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Verpflichtung der Ausländerbehörde zur Aufhebung einer Auflage zur Aufenthaltsgestattung, den gewöhnlichen Aufenthalt in einer bestimmten Unterkunft zu nehmen


Metadaten

Gericht VG Frankfurt (Oder) 3. Kammer Entscheidungsdatum 29.11.2021
Aktenzeichen 3 K 514/20.A ECLI ECLI:DE:VGFRANK:2021:1129.3K514.20.A.00
Dokumententyp Gerichtsbescheid Verfahrensgang -
Normen

Leitsatz

Der Zulässigkeit einer Klage auf Verpflichtung der zuständigen örtlichen Ausländerbehörde zur Änderung einer Auflage nach § 60 Abs. 2 Nr. 1 AsylG für die Zukunft steht nicht die Bestandskraft etwaiger früherer Auflagen gleichen Inhalts entgegen.
Aus § 9 Abs. 4 S. 2 LAufnG kann sich im Einzelfall ein Anspruch ergeben, außerhalb einer Gemeinschaftsunterkunft untergebracht zu werden. Ein solcher Anspruch reduziert das der Ausländerbehörde durch § 60 Abs. 2 Nr. 1 AsylG eingeräumte Ermessen auf null und begründet die Verpflichtung der Ausländerbehörde, die Auflage aufzuheben, die den Betroffenen verpflichtet, in einer Gemeinschaftsunterkunft zu wohnen.

Tenor

Der Beklagte wird unter Aufhebung des ablehnenden Bescheides vom 14. Dezember 2020 und des hierzu ergangenen Widerspruchsbescheides vom 11. Mai 2021 verpflichtet, die Auflage aufzuheben, die den Aufenthaltsgestattungen beigefügt ist, die der Beklagte den Klägern erteilt hat, und die lautet: „Die Inhaberin/ der Inhaber ist verpflichtet, in der nachfolgend genannten Einrichtung zu wohnen: “.

Der Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Der Gerichtsbescheid ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung der Kläger durch Sicherheitsleistung in Höhe der beizutreibenden Forderung abwenden, wenn nicht die Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Tatbestand

Die … geborene Klägerin zu 1. ist iranische Staatsangehörige und reiste am 14. Dezember 2018 gemeinsam mit Ihrer Tochter und ihrem Sohn – dem Kläger zu 2. – in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo die ganze Familie die Gewährung internationalen Schutzes beantragte. Daraufhin wurden alle drei Familienmitglieder mit Zuweisungsentscheidung der Zentralen Ausländerbehörde des Landes Brandenburg (ZABH) vom 8. Juli 2019 dem vom Beklagten vertretenen Landkreis zugewiesen und aufgefordert, sich zu der Gemeinschaftsunterkunft in der … zu begeben.

Für die Tochter wurde aufgrund ihrer bereits damals eingetretenen Volljährigkeit ein eigenes Asylverfahren durchgeführt; sie erhielt vom Beklagten folglich auch eine eigene Aufenthaltsgestattung, die ebenso wie die Aufenthaltsgestattung, die den Klägern erteilt wurde, mit der Auflage versehen war: „Die Inhaberin/der Inhaber ist verpflichtet, in der nachfolgend genannten Einrichtung zu wohnen:

Mit separaten Schreiben vom 6. Mai 2020 beantragten die Kläger einerseits und die Tochter der Klägerin zu 1. andererseits jeweils die kurzfristige Aufhebung der Wohnsitzauflage für die Gemeinschaftsunterkunft M... . Zur Begründung verwiesen sie zum einen darauf, dass die Einhaltung der Corona-Schutzvorschriften in der Gemeinschaftsunterkunft nicht möglich sei und zum anderen stützten sie den Antrag auf eine psychische Erkrankung der Klägerin zu 1., die an Depressionen leide. Für den Fall einer Ablehnung wurde bereits im Antragsschreiben die Stellung eines Eilantrags beim Verwaltungsgericht angekündigt.

Die Kläger und die Tochter der Klägerin zu 1. haben am 13. Mai 2020 gemeinsam die vorliegende Klage erhoben und zugleich die Gewährung von Prozesskostenhilfe beantragt sowie die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Wohnsitzauflagen.

Den Eilantrag lehnte die 4. Kammer mit Beschluss vom 15. Juni 2020 – VG 4 L 238/20 – ab. Zur Begründung führte der damals zuständige Einzelrichter u.a. aus, der Eilantrag sei als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO statthaft und darauf gerichtet, den Beklagten zu verpflichten, eine Wohnsitzauflage dahingehend zu erlassen, dass die Kläger vorübergehend in einer eigenen Wohnung unterzubringen seien. Dieser Antrag habe keinen Erfolg. Denn zum einen stünden die Wohnverhältnisse in der Gemeinschaftseinrichtung im Einklang mit den hierfür geltenden Corona-Schutzvorschriften. Zum anderen ergebe sich aus den vorgelegten ärztlichen Schreiben nicht, dass die depressiven Störungen der Klägerin zu 1. eine Unterbringung außerhalb einer Gemeinschaftsunterkunft erforderlich machen würden.

Eine Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidung im Eilverfahren nahm das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 28. Juli 2020 – 2 BvR 1169/20 – nicht zur Entscheidung an.

Der Beklagte lehnte die Anträge vom 6. Mai 2020 sodann mit zwei separaten Bescheiden vom 14. Dezember 2020 ab und wies auch die fristgerecht hiergegen eingelegten Widersprüche der Kläger und der Tochter der Klägerin zu 1. mit separaten Widerspruchsbescheiden vom 11. Mai 2021 zurück.

Die Kläger haben die ablehnenden Bescheide und die hierzu ergangenen Widerspruchsbescheide mit Schriftsätzen vom 14. April 2021 und vom 8. Juni 2021 in das vorliegende Klageverfahren einbezogen. Mit dem Schriftsatz vom 8. Juni 2021 legten sie zugleich einen neuen Befundbericht der Psychiatrischen Institutsambulanz Strausberg vom 20. Mai 2021 vor, indem die behandelnden Ärzte u.a. bescheinigten, dass „bei anhaltender Unterbringung unter den aktuellen Bedingungen aller Wahrscheinlichkeit nach die depressive Symptomatik der Klägerin zu 1. weiter zunehmen, ihre PTBS weiter chronifizieren und die Suizidgefahr weiter steigen“ würde.

Die Aufenthaltsgestattung der Tochter der Klägerin zu 1. endete mit ihrem Asylverfahren und sie erhielt daraufhin vom Beklagten Duldungen, die ebenfalls jeweils mit der Auflage versehen waren, in der fraglichen Gemeinschaftsunterkunft zu wohnen. Die Kammer hat daraufhin mit Beschluss vom 10. Juni 2021 das Verfahren, soweit es die Tochter der Klägerin zu 1. betraf, abgetrennt und unter dem Aktenzeichen VG 3 K 623/21.A gesondert weitergeführt.

Die den Klägern erteilte Aufenthaltsgestattung wurde hingegen vom Beklagten bis zum 23. Dezember 2021 verlängert, wobei der Kläger zu 2. aus der Aufenthaltsgestattung der Klägerin zu 1. gestrichen wurde und wohl aufgrund des zwischenzeitlich erreichten Alters eine eigene Aufenthaltsgestattung erhielt. An der umstrittenen Verpflichtung zur Wohnsitznahme in der Gemeinschaftsunterkunft änderte sich nichts.

Die Kammer hat den Klägern durch Beschluss vom 3. November 2021 mit Wirkung vom 8. Juni 2021 für das Klageverfahren 1. Instanz Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und den Rechtsstreit sodann mit Beschluss vom 11. November 2021 dem Berichterstatter zur Entscheidung als Einzelrichter übertragen.

Die Kläger beantragen schriftsätzlich,

die Auflage zu der den Klägern erteilten Aufenthaltsgestattung mit dem Wortlaut: „Die Inhaberin / der Inhaber ist verpflichtet, in der nachfolgend genannten Einrichtung zu wohnen: sowie die Bescheide aufzuheben, mit denen der Beklagte den Antrag der Kläger auf Aufhebung dieser Auflage abgelehnt hat.

Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsvorgänge Bezug genommen, die – soweit wesentlich – Gegenstand der Entscheidung des Einzelrichters waren.

Entscheidungsgründe

A. Der Einzelrichter konnte nach Anhörung der Beteiligten durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).

B. Die Klage hat vollumfänglich Erfolg.

I. Insbesondere ist sie zulässig.

1. Was den Gegenstand der Klage anbelangt, war davon auszugehen, dass sie auf die Aufhebung der Auflage gerichtet ist, die die Kläger verpflichtet, in der Gemeinschaftsunterkunft in M... zu wohnen.

a. Insbesondere der Vortrag des Beklagten gibt Anlass zu dem Hinweis, dass es sich bei dieser Auflage zur Aufenthaltsgestattung nicht um die kraft Gesetzes bestehende Wohnsitzauflage nach § 60 Abs. 1 S. 1 des Asylgesetzes (AsylG) handelt, die den Betroffenen verpflichtet, seinen gewöhnlichen Aufenthalt an einem bestimmten Ort, nicht aber in einer bestimmten Unterkunft zu nehmen. Die gegenüber den Klägern ausgesprochene Verpflichtung, in einer bestimmten Unterkunft zu wohnen, greift vielmehr nicht kraft Gesetzes, sondern beruht auf einer konkreten behördlichen Entscheidung, die ihre Grundlage in § 60 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AsylG findet (vgl. zum unterschiedlichen Regelungsgehalt der Wohnsitzauflage einerseits und der Auflage nach § 60 Abs. 2 AufenthG andererseits auch: Beschluss der 4. Kammer vom 15. Juni 2020 – VG 4 L 238/20 –, Seite 3 des Beschlussabdrucks). Nach § 60 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AsylG kann ein Ausländer, der nicht oder nicht mehr verpflichtet ist, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, und dessen Lebensunterhalt nicht gesichert ist, u.a. verpflichtet werden, in einer bestimmten Wohnung oder Unterkunft zu wohnen.

b. Diese Ermessensentscheidung ist nach § 60 Abs. 3 S. 5 AsylG vom Beklagten zu treffen, der als Ausländerbehörde für den Bezirk zuständig ist, in dem sich die von den Klägern zu beziehende Gemeinschaftsunterkunft M... befindet. Gegen ihn – und nicht gegen die ZABH – richtet sich folglich auch die vorliegende Klage.

Die ZABH hat – entgegen der Auffassung des Beklagten, der sich noch im Schriftsatz vom 11. Mai 2021 auf die Bestandskraft einer von der ZABH in der Zuweisungsentscheidung vom 8. Juli 2019 getroffenen Entscheidung berufen hat – mit ihrer Zuweisungsentscheidung gegenüber den Klägern keine Verpflichtung ausgesprochen, in einer bestimmten Unterkunft zu wohnen.

Der Regelungsgehalt der Zuweisungsentscheidung vom 8. Juli 2019 geht vielmehr nicht über die Entscheidungen hinaus, die von der ZABH gemäß § 50 Abs. 1 und Abs. 4 AsylG i.V.m. § 6 Abs. 1 des Landesaufnahmegesetzes (LAufnG) zu treffen und mit einer Rechtsbehelfsbelehrung zu versehen sind. Dies ist zum einen die Entlassung der Kläger aus der Aufnahmeeinrichtung und zum anderen ihre Zuweisung zum Landkreis M... (Satz 1 der Zuweisungsentscheidung). Mit dem zweiten Satz der Zuweisungsentscheidung hat die ZABH keine Auflage nach § 60 Abs. 2 AsylG erlassen, sondern lediglich die gesetzliche Verpflichtung der Kläger aus § 50 Abs. 6 AsylG konkretisiert, wonach sich der zugewiesene Ausländer unverzüglich zu der in der Zuweisungsverfügung angegebenen Stelle zu begeben hat. Für dieses Verständnis spricht bereits der Wortlaut („Sie sind verpflichtet, sich …. zu begeben“). Es erscheint im Übrigen aber auch bei einer über den Wortlaut hinausgehenden Auslegung nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die ZABH in ständiger Praxis in allen von ihr getroffenen Zuweisungsentscheidungen konkrete Unterkunftsauflagen nach § 60 Abs. 2 AsylG regeln würde, obwohl die Zuständigkeit für solche Auflagen durch § 60 Abs. 3 S. 5 AsylG ausdrücklich den örtlichen Ausländerbehörden zugewiesen ist. Soweit der Einzelrichter der 4. Kammer dies anders gesehen hat (vgl. Beschluss vom 15. Juni 2020 – VG 4 L 238/20 –, Seite 3 des Beschlussabdrucks), folgt der Einzelrichter dieser Auffassung – wie bereits zuvor die Kammer bei Erlass des Beschlusses über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe – nicht.

Gegenstand der Klage ist vor diesem Hintergrund keine von der ZABH erlassene Auflage, sondern die vom Beklagten in die Bescheinigungen über die Aufenthaltsgestattungen der Kläger aufgenommenen Auflagen betreffend das Wohnen in der Gemeinschaftsunterkunft.

c. Im Ergebnis der gebotenen Auslegung nach § 88 VwGO unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Klageschrift begehren die Kläger, die ihnen jeweils erteilte Auflage mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, weil sie nicht länger in einer Gemeinschaftsunterkunft wohnen wollen. Sie können dieses Begehren statthafter Weise mit einer Klage verfolgen, deren Ziel es ist, den Beklagten zu verpflichten, die Verpflichtung der Kläger zum Wohnen in einer Gemeinschaftsunterkunft aufzuheben (zur Statthaftigkeit einer Verpflichtungsklage mit dem Ziel der Aufhebung einer Wohnsitzauflage: OVG für das Land Brandenburg, Beschluss vom 30. April 2003 – 4 B 412/02 –, Seite 4 des Beschlussabdrucks und OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 4. April 2016 – OVG 12 N 22.16 –, Seite 2 ff. des Beschlussabdrucks).

d. Der Einzelrichter hat – wie bereits zuvor die Kammer – keinen Zweifel, dass Auflagen nach § 60 Abs. 2 AsylG als belastende Nebenbestimmungen eines begünstigenden Verwaltungsakts (nämlich der Aufenthaltsgestattung) selbstständig aufgehoben oder geändert werden können. Aufenthaltsgestattungen können nämlich grundsätzlich auch ohne Auflagen nach § 60 Abs. 2 AsylG ergehen.

e. Die antragsgemäße Aufhebung dieser Auflage würde – entgegen dem Vortrag des Beklagten – auch nicht zur Obdachlosigkeit der Kläger führen. Denn sie lässt die Verpflichtung des Beklagten aus § 9 Abs. 1 S. 1 LAufnG unberührt, die ihm im Rahmen des Verteilungsverfahrens zugeteilten Kläger in einer (anderen) Einrichtung der vorläufigen Unterbringung unterzubringen. Nur scheidet in diesem Fall eine Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft aus, sodass die Kläger in anderen Einrichtungen (etwa in einem Wohnungsverbund oder in einer Übergangswohnung) untergebracht werden müssten. Es steht dem Beklagten frei, zu erwägen, ob er in zukünftige Bescheinigungen über die Aufenthaltsgestattung eine entsprechend geänderte Unterkunftsauflage aufnimmt. Verpflichtet ist er hierzu nach der Ermessensvorschrift des § 60 Abs. 2 AsylG nicht.

2. Eine bestandskräftige Ablehnung des Antrags der Kläger vom 6. Mai 2020 (auf Aufhebung der Auflage), die der Zulässigkeit der Verpflichtungsklage entgegenstehen könnte, ist nicht ersichtlich. Die Klage war vielmehr zunächst unmittelbar nach Stellung des Antrags beim Beklagten als Untätigkeitsklage erhoben worden. Nach Ablehnung dieses Antrags mit Bescheid des Beklagten vom 14. Dezember 2020 und Zurückweisung des hiergegen erhobenen Widerspruchs mit Widerspruchsbescheid vom 11. Mai 2021 haben die Kläger ihre Klage entsprechend geändert und die ablehnenden Bescheide mit Schriftsatz vom 8. Juni 2021 fristgerecht in den vorliegenden Rechtsstreit einbezogen. Auch nach gründlicher Prüfung bestehen keine Bedenken gegen die Sachdienlichkeit dieser Klageänderung (§ 91 Abs. 1 VwGO).

3. Offenbleiben kann schließlich, ob es sich – angesichts dessen, dass schon die zuvor am 23. September 2019 erteilte Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung mit einer Unterkunftsauflage versehen war – bei der Übernahme der (im Hinblick auf den Ort unveränderten) Unterkunftsauflage in die zuletzt erteilten Bescheinigungen über die Aufenthaltsgestattung vom 10. Dezember 2020 um erneute Regelungen oder lediglich um eine Wiederholung der fortgeltenden Auflage vom 23. September 2019 handelt (vgl. auch hierzu OVG für das Land Brandenburg, Beschluss vom 30. April 2003 – 4 B 412/02 –, Seite 4 des Beschlussabdrucks und OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 4. April 2016 – OVG 12 N 22.16 –, Seite 2 ff. des Beschlussabdrucks). Denn auch wenn man im vorliegenden Fall von einer bloßen Wiederholung der Unterkunftsauflage ausgeht, würde eine etwaige Bestandskraft (die im Übrigen wegen des Fehlens einer Rechtsbehelfsbelehrung ausgeschlossen sein dürfte) jedenfalls nicht die Zulässigkeit eines Antrags auf Aufhebung der Auflage für die Zukunft aufgrund geänderter Umstände hindern, wie ihn die Kläger im vorliegenden Fall gestellt haben. Folgerichtig hat auch der Einzelrichter der 4. Kammer in seinem im Eilverfahren VG 4 L 238/20 ergangenen Beschluss vom 15. Juni 2020 den Antrag der Kläger auf vorläufigen Rechtsschutz jedenfalls mit dem Ziel einer Änderung der Auflage für die Zukunft als zulässig angesehen, obwohl er von einer Bestandskraft der Auflage ausgegangen war.

II. Die aufgrund all dessen zulässige Verpflichtungsklage ist zwischenzeitlich auch begründet.

Denn – unter Berücksichtigung des mit Schriftsatz vom 8. Juni 2021 vorgelegten Befundberichtes – ist die Aufrechterhaltung der Unterkunftsauflage im konkreten Fall rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO).

1. Dies ergibt sich zwar nicht aus besonderen Gefahren, die die Kläger aus der Unterbringung in der Gemeinschaftsunterkunft unter den Bedingungen der Covid-19-Pandemie abgeleitet haben. Insoweit macht sich der Einzelrichter – wie bereits zuvor die Kammer im Beschluss vom 3. November 2021 – die zutreffenden Gründe des im Eilverfahren VG 4 L 238/20 ergangenen Beschlusses der 4. Kammer vom 15. Juni 2020 zu eigen. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass mittlerweile auch für die Kläger die Möglichkeit einer Impfung bestehen dürfte; wenn sie sie nicht schon genutzt haben.

2. Dass die ablehnenden Entscheidungen des Beklagten rechtswidrig sind, ergibt sich aber aus der psychischen Erkrankung der Klägerin zu 1.

Der Beklagte hatte insoweit in seinem Widerspruchsbescheid vom 11. Mai 2021 selbst festgestellt, es stehe aufgrund der Aussage der behandelnden Ärzte außer Frage, dass die Klägerin zu 1. an einer psychischen Erkrankung leide. Er hat ferner auch berücksichtigt, dass es sich deshalb bei der Klägerin zu 1. um eine schutzbedürftige Person im Sinne von Art. 21 der „Richtlinie 2013/33/EU zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen“ handelt und dass für sie die besonderen Bestimmungen des § 9 Abs. 4 i.V.m. § 2 Abs. 3 des Landesaufnahmegesetzes (LAufnG) gelten. Nach diesen Vorschriften sind bei der vorläufigen Unterbringung von (u.a.) Asylbewerbern die besonderen Anforderungen im Sinne des Artikels 18 der Richtlinie 2013/33/EU zu berücksichtigen. Sofern den besonderen Belangen schutzbedürftiger Personen im Sinne von § 2 Abs. 3 LAufnG nicht in einer Gemeinschaftsunterkunft entsprochen werden kann, hat ihre Unterbringung in geeigneten Wohnungen oder, sofern erforderlich, geeigneten Einrichtungen zu erfolgen.

Ausgehend von dieser Rechtslage ist der Beklagte dann – auf der Grundlage der ihm im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides bekannten Tatsachen – zu dem Ergebnis gekommen, dass den (bis dahin) vorgelegten ärztlichen Schreiben nicht zu entnehmen sei, dass die Unterbringung der Klägerin zu 1. in der Gemeinschaftsunterkunft „ein gesundheitliches Risiko darstelle“. Es sei nicht hinreichend glaubhaft gemacht und ergebe sich ebenfalls nicht aus dem (von der Klägerin zu 1. vorgelegten) Schreiben der Psychiatrischen Institutsambulanz (PIA) Strausberg, dass aufgrund der posttraumatischen Belastungsstörung und depressiven Störung der Klägerin zu 1. die Notwendigkeit einer anderweitigen Unterbringung bestehe.

Diese Entscheidung des Beklagten steht nicht (mehr) im Einklang mit den hierfür geltenden gesetzlichen Vorschriften.

Abzustellen war insoweit auf die Sachlage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung und damit auch auf den Befundbericht der PIA S... vom 20. Mai 2021, den die Kläger mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 8. Juni 2021 zur Gerichtsakte gereicht haben. Darin stellt die behandelnde Oberärztin für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik ausdrücklich fest, dass die Lebensumstände der Klägerin zu 1. Ende 2020 zu einer depressiven Reaktion der Tochter geführt hätten, wodurch auch bei der Klägerin zu 1. eine „bis heute anhaltend zunehmende Eskalation der Erkrankung“ eingesetzt habe. Die Klägerin zu 1. habe „Lebensüberdrussgedanken mit zuletzt auch konkreten Suizidgedanken“ geäußert. Es sei „eine chronifizierte Affektstarre festzustellen mit intermittierenden Impulsdurchbrüchen bei geringsten Anlässen“. Die Unterstützung durch die emotionale Bindung zu den Kindern nehme „zunehmend ab“. Schwelende Frustrationen im Rahmen der aktuellen Situation führten immer mehr „zu konkreten Auseinandersetzungen mit den Kindern in Form verbaler Auseinandersetzungen“. Hierbei führten „die Defizite im Rahmen der Erkrankung in Kombination mit der alltäglichen Belastung im Rahmen der Wohnsituation“ dazu, dass die Konflikte weder innerhalb der Familie noch im Rahmen einer gemeinsamen Konsultation der Familie in der PIA deeskaliert werden könnten. Somit sei im konkreten Fall zu beobachten, dass die Lebensumstände, insbesondere die Bedingungen der Wohnsituation mit Lärm und fehlenden Rückzugsmöglichkeiten bereits zu gesundheitlichen Schäden geführt hätten. Bei anhaltender Unterbringung unter den aktuellen Bedingungen werde aller Wahrscheinlichkeit nach die depressive Symptomatik weiter zunehmen, die PTBS weiter chronifizieren und die Suizidgefahr weiter steigen. Dies werde auf absehbare Zeit auch in der aktuell zu leistenden Behandlung nicht zu kompensieren sein. Die aktuellen Bedingungen der Gemeinschaftsunterkunft schadeten der Patientin und ihren Kindern. Eine reizärmere Wohnsituation, beispielsweise durch Unterbringung in einer eigenen Wohnung, sei unerlässlich, um eine (Teil-)Remission zu erreichen.

Ausgehend von diesen Ausführungen der behandelnden Fachärztin liegen im Fall der Klägerin zu 1. die tatbestandlichen Voraussetzungen vor, unter denen § 9 Abs. 4 S. 2 LAufnG schutzbedürftigen Personen einen Anspruch auf Unterbringung außerhalb einer Gemeinschaftsunterkunft einräumt. Ist dies aber der Fall, dann reduziert sich auch das – dem Beklagten im Zusammenhang mit der Entscheidung über die Aufnahme einer Unterkunftsauflage in die Aufenthaltsgestattung der Kläger durch § 60 Abs. 2 Nr. 1 AsylG eröffnete – Ermessen auf null, sodass im Ergebnis nur die Aufhebung der Verpflichtung zum Wohnen in einer Gemeinschaftsunterkunft ermessensgerecht ist und der Beklagte – dem Begehren der Kläger folgend – zu einer entsprechenden Entscheidung zu verpflichten war.

3. Der Kläger zu 2. teilt als minderjähriger Sohn der Klägerin zu 1., die für ihn sorgeberechtigt ist, das Schicksal seiner Mutter.

C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei. Denn es handelt sich um eine Streitigkeit nach dem Asylgesetz. Die Beteiligten streiten nämlich um die Verpflichtung der Kläger, für die Dauer ihrer Asylverfahren in einer bestimmten Unterkunft zu wohnen. Diese Verpflichtung findet ihre Grundlage in den oben angesprochenen Vorschriften des Asylgesetzes.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO. Die Berufung ist nicht zuzulassen, da keiner der in § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO genannten Gründe vorliegt, § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO.