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Entscheidung 22 Qs 38/21


Metadaten

Gericht LG Frankfurt (Oder) 2. Strafkammer Entscheidungsdatum 06.12.2021
Aktenzeichen 22 Qs 38/21 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Auf die Beschwerde der Sachverständigen vom 23.06.2021 wird der Beschluss des Amtsgerichts Strausberg vom 09.03.2021 (Az.: 14 OWi 286 Js-Owi 24814/20 (256/20)) aufgehoben.

Die Sachverständige ist mit einem Stundensatz von 115,00 Euro zu vergüten.

Auf Antrag der Sachverständigen wird deren Vergütung auf insgesamt 347,66 € brutto festgesetzt, so dass über den bereits angewiesenen Betrag von 273,28 € hinaus weitere 74,38 € zu erstatten sind.

Das Verfahren über die Beschwerde ist gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Die weitere Beschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Strausberg beauftragte die Sachverständige mit Beschluss vom 12.01.2021 mit der Erstellung eines anthropologischen Vergleichsgutachtens zur Frage der Identität des Betroffenen mit dem Fahrzeugführer im Tatzeitpunkt. Nachdem das Amtsgericht Strausberg die Sachverständige mit gerichtlichem Schreiben vom 21.01.2021 über die Einspruchsrücknahme informiert hatte, legte die Sachverständige mit ihrer Liquidation vom 25.01.2021 über einen Gesamtbetrag von 347,66 € für ihre Leistungen einen Stundensatz von 115,- € zugrunde. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 53 d. A. Bezug genommen.

Die Anweisungsbeamtin des Amtsgerichts Strausberg hat – entsprechend der von ihr eingeholten richterlichen Auskunft (Bl. 57 d. A.) – eine Abrechnung in Anlehnung an die Honorargruppe M 2 mit einem Stundensatz von 90,- € für angemessen erachtet, die Rechnung entsprechend gekürzt und unter dem 10.02.2021 einen Betrag in Höhe von 273,28 € zur Zahlung angewiesen.

Dieser Kürzung hat die Sachverständige widersprochen und mit Schreiben vom 25.02.2021 die gerichtliche Festsetzung ihrer Vergütung beantragt.

Mit Beschluss vom 09.03.2021, auf den wegen der Einzelheiten der Begründung Bezug genommen wird, hat das Amtsgericht Strausberg den zu vergütenden Stundensatz gemäß § 4 Abs. 1 JVEG auf 90,- € festgesetzt und gemäß § 4 Abs. 3 JVEG die Beschwerde zugelassen.

Gegen den Beschluss hat die Sachverständige mit Schreiben vom 23.06.2021, auf das wegen der Einzelheiten der Begründung verwiesen wird, „Einspruch“ eingelegt. Sie macht geltend, dass mit der Gesetzesnovellierung mit Wirkung zum 01.01.2021 eine Erhöhung der Sachverständigenvergütung mit Rücksicht auf die wirtschaftliche Entwicklung angestrebt worden sei. Dieser Wille des Gesetzgebers werde jedoch mit der Festsetzung der Vergütung in Anlehnung an die Honorargruppe M 2 unterbunden. Die Tätigkeit eines anthropologischen Sachverständigen sei weiterhin – wie vor dem Inkrafttreten der Gesetzesnovellierung – in den Bereich des grafischen Gewerbes (Sachgebietsbezeichnung Nr. 15 der Anlage 1 zu § 9 Abs. 1 S. 1 JVEG a. F. / jetzt: Sachgebiet Nr. 16 der Honorartabelle für Sachverständige Teil 1 gemäß Anlage 1 zu § 9 Abs. 1 S. 1 JVEG) einzuordnen und demgemäß ab dem 01.01.2021 mit einen Stundensatz von 115,- € zu vergüten.

Das Amtsgericht Strausberg hat den „Einspruch“ – zutreffend – als Beschwerde ausgelegt, dieser nicht abgeholfen und sie der Beschwerdekammer des Landgerichts zur Entscheidung vorgelegt.

Der Bezirksrevisor beim Landgericht als Vertreter der Landeskasse, auf dessen Stellungnahme vom 13.07.2021 wegen ihrer Einzelheiten verwiesen wird, hält einen Stundensatz von 90,- € für angemessen.

II.

Die nach § 4 Abs. 3 JVEG – infolge ausdrücklicher Zulassung durch das Amtsgericht Strausberg – statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde ist begründet.

Die Leistungen der Sachverständigen sind gemäß § 9 Abs. 2 S. 1 JVEG nach billigem Ermessen mit einem Stundensatz von 115,- € zu vergüten.

Gutachten zu der Frage, ob der Betroffene mit der auf den Lichtbildern abgebildeten Person identisch ist (anthropologische Vergleichsgutachten), sind nicht in der Anlage 1 zu § 9 Abs. 1 S. 1 JVEG aufgeführt. Die Bestimmung des Stundensatzes hat daher nach § 9 Abs. 2 S. 1 JVEG zu erfolgen

Eine Zuordnung in eine der Honorargruppen M 1 bis M 3 (Teil 2 der Anlage 1 zu § 9 Abs. 1 Satz 1 JVEG) ist nach herrschender Auffassung, der sich die Kammer anschließt, nicht möglich, da es sich bei einem anthropologischen Gutachten nicht um ein medizinisches oder psychologisches Gutachten handelt (KG Berlin, Beschluss vom 30. September 2016 – 1 Ws 37/16 –, Rn. 3, zitiert nach juris; OLG Köln, Beschluss vom 04. August 2014 – III-2 Ws 419/14 –, Rn. 21, zitiert nach juris; OLG Frankfurt NStZ-RR 2005, 392; Schneider, JVEG, 4. Auflage 2021, § 9, Rz. 8 m. w. Nw.; Jahnke/Pflüger, JVEG-Kommentar, 28. Aufl. 2021, S. 261 f., Rn. 22).

Vor dem Inkrafttreten des Kostenrechtsänderungsgesetz 2021 zum 01.01.2021 (Gesetz vom 21.12.2020, BGBl. I, S. 3229) hat die Rechtsprechung daher überwiegend eine Eingruppierung eines anthropologischen Gutachtens in die Honorargruppe 6 mit der Begründung vorgenommen (vgl. Schneider, aaO), dass wegen der Tätigkeit eines rein äußerlichen Abgleichs eine Eingruppierung in das Sachgebiet „Grafisches Gewerbe“ (= Sachgebiet Nr. 15 der Anlage zu § 9 Abs. 1 JVEG a. F.) vorzunehmen sei (KG, aaO, m. w. Nw.). Demgemäß wurde vor der am 01.01.2021 eingetretenen Gesetzesnovellierung ein Stundensatz von 90,- € pro Stunde gewährt.

War aber bislang ein beachtlicher Teil der Rechtsprechung der Auffassung, dass die Leistungen eines anthropologischen Sachverständigen die meisten Überschneidungen mit der gutachterlichen Tätigkeit des grafischen Gewerbes aufweisen, so wäre es nach Auffassung der Kammer unbillig, die Vergütung für anthropologische Identitätsgutachten nicht in der gleichen Weise anzupassen, wie es nun mit Wirkung seit dem 01.01.2021 für Gutachten aus dem Sachgebiet „grafisches Gewerbe“ (Sachgebiet Nr. 16 der Honorartabelle für Sachverständige Teil 1 gemäß Anlage 1 zu § 9 Abs. 1 S. 1 JVEG) mit einem (erhöhten) Stundensatz von 115,- € der Fall ist. Eine trotz Gesetzesnovellierung gleichbleibende Vergütung der Anthropologen mit einem Stundensatz von 90,- € widerspräche im Übrigen dem Willen des Gesetzgebers, der mit dem Kostenrechtsänderungsgesetz 2021 die Vergütung der Sachverständigen mit Rücksicht auf die wirtschaftliche Entwicklung seit der letzten Reform im Jahre 2013, insbesondere gestiegene Kosten und die allgemeine Einkommensentwicklung, deutlich anheben wollte (BT-Drs. 19/23484, S. 1, 44, 46 f., dazu auch Tossaint, Kommentar zum Kostenrecht, 51. Aufl., § 9 JVEG, Rn.11). Es ist im Ansatz kein Grund ersichtlich, Leistungen anthropologischer Sachverständiger von dieser Gesetzesintention auszunehmen.

Der Umstand, dass die Erstellung eines Gutachtens durch nicht in der Sphäre der Sachverständigen liegende Gründe letztlich unterblieben ist, hat auf die Höhe des festzusetzenden Stundensatzes keinen Einfluss. Nach der gesetzlichen Wertung ist für die gesamten – und damit auch vorbereitenden – Leistungen eines Sachverständigen ein einheitlicher Stundensatz festzusetzen, der auf der Art der Sachverständigentätigkeit beruht und sich damit nach dem geschuldeten Erfolg des Gutachtenauftrags bestimmt.

Unter Zugrundelegung eines Stundensatzes von 115,- € beträgt die Gesamtvergütung – wie beantragt – 347,66 €, so dass über den bereits gezahlten Betrag von 273,28 € hinaus weitere 74,38 € an die Sachverständige zu zahlen sind.

Die weitere Beschwerde war gemäß § 4 Abs. 5 S. 1 JEVG zuzulassen. Die vorliegend zur Entscheidung stehende Frage der Auswirkungen der mit Inkrafttreten des Kostenrechtsänderungsgesetzes eingetretenen Gesetzesnovellierung auf die Stundensätze anthropologischer Gutachten ist von grundsätzlicher Bedeutung. Soweit ersichtlich, ist diese Frage obergerichtlich noch nicht entschieden worden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 4 Abs. 8 S. 1 und S. 2 JVEG.