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Entscheidung 11 U 226/20


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 11. Zivilsenat Entscheidungsdatum 11.08.2021
Aktenzeichen 11 U 226/20 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2021:0811.11U226.20.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das am 30.09.2020 verkündete Urteil der Kammer für Handelssachen des Landgerichts Neuruppin – 6 O 56/18 - wird gem. § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO durch einstimmig gefassten Beschluss als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen.

II. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Das angefochtene Urteil wird für vorläufig vollstreckbar erklärt. Der Klägerin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

V. Der Gebührenstreitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 125.000,00 € und - in Abänderung der erstinstanzlichen Streitwertentscheidung - für das erstinstanzliche Verfahren gem. § 63 Abs. 3 GKG auf bis zu 230.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Berufung ist durch einstimmig gefassten Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen.

Das Landgericht hat die Klage zu Recht in vollem Umfang abgewiesen. Die Klage ist sowohl in der Haupt- als auch wegen der geltend gemachten Zinsforderung, die das Schicksal der Hauptforderung teilt, unbegründet. Zur Begründung wird auf die Ausführungen des Senats im gemäß § 522 Abs. 2 S. 2 ZPO ergangenen Hinweis vom 02.06.2021 Bezug genommen.

Die gegen die Ausführungen im Hinweisbeschluss vorgebrachten Einwände der Klägerin aus dem nachgelassenen Schriftsatz vom 26.07.2021 führen zu keinem anderen Ergebnis. Hierzu im Einzelnen:

1. Entgegen der von der Klägerin im vorgenannten Schriftsatz vertretenen Rechtsauffassung sieht der Senat auch unter Berücksichtigung der neuerlichen Ausführungen die Voraussetzungen des § 4 Abs. 7 S. 1 VOB/B als gegeben an. Im Hinweisbeschluss hat der Senat eingehend und unter Heranziehung der hierzu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung dargelegt, weshalb im Streitfall eine ausdrückliche Kündigungserklärung nach § 8 Nr. 3 VOB/B entbehrlich gewesen ist und sich der Senat deshalb auch im Einklang mit der im Hinweisbeschluss genannten BGH-Rechtsprechung wähnt. Hiermit befasst sich die Klägerin auf S. 2 ihrer nachgelassenen Stellungnahme nicht, mit der sie lediglich auf ihre bisherige, vom Senat nicht geteilte, Rechtsauffassung verweist.

2. Ohne Erfolg meint die Klägerin nach wie vor, dass ein Mangel im Rahmen der Ausführung ihrer Werkleistungen nicht vorliege. Insoweit verbleibt es dabei, dass die Klägerin (unstreitig) einen Oberputz aus einem anderen Material, als zwischen den Parteien vereinbart, verbaut hat. Der von der Klägerin bemühte Vergleich zwischen Chrom und Zink passt insoweit nicht, da die hier in Rede stehenden Materialien – wie bereits im Hinweisbeschluss ausgeführt – unterschiedliche Eigenschaften haben und insoweit nicht lediglich angenommen werden kann, dass der von der Klägerin aufgetragene Silikonoberputz dieselben Eigenschaften habe, wie die vertraglich vereinbarte Silikatfarbe. Dieser Oberputz ist daher im technischen und rechtlichen Sinne nicht als qualitativ „höherwertig“, sondern als qualitativ „anders“ zu bewerten. Auch insoweit setzt sich die Klägerin mit den Argumenten des Senats im Hinweisbeschluss (dort S. 9, 10) nicht weiter auseinander.

3. Unzutreffend ist ferner die Annahme der Klägerin, der Senat habe im Rahmen der Ausführungen zur Beweiswürdigung die Aussage des vom Landgericht vernommenen Zeugen ... und die vorgerichtliche E-Mail-Korrespondenz nicht hinreichend berücksichtigt. Maßgeblich ist, dass insoweit der Beweiswürdigung des Landgerichts gem. § 529 Abs. 1 ZPO Feststellungscharakter zukommt. Nach dieser Vorschrift hat das Berufungsgericht seiner Entscheidung grundsätzlich die vom Eingangsgericht festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, sofern kein Ausnahmefall nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 2 oder Nr. 2 ZPO gegeben ist. Als festgestellt sind diejenigen Tatsachen anzusehen, zu denen das erstinstanzliche Gericht entschieden hat, dass sie als wahr oder nicht wahr zu erachten seien (MüKoZPO/Rimmelspacher, 5. Aufl. 2016, § 529 Rn. 3). Ob die Feststellung darauf beruht, dass die zugrunde liegende Behauptung als bewiesen oder – weil nicht bestritten, als zugestanden oder offenkundig – und demnach als keines Beweises bedürftig (§§ 138 Abs. 3, 288 Abs. 1, 291) angesehen wurde, ist gleichgültig (MüKoZPO/Rimmelspacher, a.a.O., § 529 Rn. 3). Insoweit hat der Senat ab S. 10 des Hinweisbeschlusses dargelegt und im Einzelnen ausgeführt, dass und weshalb die landgerichtliche Beweiswürdigung überzeugend ist. Hierbei hat das Landgericht – und ihm folgend auch der Senat – maßgeblich darauf abgestellt, was der Zeuge ... ausweislich des Sitzungsprotokolls objektiv zu Protokoll gegeben hat. Weiterhin hat der Senat – wie auf S. 1 des Hinweisbeschlusses weiter ausgeführt - diese Aussage auch in den Gesamtkontext der anderen Zeugenaussagen und des vorprozessualen Geschehens, das von den Parteien beigebracht worden ist, in die Gesamtwürdigung einbezogen. Eine Lesart der Aussage des Zeugen ... und auch ihre Einbettung in vorgerichtliche Korrespondenz, wie sie von der Klägerin vorgenommen wurde und wird, hält der Senat hingegen – aus den Gründen des Hinweisbeschlusses - nach wie vor nicht für überzeugend. Auch unter Berücksichtigung der Ausführungen im nachgelassenen Schriftsatz verbleibt der Senat daher bei der im Hinweisbeschluss geäußerten Rechtsauffassung.

4. Der Senat hält daran fest, dass der zur Aufrechnung gestellte Vorschussanspruch nicht wegen einer fehlenden Mangelbeseitigungsabsicht durch die Beklagte entfällt. Die dahingehende Rechtsauffassung hat der Senat eingehend ab S. 14 des Hinweisbeschlusses eingehend erläutert. Hiermit setzt sich die Klägerin im nachgelassenen Schriftsatz nur insoweit auseinander, als dass sie ihre bisherige Rechtsposition wiederholt und hierzu meint, dass aufgrund des weiteren Zeitablaufs von 10 Monaten seit Erlass des angefochtenen Urteils, in dem keine Mangelbeseitigung erfolgt sei, etwas anderes folge. Wie bereits im Hinweisbeschluss unter Bezugnahme auf die höchstrichterliche Rechtsprechung dargelegt, lässt eine lange Prozessdauer jedoch nicht darauf schließen, der Besteller habe seine Absicht zur Mängelbeseitigung aufgegeben (so BGH, Urt. v. 11.11.1999 - VII ZR 403/98, NZBau 2000, 74 für eine Dauer von 10 Jahren). Entgegen der von der Klägerin vertretenen Rechtsauffassung ist es diesbezüglich – wie im Hinweisbeschluss erläutert – zwischen den Parteien gerade nicht unstreitig, dass die Hauptauftraggeberin nicht mit Schadensersatzforderungen an die Beklagte herangetreten sei. Auf den erstinstanzlichen Schriftsatz vom 11.10.2018 (GA I, 21) wird erneut verwiesen.

5. Im letzten Absatz unter I. im Schriftsatz vom 26.07.2021 (GA II, 430) geht die Klägerin noch auf weitere Punkte im Hinweisbeschluss ein. Hierbei beschränkt sie sich allerdings inhaltlich darauf, auf ihren bisherigen Vortrag und die dazu vertretene, anderslautende Rechtsauffassung zu verweisen. Der Senat hat diese Punkte erneut überprüft. Er bleibt jedoch bei den Ausführungen im Hinweisbeschluss.

II.

1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

2. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit findet ihre rechtliche Grundlage in den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

3. Die Revision war durch den Senat - in Ermangelung der gesetzlichen Voraussetzungen gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO i.V.m. § 133 GVG - nicht zuzulassen. Die vorliegende Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes als Revisionsgericht. Grundsätzlich klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage nur dann, wenn sie zweifelhaft ist, also über Umfang und Bedeutung einer Rechtsvorschrift Unklarheiten bestehen (BGH, Beschl. vom 22.09.2015 - II ZR 310/14, ZIP 2016, 266 Rn. 3 m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor und werden auch von der Klägerin weder in der Berufungsbegründung noch im Schriftsatz vom 26.07.2021 konkret aufgezeigt. Die aufgeworfenen Fragen betreffen einen Einzelfall und lassen sich, wie hier und im Hinweisbeschluss dargestellt, auf der Grundlage der bisherigen Rspr. des BGH zweifelsfrei beantworten.

III.

1. Der Gebührenstreitwert für das Berufungsverfahren beträgt bis 125.000,00 € (§ 3 ZPO i.V.m. § 48 Abs.1 Satz 1, § 39 Abs. 1, § 40 und § 47 Abs. 1 Satz 1 GKG). Maßgeblich ist – entsprechend dem sogenannten Angreiferinteresseprinzip (vgl. dazu BeckOK-KostR/Schindler, 34. Ed., GKG § 47 Rn. 1; MüKoZPO/Wöstmann, 6. Aufl., § 3 Rn. 4, 5 und 10; Roth, MDR 2017, 1153, 1154; Schumann, NJW 1982, 1257, 1260; ferner Senat, Beschl. v. 15.10.2019 - 11 W 24/19, Rn. 3, juris) – in vermögensrechtlichen Streitigkeiten wie hier generell das mit dem Petitum derjenigen Partei, die das Verfahren des jeweiligen Rechtszuges beantragt hat, offenbarte und nach ihrem Rechtsschutzziel in der Hauptsache zu bewertende wirtschaftliche Interesse an der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung zu Beginn dieser Instanz. Im Streitfall verlangt die Klägerin, die alleiniger Rechtsmittelführer ist, die Zahlung von 106.227,58 €. Dieser Betrag fällt in die Gebührenstufe von bis zu 125.000,00 €. Da im Berufungsrechtszug nur noch die Frage der Berechtigung der Aufrechnungsforderung zu klären ist, verbleibt es insoweit bei dem einfachen Wert der Klageforderung.

2. Gem. § 63 Abs. 3 GKG war der erstinstanzliche Gebührenstreitwert abzuändern und auf der Gebührenstufe von bis zu 230.000,00 € festzusetzen. Der Senat verbleibt auch unter Berücksichtigung der Ausführungen der Klägerin im Schriftsatz vom 26.07.2021 dabei, dass sich der erstinstanzliche Gebührenstreitwert gem. § 45 Abs. 3 GKG um den Betrag der Hilfsaufrechnungsforderung erhöht.

a) § 45 Abs. 3 GKG setzt eine Hilfsaufrechnung voraus, also eine Aufrechnung, die nur dann Platz greifen soll, wenn die Abwehr der geltend gemachten Klageforderung mit anderen, vorrangigen Verteidigungsmitteln nicht gelingt (BeckOK KostR/Schindler, 34. Ed. 1.7.2021, GKG § 45 Rn. 19). Zu unterscheiden ist zwischen Hauptaufrechnung (Primäraufrechnung) für den Fall, dass der Klageanspruch unstreitig ist und der Beklagte sich nur mit der Aufrechnung verteidigt, und Hilfsaufrechnung (Eventualaufrechnung), wenn der Beklagte den Klageanspruch bestreitet oder zunächst andere materiell-rechtliche Einwendungen entgegensetzt (Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 18. Aufl. 2021, § 145 Rn. 15). Rechnet der Beklagte hilfsweise mit einer bestrittenen Gegenforderung auf, erhöht sich nach § 45 Abs. 3 GKG der Streitwert um den Wert dieser Gegenforderung, soweit nach § 322 Abs. 2 ZPO eine der Rechtskraft fähige Entscheidung über sie ergeht (BeckOGK/Skamel, BGB, 01.04.2021, § 387 Rn. 205).

b) Entgegen der von der Klägerin im Schriftsatz vom 26.07.2021 vertretenen Auffassung hatte sich die Beklagte gegen die klägerische Forderung in ihrer Klageerwiderung vom 11.10.2018 nicht lediglich mit der Aufrechnungsforderung und somit nicht mit einer von der Hilfsaufrechnung im vorgenannten Sinne abzugrenzenden Primäraufrechnung verteidigt. Abgesehen, davon, dass die Beklagte mit materiell-rechtlichen Erwägungen die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts Erwägungen die Unzulässigkeit der Klage wegen eingewendeter Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts geltend gemacht hatte (GA I, 17), hat sie in der nämlichen Klageerwiderung neben der Aufrechnungsforderung auch die Wirksamkeit der Abrede über den Sicherheitseinbehalt in Frage gestellt. Sie hat hierzu die klägerische Behauptung angegriffen, wonach die Bauleistungen bis zu Zeitpunkt der Kündigung erbracht worden seien (GA I, 18) und zudem ausgeführt, dass ihrer Ansicht nach ein vertraglicher Anspruch auf eine Vertragserfüllungsbürgschaft bestanden habe und insoweit der Einwand der Klägerin, dass die unter Punkt 8 des Bauvertrages getroffene Regelung wegen Unbestimmtheit unwirksam sei, nicht zutreffe (GA I, 18, 19). Hierbei handelt es sich um vorrangige materiell-rechtliche Einwände gegen die Hauptforderung. Dementsprechend hatte sich das Landgericht im angefochtenen Urteil auch zunächst mit der Frage der Wirksamkeit des Sicherheitseinbehalts befasst (LGU, 4), bevor es in der Sache streitig über die zudem (also hilfsweise) angeführte Aufrechnungsforderung entschied.