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Entscheidung 1 Ws 28/22


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 1. Strafsenat Entscheidungsdatum 23.03.2022
Aktenzeichen 1 Ws 28/22 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2022:0323.1WS28.22.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen die Beiordnungsentscheidung des Landgerichts Neuruppin vom 24. Januar 2022 wird verworfen.

Der Verurteilte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Oranienburg verhängte gegen den Beschwerdeführer (nachfolgend auch Verurteilten) mit Entscheidung vom 8. Mai 2019 (19 Ds 172/18), rechtskräftig seit dem 16. Mai 2019, wegen Diebstahls eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Mit Beschluss vom 11. Juni 2021 hat das Amtsgericht Oranienburg auf Antrag der Staatsanwaltschaft Neuruppin die Bewährung widerrufen, nachdem der Verurteilte durch dasselbe Gericht am 17. November 2020 (19 Ds 96/20), rechtskräftig seit dem 29. April 2021, wegen eines am 14. April 2020 begangenen Diebstahls zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt worden war. Der Widerrufsbeschluss wurde dem Verurteilten am 13. August 2021 förmlich zugestellt. Mit Schreiben seines Verteidigers vom 30. August 2021, eingegangen am selben Tage beim Amtsgericht Oranienburg, legte der Verurteilte gegen den Widerrufsbeschluss sofortige Beschwerde ein und beantragte zugleich die Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde. Gleichzeitig beantragte er, ihm Rechtsanwalt …  im Widerrufsverfahren als notwendigen Verteidiger beizuordnen.

Mit Beschluss vom 2. September 2021 hat das Amtsgericht Oranienburg dem Verurteilten die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die versäumte Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gewährt und die Sache der Beschwerdekammer des Landgerichts Neuruppin vorgelegt. Diese hat die sofortige Beschwerde unter Berücksichtigung der durch das Amtsgericht – in Verkennung seiner Unzuständigkeit - gewährten Wiedereinsetzung mit Beschluss vom 16. Dezember 2021 als unbegründet verworfen. Der Widerrufsbeschluss des Amtsgerichts Oranienburg ist seit dem 17. Dezember 2021 rechtskräftig. Den Beiordnungsantrag hat die Kammervorsitzende mit Beschluss vom 24. Januar 2022, der dem Verurteilten am 26. Januar 2022 zugestellt worden ist, abgelehnt. Dagegen hat der Verteidiger namens und in Vollmacht des Verurteilten am 28. Januar 2022 sofortige Beschwerde erhoben.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat am 24. Februar 2022 auf Verwerfung der sofortigen Beschwerde angetragen. Der Verurteilte hat hierzu weiter Stellung genommen.

II.

1. Das Rechtsmittel ist als sofortige Beschwerde statthaft (§ 142 Abs. 7 StPO) und sowohl form- als auch fristgerecht eingelegt worden. Die sofortige Beschwerde ist jedoch mangels Beschwer unzulässig.

Eine Beschwer setzt voraus, dass die ergangene (oder abgelehnte) Entscheidung einen unmittelbaren Nachteil für den betroffenen Verfahrensbeteiligten bewirkt, seine geschützten Interessen beeinträchtigt und die Beseitigung eines unzutreffenden Beschlusses dem Beschwerdeführer die Aussicht auf eine andere, ihm günstigere Entscheidung eröffnet (vgl. BGHSt 27, 290, 293; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., Vor § 296 Rn. 17).

Daran fehlt es hier. Der Verurteilte kann für das Widerrufsverfahren die rückwirkende Bestellung eines Verteidigers nicht mehr erreichen, nachdem der Widerruf der ihm gewährten Strafaussetzung zur Bewährung mit der Verwerfung seiner sofortigen Beschwerde durch die Beschwerdekammer des Landgerichts Neuruppin als unbegründet am 17. Dezember 2021 rechtskräftig geworden ist. Denn die Beiordnung eines Pflichtverteidigers dient der ordnungsgemäßen Verteidigung eines Angeklagten sowie einem ordnungsgemäßen Verfahrensablauf in der Zukunft. Eine Rückwirkung wäre auf etwas Unmögliches gerichtet und würde eine notwendige Verteidigung des Angeklagten in der Vergangenheit nicht gewährleisten (vgl. Senat, Beschluss vom 9. März 2020 -1 Ws 19/20, 1 Ws 20/20; KG, Beschlüsse vom 20. Juli 1998 – 4 Ws 118/98 –, 5. November 2011 – 3 Ws 510/01 –, 9. März 2006 – 5 Ws 563/05 –, 12. Januar 2011 – 3 Ws 13/11, 8. März 2013 – 2 Ws 86/13 -; Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 16. September 2020 – 2 Ws 112/20 -; OLG Braunschweig, Beschluss vom 2. März 2021 – 1 Ws 12/21 - , - juris). Für die erfolgte Verteidigermitwirkung nachträglich eine Bestellung anzuordnen, würde nur noch das Kosteninteresse des Angeklagten oder des Verteidigers befriedigen, aber nicht dem aufgezeigten Zweck der Sicherung seiner Verteidigung dienen  (vgl. OLG Hamm NStZ-RR 2009, 113; OLG Stuttgart NStZ-RR 2008, 21; OLG Bamberg NJW 2007, 3796; KG, Beschlüsse vom 12. Januar 2011 – 3 Ws 13/11 – und 11. Mai 2009 – 4 Ws 44/09 –; Senat, StV 2007, 372 = StraFo 2006, 200 und Beschlüsse vom 18. Mai 2011 – 2 Ws 121-122/11 – 27. Dezember 2010 – 2 Ws 660/10 und vom 9. März 2020 -1 Ws 19/20, 1 Ws 20/20–; KG Berlin, Beschluss vom 8. März 2013 – 2 Ws 86/13 –).

Soweit vereinzelt erwogen wird (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 142 Rn. 20), dass eine rückwirkende Bestellung mit Blick auf den mit dem Gesetz zur Neuregelung der notwendigen Verteidigung vom 10. Dezember 2019 verfolgten Zweck möglich sein soll, um einen mittellosen Beschuldigten von den Kosten der Verteidigung freizustellen, verkennt diese Ansicht, dass nach Art. 4 der PKH-Richtlinie EU 2016/1919 vom 26. Oktober 2016 der „Anspruch auf Prozesskostenhilfe“ nur dann besteht, „wenn es im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist“, mithin für das weitere Verfahren von Bedeutung ist. Keineswegs sieht die Richtlinie vor, den Beschuldigten nachträglich in jedweder Phase des Verfahrens von den Kosten der Verteidigung freizuhalten, gar nach rechtskräftig erfolgter Verurteilung noch eine Beiordnung eines Verteidigers vorzunehmen (vgl. Hanseatisches Oberlandesgericht a.a.O.; OLG Braunschweig, a.a.O).

2. Darüber hinaus ist die sofortige Beschwerde aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, auch unbegründet.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.