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Entscheidung 2 Reha 20/21


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 2. Strafsenat Entscheidungsdatum 04.11.2021
Aktenzeichen 2 Reha 20/21 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2021:1104.2REHA20.21.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Auf die Beschwerde der Betroffenen wird der Beschluss des Landgerichts Potsdam – Kammer für Rehabilitierungsverfahren – vom 25. Mai 2021 aufgehoben, soweit der Rehabilitierungsantrag des Betroffenen hinsichtlich seiner Unterbringung in der Kinderkrippe „J… A…“, im Vorschulkinderheim „B…“, im Kinderheim „H… C…“, im Spezialkinderheim „E… S…“ sowie im Jugendwerkhof L… zurückgewiesen worden ist.

Die von den staatlichen Behörden der ehemaligen DDR getroffenen Anordnungen über die Unterbringungen des Betroffenen im Spezialkinderheim „E… S…“ in E… in der Zeit vom 21. August 1969 bis zum 1. Juli 1971 sowie im Jugendwerkhof L… vom 1. Juli 1971 bis zum 14. Juli 1972 werden für rechtsstaatswidrig erklärt und aufgehoben.

Der Betroffene hat in der Zeit vom 21. August 1969 bis zum 14. Juli 1972 zu Unrecht Freiheitsentziehung erlitten.

Die insoweit im Rehabilitierungsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen des Betroffenen fallen der Staatskasse zur Last.

Im weitergehenden Umfang der Aufhebung wird die Sache zu erneuter Entscheidung, auch über die im Beschwerdeverfahren entstandenen Auslagen des Betroffenen, an das Landgericht Potsdam zurückverwiesen.

Gründe

I.

Der Betroffene begehrt die Rehabilitierung hinsichtlich seiner Unterbringung in der Kinderkrippe „J… A…“ im Jahre 1954, im Vorschulkinderheim „B…“ im Jahre 1956, im Kinderheim „H… C…“ in B… ab 1959, im Spezialkinderheim “E… S… “ E… sowie im Jugendwerkhof L… .

Darüber hinaus hat der Betroffene wegen seiner Verurteilung durch das Kreisgericht Brandenburg/Havel-Stadt vom 24. Juli 1973 wegen Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch asoziales Verhalten und seiner diesbezüglichen Inhaftierung im Zeitraum vom 22. Juli 1973 bis zum 21. Juli 1975 die Rehabilitierung beantragt.

Das Landgericht Potsdam hat durch Beschluss vom 25. Mai 2021 das Urteil des Kreisgerichts für rechtsstaatswidrig erklärt und aufgehoben sowie festgestellt, dass der Betroffene insoweit zu Unrecht Freiheitsentziehung erlitten habe. Den weitergehenden, die Heimunterbringungen betreffenden Rehabilitierungsantrag hat die Kammer zurückgewiesen und dabei im Wesentlichen auf eine Stellungnahme der Staatsanwaltschaft Potsdam Bezug genommen.

Danach seien die Unterbringungen veranlasst worden, weil die Eltern seit 1957 republikflüchtig gewesen seien und ihre Kinder „offensichtlich“ zurückgelassen hätten, so dass die Notwendigkeit der Betreuung und Unterbringung des Betroffenen bestanden habe. Die Heimeinweisungen hätten mithin nicht der politischen Verfolgung gedient, sondern seien aufgrund „des Fehlens eines Erziehungsberechtigten“ und einer Gefährdung des Kindeswohls geboten gewesen. Die für Einweisungen in ein Spezialheim oder ähnlichen Zwecken dienende Einrichtungen geltende „Vermutungsregelung“ sei entkräftet. „Ein grobes Missverhältnis zwischen dem Anlass der Anordnung der Heimerziehung/Unterbringung im Jugendwerkhof und den angeordneten Konsequenzen oder ein Rechtsmissbrauch aus anderen Gründen“ könne „nicht festgestellt werden“.

Dagegen hat der Betroffene Beschwerde eingelegt. Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg beantragt, das Rechtsmittel als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die Beschwerde des Betroffenen ist, soweit das Landgericht den Rehabilitierungsantrag abgelehnt hat, zulässig und begründet. Sie führt zur Rehabilitierung des Betroffenen hinsichtlich seiner Unterbringung im Spezialkinderheim „E… S…“ sowie im Jugendwerkhof L… und im Übrigen zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

1. Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2, § 1 Abs. 1 StrRehaG ist die Anordnung einer Unterbringung in einem Heim für Kinder oder Jugendliche, die der politischen Verfolgung oder sonst sachfremden Zwecken gedient hat, für rechtsstaatswidrig zu erklären und aufzuheben. Gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 StrRehaG wird dabei vermutet, dass die Anordnung der Unterbringung in einem Heim für Kinder oder Jugendliche der Verfolgung oder sonst sachfremden Zwecken diente, wenn eine Einweisung in ein Spezialheim oder vergleichbare Einrichtung, in der eine zwangsweise Umerziehung erfolgte, stattfand.

Widerlegt ist die Vermutung einer durch sachfremde Zwecke motivierten Einweisung in Spezialheime und Jugendwerkhöfe nur, wenn positiv festgestellt werden kann, dass die Unterbringung nicht auch der politischen Verfolgung oder sonst sachfremden Zwecken gedient hat; dass zugrunde liegende Entscheidungen sich auf Erziehungsschwierigkeiten und -bedürfnisse stützen, ermöglicht regelmäßig nicht die Feststellung, dass insoweit nicht auch andere als sachfremde Zwecke verfolgt wurden; angesichts der dem Konzept der Behandlung in den Spezialheimen zugrunde liegenden Methode der Umerziehung zur Anpassung an staatliche Normen setzt die Widerlegung der Vermutung für das Vorliegen sachfremder Zwecke vielmehr die Feststellung atypischer, über einen besonderen Betreuungs- und Erziehungsbedarf hinausgehende Umstände voraus, die die Maßnahme im konkreten Einzelfall ausnahmsweise nicht als rehabilitierungswürdiges Systemunrecht erscheinen lassen (vgl. Thüringer Oberlandesgericht, Beschl. v. 16. November 2020 – 1 WS Reha 6/17, zit. nach Juris).

Feststellungen, gemäß denen die Unterbringungen des Betroffenen im Spezialkinderheim „E…S…“ und im Jugendwerkhof anderen als sachfremden Zwecken gedient habe, hat das Landgericht nicht getroffen. Auch ist auszuschließen, dass solche noch getroffen werden können, da sich weder aufgrund des nur geringfügig noch vorhandenen Aktenmaterials noch den sonstigen ersichtlichen Umständen konkrete Anhaltpunkte für Besonderheiten gewinnen lassen, die über den durch die Abwesenheit der Eltern bedingten Betreuungs- und Erziehungsbedarf beim Betroffenen hinausreichen.

Der Betroffene ist insoweit hinsichtlich seiner Unterbringung im Spezialkinderheim „E… S…“, die ausweislich der Meldebestätigung des Landkreises Nordsachsen vom 2. März 2021 (Bl. 54 d.A.) am 21. August 1969 begonnen hat, sowie der Unterbringung im Jugendwerkhof L…, in den er am 1. Juli 1971 aus dem Spezialkinderheim E… verlegt worden ist und von dort am 14. Juli 1972 entlassen wurde (vgl. „Bericht zur Vorbereitung der Wiedereingliederung“ vom 30. Mai 1972, Bl. 32/34 d.A.), zu rehabilitieren.

2. Die angefochtene Entscheidung unterliegt darüber hinaus auch insoweit der Aufhebung, als das Landgericht die Rehabilitierung hinsichtlich der Unterbringung des Betroffenen in Normalkinderheimen abgelehnt hat.

Der Betroffene hat insoweit geltend gemacht, dass seine Mutter ihm „immer wieder versichert“ habe, dass er „nicht durch Familienzusammenführung zu ihr“ gedurft habe. Sie habe es ihm „auch durch Dokumente bewiesen“. „Die DDR-Organe“ hätten „ihr immer wieder Adoptionen und dergleichen aufzwingen wollen, die sie aber stets ablehnte“. Er sei „sozusagen als Pfand einkassiert“ und gegen seinen und den Willen seiner Mutter „in Kinderheimen vor ihr verborgen“ worden.

Das Landgericht hat im angefochtenen Beschluss hierzu ausgeführt, dass es insoweit an Unterlagen fehle, die diesen Vortrag glaubhaft machten. Die Nichterweislichkeit anspruchsbegründender Tatsachen gehe zulasten des Antragstellers

Mit dieser Würdigung hat die Kammer der gemäß § 10 Abs. 1, 2 StrRehaG bestehenden Amtsaufklärungspflicht nicht genügt. Zwar geht die Nichterweislichkeit anspruchsbegründender Tatsachen zu Lasten des Antragsstellers, jedoch kann dieser Gesichtspunkt erst greifen, wenn alle Erkenntnisquellen ausgeschöpft sind (vgl. hierzu Senat, Beschl. v. 24. Oktober 2019 - 2 Ws [Reha] 13/19; BVerfG, Beschl. v. 18. Dezember 2014 - 2 BvR 2063/11, zit. nach Juris).

Dass zu den einer möglichen Rehabilitierung zugrunde liegenden Umständen Dokumente nicht vorliegen bzw. der Betroffene wie hier trotz Aufforderung solche nicht hat einreichen können, führt nicht dazu, dass ein rehabilitierungsfähiger Sachverhalt nicht glaubhaft gemacht werden kann. Hierzu sind vielmehr auch alle sonstigen Erkenntnismöglichkeiten, insbesondere eine tatsachenfundierte und glaubhafte Schilderung des Betroffenen geeignet, von dem sich das Gericht gegebenenfalls durch eine mündliche Anhörung einen persönlichen Eindruck zu verschaffen hat.

Soweit der Betroffene dargelegt hat, dass ihm seine Mutter zu Lebzeiten die Ablehnung einer Familienzusammenführung durch die Behörden der ehemaligen DDR nicht nur geschildert, sondern auch durch Dokumente nachgewiesen hat, bedarf dieser Gesichtspunkt weiterer Klärung. Dass der Betroffene die betreffenden Dokumente nicht selbst zur Verfügung hat und vorlegen kann und konkrete Einzelheiten zum Inhalt dieser Unterlagen bislang nicht mitgeteilt hat, steht der Glaubhaftigkeit seiner Angaben dabei nicht von vornherein entgegen.

Der Senat trifft diesbezüglich keine eigene Sachentscheidung, sondern verweist die Sache zu neuer Prüfung und Entscheidung an das Landgericht zurück, weil der zugrunde liegende Sachverhalt bislang nicht in dem erforderlichen Maße aufgeklärt und gewürdigt worden ist.

3. Soweit sich aus den Akten nicht näher konkretisierte Anhaltspunkte für eine weitere Unterbringung des Betroffenen u.a. „im Spezialkinderheim Ca…“ ergeben (vgl. „Beobachtungs- und Entwicklungsbogen“, Bl. 35 d.A.), ist dies nicht Gegenstand des vorliegenden Rehabilitierungsantrags und der angefochtenen Entscheidung des Landgerichts.

4. Die Entscheidung über die Auslagentragung beruht auf § 14 StrRehaG.