Gericht | VG Potsdam 1. Kammer | Entscheidungsdatum | 25.08.2021 | |
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Aktenzeichen | 1 L 207/21 | ECLI | ECLI:DE:VGPOTSD:2021:0825.1L207.21.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
1. Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
2. Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
Der Antrag der Antragstellerin,
dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, es bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu unterlassen, weitere Maßnahmen zur Realisierung eines Verwaltungsstandortes in B... -H... nach Maßgabe des mit Kreistagsbeschluss vom 6. Dezember 2018 (Drucksache 2018/535) beschlossenen Masterplans PM zur Entwicklung der Standorte
B... und B... in der Fassung der Drucksache 2019-6/091 zu ergreifen,
ist unzulässig.
Der Antragstellerin fehlt die – auch die für den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) – erforderliche Antragsbefugnis, § 42 Abs. 2 VwGO analog,
vgl. zur Notwendigkeit einer Antragsbefugnis: Schoch/Schneider/Wahl/Schütz, 40. EL Februar 2021, beck-online, VwGO § 42 Abs. 2 Rn. 35.
Die Antragsbefugnis setzt voraus, dass die Verletzung eines subjektiven öffentlichen Rechts zumindest als möglich erscheint. Als Rechte, deren Verletzung geltend gemacht werden können und die Voraussetzung für die Antragsbefugnis sind, kommen alle Normen in Betracht, die zumindest auch dem Schutz der Interessen des Antragstellers zu dienen bestimmt sind. Nicht ausreichend sind dagegen lediglich ideelle, wirtschaftliche oder ähnliche Interessen.
Eine solche Rechtsverletzung lässt sich nach dem glaubhaft gemachten Vorbringen– § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) –nicht erkennen.
Grundsätzlich ist die Bestimmung des Kreissitzes zunächst Ausfluss der kommunalen Selbstverwaltung (Art. 97 Abs. 1 Verfassung des Landes Brandenburg – LV –) des betroffenen Landkreises selbst, auch wenn sie nicht zum Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung gehört,
vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteil vom 15. September 1994 - 2/93 -, juris Rn. 15,
Allerdings ist der Landesgesetzgeber nicht gehindert, den Kreissitz durch Gesetz zu bestimmen,
vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteil vom 15. September 1994 - 2/93 -, a. a. O.,
was vorliegend durch das Gesetz zur Bestimmung von Verwaltungssitz und Namen des Landkreises Potsdam-Mittelmark (PMarkG) vom 22. April 1993, nach dessen § 2 Sitz der Verwaltung des Landkreises die Stadt (Bad) Belzig ist, geschehen ist und nunmehr seinen Niederschlag auch in § 125 Abs. 3 der Kommunalverfassung des Landes Brandenburg (BbgKVerf) gefunden hat.
Die Landkreise können aufgrund ihrer Organisationshoheit jedoch nach der gesetzlich erfolgten Bestimmung ihres Kreissitzes die Standorte ihrer Verwaltung eigenverantwortlich einrichten, falls das notwendig ist. Das Sitzbestimmungsrecht des Landesgesetzgebers bezieht sich nur auf einen Standort. Ihm ist jedoch nicht gestattet, auch weitere nur denkbare Standorte für Verwaltungsaufgaben festzulegen und damit die Verwaltungsorganisation des künftigen Landkreises umfassend zu regeln, da dies übermäßig in die dem Landkreis im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung zugewiesene eigene Organisationshoheit eingreift. Ob und in welchem Ausmaß Neben- und Außenstellen zu bilden sind, ist eine Zweckmäßigkeitsentscheidung, die auch von personellen, sachlichen und finanziellen Möglichkeiten des Kreises abhängig ist. Den Aufwand für zusätzliche Verwaltungsstandorte zu gewichten und in das Verhältnis zum Nutzen für die Bevölkerung zu setzen, ist eine Planungsentscheidung des Landkreises,
vgl. Landesverfassungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 31. Mai 1994 - LVG 4/94 -, juris Rn. 103; Niedersächsischer Staatsgerichtshof, Urteil vom 14. Februar 1979 - 2/77 -, juris, Orientierungssatz Ziff. 4.2.
Ausgehend hiervon kann dem Vorbringen der Antragstellerin nicht entnommen werden – und es sind dafür auch keine Anhaltspunkte ersichtlich –, dass sie durch die Realisierung eines Verwaltungsstandortes in B... nach Maßgabe des mit Kreistagsbeschluss vom 6. Dezember 2018 beschlossenen Masterplans PM in ihrem Selbstverwaltungsrecht verletzt sein könnte.
Art. 97 Abs. 1 und 2 LV sichert den Gemeinden die Befugnis, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung wahrzunehmen. Das schließt das Recht ein, Abläufe und Entscheidungszuständigkeiten für die Wahrnehmung eigener Aufgaben festzulegen. Gesichert ist den Gemeinden insoweit neben einem Bestand nennenswerter organisatorischer Befugnisse auch ein Mindestmaß an organisatorischen Spielräumen bei der Wahrnehmung der einzelnen Aufgabenbereiche,
vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Oktober 1994 - 2 BvR 445/91 -, juris Rn. 29 ff.
Daneben wird auch die gemeindliche Planungshoheit geschützt. Sie umfasst die Befugnis zur eigenverantwortlichen Ordnung und Gestaltung des Gemeindegebietes mit den Mitteln der Planung, der in erster Linie im Bereich der Bauleitplanung praktische Bedeutung zukommt,
vgl. BVerwG, Urteil vom 8. September 1972 - IV C 17.71 -, juris Rn. 37 ff.; VerfGH NRW, Urteil vom 15. Dezember 1989 - VerfGH 5/881990 -, NVwZ 1990, 456 [457].
Das Selbstverwaltungsrecht einer Gemeinde gemäß Art. 97 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 LV erstreckt sich bereits nicht darauf, Sitz der Kreisverwaltung zu sein. Das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht umfasst – wie dargelegt – die eigenverantwortliche Wahrnehmung von Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft. Dies sind diejenigen Bedürfnisse und Interessen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug haben. Zu diesen Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft gehört zwar die Organisationshoheit, die den Gemeinden das Recht gewährleistet, ihre eigene innere Verwaltungsorganisation nach ihrem eigenen Ermessen einzurichten. Dazu gehört aber nicht die Befugnis zu bestimmen, ob und in welchem Umfang in einer kreisangehörigen Gemeinde die Kreisverwaltung ansässig ist oder nicht,
vgl. Landesverfassungsgericht Brandenburg, Urteil vom 20. Oktober 1994 - 1/93 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de, m. w. N.
Die gemeindliche Organisationshoheit der Antragstellerin wird daher durch die Entscheidung des Landkreises nicht berührt. Diese ist allein für die Organisation und den Aufbau der Verwaltung des Landkreises maßgebend und spricht damit dessen Organisationsgewalt an. Zur Organisationshoheit einer kreisangehörigen Gemeinde gehört dagegen nicht die Frage, wie der Landkreis seine Organisationsstruktur gestaltet. Denn die gemeindliche Organisationshoheit wird durch die Entscheidung des Landkreises, zwei Verwaltungsstandorte zu schaffen, nicht berührt. Diese Entscheidung betrifft allein die Organisation und Verwaltung des Landkreises. Dadurch, dass in einer weiteren Gemeinde ein (konzentrierter) Standort der Landkreisverwaltung unter Beibehaltung des Sitzes der Landkreisorgane und weitere Einrichtungen im Gemeindegebiet der Antragstellerin errichtet wird, erleidet die Antragstellerin keine Einbuße in ihrem Status als kommunale Selbstverwaltungskörperschaft. Der Bestand an gemeindlichen Selbstverwaltungsaufgaben hängt nicht davon ab, ob eine Gemeinde Kreissitz ist und damit erst recht nicht davon, ob eine zentrale Außenstelle der Kreisverwaltung geschaffen wird. Die möglichen – und von der Antragstellerin nicht näher substantiierten – Auswirkungen auf das politische, gesellschaftliche, wirtschaftliche und kulturelle Leben der Schaffung einer Außenstelle sind dabei nur mittelbare Folgen auf tatsächlicher Ebene, die die Antragstellerin nur „reflexartig“ betreffen.
Eine Beeinträchtigung der kommunalen Planungshoheit scheidet ebenfalls aus. Mit Schaffung eines konzentrierten Verwaltungsstandortes der Kreisverwaltung in einer anderen Gemeinde wird weder das Instrumentarium gemeindlicher Planung eingeschränkt, noch die Realisierung einer eigenen, hinreichend bestimmten Planung nachhaltig gestört oder das Gemeindegebiet dem planerischen Zugriff der Gemeinde entzogen. Aus einer teilweisen Verlegung der Landkreisverwaltung mag zwar ein Rückgang der Nachfrage nach gemeindlichen Leistungen resultieren, die ggfls. einen Bedarf zur Anpassung der Planungen begründen kann. Die mit dem Sitz der Kreisverwaltung verbundenen Chancen wirken allerdings – wie zahlreiche andere Faktoren – lediglich faktisch auf den Inhalt kommunaler Planungen ein,
vgl. insgesamt zur Antragsbefugnis von Gemeinden bezüglich der Bestimmung des Kreissitzes: Landesverfassungsgericht Brandenburg, Urteil vom 20. Oktober 1994 - 1/93 -, a. a. O.; Thüringer Verfassungsgerichtshof, Urteil vom 23. Mai 1996 - 12/95 -, juris Rn. 54 ff.; Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen, Beschluss vom 27. Juni 2008 - Vf. 67-VIII-08 -, juris Rn. 49 f.
Der angegriffene Masterplan PM zur Entwicklung der Standorte B... und B... beeinträchtigt auch keine andere Ausprägung des Selbstverwaltungsrechts. Insbesondere ist nichts dafür vorgetragen oder ersichtlich, dass die Funktionsfähigkeit der betroffenen Gemeinde als Selbstverwaltungskörperschaft in Frage gestellt wird. Der mögliche Verlust einer beschränkten Zahl von Arbeitsplätzen und Gemeindeeinwohnern begründet ebenso wenig eine Betroffenheit, welche die Existenz der Antragstellerin als funktionstüchtige Selbstverwaltungskörperschaft in Frage stellen könnte, wie eine geringere Attraktivität für die Ansiedlung von anderen Behörden oder Dienstleistungseinrichtungen. Dies gilt umso mehr, als bereits in der Vergangenheit und bis jetzt die Mehrzahl der Beschäftigten der Kreisverwaltung nicht auf dem Gebiet der Antragstellerin tätig waren bzw. sind. So sind nach den Angaben im Masterplan zur Entwicklung der Standorte der Kreisverwaltung in der Version vom 7. November 2018 am Standort Bad Belzig 406 Mitarbeiter tätig, an den bisherigen Außenstellen 580 (Werder 205, Teltow 266 und Brandenburg a. d. H. 109) Mitarbeiter. Nach der Planung sollen davon nach der Neuorganisation 320 Büroarbeitsplätze in B... verbleiben und 680 Büroarbeitsplätze in B... geschaffen werden. Dass ein Verlust von rund 80 Büroarbeitsplätzen die Funktionstüchtigkeit der Antragstellerin in Frage stellt, ist nicht ersichtlich. Ebenso ist ein drastischer Verlust von Einwohnern bei der Antragstellerin nicht zu befürchten. Nach den vorstehenden Angaben wohnen ohnehin nur 14,5 % der Beschäftigten der Kreisverwaltung in B... . Dass mit einer teilweisen Verlagerung von Verwaltungseinheiten diese 150 Beschäftigten, die auch schon jetzt auf alle Verwaltungsstandorte verteilt sind, aus B... wegziehen und bei mehr als 11.000 Einwohnern zu einem die Existenz der Antragstellerin bedrohenden Einwohnerverlust führen würden, ist nicht ersichtlich
Ebenso lässt sich aus der Bestimmung des Kreissitzes in § 2 des Potsdam-Mittelmark-Gesetzes keine Antragsbefugnis herleiten. Denn es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber der Antragstellerin damit eigene Rechte zuerkennen wollte. Denn – wie dargelegt – ist die Bestimmung des Kreissitzes und die Organisation der Kreisverwaltung Ausfluss der kommunalen Selbstverwaltung des Kreises. In diese kann bei Vorliegen sachlicher Gründe der Landesgesetzgeber in bestimmten Umfang eingreifen und ggfls. auch Maßnahmen zu deren Durchsetzung treffen. Eine Übertragung dieser Befugnis auf kreisangehörige Gemeinden würde jedoch einen nicht mehr zu rechtfertigenden Eingriff in das Selbstverwaltungsrecht des Kreises darstellen.
Auch lässt sich aus der Gesetzesbegründung des Potsdam-Mittelmark-Gesetzes nicht herleiten, dass der Antragstellerin mit der Bestimmung des Kreissitzes eigenständige Rechte eingeräumt werden sollten. Zwar wird ausgeführt, dass strukturpolitische Überlegungen für die Bestimmung der Antragstellerin zum Kreissitz eine ausschlaggebende Rolle gespielt haben, da der südliche Teil des Kreises Potsdam-Mittelmark dringend einer stärkeren Förderung bedürfe (vgl. LT-Drucksache 1/1658 S. 9 f.). Dass sich diese strukturpolitischen Begründungsansätze maßgeblich auf die Antragstellerin selbst beziehen, ist nicht ersichtlich. Ferner ist zu berücksichtigen, dass sich die Erwägungen maßgeblich auf den Vergleich mit dem Standort Werder (Havel) bezogen und nach den allgemeinen Erwägungen unter 1.c) (vgl. LT-Drucksache 1/1658 S. 5), wonach Gemeinden, die bisher nicht Sitz einer Kreisverwaltung waren, unberücksichtigt bleiben sollten, für den Landkreis Potsdam-Mittelmark nur B... als Kreissitz in Betracht kam, da die Kreisstädte der Kreise Brandenburg-Land mit Brandenburg a .d. H. und Potsdam-Land mit Potsdam aufgrund deren Kreisfreiheit von vornherein ausschieden. Es ist daher nicht erkennbar, dass durch die vom Landesgesetzgeber vorgenommenen strukturpolitischen Erwägungen der Gemeinde, die den zukünftigen Kreissitz bilden sollte, ein eigenes Recht zum Eingriff in das Selbstverwaltungsrecht des Kreises eingeräumt werden sollte, zumal die Frage der Ausformung der Verwaltungsstruktur insbesondere mit Blick auf die Gestaltung von Verwaltungsstandorten nicht Gegenstand des Gesetzes war und nach den vorstehenden Ausführungen auch nicht hätte sein können. Die Bestimmung des Kreissitzes räumt mithin der vorgesehenen Kreisstadt und damit der Antragstellerin keine eigene Rechte ein; die strukturpolitischen Überlegungen des Landesgesetzgebers stellen vielmehr lediglich eine rechtlich unverbindliche Motivation seiner Entscheidung dar.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes. Die Kammer hat dabei wegen der faktischen Vorwegnahme der Hauptsache von einer Halbierung abgesehen.