Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 10. Senat | Entscheidungsdatum | 10.03.2022 | |
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Aktenzeichen | OVG 10 S 23/21 | ECLI | ECLI:DE:OVGBEBB:2022:0310.OVG10S23.21.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 30 Abs 1 BauGB, § 34 BauGB, § 36 Abs 1 S 1 BauGB, § 214 Abs 4 BauGB, § 47 Abs 5 VwGO, § 80 Abs 5 S 1 VwGO, § 80a Abs 3 VwGO, § 183 VwGO, Art 3 Abs 1 GG, Art 28 Abs 2 S 1 GG |
Die Beschwerde der Beigeladenen gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 30. März 2021 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Beschwerde trägt die Beigeladene.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 7.500,00 EUR festgesetzt.
I.
Die Beigeladene ist eine Bauherrin, die eine Reihenhausanlage im Gemeindegebiet der Antragstellerin errichten will. Die Antragstellerin, eine Gemeinde im Land Brandenburg, wendet sich in dem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine der Beigeladenen vom Antragsgegner erteilte Baugenehmigung vom 18. März 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. September 2020, mit der die Errichtung eines Reihenhauses mit 9 Wohneinheiten (RH 21-29) und 18 Stellplätzen genehmigt wurde. Im Verfahren war die Antragstellerin davon ausgegangen, die Baugenehmigung bedürfe des gemeindlichen Einvernehmens nach § 36 i.V.m. § 31 BauGB, dessen Versagung, ihren Widerspruch und die nachfolgende Klage – VG 7 K 1341/20 – sie im Wesentlichen damit begründete, das Vorhaben widerspreche den Vorgaben des Bebauungsplans „G...weg 6“, da es Reihenhäuser anstelle von Mehrfamilienhäusern vorsehe sowie bei Berücksichtigung der zunächst geplanten und faktisch zu erwartenden Terrassen die zulässige Grundflächenzahl überschreite.
Der Senat hat den Bebauungsplan „G...weg 6“ vom 8. Dezember 2016 mit Beschluss vom 22. Oktober 2020 – OVG 10 S 5/20 – vorläufig außer Vollzug gesetzt und ihn mit Urteilen vom 25. März 2021 – OVG 10 A 8/17 bis OVG 10 A 12/17 – wegen eines materiellen Verstoßes gegen das Abwägungsgebot (§ 1 Abs. 7 BauGB) für unwirksam erklärt.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung in der Gestalt des Widerspruchsbescheides angeordnet. Es ist davon ausgegangen, die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung verletze das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht der Antragstellerin, deren Einvernehmen erforderlich gewesen sei, da der Bebauungsplan „G...weg 6“ wegen eines Verstoßes gegen das Abwägungsgebot offensichtlich unwirksam sei. Das Einvernehmen sei weder erteilt noch ersetzt worden und eine diesbezügliche Verpflichtung sei nicht ersichtlich, weil das in einem weithin unbebauten Gebiet belegene Vorhaben nach § 34 BauGB nicht offensichtlich genehmigungsfähig sei.
Hiergegen wendet sich die Beigeladene mit der Beschwerde, mit der sie begehrt, unter Abänderung des angegriffenen Beschlusses den Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage zurückzuweisen.
II.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO dargelegten Gründe, auf deren Überprüfung das Oberverwaltungsgericht nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine Aufhebung oder Änderung des erstinstanzlichen Beschlusses.
1. Entgegen dem Beschwerdevorbringen ist der Antrag der Antragstellerin zulässig. Ihre Annahme, der Antragstellerin fehle das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis, weil diese sich in rechtsmissbräuchlicher Weise auf eine Verletzung ihrer Planungshoheit berufe, stützt die Beigeladene auf das Fehlen eines Umstands, der nicht nur für die Zulässigkeit des Antrags (vgl. Hessischer VGH, Beschluss vom 22. August 2001 – 9 TZ 860/00 –, juris Rn. 16 f.), sondern auch für dessen Begründetheit maßgeblich ist (vgl. nachfolgend unter 3.a.). Sie macht damit das Fehlen einer doppelrelevanten Tatsache geltend, deren Vorliegen im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung zugunsten des Antragstellers zu unterstellen und erst im Rahmen der Begründetheitsprüfung zu ermitteln ist (OVG Lüneburg, Urteil vom 04. September 2014 – 21 F 1/13 –, juris Rn. 25, m.w.N.)
2. Entgegen dem Beschwerdevorbringen ist auch die Bewertung des Verwaltungsgerichts nicht zu beanstanden, das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin überwiege das Interesse der Beigeladenen an der sofortigen Ausnutzung der Baugenehmigung.
Nach dem vom Verwaltungsgericht zutreffend zu Grunde gelegten Prüfungsmaßstab des vorläufigen Rechtsschutzes eines Dritten gegen eine Baugenehmigung oder eine sonstige bauaufsichtliche Zulassung (vgl. § 80a Abs. 3, § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO, § 212a Abs. 1 BauGB) ist es im Kern maßgeblich, ob die Antragstellerin als Dritte dargelegt hat, dass sie ein Abwehrrecht gegen das genehmigte Bauvorhaben hat, es also gegen eine drittschützende Norm verstößt. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs eines Dritten gegen die Baugenehmigung kommt in Betracht, wenn bei summarischer Prüfung zumindest gewichtige Zweifel an der rechtlichen Unbedenklichkeit der angefochtenen Genehmigung mit Blick auf die subjektiven Rechte des Dritten bestehen (stRspr., u.a. OVG-Bln-Bbg, Beschluss vom 14. März 2019 – OVG 10 S 17.18 –, juris Rn. 10, m.w.N.). Dritter im Sinne von § 80a VwGO kann auch eine Gemeinde sein, die sich dagegen wendet, dass eine Baugenehmigung ohne das erforderliche Einvernehmen nach § 36 BauGB erteilt worden sei (OVG-Bln-Bbg, Beschluss vom 16. Februar 2012 – OVG 10 S 4/21 –, juris Rn.3).
Unter Zugrundlegung dieses Maßstabes ist das Verwaltungsgericht zu dem zutreffenden Ergebnis gelangt, dass die im gerichtlichen Verfahren vorzunehmende Interessenabwägung zu Gunsten der Antragstellerin ausfällt, weil nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage überwiegend wahrscheinlich ist, dass die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung rechtswidrig ist und das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht der Antragstellerin aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG im Hinblick darauf verletzt, dass sie ohne Erteilung oder Ersetzung des nach § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB erforderlichen Einvernehmens erging, obwohl sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens nicht nach § 30 Abs. 1 BauGB richtete, weil der Bebauungsplan „G...weg 6“ unwirksam war.
a. Ohne Erfolg macht die Beigeladene geltend, dass die erteilte Baugenehmigung keines Einvernehmens der Antragstellerin i.S.d. § 36 Abs. 1 BauGB bedurft habe.
aa. Zu Unrecht geht die Beigeladene davon aus, der Bebauungsplan „G...weg 6“ sei bei Erlass der Baugenehmigung am 18. März 2020 rechtswirksam gewesen. Der Umstand, dass die gerichtliche Feststellung der Unwirksamkeit des Bebauungsplanes „G...weg 6“ durch die Urteile des Senats vom 25. März 2021 – OVG 10 A 8/17 bis OVG 10 A 12/17 – erst nach Ablauf der Beschwerdefrist in Rechtskraft erwachsen und ab diesem Zeitpunkt gemäß § 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO allgemeinverbindlich geworden ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Juni 2001 – BVerwG 4 BN 21/01 –, juris Rn. 10), hätte der Beigeladenen zwar die Möglichkeit eröffnet, dessen Wirksamkeit im Rahmen der Beschwerde darzulegen. Er ändert jedoch nichts daran, dass die – von der Beigeladenen nicht in Abrede gestellte – Unwirksamkeit des Bebauungsplanes bereits von Anfang an und damit auch im Zeitpunkt der Baugenehmigungserteilung bestand. Eine gerichtliche Unwirksamkeitserklärung gemäß § 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO ändert die materielle Rechtslage nicht, sondern stellt sie lediglich deklaratorisch fest (BVerwG, Beschluss vom 06. Mai 1993 – BVerwG 4 N 2/92 –, juris Rn. 17) und beseitigt damit den bisherigen Rechtsschein vermeintlicher Gültigkeit eines Bebauungsplanes, der tatsächlich zu keinem Zeitpunkt Bestandteil der Rechtsordnung gewesen ist (BVerwG, Beschluss vom 20. Juni 2001 – BVerwG 4 BN 21/01 –, juris Rn. 10). Die gerichtliche Unwirksamkeitserklärung gilt deshalb, vorbehaltlich einer anderslautenden Feststellung, rückwirkend ab Erlass des Bebauungsplans (W.-R. Schenke/R.P. Schenke in: Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 47 Rn. 144; Eyermann/Hoppe; VwGO, 15. Auflage 2019, § 47 Rn. 81; Külpmann in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 143. EL August 2021, § 10 BauGB Rn. 304).
bb. Nichts anderes folgt daraus, dass nach § 47 Abs. 5 Satz 3 VwGO im Fall der gerichtlichen Unwirksamkeitsentscheidung die Norm des § 183 VwGO entsprechend gilt, der zufolge unanfechtbare verwaltungsgerichtliche Entscheidungen, die auf einer verfassungsgerichtlich für nichtig erklärten Landesnorm beruhen, unberührt bleiben, jedoch nicht mehr vollstreckt werden können. Diese Verweisung findet nach einhelliger Ansicht auch für einen auf der Grundlage einer für unwirksam erklärten Norm erlassenen Verwaltungsakt Anwendung, allerdings entgegen der Darstellung der Beschwerde nur für den Fall, dass dieser bereits in Bestandskraft erwachsen ist (Külpmann, a.a.O., § 10 BauGB Rn. 309; Eyermann/ Hoppe; a.a.O., § 47 VwGO Rn. 81; Wysk in: Wysk, VwGO, 3. Aufl. 2020, § 47 Rn. 81; Posser/Wolff in: BeckOK VwGO, Stand: 1. Januar 2022, § 47 VwGO Rn. 86). Im Rahmen eines zulässigen Rechtsmittelverfahrens – mithin gegen einen noch anfechtbaren Verwaltungsakt – kann die Unwirksamkeit der zugrundeliegenden Norm hingegen weiter geltend gemacht werden (so ausdrücklich die vom Antragsgegner in Bezug genommene Kommentierung Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 47 Rn. 145). Eine die Rechtsfolge des § 183 VwGO auslösende Bestandskraft der erteilten Baugenehmigung ist vorliegend jedoch bis zum maßgeblichen Zeitpunkt des Ablaufs der Beschwerdefrist aufgrund des zunächst eingelegten Widerspruchs der Antragstellerin und der von ihr später erhobenen Klage nicht eingetreten.
cc. Dass die Beigeladene vorträgt, im Vertrauen auf die Rechtmäßigkeit der erteilten Baugenehmigung bereits erhebliche Investitionen für Erschließungsmaßnahmen und die Verlegung von Hausanschlüssen getätigt zu haben, rechtfertigt ebenfalls keine andere Bewertung, weil die Beklagte sich vor Eintritt der Bestandskraft nicht auf Vertrauensschutz berufen kann. Dass die Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung hat (§ 212a Abs. 1 BauGB), räumt dem Interesse des Genehmigungsadressaten an der Verwirklichung des Bauvorhabens zwar in einem gewissen Maß Vorrang ein und verschiebt die Realisierung etwaiger Abwehransprüche Dritter grundsätzlich auf die Zeit nach deren Obsiegen im Hauptsacheverfahren. Der Genehmigungsadressat handelt jedoch auf eigenes Risiko, wenn er den begünstigenden Verwaltungsakt – zumal in Kenntnis der Anfechtung – vor dessen Bestandskraft ausnutzt (OVG-Bln-Bbg, Beschluss vom 14. März 2019 – OVG 10 S 17.18 –, juris Rn. 31; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 9. April 2014 - 8 S 1528/13 –, juris Rn. 28). Geht er dieses Risiko im Interesse beschleunigter Vorhabenumsetzung ein, so nimmt er in Kauf, dass sich bereits getätigte Investitionen als vergeblich erweisen, wenn die Genehmigung im nachfolgenden gerichtlichen Verfahren keinen Bestand hat.
dd. Nichts anderes folgt schließlich daraus, dass die Antragstellerin am 2. Dezember 2021 die Einleitung eines ergänzenden Verfahrens gemäß § 214 Abs. 4 BauGB mit dem Ziel beschlossen hat, den Bebauungsplan „G...weg 6“ nach Fehlerbehebung rückwirkend in Kraft zu setzen. Solange dieses Verfahren nicht durch den rückwirkenden Beschluss eines wirksamen Bebauungsplanes abgeschlossen ist – was auch die Beigeladene nicht vorträgt – bestimmt sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens nicht nach § 30 Abs. 1 BauGB i.V.m. diesem Plan.
2. Zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass das erforderliche Einvernehmen der Antragstellerin nicht gegeben ist.
Die Ansicht der Beigeladenen, die Antragstellerin habe ihr Einvernehmen „faktisch“ bzw. „generell“ dadurch erteilt, dass das Vorhaben vollumfänglich ihrer planerischen Festsetzung in dem unwirksamen Bebauungsplan „G...weg 6“ vom 8. Dezember 2016 entspreche, geht fehl. Gemäß § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB wird im bauaufsichtlichen Verfahren von der Baugenehmigungsbehörde im Einvernehmen mit der Gemeinde über die Zulässigkeit von Vorhaben nach den §§ 31, 33 bis 35 BauGB entschieden. Gegenstand der gemeindlichen Einvernehmenserklärung ist mithin ein durch den Genehmigungsantrag beschriebenes konkretes Vorhaben, Bezugspunkt der gemeindlichen Prüfung dessen Übereinstimmung mit den genannten Regelungen. Beide Vorgaben erfüllt der unwirksame Bebauungsplan nicht, weil die Gemeinde darin lediglich abstrakte Vorgaben über die Zulässigkeit von Vorhaben getroffen hatte, deren Bezugspunkt zudem mit § 30 BauGB eine andere Norm war.
3. Ohne Erfolg macht die Beigeladene schließlich geltend, die Berufung der Antragstellerin auf das Einvernehmenserfordernis sei rechtsmissbräuchlich.
a. Zu Unrecht geht die Beschwerde unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes (Beschluss vom 22. August 2001 – 9 TZ 860/00 –, juris Rn. 17 ff.) davon aus, dass sich die Antragstellerin rechtsmissbräuchlich verhalte, weil sie ihre bauplanungsrechtlichen Vorstellungen bereits anderweitig zu erkennen gegeben habe.
Im entschiedenen Fall hatte es der Hessische Verwaltungsgerichtshof für rechtsmissbräuchlich erachtet, dass eine Gemeinde auf der Beachtung des Einvernehmenserfordernisses beharrte, nachdem sie einen unwirksamen Bebauungsplan erlassen und nachfolgend keine dem Vorhaben entgegenstehenden planerischen Vorstellungen entwickelt hatte, obwohl sie auf der Grundlage von § 34 BauGB zur Erteilung des Einvernehmens verpflichtet war (a.a.O. Rn. 17). Er hat ausgeführt, das Einvernehmenserfordernis sorge dafür, dass die Gemeinde zum einen in noch unbeplanten Ortsteilen (§§ 34 und 35 BauGB) bzw. bei Abweichung von bestehenden Bebauungsplänen im Wege der Befreiung (§ 31 BauGB) an der Beurteilung der bauplanungsrechtlichen Voraussetzungen beteiligt werde und zum anderen die Aufstellung eines Bebauungsplans beschließen könne, um die Zurückstellung des Baugesuchs zu beantragen (§ 15 BauGB), eine Veränderungssperre zu erlassen (§ 14 BauGB) und durch den Erlass des Bebauungsplans (§ 12 BauGB) die rechtlichen Voraussetzungen für die Zulässigkeit oder Ablehnung des Baugesuchs zu schaffen (a.a.O. Rn. 18). Habe die Gemeinde ihre bauplanungsrechtlichen Vorstellungen jedoch bereits umfassend durch Erlass eines Bebauungsplanes verwirklicht, der aus verfahrensrechtlichen Gründen unwirksam sei, so entsprächen die von diesem Mangel unberührten zeichnerischen und textlichen Festsetzungen ihren gegenwärtigen planerischen Vorstellungen und sei daher davon auszugehen, dass die bisherigen Festsetzungen künftig unverändert erneut erlassen werden, sofern die Gemeinde nicht zu erkennen gegeben habe, eine abweichende Regelung herbeiführen zu wollen (a.a.O. Rn. 19). Unter diesen Umständen könne die Gemeinde im Baugenehmigungsverfahren, sofern das Vorhaben darüber hinaus den § 34 BauGB entspreche, nicht anders als durch Erteilung des Einvernehmens reagieren (a.a.O. Rn. 19, 24). Stehe fest, dass die Gemeinde ihr Einvernehmen unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt verweigern dürfe und ihre Beteiligung auch nicht zur Klärung unterschiedlicher Rechtsstandpunkte im Hinblick auf die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens führen könne, so sei eine Verletzung der Planungshoheit durch Missachtung ihres Beteiligungsrechts ausgeschlossen und erweise sich das Festhalten an der durch § 36 Abs. 1 BauGB gewährleisteten verfahrensrechtlichen Position ausnahmsweise als rechtsmissbräuchlich (a.a.O. Rn. 25).
Ob dieser Rechtsansicht zu folgen ist, kann offenbleiben, da die Umstände hier anders liegen.
aa. Zum einen kann vorliegend nicht unterstellt werden, dass die bisherigen planerischen Vorstellungen der Antragstellerin unverändert fortbestehen.
Anders als in dem vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof entschiedenen Fall beruhte die Unwirksamkeit des bisherigen Bebauungsplanes vorliegend nicht auf einem Verfahrensfehler, sondern auf einem materiellen Verstoß gegen das Abwägungs- bzw. Konfliktlösungsgebot hinsichtlich des planbedingt erhöhten Kraftfahrzeugverkehrs im Bereich J...- und F.... Dieser Fehler betraf die äußere Verkehrserschließung des Plangebietes und erfasste damit den gesamten Bebauungsplan (OVG Bln-Bbg, Urteil vom 25. März 2021 – OVG 10 A 8.17 –, juris Rn. 107 f.). Anders als die Beigeladene ausführt, erstreckte sich die Unwirksamkeit des Planes damit auch auf die Festsetzung im Bereich I... und K..., in welchem ihr Vorhaben belegen ist.
Unabhängig davon, ob die Antragstellerin den Bebauungsplan für den Bereich G...weg 6 vollständig neu erlässt (§ 10 Abs. 1 BauGB) oder sich für ein ergänzendes Verfahren zur Fehlerbehebung des bisherigen Bebauungsplanes (§ 214 Abs. 4 BauGB) entscheidet, hat sie eine erneute Abwägungsentscheidung zu treffen, die im erstgenannten Fall sämtliche abwägungserheblichen Belange des gesamten Plangebiets und im zweitgenannten Fall jedenfalls die für die äußere Verkehrserschließung maßgeblichen Belange des gesamten Plangebietes in den Blick nehmen muss. Auch im Rahmen von § 214 Abs. 3 Satz 1 BauGB ist dabei für die Abwägung auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung abzustellen und sind deshalb alle im Nachgang zur vorausgehenden Planung eingetretenen Änderungen der Sach- und Rechtslage zu berücksichtigen (Sächsisches OVG, Beschluss vom 05. März 2002 – 1 D 18/00 –, juris Ls. 1 und Rn. 43). Muss die künftige Abwägung damit den aktuellen Gegebenheiten Rechnung tragen, so lässt sich das Abwägungsergebnis, anders als die Beigeladene annimmt, nicht im Hinblick darauf vorhersagen, dass die Antragstellerin zum Ausdruck gebracht hat, an der bisherigen Planung inhaltlich festhalten zu wollen.
Ebenso wenig kommt es darauf an, ob aus dem im Normenkontrollverfahren zu Tage getretenen Fehler eine Notwendigkeit erwächst, gerade das Vorhaben der Beigeladenen zu verhindern. Denn wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt, ist die Gemeinde nicht verpflichtet, dem unwirksamen Bebauungsplan durch eine Fehlerkorrektur zur Wirksamkeit zu verhelfen. Vielmehr steht es ihr grundsätzlich frei, ob und mit welchem Inhalt sie eine erneute Planung vornehmen will. Sie darf eine frühere Planung nicht nur dann ändern oder aufgeben, wenn die bisherigen Planziele unter den aktuellen rechtlichen Rahmenbedingungen nicht mehr realisierbar sind, sondern auch dann, wenn sich ihre planerischen Prioritäten geändert haben oder wenn sie feststellt, dass die Planumsetzung sich nicht mit ihren subjektiven Vorstellungen deckt. Selbst im Rahmen eines ergänzenden Verfahrens nach § 214 Abs. 4 BauGB darf sie punktuelle inhaltliche Änderungen vornehmen, solange nur die grundlegende Identität des Planes gewahrt bleibt (Battis in: Battis/Krautzberger/ Löhr, BauGB, 15. Aufl. 2022, § 214 Rn. 24 m.w.N.). Insbesondere steht es der Antragstellerin frei, die im vorliegenden Verfahren zu Tage getretene Rechtsunsicherheit bezüglich des Maßes der Grundflächenzahl und der Mehrfamilienhausbauweise zum Anlass zu nehmen, ihre von der Genehmigungspraxis der Antragsgegnerin abweichenden planerischen Vorstellungen künftig eindeutiger zum Ausdruck zu bringen. Zudem liegt es nahe, dass die Antragstellerin ihre bisherige Abwägung bezüglich der Lärmimmissionen der Bundesautobahn bzw. der Regenentwässerung überprüfen wird, bezüglich derer in den Normenkontrollverfahren ebenfalls Abwägungsfehler gerügt worden waren (OVG Bln-Bbg, Urteil vom 25. März 2021 – OVG 10 A 8.17 –, juris Rn. 107).
bb. Zum anderen legt die Beschwerde nicht hinreichend dar, dass die Antragstellerin verpflichtet wäre, ihr Einvernehmen zu dem Vorhaben der Beigeladenen unabhängig vom Vorliegen eines wirksamen Bebauungsplanes zu erteilen.
Der Ansicht des Verwaltungsgerichts, eine Genehmigungsfähigkeit nach § 34 BauGB liege fern, da der erforderliche Bebauungszusammenhang nicht ersichtlich sei, ist die Beigeladene innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist nicht entgegengetreten. Ihre erstmals im Schriftsatz vom 24. Juni 2021 erfolgten Ausführungen zu § 34 BauGB sind schon deshalb ohne Relevanz, weil aufgrund der entsprechenden Beschränkung der Prüfungsumfangs des Beschwerdegerichts (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO) im Beschwerdeverfahren nur die innerhalb der Darlegungsfrist vorgetragenen Gründe Berücksichtigung finden können und spätere Veränderungen im Abänderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO geltend gemacht werden müssen (OVG Bln-Bbg, Beschluss des Senats vom 10. Juni 2020 – OVG 10 S 64.19 –, juris Rn. 17).
b. Entgegen der Beschwerde verhält sich die Antragstellerin auch nicht deshalb rechtsmissbräuchlich, weil sie gegen das Vorhaben der Beigeladenen gerichtlich vorgegangen ist, während sie die für ein benachbartes Vorhaben der H... GmbH erteilte Baugenehmigung hat bestandskräftig werden lassen.
Selbst unter der Annahme, dass die Antragstellerin bei der Ausübung ihres gemeindlichen Selbstverwaltungsrechtes im selben Umfang dem Gleichbehandlungsgebot unterliegt wie eine Baubehörde im Rahmen des Erlasses von Bauordnungsmaßnahmen, kann der Adressat einer Baugenehmigung die Baunachbarklage einer Gemeinde nicht allein mit dem Argument abwehren, diese gehe gegen nicht gegen rechtswidrige Genehmigungserteilungen in anderen Fällen vor. Art. 3 Abs. 1 GG gewährt keinen Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht, sondern lediglich einen Anspruch darauf, dass der Hoheitsträger das ihm eingeräumte Ermessen in gleichgelagerten Fällen gleichmäßig ausgeübt; dieser darf mithin nicht systemlos oder willkürlich vorgehen, sondern muss eine Ungleichbehandlung auf sachliche Gründe zurückzuführen können (so zur Beseitigungsverfügung: BVerwG, Beschluss vom 22. April 1995 – BVerwG 4 B 55.95 –, juris Rn. 4 f.; OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 28. September 2016 – OVG 10 N 7.14 – Rn. 16 f.).
Die Annahme der Beklagten, die Antragstellerin habe die vorliegende Baugenehmigung selektiv und ausschließlich mit der Begründung angefochten, dass die ihr zugrundeliegende Bauplanung unwirksam sei, geht fehl. Ausweislich der Klage- und Antragsbegründung ging die Antragstellerin vielmehr davon aus, dass sich die Rechtswidrigkeit der vorliegenden Baugenehmigung unabhängig von der wahrscheinlichen Unwirksamkeit des Bebauungsplans „schon allein aus der Überschreitung des Maßes der baulichen Nutzung“ ergebe. Dementsprechend lag ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung darin, dass das streitgegenständliche Vorhaben nach dem von der Antragstellerin angelegten Maßstab eine Überschreitung der zulässigen Grundflächenzahl aufwies, wohingegen dies bei dem benachbarten Vorhaben der H... GmbH nicht der Fall war. Darauf, ob dieser subjektive Maßstab den objektiven Festsetzungen des bisherigen Bebauungsplanes entsprach – was die Antragsgegnerin, die Beigeladene und das Verwaltungsgericht verneint haben – kommt es nicht an, weil die Antragstellerin ein berechtigtes Interesse hat, die unterschiedlichen Rechtsstandpunkte der Beteiligen einer gerichtlichen Überprüfung zuzuführen. Als sachgerecht erweist sich die vorgenommene Differenzierung zudem dadurch, dass die mögliche Unwirksamkeit der bisherigen Bauplanung aufgrund der anhängigen Normenkontrollverfahren bereits absehbar war, es der Antragstellerin freisteht, die ggf. erforderliche Neuplanung dem von ihr subjektiv intendierten Maß der Bebauung anzupassen, und es deshalb naheliegt, dass die benachbarten Vorhaben perspektivisch plankonform sein werden, das genehmigte Beigeladenenvorhaben hingegen perspektivisch planwidrig sein wird.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffer 1.5 sowie Ziffer 9.10 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 18. Juli 2013 (http://www.bverwg.de/informationen/streitwertkatalog.php, vgl. OVG-Bln-Bbg, Beschluss vom 16. Februar 2012 – OVG 10 S 4/21 –, juris Rn. 15), wobei der Senat der erstinstanzlichen Wertfestsetzung folgt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).