Gericht | OLG Brandenburg 11. Zivilsenat | Entscheidungsdatum | 27.04.2022 | |
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Aktenzeichen | 11 U 104/21 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2022:0427.11U104.21.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
I. Die Berufung der Klägerin gegen das am 10.05.2021 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 2. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) - 12 O 332/20 - wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III. Das angefochtene Urteil wird für vorläufig vollstreckbar erklärt.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
V. Der Gebührenstreitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 8.000,00 € festgesetzt.
Von der Abfassung eines Tatbestandes wird gem. §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.
Die im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Es liegen keine Berufungsgründe vor; weder beruht die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung im Sinne des § 546 ZPO noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere – für die Berufungsführerin günstige(re) – Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO).
Das Landgericht hat die auf Schadensersatz gerichtete Klage die Klägerin zutreffend in vollem Umfang abgewiesen.
Der Klägerin stehen in der Hauptsache keine durchsetzbaren deliktischen Ansprüche auf Zahlung von Schadensersatz in zuletzt geltend gemachter Höhe, Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des von ihr erworbenen … abzüglich einer Nutzungsentschädigung, zu. Auch die Nebenforderungen, die das Schicksal der Hauptforderung teilen, sind dementsprechend nicht begründet.
Das Urteil des Landgerichts ist im Ergebnis überzeugend und trägt auch mit zutreffender Begründung. Richtig ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die streitgegenständliche Forderung – wobei dahinstehen kann, ob sie dem Grunde nach gem. § 826 BGB begründet gewesen wäre - jedenfalls verjährt und demnach die Klägerin damit gem. § 214 BGB in ihrer Durchsetzung dauerhaft gehemmt ist. Das Landgericht hat die Verjährungsanforderungen zutreffend dargelegt und subsumiert.
Ohne Erfolg beruft sich die Klägerin mit ihrer Berufungsbegründung auf die Anmeldung ihrer Ansprüche zum Musterfeststellungsverfahren vor dem Oberlandesgericht Braunschweig. Die Anmeldung konnte die Verjährung nach den überzeugenden Ausführungen des Landgerichts nämlich nicht hemmen. Die Anmeldung war – worauf das Landgericht zutreffend hingewiesen hat - unwirksam, denn die Klägerin hatte ihren Anspruch bei ihrer Anmeldung zum Musterfeststellungsverfahren nicht hinreichend individualisiert.
Nach § 608 Abs. 2 ZPO ist die Anmeldung zur Eintragung in das Klageregister nur wirksam, wenn dies frist- und formgerecht erfolgt und die in Ziffern 1-5 abschließend aufgezählten Angaben enthält. Die Anforderungen an die Benennung des angemeldeten Verbrauchers, des Beklagten sowie des geltend gemachten Anspruchs bzw. des betroffenen Rechtsverhältnisses entsprechen denjenigen an eine Klageschrift gemäß § 253 Abs. 2 ZPO (vgl. OLG München, Urt. v. 21.07.2020, MK 2/19, NZI 2020, 912 ff.; OLG Köln Urt. v. 30.03.2022 – 11 U 86/21, BeckRS 2022, 6380 Rn. 10). § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO fordert dabei die bestimmte Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs, sowie einen bestimmten Antrag. Zwar kommt es im Fall der Anmeldung zum Klageregister dabei auf einen bestimmten Antrag zunächst nicht an. Jedoch ist die konkrete Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs ohne Einschränkungen wie bei § 253 ZPO zu fordern (vgl. OLG Schleswig Urt. v. 11.01.2022 – 7 U 130/21, BeckRS 2022, 385 Rn. 52; OLG Köln, a.a.O.). Während dem Begriff des Gegenstands des Anspruchs keine weitere praktische Bedeutung zukommt (OLG Schleswig, a.a.O., m.w.N.), meint der Klagegrund den Lebenssachverhalt, auf den der Klageantrag gestützt werden soll. Vorzutragen sind diejenigen Tatsachen, die den Streit unverwechselbar festlegen. Der Streitstoff ist nach Beteiligten, Ort und Zeit so zu konkretisieren, dass der Klageanspruch von anderen Streitgegenständen unterschieden und abgrenzbar ist und Grundlage eines der materiellen Rechtskraft fähigen Titels sein kann. An die Bestimmtheit des Antrags sind daher strenge Anforderungen zu stellen (Saenger, ZPO, 9. Aufl. 2021, § 253 Rn. 13). Die Hemmung tritt insbesondere dann nicht ein, wenn sich aus den Angaben bei der Anmeldung aus der objektivierten Sicht des Schuldners keine eindeutige Zuordnung vornehmen lässt (OLG Schleswig, a.a.O.). Erforderlich ist nach der vorgenannten Rechtsprechung in den sog. Diesel-Fällen eine Darlegung der Einzelheiten zum Kauf, zum Fahrzeug, zu dem eingebauten Motor und der Angabe der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN).
Ob dieser Auffassung in jeglicher Hinsicht zu folgen ist oder ob zugunsten eines Verbrauchers zumindest die konkrete Angabe auch der Fahrzeugidentifikationsnummer für die Individualisierung des Streitgegenstandes nicht zwingend zu fordern ist - so eine andere Auffassung in der obergerichtlichen Rechtsprechung (OLG Köln, Urt. v. 12.08.2021 - I-15 U 36/21, juris, Rn. 22) - kann hier dahinstehen. Denn angesichts der im Streitfall überaus kursorischen Darstellung in der Forderungsanmeldung der Klägerin (vgl. Anlage K 1a), die das Landgericht im Urteilstatbestand rechtsfehlerfrei dargestellt hat, fehlt es hier selbst dann an einer hinreichenden Individualisierung ihrer Ansprüche, wenn nicht allein auf das Fehlen der Angabe der FIN abgestellt wird (vgl. hierzu auch OLG Köln, a.a.O.). Zutreffend hat das Landgericht in diesem Zusammenhang herausgearbeitet, dass im Streitfall hinzukommt, dass die Klägerin das Fahrzeug nicht bei der Beklagten, sondern bei einem privaten Autohaus erworben hat, was eine konkrete Zuordnung zusätzlich erschwert.
Die hiergegen von der Berufung ab S. 4 der Berufungsbegründung vorgebrachten Einwände überzeugen nicht. Insbesondere führt der Umstand, dass die Beklagte womöglich im Kundeninteresse ein zudem nicht weiter individualisiertes „Vergleichsangebot“ unterbreitet haben mag, zu keinem anderen Ergebnis. Abgesehen davon, dass die mit der Berufungsbegründung eingereichte Anlage 1b schon gar kein Vergleichsangebot enthält, ist diese Anlage auch offensichtlich nicht einmal auf ein bestimmtes Fahrzeug zugeschnitten, sondern richtet sich pauschal an alle Anmelder des Musterfeststellungsverfahrens. Die Annahme der Berufung trifft dementsprechend nicht zu, dass die Beklagte zum Zeitpunkt der Vergleichskorrespondenz überhaupt Kenntnis davon hatte, um welches (konkrete) Fahrzeug es sich in diesem Zusammenhang handelt. Dies hat der Ehemann der Klägerin im Senatstermin bestätigt, in dem er ausführte, dass erst durch eine Angabe auf dem von der Beklagten zur Verfügung gestellten Anmeldeformular, auf dem er dann die FIN eingegeben hatte, eine Individualisierung möglich wurde. Auf die Frage, ob die Klägerin ein oder mehrere Fahrzeuge besaß, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an.
Im Übrigen hat die Beklagte in ihrer Berufungserwiderung (unwidersprochen) zutreffend darauf hingewiesen hat, dass die Verjährung selbst dann eingetreten wäre, wenn man zugunsten der Klägerin von einer wirksamen Anmeldung der Ansprüche im Musterfeststellungsverfahren ausgehen wollte. Die Klageeinreichung der Klägerin im Dezember 2020 konnte die Verjährungsfrist – wie mit den Parteien im Verhandlungstermin am 27.04.2022 eingehend erläutert wurde – nicht erneut hemmen, da die Zustellung der Klage nicht „demnächst“ im Sinne von § 167 ZPO erfolgt ist.
Entgegen der von der Berufung vertretenen Rechtsauffassung besteht auch kein „Restschadensersatzanspruch“ nach § 852 BGB. Ein solcher Anspruch scheitert im Streitfall aus mehreren Gründen:
Dabei kann dahinstehen, ob der Schutzbereich des § 852 BGB für eine Konstellation, wie sie im Streitfall vorliegt, überhaupt eröffnet ist. Nach der Vorschrift des § 852 S. 1 BGB soll ein deliktischer Schädiger, der durch die gegen fremdes Vermögen gerichtete Tathandlung sein eigenes Vermögen vermehrt hat, auch nach Verjährungseintritt nicht im Genuss des unrechtmäßig erlangten Vorteils bleiben. Maßgeblich ist insoweit, dass der Schutzzweck der genannten Vorschrift nicht darauf zugeschnitten ist, dass der auf Schadensersatz klagende Pkw-Käufer ein nach dem Maßstab der Vertragsäquivalenz an sich voll funktionstüchtiges Fahrzeug erworben hat, für dessen Nutzung er sich daher im Rahmen der Schadensbemessung eine der Fahrleistung entsprechende Gebrauchsentschädigung anrechnen zu lassen hat mit der Folge, dass das vom Käufer geschuldete Nutzungsentgelt den ursprünglich in Höhe des Kaufpreises bestehenden Erstattungsanspruch sogar vollständig aufzehren kann (so etwa OLG Bamberg Urt. v. 04.08.2021 – 3 U 110/21, BeckRS 2021, 22147; OLG Düsseldorf, Urteil vom 20.05.2021 - 5 U 57/20 dort Rn. 56).
Jedenfalls schließt sich der Senat der einhelligen obergerichtlichen Rechtsprechung an, wonach in solchen Fallkonstellationen (wie der hier in Rede stehenden) eine teleologische Reduktion des § 852 BGB veranlasst ist. Danach sind diejenigen Fahrzeugkäufer, die sich nicht an der Musterfeststellungsklage beteiligt haben, nach Verjährungseintritt ihres ursprünglichen Deliktsanspruchs von der Geltendmachung eines Restschadensersatzanspruchs ausgeschlossen (OLG Frankfurt, Beschl. v. 21.01.2021 – 19 U 170/20, Rn. 17, juris). Nichts anderes gilt für diejenigen Anspruchsteller, die von der Musterfeststellungsklage wieder Abstand genommen haben. Maßgeblich ist hierfür, dass § 852 S. 1 BGB im Licht von Sinn und Zweck der Norm auf diejenigen Fallgestaltungen zu begrenzen ist, in denen der Anspruchsteller wegen eines besonderen Prozesskostenrisikos eine zusätzliche "Bedenkzeit" über den deliktischen Verjährungseintritt hinaus braucht und verdient, was aber mit Blick auf die vorliegend durch die Musterfeststellungsklage beseitigten besonderen Prozesskostenrisiken ausgeräumt war (OLG Frankfurt, a.a.O.).
Ungeachtet dessen verlangt § 852 BGB, dass der Vermögensverlust beim Geschädigten einen entsprechenden Vermögenszuwachs beim Schädiger zur Folge haben muss, wobei eine wirtschaftliche Betrachtung maßgeblich ist (BGH, Urt. v. 14.02.1978, X ZR 19/76, juris, Rn. 62 f.). Andernfalls hätte der Schädiger buchstäblich nichts auf Kosten des Geschädigten erlangt (vgl. OLG Koblenz Urt. v. 15.06.2021 – 3 U 183/21, BeckRS 2021, 16928 Rn. 43). Ein solcher Vermögenszuwachs ist hier schon aufgrund der Vertragssituation nicht ersichtlich. Die Klägerin hat nämlich inhaltlich nichts dazu vorgetragen, dass und in welcher Höhe die Beklagte, die unstreitig nicht Verkäuferin des Fahrzeugs war, etwas aus dem Fahrzeugverkauf erlangt hat (vgl. hierzu auch BGH, Urt. v. 17.12.2020 – VI ZR 739, SVR 2021, 62 Rn. 29). § 852 BGB kommt jedenfalls dann nicht zur Anwendung, wenn der Kläger im Zusammenhang mit dem „Dieselskandal“ die Erwerbskosten für ein Fahrzeug, an einen Dritten gezahlt hat, und nunmehr vom Hersteller des Fahrzeugs verlangt (vgl. OLG Karlsruhe, Urt. v. 31.03.2021 – 13 U 678/20, NJW-RR 2021, 687; OLG Koblenz Urt. v. 15.06.2021 – 3 U 183/21, BeckRS 2021, 16928).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit findet ihre rechtliche Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Auch eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof nach Art. 267 AEUV kommt im Streitfall nicht in Betracht, da keine Vorschriften des Unionsrechts klärungsbedürftig und streitentscheidend sind.