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Entscheidung OVG 6 S 9/22


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 6. Senat Entscheidungsdatum 24.03.2022
Aktenzeichen OVG 6 S 9/22 ECLI ECLI:DE:OVGBEBB:2022:0324.OVG6S9.22.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 146 Abs 4 VwGO, § 24 SGB 8, § 6 Abs 4 KitaFöGV BE

Leitsatz

Zur Frage, wann ein vorhandener Betreuungsplatz in zumutbarer Weise erreichbar ist.

Tenor

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 7. Januar 2022 wird geändert. Der Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten beider Rechtszüge.

Gründe

Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist begründet. Er hat den Anforderungen des § 146 Abs. 4 VwGO entsprechend dargelegt, dass das Verwaltungsgericht ihn zu Unrecht im Wege einstweiliger Anordnung verpflichtet hat, vorläufig bis zur Entscheidung im Verfahren der Hauptsache oder bis zu seinem Anerkenntnis, dem Antragsteller binnen drei Wochen nach Zustellung der Entscheidung einen seinem individuellen Bedarf entsprechenden Betreuungsplatz in einem Betreuungsumfang von 45 Stunden in der Woche in einer wohnortnahen Tageseinrichtung nachzuweisen.

Der Antragsgegner wendet hiergegen zutreffend ein, dass die von dem Antragsteller besuchte Kindertagesstätte den bescheinigten Betreuungsbedarf deckt und auch in zumutbarer Zeit erreichbar ist.

Der Anspruch auf Förderung nach dem individuellen (Betreuungs-) bedarf gemäß § 24 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3, Abs. 1 Satz 3 SGB VIII bezieht sich nicht nur auf den zeitlichen Umfang und die zeitliche Lage der Betreuung in der Tageseinrichtung. Ein bedarfsgerechter Betreuungsplatz muss für das Kind und seine Eltern auch in zumutbarer Zeit erreichbar sein. Das folgt aus dem Zweck des Anspruchs, die Unterstützung der Erziehungsarbeit in den Familien, die Förderung der Kinder und die Verbesserung der Vereinbarkeit von Kindererziehung und Erwerbstätigkeit zu ermöglichen (vgl. § 22 Abs. 2 SGB VIII; BT-Drs. 16/10173, S. 1; BT-Drs. 16/9299, S. 10). Der Zweck der Förderung der Kinder und insbesondere auch der Zweck der Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf können nur mit Kindertageseinrichtungen erreicht werden, die für das Kind und seine Eltern mit zeitlich vertretbarem Aufwand erreicht werden können (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 8. Dezember 2016 - 12 S 1782/15 -, VBlBW 2017, S. 288 ff., Rn. 42). Wann ein angebotener Betreuungsplatz für Eltern und Kind noch zumutbar oder schon unzumutbar ist, entzieht sich einer allgemeingültigen Bewertung, sondern ist von der Frage des Einzelfalls abhängig. Insofern liefern neben der bloßen Entfernung die zur Verfügung stehenden Transportmittel und Nahverkehrsverbindungen, die Aufgabenteilung in der Familie, die Arbeitsplätze und Arbeitszeiten der Eltern Bewertungskriterien für die Frage der Zumutbarkeit (Senatsbeschluss vom 12. Dezember 2018 - OVG 6 S 55.18 -, NJW 2019, S. 946 f., Rn. 6). In der Rechtsprechung wird vielfach die Grenze von 30 Minuten pro Weg genannt (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 24. Juli 2019 - 10 ME 154/19 -, NJW 2019, S. 3256 ff., Rn. 9; VGH Mannheim, Urteil vom 8. Dezember 2016 - 12 S 1782/15 -, VBlBW 2017, S. 288 ff., Rn. 42; VGH München, Beschluss vom 17. November 2015 - 12 ZB 15.1191 -, BayVBl. 2016, S. 448 ff., Rn. 35). Einzubeziehen ist dabei überdies die Entfernung zur Arbeitsstätte und der damit verbundene gesamte zeitliche Aufwand für die Eltern (Struck, in Wiesner, SGB VIII, 5. Auflage 2015, § 24 Rn. 40). An diesen Befunden orientiert sich auch der Senat. Er hat bereits entschieden, dass es für die Frage, ob die Betreuungseinrichtung auf dem Weg der Eltern zur Arbeitsstelle liegt, auf eine isolierte Betrachtung des Weges zwischen Wohnung und Arbeit der Eltern ankommt, der die Alternativbetrachtung unter Einbeziehung eines Zwischenhalts an der Betreuungseinrichtung gegenüberzustellen ist (Beschlüsse vom 4. Februar 2021 - OVG 6 S 58/20 -, Rn. 11, vom 22. März 2018 - OVG 6 S 2.18 -, FamRZ 2018, S. 1039, Rn. 19, sowie vom 24. September 2018 - OVG 6 S 44.18, Rn. 6). Von einer Unzumutbarkeit ist danach vorliegend nicht auszugehen.

Die Fahrtzeit zwischen dem Wohnort des Antragstellers bis zur Arbeitsstelle seines Vaters (A ... ) beträgt ausweislich des Routenplaners von Google Maps 22 Minuten per Pkw. Sofern man den Umweg über die von dem Antragsteller aktuell besuchte Betreuungseinrichtung (K ... ) nimmt, beträgt die Fahrzeit mit dem Pkw 34 Minuten. Der Umweg von 12 Minuten bewegt sich im Rahmen dessen, was der Senat auch in einem anderen Fall als zumutbar erachtet hat (Beschluss vom 4. Februar 2021, a.a.O.: Verlängerung der Wegezeit um ca. 15 Minuten).

Der Einwand, der Vater des Antragstellers befinde sich im sog. Home Office, vermag an dieser Betrachtung nichts zu ändern. Die vom Antragsteller angeführte Grundlage dafür, dass sein Vater im Home Office arbeite, ist im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung entfallen § 28 b Abs. 4 IfSG in der Fassung vom 10. Dezember 2021 ist am 19. März 2022 außer Kraft getreten.

Der Einwand, die Zeitangaben des Google-Routenplaners seien „in der Regel unrealistisch knapp bemessen“, im Berufsverkehr dürfte von 50 Minuten Fahrzeit auszugehen sein, geht am Kern der Sache vorbei. Damit ist nicht dargelegt, dass sich durch einen Zwischenhalt an der Betreuungseinrichtung der Weg zur Arbeitsstätte in unzumutbarer Weise verlängern würde.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).