Gericht | OLG Brandenburg 2. Strafsenat | Entscheidungsdatum | 25.05.2021 | |
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Aktenzeichen | 2 Ws (Reha) 13/20 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2021:0525.2WS.REHA13.20.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Der Betroffenen wird Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Frist zur Beantragung der Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Frist zur Stellung des Antrages auf Wiedereinsetzung gegen Versäumung der Frist zur Anbringung der Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 12. August 2020 gewährt.
Auf die Beschwerde der Betroffenen wird der Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 12. August 2020 aufgehoben.
Die Einweisung der Betroffenen durch die Behörden in den Jugendwerkhof … wird für rechtsstaatswidrig erklärt und aufgehoben.
Die Betroffene hat in der Zeit von 14. Juli 1989 bis 31. Mai 1990 zu Unrecht Freiheitsentzug erlitten.
Die notwendigen Auslagen der Betroffenen werden der Staatskasse auferlegt.
I.
Die Betroffene beantragte ihre Rehabilitierung hinsichtlich ihrer Einweisung in den Jugendwerkhof … in der Zeit vom 14. Juli 1989 bis zum 31. Mai 1990. Diesen Antrag hat das Landgericht Potsdam mit Beschluss vom 12. August 2020 zurückgewiesen. Dabei hat das Landgericht folgenden Sachverhalt zugrunde gelegt (BA S. 1 ff):
„Die Betroffene wurde von ihren Adoptiveltern an Kindes Statt angenommen, hatte davon aber zunächst keine Kenntnis. Über ihre Kinder- und Jugendzeit wurde sie durch den Jugendgesundheitsschutz und seit etwa 1987 durch die Kinderpsychologin Prof. … betreut. Nach Abschluss der 7. Klasse der Polytechnischen Oberschule begann sie im Sommer 1988 eine Ausbildung zum Teilfacharbeiter für Plast und Elast im …, …, obwohl sie eigentlich Frisöse hatte werden wollen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten ordnete sie sich zunächst in den Arbeits- und Ausbildungsprozess ein.
Seit etwa Februar 1989 veränderte sich das Verhalten der Betroffenen. Sie geriet in Streit mit ihren Eltern, kehrte abends nicht absprachegemäß, alkoholisiert oder gar nicht nach Hause zurück. Sie erfuhr, dass sie nicht das leibliche Kind ihrer Eltern war und akzeptierte sie seither nicht mehr. Sie unternahm, wohl in Zusammenhang mit der Trennung von einem Freund, einen Suizidversuch mit Tabletten. Wohl im Mai 1989 verließ sie das Elternhaus vollständig und zog zu ihrem Freund nach … . Im Ausbildungsbetrieb kam es seit Februar 1989 zu Fehlzeiten. Die Kinderpsychologin riet zu einer Heimunterbringung.
Der Rat des Kreises … im Bezirk … - Jugendhilfeausschuss - ordnete am 15. Juni 1989 mit Beschluss-Nr. 28/89 (Az.: 75-31 10 72 Hi) im Beisein der Erziehungsberechtigten und weiterer Beteiligter zur Sicherung der Erziehung und Entwicklung der Betroffenen für die Zeit bis zum Eintritt der Volljährigkeit die Heimerziehung an.
Zur Begründung heißt es in dem Beschluss, die Betroffene habe ein gestörtes Verhältnis zu Erwachsenen, auch zu Mitgliedern ihrer Familie und zu Mitschülern. Sie sei nicht gewillt, alle an sie gestellten Forderungen zu erfüllen. Im Februar 1989 habe sich ihr Verhalten im häuslichen Bereich völlig verändert. Sie habe sich nicht mehr einordnen wollen und sich gegenüber den Eltern verschlossen. Mehrere Aussprachen im Betrieb beim Psychologen und Referat Jugendhilfe seien ohne Erfolg geblieben. Sie lebe unter negativen Umständen, habe kein Geld, kein ausreichendes Essen, sei weit entfernt von der Lehrausbildung bei einer Person aus …, die seit langer Zeit keiner Arbeit nachgehe. Es sei notwendig, die Jugendliche aus der konfliktgeladenen Situation herauszulösen. Eine Unterbringung in einem Heim der Jugendhilfe und eine gleichzeitige Lehrausbildung seien erforderlich.
Am 16. Juni 1989 erteilten die Eltern ihr Einverständnis zur Unterbringung in einem Jugendwerkhof. Die Betroffene sollte dort eine Lehrausbildung aufnehmen.
Anfang Juli blieb die Betroffene entgegen den getroffenen Absprachen sowohl ihrem Elternhaus als auch dem Ausbildungsbetrieb fern. Auf ein Zuführungsersuchen der Jugendhilfe hin wurde sie von der Volkspolizei aufgegriffen und zunächst vorläufig im Jugendwerkhof … untergebracht. Das Aufnahmeheim der Jugendhilfe in E… ordnete dann am 8. August 1989 die endgültige Einweisung in den Jugendwerkhof in … an. Dort wurde mit ihr ein Lehrvertrag zur Teilausbildung als Wirtschaftshelferin abgeschlossen. Im Ausbildungsvertrag wurde ein Lehrlingsentgelt gestaffelt zwischen 105 Mark bis 130 Mark im Monat vereinbart. Die Ausbildungszeit im … ab 1. September 1988 wurde angerechnet. Die Ausbildung sollte mit der Volljährigkeit am … Oktober 1990 beendet werden.
Nach Einschätzung des Jugendwerkhofes hatte sich die Jugendliche bereits nach kurzer Zeit positiv entwickelt. Sie wurde mehrfach beurlaubt. Am 22. Mai 1990 wurde die Betroffene aus dem Jugendwerkhof entlassen.“
Zur Begründung hatte das Landgericht ausgeführt (BA S.2, 3):
„Die Vermutung des § 10 Abs. 3 S. 1 StrRehaG ist allerdings widerlegt, wenn die Gründe für die Heimeinweisung positiv festgestellt werden können und sich ergibt, dass keine politischen oder sachfremden Gründe vorlagen.
Das ist hier der Fall.
Die Jugendhilfe in der DDR wurde regelmäßig auf der Grundlage des § 50 FGB/DDR zum Zwecke der Erziehungshilfe tätig. Gemäß § 50 S. 1 FGB/DDR hatte sie nach gesetzlichen Bestimmungen Maßnahmen zu treffen, wenn die Erziehung und Entwicklung des Kindes auch bei gesellschaftlicher Unterstützung der Eltern nicht gesichert waren. Dazu gehörte auch die zeitweilige Erziehung außerhalb des Elternhauses(§ SOS. 3 FGB/DDR). Hierzu sah § 23 Abs. 1 lit. f Jugendhilfe VO/DDR die Heimerziehung vor. Diese Regelungen sind nicht per se rechtsstaatswidrig. Auch heute kommt unter ähnlichen Voraussetzungen die Heimerziehung als Hilfe zur Erziehung in Betracht (§§ 27 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1; 34 SGB VIII i.V.m. §§ 1666 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1; 1666a Abs. 1 S. 1 BGB). Dokumentieren die Jugendhilfeakten das Bemühen der Jugendhilfeorgane, in Zusammenarbeit mit den Eltern eine positive Entwicklung der Betroffenen zu fördern, waren die den Entscheidungen zur Einweisung in ein Heim bzw. in einen Jugendwerkhof zugrundeliegenden Erwägungen erzieherischer Natur und mithin nicht rechtsstaatswidrig im Sinne der §§ 1, 2 StrRehaG (OLG Dresden, Beschl. v. 9. März 2017, 1 Reha Ws 7 /17).
Die nach fachlicher Beratung und unter Beteiligung der Erziehungsberechtigten angeordnete Heimunterbringung der Betroffenen erfolgte zur Sicherung der weiteren Erziehung und insbesondere Ausbildung der damaligen Jugendlichen, da sie nicht mehr regelmäßig die Ausbildung absolvierte und Aussprachen im Betrieb, beim Psychologen und im Referat Jugendhilfe nicht zum Erfolg führten. Die Eltern konnten erzieherisch nicht mehr auf sie einwirken. Hinweise auf politische Gründe oder sonstige sachfremde Erwägungen für die Heimeinweisung sind nicht erkennbar.
Soweit die Betroffene nicht in einem Jugendheim, sondern mit dem Einverständnis der Eltern im Jugendwerkhof … untergebracht worden war, gibt es keine Hinweise, dass in diesem Jugendwerkhof der Alltag von Freiheitsberaubung, Menschenrechtsverletzungen, Fremdbestimmung, entwürdigenden Strafen, Verweigerung von Bildungs- und Entwicklungschancen sowie erzwungener Arbeit geprägt war. Die Heimeinweisung erfolgte vielmehr aus dem Grund, der Betroffenen eine Lehrausbildung zu ermöglichen, nachdem sie ihren Ausbildungsplatz im … nicht mehr wahrnahm.
Im Jugendwerkhof entwickelte sich die Betroffene bereits nach kurzer. Zeit positiv. Sie erhielt ein Lehrlingsentgelt. Dass dieses von den Adoptiveltern einbehalten worden sein mag ist, führt nicht dazu, dass die Anordnung der Heimunterbringung als rechtsstaatswidrig betrachtet werden könnte. Die Ausbildung sollte mit der Volljährigkeit beendet sein. Schon im Mai 1990 konnte die Betroffene mit der Aussicht, im Juni eine Tätigkeit im … aufzunehmen, aus dem Jugendwerkhof entlassen werden.“
Gegen den Beschluss hat die Betroffene Beschwerde eingelegt. Diese hat der Senat mit Beschluss vom 26. November 2020 als unzulässig verworfen, weil sie erst nach Ablauf der Beschwerdefrist bei dem Landgericht eingegangen war.
Mit Schreiben ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 19. Januar 2021 hat die Betroffene Wiedereinsetzung wegen der Versäumung der Frist zur Beantragung der Wiedereinsetzung wegen der Versäumung der Frist zur Anbringung der Beschwerde gegen den angefochtenen Beschluss beantragt und gegen den Beschluss Beschwerde eingelegt.
Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg beantragt, die Wiedereinsetzung zu gewähren und die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen, soweit das Landgericht einstimmig und auf begründeten Antrag der Staatsanwaltschaft entschieden hat, dass die Unterbringung der Betroffenen im Jugendwerkhof … nicht in einem groben Missverhältnis zu ihrem Anlass gestanden habe sowie die weitergehende Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.
Rechtsbehelf und Rechtsmittel haben Erfolg.
II.
1.
Das Wiedereinsetzungsgesuch ist zulässig und begründet. Insoweit nimmt der Senat auf die sich hierauf beziehenden zutreffenden Ausführungen in der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft vom 20. April 2021 Bezug. Eine Kostenengrundentscheidung unterbleibt, weil auch insoweit § 14 Abs. 1 StrRehaG vorgeht (vgl. OLG Rostock, Beschluss vom 5. März 2018, Az.: 22 Ws Reha 1/18, zitiert nach juris).
2.
Die Beschwerde ist auch begründet.
Nach dem nunmehr geltenden § 10 Abs. 3 Satz 1 StrRehaG wird vermutet, dass die Anordnung der Unterbringung in einem Heim für Kinder oder Jugendliche der politischen Verfolgung oder sonst sachfremden Zwecken diente, wenn eine Einweisung in ein Spezialheim oder eine vergleichbare Einrichtung, in der eine zwangsweise Umerziehung erfolgte, stattfand.
Diese Vermutung kann nur durch die positive Feststellung, dass die Einweisung aus anderen als den dort genannten Gründen erfolgt ist, etwa aus Fürsorgeerwägungen widerlegt werden (vgl. OLG Rostock, Beschluss vom 12. Februar 2020, Az.: 11 Ws Reha 2/20, zitiert nach juris). Solche Feststellungen enthält die angefochtene Entscheidung indes nicht. Sie begründet die Ablehnung der Rehabilitierung allein damit, dass die Einweisung zur Sicherung der weiteren Erziehung und Ausbildung der Betroffenen erfolgte.
Dies genügt aber für den Fall der Einweisung in ein Spezialheim nicht (vgl. Senat, Beschluss vom 27. März 2012 (Az.: 2 Ws (Reha) 28/11). Daher hätte die Vermutung des § 10 Abs. 3 Satz 1 StrRehaG hier nur dadurch widerlegt werden können, wenn positiv festgestellt werden könnte, dass die Unterbringung in einem Normalheim nicht ausgereicht hätte (vgl. Senat, Beschluss vom 7. Januar 2021, Az.: 2 Ws (Reha) 15/20). Das ist hier nicht der Fall. Vielmehr hat das Landgericht lediglich ausgeführt, dass, soweit die Betroffene nicht in einem Jugendheim untergebracht worden sei, es keine Hinweise gebe, dass der Alltag in dem Jugendwerkhof von Menschrechtsverletzungen und dergleichen geprägt gewesen sei, Dies wir der Vermutung des § 10 Abs. 3 Satz 1 StrRehaG nicht gerecht.
III.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (vgl. § 14 Abs. 1 StrRehaG). Die Auslagenentscheidung beruht gemäß §§ 14 Abs. 4, 15 StrRehaG, 467 Abs. 1 StPO.