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Entscheidung 10 UF 43/21


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 2. Senat für Familiensachen Entscheidungsdatum 29.03.2022
Aktenzeichen 10 UF 43/21 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2022:0329.10UF43.21.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Beschwerde der Mutter gegen den Beschluss des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel vom 07.04.2021 wird zurückgewiesen.

Das Beschwerdeverfahren ist gerichtskostenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

1.1. Der Beschwerdewert wird auf 4.000 € festgesetzt.

Gründe

Die gemäß §§ 58 ff. FamFG zulässige Beschwerde der Mutter ist unbegründet. Zu Recht hat das Amtsgericht ihren Antrag abgewiesen. Denn die Voraussetzungen für die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge liegen nicht vor.

I.

Gemäß § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB ist dem Antrag auf Übertragung der elterlichen Sorge oder eines Teil der elterlichen Sorge stattzugeben, soweit zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge und die Übertragung auf den antragenden Elternteil dem Kindeswohl am besten entspricht. Mit der Neuregelung der Übertragung der elterlichen Sorge durch das Kindschaftsrechtsreformgesetz vom 16.12.1997 (BGBl. 1997, Teil I, Seite 2942 ff.) hat der Gesetzgeber kein Regel-Ausnahme-Verhältnis in dem Sinn geschaffen, dass ein Vorrang zu Gunsten der gemeinsamen elterlichen Sorge besteht und die Alleinsorge eines Elternteils nur in Ausnahmefällen als ultima ratio, als letzte Möglichkeit, in Betracht kommt (BGH, Beschluss vom 12. 12. 2007 - XII ZB 158/05, FamRZ 2008, 592; Beschluss vom 11.05.2005 - XII ZB 33/04,FamRZ 2005, 1167; Beschluss vom 29.09.1999 - XII ZB 3/99, FamRZ 1999, 1646, 1647; KG, Beschluss vom 21.09.1999 – 17 UF 4806/99, FamRZ 2000, 502 f.; KG, Beschluss vom 08.11.1999 - 16 UF 4579/99, FamRZ 2000, 504; siehe auch BVerfG, Beschluss vom 18.12.2003 - 1 BvR 1140/03, FamRZ 2004, 354). Es besteht auch keine gesetzliche Vermutung dahin, dass die gemeinsame Sorge nach der Trennung der Eltern weiterhin die für das Kind beste Form der Wahrnehmung elterlicher Verantwortung ist (BGH, Beschluss vom 12. 12. 2007, a.a.O.).

Bei der Entscheidung über die Anordnung oder Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge ist insbesondere zu berücksichtigen, wenn es im Verhältnis der Eltern an einer Grundlage für ein Zusammenwirken im Sinne des Kindeswohls fehlt. Ein nachhaltiger und tiefgreifender Elternkonflikt kann zur Folge haben, dass die gemeinsame elterliche Sorge dem Kindeswohl widerspricht (BGH, Beschluss vom 15.6.2016 - XII ZB 419/15, FamRZ 2016, 1439 Rn. 21). Die gemeinsame Ausübung der Elternverantwortung setzt ein Mindestmaß an Übereinstimmung in wesentlichen Bereichen der elterlichen Sorge und insgesamt eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern voraus (BGH, Beschluss vom 15.6.2016, a.a.O., Rn. 23). Die gemeinsame elterliche Sorge ist daher nicht anzuordnen, wenn eine schwerwiegende und nachhaltige Störung auf der Kommunikationsebene der Eltern vorliegt, die befürchten lässt, dass den Eltern eine gemeinsame Entscheidungsfindung nicht möglich sein wird und das Kind erheblich belastet würde, würde man die Eltern zwingen, die Sorge gemeinsam zu tragen. Maßgeblich ist, welche Auswirkungen die mangelnde Einigungsfähigkeit der Eltern bei einer Gesamtbeurteilung der Verhältnisse auf die Entwicklung und das Wohl des Kindes haben wird (BGH, Beschluss vom 15.6.2016, a.a.O., Rn. 24). Die Kommunikation der Eltern kann bereits dann schwer und nachhaltig gestört sein, wenn die Eltern zwar miteinander in Kontakt treten, hierbei aber regelmäßig nicht in der Lage sind, sich in der gebotenen Weise sachlich über die Belange des Kindes auszutauschen und auf diesem Wege zu einer gemeinsamen Entscheidung zu gelangen. Dann ist zu prüfen, ob hierdurch eine erhebliche Belastung des Kindes zu befürchten ist (BGH, Beschluss vom 15.6.2016, a.a.O., Rn. 25). Zur Begründung der Alleinsorge in einem solchen Fall ist nicht zusätzlich die Feststellung einer günstigen Prognose dahingehend erforderlich, dass die Eltern aufgrund der gerichtlichen Entscheidung für die Alleinsorge ihren Streit nicht fortsetzen werden. In die Abwägung ist vielmehr einzubeziehen, ob durch die Alleinsorge die Konfliktfelder zwischen den Eltern eingegrenzt werden, was für sich genommen bereits dem Kindeswohl dienlich sein kann, während bereits das Risiko, dass das Kind durch die Begründung der gemeinsamen Sorge verstärkt dem fortdauernden Konflikt der Eltern ausgesetzt wird, dem Kindeswohl entgegenstehen kann (BGH, Beschluss vom 15.6.2016, a.a.O., Rn. 28).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist schon zweifelhaft, ob – wie von der Mutter geltend gemacht – tatsächlich keine Grundlage mehr für die Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge besteht. Dies kann aber auf sich beruhen. Denn jedenfalls mit Rücksicht auf die vom Vater inzwischen erteilte Sorgerechtsvollmacht liegen die Voraussetzungen dafür, die gemeinsame elterliche Sorge aufzuheben und sie einem Elternteil allein – hier der den Antrag stellenden Mutter – zu übertragen, nicht vor.

1.

Die Frage, ob im Hinblick auf eine eingeschränkte Kommunikation zwischen den Eltern die Voraussetzungen für eine Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge grundsätzlich gegeben sind, braucht hier nicht entschieden zu werden.

a)

Allerdings steht der Ausübung der gemeinsamen Sorge – wie das Amtsgericht zutreffend festgestellt hat – nicht allein die von der Mutter in erster Instanz hervorgehobene fehlende Erreichbarkeit des Vaters entgegen. Im Übrigen macht schon der Umstand, dass die Kinder vom Vater Nachrichten auf dem Handy erhalten haben, deutlich, dass eine Kommunikation mit ihm grundsätzlich möglich war. Deshalb kann der Mutter nicht die alleinige elterliche Sorge unter dem Gesichtspunkt übertragen werden, dass es – wie von ihr im Senatstermin vom 07.12.2021 geäußert - „vieles leichter machen würde“.

b)

Der Vater hat im bisherigen Verfahren allerdings nicht den Eindruck vermittelt, alles dafür zu tun, seine Bindungen zu den Kindern zu stärken. Beispielhaft dafür ist sein Verhalten im April 2021, als er nach eigenen Angaben die Mutter im Hinblick auf die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis aufgesucht hat. Die Mutter und die Kinder haben in diesem Zusammenhang übereinstimmend glaubhaft bekundet, dass er diese Gelegenheit zunächst nicht dafür genutzt hat, mit den Kindern ins Gespräch zu kommen, sondern vor allem auf die behördliche Angelegenheit fixiert war. Auch der Vertreter des Jugendamts hat im Senatstermin erklärt, die Passivität des Vaters sei für ihn nicht nachvollziehbar. Soweit es die Begegnung des Vaters mit M… am 17.05.2021 betrifft, ist dies von den Eltern ausweislich ihres schriftsätzlichen Vorbringens unterschiedlich wahrgenommen worden. Unabhängig davon, wie sich die Abläufe im Einzelnen gestaltet haben und ob sich der Antragsgegner dabei kindgerecht verhalten hat, lässt sich – zumal der Antragsgegner selbst von einem zufälligen Zusammentreffen an einer Haltestelle spricht – nicht feststellen, dass es sich um einen gezielten Versuch gehandelt hat, mit den Kindern oder auch nur dem älteren Sohn wieder ins Gespräch zu kommen.

c)

Zu berücksichtigen ist auch der Wille der beiden Kinder. Ihre Äußerungen – insbesondere die des älteren Bruders M… – sprechen eher dafür, die gemeinsame elterliche Sorge aufzuheben.

Der Kindeswille bietet allerdings regelmäßig erst ab einem Alter des Kindes von etwa 12 Jahren eine einigermaßen zuverlässige Entscheidungsgrundlage (OLG Brandenburg - 1. Familiensenat -, Beschluss vom 19.03.2008 – 9 UF 213/07, BeckRS 2008, 16527; OLG Brandenburg - 2. Familiensenat -, Beschluss vom 25.11.2010 - 10 UF 135/10, BeckRS 2010, 30458; OLG Brandenburg - 3. Familiensenat -, Beschluss vom 29.04.2021 – 15 UF 64/21, BeckRS 2021, 10772 Rn. 53; OLG Brandenburg - 5. Familiensenat -, Beschluss vom 29.07.2013 - 3 UF 47/13, BeckRS 2013, 19107; s.a. OLG Brandenburg – 4. Familiensenat - Beschluss vom 19.09.2012 – 13 UF 9/11, BeckRS 2012, 21727 ; Lack, in: Johannsen/Henrich/Althammer, Familienrecht, 7. Aufl., § 1671 BGB Rn. 81).

Dies trifft hier auf M… zu, der bei der Anhörung durch den Senat fast 13 Jahre alt war. I… hingegen war zu diesem Zeitpunkt erst neun Jahre alt. Dafür, dass beide nicht ganz autonom ihren eigenen Willen bekundet haben, spricht aber der Umstand, dass sie zukünftige Kontakte zu ihrem Vater mit fast denselben Worten abgelehnt haben: „Der Vater hat uns vergessen, jetzt vergessen wir ihn.“ Ob diese Äußerung etwa auf eine Beeinflussung durch die Mutter zurückzuführen ist oder ob etwa das jüngere Kind eine Äußerung seines älteren Bruders einfach nachgesprochen hat, kann dahinstehen. Jedenfalls wird damit die aktuelle Situation verdeutlicht, die dadurch gekennzeichnet ist, dass die Beziehung der Kinder zu ihrem Vater gestört ist.

Während I… – seinem Alter entsprechend – keine genaue Vorstellung vom Gegenstand des Beschwerdeverfahrens hatte, konnte M… im Senatstermin altersgerecht erklären, worum es beim Sorgerecht geht. Er sprach sich für eine elterliche Sorge der Mutter aus, da diese sich um seinen Bruder und ihn kümmere. Der Vater sei gar nicht für sie da. Er erinnere sich nur an sie, wenn es Gerichtsverfahren gebe. I… hat sich – nach kindgerechter Erklärung des Verfahrensgegenstands – ähnlich geäußert. Er hat erklärt, nur seine Mutter solle über ihn entscheiden. Wenn er und sein Bruder krank seien, mache sie sich Sorgen. Sein Vater mache sich keine Sorgen.

Nach alledem spricht der Wille der Kinder eher dafür, die gemeinsame elterliche Sorge aufzuheben und das Sorgerecht der Mutter allein zu übertragen. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass der Wille der Kinder, wenn es nicht etwa um das Aufenthaltsbestimmungsrecht oder den Umgang geht, sondern um das Sorgerecht insgesamt als abstrakte Rechtsposition, weniger bedeutsam ist. Der Wille der Kinder kann aber Rückschlüsse auf ihre Bindungen zulassen und Belastungen zum Ausdruck bringen. So liegt es hier. Beide Kinder haben vehement abgelehnt, den Vater wieder zu sehen. Ihre Bindungen zum Vater sind somit gestört. Sie empfinden Einmischungen des Vaters in ihre Belange als Belastung. Auch durch das vorliegende Gerichtsverfahren über zwei Instanzen hinweg sind die Kinder belastet.

d)

Im Hinblick auf die soeben genannten Umstände liegt weder ein Fall vor, der wegen hoher Konfliktfähigkeit der Eltern die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge eindeutig gebietet noch ein Fall, bei dem für den Fall des Fortbestandes der gemeinsamen Sorge eine eindeutig günstige Prognose im Hinblick auf ein gedeihliches Miteinander der Eltern zu stellen wäre. Eine Entscheidung darüber, ob bei einer Abwägung die genannten Umstände den Antrag der Mutter grundsätzlich rechtfertigen, kann aber offenbleiben.

2.

Denn selbst wenn man zugunsten der Mutter unterstellte, die soeben genannten Umstände rechtfertigten die Aufhebung der elterlichen Sorge, so gelangte man doch zu einem anderen Ergebnis unter Berücksichtigung der vom Vater im Beschwerdeverfahren unter dem 03.01.2022 erklärten Sorgerechtsvollmacht.

a)

Mit der Aufhebung der gemeinsamen Sorge und Übertragung der Alleinsorge auf den antragstellenden Elternteil gem. § 1671 BGB ist zwangsläufig ein Eingriff in das durch Art. 6 Abs. 2 GG geschützte Elternrecht des anderen Elternteils verbunden. Auch die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge unterliegt daher dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Sie kommt insbesondere nur dann in Betracht, wenn dem Kindeswohl nicht durch mildere Mittel als die Sorgerechtsübertragung entsprochen werden kann (BGH, Beschluss vom 29.04.2020 – XII ZB 112/19 Rn. 18, FamRZ 2020, 1171; vgl. auch Löhnig, NJW 2020, 2150).

Die Bevollmächtigung eines mitsorgeberechtigten Elternteils durch den anderen kann eine Übertragung des Sorgerechts ganz oder teilweise entbehrlich machen, wenn und soweit sie dem bevollmächtigten Elternteil eine ausreichend verlässliche Handhabe zur Wahrnehmung der Kindesbelange gibt. Das setzt allerdings auch eine ausreichende Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft der Eltern voraus, soweit eine solche unter Berücksichtigung der durch die Vollmacht erweiterten Handlungsbefugnisse des bevollmächtigten Elternteils unerlässlich ist  (BGH, Beschluss vom 29.04.2020, a.a.O., Rn. 21, 28).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die vom Vater vorgelegte Vollmacht grundsätzlich geeignet, einen Eingriff in sein Sorgerecht entbehrlich zu machen.

b)

Die Vollmacht ist wirksam erteilt worden.

Auf die Sorgerechtsvollmacht finden die gesetzlichen Regeln der Stellvertretung nach den §§ 164 ff. BGB unmittelbar Anwendung (BGH, Beschluss vom 29.04.2020, a.a.O., Rn. 24; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 25.05.2021 – 20 UF 18/21, BeckRS 2021, 15985 Rn. 43). Die Erteilung einer Vollmacht ist eine selbstständige, einseitige, nicht annahmebedürftige Erklärung des Vollmachtgebers (BGH, Urteil vom 05.12. 2006 - XI ZR 341/05, NJW-RR 2007, 1202 Rn. 18). Das Grundverhältnis für die Sorgerechtsvollmacht ist regelmäßig das sich aus dem fortbestehenden gemeinsamen Sorgerecht ergebende gesetzliche Rechtsverhältnis (BGH, Beschluss vom 29.04.2020, a.a.O., Rn. 25 f.). Mithin ist es für die Wirksamkeit der vom Antragsgegner vorgelegten Vollmacht ohne Bedeutung, dass diese nur von ihm unterschrieben und das für die Mutter vorgesehene Unterschriftsfeld bisher frei geblieben ist.

c)

Der Entbehrlichkeit der Aufhebung der gemeinsamen Sorge im Hinblick auf die erteilte Vollmacht stehen nicht die vom Verfahrensbevollmächtigten der Mutter geäußerten Bedenken entgegen, die Vollmacht werde nicht lange von Bestand sein.

Es trifft allerdings zu, dass der Vater die Vollmacht grundsätzlich jederzeit widerrufen kann. Dieser Umstand steht einer Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge aber nicht entgegen.

Auch wenn die Vollmacht mangels Disponibilität des Elternrechts nicht wirksam unwiderruflich erteilt werden kann, bedarf es keiner – ohnedies unsicheren – Prognose, mit welcher Wahrscheinlichkeit die Vollmacht vom vollmachtgebenden Elternteil künftig widerrufen werden könnte. Da die wirksam erteilte Vollmacht den hauptverantwortlichen Elternteil mit erweiterten Handlungsbefugnissen ausstattet, ergäbe sich insoweit erst durch den tatsächlich erklärten Widerruf der Vollmacht eine geänderte Sachlage, die sodann als Grund für eine Sorgerechtsentscheidung nach § 1671 BGB oder gegebenenfalls für die Abänderung einer bereits ergangenen Entscheidung nach § 1696 BGB angeführt werden kann (BGH, Beschluss vom 29.04.2020, a.a.O., Rn. 35, 39).

d)

Die Äußerungen der übrigen Verfahrensbeteiligten gebieten es nicht, dem Antrag der Mutter zu folgen.

Der Verfahrensbeistand hat im Senatstermin erklärt, er stelle sich der Erteilung einer Vollmacht nicht entgegen. Er hat dies mit der Einschätzung verknüpft, dass dann im Ergebnis keine andere Sachlage entstände als bei alleiniger Sorge der Mutter. Dies mag zutreffen, lässt aber unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit eine Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge auf die Mutter nicht zu.

Denn die Vollmacht kann weder allgemein als in der Regel ungeeignet angesehen werden, weil die elterliche Sorge des die Vollmacht erteilenden Elternteils nur formal aufrechterhalten bliebe, noch bleibt ihre Eignung  auf Fälle beschränkt, in denen zwischen dem Kind und dem vollmachtgebenden Elternteil ein persönlicher Kontakt besteht (BGH, Beschluss vom 29.04.2020, a.a.O., Rn. 34). Somit entfällt grundsätzlich die Erforderlichkeit eines gerichtlichen Eingriffs in die elterliche Sorge durch die Erteilung einer „Sorgerechtsvollmacht“. Insbesondere steht dieser Bewertung nicht die vermeintliche Gefahr einer gemeinsamen elterlichen Sorge als „leere Hülle“ entgegen (Prinz, NZFam 2020, 747, 755). Vielmehr ist im jeweiligen Einzelfall zu entscheiden, ob die Vollmacht unter den gegebenen Umständen ausreicht, um die Kindesbelange verlässlich wahrnehmen zu können (BGH, Beschluss vom 29.04.2020, a.a.O., Rn. 34).

Der Vertreter des Jugendamts hat im Senatstermin darauf hingewiesen, dass durch die fehlenden Kontakte des Vaters zu den Kindern die Basis für gute gemeinsame Entscheidungen der Eltern schwinden werde. Auch diese Befürchtung ist nachvollziehbar. Indem der Vater nun aber der Mutter weitreichende Vollmachten erteilt hat, kommt es insoweit auf gemeinsame Entscheidungen nicht mehr an.

e)

Nach dem Vorstehenden besteht im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz jedenfalls keine Veranlassung, die gemeinsame elterliche Sorge hinsichtlich der Gesundheitsfürsorge, der Behördenangelegenheiten, Vermögensangelegenheiten und schulischen Angelegenheiten aufzuheben. Denn insoweit hat der Vater der Mutter eine umfassende Vollmacht erteilt. Unter Berücksichtigung der durch die Vollmacht erweiterten Handlungsbefugnisse der Mutter bedarf es keiner weitergehenden Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft der Eltern.

f)

Nichts anderes gilt aber auch für das Aufenthaltsbestimmungsrecht.

Allerdings hat der Vater insoweit seine Vollmacht eingeschränkt. Seine Verfahrensbevollmächtigte hat bereits im Senatstermin erklärt, dass der Vater sich grundsätzlich auf eine Vollmachtslösung gut einlassen könne, die insbesondere die Gesundheitsfürsorge, schulische Belange und Behördenangelegenheiten umfasse. Mit einer alleinigen Entscheidung der Mutter über Auslandsreisen sei der Vater aber nicht einverstanden. Entsprechend hat der Vater in der Vollmacht vom 03.01.2022 der Mutter zwar umfassende Vollmachten hinsichtlich der Gesundheitsfürsorge, Meldeangelegenheiten, Vermögensangelegenheiten, Behördenangelegenheiten und schulische Angelegenheiten erteilt, in Bezug auf Angelegenheiten der Aufenthaltsbestimmung aber eine Einschränkung insoweit gemacht, als die Vollmacht sich hier nur auf die Aufenthaltsbestimmung bei Klassenfahrten und Reisen innerhalb der Europäischen Union beschränkt.

Das hat jedoch zur Folge, dass die Mutter aufgrund der Vollmacht weder in der Lage wäre, mit den Kindern ohne Zustimmung des Vaters in ihr Heimatland, nach M…, zu reisen, noch dass die Mutter mit den Kindern an einen anderen Wohnort ziehen könnte. Diese Beschränkungen stehen der Beibehaltung des gemeinsamen Aufenthaltsbestimmungsrechts aber nicht entgegen.

aa)

Die Eltern haben wechselseitig die Befürchtung geäußert, der andere Elternteil könne mit den Kindern in sein Heimatland, also entweder M… oder S…, zurückkehren. Dafür, dass es tatsächlich so kommen könnte, fehlen aber bislang hinreichende Anhaltspunkte. Die Mutter hat im Senatstermin bekundet, dass sie mit den Kindern lediglich auf Urlaub nach M… fahren wolle. Hierzu hat sie nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass die Kinder in Deutschland eine bessere Zukunft hätten. Zu ihrem und der Kinder Aufenthaltsstatus hat sich die Mutter allerdings nicht geäußert.

Ob tatsächlich Veranlassung besteht, der Mutter die Befugnis vorzuenthalten, über Reisen mit den Kindern auch in Gebiete außerhalb der Europäischen Union allein zu entscheiden, kann hier offenbleiben. Bei gemeinsamer elterlicher Sorge müssen sich die Eltern über jede einzelne, konkret ins Auge gefasste Reise verständigen. Gelingt eine Einigung im Einzelfall nicht, so ist im Hinblick auf den dann zutage tretenden punktuell-sachbezogenen Konflikt das Verfahren nach § 1628 BGB eröffnet (vgl. hierzu OLG Hamburg, Beschluss v. 22.6.2021 − 12 UF 61/21, FamRZ 2022, 107; OLG Koblenz, Beschluss vom 5.8.2021 – 7 UF 407/21, FamRZ 2022, 197). Allerdings sollte der Vater – auch zur Vermeidung eines solchen Verfahrens – die von der Mutter geäußerten Reisewünsche gerade in ihr Heimatland wohlwollend prüfen.

bb)

Ebenfalls kann dahinstehen, ob Veranlassung besteht, die Mutter an ihrem Vorhaben zu hindern, gemeinsam mit ihrem jetzigen Partner und den Kindern nach … umzuziehen. Die Mutter hat im Senatstermin plausible Gründe für den in Aussicht genommenen Umzug genannt. Dieser wäre aber mit deutlichen Erschwernissen hinsichtlich der Kontakte zwischen dem Vater und seinen Kindern verbunden.

Dabei ist zunächst festzustellen, dass sich der Vater in der Vergangenheit nicht nachhaltig um regelmäßige Kontakte zu seinen Kindern bemüht hat. Der Vertreter des Jugendamts hat im Senatstermin nachvollziehbar von Passivität des Vaters gesprochen. Der Verfahrensbeistand hat in seinem Bericht vom 18.08.2021 geäußert, der Vater unternehme aktiv nichts, um die Bindung zu seinen Kindern wiederherzustellen und zu festigen. Vor diesem Hintergrund könnte man den Standpunkt vertreten, es sei dem Vater auch zuzumuten, die mit einem etwaigen Umzug der Kinder verbundenen Erschwernisse im Falle einer Kontaktaufnahme in Kauf zu nehmen.

Dem steht aber entgegen, dass der Vater nun ein Verfahren zur Regelung des Umgangs eingeleitet hat. Seine Verfahrensbevollmächtigte hat bereits in ihrem Schriftsatz vom 22.12.2021 von der Absicht des Vaters, beim Familiengericht ein Umgangsverfahren einzuleiten, berichtet. Der Verfahrensbeistand hat unter dem 21.02.2022 unter Angabe des betreffenden Aktenzeichens die Anhängigkeit eines solchen Umgangsverfahrens bestätigt. Dies ist ein Indiz dafür, dass der Vater nun doch aktiv werden will, um wieder Kontakte zu seinen Kindern herzustellen. Dabei ist er ausweislich des Schreibens des Verfahrensbeistands vom 21.02.2022 offenbar sogar bereit, zunächst einen begleiteten Umgang mit den Kindern zu akzeptieren.

Auch wenn der Verfahrensbeistand in diesem Schreiben zugleich von der weiterhin - möglicherweise sogar verstärkt - ablehnenden Haltung der Kinder dem Vater gegenüber berichtet, bleibt jedoch abzuwarten, inwieweit der Vater nicht doch die Chance erhält, wieder Kontakte zu seinen Kindern anzubahnen und später dann gegebenenfalls auszubauen. In seinem Schriftsatz vom 22.12.2021 hat der Vater zu Recht darauf hingewiesen, dass insoweit auch die Mutter gefordert ist. So wie sich der Vater bisher in Bezug auf Kontakte zu seinen Kindern eher passiv verhalten hat, hat auch die Mutter die Beziehungen zwischen Kindern und Vater nicht erkennbar nachhaltig gefördert. Dies muss nun anders werden. Dabei muss die Mutter in den Blick nehmen, dass nicht nur der Vater ein Recht auf Umgang mit den Kindern hat, sondern umgekehrt die Kinder auch ein Recht auf Umgang mit dem Vater, § 1684 Abs. 1 BGB. Gerade dann, wenn die Mutter sich zugunsten dieses Rechts ihrer Kinder engagiert, besteht für den Vater vielleicht die Möglichkeit, wieder behutsam eine Beziehung zu seinen Kindern aufzubauen. Insoweit hat er in seinem Schreiben vom 22.12.2020 nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass dies bei seinem jüngeren Sohn I… vielleicht eher gelingen werde. Wie bereits ausgeführt, hat sich der Junge im Senatstermin nicht gleichermaßen vehement ablehnend gegenüber dem Vater geäußert wie sein älterer Bruder.

Somit sprechen die aktuellen Bemühungen des Vaters um Kontakte zu seinen Kindern dagegen, der Mutter durch Übertragung des alleinigen Aufenthaltsbestimmungsrechts die Befugnis zu einem Umzug gemeinsam mit den Kindern einzuräumen. Hinzu kommt, dass ohnehin nicht feststeht, ob und gegebenenfalls wann es tatsächlich zu einem solchen Umzug kommt.

Die Mutter hat vor dem Senat davon gesprochen, man wolle abwarten, bis M… die sechste Schulklasse beendet hat. Man habe mit den Kindern über den Umzug nach … schon gesprochen und sie seien damit einverstanden. M… hat bei seiner Anhörung bestätigt, dass er den Umzugswunsch der Mutter kenne. Er hat dazu aber weiter erklärt, dass seine Eltern – womit offensichtlich die Mutter und ihr jetziger Ehemann gemeint waren - „noch ein bisschen in B… bleiben“ wollten, sie wollten „erst mal gucken, wie alles wird.“

Angesichts dieser offenen Entwicklung bleibt zunächst abzuwarten, wie sich die Bemühungen des Vaters um eine Umgangsregelung gestalten. Das Amtsgericht wird in diesem Zusammenhang auch zu prüfen haben, welche Umgangsregelungen zwischen den Beteiligten bisher ergangen sind. Der Vertreter des Jugendamtes hat im Senatstermin davon gesprochen, der Vater verfüge seit langem über einen Umgangsbeschluss. Einige der von den Eltern geführten Verfahren liegen dem Senat vor. Dazu gehört auch das Verfahren 45 F 284/18. In jenem Verfahren ist am 05.11.2018 der Umgang des Vaters mit seinen Kindern durch einstweilige Anordnung geregelt worden. Diese tritt gemäß § 56 Absatz ein S. 1 FamFG bei Wirksamwerden einer anderweitigen Regelung außer Kraft. Eine solche anderweitige Regelung könnte auch die Anordnung eines anbahnenden begleiteten Umgangs sein. Sollte hingegen schon ein Umgangsbeschluss in der Hauptsache ergangen sein, würde es sich bei dem nun anhängig gemachten Umgangsverfahren entweder um ein Abänderungsverfahren gemäß § 1696 BGB (vgl. hierzu OLG Frankfurt, Beschluss vom 26.10.2021 – 6 UF 147/21, FamRZ 2022, 362) oder um ein Vermittlungsverfahren gemäß § 165 FamFG handeln.

g)

Wenn demnach die Voraussetzungen für die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge insgesamt nicht vorliegen, der Mutter also nicht einmal ein Teilbereich der elterlichen Sorge allein zu übertragen ist, steht dies im Einklang mit dem Kindeswohl, § 1697a BGB. Dies gilt ungeachtet der ablehnenden Haltung, die die Kinder dem Vater gegenüber zuletzt entgegengebracht haben. Denn es ist nicht ausgeschlossen, dass das Verhalten der Kinder vor allem Ausdruck eines Loyalitätskonflikts ist. Der Verfahrensbeistand hat in seiner erstinstanzlichen Stellungnahme vom 09.11.2020 die Vermutung geäußert, die Ablehnung der Kinder resultiere eher aus der Befürchtung, mit einer Zuwendung zum Vater möglicherweise den jetzigen Status, den Aufenthalt bei der Mutter, zu verlieren. Die vom Verfahrensbeistand unter dem 21.02.2022 beschriebene sich verstärkende ablehnende Haltung der Kinder bezieht sich offensichtlich auf das nun vom Vater eingeleitete Umgangsverfahren und die vom Vater gewünschten Kontakte mit seinen Kindern. Im vorliegenden Verfahren geht es dagegen um die elterliche Sorge, zunächst als abstrakte Rechtsposition. Auch wenn mit beiden Kindern im Senatstermin hierüber altersgerecht ein Gespräch geführt werden konnte, hat sich die Sachlage im Hinblick auf die inzwischen vom Vater erteilte Sorgerechtsvollmacht verändert. Die Kinder müssen nun nicht mehr befürchten, dass der Vater weiterhin in allen Angelegenheiten der elterlichen Sorge Mitsprache einfordern kann. Den Kindern wird auch zu erläutern sein, wie sich die Situation in Bezug auf einen möglicherweise nach wie vor gegebenen Umzugswunsch der Mutter und möglicherweise demnächst konkret werdende Reisepläne nach M… aktuell gestaltet. Hierüber wie auch über den grundsätzlich unterstützenswerten Wunsch des Vaters nach Umgang mit den Kindern wird die Mutter behutsam sprechen müssen. Auch der Verfahrensbeistand sollte diesen Beschluss mit den Kindern erörtern, § 158b Abs. 1 Satz 4 FamFG in der seit dem 01.07.2021 geltenden Fassung.

3.

Die Mutter hat mit Schriftsatz vom 20.12.2021 erklärt, sie sei bereit, den Vater in schulischen Belangen zu informieren, zum Beispiel durch Übersendung von Zeugnissen, Erteilung von Schweigepflichtentbindungserklärungen für Lehrkräfte und Ärzte gegenüber dem Vater. Ferner hat sie die Bereitschaft bekundet, den Vater im Falle von Urlaubsreisen zwei bis vier Wochen vor Reiseantritt über Ziel und Dauer zu informieren. Diese ausdrückliche Einräumung von Informationsrechten ändert aber nichts daran, dass im Hinblick auf die vom Vater erfolgte Sorgerechtsvollmacht ein Eingriff in sein Elternrecht unverhältnismäßig wäre. Informationsrechte bestehen im Übrigen nicht nur bei gemeinsamer elterlicher Sorge, sondern unter Umständen auch bei Alleinsorge des anderen Elternteils gemäß § 1686 BGB (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 05.08.2021 – 2 UF 111/21, BeckRS 2021, 25178). Nachdem der Vater der Mutter gerade in Bezug auf die Gesundheitsfürsorge und die schulischen Angelegenheiten umfassende Vollmachten erteilt hat, kommt die Erklärung der Mutter auch jetzt bei Fortbestand der gemeinsamen elterlichen Sorge zum Tragen.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 81, 84 FamFG. Auch wenn die Beschwerde der Mutter im Ergebnis ohne Erfolg bleibt, entspricht es nicht der Billigkeit, die Kosten des Beschwerdeverfahrens allein der Mutter aufzuerlegen. Jedenfalls bis zur Erteilung der Sorgerechtsvollmacht durch den Vater war ihr Rechtsmittel erfolgversprechend. Da diese Vollmacht nicht umfassend erteilt worden ist, war es – jedenfalls in Bezug auf Angelegenheiten der Aufenthaltsbestimmung – weiterhin verständlich, dass sie an ihrem Begehren festgehalten hat.

Die Wertfestsetzung ergeht auf der Grundlage der §§ 40 Abs. 1, 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG.

Gegen diesen Beschluss ist ein Rechtsmittel nicht gegeben. Denn angesichts der Einzelfallentscheidung unter Berücksichtigung der maßgeblichen Rechtsprechung des BGH liegen die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 70 Abs. 2 FamFG nicht vor.