Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 3. Senat | Entscheidungsdatum | 24.03.2022 | |
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Aktenzeichen | OVG 3 N 294.19 | ECLI | ECLI:DE:OVGBEBB:2022:0324.OVG3N294.19.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 78 Abs 3 Nr 1 AsylVfG 1992, § 78 Abs 3 Nr 2 AsylVfG 1992, § 78 Abs 3 Nr 3 AsylVfG 1992, § 108 Abs 1 S 1 VwGO, § 124 Abs 2 Nr 1 VwGO, § 138 Nr 3 VwGO |
Die Anträge des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 2. Juli 2019 und auf Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten werden abgelehnt.
Die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens trägt der Kläger.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die innerhalb der Frist des § 78 Abs. 4 Satz 1 AsylG vorgelegte und nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG allein maßgebliche Begründung des Zulassungsantrags rechtfertigt die Zulassung der Berufung nicht.
Die vom Kläger ausführlich erläuterten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils tragen die Berufungszulassung nicht, denn der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gehört nicht zu den in § 78 Abs. 3 AsylG abschließend aufgezählten Zulassungsgründen.
Die Ausführungen des Klägers lassen sich aber auch nicht im Sinne eines der Zulassungsründe des § 78 Abs. 3 AsylG auslegen. Für eine den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügende Darlegung eines oder mehrerer Berufungszulassungsgründe ist es kein Hindernis, wenn der Antragsteller sein Vorbringen unter dem falschen Berufungszulassungsgrund erörtert oder verschiedene Gesichtspunkte, die bei unterschiedlichen Zulassungsgründen im Sinne von § 78 Abs. 3 AsylG relevant sein können, miteinander vermengt. Das aus Art. 19 Abs. 4 GG folgende verfassungsrechtliche Verbot, den Rechtsweg in unzumutbarer Weise zu erschweren, zwingt das den Zulassungsantrag prüfende Gericht dazu, den Vortrag des jeweiligen Antragstellers angemessen zu würdigen und durch sachgerechte Auslegung selbstständig zu ermitteln, welche Zulassungsgründe der Sache nach geltend gemacht werden und welche Einwände welchen Zulassungsgründen zuzuordnen sind (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 2. Juni 2021 - OVG 3 N 121.19 - juris Rn. 2 m.w.N.).
Soweit der Kläger einwendet, er habe entgegen der Wertung des Verwaltungsgerichts auch eine politische Verfolgung durch kurdische Kräfte geltend gemacht, da er auch eine Verweigerung der Wehr- und Kriegsdienstpflicht der kurdischen Kräfte angeführt habe, legt er den Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels in Form der Gehörsverletzung (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) nicht hinreichend dar.
Das Gebot rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, soweit sie entscheidungserheblich sind. Eine Verletzung des Anspruchs ist allerdings nur dann dargetan, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Denn grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene Parteivorbringen auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Dazu muss das Gericht nicht auf sämtliches Tatsachenvorbringen und alle Rechtsauffassungen eingehen, die im Verfahren von der einen oder anderen Seite zur Sprache gebracht worden sind. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG ist deswegen nur anzunehmen, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass das tatsächliche Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen worden ist. Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags eines Beteiligten zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, lässt dies auf die Nichtberücksichtigung schließen, sofern es sich nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich war (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2020 - 1 BvR 117/16 - juris Rn. 12). Entsprechende Anhaltspunkte zeigt der Kläger jedoch nicht auf.
Allein der Umstand, dass das Verwaltungsgericht das klägerische Vorbringen zur Entziehung von einem Militärdienst bei kurdischen Einheiten - wenn auch sehr gedrängt - dahingehend gewürdigt hat, dass es die Kriterien einer politischen Verfolgung nicht erfülle, rechtfertigt nicht die Annahme, das tatsächliche Vorbringen des Klägers sei überhaupt nicht zur Kenntnis genommen worden. Das Verwaltungsgericht hat - wie der Kläger selbst anspricht - diesen Aspekt aufgenommen, da er jedenfalls im Tatbestand seinen Niederschlag gefunden hat, indem die Angaben des Klägers bei der Anhörung durch das Bundesamt wiedergegeben wurden. Der Kläger macht auch nicht hinreichend deutlich, dass es sich bei diesem Komplex um den wesentlichen Kern seines Vorbringens zur Begründung des Asylbegehrens gehandelt habe.
Ein im Rahmen des § 78 Abs. 3 AsylG relevanter Verfahrensmangel ergibt sich auch nicht, soweit der Kläger geltend macht, das Verwaltungsgericht habe „sachverhaltswidrig und zu Unrecht als Tatsache unterstellt, dass dem Kläger für den Fall einer hypothetischen Rückkehr nach Syrien mangels Fortsetzung der Wehrdienst- und Kriegsdienstverweigerung keine hinreichende politische Verfolgung“ drohe. Damit wendet er sich gegen die gerichtliche Sachverhalts- und Beweiswürdigung. Das Verwaltungsgericht hat seine Überzeugung, dass sich der Kläger im Fall einer (unterstellten) Rückkehr einer Rekrutierung zum Wehrdienst beugen würde, nicht aber, dass er den Wehrdienst verweigern würde, „aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens unter besonderer Berücksichtigung des Inbegriffs der mündlichen Verhandlung“ hergeleitet. Es hat hierbei insbesondere auf die Äußerungen des Klägers in der gerichtlichen Anhörung vom 2. Juli 2019 abgestellt. Etwaige Fehler bei der nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO vorzunehmenden Tatsachen- und Beweiswürdigung sind aber grundsätzlich nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem materiellen Recht zuzuordnen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. März 2021 - 4 BN 35.20 - juris Rn. 15) und gehören insbesondere nicht zu den in § 138 VwGO genannten und in § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG in Bezug genommenen Verfahrensfehlern (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 6. Juli 2021 - 6 A 31/20.A - juris Rn. 24 ff.; VGH Mannheim, Beschluss vom 28. Juli 2020 - A 2 S 873/19 - juris Rn. 19). Eine Verletzung von § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO führte auch nicht automatisch zu einer im Asylverfahrensrecht rügefähigen Verletzung des rechtlichen Gehörs. Das wäre in diesen Fällen nur dann gegeben, wenn das Verwaltungsgericht seiner Beweiswürdigung einen akten- bzw. protokollwidrigen Sachverhalt zugrunde gelegt hat und dementsprechend über entscheidungserhebliches Parteivorbringen hinweggegangen ist (vgl. VGH Mannheim, Beschluss vom 28. Juli 2020 - A 2 S 873/19 - juris Rn. 19). Dies zeigt der Zulassungsantrag indes nicht hinreichend auf. Insbesondere berücksichtigt der Kläger unzureichend, dass das Verwaltungsgericht das schriftsätzliche Vorbringen des Klägers ausweislich der Wiedergabe im Tatbestand erkennbar zur Kenntnis genommen hat.
Der von dem Kläger ausdrücklich geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) ist ebenfalls nicht gegeben. Die vom Kläger als grundsätzlich klärungsbedürftig formulierte Frage,
ob und wie bei Rückkehrern für oder gegen eine Verfolgungssituation positiv zu beachten ist, dass sie die Wehrpflicht aus Gewissensgründen und aus politischer Überzeugung anfänglich und/oder fortgesetzt verweigern und der Verweigerungsentschluss somit tatsächlich oppositionell zur Regime und seiner kriegsverbrecherischen Militärs und Milizen steht, wobei zu beachten ist, dass das Regime die Rückkehrer gegenwärtig bei offizieller legaler Einreise unausweichlich zum Antritt der Dienstpflicht ermittelt, festhält und befragt, womit die Rückkehrer mit fortlaufenden Verweigerungsentschluss unausweichlich gezwungen sind, ihre regierungsgegnerische Haltung offenzulegen, was wiederum sofort zur politischen Verfolgung mit Haft, Folter, Verschwindenlassen und Tötung führt,
rechtfertigt eine Zulassung der Berufung jedenfalls nicht mehr. In der Rechtsprechung des OVG Berlin-Brandenburg ist inzwischen geklärt, dass syrischen Männern im Wehrdienstpflichtigen Alter, die diesen Wehrdient verweigern, in Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung wegen einer ihnen vom syrischen Regime zugeschriebenen oppositionellen Haltung droht (vgl. Urteil des Senats vom 29. Januar 2021 - OVG 3 B 109.18 - juris, ebenso Urteile vom selben Tage - OVG 3 B 108.18 und OVG 3 B 68.18 -, jeweils juris).
Die Berufung ist im Hinblick auf diese Rechtsprechung aber auch nicht wegen nachträglicher Divergenz gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG zuzulassen. Das setzt voraus, dass die Grundsatzrüge seinerzeit form- und fristgerecht erhoben wurde, der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung ursprünglich gegeben war und auch die Darlegungserfordernisse des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG beachtet wurden (vgl. VGH Mannheim, Beschluss vom 8. Juni 2021 - A 11 S 635/20 - juris Rn. 49). Diesen Anforderungen wird der Zulassungsantrag nicht gerecht.
Die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung erfordert zum einen die Benennung einer abstrakten, in dem zu entscheidenden Fall erheblichen Rechts- oder Tatsachenfrage mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Berufungsverfahren geklärt werden muss. Stützt sich das Verwaltungsgericht bei seiner Entscheidung auf bestimmte Erkenntnismittel oder gerichtliche Entscheidungen verlangt das Darlegungserfordernis zum anderen, dass der Rechtsmittelführer auf Gerichtsentscheidungen oder Tatsachen- und Erkenntnisquellen hinweisen und erläutern muss, dass die aufgeworfene Tatsachenfrage anders als in der angefochtenen Entscheidung zu beantworten ist (vgl. dazu VGH München, Beschluss vom 4. Juli 2019 - 8 ZB 19.32392 - juris Rn. 3 f.).
Die formulierte, auf eine Verweigerung des Militärdienstes abstellende Frage wird sich aus der insoweit allein maßgeblichen Sicht der angegriffenen Entscheidung in einem Berufungsverfahren schon nicht stellen, sodass die Frage nicht entscheidungserheblich ist. Das Verwaltungsgericht ist zu der Überzeugung gelangt, dass sich der Kläger einer Rekrutierung zum Wehrdienst beugen, nicht aber den Wehrdienst verweigern würde. Im Asylprozess lässt sich die grundsätzliche Bedeutung einer Frage aber nicht unter Annahme eines Sachverhalts begründen, der von dem durch das Verwaltungsgericht festgestellten Sachverhalt abweicht, solange diese Feststellungen - wie hier - nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO) erschüttert worden sind. Ohne eine solche Verfahrensrüge bleibt es bei dem Grundsatz, dass für den Zulassungsantrag von den Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichts auszugehen ist. Ansonsten würde im Rahmen der Grundsatzrüge bezogen auf die Tatsachenfeststellungen eine Möglichkeit eröffnet, die inhaltliche Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung in Frage zu stellen, obwohl der Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils im Asylverfahrensrecht gerade nicht eröffnet ist. Angriffe gegen die Sachverhaltsfeststellungen sind vielmehr nur über die - begrenzt eröffnete - Verfahrensrüge möglich (vgl. VGH München, Beschluss vom 8. März 2022 - 15 ZB 22.30228 - juris Rn. 5; Beschluss vom 23. September 2019 - 15 ZB 19.33307 - juris Rn. 14; OVG Bautzen, Beschluss vom 17. Dezember 2018 - 5 A 1240/18.A - juris Rn. 5; VGH Mannheim, Beschluss vom 29. August 2018 - A 11 S 1911/18 - juris Rn. 3).
Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht unter Bezugnahme auf die seinerzeitige Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg (Urteile vom 21. März 2018 - OVG 3 B 23.17 und OVG 3 B 28.17 -; vom 10. Oktober 2018 - OVG 3 B 24.18 -; vom 12. Februar 2019 - OVG 3 B 27.17 -) ausgeführt, dass die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft allein wegen einer Wehrdienstentziehung nicht in Betracht kommt, sondern von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles abhängt und nicht generell bejaht werden kann. Das Zulassungsvorbringen benennt weder abweichende obergerichtliche Rechtsprechung noch aktuellere Erkenntnismittel, die ersichtlich machen würden, dass die Frage der Wehrdienstentziehung einer erneuten Beurteilung in einem Berufungsverfahren bedurft hätte.
Prozesskostenhilfe ist nicht zu bewilligen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung - wie ausgeführt - keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG, § 152 Abs. 1 VwGO).