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Entscheidung 10 UF 20/22


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 2. Senat für Familiensachen Entscheidungsdatum 26.04.2022
Aktenzeichen 10 UF 20/22 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2022:0426.10UF20.22.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel vom 06.04.2022 abgeändert.

Der Ausspruch in den Ziffern 1. und 2. des Beschlusses entfällt.

Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.

Es bleibt bei der erstinstanzliche Kostenentscheidung. Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens werden den Eltern je zur Hälfte auferlegt. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Der Beschwerdewert wird auf 2.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die gemäß §§ 57 Satz 2 Nr. 1, 58 ff. FamFG zulässige Beschwerde ist im Wesentlichen unbegründet. Zu Recht hat das Amtsgericht den Antrag der Mutter, ihr im Wege der einstweiligen Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht für den gemeinsamen Sohn

allein zu übertragen, zurückgewiesen. Allerdings ist auf das Rechtsmittel der Mutter der Ausspruch des Amtsgerichts hinsichtlich der Regelungen während des Krankenhausaufenthalts des Kindes aufzuheben. Denn insoweit fehlt es an einem Regelungsbedürfnis.

Der Senat entscheidet nach Durchführung eines Anhörungstermins vom 21.04.2022. Insoweit wird auf den Anhörungsvermerk Bezug genommen.

1.

Streiten sich beide Elternteile im Wege der einstweiligen Anordnung über Teilbereiche der elterlichen Sorge für ein gemeinsames Kind, ist eine Interessenabwägung vorzunehmen.

(BVerfG, FamRZ 2007, 1626; OLG Brandenburg - 2. Familiensenat -, FamRZ 2009, 445).

Diese hat sich nicht an einer Sanktion des Fehlverhaltens eines Elternteils, sondern vorrangig am Kindeswohl zu orientieren (BVerfG, FamRZ 2007, 1626; OLG Brandenburg - 2. Familiensenat -, FamRZ 2009, 445). Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, der Antragsteller mit seinem Antrag im Hauptsacheverfahren aber später Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entständen, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, dem Antragsteller im Hauptsacheverfahren aber der Erfolg zu versagen wäre (BVerfG, a.a.O.). Entsprechend geht es, wenn in der ersten Instanz der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückgewiesen worden ist, im Beschwerdeverfahren vorrangig um die Abwägung der Interessen des Beschwerdeführers gegenüber den Nachteilen, die bei Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung entständen.

Regelmäßig entspricht es dem Wohl des Kindes nicht, vor einer Entscheidung des Amtsgerichts in der Hauptsache eine erneute Veränderung der Verhältnisse herbeizuführen (vgl. OLG Brandenburg - 2. Familiensenat -, Beschluss vom 15.09.2014 - 10 UF 152/14, BeckRS 2015, 02399; FamRZ 2009, 445; FamRZ 2004, 210; OLG Brandenburg - 1. Familiensenat -, FamRZ 1998, 1249; OLG Brandenburg - 5. Familiensenat -, NJW-RR 2013, 1418, 1419; OLG Köln, FamRZ 1999, 181). Wenn das Hauptsacheverfahren noch offen ist, ist daher regelmäßig ausschlaggebend, dass ein mehrfacher Wechsel des Wohnortes und der unmittelbaren Bezugsperson, der das Kindeswohl in nicht unerheblichem Maße beeinträchtigen würde, zu vermeiden ist (vgl. BVerfG, a.a.O.; OLG Brandenburg - 2. Familiensenat -, Beschluss vom 15.09.2014, a.a.O.). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kann hier dem mit der Beschwerde verfolgten Antrag der Mutter, ihr im Wege der einstweiligen Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu übertragen, nicht entsprochen werden.

a)

Das Kind befindet sich nach seinem Krankenhausaufenthalt wieder im Haushalt des Vaters. Würde man dem Antrag der Mutter stattgeben, erhielte diese die Befugnis, über den Aufenthalt des Jungen zu entscheiden und würde sehr wahrscheinlich . in ihren Haushalt aufnehmen wollen, mithin bei noch laufendem Hauptsacheverfahren schon eine wesentliche Änderung in den Lebensverhältnissen des Jungen herbeiführen.

b)

Überdies besteht für die beantragte einstweilige Anordnung kein Regelungsbedürfnis. Denn es besteht keine überwiegende Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg der Mutter im Hauptsacheverfahren.

Streiten Eltern darüber, welcher Elternteil das Aufenthaltsbestimmungsrecht allein ausüben darf, sind bei der am Kindeswohl orientierten Entscheidung grundsätzlich der Förderungsgrundsatz, der Kontinuitätsgrundsatz, der Kindeswille und die Bindungen des Kindes an die Eltern und etwa vorhandene Geschwister zu berücksichtigen (vgl. Johannsen/Henrich/Althammer/Lack, Familienrecht, 7. Aufl., § 1671 BGB Rn. 51 ff.). Anhand dieser Kriterien ist zu prüfen, ob der ständige Aufenthalt des Kindes bei der Mutter oder beim Vater seinem Wohl am besten entspricht.

Das Amtsgericht hat im angefochtenen Beschluss auch vor dem Hintergrund der soeben genannten Kriterien eine nachvollziehbare Risikoabwägung vorgenommen. Eindeutig für einen Aufenthalt des Jungen beim Vater sprechen der Kontinuitätsgrundsatz und die seinerzeit offensichtlich bewusst herbeigeführte Trennung der Geschwister dahingehend, dass ... bei der Mutter und ... beim Vater leben soll. Auch kann bei summarischer Prüfung im Verfahren der einstweiligen Anordnung nach dem Akteninhalt angenommen werden, dass die Feststellung des Amtsgerichts zutrifft, wonach die Bindungstoleranz der Mutter erheblich eingeschränkt ist, im Falle eines Wechsels des Kindes in ihren Haushalt daher größere Gefahren bezüglich eines Beziehungsabbruchs zum anderen Elternteil, zum Vater, bestehen.

Für eine Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf die Mutter im Hauptsacheverfahren könnte der Umstand sprechen, dass der fast zehn Jahre alte ... erklärt hat, bei seiner Mutter leben zu wollen. Der Kindeswille bietet allerdings regelmäßig erst ab einem Alter des Kindes von etwa 12 Jahren eine einigermaßen zuverlässige Entscheidungsgrundlage (OLG Brandenburg - 1. Familiensenat -, Beschluss vom 19.03.2008 – 9 UF 213/07, BeckRS 2008, 16527; OLG Brandenburg - 2. Familiensenat -, Beschluss vom 25.11.2010 - 10 UF 135/10, BeckRS 2010, 30458; OLG Brandenburg - 3. Familiensenat -, Beschluss vom 29.04.2021 – 15 UF 64/21, BeckRS 2021, 10772 Rn. 53; OLG Brandenburg - 5. Familiensenat -, Beschluss vom 29.07.2013 - 3 UF 47/13, BeckRS 2013, 19107; s.a. OLG Brandenburg – 4. Familiensenat - Beschluss vom 19.09.2012 – 13 UF 9/11, BeckRS 2012, 21727; Lack, in: Johannsen/Henrich/Althammer, Familienrecht, 7. Aufl., § 1671 BGB Rn. 81).

Doch auch bei einem Kind in ...s Alter kann einer Willensäußerung, wenn sie autonom erfolgt ist, durchaus Bedeutung zukommen. Im vorliegenden Fall bestehen jedoch keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass allein der vom Jungen geäußerte Wille, wenn man unterstellt, er würde bei seiner Haltung auch im Hauptsacheverfahren bleiben, unabhängig von den anderen Kindeswohlkriterien dazu führen wird, das Aufenthaltsbestimmungsrecht der Mutter zu übertragen. Dabei ist zum einen zu berücksichtigen, dass die Verfahrensbeiständin im Senatstermin vom 21.04.2022 nachvollziehbar erklärt hat, ... befinde sich in einem unsagbaren Loyalitätskonflikt. Zum anderen ist zu beachten, dass ... Äußerung nicht dahin zu verstehen ist, dass er sich beim Vater total unglücklich fühlt und unbedingt sofort in den Haushalt der Mutter wechseln will. Denn der Junge hat zu Beginn seiner Anhörung vor dem Senat nicht nur betont, dass es ihm zurzeit, also im Haushalt des Vaters, gut gehe. Er hat auch abschließend geäußert, dass es bei seinem Vater nicht alles schlecht sei, sondern dass es bei seiner Mutter besser sei. Diese Äußerung macht deutlich, dass es einen aktuellen Leidensdruck des Jungen bezüglich seines gewöhnlichen Aufenthaltsortes nicht gibt, er beide Eltern lieb hat und er den ständigen Aufenthalt bei der Mutter gegenüber dem ständigen Aufenthalt beim Vater nur für leicht vorzugswürdig hält. Das spricht dafür, dass die Willensäußerung nicht nur im Verfahren der einstweiligen Anordnung keine Veranlassung dafür bietet, sofort einen Aufenthaltswechsel des Kindes herbeizuführen, sondern dass auch bei einer hinsichtlich des Hauptsacheverfahren anzustellenden Prognose nicht ohne weiteres der Kindeswille als allein durchschlagendes Kriterium bei der Entscheidung über das Aufenthaltsbestimmungsrecht anzusehen ist.

Im Rahmen des Hauptsacheverfahrens können ferner für die Mutter die Umstände am 16.03.2022 sprechen, die im Rahmen des Förderungsgrundsatzes zu würdigen sind. Das Amtsgericht hat sich im angefochtenen Beschluss damit auseinandergesetzt und letztlich hinsichtlich der Abläufe im Einzelnen eher der Zeugin Jentsch als dem Minderjährigen Glauben geschenkt. Ob diese Beurteilung zutrifft, kann im Beschwerdeverfahren dahinstehen. Insbesondere bedurfte es nicht der erneuten Vernehmung der vorbereitend zum Senatstermin geladenen Zeugin … . Denn die Verfahrensbeiständin hat in ihrer kurz vor dem Senatstermin eingegangenen schriftlichen Stellungnahme vom 21.04.2022 ausgeführt, ... habe erklärt, der Vorfall sei für ihn erledigt; er wolle nicht mehr darüber reden. Bei seiner Anhörung im Beschwerdeverfahren ist ... zunächst von sich aus auf den Vorfall auch nicht mehr zu sprechen gekommen. Nähere Ausführungen hat er erst gemacht, als ihm das Stichwort mit der Fahrt mit dem Fahrrad vom Vater zur Mutter gegeben worden ist. Die Umstände, die zu dieser Fahrt geführt haben, hat ... dabei nur kurz erwähnt, indem er gesagt hat, der Vater sei wütend geworden und habe ihm „ganz dolle wehgetan“. Danach ist ... schnell auf die weiteren Abläufe eingegangen. Die spätere Entschuldigung des Vaters hat er offensichtlich akzeptiert.

Für die Prognose des Ausgangs des Hauptsacheverfahrens kommt es auf das wohl in einem gemäß § 1666 BGB eingeleiteten Verfahren (45 UF 283/18) eingeholte familienpsychologische Sachverständigengutachten aus dem Jahr 2019, das dem Senat nicht vorliegt, nicht an. Dahinstehen kann daher auch, ob die Bedenken, welche die Mutter unter Vorlage einer wissenschaftlichen Stellungnahme des Prof. Dr. … hiergegen äußert, durchgreifen. Nur vorsorglich sei darauf hingewiesen, dass die Anforderungen, welche auf Seiten 3 ff. der wissenschaftlichen Stellungnahme an die Qualifikation der Sachverständigen gestellt werden, erheblich über das hinausgehen, was der Gesetzgeber in § 163 Abs. 1 FamFG in der seit dem 15.10.2016 geltenden Fassung verlangt.

Nach alledem kann von einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit des Erfolgs der Mutter im Hauptsacheverfahren betreffend das Aufenthaltsbestimmungsrecht nicht ausgegangen werden. Ausschlaggebend für die Entscheidung im Beschwerdeverfahren ist damit der Gesichtspunkt, nicht vorzeitig im Verfahren der einstweiligen Anordnung einen (erneuten) Aufenthaltswechsel des Kindes herbeizuführen.

Eine abweichende Beurteilung ist auch nicht vor dem Hintergrund eines Telefonanrufes der Verfahrensbevollmächtigten der Mutter beim Senat vor wenigen Minuten – kurz vor Unterzeichnung dieses Beschlusses - geboten. In diesem Telefonat hat die Verfahrensbevollmächtigte der Mutter darauf hingewiesen, dass ..., nachdem er nach Abschluss eines längeren Umgangs bei der Mutter wieder in den Haushalt des Vaters zurückgekehrt war, mehrfach von Zuhause weggelaufen und zur Mutter gegangen sei. Im Rahmen des Eilverfahrens ist eine zuverlässige Einschätzung des beschriebenen Verhaltens des Jungen, wenn es sich so zugetragen haben sollte, nicht möglich. Am morgigen Tag, am 27.04.2022, steht nach übereinstimmenden Angaben der Beteiligten im Senatstermin ohnehin ein Erörterungstermin vor dem Amtsgericht in der Hauptsache an. Dort werden die von der Verfahrensbevollmächtigten der Mutter am Telefon wiedergegebenen Umstände mit Sicherheit thematisiert werden. Selbst wenn das Hauptsacheverfahren morgen noch nicht zum Abschluss kommen sollte – seitens der Verfahrensbeteiligten ist auch die Möglichkeit einer erneuten Sachverständigenbegutachtung angesprochen worden –, bestehen im Hinblick auf §§ 156 Abs. 3 S. 1, 49 ff., 54 FamFG hinreichende Rechtsschutzmöglichkeiten auch schon vor Erlass einer Hauptsacheentscheidung. Im Übrigen sollten die Eltern die Gelegenheit nutzen, sich – gegebenenfalls fachkundig beraten – auch angesichts der gerade erst hervorgetretenen Diabeteserkrankung des Jungen Gedanken darüber zu machen, wie ... auch in unmittelbarer Zukunft eine Entlastung erfahren kann.

2.

Auf das Rechtsmittel der Mutter ist der Ausspruch des Amtsgerichts hinsichtlich der Regelungen während des Krankenhausaufenthalts des Kindes aufzuheben. Denn insoweit fehlt es an einem Regelungsbedürfnis, § 49 FamFG. Es ist schon zweifelhaft, ob im Zeitpunkt des angefochtenen Beschlusses ein Bedürfnis für die insoweit getroffene Regelung bestanden hat. Das Amtsgericht hat selbst erkannt, dass dem Vater als alleinigem Inhaber des Aufenthaltsbestimmungsrechts die Befugnis zustand, nach Entlassung des Sohnes aus dem Krankenhaus dessen weiteren Aufenthalt im väterlichen Haushalt zu bestimmen. Gleiches gilt auch für die Betreuung des Jungen in der Zeit, in der er noch im Krankenhaus war. Das kann aber letztlich dahinstehen. Denn jedenfalls jetzt, nachdem ... noch vor Durchführung des Anhörungstermins vor dem Senat aus dem Krankenhaus entlassen und in den Haushalt des Vaters gebracht worden ist, besteht kein Bedürfnis mehr für eine entsprechende Regelung.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 FamFG.

Die Wertfestsetzung ergeht auf der Grundlage von §§ 40 Abs. 1, 41, 45 FamGKG.

Gegen diesen Beschluss ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.