Toolbar-Menü
 
Sie sind hier: Gerichtsentscheidungen Entscheidung

Entscheidung 6 K 1110/17.A


Metadaten

Gericht VG Frankfurt (Oder) 6. Kammer Entscheidungsdatum 22.03.2022
Aktenzeichen 6 K 1110/17.A ECLI ECLI:DE:VGFRANK:2022:0322.6K1110.17.A.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens tragen die Kläger.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.

Tatbestand

Die durch ihre am 4. bzw. 6. März 2015 ausgestellten russischen Reisepässe ausgewiesenen Kläger sind russische Staatsangehörige tschetschenischer Volkszugehörigkeit. Sie reisten eigenen Angaben zufolge am 20. Juni 2015 aus der Russischen Föderation aus und am 24. Juni 2015 aus Polen kommend in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo sie am 7. Juli 2015 Asylanträge stellten.

Sie sind die Eltern eines im Januar 2016 in Deutschland geborenen Sohnes, dessen Asylklageverfahren unter dem gerichtlichen Aktenzeichen VG 6 K 1111/17.A bei dem erkennenden Gericht anhängig ist. Sie haben darüber hinaus zwei weitere in Deutschland geborene Kinder, über deren Asylklagen rechtskräftig negativ entschieden wurde (vgl. Urteil vom 12. August 2020 - VG 6 K 2278/18.A -; Gerichtsbescheid vom 13. November 2020 - VG 6 K 1344/20.A -).

Nachdem Deutschland für die Durchführung der Asylverfahren der hiesigen Kläger zuständig geworden war, wurden die Kläger am 26. September 2016 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden auch: Bundesamt) persönlich zu ihren Asylgründen angehört.

Der Kläger gab dabei insbesondere an: Er habe sein Heimatland ungeplant verlassen. Er habe in seinem Heimatland nicht schon einmal vor Gericht gestanden und sei auch nicht vorbestraft; er habe sich auch nicht politisch betätigt. Er habe Probleme mit staatlichen Stellen gehabt. Diese Probleme stünden im Zusammenhang mit einem Freund namens S..., der als Autohändler und Taxifahrer gearbeitet habe. Am 15. September 2014 habe er den Freund zum gemeinsamen Moschee-Besuch abholen wollen. Da der Freund nicht erreichbar gewesen sei, sei er – der Kläger – alleine zur Moschee gegangen, wobei er nach dem Gebet sofort verhaftet und zu seinem Freund befragt worden sei. Er sei den ganzen Tag festgehalten und befragt worden; getan habe man ihm aber nichts. In der Folgezeit sei zwar nichts weiter passiert, er habe aber das Gefühl gehabt, von einem ungewöhnlichen Fahrzeug mit getönten Scheiben verfolgt zu werden. Ein Freund habe ihm berichtet, dass er tatsächlich verfolgt werde. Anfang Januar 2015 sei er offiziell von der Polizei abgeholt worden und habe angeben sollen, wo sich Waffenverstecke oder die Separatisten selbst befinden. Er sei wiederum nicht geschlagen worden, aber mit Schlägen bedroht worden. Nachdem sein Vater einen Betrag von 160.000 Rubel bezahlt habe, sei er freigelassen worden. Ein weiteres Mal sei er am 12. April 2015 von den gleichen Polizeibeamten, von denen einer mit Vornamen R...heiße, abgeholt und für zwei Tage festgehalten und gefoltert worden; so sei er mit einer mit Wasser gefüllten Plastikflasche geschlagen und außerdem fast bis zur Bewusstlosigkeit mit dem Kopf unter Wasser gedrückt worden. Gegen Zahlung von 300.000 Rubel sei er erneut freigelassen worden. Am 29. Mai 2015 seien Polizisten erneut zu ihm nach Hause gekommen, er habe sich aber der Festnahme durch Flucht durch den Hintereingang entziehen können und sich anschließend bei Verwandten versteckt gehalten. In dieser Zeit seien die Beamten noch einmal bei seinen Eltern gewesen und hätten nachgefragt, wo er sei. Am 17. Juni 2015 habe er seinen Reisepass, den er etwa 45 Tage vor seiner geplanten Ausreise beantragt hätte, erhalten und sei am Folgetag ausgereist. Bis zu seiner Ausreise am 18. Juni 2015, die auf Anraten seiner Mutter erfolgt sei und etwa 160.000 Rubel gekostet habe, sei ihm selbst nichts weiter passiert. Schutz durch staatliche Stellen in der Russischen Föderation habe er nicht gesucht, weil er keine Beweise gehabt habe. Einen Aufenthalt in anderen Teilen der Russischen Föderation habe er in Erwägung gezogen, aber nicht in die Tat umgesetzt. Im Fall der Rückkehr in die Russische Föderation befürchte er, dass er erwischt werden würde und dann inhaftiert oder getötet werden würde. In wirtschaftlicher Hinsicht sei bei allgemein eher schlechter Lage seine persönliche Situation gut gewesen. Er habe monatlich zwischen 60.000 und 65.000 Rubel verdient. In seinem Heimatland lebten außerdem seine Eltern, eine Schwester und ein Bruder sowie mehrere Onkel und Tanten.

Die Klägerin gab insbesondere an: Sie habe das Heimatland spontan wegen der Probleme ihres Mannes mit der örtlichen Polizei verlassen. Sie selbst habe die Mitnahmen ihres Mannes nicht mitbekommen, weil sie zu dieser Zeit bei ihren Eltern gewohnt habe. Es sei ihr aber später berichtet worden, auch, dass man ihn zweimal freigekauft habe und dass er bedroht worden sei. Schutz in anderen Teilen der Russischen Föderation habe sie nicht suchen wollen. Dies sei nicht möglich, selbst in Polen stehe kein ausreichender Schutz zur Verfügung. Sie vermute, dass ihr Mann zur Fahndung ausgeschrieben sei. Im Fall der Rückkehr in die Russische Föderation befürchte sie, dass ihr Mann die gleichen Probleme wie vor der Ausreise haben würde. Sie selbst würde Probleme wegen der Erkrankung ihres S...(des Klägers in dem Verfahren VG 6 K 1111/17.A) an Trisomie 21 bekommen. In wirtschaftlicher Hinsicht sei die Lage vor der Ausreise für sie und ihren Mann sehr gut gewesen. In der Russischen Föderation lebten außerdem noch ihre Eltern, zwei Brüder und eine Schwester sowie weitere Verwandte.

Mit Bescheid des Bundesamtes vom 1. März 2017 (Az.: 6...) lehnte die Beklagte die Anträge auf Anerkennung als Asylberechtigte und Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie des subsidiären Schutzstatus ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorliegen, forderte die Kläger unter Androhung der Abschiebung in die Russische Föderation zur Ausreise auf und befristete das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung. Der Bescheid wurde dem nunmehrigen Prozessbevollmächtigten der Kläger durch Einschreiben übersandt; die Aufgabe zur Post erfolgte am 6. März 2017.

Am 22. März 2017 haben die Kläger Klage erhoben.

Zur Begründung verweisen sie auf das bisherige Vorbringen und sind der Auffassung, es handele sich bei den beschriebenen Ereignissen nicht lediglich um kriminelles Unrecht oder einen Amtswalterexzess, sondern um asylrelevante Verfolgung durch tschetschenische Sicherheitskräfte; die Klägerin habe mindestens Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aus abgeleitetem Recht.

Die Kläger beantragen,

die Beklagte unter Aufhebung der Ziffern 1 und 3 bis 6 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 1. März 2017 (Az.: 6...) zu verpflichten, ihnen die Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise, den subsidiären Schutzstatus, zu zuerkennen, hilfsweise, festzustellen, dass in ihren Personen Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG bezüglich der Russischen Föderation bestehen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich auf die angefochtene Entscheidung.

In der mündlichen Verhandlung haben die Kläger ihr tatsächliches Vorbringen hinsichtlich der Ereignisse in den Jahren 2014 und 2015 ergänzt, medizinische Unterlagen betreffend ihren Sohn Y...überreicht und zudem mit Blick auf die aktuelle Situation in der Russischen Föderation die Vertagung der Sache beantragt; wegen der Einzelheiten insoweit wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen. Im Übrigen wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakten – auch zu den die Kinder der Kläger betreffenden Asylklageverfahren (VG 6 K 1111/17.A, VG 6 K 2278/18.A, VG 6 K 1344/20.A) – sowie der Asylakten der Kläger und ihres Sohnes Yasir (Az.: 6..., 6...) Bezug genommen; diese Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage hat keinen Erfolg, weil sie unbegründet ist.

Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung des begehrten Schutzes oder die Feststellung von Abschiebungsverboten, sodass sie durch die entgegenstehende Entscheidung des Bundesamtes auch nicht in ihren Rechten verletzt sind (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung [VwGO]); auch die übrigen Regelungen in dem angefochtenen Bescheid sind rechtmäßig und verletzen die Kläger daher nicht in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Die Kläger haben zunächst keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des subsidiären Schutzstatus.

Ein Ausländer ist gemäß § 3 Abs. 1 des Asylgesetzes (AsylG) Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Konvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet. Gemäß § 3a Abs. 1 AsylG gelten als Verfolgungshandlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Abs. 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist, oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist. Die Verfolgung kann gemäß § 3c AsylG unter anderem von dem Staat oder von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern der Staat oder Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten. Dem Ausländer wird gemäß § 3e Abs. 1 AsylG die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Gemäß § 4 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Gemäß § 4 Abs. 3 AsylG gelten die §§ 3c bis 3e AsylG entsprechend.

Dabei ist es die Sache des Schutzsuchenden, die Umstände, aus denen sich eine Vorverfolgung ergibt, in schlüssiger Form vorzutragen (vgl. § 25 Abs. 1 Satz 1 AsylG), wobei von ihm grundsätzlich zu erwarten ist, dass er die persönlichen Umstände seiner Verfolgung und Furcht vor einer Rückkehr ausreichend substantiiert, detailreich und widerspruchsfrei vorträgt. Hierzu gehört eine Schilderung der in seine Sphäre fallenden Ereignisse, die geeignet ist, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen. Das Gericht muss die volle Überzeugung (§ 108 Abs. 1 VwGO) von der Wahrheit des behaupteten individuellen Schicksals und von der Richtigkeit der Prognose drohender Verfolgung gewinnen, wobei allerdings der sachtypische Beweisnotstand hinsichtlich der Vorgänge im Verfolgerstaat angemessen zu berücksichtigen und deshalb glaubhaften Erklärungen des Asylsuchenden größere Bedeutung beizumessen ist, als dies sonst in der Prozesspraxis bei Parteibekunden der Fall ist (vgl. Bundesverwaltungsgericht [BVerwG], Beschluss vom 29. Februar 1996 - 9 B 293/96 - juris Rn. 2).

Gemessen daran haben die Kläger keinen Schutzanspruch.

Für die Klägerin scheidet ein Schutzanspruch aus eigenem Recht schon deshalb aus, weil die von den Klägern behaupteten Geschehnisse nur den Kläger, nicht aber die übrigen Familienangehörigen, mithin auch nicht die Klägerin, betroffen haben sollen. Der Klägerin war hingegen schon eigenen Angaben zufolge nichts zugestoßen; es ist nicht ersichtlich, dass sich hieran im Fall einer Rückkehr etwas ändern würde. Einer Zuerkennung von internationalem Schutz für Familienangehörige gemäß § 26 Abs. 2, Abs. 5 AsylG steht entgegen, dass dem allein als Stammberechtigten in Betracht kommenden Kläger Schutz bislang nicht unanfechtbar zuerkannt worden ist und im Übrigen auch aus den nachfolgenden Gründen nicht zuzuerkennen ist.

Auch der Kläger hat keinen Schutzanspruch. Denn es ist ihm nicht gelungen, die persönlichen Umstände der ihm vermeintlich drohenden Verfolgung bzw. des ernsthaften Schadens und seiner Furcht vor einer Rückkehr substantiiert und widerspruchsfrei vorzutragen. Denn da schon die klägerischen Angaben zu den Umständen ihrer Ausreise und der Beantragung der Reisedokumente in sich widersprüchlich und letztlich nicht nachvollziehbar sind, ist die Kammer auch nicht davon überzeugt (§ 108 Abs. 1 VwGO), dass die vier vom Kläger geschilderten Vorfälle am 15. September 2014, am 4. oder 5. Januar 2015, am 12. April 2015 und am 29. Mai 2015 sich ereignet haben, wie die Kläger dies angegeben haben.

Die Kläger haben schon kein konkretes fluchtauslösendes Ereignis benannt. Vielmehr hat der Kläger immer wieder darauf Bezug genommen, dass er letztlich allein deshalb ausgereist sei, weil seine Mutter dies gewollt habe. So hatte er in seiner Anhörung beim Bundesamt ausweislich Seite 5 der Anhörungsniederschrift auf die Frage nach dem konkreten Anlass für die Ausreise geantwortet, dass er eigentlich gar nicht habe ausreisen wollen, sondern seine Mutter dieses Interesse gehegt habe.

Es ist auch nicht plausibel, dass – wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung angegeben hat – der behauptete Festnahmeversuch im Mai 2015 in ihm selbst den Entschluss zur Ausreise hat entstehen lassen. Dies steht nämlich in einem offensichtlichen Widerspruch zu seinen sonstigen Angaben und ist auch unter Berücksichtigung der in den Reisepässen der Kläger angegebenen Daten nicht plausibel und damit gänzlich unglaubhaft. Denn der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung als Anlass für die Beschaffung der Reisepässe angegeben, ausreisen zu wollen; mithin hätte der Ausreiseentschluss bereits zum Zeitpunkt der Passbeantragung getroffen worden sein müssen. Die Reisepässe sind aber ausweislich der darauf angegebenen Ausstellungsdaten jedenfalls vor Anfang März 2015 beantragt worden. Hinzu kommt, dass der Kläger nach den Angaben der Klägerin fast einen Monat benötigt haben will, um die für die Passbeantragung erforderliche Bescheinigung über seinen Wehrdienst erlangt zu haben. Mithin müsste der Entschluss zur Ausreise spätestens Anfang Februar 2015 gefasst worden sein und damit zu einem Zeitpunkt, als der Kläger zwar zweimal von örtlichen Behörden mitgenommen, aber ausdrücklich nicht misshandelt worden sein soll. Nichts Anderes würde selbst dann gelten, wenn der Erwerb der Bescheinigung über den Wehrdienst, wie dies der Kläger selbst angegeben hat, nur etwa eine Woche gedauert hätte. Auch dann wäre der Entschluss, die entsprechenden Dokumente zu beantragen, zu einem Zeitpunkt gefasst worden, zu dem dem Kläger letztlich noch gar nichts zugestoßen gewesen wäre. Ein nachvollziehbarer Grund dafür, die Reisepässe zu beantragen und dafür erhebliche finanzielle Aufwendungen auf sich zu nehmen, liegt nicht vor.

Auch die weiteren Angaben zu den Umständen der Ausreise sind unplausibel und widersprüchlich. So haben die Kläger einerseits angegeben, ihr Heimatland „ungeplant“ (vgl. Seite 2 der Anhörungsniederschrift des Klägers) bzw. „spontan“ (vgl. Seite 2 der Anhörungsniederschrift der Klägerin) verlassen zu haben, während der Kläger andererseits bereits beim Bundesamt von einer „geplanten Ausreise“ (Seite 3 seiner Anhörungsniederschrift) sprach. Widersprüchlich sind auch die unterschiedlichen Angaben dazu, wie viel Zeit zwischen dem Erhalt der Reisepässe einerseits und der tatsächlichen Ausreise andererseits gelegen hat. Hier sprach der Kläger einerseits davon, bereits am folgenden Tag – nach Erhalt der Reisepässe – ausgereist zu sein (Seite 3 seiner Anhörungsniederschrift), andererseits sollen es nach den Angaben in der mündlichen Verhandlung 5 bis 7 Tage gewesen sein. Der darin liegende Widerspruch konnte von den Klägern nicht aufgeklärt werden. Er lässt sich insbesondere nicht mit dem Verweis auf angebliche Gedächtnisschwierigkeiten erklären (vgl. Seite 6 der Anhörungsniederschrift des Klägers), die dazu geführt haben können, dass einige der Daten möglicherweise nicht ganz exakt waren; dagegen spricht nämlich bereits, dass der Kläger nicht nur ein Datum genannt hat, sondern auch angegeben hatte, „am folgenden Tag“ ausgereist zu sein. Im Übrigen ist der Verweis auf angebliche Gedächtnisschwierigkeiten und womöglich ungenaue Daten dann jedenfalls erklärungsbedürftig, wenn der Kläger fast durchgängig exakte Daten angibt und lediglich an einer Stelle („4. oder 5. Januar 2015“) insoweit eine Unsicherheit erkennen lässt. Es hätte dem Kläger dann nämlich oblegen, keine ganz genaue Angabe zu machen, sondern darauf hinzuweisen, dass er die Daten einzelner Ereignisse nicht taggenau angeben kann; er hat aber das Gegenteil getan, als er etwa das Ereignis „im April, genauer gesagt am 12. April 2015“ (Seite 4 seiner Anhörungsniederschrift) beschrieb. Nachdem allerdings die Kläger die Reisepässe allerspätestens Mitte April 2015 – nämlich 45 Tage nach dem jeweiligen Ausstellungsdatum, sofern, was allerdings mindestens fernliegt, unterstellt wird, dass die Ausstellung noch am Tag der Antragstellung erfolgte – in Händen hielten, hätte die Ausreise, wenn sie spätestens eine Woche nach Erhalt der Reisepässe erfolgt wäre, noch im April 2015 stattfinden müssen.

Darüber hinaus ist die Behauptung, dass der Kläger in irgendeiner Weise in das Visier der Sicherheitskräfte gerückt sein könnte, auch deshalb unglaubhaft, weil es den Klägern ohne weiteres möglich war, offiziell einen Reisepass zu beantragen und auch zu erhalten. Das Passantragsverfahren beinhaltet nämlich das Prüfen von Dokumenten (vgl. insoweit im Einzelnen: Niederländisches Außenministerium, Country of origin information report for the Russian Federation, April 2021, Seite 11) und das Abfragen einer Reihe von nationalen Datenbanken, die rückmelden, ob der Antragsteller wegen irgendwelcher Verstöße gesucht wird, unbezahlte Schulden oder Steuerschulden hat oder anderweitig für die Ausstellung eines Reisepasses nicht geeignet ist (Galeotti, Lizenz zum Töten? Das Risiko für Tschetschenen innerhalb Russlands, 2019, Seite 8). Der Kläger hatte insoweit bereits beim Bundesamt angegeben, keine Erklärung dafür zu haben, weshalb die Passbeantragung – nach Beschaffung der Bestätigung hinsichtlich des Wehrdienstes – gänzlich unproblematisch möglich gewesen war. Es hat sich vielmehr durch die ausdrückliche Angabe der Kläger in der mündlichen Verhandlung, wonach diese jeweils persönlich ihren Reisepass beantragt haben, letztlich bestätigt, dass es insoweit keine Probleme gegeben hat und daher jedenfalls zu diesem Zeitpunkt nichts gegen die Kläger vorlag.

Nicht entscheidungserheblich und daher auch nicht klärungsbedürftig ist hingegen, was der tatsächliche Grund für die Ausreise gewesen sein mag. Die Kammer bemerkt aber, dass die Äußerung der Klägerin, wonach sie im April 2015 schwanger geworden sei und es sich – wie kurz nach Bekanntwerden der Schwangerschaft zutage getreten sei – um eine Risikoschwangerschaft gehandelt habe, durchaus den Eindruck erwecken könnte, dass die Kläger letztlich ausgereist sind, weil sie eine bessere medizinische Versorgung erreichen wollten.

Aber selbst wenn sich die vier vom Kläger behaupteten Ereignisse so abgespielt hätten, wie er es in seiner Anhörung beim Bundesamt angegeben hatte, wäre die Klage hinsichtlich der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzstatus unbegründet.

Der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft steht bereits entgegen, dass die vermeintlichen Ereignisse schon nicht an eines der in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Merkmale anknüpften. Insbesondere ist dem Kläger nicht etwa eine eigene politische Überzeugung unterstellt worden. Vielmehr hat er ausdrücklich angegeben, dass seinem Freund Unterstützungshandlungen vorgeworfen worden seien. Von einem gegen ihn selbst gerichteten Vorwurf hat er hingegen nichts berichtet. Er ist daher allenfalls als Zeuge befragt worden. Indes ist durch den Umstand, dass der Kläger wiederholt nur kurzzeitig festgenommen und sodann gegen Lösegeldzahlung freigelassen worden sein will, auch deutlich, dass es den vermeintlichen Verfolgern nicht um politische Verfolgung ging, sondern um das Erpressen von Geldbeträgen. Dies hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung letztlich selbst bestätigt, als er angab, dass seine Familie aufgrund ihrer Viehwirtschaft viel Geld habe und die Leute von der Obrigkeit versucht hätten, immer wieder Geld von der Familie zu erpressen.

Die begründete Furcht vor Verfolgung ergibt sich auch nicht etwa aus der in der aktuellen Presseberichterstattung erhobenen Behauptung, dass R... mehrere Tausend Kämpfer in Grosny versammelt hatte, um sie in den von der Russischen Föderation in der Ukraine geführten Krieg zu entsenden (vgl. etwa Tagesspiegel.de, Propaganda über brutale Killer-Kommandos. Putins Tschetschenen-„Bluthund“ meldet erstmals eigene Tote, 01.03.2022, 12:28 Uhr; [österreichisches] Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl [BFA], Kurzinformation der Staatendokumentation. Update zu den wichtigsten Ereignissen in der Russischen Föderation aufgrund des Angriffs auf die Ukraine, 3. März 2022, Seite 3). Denn zwar kann als Verfolgungshandlung auch Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt gelten, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter § 3 Abs. 2 AsylG – unter anderem Verbrechen gegen den Frieden und Kriegsverbrechen – fallen. Die erhobenen Behauptungen insoweit beschränken sich aber auf Grosny bzw. die von Kadyrow kontrollierte (Teil-) Republik Tschetschenien und es ist nicht ersichtlich, dass Kadyrow derartige Kämpfer landesweit rekrutiert und daher auch auf Personen zugreifen würde, die – wie die Kläger vor ihrer Ausreise – in Dagestan wohnhaft sind. Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, dass ihrer Mutter zufolge auch damit begonnen worden wäre, Dagestaner zu rekrutieren, ist diese Behauptung schon derart vage, dass sie keine Pflicht zur Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) auslösen kann. Im Übrigen gibt es ungeachtet der Frage, ob die klägerische Behauptung überhaupt zutreffend ist, jedenfalls keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, dass gerade dem Kläger eine Zwangsrekrutierung droht.

Es gibt auch – selbst bei Wahrunterstellung der Angaben des Klägers über die vier Ereignisse in den Jahren 2014 und 2015 – keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, dass dem Kläger ein ernsthafter Schaden im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG drohen könnte. Denn es ist nicht erkennbar, dass dem Kläger – selbst wenn er in der Vergangenheit durch örtliche dagestanische Sicherheitskräfte in der Ortschaft Balyurt (und daher nicht, wie im angefochtenen Bescheid auf Seite 5 angedeutet wird, durch föderale Behörden und auch nicht, wie in der Klageschrift behauptet, in Tschetschenien) gefoltert worden wäre – auch im Fall der Rückkehr Folter oder Ähnliches drohen würde. Denn selbst wenn ein irgendwie geartetes Interesse an der Familie des Klägers bestanden hätte, besteht dieses im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) nicht mehr fort. Andernfalls wäre es zu weiteren Übergriffen auf die Familie, insbesondere seinen in Dagestan lebenden Vater, gekommen. Dies umso mehr, weil es nach den im Zusammenhang getätigten Angaben des Klägers der Vater gewesen sein soll, der ihn zweimal für insgesamt etwa 460.000 Rubel oder 500.000 Rubel freigekauft haben soll (anders und wiederum vage hinsichtlich des Lösegeldzahlenden hingegen auf Seite 5 der Anhörungsniederschrift: „Ich oder mein Vater“). Von derartigen Übergriffen haben die Kläger aber nichts berichtet, obwohl sie regelmäßig Kontakt zu ihren Angehörigen – auch, wenngleich womöglich weniger häufig, zum Vater des Klägers und insbesondere zu der mit dem Vater zusammenlebenden Mutter des Klägers – haben und diese offenbar keine entsprechenden Ereignisse beschrieben haben; hätte es derartige Vorkommnisse gegeben, hätte es den Klägern oblegen, diese innerhalb der unter Hinweis auf § 87b VwGO gesetzten Frist oder allerspätestens in der mündlichen Verhandlung zu benennen.

Auch im Übrigen gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass den Klägern im Rahmen des von der Russischen Föderation geführten internationalen bewaffneten Konflikts etwas im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG drohen könnte, zumal dieser Konflikt zwar von der Russischen Föderation aber nicht auf deren Staatsgebiet geführt wird.

Angesichts der fehlenden Verfolgungsgefahr bzw. Gefahr eines ernsthaften Schadens ist nicht entscheidungserheblich, ob den Klägern zudem interner Schutz im Sinne von § 3e AsylG zur Verfügung steht, weil die behaupteten Geschehnisse einen Bezug nur zu örtlichen Behörden aufweisen, durch die nicht mit landesweiten Übergriffen zu rechnen ist, und für ein Interesse der föderalen Behörden nichts ersichtlich ist (vgl. aber grundlegend zum internen Schutz: Urteile vom 17. Juni 2020 - VG 6 K 741/13.A - juris; und vom 3. November 2020 - VG 6 K 2842/16.A - n. v., rkr. nach Nichtzulassung der Berufung durch Beschluss des OVG Berlin-Brandenburg vom 18. Februar 2022 - OVG 12 N 5/21 – n. v.).

Die Kläger haben auch keinen Anspruch auf Feststellung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG, sodass sie insoweit durch die entgegenstehende Entscheidung des Bundesamtes nicht in ihren Rechten verletzt sind.

Für ein Abschiebungsverbot aus medizinischen Gründen gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist für die hiesigen Kläger nichts ersichtlich. Die Erkrankung des Sohnes ist insoweit nicht entscheidungserheblich, weil ein Abschiebungsverbot nur individuell für den einzelnen Kläger festgestellt werden kann; eine Gewährung von „Familienabschiebungsschutz“ kennt das deutsche Recht nicht (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 - 1 C 45/18 - juris Rn. 14). Es kommt daher nicht darauf an, dass schon nicht vorgetragen oder ersichtlich ist, in welchem Umfang der Sohn zum gegenwärtigen Zeitpunkt behandlungs- bzw. betreuungsbedürftig ist, weil die aktuellste der ohnehin nach Ablauf der gemäß § 87b VwGO gesetzten Frist eingereichte medizinische Unterlage vom 28. August 2020 datiert und sich zudem nicht mit der Trisomie 21 befasst, sondern mit HNO-ärztlichen Diagnosen und deren Behandlungen.

Es besteht auch kein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG; die Sache ist insoweit auch entscheidungsreif, sodass der klägerische Antrag, sie zu vertagen, abzulehnen war.

Soweit in diesem Zusammenhang eine Verletzung von Artikel 3 EMRK und damit ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in besonderen Ausnahmefällen auch bei prekären Lebensbedingungen in Betracht kommt, wenn die drohenden Gefahren ein „Mindestmaß an Schwere“ aufweisen, das erreicht sein kann, wenn der Ausländer seinen existenziellen Lebensunterhalt nicht sichern kann, kein Obdach findet oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhält (vgl. zusammenfassend: BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 - 1 C 45/18 - juris Rn. 12 mit weiteren Nachweisen, auch aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Gerichtshofs der Europäischen Union), steht ein derartiger besonderer Ausnahmefall hier für die Kläger nicht im Raum.

Insbesondere führen die wirtschaftlichen Folgen der aufgrund des von der Russischen Föderation geführten Angriffskrieges in dem für die insoweit zu treffende Prognoseentscheidung maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) nicht etwa dazu, dass den Klägern die Sicherung des existenziellen Lebensunterhalts für sich selbst und ihre Kinder (vgl. zur Notwendigkeit der hypothetischen Rückkehrsituation im Kernfamilienverband: BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 - 1 C 45/18 - juris Rn. 16 ff.) nicht möglich sein wird. Hierfür fehlt es unter Berücksichtigung der allgemeinen wirtschaftlichen Lage in der Russischen Föderation sowie der Lage der konkreten Kläger und ihrer Familie an greifbaren Anhaltspunkten.

In allgemeiner Hinsicht stellt sich die aktuelle Lage nämlich auf Grundlage der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisse sowie der unter anderem durch aktuelle Presseberichterstattung allgemeinkundigen Tatsachen wie folgt dar:

Zwar sind bereits frühzeitig Folgen der gegen die Russische Föderation verhängten Sanktionen spürbar geworden (vgl. bereits tagesschau.de, Russische Landeswährung. Sanktionen lassen Rubel abstürzen, 28.02.2022, 08:57 Uhr). Auch wenn die Sanktionen in erster Linie den Zugang zu den internationalen Kapital- und Finanzmärkten betreffen (Deutschlandfunk aktuell, Sanktionen. Wie der Westen Russland und Putin unter Druck setzt, 01.03.2022) und sich darüber hinaus westliche Unternehmen aus dem Geschäft mit der Russischen Föderation zurückziehen (Tagesschau.de, Russlands Wirtschaft. Durch Sanktionen in die Rezession?, 01.03.2022, 15:30 Uhr; Zeit online, Ukraine-Konflikt. Der Abschied – Vielen Firmen ist Russland kein Partner mehr, 02.03.2022, 16:02 Uhr), wird nicht nur mit Folgen für den Kurs des Rubel und die internationalen wirtschaftlichen Beziehungen gerechnet, sondern insbesondere auch mit einem Anstieg der Inflation in der Russischen Föderation, dem die russische Zentralbank bereits durch eine massive Leitzinserhöhung entgegenzuwirken suchte (Tagesschau.de, Russische Landeswährung. Sanktionen lassen Rubel abstürzen, 28.02.2022, 08:57 Uhr). So sind auch einige Lebensmittel und Medikamente teuer und knapp geworden (Redaktionsnetzwerk Deutschland / Schulz, Wie Putin Russland in den Ruin treibt, 05.03.2022, 05:30 Uhr). Soweit aber Preissteigerungsraten von 30 bis 40 % innerhalb von zwei Wochen benannt werden (Redaktionsnetzwerk Deutschland, a. a. O.), betrifft dies erkennbar nicht die lebensnotwendigen Güter, deren Nichtvorhandensein oder Unbezahlbarkeit womöglich den internen Schutz ausschließen könnte. Vielmehr ist hier zusammenfassend von Lebensmitteln und Technikprodukten, vor allem ausländischen Produkten, die Rede. Tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass gerade auch in der Russischen Föderation produzierte Lebensmittel derartigen Preissteigerungen unterliegen würden, dass eine Existenzsicherung nicht mehr möglich ist, bestehen mithin nicht. Es ist vielmehr sogar so, dass sich einige der größten Supermarktketten der Russischen Föderation darauf verständigt haben, Preissteigerungen für Milchprodukte, Backwaren, Zucker und einige Gemüsesorten auf nicht mehr als 5 % zu beschränken (National Public Radio, How everyday Russians are feeling the impact from sanctions, 02.03.2022 unter Berufung auf die russische staatliche Nachrichtenagentur TASS und föderale Kartellbehörden; ebenso auch: Frankfurter Rundschau / Nail Akkoyun, Sanktionen gegen Russland: Wie die Maßnahmen den Alltag im Land verändert haben, Artikel vom 14. März 2022, 20:34 Uhr, https://www.fr.de/politik/russland-sanktionen-ukraine-krieg-moskau-rubel-kurs-wirtschaft-wladimir-putin-news-zr-91410146.html).

Soweit es durch Presseberichterstattung allgemeinkundig geworden ist, dass es in der Russischen Föderation bei einzelnen Lebensmitteln wie etwa Zucker zu leeren Regalen gekommen war (vgl. etwa n-tv.de, Rentner rangeln um letzte Pakete. Russland erlebt Zuckerkrise, Artikel vom 17. März 2022, 15:59 Uhr, https://www.n-tv.de/wirtschaft/Russland-erlebt-Zuckerkrise-article23203739.html) rechtfertigt dies keine andere Beurteilung. Denn wie sich bereits aus dem in dem genannten Artikel angeführten Vergleich mit Öl und Nudeln in Deutschland ergibt, ist dies lediglich auf einen vorübergehenden Anstieg der Nachfrage durch sogenannte Hamsterkäufe zurückzuführen. Objektiv besteht hingegen kein Anhaltspunkt dafür, dass in der Russischen Föderation Zucker oder andere Lebensmittel in einer Weise knapp werden könnten, dass die existenzielle Lebensunterhaltssicherung unmöglich werden würde. Dies schon deshalb, weil es sich bei der Russischen Föderation als dem flächengrößten Staat der Erde um einen ganz maßgeblichen Produzenten von Lebensmitteln handelt und die Russische Föderation die Ausfuhr von Getreide und Zucker vorübergehend gestoppt hat (vgl. etwa n-tv.de, Rentner rangeln um letzte Pakete. Russland erlebt Zuckerkrise, Artikel vom 17. März 2022, 15:59 Uhr, https://www.n-tv.de/wirtschaft/Russland-erlebt-Zuckerkrise-article23203739.html; n-tv.de, „Keine Gefahr einer Verknappung“. Russland warnt die Bürger vor Hamsterkäufen, Artikel vom 15. März 2022, 09:42 Uhr, https://www.n-tv.de/panorama/Russland-warnt-die-Buerger-vor-Hamsterkaeufen-article23196262.html); mithin stehen bei Produkten wie etwa Weizen, deren weltweit drittgrößter Produzent (https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Weizen&diff=221467834&oldid=221166488#Die_gr%C3%B6%C3%9Ften_Weizenproduzenten) und größter Exporteur die Russische Föderation ist (n-tv.de, „Keine Gefahr einer Verknappung“. Russland warnt die Bürger vor Hamsterkäufen, Artikel vom 15. März 2022, 09:42 Uhr, https://www.n-tv.de/panorama/Russland-warnt-die-Buerger-vor-Hamsterkaeufen-article23196262.html; https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Weizen&diff=221467834&oldid=221166488#Die_gr%C3%B6%C3%9Ften_Weizenproduzenten), Zucker und anderen Lebensmitteln sogar letztlich größere Mengen in der Russischen Föderation zur Verfügung als bisher. Ohnehin wäre eine etwaige Knappheit einzelner Lebensmittel kein Anhaltspunkt dafür, dass der existenzielle Lebensunterhalt insgesamt nicht gesichert werden kann.

Kurzfristige und unmittelbar existenzbedrohende Folgen für die russische Zivilbevölkerung sind im Übrigen allgemeinkundig nicht das Ziel der wirtschaftlichen Sanktionen. Denn es geht in erster Linie um die Verteidigung völkerrechtlicher Normen, während demgegenüber das Ziel einer Änderung des politischen Verhaltens der russischen Regierung durch eine Erhöhung des innerrussischen Drucks allenfalls von untergeordneter Bedeutung ist und zudem nur mittelfristiges Ziel der Sanktionen sein kann (vgl. bereits vor Beginn des Angriffskrieges: Tagesschau.de, Ukraine-Russland-Konflikt. Wie wirksam sind Sanktionen?, Stand: 23. Februar 2022, 11:28 Uhr, https://www.tagesschau.de/ausland/europa/sanktionen-wirksamkeit-russland-101.html; nach dessen Beginn: der Freitag. Die Wochenzeitung / Julia Grauvogel, Ausgabe 11/2022 vom 16. März 2022, Zwei zentrale Ziele der Sanktionen gegen Russland, https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/wie-eine-expertin-die-sanktionen-gegen-russland-beurteilt). Zudem ist die Zielrichtung der verhängten Sanktionen gerade nicht, dass russische Volk zu treffen, sondern die Verantwortungsträger (vgl. Regierungserklärung vom 27. Februar 2022, Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 20/19, Seite 1351 [B], [C]); sie sind auf mittel- und langfristige Wirkung angelegt und gegen das „System Putin“ bzw. die Banken, Oligarchen und Wirtschaft gerichtet (Deutscher Bundestag, a. a. O., Seite 1360 [A], Seite 1362 [B]), auch die wirtschaftlichen Auswirkungen sollen (erst) langfristig spürbar werden (Deutscher Bundestag, a. a. O., Seite 1366 [A]). Soweit die verhängten Sanktionen etwa durch Teile der Opposition im Deutschen Bundestag kritisiert werden, erfolgt dies unter anderem mit der Einschätzung, diese werden „viel weniger wirkungsvoll“ sein (Deutscher Bundestag, a. a. O., Seite 1364 [D]) oder sie seien von russischer Seite bereits „miteingepreist“ (Deutscher Bundestag, a. a. O., Seite 1375 [D]); von einer kurzfristig für die Zivilbevölkerung existenzbedrohenden Wirkung der Sanktionen geht mithin – zutreffend – soweit ersichtlich niemand aus.

Erst recht ist für die konkreten Kläger in maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht zu befürchten, dass eine Sicherung des existenziellen Lebensunterhalts im Fall einer Rückkehr in die Russische Föderation nicht möglich sein wird. Denn bereits für die Zeit vor der Ausreise hatte der Kläger trotz allgemein eher schlechter Lage seine eigene persönliche Lage in wirtschaftlicher Hinsicht als ganz gut bzw. gut beschrieben. Auch wenn er keinen Beruf erlernt hat, war es ihm möglich, als selbstständiger Landwirt und beim Verkauf von Fleisch und sonstigen Lebensmitteln ein ausreichendes Einkommen zu erzielen. Mit einem Einkommen in der vom Kläger genannten Höhe wird es ihm möglich sein, auch die bei der Ausreise noch nicht geborenen Kinder versorgen zu können. Der Kläger hatte nämlich einen monatlichen Verdienst von bis zu 65.000 Rubel angegeben. Dies lieg ungeachtet dessen, ob das monatliche Existenzminimum per Verordnung bestimmt und bei 12.130 Rubel liegt (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation Russische Föderation aus dem COI-CMS, generiert am 02.03.2022, Version 5, Seite 94) oder aber für erwerbsfähige Personen bei 13.793 Rubel und für Kinder bei 12.274 Rubel (BFA, a. a. O., Seite 96) liegt, über dem Existenzminimum für eine fünfköpfige Familie (entweder 60.650 Rubel oder 64.408 Rubel). Es ist kein Grund ersichtlich oder vorgetragen, aus dem der Kläger ungeachtet der allgemeinen wirtschaftlichen Lage seine frühere Tätigkeit nicht erneut aufnehmen könnte. Hinzu kommt, dass die Kläger weiterhin mit der Unterstützung durch ihre Angehörigen, insbesondere die nach ihren eigenen Angaben durchaus wohlhabende Familie des Klägers, rechnen können.

Keine andere Beurteilung ergibt sich unter Berücksichtigung der Behinderung bzw. Trisomie 21-Erkrankung des Sohnes der Kläger, des Klägers in dem Verfahren VG 6 K 1111/17.A. Insoweit mag es zwar grundsätzlich so sein, dass zumindest befürchtet wird, dass bei einzelnen Medikamenten womöglich mit extremen Preissteigerungen zu rechnen sein wird, was auch Auswirkungen auf die Möglichkeit der Existenzsicherung haben könnte. Es ist aber schon weder dargelegt noch ersichtlich, welche Medikamente der Sohn womöglich konkret benötigt, sodass erst recht nichts dafür dargetan ist, dass die Kläger unter Berücksichtigung etwaiger Kosten für die erforderliche medizinische Behandlung ihres Sohnes nicht in der Lage wären, ihren Lebensunterhalt zu sichern.

Im Übrigen steht den Klägern auch als „Rückkehrern“ der Zugang zu Sozialleistungen, nämlich zum regulären Sozialversicherungs-, Wohlfahrts- und Rentensystem der Russischen Föderation offen (vgl. BFA, Länderinformation der Staatendokumentation Russische Föderation aus dem COI-CMS, generiert am 02.03.2022, Version 5, Seite 97).

Sollte es gleichwohl anfänglich zu etwaigen Engpässen finanzieller Art kommen, ist schließlich nicht ausgeschlossen, dass die Kläger auf Mittel in Form von Rückkehrhilfen zurückgreifen könnten, die über das Bundesamt bzw. die zuständige Ausländerbehörde beantragt werden können. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass es sich hierbei um Leistungen handelt, auf die kein Rechtsanspruch besteht, sodass sie nur zusätzlich zu den übrigen Erwägungen hinsichtlich der Möglichkeit, das Existenzminimum zu sichern, in Betracht zu ziehen sind.

Angesichts der obenstehenden Erkenntnisse bestand bereits im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung auch eine ausreichende tatsächliche und rechtliche Grundlage, um die für die Frage des Vorliegens eines Abschiebungsverbotes notwendige Prognoseentscheidung treffen zu können. Es bedurfte daher nicht der von den Klägern beantragten Vertagung zur weiteren Sachaufklärung. Soweit die Klägerin diesem Zusammenhang die Befürchtung zum Ausdruck gebracht haben, es könne sich kurz- und mittelfristig etwas an der Lage ändern, fehlt es wiederum an greifbaren Anhaltspunkten dafür. Denn die zügig verhängten wirtschaftlichen Sanktionen haben im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung 26 Tage nach Beginn des Angriffskrieges nicht die Auswirkung gehabt, dass es zu Schwierigkeiten hinsichtlich der Existenzsicherung in der Russischen Föderation gekommen ist; es gibt keinen Grund, anzunehmen, dass dies nunmehr anders werden wird.

Die Abschiebungsandrohung ist nicht zu beanstanden, sondern hat ihre rechtliche Grundlage in § 59 AufenthG in Verbindung mit § 34 Abs. 1 und § 38 Abs. 1 AsylG. Insbesondere steht der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung auch nicht etwa entgegen, dass der Aufenthalt des Sohnes der Kläger im Bundesgebiet wegen seines noch andauernden Asylverfahrens gestattet ist. Hieraus könnte allenfalls ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG folgen, dessen Vorliegen indes nicht von der Beklagten, sondern von der Ausländerbehörde zu prüfen wäre und dem Erlass der Abschiebungsandrohung ohnehin nicht entgegenstünde (§ 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG).

Tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte bei der Verhängung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots die Grenzen des gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Ermessens (vgl. § 114 Satz 1 VwGO) überschritten haben könnte, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO und § 83b AsylG.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 11 und § 711 der Zivilprozessordnung in Verbindung mit § 167 VwGO.