Gericht | LArbG Berlin-Brandenburg 2. Kammer | Entscheidungsdatum | 14.03.2022 | |
---|---|---|---|---|
Aktenzeichen | 2 Sa 1699/21 | ECLI | ECLI:DE:LAGBEBB:2022:0314.2SA1699.21.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 46 Abs 5 S 2 ArbGG, § 85 Abs 2 ZPO, § 520 Abs 3 Nr 2 ZPO, § 130a Abs 5 S 2 ZPO |
Versendet ein Rechtsanwalt fristwahrende Schriftsätze über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) an das Gericht, hat er in seiner Kanzlei das zuständige Personal dahingehend zu belehren, dass stets der Erhalt der automatisierten Eingangsbestätigung nach § 46 c Abs. 5 Satz 2 ArbGG zu kontrollieren ist. Er hat zudem diesbezüglich zumindest stichprobenweise Überprüfungen durchzuführen.
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 04.11.2021 – 11 Ca 7337/21 – wird unter Zurückweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.
II. Die Revisionsbeschwerde wird nicht zugelassen.
I.
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung vom 01.07.2021 sowie um Entgeltdifferenzen für Juli 2021.
Das Arbeitsgericht Berlin hat nach einem vorangegangenen Versäumnisurteil gegen die Beklagte mit Urteil vom 04.11.2021 das Versäumnisurteil vom 07.10.2021 aufrechterhalten und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 3.400,00 EUR brutto abzüglich bereits gezahlter 1.542,94 EUR netto zuzüglich Zinsen zu zahlen. Dies hat es im Wesentlichen damit begründet, dass die Beklagte die betriebsbedingte Kündigung nicht ordnungsgemäß begründet hat. Wenn sich der Arbeitgeber dabei auf außerbetriebliche oder innerbetriebliche Umstände berufe, dürfe er sich nicht auf schlagwortartige Umschreibungen beschränken; er müsse seine tatsächlichen Angaben vielmehr so im Einzelnen darlegen (substantiieren), dass sie von dem Arbeitnehmer mit Gegentatsachen bestritten und vom Gericht überprüft werden können. Bei Kündigungen auch aus innerbetrieblichen Gründen müsse die Arbeitgeberin u.a. darlegen, welche organisatorischen oder technischen Maßnahmen sie angeordnet habe und wie sich die von ihr behaupteten Umstände unmittelbar oder mittelbar auf die Beschäftigungsmöglichkeit für den gekündigten Arbeitnehmer auswirkten. Der Vortrag des Arbeitgebers muss erkennen lassen, ob durch eine innerbetriebliche Maßnahme oder durch einen außerbetrieblichen Anlass das Bedürfnis an der Tätigkeit des gekündigten Arbeitnehmers wegfalle. Von den Arbeitsgerichten voll nachzuprüfen sei, ob eine derartige unternehmerische Entscheidung tatsächlich vorliege; auch wenn eine solche unternehmerische Entscheidung selbst nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung oder ihre Zweckmäßigkeit zu überprüfen sei, sondern nur darauf, ob sie offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich sei. Dies bedeute konkret auch, dass der Arbeitgeber hinsichtlich der organisatorischen Durchführbarkeit und der zeitlichen Nachhaltigkeit sehr deutlich und substantiiert alle Umstände vorzutragen habe.
Gemessen daran sei festzustellen, dass vorliegend allein gänzlich pauschale Angaben vorlägen. Es werde nur allgemein vorgetragen, dass es einen „massiven“ Rückgang der Rekrutierung gegeben haben solle und Umsatzeinbußen von 20 bis 30 % abzusehen gewesen seien und daher das Arbeitsverhältnis habe gekündigt werden müssen. Dies entspreche nicht ansatzweise den oben von der obergerichtlichen Rechtsprechung genannten Anforderungen an einen ausreichenden Sachvortrag zur Begründung einer betriebsbedingten Kündigung. Es würden bloß pauschale Schlagworte genannt, die nicht ansatzweise erkennen ließen, warum ein etwaiger erheblicher Umsatzrückgang die Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers rechtfertigen würde. Es werde auch nicht ansatzweise zu einem Arbeitskräftebedarf und der sonstigen organisatorischen Durchführbarkeit vorgetragen. Hinsichtlich der weiteren Begründung des Arbeitsgerichts Berlin wird auf das Urteil Bl. 82 – 87 R d. A. verwiesen. Den Entgeltanspruch hat die Beklagte anerkannt, entsprechend ist ein Anerkenntnisteilurteil ergangen.
Gegen dieses ihr am 22.11.2021 zugestellte Anerkenntnisteil- und Schlussurteil richtet sich die beim Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg am 21.12.2021 eingegangene und am 21.02.2022 nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 18.02.2022 begründete Berufung der Beklagten. Sie trägt auf ca. einer Seite vor, dass die vorzutragenden Tatsachen als vom Arbeitsgericht zu streng betrachtet anzusehen seien. Wie dargetan, habe es einen Rückgang der Aufträge von 20 bis 30 % gegeben. Die exakten Zahlen müssten noch dargetan werden. „Durch den Auftragsrückgang an Coachings waren Umsatzeinbußen in wenigstens gleicher Höhe im Jahre 2019 hatte die Beklagte 500.000,00 EUR Jahresumsatz.“ Im Jahr 2020 habe die Beklagte einen Jahresumsatz von 750.000,00 EUR gehabt. Im Jahr 2021 betrug der Jahresumsatz etwa die gleiche Höhe wie etwa 500.000,00 EUR. Dabei sei die Kostenstruktur massiv gestiegen. Weitere Mitarbeiter, die indes Familienmitgliedern unterhaltspflichtig gewesen seien, wurden seit dem Jahr 2019 eingestellt. Der Gewinn im Jahr 2019 habe 0 betragen, der Gewinn im Jahr 2020 habe 100.000,00 EUR betragen. „Im Jahr 2021 drohte der Gewinn überhaupt nicht erst entstehen, sondern ein massiver Verlust. Es drohten Verluste von knapp 100.000,00 EUR.“
Aufgrund dessen sei es zu der nachvollziehbaren unternehmerischen Entscheidung gekommen, das Unternehmen vor der Insolvenz, dem Scheitern durch Überschuldung zu schützen. Im Ergebnis jedenfalls habe der Geschäftsführer der Beklagten sich dazu entschieden, die Abteilung, in welcher der Kläger tätig war, insgesamt zu schließen. Dies sei auch vorgetragen worden. Es sei versucht worden, dem Kläger eine anderweitige Tätigkeit anzubieten, jedoch sei dieser von der Beklagten ausgebildet worden. Er sei ein guter Coach. Er könnte ohne Weiteres eine neue Anstellung finden, würden doch Coaches händeringend gesucht.
Mit Schriftsatz vom 21.02.2022, beim Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg am 21.02.2022 eingegangen, hat die Beklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt und hat dies wie folgt begründet:
Am 18.02.2022 habe der Prozessbevollmächtigte der Beklagten die Berufungsbegründung gefertigt und habe sie per beA versenden wollen. Dazu habe er den Schriftsatz signiert und dann mithilfe des Programms RA-Micro den digitalen Versand angeschoben. Dazu habe er seine Kennnummer für das Signieren das erste Mal eingegeben und für den Versand weitere zwei Male. Dies sei am 18.02.2022 gegen 18:15 Uhr erfolgt. Da er an diesem Tag eine Vielzahl von Schriftsätzen verfasst hätte, habe er seine stets zuverlässig arbeitende Mitarbeiterin Frau H gebeten, den Postausgang ordnungsgemäß zu überprüfen. Die Überprüfung des Postausgangs über das „RA-Micro“ beA-System erfolge so, dass alle an dem Tag gefertigten Schriftsätze im Postausgang zu sehen seien. Sie entfernten sich dann sukzessive, je nachdem, ob der Versand erfolgreich gewesen sei oder nicht. Im Anschluss werde dann am Ende des Tages der Ordner „gesendete Elemente“ überprüft. Ernst nach einem Abgleich würden dann die Schreiben als fristgerecht versendet gelten.
Der Unterzeichner habe seinen Arbeitsplatz verlassen und habe seine seit langem zuverlässige Mitarbeiterin Frau H gebeten, den Postausgang zu überprüfen. Er habe sie gebeten, im Falle eines Fehlers der Übersendung den Unterzeichner nochmals anzurufen, damit dieser den Schriftsatz nochmals hätte übersenden können. Dies habe sie zugesagt. Es sei aber zu keinem Anruf gekommen. Frau H habe sehen können, dass der digitale Postausgang leer gewesen sei. Sie habe den Reiter „gesendete Elemente“ nicht überprüft, so dass sie nicht habe sehen können, dass es augenscheinlich bei der Übermittlung des Schriftsatzes zu einem Fehler gekommen sei. Der Schriftsatz sei nochmals zu versenden gewesen. Das habe sie jedoch unterlassen.
II.
Die Berufung war aus mehreren Gründen als unzulässig zu verwerfen:
1. Die Beklagte hat die Frist zur Begründung der eingelegten Berufung (§ 66 Abs. 1 und Satz 5 ArbGG) versäumt. Sie hätte die Berufung bis zum 18.02.2022 begründen müssen. Die Berufungsbegründungsschrift ist jedoch erst am 21.02.2022 beim Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg eingegangen.
2. Der Beklagten war keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren gemäß § 233 i.V.m. § 85 Ab. 2 ZPO. Die Beklagte hat nicht glaubhaft gemacht, sie sei ohne ihr Verschulden bzw. ohne ein ihr nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten an der fristgemäßen Einreichung der Berufung verhindert gewesen.
a) Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand setzt voraus, dass die Partei ohne ihr Verschulden verhindert war, die versäumte Frist einzuhalten (§ 233 Satz 1 ZPO). Dabei steht gemäß § 85 Abs. 2 ZPO das Verschulden des Prozessbevollmächtigten dem Verschulden der Partei gleich. Ist das Fristversäumnis allerdings infolge eines Fehlverhaltens von Büropersonal des Prozessbevollmächtigten eingetreten, liegt kein der Partei zuzurechnendes Verschulden vor, wenn der Prozessbevollmächtigte seine Kanzlei ordnungsgemäß organisiert, insbesondere zuverlässiges Personal ausgewählt und dieses ausreichend überwacht hat. Allerdings genügt nach gefestigter Rechtsprechung ein Rechtsanwalt bei einer Übermittlung fristwahrender Schriftsätze per Telefax seiner Pflicht zur Ausgangskontrolle nur dann, wenn er seine Angestellten anweist, anhand des Sendeprotokolls zu überprüfen, ob die Übermittlung vollständig und an den richtigen Empfänger erfolgt ist. Erst danach darf die Frist im Fristenkalender gestrichen werden. Die Überprüfung des Sendeberichts kann lediglich dann entfallen, wenn der Rechtsanwalt seine Kanzleiangestellten angewiesen hat, die Frist erst nach telefonischer Rückfrage beim Empfänger zu streichen. Die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs per beA entsprechen den per Übersendung von Schriftsätzen per Telefax. Auch hier ist es unerlässlich, den Versandvorgang selbst zu überprüfen. Dies kann ohne Weiteres durch eine Kontrolle der dem Telefax-Sendeprotokoll vergleichbaren automatisierten Eingangsbestätigung (§ 46 c Abs. 5 Satz 2 ArbGG) erfolgen. Sobald eine an das Gericht versendete Nachricht auf dem in dessen Auftrag geführten Server eingegangen ist, schickt dieser automatisch dem Absender eine Bestätigung über den Eingang der Nachricht. Hieran hat sich mit Einführung des beA nichts geändert, die Eingangsbestätigung wird vom EGVP an das beA versandt. Die Eingangsbestätigung soll dem Absender unmittelbar und ohne weiteres Eingreifen des Justizbediensteten Gewissheit darüber verschaffen, ob eine Übermittlung an das Gericht erfolgreich war oder ob weitere Bemühungen zur erfolgreichen Übermittlung des elektronischen Dokuments erforderlich sind. Hat der Rechtsanwalt eine Eingangsbestätigung erhalten, besteht damit Sicherheit darüber, dass der Sendevorgang erfolgreich war. Ihr Ausbleiben muss den Rechtsanwalt zur Überprüfung und ggf. zur erneuten Übermittlung veranlassen.
c) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat die Beklagte die Einrichtung und Anwendung einer ordnungsgemäß gestalteten Fristen- und Ausgangskontrolle bereits nicht schlüssig dargelegt. Den Ausführungen des Beklagten lässt sich nicht entnehmen, dass in der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten eine Anweisung bestand, wonach die Frist zur Berufungsbegründung im Fristenkalender erst nach Überprüfung der erfolgreichen Übermittlung der Berufungsbegründungsschrift an das Gericht unter Berücksichtigung der Eingangsbestätigung nach § 46 c Abs. 5 Satz 2 ArbGG gestrichen werden dürfe. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hat im Schriftsatz vom 21.02.2022 lediglich allgemein behauptet, dass die entsprechende Mitarbeiterin angewiesen worden sei, zur Prüfung des Empfangs die Nachricht aus dem „Gesendet“-Ordner aufzurufen und im Nachrichtenjournal die erfolgreiche Übermittlung zu prüfen. Wie genau die Prüfung des Empfangs der Nachricht zu erfolgen hat, hat er indessen in seinem Wiedereinsetzungsantrag nicht vorgetragen. Bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt hätte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten das für die Berufungseinlegung per beA zuständige Personal jedoch dahingehend belehren müssen, dass bei Übermittlung von Daten per beA stets der Erhalt der Eingangsbestätigung zu kontrollieren ist, und er hätte diesbezüglich zumindest stichprobenweise Überprüfung durchführen müssen (vgl. BAG 07.08.2019 – 5 AZB 16/19 – zitiert nach Juris, Rdz. 23; BGH 11.05.2021 – VIII ZB 9/20 – zitiert nach Juris; Bayerisches LSG 03.01.2018 – L 17 U 298/17 – Rdz. 14 zitiert nach Juris). Dieses Organisationsverschulden ihres Prozessbevollmächtigten muss sich die Beklagte nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen.
3. Darüber hinaus war die Berufung aber auch wegen unzureichender Auseinandersetzung mit dem erstinstanzlichen Urteil als unzulässig zu verwerfen.
a) Nach ständiger Rechtsprechung muss die Berufungsbegründung nach § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG i.V.m. § 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO die bestimmte Bezeichnung der im einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung sowie der neuen Tatsachen, Beweismittel und Beweiseinreden enthalten, die die Partei zur Rechtfertigung ihrer Berufung vorzubringen hat. Die in § 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO geforderte Auseinandersetzung mit der angefochtenen Entscheidung soll eine ausreichende Vorbereitung des Rechtsstreits in der Berufungsinstanz gewährleisten. Die Berufungsbegründung muss deshalb auf den zur Entscheidung stehenden Fall zugeschnitten sein und sich mit den tatsächlichen und rechtlichen Argumenten des angefochtenen Urteils befassen, wenn es diese bekämpfen will. Sie muss klar und konkret erkennen lassen, in welchen Punkten tatsächlicher und rechtlicher Art sowie aus welchen Gründen der Berufungskläger das angefochtene Urteil für unrichtig hält. Es reicht deshalb nicht aus, die tatsächliche oder rechtliche Würdigung durch den Erstrichter mit formelhaften Wendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen erster Instanz zu verweisen (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BAG 16.06.2004 – 5 AZR 529/03 – EzA § 520 ZPO 2002 Nr. 3, zu II 2 b) der Gründe; LAG Berlin, 25.08.2005 – 13 Sa 1175/05 – nicht veröffentlicht, zu 2 a) der Gründe jeweils mit weiteren Nachweisen).
b) Diesen Anforderungen genügt die Berufungsbegründung der Beklagten nicht. Denn wie schon in der ersten Instanz mit den Kündigungsgründen setzt sich in der zweiten Instanz die Beklagte nicht mit der durch die obergerichtliche Rechtsprechung gestützten Entscheidung des Arbeitsgerichts Berlin auseinander, sondern verbleibt bei unschlüssigen und nicht konkreten Zahlen dazu, warum durch einen außer- oder innerbetrieblichen Grund welche Arbeitsplätze bei der Beklagten entfallen sein sollen und warum daraufhin der Kläger gekündigt worden ist.
III.
Die Berufung war daher auf Kosten der Beklagten gemäß § 97 Abs. 1 ZPO als unzulässig zu verwerfen.
IV.
Für eine Zulassung der Revisionsbeschwerde bestand kein Anlass.