ließ die Klägerin unter anderem Folgendes vortragen (vgl. Schriftsatz der Kanzlei AF… vom 7. Juli 2008):
„Von Herrn O…, der Firma B… S.L. und von Frau A… wurde nach Gründung der [P… GmbH & Co. KG] im Jahr 2006, aufgrund entsprechender Vereinbarung mit dem damaligen Geschäftsführer Herrn AG…, für die [P… GmbH & Co. KG] das Büro in der „…“ AB…, AH…-straße komplett mit 5 Schreibtischanlagen, Besprechungstisch, ca. 20 Stühlen, (…) etc. eingerichtet.
(…)
Mit dem Geschäftsführer der [P… GmbH & Co. KG] Herrn AG… wurde vereinbart, dass die B… S.L. und die [X… GmbH] von der „…“ in der AH…-straße aus tätig werden sollten. Es war vereinbart worden, dass hier eine Nutzung der Büroräume durch die beiden vorbenannten Gesellschaften erfolgen kann. Nutzungsgebühren sollten von den beiden Gesellschaften nicht gezahlt werden, zumal hier keine zusätzlichen Räume benötigt wurden.“
Während der folgenden Monate erstellte die B… S.L. unter anderem folgende Rechnungen über Leistungen im Zusammenhang mit der Vermittlung von Geschäften über in Deutschland belegene Grundstücke:
- Rechnung vom 21. November 2006 über 67 700,00 EUR zuzüglich 10 832,00 EUR Umsatzsteuer an Herrn AI… in AJ… betr. „Vermittlung der Objekte …, … und …“ (Bl. 225 d. A.);
- Rechnung vom 28. November 2006 über 64 489,31 EUR (ohne Umsatzsteuerausweis) an Herrn AI… (siehe oben) betr. „Vermittlung der Objekte …, … und …“ (Bl. 224 d. A.);
- Rechnung vom 26. Januar 2007 über 120 000,00 EUR (ohne Umsatzsteuerausweis) an die P… GmbH & Co. KG in T… betr. „Vermittlung des Käufers … für das Objekt …“ (Bl. 232 d. A.);
- Rechnung vom 28. Januar 2007 über 21 610,69 EUR (ohne Umsatzsteuerausweis) an Herrn AI… (siehe oben) betr. „Vermittlung des Käufers für die Objekte … und …“ mit Zusatz „Der Betrag ist nicht mehrwertsteuerpflichtig gemäß § 13 UStG“ (Bl. 226 d. A.);
- Rechnung vom 28. Januar 2007 über 150 000,00 EUR (ohne Umsatzsteuerausweis) an die Fa. AK… in AL… betr. „Beratung und Vermittlung eines Käufers für das Objekt …““ mit Zusatz „Der Betrag ist nicht mehrwertsteuerpflichtig gemäß § 13 UStG“ (Bl. 229 d. A.);
- Rechnung vom 8. Februar 2007 über 11 106,00 EUR (ohne Umsatzsteuerausweis) an die Eigentümergemeinschaft AI…/AM… GmbH in AJ… betr. „Vermittlung des Objektes …“ (Bl. 227 d. A.);
- Rechnung vom 8. Februar 2007 über 16 390,00 EUR (ohne Umsatzsteuerausweis) an die Eigentümergemeinschaft AI…/AN…/AO…/AP… in AJ… betr. „Vermittlung des Objekts …“ (Bl. 228 d. A.);
- Rechnung vom 13. Juli 2007 über 45 000,00 EUR (ohne Umsatzsteuerausweis) gegenüber Rechtsanwalt AQ… in T… betr. „Objekt …“ (Bl. 231 d.A.).
Ferner stellte die B… S.L. der P… GmbH & Co. KG jeweils die „Unkostenpauschale“ von zunächst 3 000 EUR und später 3 500 EUR monatlich mit folgendem Rechnungstext in Rechnung:
„Hiermit berechnen wir Ihnen wie vereinbart zu einer monatlichen Pauschale von (…) EUR die von unserem Herrn O… erbrachten Leistungen in Ihrem Büro in AB…“
Am 20. August 2007 wurde der bisherige Berater der B… S.L., Herr Rechtsanwalt H…, neben der Klägerin als weiterer Geschäftsführer der B… S.L. im spanischen Handelsregister eingetragen (vgl. Bl. 000022 ff. Haftungsakte sowie Bl. 98 und 99 der Gerichtsakte in …).
Mit Vertrag vom 30. Oktober 2007 erwarb die B… S.L. einen Gesellschaftsanteil in Höhe von 12 750 EUR am Gesamtstammkapital in Höhe von 25 000 EUR einer neu gründeten AR… GmbH mit Sitz in V…. Vertreten wurde die B… S.L. bei diesem Vertrag durch die Klägerin. In den Jahren 2007 bis 2009 war Herr O… als Angestellter für diese Gesellschaft tätig und bezog ein vom Beklagten geschätztes monatliches Gehalt in Höhe von 2 000 EUR.
Die P… GmbH & Co. KG wurde nach einem Gesellschafterwechsel in „AS… GmbH & Co. KG“ umbenannt. Die AS… GmbH & Co. KG erklärte gegenüber der Klägerin die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. März 2008. Hintergrund der Kündigung war, dass die AS… GmbH & Co. KG der Klägerin betrügerische Handlungen zu ihrem (der AS… GmbH & Co. KG) Nachteil anlastete.
Um diese Vorwürfe zu entkräften, ließ die Klägerin später in dem oben genannten Zivilrechtsstreit (Amtsgericht AE…, Aktenzeichen 2 C 156/08) unter anderem Folgendes vortragen:
„Im Rahmen seines ganz persönlichen Feldzuges gegen Frau A… und Herrn O… versteift sich der Bevollmächtigte der [P… GmbH & Co. KG / AS… GmbH & Co. KG] darin, dass die Buchhalterin AT… hier relevante Unterlagen „beiseite“ schaffen wollte (…). Vielmehr war es so, dass eine Reihe von Personen und Firmen – z.B. Herr O…, die B… S.L., die W… GmbH & Co. KG – der selbständigen Buchhalterin Frau T… zur Erledigung der buchhalterischen Angelegenheiten im Eigentum der jeweiligen Auftraggeber stehende Ordner und Unterlagen übergeben hatten. (…)
All diese Unterlagen waren an die selbständige Buchhalterin T… zur Bearbeitung und Erfüllung der buchhalterischen Verpflichtungen übergeben worden und sind von [ihr] in das ihr von der [P… GmbH & Co. KG / AS… GmbH & Co. KG] überlassene Büro in der AH…-straße in AB…, der sog. „…“ verbracht worden.“
Nach der erfolgten Kündigung des Arbeitsverhältnisses richtete die Klägerin als Vertreterin der B… S.L. am 16. April folgende E-Mail (… .de) an diverse geschäftliche Kontaktadressen der B… S.L. (z.B. an Herrn AU…, corporate development, AB…, sowie an AV…, AW…):
„Wir haben uns neu orientiert und arbeiten künftig mit bonitätsstarken Investoren zusammen die auch tatsächlich nach wirtschaftlich nachvollziehbaren Kriterien Einkaufszentren, Wohn-, Gewerbe- und Büroobjekte sowie Altenpflegeheime kaufen.
Sie können davon ausgehen, dass die unqualifizierten Äußerungen der AC… Group jeder Grundlage entbehren und ein juristisches Nachspiel haben werden. (…)
Unsere neuen Kontaktdaten:
B… S.L., Q…, AX…-straße
Tel. …
Fax …
Wir hoffen auf eine angenehme und konstruktive Zusammenarbeit.“
Bei der Anschrift AX…-straße in Q… handelte es sich um die damalige Wohnanschrift der Klägerin.
Der Briefbogen der B… S.L. war in der Folgezeit wie folgt gestaltet (Beispiel: Schreiben vom 22. April 2008 an die AY…, AZ…): Unterhalb der Angabe der Anschrift des „G…, D…-straße, E… (C…)“ erfolgte die Angabe:
„Office Germany:
AX…-straße
Q…
Tel. …
Tel. …“
Es folgten ferner zwei Mobilfunknummern und zwei E-Mail-Adressen mit der Kennung „.de“.
Die B… S.L. wurde weder bei der Stadt V… noch beim Beklagten als Unternehmen gemeldet und reichte dementsprechend für die Jahre 2006 bis 2010 (zunächst) auch keine Steuererklärungen oder Steuervoranmeldungen beim Beklagten ein.
Der Beklagte nahm eine Mitteilung aus dem eigenen Hause vom 19. November 2007 über Beteiligungseinkünfte der B… S.L. im Jahr 2006 an der W… GmbH & Co. KG in Höhe von 18 739,73 EUR zum Anlass, die B… S.L. mit Schreiben vom 5. Dezember 2007 gemäß § 123 AO aufzufordern, bis zum 5. Februar 2008 einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten für an sie gerichtete Schriftstücke zu benennen. Die B… S.L. beziehe steuerpflichtige Einkünfte aufgrund ihrer Beteiligung an einer inländischen Personengesellschaft und unterliege damit der Besteuerung in Deutschland.
Mangels Reaktion der B… S.L. auf das vorgenannte Schreiben erließ der Beklagte am 26. Februar 2008 einen Schätzungsbescheid über Körperschaftsteuer 2006 in Höhe von 4 684 EUR, den er an die Geschäftsanschrift der B… S.L. versendete. In den „Erläuterungen“ zum vorgenannten Bescheid heißt es: „Das Finanzamt hat die Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 der Abgabenordnung geschätzt, weil Sie trotz Aufforderung bisher keine Steuererklärung abgegeben haben. Reichen Sie bitte Ihre Steuererklärung unverzüglich nach, denn die Schätzung befreit Sie nicht von Ihrer Erklärungspflicht. Trotz der Schätzung kann eine Steuerstraftat/Steuerordnungswidrigkeit vorliegen. In diesem Fall kann möglicherweise Straffreiheit/Bußgeldfreiheit erlangt werden, wenn eine Steuererklärung nachgereicht wird und die sich hieraus ergebenden Mehrsteuern fristgerecht entrichtet werden. ……“
Mangels Tilgung der fälligen Körperschaftsteuer 2006 durch die B… S.L. forderte der Beklagte die Klägerin unter ihrer Wohnanschrift in Q… mit Schreiben vom 9. September 2008 auf, bis zum 10. Oktober 2008 zur Frage einer eventuellen persönlichen Haftung als Geschäftsführerin (§ 191 Abs. 1 i.V.m. § 69 AO) für die rückständigen Abgabenverbindlichkeiten aufgrund des o. g. Körperschaftsteuerbescheids Stellung zu nehmen. Mangels Reaktion der Klägerin hierauf wiederholte der Beklagte seine schriftliche Anhörung mit Schreiben vom 14. Oktober 2008 unter erneuter Fristsetzung zum 12. November 2008. Als die Klägerin auch hierauf nicht reagierte, erließ der Beklagte am 26. November 2008 gegenüber der Klägerin einen Haftungsbescheid über 5 384,62 EUR. Gegen den Haftungsbescheid legte die Klägerin fristgerecht Einspruch ein. Zur Begründung führte sie aus, dass dem Beklagten inzwischen die Erklärung zur Einkünftefeststellung und der Jahresabschluss betr. die W… GmbH & Co. KG für 2006 vorlägen und die streitgegenständliche Körperschaftsteuerschuld der B… S.L. daher nicht mehr bestehe. Nachdem der Beklagte die Klägerin darauf verwiesen hatte, dass die Einkünftefeststellung für 2006 aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht mehr änderbar sei, nahm die Klägerin ihren Einspruch gegen den Haftungsbescheid mit Schreiben vom 14. Mai 2009 zurück. Außerdem tilgte die B… S.L. die in dem Bescheid vom 26. Februar 2008 für 2006 festgesetzte Körperschaftsteuer.
Mit Schreiben vom 24. Juli 2008 forderte der Beklagte die B… S.L. auf, eine Körperschaftsteuererklärung für das Streitjahr 2007 bei ihm einzureichen. Daraufhin übersandte die im Land Brandenburg ansässige Kanzlei AF… dem Beklagten mit Telefaxschreiben vom 5. September 2008 eine auf sie lautende Zustellungsvollmacht, die allein die Unterschrift von Rechtsanwalt H… aufweist. Mit weiterem Schreiben vom 12. September 2008 teilte die vorgenannte Kanzlei in der Person ihrer damaligen freien Mitarbeiterin Steuerberaterin BA… dem Beklagten Folgendes mit:
„Gemäß der vom Geschäftsführer der S.L., Herrn H…, uns zur Verfügung gestellten Unterlagen werden für die o. g. Gesellschaft Steuererklärungen in Spanien eingereicht. Die Gesellschaft verfügt in Deutschland über keine Betriebsstätte. …..“
Mit Schreiben vom 9. Dezember 2008 bat die Kanzlei AF… den Beklagten um Löschung der vorliegenden Zustellungsvollmacht. Weitere Briefe des Beklagten sollten nur noch direkt an die B… S.L. gerichtet werden.
Mit Schreiben vom 12. Dezember 2008 fordert der Beklagte die B… S.L. unter Berufung auf § 123 AO erneut auf, bis zum 6. Februar 2009 einen inländischen Postempfangsbevollmächtigten zu benennen. Zur Begründung führte er an, dass die B… S.L. inländische Einkünfte beziehe und mit diesen Einkünften in Deutschland steuerpflichtig sei. Mit Telefaxschreiben vom 25. Februar 2009 benannte die B… S.L. einen der Partner der Kanzlei AF…, Herrn Rechtsanwalt BB…, als inländischen Postempfangsbevollmächtigten.
Der Beklagte erneuerte daraufhin in einem Schreiben vom 10. September 2009, gerichtet an Rechtsanwalt BB…, seine Aufforderung, eine Körperschaftsteuererklärung der B… S.L. für 2007 einzureichen. Am 17. September 2009 schrieb Herr BB… unter dem Briefkopf der Kanzlei AF… an den Beklagten zurück:
„In vorbezeichneter Angelegenheit reichen wir Ihr Schreiben vom 10.09.2009 urschriftlich zurück. Der Unterzeichner hat sich wissentlich zu keinem Zeitpunkt als Steuerbevollmächtigter für die o. g. Firma bestellt. (…)“
Daraufhin löschte der Beklagte in seinen Grunddaten für die Besteuerung Herrn BB… als inländischen Postempfangsbevollmächtigten der B… S.L..
Stattdessen beantwortete der Geschäftsführer der B… S.L., Rechtsanwalt H…, die schriftliche Anfrage des Beklagten vom 10. September 2009 mit Schreiben vom 20. September 2009 wie folgt:
„Sehr geehrte Frau BC…,
die Firma B… S.L. hat uns Ihre Anfrage vom 10. September 2009 weitergeleitet. Wir betreuen die Firma (…) in Spanien rechtlich und steuerlich. Die Körperschaftsteuererklärung 2007 wurde von uns ordnungsgemäß hier eingereicht. In Deutschland verfügt die Firma über keine Betriebsstätte, soweit uns bekannt ist. Eventuell wird dieses in 2010 angestrebt und selbstverständlich werden wir dann entsprechende Anmeldungen vornehmen. Sollte weiterer Schriftverkehr erforderlich sein, richten Sie dies bitte direkt an den Unterzeichner. (…)
H… – …, C…) …, C…)“.
Die Klägerin selbst teilte dem Beklagten mit Schreiben vom 4. Oktober 2009 Folgendes mit:
„Sehr geehrte Frau BC…,
die Fa. B… S.L. verfügt nicht über eine deutsche Betriebsstätte. Sämtliche Unterlagen befinden sich im Büro des Geschäftsführers, Herrn H…, D…-straße, E… Spanien. Ihr Schreiben wurde dorthin weitergeleitet.“
Am 22. Oktober 2009 leitete die Steuerfahndungsstelle des Beklagten gegen die Klägerin ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Verkürzung von Körperschaft-, Gewerbe- und Umsatzsteuer 2006 und 2007 zugunsten der B… S.L. ein. Anlass hierfür war u. a. eine Anzeige der AS… GmbH & Co. KG, vertreten durch Rechtsanwalt BD… aus AB…, beim Finanzamt BE…. Im Rahmen der Ermittlungen wurde am 5. August 2010 das Einfamilienhaus der Klägerin und ihres Ehemannes O… in Q…, AX…-straße durchsucht, in dem sich sowohl die Wohnung als auch ein Büro der Klägerin befanden. Anlässlich der Durchsuchung wurde der Klägerin die Tatsache der Verfahrenseinleitung bekanntgegeben. Bei der Durchsuchung wurden zahlreiche die B… S.L. betreffende geschäftliche Dokumente aus den Jahren 2006 bis 2008 aufgefunden und von der Steuerfahndungsstelle des Beklagten beschlagnahmt; hierunter befanden sich z.B. betriebswirtschaftliche Auswertungen und Gewinnermittlungen sowie Abschriften der Rechnungen vom 21. und 28. November 2006, 26. und 28. Januar, 8. Februar sowie 13. Juli 2007 über grundstücksbezogene Vermittlungsleistungen der B… S.L..
Am 25. Februar 2011 ging ein weiteres Antwortschreiben der B… S.L. beim Beklagten ein. Darin ist die vordruckmäßig vorgegebene Antwort angekreuzt: „Wir haben die angeforderte Steuererklärung bei Ihnen nicht abgegeben, weil wir zur Abgabe der angeforderten Steuererklärung nicht verpflichtet sind.“ Handschriftlich wurde ausgeführt: „Die Steuererklärungen (Quartal u. Jahresabschluss) werden jeweils bei dem für uns zuständigen spanischen Finanzamt eingereicht und die festgesetzten Steuern bezahlt. Seit Ende 2008 ruht der Geschäftsbetrieb der Gesellschaft, die zum 1.6.2011 liquidiert wird“.
Mit Verfügung der Steuerfahndungsstelle vom 10. Februar 2012 wurden die Ermittlungen um die Veranlagungszeiträume 2008 und 2009 erweitert. Die Ermittlungsergebnisse mündeten in einen Steuerfahndungsbericht vom 30. Mai 2012 sowie in einen „Steuerstrafrechtlichen Bericht“ der Steuerfahndungsstelle vom 9. Juli 2018.
Nach Ansicht des Steuerfahndungsprüfers hatte die B… S.L. im Jahr 2009 in Deutschland keinerlei Betriebseinnahmen erzielt. In den Streitjahren 2006 bis 2008 sei die B… S.L. hingegen in Deutschland aufgrund ihres dortigen Ortes der Geschäftsleitung unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig gewesen und habe inländische Betriebseinnahmen aus folgenden Quellen erzielt:
- Einnahmen aus Gewerbebetrieb in den Jahren 2006 und 2007 als Kommanditistin der W… GmbH & Co. KG mit Sitz in V… (Beteiligung: 100 v. H.);
- Provisionseinnahmen in allen drei Streitjahren aus der Vermittlung von Grundstücksgeschäften hinsichtlich in Deutschland belegener Immobilien;
- Einnahmen in allen drei Streitjahren aus den von Herrn O… gegenüber der P… GmbH & Co. KG / AS… GmbH & Co. KG erbrachten und monatlich abgerechneten Dienstleistungen (alle ohne Umsatzsteuerausweis mit Zusatz „Gemäß § 13 (1) UStG trägt die Steuerschuld der Leistungsempfänger“).
Die letztgenannten von der B… S.L. erbrachten monatlichen Leistungen (Gestellung von Personal) seien sonstige Leistungen im Sinne des § 3 Abs. 9 Umsatzsteuergesetz (UStG). Der Ort der sonstigen Leistungen sei nach § 3a Abs. 4 Nr. 7 i. V. m. § 3a Abs. 3 Satz 1 UStG der Ort, wo der Empfänger der sonstigen Leistung sein Unternehmen betreibe; er liege folglich im Inland. Die Leistungen seien daher nach § 1 Abs. 1 UStG steuerbar. Die von der B… S.L. vereinnahmten Provisionszahlungen würden ausnahmslos im Zusammenhang mit inländischen Grundstücksveräußerungen und -erwerben stehen und seien daher nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG i. V. m. § 3 Abs. 9 und § 3a Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b UStG steuerbar. Steuerbefreiungen seien nicht ersichtlich, so dass die erbrachten Leistungen auch steuerpflichtig seien.
Ein Übergang der Steuerschuldnerschaft auf die Leistungsempfänger im Sinne von § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG komme nicht in Betracht, da der leistende Unternehmer nicht im Ausland ansässig sei. Nur wenn sich der Sitz und die Geschäftsleitung nicht im Inland befänden, gelte ein Unternehmer als im Ausland ansässig (§ 13b Abs. 4 Satz 1 UStG 2006 - 2008). Tatsächlich befinde sich die Geschäftsleitung der B… S.L. aber im Inland.
Im Rahmen der Umsatzsteuerfestsetzungen für die Prüfungsjahre würden Vorsteuerabzugsbeträge nicht berücksichtigt. Insoweit werde zur Begründung auf den BFH-Beschluss vom 31. Juli 2007 – V B 156/06, Sammlung der Entscheidungen des BFH – BFH/NV – 2008, 416 verwiesen.
Einkünfte aus Gewerbebetrieb der B… S.L. lt. Steuerfahndungsbericht:
2006 | 2007 | 2008 | |
P… GmbH & Co. KG und AS… GmbH & Co. KG | |||
Unkostenbeitrag: 7 x 3 000,00 EUR | 21 000,00 EUR | ||
„ : 9 x 3 000,00 EUR | 27 000,00 EUR | ||
„ : 3 x 3500,00 EUR | 10 500,00 EUR | 10 500,00 EUR | |
1%- Regel Kfz | 3 500,00 EUR | 6 000,00 EUR | 1 500,00 EUR |
Kostenübernahme | 210,02 EUR | ||
Weiterberechnung an O… | ./. 24 500,00 EUR ./. 43 500,00 EUR ./. 12 210,02 EUR | ||
Provisionsrechnungen | 78 532,00 EUR | 321 578,95 EUR | |
W… GmbH & Co. KG | |||
Gewinnbeteiligung | 18 739,73 EUR | 5 000,00 EUR | |
Summe: | 97 271 73 EUR | 326 578,95 EUR | 0,00 EUR |
Anhand der Ausführungen im Steuerfahndungsbericht vom 30. Mai 2012 erließ der Beklagte am 18. September 2012 gegenüber der B… S.L. entsprechende Bescheide. Darin setzte der Beklagte Umsatzsteuer für 2006 im Betrag von 14 211,20 EUR fest (Lieferungen und sonstige Leistungen zu 16 %: 88 820 EUR; Vorsteuer: 0 EUR); für 2007 wurde ein Betrag von 69 364,82 EUR festgesetzt (Lieferungen und sonstige Leistungen zu 16 %: 365 078 EUR; Vorsteuer: 0 EUR) und für 2008 ein solcher von 2 319 EUR (Lieferungen und sonstige Leistungen zu 16 %: 12 210 EUR; Vorsteuer: 0 EUR). Die Körperschaftsteuer für 2007 setzte der Beklagte auf der Grundlage eines zu versteuernden Einkommens von 326 578 EUR auf 81 644 EUR fest, den Solidaritätszuschlag hierzu auf 4 490,42 EUR und Zinsen zur Körperschaftsteuer auf 14 728 EUR.
Die B… S.L. erhob gegen die vorgenannten Umsatz- und Körperschaftsteuerbescheide Einspruch und reichte am 18. Dezember 2012 sog. „Nullerklärungen“ zur Körperschaft-, Gewerbe- und Umsatzsteuer der Jahre 2006 bis 2010 bei Beklagten ein. Für die Jahre 2011 bis 2013 reichte die B… S.L. Körperschaftsteuererklärungen ein, die jeweils Betriebseinnahmen von 0 EUR und Betriebsergebnisse von 113 EUR (2011), ./. 89 996,72 EUR (2012) bzw. ./. 158 992 EUR (2013) berücksichtigten. Die negativen Betriebsergebnisse beruhten dabei allein auf Rückstellungen für Zahlungsverpflichtungen gegenüber der Stadt V… wegen Gewerbesteuer für 2006 und 2007 nebst Zinsen und Säumniszuschlägen. Der Beklagte folgte den Körperschaftsteuererklärungen für die Jahre 2009 bis 2013 und setzte die Körperschaftsteuer jeweils auf 0 EUR fest.
Den Einspruch gegen die Bescheide vom 18. September 2012 wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 18. Juni 2014 als unbegründet zurück: Die daraufhin erhobene Klage zum Aktenzeichen … wies das Finanzgericht (FG) Berlin-Brandenburg mit Urteil vom 23. August 2017 ab. Die anschließend erhobene Nichtzulassungsbeschwerde wurde vom BFH mit Beschluss vom 21. März 2018 – I B 101/17 als unbegründet zurückgewiesen.
In dem Urteil des FG heißt es u.a.:
„Der Beklagte ist zutreffend von einer unbeschränkten Steuerpflicht der Klägerin ausgegangen. Nach den dem Gericht vorliegenden Unterlagen und aufgrund der unzureichenden Mitwirkung durch die Klägerin stellen sich die angefochtenen Bescheide als rechtmäßig dar. Zwar trifft die Finanzbehörde für steuererhöhende Tatsachen grundsätzlich die Feststellungslast und dies gilt im Besonderen für die Feststellung der Steuerpflicht. Jedoch liegen ausreichende Unterlagen vor, die zu einer Umkehr der Beweislast führen. Dies gilt im Besonderen dann, wenn der Sachverhalt nur unter Mitwirkung der Steuerpflichtigen ermittelt werden kann und die Ermittlungen aufgrund des Auslandssachverhaltes erschwert sind. Dabei trifft die Klägerin nach § 90 Abs. 2 AO aufgrund des hier vorliegenden Sachverhaltes mit Auslandsbezug eine erhöhte Mitwirkungspflicht (…).
Vor diesem Hintergrund ist es der Klägerin nicht gelungen, das Gericht davon zu überzeugen, dass die Geschäftsleitung in Spanien und nicht in Deutschland gewesen ist. Die Klägerin ist in den Streitjahren als unbeschränkt steuerpflichtig zu behandeln.
Nach § 1 Körperschaftsteuergesetz – KStG – sind Kapitalgesellschaften, die ihre Geschäftsleitung oder ihren Sitz im Inland haben, unbeschränkt steuerpflichtig. Die Geschäftsleitung ist nach § 10 AO dort, wo der Mittelpunkt der geschäftlichen Tätigkeit ist bzw. wo sich nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse abhängig von der Struktur und Art des Unternehmens in organisatorischer und wirtschaftlicher Hinsicht die wichtigste Stelle befindet, an der dauernd die für die laufende Geschäftsführung nötigen Maßnahmen von einiger Wichtigkeit angeordnet werden. Bei einer Körperschaft ist das regelmäßig dort, wo die zur Vertretung befugten Personen die ihnen obliegende laufende Geschäftstätigkeit entfalten (…).
Vor diesem Hintergrund durfte der Beklagte davon ausgehen, dass die Geschäftsleitung im Inland war. Dafür spricht, dass nicht dargelegt wurde, dass in Spanien eine Tätigkeit entfaltet wurde, sondern die angezeigte Geschäftstätigkeit – nachgewiesen durch die bei der Durchsuchung aufgefundenen Rechnungen – im Inland ausgeübt wurde. Zwar ergeben die nun eingereichten spanischen Handelsregisterauszüge, dass sowohl Herr H… als auch Frau A… bzw. vorher Herr BF… als Geschäftsführer registriert worden sind. Jedoch ist die Klägerin den Nachweis schuldig geblieben, wer die Geschäftsführung tatsächlich ausgeübt hat und ob die Einschaltung des Herrn H… lediglich pro forma vorgenommen wurde. Denn auffällig ist, dass Frau A… bereits im Dezember 2006 mit dem Finanzamt BG… korrespondiert hat und aufgrund der Dauer der Briefübermittlung davon auszugehen ist, dass der Brief im Inland aufgegeben worden ist. Dieser Umstand spricht dafür, dass Frau A… bereits vor ihrer förmlichen Bestellung – auch im Inland – tragende organisatorische Aufgaben übernommen hat. Daneben ist der Ehemann Herr O… ebenfalls für die Klägerin im Jahr 2007 aufgetreten. Dies – ebenso wie die Rechnungen über von Herrn O… erbrachte Leistungen – weist darauf hin, dass Herr O… ebenfalls für die Klägerin gearbeitet hat. Der Umfang und die Art der Tätigkeit sind zwar nicht bekannt, dies ist aber der Klägerin anzulasten, die bisher nicht zur Aufklärung beigetragen hat. Vielmehr hat sie lediglich verneint, dass Herr O…, der Rentner sei, für die Klägerin gegen Entgelt tätig geworden sei. Sie hat aber nicht erklärt, wofür dann die Rechnungen, die offensichtlich auch bezahlt worden sind, gestellt wurden. Vielmehr spricht der Umstand, wonach über das Vermögen des Herrn O… das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, dass die Intention bestanden haben könnte, Einkünfte vor etwaigen Gläubigern zu verschleiern. Dass Herr O… seine Leistungen für die Klägerin unentgeltlich erbracht haben soll, erscheint vor diesem Hintergrund nicht glaubwürdig und lässt allenfalls die Vermutung aufkommen, die Leistungen könnten auch verdeckte Einlagen in das Vermögen der Klägerin gewesen sein, weil die Anteile den Eheleuten O… zuzurechnen sein könnten. Indes hat die Klägerin nicht einmal im Ansatz dazu beigetragen, den Sachverhalt insoweit zu erhellen.
(…)
Vor diesem Hintergrund konnte das Gericht nicht die Überzeugung gewinnen, dass der Sitz der Klägerin in Spanien gewesen ist. Vielmehr sprechen die vorgenannten Umstände ebenso wie die Tatsache, dass maßgeblicher Schriftverkehr der Klägerin bei der Durchsuchung von Räumen in Deutschland bei den Eheleuten O… aufgefunden wurde dafür, dass die Kanzlei H… vielmehr als Servicegesellschaft zwischengeschaltet worden sein könnte. Dafür spricht zudem, dass Herr H… im Schreiben vom 2. September 2008 unter dem Briefbogen einer Steuerberater- und Rechtsanwaltskanzlei aufgetreten ist, deren Anschrift der der Klägerin (….) entspricht. Auch dem Wortlaut der im Termin zur mündlichen Verhandlung vorgelegten Schreiben des Herrn H… deutet eher darauf hin, dass sich die Kanzlei bzw. der Vertreter Herr H… nicht als Organ der Klägerin sah, sondern für diese die rechtliche und steuerliche Beratung vorgenommen hat.
Dabei übersieht das Gericht nicht, dass die Klägerin Spanien offiziell registriert und wohl auch in Spanien steuerlich erfasst gewesen sein dürfte. Darauf kommt es jedoch nicht an. Denn entscheidend für die Annahme einer Besteuerung im Inland ist, wo die tatsächliche Geschäftsleitung und nicht nur die steuerliche Beratung stattgefunden hat. Im Übrigen kann eine Besteuerung im Inland nicht vermieden werden, wenn sich der Steuerpflichtige das Land aussucht, wo er steuerlich erfasst sein will. Selbst wenn dies nicht mit einer Steuerersparnis einhergehen sollte, dürfen im Übrigen auch etwaige außersteuerliche Gründe, wie z. B. die Verschleierung von Vermögen, nicht die Möglichkeit eröffnen, sich den Ort und die Art der Besteuerung auszusuchen.
Die unzureichende Mitwirkung im Besteuerungs- aber auch Klageverfahren geht zu Lasten der Klägerin. Denn sie hat nicht nachvollziehbar nachgewiesen und durch aussagekräftige Unterlagen belegt, welche Tätigkeiten ausgeübt wurden, wer die Geschäfte tatsächlich geführt hat, wer für die Klägerin tätig geworden ist und sie hat zudem nicht die oben aufgezeigten Widersprüche durch einen substantiierten Vortrag ausgeräumt.
(…)
Die nun eingereichten Handelsregisterauszüge, insbesondere der aus dem Jahr 2015 wirft weiterhin die Frage auf, warum seit 2005 keine Bilanz mehr eingereicht worden sein soll und der in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Auszug trägt hinsichtlich der Frage der Geschäftsführung zur weiteren Verwirrung bei. Andererseits liegen Rechnungen vor, die eine Tätigkeit im Inland belegen, und auch die weiteren Umstände lassen davon ausgehen, dass sich die Geschäftsleitung im Inland befunden hat.“
Mit Verfügung vom 4. September 2018 stellte die Staatsanwaltschaft V… die Ermittlungen bezüglich aller strafrechtlicher Vorwürfe mit Ausnahme der Verkürzung von Körperschaft- und Umsatzsteuer 2007 zugunsten der B… S.L. teils wegen Geringfügigkeit und teils wegen möglicherweise bereits eingetretener Verjährung ein.
Wegen Verkürzung von Körperschaft- und Umsatzsteuer 2007 zugunsten der B… S.L. in Höhe von insgesamt 145 543,00 EUR erließ das Amtsgericht V… auf Antrag der Staatsanwaltschaft V… am 15. Oktober 2018 einen Strafbefehl gegenüber der Klägerin (Az.: …). Es wurde eine Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten festgesetzt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Gleichzeitig wurde unter Berufung auf § 73 des Strafgesetzbuches die Einziehung von 145 543,00 EUR als von der B… S.L. erlangtem Vermögensvorteil angeordnet. Die Klägerin legte gegen den Strafbefehl fristgerecht Einspruch ein. Das Strafverfahren ist noch beim Amtsgericht V… anhängig.
Nach vorangegangener schriftlicher Anhörung (Schreiben vom 14. Oktober 2013) erließ der Beklagte am 28. April 2014 gegenüber der Klägerin unter Berufung auf § 69 AO i. V. m. § 34 Abs. 1 AO einen Haftungsbescheid über insgesamt 238 012, 34 EUR. Der Betrag setzt sich wie folgt zusammen:
Steuerart: | Fälligkeit: | Betrag: | Säumniszuschläge hierzu: |
USt 2006 | 22.10.2012 | 14 211,20 EUR | 2 556,00 EUR |
Zinsen hierzu | 22.10.2012 | 3 763,00 EUR | |
USt 2007 | 22.10.2012 | 69 364,82 EUR | 12 483,00 EUR |
Zinsen hierzu | 22.10.2012 | 14 216,00 EUR | |
USt 2008 | 22.10.2012 | 2 319,00 EUR | 414,00 EUR |
Zinsen hierzu | 22.10.2012 | 333,00 EUR | |
KSt 2007 | 22.10.2012 | 81 644,00 EUR | 14 688,00 EUR |
Zinsen hierzu | 22.10.2012 | 16 728,00 EUR | |
SolZ KSt 2007 | 22.10.2012 | 4 490,42 EUR | 801,00 EUR |
Die Zinsen laut Haftungsbescheid korrespondieren zu den Zinsfestsetzungen in den Steuerbescheiden des Beklagten vom 18. September 2012. Die Säumniszuschläge entsprechen den nach den Berechnungen des Beklagten von der B… S.L. bis zum 28. April 2014 (dem Zeitpunkt des Erlasses des Haftungsbescheids) verwirkten Säumniszuschlägen.
Zur Begründung der Haftungsinanspruchnahme führte der Beklagte aus, die Klägerin habe zumindest grob fahrlässig folgende Pflichtverletzungen begangen:
- Nichteinreichung von Steuererklärungen betr. USt 2006 – 2008 sowie KSt 2007;
- Nichttilgung der sich bei Erfüllung der Steuererklärungspflichten ergebenden Steuerzahlbeträge im Zeitpunkt ihrer (fiktiven) Fälligkeiten.
Bei der Beurteilung, in welcher Höhe die vorgenannten Pflichtverletzungen für den beim deutschen Fiskus eingetretenen Schaden ursächlich seien, sei auf die wirtschaftlichen Verhältnisse der B… S.L. im Haftungszeitraum abzustellen. Mit Schreiben vom 14. Oktober 2013 habe er, der Beklagte, der Klägerin mitgeteilt, dass der Haftungszeitraum grundsätzlich mit dem Tag der ältesten rückständigen Forderung, vorliegend somit am 22. Oktober 2012, beginne. Im hiesigen Fall sei der Beginn des Haftungszeitraums jedoch auf den 30. Juni 2007 (dem gesetzlichen Abgabetermin für die Umsatzsteuererklärung 2006) zurückzuverlegen, da die Haftungsinanspruchnahme an die Tatsache der Nichteinreichung der Steuererklärungen 2006 anknüpfe. Der Haftungszeitraum ende mit dem Tag des Erlassens des Haftungsbescheids. Unter Hinweis auf ihre Auskunftspflicht nach § 90 Abs. 1 AO habe er, der Beklagte, die Klägerin um eine Stellungnahme zur wirtschaftlichen Entwicklung der B… S.L. im Haftungszeitraum und um entsprechende Angaben in einem beigefügten Berechnungsbogen zur Ermittlung des Haftungsbetrags nach dem Prinzip der gleichmäßigen anteiligen Tilgung aller Gläubigerforderungen gebeten. Da die Klägerin auf dieses Schreiben nicht reagiert habe, sei davon auszugehen, dass die B… S.L. im Haftungszeitraum finanziell in der Lage gewesen sei, die streitgegenständlichen Steuerrückstände vollständig zu tilgen.
Hierfür spreche auch der Inhalt eines Kontoauszugs der L… Bank AG, Filiale in …, vom 20. August 2007 zum Geschäftskonto der B… S.L., welcher ein Guthaben in Höhe von 245 813,36 EUR ausweise. Des Weiteren sei der steuerliche Vertreter der B… S.L. im Haftungszeitraum kontinuierlich für das Unternehmen tätig gewesen, was auf vorhandene Liquidität schließen lasse. Eine Einstellung des Geschäftsbetriebs der B… S.L. sei bis heute nicht mitgeteilt worden.
Die Haftungsinanspruchnahme erfolge innerhalb der nach § 5 AO zu beachtenden Ermessensgrenzen. Beitreibungsmöglichkeiten gegenüber der B… S.L. selbst bestünden nicht. Weitere Personen und Gesellschaften würden nicht in Anspruch genommen, da es hierfür keine Anhaltspunkte gebe.
Die Klägerin legte gegen den Haftungsbescheid fristgerecht Einspruch ein. Zu dessen Begründung machte sie im Wesentlichen geltend, ihr sei nicht bewusst gewesen, dass sie in Deutschland Steuererklärungen für die B… S.L. habe abgeben müssen. Ebenfalls sei ihr nicht bekannt gewesen, dass die von der B… S.L. erbrachten Leistungen der deutschen Umsatzsteuer unterliegen würden. In beiden Punkten hätten keine absichtlichen Pflichtverletzungen vorgelegen. Sie sei in Spanien steuerlich beraten worden. Auch dem spanischen Steuerberater sei nicht bewusst gewesen, dass in Deutschland Steuererklärungen abzugeben gewesen seien. Das spanische Finanzamt habe den Sitz der B… S.L. in Spanien nicht in Zweifel gezogen. Die B… S.L. habe im entsprechenden Zeitraum in Spanien Steuererklärungen abgegeben und nicht unerhebliche Steuern bezahlt. Auch ihren sonstigen Verpflichtungen sei sie (die Klägerin) zeitnah nachgekommen. Damit könne nicht von einer schuldhaft begangenen Erklärungs- oder Zahlungspflichtverletzung ausgegangen werden. Die B… S.L. sei nicht vermögenslos. Es bestünden Forderungen gegenüber Rechnungsempfängern. Die Forderungen würden zurzeit mit Hilfe eines Rechtsanwaltes durchgesetzt. In Spanien sei auch keine Bevorzugung anderer Gläubiger bei der Tilgung von Verbindlichkeiten durch die B… S.L. erfolgt. Es habe somit die Berechnung einer Haftungsquote zu erfolgen.
Mittels Einspruchsentscheidung vom 28. August 2018 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, dass die Klägerin als Geschäftsführerin der B… S.L. die dem Unternehmen obliegenden Erklärungs- und Zahlungspflichten in grobem Maße verletzt habe. Diese Pflichten seien ihr aufgrund ihrer langjährigen Geschäftsführerinnentätigkeit für verschiedene Unternehmen in Deutschland (z. B. W… GmbH & Co. KG und X… GmbH) bekannt.
Eine GmbH-Geschäftsführerin müsse sich bereits bei der Übernahme ihres Amtes zunächst in eigener Person die notwendigen steuerlichen und handelsrechtlichen Kenntnisse verschaffen und entsprechende Informationen einholen (Hinweis auf Beschluss des Bundesfinanzhofs – BFH - vom 13. Februar 1996 – VII B 245/95, BFH/NV 1996, 657). Dies treffe insbesondere im vorliegenden Fall zu, wenn sich aufgrund der Tätigkeit in Deutschland die Möglichkeit der Existenz steuerrechtlicher Erklärungs- und Zahlungspflichten aufdränge.
Auch der Vortrag, dass das Finanzamt in Spanien den Sitz der B… S.L. in Spanien nie in Zweifel gezogen habe, sei bereits deshalb unerheblich, weil diese Prüfung in jedem Staat gesondert zu erfolgen habe. Zudem sei nicht vorgetragen worden, dass dem spanischen Finanzamt Anhaltspunkte dafür vorgelegen hätten, dass die B… S.L. geschäftliche Aktivitäten in Deutschland entfaltet habe.
Darüber hinaus habe es die B… S.L. – auch im Rahmen des Klageverfahrens … beim FG Berlin-Brandenburg – nicht vermocht, die bereits mindestens seit 2015 angekündigten Nachweise über die tatsächliche steuerliche Veranlagung des Unternehmens in Spanien zu erbringen.
Hinsichtlich des Grundes und der Höhe der streitgegenständlichen Abgabenverbindlichkeiten werde auf den Inhalt des inzwischen rechtskräftigen Urteils des FG Berlin-Brandenburg vom 23. August 2017 – … Bezug genommen.
Die Haftungsinanspruchnahme erfolge auch innerhalb der nach § 5 AO zu beachtenden Ermessensgrenzen. Beitreibungsmöglichkeiten zur Einziehung der Forderungen gegenüber der B… S.L. bestünden nicht. Die Aussichtslosigkeit der Vollstreckung beruhe darauf, dass es sich um eine inaktive Gesellschaft ohne Firmenschild und Telefonanschluss in Spanien handele und eine Pfändung in das spanische Bankkonto des Unternehmens mangels gesetzlicher Ermächtigungsgrundlage nicht habe erfolgen können.
Daraufhin hat die Klägerin Klage erhoben.
Sie trägt vor, der Haftungsbescheid sei aufzuheben. Der Beklagte habe nicht berücksichtigt, dass sie (die Klägerin) nicht die alleinige Geschäftsführerin der B… S.L. gewesen sei. Sie sei nur für die Abwicklung der Geschäfte in Deutschland zuständig gewesen. Die kaufmännische Leitung der Gesellschaft sei am Ort der Gesellschaft in Spanien erfolgt. Ab dem 20. August 2007 sei Herr H… Mitgeschäftsführer der B… S.L. gewesen. Er sei gesellschaftsintern für die Erfüllung der steuerlichen Pflichten der Gesellschaft zuständig gewesen und habe diese Aufgabe über einen längeren Zeitraum hinweg zu ihrer, der Klägerin, vollsten Zufriedenheit bewältigt. Der angefochtene Haftungsbescheid sei ermessensfehlerhaft, weil eine Haftungsinanspruchnahme von Herrn H… vom Beklagten nicht geprüft worden sei. Herr H… habe nach seiner Schulzeit in Deutschland ein Hochschulstudium absolviert und mit dem Abschluss „Diplom-Kaufmann“ beendet. Deshalb habe er auch Kenntnisse vom deutschen Steuerrecht gehabt (Beweis: Zeugnis von Herrn H…).
Der gesamte kaufmännische Aufwand wie Postzustellung, Rechnungserstellung, Zahlungsverkehr, Kontoüberwachung, Buchhaltung und Steuerberatung sei von dem Mitgeschäftsführer H… in dem Büro D…-straße durchgeführt worden. In den Jahren 2006 bis 2008 und Anfang 2009 seien das Büro von Herrn H… und der dazugehörige Briefkasten entsprechend gekennzeichnet gewesen. Danach sei die Vermittlungsstätigkeit eingestellt und später auch die Anschrift entfernt worden. Die Postzustellung sei weiterhin durch Absprache mit den Postzustellern sichergestellt worden. Bei regelmäßig mit Herrn H… geführten Telefonaten und einigen persönlichen Besuchen von ihr, der Klägerin, bei ihm seien ggf. Rechnungsstornierungen, Geldeingänge und steuerliche Erledigungen abgesprochen worden.
In einem späteren Schriftsatz trägt die Klägerin vor, Herr H… sei vereinbarungsgemäß „für das operative Geschäft“ der B… S.L. verantwortlich gewesen; eine Pflichtverletzung müsse allein ihm angelastet werden, da er aufgrund seiner Stellung und dem Berufsstand für die hier angesprochenen Themen verantwortlich gewesen sei. Der Sitz der Firma sei immer in Spanien gewesen, auch wenn „zwischendurch in und von Deutschland aus gearbeitet“ worden sei.
Herr H… sei im Jahr 2009 davon ausgegangen, dass die B… S.L. in Deutschland über keine Betriebsstätte verfüge und ihre Betriebseinnahmen deshalb nur in Spanien steuerpflichtig seien. Diese seine Sichtweise habe er damals auch dem Beklagten mitgeteilt (Hinweis auf das Schreiben vom 20. September 2009). Der Beklagte habe auf dieses Schreiben nicht reagiert. In Spanien habe die B… S.L. entsprechende Steuererklärungen abgegeben und auch tatsächlich Steuern entrichtet (Hinweis auf spanische Körperschaftsteuerbescheide 2006 – 2008 sowie deren Übersetzung ins Deutsche durch eine bei den AB… Gerichten zugelassenen Dolmetscherin, Bl. 22 ff. d. A.). Die spanische Körperschaftsteuer für das Streitjahr 2007 habe 32 419,29 EUR betragen und sich auf einen steuerpflichtigen Gewinn der B… S.L. in jenem Jahr in Höhe von 95 678,75 EUR bezogen. Die damaligen Nettoumsätze hätten 143 567,13 EUR betragen.
Die B… S.L. habe gemäß Anweisung von Herrn H… in ihren Rechnungen durchgängig keinerlei Umsatzsteuer ausgewiesen.
Bei der notwendigen Ermittlung der sog. Tilgungsquote für den sog. Haftungszeitraum sei zu berücksichtigen, dass die vom Beklagten behauptete Überweisung von 120 000,00 EUR von der P… GmbH & Co. KG T… auf ein Konto der B… S.L. in Wahrheit nicht existiere. Die Kontoauszüge betr. das Bankkonto der B… S.L. bei der L… Bank AG, Filiale … für die Jahre 2006 bis 2012 würden dem Beklagten und der Staatsanwaltschaft vollständig vorliegen. Es habe sich dabei um das einzige Bankkonto der B… S.L. gehandelt. Aus den Kontoauszügen gehe hervor, dass der B… S.L. in all den Jahren insgesamt Einnahmen in Höhe von 197 504,37 EUR zugeflossen seien. Eine Überweisung seitens der P… GmbH & Co. KG T… in Höhe von 120 000,00 EUR sei nicht belegt. Im Übrigen handele es sich bei den 120 000,00 EUR nicht um einen Provisionsanspruch der B… S.L., sondern des Herrn O… persönlich als früherem Miteigentümer des Grundstücks, auf dem die „…“ betrieben werde, für die erfolgreiche Vermittlung dieser Immobilie an den in Irland ansässigen Investor „AC... Group“.
Ihre (der Klägerin) persönliche Haftungsinanspruchnahme sei auch deshalb ermessensfehlerhaft, weil der Beklagte zu keinem Zeitpunkt versucht habe, in das Vermögen der B… S.L. zu vollstrecken. Im Übrigen sei eine etwaige Haftungsschuld nach § 69 AO längst verjährt.
Mit Schreiben vom 7. Mai 2021 hat der Berichterstatter des Senats den Prozessbevollmächtigten der Klägerin unter Berufung auf § 79b Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aufgefordert,
- die tatsächliche Entrichtung der spanischen Körperschaftsteuer für das Streitjahr 2007 in Höhe von 32 419,29 EUR durch die B… S.L. nachzuweisen (z. B. durch Vorlage eines entsprechenden Bankkontoauszugs, vgl. dazu das Schreiben des Beklagten vom 17. Februar 2021) sowie
- darzulegen und ggf. nachzuweisen, ob und in welchem Umfang für die Streitjahre 2006 bis 2008 in Spanien umsatzsteuerpflichtige Geschäfte der B… S.L. beim zuständigen spanischen Finanzamt erklärt und die sich daraus ergebende Umsatzsteuer an das spanische Finanzamt entrichtet worden ist (z. B. durch Vorlage entsprechender spanischer Umsatzsteuerbescheide sowie Bankkontoauszüge).
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin ist gleichzeitig darauf hingewiesen worden, dass das Gericht Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf der gesetzten Frist vorgebracht werden, zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden kann, wenn ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und der Beteiligte die Verspätung genügend entschuldigt. Das Schreiben vom 7. Mai 2021 wurde dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 19. Mai 2021 zugestellt. Eine Reaktion der Klägerseite hierauf ist ausgeblieben.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 13. Dezember 2021 hat der Klägerbevollmächtigte zu Protokoll erklärt, er habe bereits in seinem Schriftsatz vom 12. Juli 2019 ausgeführt, dass Herr O… während des gesamten Streitzeitraumes faktischer Geschäftsführer der B… S.L. gewesen sei. Dies könne er (der Bevollmächtigte) aus eigenem Wissen bestätigen, da Herr O… im Rahmen von zwei Bauvorhaben ihm gegenüber Gespräche mit Behörden und anderen Firmen geführt habe.
Die Klägerin beantragt,
den Haftungsbescheid vom 28. April 2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. August 2018 aufzuheben
sowie die Zuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren für notwendig zu erklären.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Ansicht, dass die Klägerin mit Einwendungen gegen Grund und Höhe der haftungsrelevanten Abgabenverbindlichkeiten gemäß § 166 AO ausgeschlossen sei.
Nach seiner Auffassung gebe der gesiegelte Handelsregisterauszug vom 22. Februar 2007 die tatsächlichen Gegebenheiten hinsichtlich der Geschäftsführung der B… S.L. wieder. Danach sei die Klägerin im Zeitraum ab 22. Februar 2007 die alleinige gesetzliche Vertreterin der Gesellschaft gewesen. Der gegenteilige Vortrag im hiesigen Verfahren widerspreche dem Vortrag der B… S.L. im vorangegangenen Steuerfestsetzungsverfahren.
Die sowohl im Steuerfestsetzungsverfahren als auch (zunächst) im hiesigen Haftungsverfahren mandatierte Steuerberaterin habe im Festsetzungsverfahren vorgetragen, dass die Klägerin ab dem 21. Februar 2007 Geschäftsführerin der B… S.L. gewesen sei und zuvor der in Spanien ansässige Herr H…. Am 22. Februar 2007 sei im spanischen Handelsregister die Ernennung der Klägerin „zur alleinigen Geschäftsführerin auf unbestimmte Zeit, die das Amt annimmt“ eingetragen worden.
Hinsichtlich des mit „16.9.2015 Spanischer Handelsregisterführer“ überschriebenen Blattes (Bl. 20 d. A.), welches Herrn H… als weiteren Geschäftsführer ausweisen solle, sei bereits unklar, ob es sich um eine Übersetzung (und gegebenenfalls durch wen) handele und welches Original der Übersetzung zugrunde gelegen haben solle. Zudem widerspreche der Inhalt dieses Dokumentes dem bisherigen Vortrag der Klägerin und der B… S.L. im bisherigen Verfahren.
Selbst wenn die Heranziehung eines ggf. weiteren Geschäftsführers für die persönliche Haftung nach § 69 i. V. m. § 34 Abs. 1 AO grundsätzlich in Betracht zu ziehen gewesen wäre, sei es wegen dessen Auslandsansässigkeit in concreto ermessensgerecht gewesen, nur die Klägerin in Haftung zu nehmen; einer weiteren Begründung neben dem Hinweis auf die Ansässigkeit des potentiellen Haftungsschuldners im Ausland hätte es nach der einschlägigen BFH-Rechtsprechung nicht bedurft (Hinweis auf BFH-Urteile vom 22. Oktober 1986 I R 261/82, Bundessteuerblatt – BStBl - II 1987, 171 und vom 20. Juli 1988 – I R 61/85, BStBl II 1989, 99 sowie BFH-Beschlüsse vom 3. Dezember 1996 – I B 44/96, BStBl II 1997, 306 und vom 8. November 2000 – I B 59/00, BFH/NV 2001, 448).
Dem Senat haben bei seiner Entscheidung folgende Akten vorgelegen, auf deren Inhalt wegen der Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Beteiligtenvorbringens Bezug genommen wird: FG Berlin-Brandenburg 9 V 9160/19, 8 K 8157/18, 8 K 8158/18, 8 V 8082/15; StA V…: sechs Bände Ermittlungsakten sowie mehrere Beiakten zum Az.: …; acht Bände Klage-, Haftungs- und Steuerakten des Beklagten betr. die B… S.L. (StNr.: …).
I. Die Klage ist unbegründet. Der Haftungsbescheid vom 28. April 2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. August 2018 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
1. Nach § 191 Abs. 1 Satz 1 AO kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH, der der Senat folgt, ist die Entscheidung über die Inanspruchnahme eines Haftungs-schuldners zweigliedrig (vgl. BFH-Urteil vom 20. September 2016 – X B 36/15, Sammlung der Entscheidungen des BFH – BFH/NV – 2017, 593 m. w. N.). Das Finanzamt hat zunächst zu prüfen, ob in der Person oder den Personen, die es zur Haftung heranziehen will, die tatbestandlichen Voraussetzungen der Haftungsvorschrift erfüllt sind. Dabei handelt es sich um eine vom Gericht voll überprüfbare Rechtsentscheidung. Daran schließt sich die nach § 191 Abs. 1 AO zu treffende Ermessensentscheidung des Finanzamtes an, ob und wen es als Haftungsschuldner in Anspruch nehmen will. Diese auf der zweiten Stufe zu treffende Entscheidung ist gerichtlich nur im Rahmen des § 102 Abs. 1 FGO auf Ermessensfehler (Ermessensüberschreitung, Ermessensfehlgebrauch) überprüfbar. Prüfungsmaßstab hierfür ist allein die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (Einspruchsentscheidung).
Die gesetzlichen Vertreter einer juristischen Person haben gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 AO deren steuerliche Pflichten zu erfüllen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Steuern aus den Mitteln entrichtet werden, die sie verwalten (§ 34 Abs. 1 Satz 2 AO). Verletzt eine in § 34 AO bezeichnete Person die ihr hiernach auferlegten Pflichten vorsätzlich oder grob fahrlässig, so haftet sie, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) infolge dieser Pflichtverletzung nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden (§ 69 Satz 1 AO). Die Haftung umfasst auch die infolge der Pflichtverletzung von der Steuerschuldnerin verwirkten Säumniszuschläge (§ 69 Satz 2 AO).
Die B… S.L. ist als spanische „Sociedad (de Responsabilidad) Limitada“ nach dem in Deutschland geltenden sog. Rechtstypenvergleich mit einer deutschen GmbH vergleichbar (BFH-Urteil vom 12. Juni 2013 – I R 109-111/10, BStBl II 2013, 1024; OFD Hannover vom 28. Februar 2007 S 2700 – 2 StO 242, juris, jeweils m. w. N.) mit der Folge, dass vorliegend die §§ 69 und 34 AO anwendbar sind.
2. Die Klägerin erfüllt die Haftungsvoraussetzungen für die Körperschaftsteuer 2007.
a) Den objektiven Tatbestand einer Haftung nach § 69 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO hat die Klägerin dadurch verwirklicht, dass sie als gesetzliche Vertreterin der B… S.L. für das Streitjahr 2007 nicht bis zum 31. Mai 2008 eine Körperschaftsteuererklärung beim Beklagten eingereicht hat (vgl. zur Abgabefrist: § 31 Abs. 1 Satz 1 KStG 2008 i.V.m. § 25 Abs. 3 Satz 1 Einkommensteuergesetz - EStG - und § 149 Abs. 2 Satz 1 AO).
aa) Die Verpflichtung der B… S.L. zur Abgabe einer Körperschaftsteuererklärung für 2007 und die Rechtmäßigkeit des vom Beklagten diesbezüglich am 18. September 2012 erlassenen Körperschaftsteuerbescheids für 2007 ist durch das mittlerweile rechtskräftige Urteil des FG Berlin-Brandenburg vom 23. August 2017 für das hiesige Klageverfahren gemäß § 166 AO bindend festgestellt worden. Nach dieser Vorschrift sind Einwendungen gegen Grund und Höhe der streitgegenständlichen Abgabenverbindlichkeiten im hiesigen Verfahren um die persönliche Haftungsinanspruchnahme ausgeschlossen.
Auch die Frage, ob im Streitjahr 2007 eventuell eine zweite Betriebsstätte im Sinne von Art. 5 des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Spanischen Staat vom 5. Dezember 1966, BStBl I 1968, 296 (künftig: DBA-Spanien 1966) am Satzungssitz der B… S.L. in Spanien vorhanden war und der Unternehmensgewinn daher eigentlich nach Art 7 Abs. 2 und 4 DBA-Spanien 1966 zwischen Deutschland und Spanien aufzuteilen gewesen wäre, braucht der erkennende Senat wegen der Rechtskraft des vorgenannten Urteils nicht (mehr) zu entscheiden.
§ 166 AO ist vorliegend anwendbar, weil die Klägerin während des Klageverfahrens der B… S.L. zum Aktenzeichen … weiterhin gesetzliche Vertreterin der B… S.L. war und die Klage in vollem Umfang erfolglos gewesen ist (vgl. dazu allgemein die Rechtsprechungsnachweise bei Rüsken, in: Klein, AO, 15. Aufl., § 166 Rz. 2 f.).
bb) Der 8. Senat des FG Berlin-Brandenburg hat in seinem rechtskräftigen Urteil das Vorhandensein einer sog. Geschäftsleitungs-Betriebsstätte der B… S.L. im Sinne von § 12 Satz 2 Nr. 1 AO in den Streitjahren 2006 bis 2008 in Deutschland bejaht. Dies ist auch nach Ansicht des erkennenden Senats zutreffend. Aus den vorliegenden Akten, insbesondere aus den im Rahmen des steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens bei der Klägerin aufgefundenen Unterlagen, wird deutlich, dass die B… S.L. ihre wesentliche Geschäftstätigkeit in Deutschland ausgeübt hat; dies wird von der Klägerin etwas verklausuliert auch eingeräumt, wenn sie konzediert, es sei „zwischendurch in und von Deutschland aus“ gearbeitet worden. Darüber hinaus verfügte die B… S.L. zu diesem Zweck auch durchgehend über feste Büroräume in Deutschland, nämlich zunächst in dem Gebäude AH…-straße in AB… (sog. „…“) und später (nach dem Zerwürfnis zwischen der P… GmbH & Co. KG / AS… GmbH & Co. KG und der Klägerin) unter der persönlichen Wohnanschrift der Klägerin in Q…, AX…-straße. Diese Feststellung folgt aus Sicht des Senats z.B. aus der E-Mail der Klägerin an diverse Geschäftspartner der B… S.L. vom 16. April 2008, aber auch aus der Gestaltung des dem Senat beispielhaft vorliegenden Briefkopfes der Geschäftskorrespondenz der B… S.L. („Office Germany“), aus den Einlassungen der Klägerin in ihrem zivilrechtlichen Verfahren gegen die P… GmbH & Co. KG vor dem Amtsgericht AE… und nicht zuletzt aus dem Umstand, dass bei der Durchsuchung im Oktober 2010 zahlreiche die B… S.L. betreffende Unterlagen im Haus der Klägerin sichergestellt werden konnten.
Insbesondere die Geschäfte, die zu der Körperschaftsteuerschuld der B… S.L. in Deutschland geführt haben, sind nach der Überzeugung des Senats nicht in Spanien, sondern in Deutschland abgeschlossen und durchgeführt worden. Hinsichtlich der Vermittlungstätigkeit der B… S.L. über Geschäfte mit inländischen Grundstücken folgt dies beispielsweise aus der im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren abgegebene Aussage des Geschäftspartners AI… (Empfänger der Rechnungen der B… S.L. vom 21. November 2006, vom 28. November 2006, vom 28. Januar 2007 und vom 8. Februar 2007), wonach die Geschäfte mit der B… S.L. allein in deren Büroräumen in der „…“ (AH…-straße in AB…) verhandelt und abgeschlossen worden seien. Ein weiteres markantes Beispiel für die inländische Geschäftsleitungstätigkeit ist die Unterzeichnung eines auf die Dauer von fünf Jahren angelegten Vertrages zwischen der B… S.L. und der P… GmbH & Co. KG mit Sitz in AB… über die kontinuierliche Erbringung von Dienstleistungen rund um die Bewirtschaftung und Veräußerung von in Deutschland belegenen Immobilien durch die B… S.L. als Auftragnehmerin. Da die B… S.L. auf dieser Grundlage unstreitig bereits im Erstjahr 2006 sieben Monats-Honorare in Höhe von jeweils 3 000,00 EUR vereinnahmt hat, spricht vieles dafür, dass das Vertragsverhältnis entgegen dem schriftlichen Text („beginnt im Monat Dezember 2006“) bereits im Monat Juni 2006 begonnen hat. Das Vertragsverhältnis wurde unstreitig bis zum 31. März 2008 fortgeführt und durch Änderungsvereinbarung vom 1. Oktober 2007 hinsichtlich der Höhe des Honorars modifiziert. Die vorgenannte Änderungsvereinbarung wie auch der Ausgangsvertrag wurden einzig und allein von der Klägerin für die B… S.L. unterzeichnet. Dass dies in Spanien geschehen sein soll, behauptet auch die Klägerin nicht. Zwar trägt sie – ohne jede inhaltliche Substanz und ohne jeden Beleg – vor, sie habe sich zwischendurch verschiedentlich längere Zeit in Spanien aufgehalten. Sämtliche erkennbaren Umstände sprechen indes dagegen. So stand die Klägerin beispielsweise in einem Vollzeit-Arbeitsverhältnis zur P… GmbH & Co. KG (30 Wochenstunden, Arbeitstage Montag bis Freitag) mit Einsatzorten in AB… und T…; außerdem war sie Inhaberin eines einzelkaufmännisch betriebenen Unternehmens (Boutique) in Deutschland und sie hatte einen im Streitzeitraum sieben bis neun Jahre alten Sohn, der in Deutschland zur Schule ging und den seine Mutter kaum über längere Zeiträume allein in Deutschland zurückgelassen haben dürfte.
Des Weiteren trägt die Klägerin – ebenfalls ohne jede inhaltliche Substanz und ohne jeden Beleg – vor, Herr H… sei „für das operative Geschäft“ der B… S.L. verantwortlich gewesen und habe dieses in Spanien ausgeübt. Dem widerspricht allerdings bereits der Umstand, dass sämtliche vorgenannten Rechnungen über Vermittlungshonorare für Grundstücksgeschäfte bereits längere Zeit vor dem Eintritt von Herrn H… in die Geschäftsführung der B… S.L. ausgestellt worden sind; ebenso trägt kein einziger der Verträge mit der P… GmbH & Co. KG / AS… GmbH & Co. KG über die fortlaufende Dienstleistung durch Herrn O… die Unterschrift von Herrn H…. Auch dieses Vertragsverhältnis war im Übrigen lange vor dem Eintritt von Herrn H… in die Geschäftsführung begründet worden. Welches „operative Geschäft“ der B… S.L. Herr H… geführt haben soll, erschließt sich dem Senat nicht.
cc) Ohne Erfolg versucht die Klägerin, dem Vorwurf der Pflichtverletzung durch den Einwand zu begegnen, Herr H… sei als Mitgeschäftsführer sowie als Rechtsanwalt und in Deutschland ausgebildeter Diplom-Kaufmann gesellschaftsintern für die Erledigung der steuerlichen Verpflichtungen der B… S.L. allein zuständig gewesen. Zwar ist der Klägerin darin zu folgen, dass Herr H… ab dem 20. August 2007 Mitgeschäftsführer der B… S.L. gewesen ist (vgl. Handelsregisterauszug, Bl. 000022 ff. Haftungsakte). Gleichwohl wäre der Einwand der Klägerin nach der BFH-Rechtsprechung, der der Senat folgt, nur dann erheblich, wenn eine von vorhinein getroffene schriftliche und eindeutige Aufgabenverteilung zwischen den beiden Mitgeschäftsführern existiert hätte (vgl. dazu nur BFH-Urteil vom 4. März 1986 – VII S 33/85, BStBl II 1986, 384 sowie BFH-Beschluss vom 12. Mai 2009 – VII B 266/08, BFH/NV 2009, 1589, jeweils m. w. N.). Das Vorhandensein einer solchen schriftliche Vereinbarung hat die insoweit darlegungs- und nachweispflichtige Klägerin nicht behauptet und erst recht keine diesbezüglichen Nachweise vorgelegt oder auch nur bezeichnet.
Der Einwand der Klägerin, sie habe sich darauf verlassen (und auch verlassen dürfen), dass ihr Mitgeschäftsführer H… sich stets korrekt um alle steuerlichen Verpflichtungen der B… S.L. kümmere, kann darüber hinaus schon deshalb nicht entlastend wirken, weil der Klägerin spätestens im Zusammenhang mit der Körperschaftsteuerveranlagung der B… S.L. für 2006 und ihrer (der Klägerin) zwischenzeitlichen Haftungsinanspruchnahme für diese Steuer bekannt war, dass ihr Mitgeschäftsführer jedenfalls insoweit die steuerlichen Pflichten der B… S.L. keineswegs korrekt erfüllt hatte. Spätestens ab diesem Zeitpunkt hätte die Klägerin – unterstellt, es hätte (wie nicht) eine haftungsrechtlich wirksame eindeutige und schriftliche Aufteilung der Aufgaben zwischen den Geschäftsführern gegeben – diese Aufgabenverteilung verwerfen und sich selbst um die steuerlichen Belange der Gesellschaft kümmern müssen.
b) Die Klägerin hat auch den subjektiven Tatbestand einer Haftung nach § 69 i. V. m. § 34 Abs. 1 AO verwirklicht.
aa) § 166 AO macht die Prüfung der subjektiven Tatbestandsverwirklichung des § 69 AO i. V. m. § 34 AO nicht entbehrlich; denn die Frage, ob eine Geschäftsführerin ihre steuerlichen Pflichten im Sinne von § 34 Abs. 1 AO vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht erfüllt hat, ist im Steuerfestsetzungsverfahren nicht entscheidungserheblich (vgl. dazu allgemein: Heuermann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 166 AO Rdnr. 15; Oellerich, in: Gosch, AO/FGO, § 166 AO Rdnr. 80). Die vorstehend unter Buchst. a) festgestellte objektiv eingetretene Pflichtverletzung in Form der Nichtabgabe der vorgenannten Jahressteuererklärung indiziert allerdings nach der ständigen Rechtsprechung des BFH, der der Senat folgt, grundsätzlich den gegenüber dem Haftungsschuldner zu erhebenden Schuldvorwurf (vgl. BFH-Urteile vom 11. November 2008 – VII R 19/08, BStBl. II 2009, 342 und vom 27. September 2017 – XI R 9/16, BStBl II 2008, 515, m. w. N.).
bb) Vorsätzlich handelt, wer sich bewusst ist, dass sein Handeln oder Unterlassen pflichtwidrig ist. Bedingt vorsätzliches Handeln setzt nach ständiger Rechtsprechung des BGH zum subjektiven Tatbestand der Steuerhinterziehung, der der erkennende Senat folgt, voraus, dass der Handelnde den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt (Wissenselement) und dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet (Willenselement; vgl. dazu allgemein: BGH-Beschluss vom 28. Juni 2017 – 1 StR 624/16, wistra 2018, 131). Die Bejahung beider Elemente kann nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände erfolgen (vgl. BGH-Beschluss vom 28. Juni 2017, aaO). Auf die haftungsbegründende Pflichtverletzung nach § 69 AO übertragen liegt ein bedingter Vorsatz mithin vor, wenn der zum Handeln verpflichtete steuerliche Vertreter die Handlungspflicht – hier: die Pflicht zur Abgabe der Körperschaftsteuererklärung für die B… S.L. – zumindest als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und sich mit der Pflichtverletzung um des erstrebten Zieles willen – hier: um die B… S.L. von der deutschen Besteuerung fernzuhalten – zumindest abfindet.
In Abgrenzung zum bedingten Vorsatz liegt (nur) grob fahrlässiges Handeln vor, wenn der zum Handeln verpflichtete gesetzliche Vertreter diese Pflicht verkennt und dabei die Sorgfalt, zu der er nach den Umständen verpflichtet und nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten im Stande ist, in ungewöhnlich hohem Maße verletzt (vgl. BFH, Urteil vom 21. Februar 1989 – VII R 165/85, BStBl. II 1989, 491).
cc) Im Streitfall ist der Senat bei Würdigung aller vorliegenden Einlassungen und Unterlagen davon überzeugt, dass die Klägerin ihre Pflicht zur fristgemäßen Abgabe der Körperschaftsteuererklärung 2007 mindestens bedingt vorsätzlich (dolus eventualis) verletzt hat.
Der Klägerin waren die tatsächlichen Umstände, die eine Betriebsstätte in Deutschland begründeten und eine Pflicht zur Abgabe der Körperschaftsteuererklärung auslösten, bekannt. Die Klägerin wusste, dass die Leistungen der B… S.L. zu einem sehr wesentlichen Teil (wenn nicht ausschließlich) in Deutschland angeboten wurden, dass entsprechende Verträge in Deutschland abgeschlossen wurden und die vereinbarten Leistungen der B… S.L. in Deutschland erbracht wurden. Bei Gesamtwürdigung all dieser Umstände befand sich deshalb der Ort der Geschäftsleitung in Deutschland. Die Klägerin wusste außerdem, dass die B… S.L. zum Zwecke des Anbietens und Erbringens ihrer Leistungen in Deutschland über eine feste Geschäftseinrichtung verfügte, nämlich anfangs in den Räumen AH…-straße in AB… („…“) und später in einem im Wohnhaus der Klägerin in Q… eingerichteten Büro. Dies folgt aus Sicht des Senats ohne Zweifel aus der vorliegenden Korrespondenz, in der die Klägerin persönlich den Geschäftspartnern die zwischenzeitliche Änderung der Büroanschrift und Kontaktdaten mitteilte, wie auch aus ihren Schilderungen über die Nutzung der Büroräume in der „…“ im Rahmen des Zivilprozesses vor dem Amtsgericht AE….
Die Klägerin hat nach der Überzeugung des Senats auch die rechtliche Würdigung, dass das Innehaben einer Betriebsstätte zur inländischen Steuerpflicht führen würde, nachvollzogen. Dies wird daraus erkennbar, dass die Klägerin persönlich gegenüber dem Beklagten so getan hat, als befinde sich das einzige Büro und befänden sich sämtliche die B… S.L. betreffenden Geschäftsunterlagen ausschließlich in Spanien (vgl. schriftliche Äußerung der Klägerin vom 4. Oktober 2009). Diese Mitteilung war – was die Klägerin wusste – objektiv unwahr; tatsächlich wurden Buchführungsarbeiten für die B… S.L. (nach den eigenen Schilderungen der Klägerin gegenüber dem Amtsgericht AE…) zunächst durch eine selbständige Buchhalterin in den Räumen AH…-straße in AB… durchgeführt, und später wurden diverse Unterlagen zur B… S.L. in den Wohn- und Büroräumen der Klägerin in Q… aufgefunden. Die dort im Oktober 2010 aufgefundenen Unterlagen betrafen die Geschäftsjahre 2006 bis 2008. Der Senat hielte es für lebensfremd (und die Klägerin hat solches auch nicht behauptet), dass diese Unterlagen etwa erst nach der schriftlichen Äußerung der Klägerin gegenüber dem Beklagten vom Oktober 2009 von Spanien nach Deutschland verbracht worden sein könnten. Vielmehr ist davon auszugehen, dass diese Unterlagen sich auch zum Zeitpunkt der Mitteilung der Klägerin vom 4. Oktober 2009 im Büro der Klägerin in Deutschland befanden.
Hat die Klägerin aber gegenüber dem Beklagten bewusst die Unwahrheit in Bezug auf die Aufbewahrung der Geschäftsunterlagen zur B… S.L. behauptet, so spricht dies aus Sicht des Senats deutlich dafür, dass ihr die steuerliche Relevanz dieses Umstandes bewusst war (das Aufbewahrung der Geschäftsunterlagen sprach für das Unterhalten einer festen Geschäftseinrichtung und mithin für eine inländische Betriebsstätte) und dass sie diesen Umstand bewusst verschleiern wollte, um den Eindruck zu erwecken oder aufrecht zu erhalten, es fehle an einer inländischen Betriebsstätte.
Dass die Klägerin die (mögliche) Verpflichtung zur Abgabe einer Körperschaftsteuererklärung für 2007 kannte, folgt auch aus ihrer zwischenzeitlichen Haftungsinanspruchnahme für die Körperschaftsteuer 2006. Die B… S.L. hätte schon allein deswegen eine Körperschaftsteuererklärung für das Streitjahr 2007 beim Beklagten einreichen müssen, weil sie nach den Feststellungen des FG Berlin-Brandenburg in dessen rechtskräftigem Urteil vom 23. August 2017 in jenem Jahr – genauso wie im Vorjahr 2006 – inländische Einkünfte aus Gewerbebetrieb aufgrund ihrer Gesellschaftsbeteiligung an der W… GmbH & Co. KG mit Sitz in V… erzielt hatte, und zwar in Höhe von 5 000,00 EUR.
Die Klägerin war einzige Prokuristin dieser KG und zudem Geschäftsführerin der einzigen Komplementärin (B… S.L.), die ihrerseits zugleich mittelbar (als Alleingesellschafterin der X… GmbH) persönlich haftende Gesellschafterin der KG war. Der Umstand, dass der B… S.L. für 2007 eine Gewinnbeteiligung zuzurechnen war, konnte der Klägerin also nicht verborgen geblieben sein.
Das Besteuerungsrecht für diese Einkünfte stand gemäß Art. 7 Abs. 1 i. V. m. Art. 5 des DBA Spanien 1966 Deutschland zu. Die Einkünfte waren außerdem – unabhängig von der Frage, ob sich der Ort der Geschäftsleitung der B… S.L. im Sinne von § 1 Nr. 1 KStG 2007 in Deutschland befand oder nicht – gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG 2007 i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG 2007 nach deutschem Steuerrecht zumindest beschränkt körperschaftsteuerpflichtig, da die W… GmbH & Co. KG unstreitig in Deutschland eine Betriebsstätte im Sinne von § 12 AO unterhielt. Dies wusste auch die in geschäftlichen Dingen sehr erfahrene Klägerin, denn ansonsten wäre die schriftliche Rücknahme ihres Einspruchs gegen den ihr gegenüber ergangenem Haftungsbescheid des Beklagten vom 26. November 2008 wegen Körperschaftsteuer 2006 nach ihrer intensiven und langwierigen persönlichen Korrespondenz mit dieser Behörde unerklärlich. Zu diesem Zeitpunkt hatte die B… S.L. überdies bereits den fachlichen Rat von Frau Steuerberaterin BA… aus der Kanzlei AF… mit mehreren Standorten eingeholt (siehe Schreiben dieser Kanzlei an den Beklagten vom 12. September 2008).
Die Rücknahme des vorgenannten Einspruchs erfolgte mit Schreiben an den Beklagten vom 14. Mai 2009, also zu einem Zeitpunkt als sich die B… S.L. mit der Abgabe ihrer Körperschaftsteuererklärung für das Streitjahr 2007 längst in Verzug befand. Indem die Klägerin es trotz Fortbestehens ein- und desselben Sachverhaltes (B… S.L. bezieht Einkünfte aus Gewerbebetrieb als Kommanditistin einer inländischen KG) unterließ, dafür zu sorgen, dass die B… S.L. eine Körperschaftsteuererklärung für das Folgejahr 2007 beim Beklagten einreicht, hat sie nach der Überzeugung des erkennenden Senats deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie zwar eine inländische Körperschaftsteuerpflicht der B… S.L. (zumindest) für möglich gehalten, aber durch ihr Unterlassen billigend in Kauf genommen hat, dass der Beklagten einen Steuereinnahmenausfall erleidet.
Bezeichnenderweise hat die Klägerin im hiesigen Haftungsverfahren den unzutreffenden Eindruck zu erwecken versucht, dass die Tatsache, dass die B… S.L. für 2006 in Deutschland zur Körperschaftsteuer herangezogen worden ist und diese schließlich auch bezahlt hat, für sie völlig neu sei. So hat sie in ihrem Schriftsatz vom 15. Juli 2019 (Datum des Eingangs bei Gericht, Bl. 108 ff. d.A.) ausgeführt: „Wie auch erst jetzt durch die Kontoauszüge von uns festgestellt werden konnte, (…) Zusätzlich wurden zu unserer Überraschung auch 5.139,- EUR an das Finanzamt V… für das Jahr 2006 auf Grund von Mahnungen und Vollstreckungsandrohungen von B… S.L. … bezahlt. Die Post kam offensichtlich immer an.“
dd) Neben den vorgenannten deutlichen Anzeichen spricht für einen mindestens bedingten Vorsatz der Klägerin auch der Umstand, dass sie es zu keinem Zeitpunkt für erforderlich gehalten hat, zur Frage einer deutschen Steuerpflicht eine belastbare Aussage eines mit dem deutschen Steuerrecht vertrauten Rechtsanwalts oder Steuerberaters einzuholen.
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH kann sich der gesetzliche Vertreter einer Kapitalgesellschaft nicht haftungsbefreiend darauf berufen, dass er selbst nur über unzureichende Kenntnisse und Erfahrungen mit dem deutschen Steuerrecht verfügt; er ist in einem solchen Fall nach Ansicht des BFH, der der Senat folgt, sogar verpflichtet, den Expertenrat eines Angehörigen der steuerberatenden Berufe einzuholen (vgl. dazu allgemein: BFH-Beschluss vom 4. Mai 2004 – VII B 318/03, BFH/NV 2004, 1363, Rüsken, aaO, § 69 Rz. 150; Nacke, Haftung für Steuerschulden, 4. Aufl., S. 51 Rz. 2 138, jeweils m.w. N). Angesichts der zahlreichen schriftlichen Anfragen des Beklagten nach der Einreichung von Körperschaftsteuererklärungen für die Jahre 2006 und 2007 (siehe Schreiben des Beklagten vom 5. Dezember 2007, vom 24. Juli 2008 und vom 10. September 2009) sowie der unstreitigen Umstände, dass sich der Wohnsitz der Klägerin als für das operative Geschäft der B… S.L. allein zuständigen ordentlich bestellten Geschäftsführerin stets in Deutschland befunden hat und die im Streitjahr 2007 getätigten, durch entsprechende Rechnungen nachgewiesenen Geschäfte der B… S.L. ausnahmslos in Deutschland und nicht etwa in Spanien geplant und durchgeführt worden sind, hätte es nach Ansicht des erkennenden Senats für jeden nicht vorsätzlich handelnden Vertreter auf der Hand gelegen, dass die Frage der inländischen Steuerpflicht von Grund auf und unter Berücksichtigung aller vorgenannten Umstände zeitnah einer sorgfältigen Klärung durch einen Angehörigen der steuerberatenden Berufe in Deutschland bedurfte.
Die stattdessen vorgelegten verschiedenen Äußerungen Dritter über das (Nicht-)Vorliegen einer inländischen Betriebsstätte der B… S.L. stellen das genaue Gegenteil einer solchen sorgfältigen Prüfung dar und sprechen jedenfalls nicht gegen ein bedingt vorsätzliches Verhalten der Klägerin.
Zwar hat Rechtsanwalt H… gegenüber dem Beklagten in seinem Schreiben vom 20. September 2009 geäußert, dass die B… S.L. in Spanien Körperschaftsteuererklärungen eingereicht habe; die B… S.L. verfüge in Deutschland über keine Betriebsstätte, „soweit uns bekannt ist“. Diese Äußerung ist aber in keiner Weise belastbar. An ihr ist zunächst auffällig, dass Herr H… – obgleich zu diesem Zeitpunkt bereits seit längerem selbst Geschäftsführer der B… S.L. – es vorzieht, in seiner Eigenschaft als rechtlicher und steuerlicher „Berater“ der Gesellschaft aufzutreten. Dies tut er nicht etwa, um seine Aussage mit einer besonderen steuerlichen Expertise zu den Voraussetzungen einer Betriebsstätte und zur Nichterfüllung dieser Voraussetzungen im Fall der B… S.L. zu untermauern (hier beschränkt er sich auf eine ebenso knappe wie nicht weiter begründete Feststellung); vielmehr dient dieses Zurückziehen auf eine bloße Beratereigenschaft dazu, sich von der Aussage sogleich wieder zu distanzieren bzw. diese zu relativieren („soweit uns bekannt ist“). Als Mitgeschäftsführer der B… S.L., noch dazu mit steuerlichem Hintergrundwissen, hätte Herr H… alle für die Beurteilung des Vorliegens oder Nichtvorliegens einer Betriebsstätte relevanten Umstände kennen müssen; er wollte sich gegenüber dem Beklagten aber offenbar nicht selbst ins Obligo setzen. Um die Belastbarkeit seiner Aussage zur deutschen Besteuerung noch weiter abzuschwächen, stellt Herr H… seiner Erklärung zudem die Einschränkung voran, dass seine Kanzlei die B… S.L. „in Spanien“ (und nur dort) rechtlich und steuerlich berate.
Die objektiv unzutreffende schriftliche Stellungnahme der Kanzlei AF… gegenüber dem Beklagten vom 12. September 2008 zur Frage der Existenz einer inländischen Betriebsstätte vermag die Klägerin ebenfalls nicht zu entlasten. Diese Kanzlei war ganz offenkundig nicht mit der steuerlichen Beratung der B… S.L. betraut, sondern lediglich kurzfristig damit beauftragt, auf das Anschreiben des Beklagten vom 24. Juli 2008 gemäß den Vorgaben aus der Geschäftsführung der B… S.L. zu antworten. Unmittelbar darauf bat die Kanzlei den Beklagten, die Zustellungsvollmacht in Angelegenheiten der B… S.L. wieder zu löschen; und der Kanzleipartner BB… legte einige Monate später Wert auf die Feststellung, er habe sich „zu keinem Zeitpunkt als Steuerbevollmächtigter für die o.g. Firma bestellt“. Deutlicher kann man nicht zum Ausdruck bringen, dass man mit den steuerlichen Angelegenheiten der B… S.L. in Deutschland nichts zu tun haben wollte. Die Äußerung der Kanzlei in dem Schreiben vom 12. September 2008 erweist sich dementsprechend auch als nicht belastbar, da sie mit den Worten „gemäß der vom Geschäftsführer der S.L. (…) uns zur Verfügung gestellten Unterlagen“ eingeleitet wird. Welche Informationen der Kanzlei im Zeitpunkt ihrer schriftlichen Stellungnahme vorlagen, ist nicht erkennbar. Die Aussage der Kanzlei erweist sich so für die Frage einer Entlastung der Klägerin als vollkommen wertlos.
Zusammenfassend wertet der erkennende Senat auch den Umstand, dass die Klägerin über fünf Jahre hinweg (zwischen dem 31. Mai 2007 und dem 31. Mai 2012) keine sorgfältig erarbeitete Auskunft eines über den vollständigen Sachverhalt informierten (bzw. diesen erkennbar auswertenden) Angehörigen der steuerberatenden Berufe in Deutschland zur Frage der Körperschaftsteuerpflicht der Einkünfte der B… S.L. im Streitjahr 2007 eingeholt hat, obwohl dazu hinreichender Anlass bestanden hat (Steuerfahndungsprüfung!), dahingehend, dass die Klägerin aufgrund des Unterlassens der Anmeldung der B… S.L. beim Beklagten und der Einreichung einer Körperschaftsteuererklärung für das Streitjahr 2007 einen Schadenseintritt beim Beklagten für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hat.
c) Mit ihrer zumindest bedingt vorsätzlichen Nichtabgabe der Körperschaftsteuererklärung für 2007 hat die Klägerin zugleich sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht eine Steuerhinterziehung im Sinne von § 370 AO begangen. Damit hat sie zugleich auch den Haftungstatbestand des § 71 AO verwirklicht.
Nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO begeht eine Steuerhinterziehung, wer dem Finanzamt unrichtige oder unvollständige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen macht und dadurch Steuern verkürzt. Nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO begeht eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen, wer die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt und dadurch Steuern verkürzt (vgl. dazu allgemein: Jäger, in: Klein, aaO, § 370 Rz- 60 ff. m.w.N.).
aa) Der objektive Tatbestand einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen im Sinne von § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ist in der Person der Klägerin als gesetzlicher Vertreterin der B… S.L. vorliegend erfüllt, da aufgrund des rechtskräftigen Urteils des FG Berlin-Brandenburg vom 23. August 2017 i.V.m. § 166 AO für das hiesige Klageverfahren feststeht, dass die B… S.L. zum 31. Mai 2008 eine Körperschaftsteuererklärung für das Streitjahr 2007 beim Beklagten hätte einreichen müssen und dies nicht getan hat. Die Steuerhinterziehung war auch vollendet, nachdem der Beklagte aufgrund der Nichtabgabe einer Körperschaftsteuererklärung für das Streitjahr 2007 sowie der mehrfachen schriftlichen Bekundung der B… S.L., sie habe keine Betriebsstätte in Deutschland inne, zunächst keine entsprechende Körperschaftsteuerveranlagung vorgenommen, sondern diese erst nach dem Vorliegen der Ergebnisse der Steuerfahndungsprüfung durchgeführt hat.
bb) Auch der subjektive Tatbestand einer Steuerhinterziehung war nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens gegeben.
Eine Steuerhinterziehung gemäß § 370 AO kann nur vorsätzlich begangen werden (§ 369 Abs. 2 AO i. V. m. § 15 StGB). Der Hinterziehungsvorsatz setzt aber weder dem Grunde noch der Höhe nach eine sichere Kenntnis des Steueranspruchs voraus (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs – BGH – vom 8. September 2011 – 1 StR 38/11, in juris). Notwendig, aber auch genügend ist, dass der Täter oder die Täterin die objektiven Tatbestandsmerkmale einer Steuerhinterziehung im Rahmen einer sog. „Parallelwertung in der Laiensphäre“ zutreffend erfasst. Die Kenntnis aller Einzelheiten, insbesondere eine konkrete Vorstellung über die korrekte Einordnung des von ihm nicht, nicht richtig oder unvollständig erklärten Sachverhalts oder der genauen gesetzlichen Grundlagen des Steueranspruchs, ist nicht erforderlich (vgl. BFH-Urteil vom 16. Dezember 2008 – I R 23/07, in juris; FG Köln, rkr. Urteil vom 16. Januar 2019 – 11 K 2194/16, Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 2019, 657). Dabei genügt es, dass der Täter oder die Täterin die Verwirklichung der Merkmale des gesetzlichen Tatbestands für möglich hält und billigend in Kauf nimmt.
Nicht ausreichend ist eine nur leichtfertige Steuerverkürzung im Sinne von § 378 AO, bei der der Steuerpflichtige oder gesetzliche Vertreter eines Steuerpflichtigen nur die Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den besonderen Umständen des Einzelfalls und seinen persönliche Fähigkeiten und Kenntnissen verpflichtet und imstande ist, obwohl sich ihm aufdrängen musste, dass dadurch eine Steuerverkürzung eintreten wird (vgl. dazu allgemein: BFH-Urteil vom 22. November 2018 – V R 65/17, BFH/NV 2019, 359 und BGH-Beschluss vom 29. Januar 2015 – IX ZR 138/14, in juris jeweils unter Hinweis auf das BGH-Urteil vom 16. Dezember 2009 – 1 StR 491/09, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung – HFR – 2010, 866). In Abgrenzung zur bloßen Leichtfertigkeit oder Fahrlässigkeit ist daher von einem bedingten Vorsatz auszugehen, wenn der Täter oder die Täterin mit der Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung ernsthaft rechnet und den Erfolg in Kauf nimmt (vgl. BGH-Urteil vom 22. November 2018, aaO).
Bedingt vorsätzliches Handeln setzt nach ständiger Rechtsprechung des BGH, der der erkennende Senat folgt, voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt (Wissenselement) und dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet (Willenselement; vgl. dazu allgemein: BGH-Beschluss vom 28. Juni 2017 – 1 StR 624/16, wistra 2018, 131). Die Bejahung beider Elemente kann nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände erfolgen (vgl. BGH-Beschluss vom 28. Juni 2017, aaO).
Die Gesamtbetrachtung führt vorliegend dazu, dass der Senat von dem Vorliegen eines bedingten Steuerhinterziehungsvorsatzes der Klägerin zugunsten der B… S.L. ausgeht, deren alleinige Anteilseignerin die Klägerin damals gewesen ist. Insoweit gelten die vorstehend zur (bedingt) vorsätzlichen Verletzung der Pflicht zur Abgabe der Körperschaftsteuererklärung im Rahmen des § 69 AO angestellten Erwägungen entsprechend; auf sie wird verwiesen. Der Klägerin war nach der hierauf gestützten Überzeugung des Senats aufgrund einer Parallelwertung in der Laiensphäre bewusst, dass die B… S.L. in Deutschland steuerpflichtig war, weil die Gesellschaft (entgegen der bewusst unwahren Behauptungen der Klägerin gegenüber dem Beklagten) im Inland sowohl über eine Geschäftsleitungs-Betriebsstätte als auch über eine feste Geschäftseinrichtung verfügte. Ihr war ebenfalls bewusst, dass sie diesen Steueranspruch des deutschen Fiskus durch die Nichtabgabe der Steuererklärung vereiteln könnte, und dies war auch von ihrem Willen umfasst.
d) Bei der Prüfung des subjektiven Tatbestands des § 69 Satz 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO ist zwar zugunsten der Klägerin zu berücksichtigen, dass die B… S.L. nach spanischem Steuerrecht schon allein aufgrund ihres dortigen Satzungssitzes ebenfalls unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig gewesen ist (vgl. dazu allgemein Behrenz, in: Wassermeyer, DBA, Anhang zum DBA-Spanien Rz. 192 und 196). Dieser führt aber nicht dazu, dass in Deutschland keine Körperschaftsteuererklärung abzugeben war; denn hierfür maßgeblich ist das Vorhandensein des Ortes der Geschäftsleitung in Deutschland (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KStG 2007), was das FG Berlin-Brandenburg, aaO, zutreffend bejaht hat.
Da die Klägerin trotz entsprechender Ausschlussfristsetzung durch den Berichterstatter des Senats (Schreiben vom 7. Mai 2021, Bl. 202 d. A.) innerhalb der gesetzten Frist (Ablauf: 31. August 2021) keinen Nachweis über die tatsächliche Entrichtung von Körperschaftsteuer in Spanien für das Streitjahr 2007 erbracht hat, kann der Gesichtspunkt einer etwaigen Steueranrechnung nach Art. 23 Abs. 1 des DBA-Spanien 1966 sie auf der subjektiven Seite ebenfalls nicht entlasten, denn Voraussetzung für eine Anrechnung ausländischer Steuern nach DBA-Recht ist stets der Nachweis der tatsächlichen Entrichtung der betreffenden Steuern im Ausland (vgl. dazu auch bereits die Ausführungen des FG Berlin-Brandenburg […] auf Seite 11 des Urteils vom 23. August 2017, sowie allgemein: § 31 Abs. 1 KStG i.V.m. 34 c Abs. 1 Satz 1 EStG und Wagner, in: Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, § 34c EStG Rz. 30 mit Nachweisen zur BFH-Rechtsprechung).
3. Die Klägerin hat sowohl den objektiven als auch den subjektiven Tatbestand einer Haftung nach § 69 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO ferner dadurch verwirklicht, dass sie als gesetzliche Vertreterin der B… S.L. für die Streitjahre 2006 bis 2008 nicht zeitnah Umsatzsteuererklärungen beim Beklagten eingereicht hat.
a) Die Verpflichtung der B… S.L. zur Abgabe der vorgenannten Umsatzsteuerer-klärungen und die Rechtmäßigkeit der vom Beklagten diesbezüglich erlassenen Umsatzsteuerbescheide 2006 bis 2008 vom 18. September 2012 ist durch das rechtskräftige Urteil des FG Berlin-Brandenburg vom 23. August 2017, aaO für das hiesige Klageverfahren gemäß § 166 AO bindend festgestellt worden.
b) Die Klägerin hat auch insoweit den subjektiven Tatbestand des § 69 Satz 1 i. V. m. § 34 Abs. 1 AO erfüllt; auch die diesbezügliche Pflichtverletzung geschah (zumindest) bedingt vorsätzlich. Auch insoweit liegen sowohl objektiv als auch subjektiv Steuerhinterziehungen im Sinne von § 370 AO vor; neben dem Haftungstatbestand des § 69 AO ist mithin auch hier der Haftungstatbestand des § 71 AO erfüllt.
Unstreitig hat die B… S.L. in einer ihrer Rechnungen (Rechnung vom 21. November 2006 über 67 700,00 EUR zuzüglich 10 832,00 EUR Umsatzsteuer an Herrn AI… in AJ… betr. „Vermittlung der Objekte …, … und …“) Umsatzsteuer ausgewiesen; sie schuldete diese gegenüber dem Beklagten schon aufgrund der bloßen In-Rechnung-Stellung (vgl. § 14c UStG 2006). Bereits aus diesem Grund hätte die B… S.L. zumindest für das Streitjahr 2006 eine Umsatzsteuererklärung beim Beklagten einreichen müssen.
Die von der B… S.L. vereinnahmten Provisionszahlungen stehen ausnahmslos im Zusammenhang mit inländischen Grundstücksveräußerungen und -erwerben und sind daher nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG i.V.m. § 3 Abs. 9 und § 3a Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b UStG 2006/2007 steuerbar. Steuerbefreiungen nach § 4 UStG sind nicht ersichtlich, sodass die erbrachten Vermittlungsleistungen auch steuerpflichtig sind. Ein Übergang der Steuerschuldnerschaft auf die Leistungsempfänger im Sinne von § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG wegen Erbringung „sonstiger Leistungen“ durch ein „im Ausland ansässiges Unternehmen“ ist vorliegend nicht gegeben. Dies wäre nach § 13b Abs. 4 Satz 1 UStG 2006 – 2008 nur dann der Fall gewesen, wenn die B… S.L. in Deutschland keine „Niederlassung“ oder „Geschäftsleitung“ innegehabt hätte. Die B… S.L. hatte jedoch in jenen Jahren zumindest ab dem 13. September 2006 (dem Zeitpunkt des Erwerbs sämtlicher Gesellschaftsanteile an der B… S.L. durch die Klägerin und Beginn ihrer Amtszeit als zunächst alleinige Geschäftsführerin) unzweifelhaft eine solche „Niederlassung“ und auch ihre „Geschäftsleitung“ in der Wohnung der Klägerin in Q… – bzw. zuvor in den Räumlichkeiten der „…“ in AB… – inne. Die streitgegenständlichen Provisionsrechnungen betreffen auch nur den Zeitraum ab dem 13. September 2006.
Der Klägerin waren diese Umstände positiv bekannt. Sie hat deshalb nach der Überzeugung des Senats zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt, indem sie ohne vorherige Einholung einer entsprechenden Auskunft durch einen Angehörigen der deutschen rechts- oder steuerberatenden Berufe auf den Ausweis der Umsatzsteuer in den streitgegenständlichen restlichen Provisionsrechnungen verzichtete und die Einreichung von Umsatzsteuererklärungen für die Streitjahre 2006 bis 2008 beim Beklagten unterließ.
Hinsichtlich der Umsätze der B… S.L. aus den von Herrn O… erbrachte Dienstleistungen zugunsten der P… GmbH & Co. KG gelten die obigen Ausführungen zu den Provisionserlösen sinngemäß entsprechend. Auch insoweit handelt es sich um reine Inlandsumsätze, bei denen es selbst aus der Sicht eines steuerlichen Laien naheliegt, davon auszugehen, dass sie der deutschen Umsatzsteuer zu unterwerfen sind.
4. Die Klägerin haftet gemäß § 69 Satz 2 AO auch für die von der B… S.L. verwirkten Säumniszuschläge. Entgegen den Ausführungen des Senats im Beschluss vom … – … ist nach Aktenlage nicht erwiesen, dass die B… S.L. tatsächlich Tilgungsleistungen auf die per 26. März 2019 noch rückständigen Abgabenverbindlichkeiten gegenüber der Stadt V… in Höhe von 158 992,63 EUR betr. Gewerbesteuer 2006 und 2007 sowie Nebenleistungen hierzu erbracht hat. Aus diesem Grunde besteht kein Anlass für eine Herabsetzung der haftungsrelevanten Säumniszuschläge wegen Insolvenzreife der Gesellschaft, zumal bis heute von keinem einzigen Gläubiger der B… S.L. oder der B… S.L. selbst in Spanien oder in Deutschland jemals ein Insolvenzantrag gestellt worden ist (vgl. dazu allgemein: BFH-Urteil vom 19. Dezember 2000 – VII R 63/99, BStBl II 2001,217; Rüsken, aaO, § 69 Rz. 16).
5. Die Inhaftungnahme der Klägerin ist auch der Höhe nach nicht zu beanstanden.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH, der der Senat folgt, beschränkt sich die Haftung des gesetzlichen Vertreters einer Kapitalgesellschaft für Betriebssteuern sowie steuerliche Nebenleistungen hierzu (z.B. Säumniszuschläge, vgl. § 3 Abs. 4 AO) im Umfang grundsätzlich auf den Betrag, mit dem die Gesellschaft bei unzureichender Liquidität im Zeitpunkt der (ggf. fiktiven) Fälligkeit der Abgabenverbindlichkeiten das Finanzamt gegenüber anderen Gläubigern benachteiligt hat („anteilige Tilgungsquote“, vgl. dazu nur BFH-Beschluss vom 19. November 2012 – VII B 126/12, BFH/NV 2013, 504 m. w. N.).
b) Der vorgenannte Grundsatz führt im Streitfall indes nicht zu einer Herabsetzung des Haftungsumfangs.
aa) Hinsichtlich der Haftung der Klägerin für Umsatzsteuer 2006 greift ein Ausnahmetatbestand vom Grundsatz der anteiligen Tilgung ein. Dieser Grundsatz gelangt nämlich nicht zur Anwendung, wenn die fragliche Steuer bei rechtzeitiger Abgabe einer inhaltlich zutreffenden Erklärung in vollem Umfang hätte beigetrieben werden können (vgl. dazu allgemein: BFH-Urteile vom 5. März 1991 – VII R 93/88, BStBl II 1991, 678 und vom 26. August 1992 – VII R 50/91, BStBl II 1993, 8; Rüsken, aaO, § 69 Rz. 131). Das ist hier hinsichtlich der rückständigen Umsatzsteuer 2006 der Fall. Die Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr 2006 hätte bis zum 31. Mai 2007 beim Beklagten eingereicht werden müssen (vgl. dazu § 149 Abs. 2 AO i. V. m. § 18 Abs. 4 UStG 2007). Der fiktive Zahlbetrag wäre damit zum 30. Juni 2007 fällig gewesen (vgl. § 18 Abs. 4 Satz 1 UStG 2007).
Im Veranlagungszeitraum 2007 hat die B… S.L. laut rechtskräftigem Urteil des FG Berlin-Brandenburg vom 23. August 2017 – … Bruttoumsätze in Höhe von 365 078,95 EUR erzielt. Der Beklagte hätte deshalb in jenem Jahr erfolgreich die (fiktiv fällige) Umsatzsteuer für 2006 in Höhe von rund 14 200 EUR in vollem Umfang beitreiben können, etwa durch Forderungspfändungen bei den Geschäftspartnern der B… S.L..
bb) Hinsichtlich der Haftung im Übrigen konnte der Senat keine für die Anwendbarkeit des Grundsatzes der anteiligen Tilgung erforderlichen hinreichend validen Tatsachenfeststellungen treffen; dies geht zu Lasten der Klägerin.
(1) Das Finanzamt muss von den Geschäftsführern einer Kapitalgesellschaft, die es als Haftungsschuldner wegen nicht entrichteter Betriebssteuern in Haftung nehmen will, die notwendigen Auskünfte über die anteilige Gläubigerbefriedigung im Haftungszeitraum verlangen, um den Anteil der Abgabenverbindlichkeiten, für die die Geschäftsführerin in Haftung genommen werden kann, zu ermitteln. Hierfür müssen Feststellungen zur Höhe der Gesamtverbindlichkeiten der Gesellschaft im Zeitpunkt der (fiktiven) Fälligkeit der Steuerschulden, zur Höhe der Steuerschulden sowie zu den an sämtliche Gläubiger geleisteten Zahlungen getroffen werden. Hierbei ist das Finanzamt im Rahmen der Amtsermittlung auf die Mitwirkung der Beteiligten angewiesen (§ 88 Abs. 1 und § 90 Abs. 1 AO); diese haben dabei dem Finanzamt auf Verlangen in ihrem Besitz befindliche Unterlagen zur Einsicht und zur Prüfung vorzulegen (§ 97 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 AO).
(2) Im Streitfall hat sich der Beklagte bereits vor dem Erlass des streitgegenständlichen Haftungsbescheids sowie auch während des Einspruchsverfahrens um die Aufklärung des diesbezüglichen Sachverhalts bemüht. Er hat die Klägerin mit Schreiben vom 14. Oktober 2013 unter Angabe der Abgabenrückstände und der gesetzlichen Grundlagen für eine eventuelle Haftungsinanspruchnahme aufgefordert, bis zum 15. November 2013 einen beigefügten „Berechnungsbogen zur Ermittlung einer Haftungsquote“ ausgefüllt an ihn zurückzusenden. Dieser Aufforderung hat die Klägerin nicht Folge geleistet. Auch in dem über den erlassenen Haftungsbescheid geführten Einspruchsverfahren hat die Klägerin hierzu keine substantiierten Angaben gemacht.
Angesichts dieser Umstände sowie unter Beachtung der für die Ermittlung von Sachverhalten mit Auslandsbezug bestehenden erhöhten Mitwirkungspflicht der Klägerin (§ 90 Abs. 2 AO) ist die Schätzung der Tilgungsquote seitens des Beklagten für den Zeitraum 30. Juni 2008 bis 28. April 2014 (= Zeitpunkt des Erlasses des Haftungsbescheids) auf 100 v. H. der rückständigen Abgabenverbindlichkeiten sachgerecht. Hierbei war auch zu berücksichtigen, dass die B… S.L. nach den Erkenntnissen aus dem steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren in den Jahren 2006 bis 2008 Bruttoumsätzen in der Größenordnung von rund 480 000,00 EUR erzielt hatte, während sich Betriebsausgaben in nur ganz geringer Höhe (evtl. Honorarzahlungen an Herrn H… für seine Tätigkeiten für die Gesellschaft) hatten feststellen lassen.
(3) Auch die Einlassungen der Klägerin im Klageverfahren bieten für eine Herabsetzung des Haftungsbetrags nach den Grundsätzen der anteiligen Tilgung keine hinreichende Grundlage. Eine umfassende Aufstellung der der B… S.L. zugeflossenen Einnahmen und der hieraus zu tilgenden Ausgaben hat die Klägerin auch weiterhin nicht vorgelegt. Zwar hat die Klägerin vorgetragen, die B… S.L. habe im Jahr 2006 lediglich Provisionseinnahmen in Höhe von 26 000 EUR und im Jahr 2007 Provisionseinnahmen in Höhe von 197 504,37 EUR erwirtschaftet; andere Einnahmen seien der Gesellschaft nicht zugeflossen. Nachweise hierfür hat sie indes nicht beigebracht. Ob diese Angaben, die sich ausdrücklich (nur) auf das Geschäftskonto der B… S.L. beziehen, den Umfang der der B… S.L. zugeflossenen Einnahmen auch abschließend bezeichnen, ist aus Sicht des Senats mehr als fraglich. So dürften beispielsweise die Gewinnbeteiligungen der B… S.L. aus der Beteiligung an der W… GmbH & Co. KG hierbei noch nicht berücksichtigt worden sein. Ferner war der Guthabensaldo auf dem betreffenden Geschäftskonto von der Steuerfahndung zum Datum 20. August 2007 mit knapp 246 000 EUR festgestellt worden. Auch die im Rahmen der Ermittlungsmaßnahmen im Büro der Klägerin in Q… aufgefundenen Kopien von Ausgangsrechnungen der B… S.L. für Vermittlungsprovisionen lassen sich mit den Angaben der Klägerin nicht in Übereinstimmung bringen. So beträgt schon der Nettobetrag der Rechnung vom 28. November 2006 an Herrn AI… mehr als das Doppelte der von der Klägerin für 2006 insgesamt angegebenen Einnahmen. Die im Zeitraum von Januar bis Juli 2007 ausgestellten Rechnungen belaufen sich auf insgesamt (netto) 364 106 EUR; und selbst wenn man die Rechnung vom 26. Januar 2007 über 120 000 EUR an die P… GmbH & Co. KG außer Betracht ließe (von welcher die Klägerin nunmehr vorträgt, dass der Provisionsanspruch eigentlich Herrn O… zugestanden habe, der sich lediglich der B… S.L. als Rechnungsausstellerin und Kontoinhaberin bedient habe), beläuft sich die gesamte Rechnungssumme immer noch auf 244 106 EUR. Rechnet man noch die „Unkostenpauschalen“ hinzu, welche die B… S.L. der P… GmbH & Co. KG / AS… GmbH & Co. KG für die Dienste des Herrn O… berechnete, so erhöht sich das Volumen für 2007 um weitere 37 500 EUR. Alle dies hat die Klägerin bei ihren Angaben außer Betracht gelassen.
Verlässlich erscheint einzig und allein die Einlassung der Klägerin, wonach die B… S.L. ihre Verbindlichkeiten – wie etwa die Geschäftsführervergütung für den Mitgeschäftsführer H… – nicht etwa nur anteilig, sondern in voller Höhe beglichen haben will. Auch dies spricht nicht für, sondern gegen eine Herabsetzung des Haftungsbetrags nach den Grundsätzen der anteiligen Tilgung.
6. Ermessensfehler bei der Inanspruchnahme der Klägerin liegen nicht vor.
a) Ohne Erfolg macht die Klägerin geltend, der Beklagte hätte zunächst die B… S.L. auf Zahlung in Anspruch nehmen sollen. Der Beklagte hat vielmehr im März 2013 bei der Entscheidung über die Haftungsinanspruchnahme der Klägerin zu Recht darauf abgestellt, dass die Gesellschaft in Spanien mittlerweile inaktiv war (kein Geschäftsbetrieb, kein Firmenschild, kein Telefonanschluss) und eine Vollstreckung gegen die Steuerpflichtige deshalb aussichtslos sein würde (vgl. Aktennotiz vom 22. Oktober 2013 sowie die handschriftliche Notiz auf dem innerbehördlichen Schreiben vom 12. März 2014 an „EB 08“: „kein Insolvenzantrag gestellt, da VO gegen Firma aussichtslos“; Bl. 00093 f. der Haftungsakte). Auch hat der Beklagte erkannt, dass eine Pfändung des Bankkontos der Gesellschaft in Spanien aus rechtlichen Hinderungsgründen nicht in Betracht komme (Bl. 00095 der Haftungsakte). Diese Erwägungen hat der Beklagte auch in der Einspruchsentscheidung wiedergegeben und so für die Klägerin deutlich gemacht.
Im Übrigen hat die B… S.L. selbst erklärt, sie befinde sich ab Mitte 2011 in Liquidation, und sie hat für die Jahre 2011 bis 2013 Betriebseinnahmen in Höhe von jeweils 0 EUR erklärt.
b) Ebenso war es nicht ermessensfehlerhaft und bedurfte es auch keiner besonderen Begründung, dass der Beklagte keinen weiteren Haftungsbescheid gegenüber Herrn H… erlassen hat. Nach der ständigen BFH-Rechtsprechung, der der Senat folgt, ist es stets ermessensgerecht, den Täter von mehrfachen Steuerhinterziehungen persönlich in Haftung zu nehmen, auch wenn die Haftungsinanspruchnahme nicht auf § 71 AO, sondern auf eine andere Haftungsvorschrift wie z.B. § 42d Abs. 1 EStG oder – wie vorliegend - auf § 69 AO gestützt wird (sog. Vorprägung des Ermessens, vgl. dazu nur BFH-Urteil vom 12. Februar 2009 – VI R 40/07, BStBl II 2009, 478; Nacke, aaO, S. 282; Rüsken, aaO, § 191 Rz. 43, jeweils m. w. N.).
c) Bereits aus dem vorgenannten Grund war auch eine Vernehmung des eigeninitiativ zur mündlichen Verhandlung am 13. Dezember 2021 erschienenen Ehemanns der Klägerin, Herr O…, als Zeuge durch den erkennenden Senat zu der Frage, ob er in den Streitjahren neben der Klägerin ein weiterer (faktischer) Geschäftsführer der B… S.L. gewesen sei, den der Beklagte nach § 69 AO auch hätte in Haftung nehmen können, mangels Entscheidungserheblichkeit dieser Beweisfrage entbehrlich (vgl. zur Entscheidungserheblichkeit von Beweisaufnahmen allgemein: Herbert, in: Gräber, FGO, 9. Aufl., § 76 Rz. 10 ff. m. w. N.). Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat die Stellung eines entsprechenden Beweisantrags im Verlauf der mündlichen Verhandlung zwar erwogen, aber letztlich hiervon abgesehen.
Davon abgesehen wäre eine zeugenschaftliche Vernehmung von Herrn O… ohnehin nur in Betracht gekommen, wenn die Klägerin zuvor Tatsachen vorgetragen (und unter Zeugenbeweis gestellt) hätte, bei deren Erweislichkeit in der Beweisaufnahme der Senat das Vorliegen einer „faktischen Geschäftsführung“ durch Herrn O… hätte feststellen können. An solchem Tatsachenvortrag fehlt es indes. Anders als vom Klägerbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung angegeben, hat die Klägerseite weder in ihrem Schriftsatz vom 12. Juli 2019 (gemeint ist der undatierte, am 15. Juli 2019 bei Gericht eingegangene Schriftsatz, Bl. 108 ff. d.A.) noch an anderer Stelle jemals behauptet, Herr O… sei als „faktischer Geschäftsführer“ der B… S.L. aufgetreten, noch tatsächliche Umstände angegeben, die auf eine solche Rechtsfolge hätten hindeuten können. Die einzige inhaltliche Aussage hierzu stammte vom Klägerbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung: Danach habe Herr O… „im Rahmen von zwei Bauvorhaben Gespräche mit Behörden und anderen Firmen geführt“. Selbst wenn dies entgegen der Ansicht des Senats als hinreichend substantiierter Tatsachenvortrag anzusehen sein sollte, wäre dies allein noch keine taugliche Grundlage, um von einer „faktischen Geschäftsführung“ – noch dazu „für die gesamte Zeit der Existenz der Gesellschaft“ – auszugehen.
7. Der Haftungsanspruch des Fiskus gegenüber der Klägerin nach § 69 AO war im Zeitpunkt der Bekanntgabe des streitgegenständlichen Haftungsbescheids (30. April 2014) noch nicht verjährt.
Gemäß § 191 Abs. 3 Satz 1 AO sind die Vorschriften über die Festsetzungsfrist (§§ 169 ff. AO) auf den Erlass von Haftungsbescheiden entsprechend anzuwenden. Die Festsetzungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Tatbestand verwirklicht worden ist, an den das Gesetz die Haftungsfolge knüpft (§ 191 Abs. 3 Satz 3 AO). Im vorliegenden Fall wurde der gesetzliche Haftungstatbestand der Nichtabgabe der Steuererklärungen für 2006 bis 2008 in den Jahren 2007 bis 2009 verwirklicht, denn die B… S.L. hätte jeweils spätestens am 31. Mai des Folgejahres die o. g. Jahressteuererklärungen beim Beklagten einreichen müssen (vgl. dazu § 149 Abs. 2 Satz 1 AO sowie § 18 Abs. 3 Satz 1 UStG 2007-2009).
Die Festsetzungsfrist beträgt bei einer Haftungsinanspruchnahme nach § 69 AO vier Jahre. Ist die Steuer, für die gehaftet werden soll, noch nicht festgesetzt worden, so endet die Festsetzungsfrist für den Haftungsbescheid nicht vor Ablauf der für die Steuerfestsetzung geltenden Festsetzungsfrist; andernfalls gilt § 171 Abs. 10 AO sinngemäß (§ 191 Abs. 3 Satz 4 AO).
Der Ablauf der Festsetzungsverjährungsfrist für die Steuerbescheide war gemäß § 171 Abs. 5 AO durch den Beginn der Steuerfahndungsprüfung gehemmt. Voraussetzung für die verjährungshemmende Wirkung der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen ist nach dem Gesetzeswortlaut, dass Ermittlungshandlungen vor Ablauf der Festsetzungsfrist tatsächlich vorgenommen worden sind. Darüber hinaus muss für den Steuerpflichtigen erkennbar sein, dass in seinen Steuerangelegenheiten ermittelt wird (vgl. BFH, Urteil vom 16. April 1997 – XI R 61/94, BStB. II 1997, 595). Im Streitfall lagen diese Voraussetzungen spätestens im Oktober 2010 (Durchsuchungsmaßnahmen bei der Klägerin nebst Bekanntgabe der eingeleiteten steuerstrafrechtlichen Ermittlungen) und mithin vor Eintritt der regulären Festsetzungsverjährung vor.
Die Festsetzungsfrist für den Haftungsbescheid konnte somit erst zwei Jahre nach der Bekanntgabe der streitgegenständlichen Steuerbescheide vom 18. September 2012 ablaufen (§ 191 Abs. 3 Satz 4 2. Halbsatz i. V. m. § 171 Abs. 10 Satz 1 AO); zu diesem Zeitpunkt war der Haftungsbescheid aber bereits erlassen und der Klägerin bekanntgegeben worden.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.