Gericht | OLG Brandenburg 2. Senat für Bußgeldsachen | Entscheidungsdatum | 14.04.2022 | |
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Aktenzeichen | 2 OLG 53 Ss-OWi 462/21 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2022:0414.2OLG53SS.OWI462.2.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Cottbus vom 29. Juli 2021 wird als unbegründet verworfen.
Die Betroffene trägt die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens.
I.
Das Amtsgericht Cottbus hat gegen die Betroffene durch Urteil vom 29. Juli 2021 wegen vorsätzlicher Missachtung des Rotlichtes an einer Lichtzeichenanlage, obwohl die Rotphase bereits länger als eine Sekunde gedauert hat, eine Geldbuße von 400 € sowie ein Fahrverbot von einem Monat verhängt.
Nach den getroffenen Feststellungen befuhr die Betroffene mit einem PKW die Linksabbiegerspur der T…straße in … in Richtung Süden an der Kreuzung S… Straße und passierte, nachdem sie dort bei Rot zunächst angehalten hatte, die Haltelinie des Kreuzungsbereiches, als die Rotphase für die linke Fahrspur bereits 80,8 Sekunden andauerte: Sie überquerte anschließend die Kreuzung geradeaus in Richtung Tankstelle/L… Straße. Dabei hatte sie erkannt, dass sie sich auf der Linksabbiegerspur befand und das für diese Spur geltende Lichtsignal bereits länger als eine Sekunde Rot anzeigte. Sie habe gemäß ihrer Einlassung noch tanken wollen und sich deshalb dazu entschieden, aus der Linksabbiegerspur geradeaus weiterzufahren. Zuvor habe sie sich vergewissert, dass sich niemand von hinten genähert habe. Das Amtsgericht hat unterstellt, dass für die beiden Geradeausspuren an der Kreuzung zu diesem Zeitpunkt Grün angezeigt wurde.
Die Betroffene hat gegen dieses Urteil durch ihren Verteidiger Rechtsbeschwerde eingelegt und die Verletzung materiellen Rechts gerügt.
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.
II.
Die zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Die aufgrund der Sachrüge veranlasste Überprüfung des angefochtenen Urteils hat keine materiell-rechtlichen Fehler zum Nachteil der Betroffenen ergeben.
1. Das Amtsgericht hat rechtsfehlerfrei einen vorsätzlich begangenen Rotlichtverstoß bejaht (§ 37 Abs. 2, § 49 Abs. 3 StVO).
Dass die Betroffene nach dem Überqueren der Haltelinie der Linksabbiegerspur bei Rot auf eine der Geradeausspuren wechselte und die Kreuzung dann geradeaus verlassen hat, steht der Annahme eines Rotlichtverstoßes nicht entgegen. Ein Fahrzeugführer, der auf einem markierten (Linksabbieger-)Fahrstreifen im Sinne des § 37 Abs. 2 Nr. 4 StVO in eine Kreuzung einfährt, obwohl die Wechsellichtzeichenanlage (pfeilförmiges oder volles) Rot zeigt, handelt auch dann ordnungswidrig gemäß § 49 Abs. 3 Nr. 2 StVO in Verbindung mit § 37 Abs. 2 StVO, wenn er anschließend in der Richtung eines durch Grünlicht freigegebenen anderen Fahrstreifens weiterfährt (BGH, Beschl. v. 30. Oktober 1997 – 4 StR 647/96, zit. nach Juris).
Die Annahme einer vorsätzlichen Tatbegehung hat das Amtsgericht ohne Rechtsfehler darauf gestützt, dass die Betroffene gemäß ihrer Einlassung nach dem Anhalten bei Rot entschieden habe, aus der Linksabbiegerspur geradeaus über die Kreuzung zu fahren, und damit in Kenntnis des bereits länger andauernden Rotlichts die Haltelinie überquert hat. Dabei hat sie ersichtlich auch den rechtlich-sozialen Bedeutungsgehalt des für die von ihr genutzte Spur angezeigten Haltesignals im Wege einer Parallelwertung in der Laiensphäre erfasst, wobei es insoweit auf eine rechtlich zutreffende Subsumtion entsprechend der geltenden Verkehrsregelung nicht ankommt (vgl. hierzu Karlsruher Kommentar-OWiG/Rengier, 5. Aufl. § 11 Rn. 15). Ein etwaiger, auf mangelnder präsenter Kenntnis der Straßenverkehrsvorschriften beruhender Wertungs- bzw. Interpretationsirrtum über die genaue rechtliche Bedeutung und Tragweite des geltenden Lichtsignals, wie ihn die Verteidigung geltend macht, stellt einen den Tatvorsatz nicht ausschließenden Verbotsirrtum dar (§ 11 Abs. 2 OWiG), der angesichts der Verpflichtung, sich vor Fahrtantritt über Verkehrsregelungen hinreichend zu informieren, darüber hinaus auch vermeidbar war (vgl. hierzu OLG Bamberg, Beschl. v. 1. Dezember 2015 – 3 Ss OW 834/15; Beschl. v. 22. Januar 2019 – 3 Ss OWi 1698/18; jeweils zit. nach Juris).
2. Das Amtsgericht hat darüber hinaus bei der Bemessung der Rechtsfolgen mit Recht eine vorsätzliche Tatbegehung im qualifizierten Fall zugrunde gelegt (132.3 Anl. zu § 1 Abs. 1, § 3 Abs. 4a BKatV), weil die Rotphase bereits 80,8 Sekunden und damit deutlich länger als eine Sekunde andauerte, was der Betroffenen im Zeitpunkt der Tatbegehung auch bekannt war.
Dass der Querverkehr nach den Feststellungen – gemäß denen die Ampel für die Geradeausspuren Grün anzeigte – Rot hatte, schließt den Qualifikationstatbestand nicht aus. Der Anwendungsbereich der gemäß § 37 StVO geltenden Bestimmungen beschränkt sich nicht auf den Schutz des Querverkehrs und erfordert nicht das Entstehen einer konkreten Gefährdungslage (vgl. Senat, Beschl. v. 20. August 2021 – 2 OLG 53 Ss-OWi 175/21; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 8. März 2018 – 1 OWi 2 SsBs 107/18, zit. nach Juris). Zwar hat der Verordnungsgeber die Missachtung eines Wechsellichtzeichen bei länger als einer Sekunde andauernder Rotphase deshalb stärker sanktioniert, weil er für diesen Fall im Hinblick darauf, dass sich der Querverkehr und insbesondere auch Fußgänger nach dieser Zeit bereits im Bereich der durch Rotlicht gesperrten Fahrbahn befinden können, eine abstrakte Gefährdung unterstellt hat (vgl. amtliche Begründung des Bundesrates zur 12. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 15. Oktober 1991, VkBl. 1991, 702, 704). Daraus folgt jedoch nicht, dass immer dann, wenn im Zeitpunkt des Rotlichtverstoßes auch der querende Verkehr noch wartepflichtig war, die Annahme eines Regelfalls gemäß 132.3 Anl. zu § 1 Abs. 1 BKatV ausgeschlossen wäre. Der Senat hält an seiner hiervon abweichenden Auffassung (vgl. Beschl. v. 19. September 2019 – [2 B] 53 Ss-OWi 507/19 [204/19]) nicht fest.
Ob dabei eine Reduzierung des Anwendungsbereichs eines qualifizierten Rotlichtverstoßes mit Rücksicht auf die Kompetenz des Gesetzgebers, abstrakte Gefährdungsdelikte zu kodifizieren, bereits systematisch grundsätzlich unzulässig wäre (vgl. KG, Beschl. v.14. April 2020 – 3 Ws [B] 46/20 - 122 Ss 18/20, zit. nach Juris), kann offenbleiben. Jedenfalls ist die Grundentscheidung des Verordnungsgebers, bestimmte Verhaltensweisen als abstrakt gefährlich einzustufen, von den Gerichten zu beachten, so dass nur in eng begrenzten Ausnahmefällen eine teleologische Reduktion des Bußgeldtatbestandes geboten sein kann, wenn im Einzelfall eine auch nur abstrakte Gefährdung anderer offensichtlich und eindeutig auszuschließen ist (vgl. BayOblG, Beschl. v. 25. Oktober 2001 – 1 ObOWi 508/01; Beschl. v. 13. Dezember 2021 – 2021 ObOWi 1543/21, zit. nach Juris). Dies jedoch ist hier nicht der Fall, denn eine abstrakte Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ist nicht allein deshalb gänzlich zu verneinen, weil die Betroffene eine rote Ampel passiert und anschließend hinter der Haltelinie auf die – freigegebene – Fahrspur wechselte, wobei der diese Spur querende Verkehr ebenfalls Rot hatte.
Das Rotlichtsignal für die Linksabbiegerspur bezweckt vielmehr nicht nur den Schutz des entgegenkommenden, querenden oder rechtsabbiegenden Verkehrs, sondern schützt darüber hinaus den gesamten berechtigt in die Kreuzung einmündenden Verkehr, den – jedenfalls abstrakt – regelmäßig derjenige nachhaltig beeinträchtigt und gefährdet, der auf einer durch Rotlicht gesperrten Fahrspur in einen Kreuzungsbereich einfährt; insbesondere werden Verkehrsteilnehmer auf der durch Grünlicht freigegebenen Geradeausspur gefährdet, die im allgemeinen nicht mit einer Missachtung des Rotlichts auf der Linksabbiegerspur und anschließendem Spurwechsel aus diesem gesperrten Bereich auf die Geradeausrichtung rechnen (BGH, aaO Rn. 25). Die diesbezüglich entstehende abstrakte Gefährdungslage ist im Falle bereits länger andauernder Rotphase insoweit auch deutlich erhöht. Ob darüber hinaus durch das Wechsellichtzeichen ebenfalls solche Verkehrsteilnehmer geschützt werden, die sich – wie beispielsweise bei Rot die Straße überquerende Fußgänger – zu Unrecht im Kreuzungsbereich aufhalten (so unter Verweis auf § 1 Abs. 2 StVO: BayObLG, Beschl. v. 25. Oktober 2001 – 1 ObOWi 508/01, zit. nach Juris), kann dahinstehen.
Dass sich die Betroffene gemäß ihrer Einlassung darüber vergewissert hat, dass sich auf der Geradeausspur niemand von hinten näherte, und es zu einer konkreten Gefährdungssituation nicht gekommen ist, beseitigt das Vorliegen einer diesbezüglichen, den qualifizierten Verstoß begründenden abstrakten Gefahr nicht. Da es sich bei dem Gesichtspunkt der abstrakten Gefährdung darüber hinaus nicht um eine Art ungeschriebenes Merkmal des Bußgeldtatbestandes gemäß 132.3 Anl. zu § 1 Abs. 1 BKatV handelt (vgl. KG, Beschl. v. 14. April 2020 – 3 Ws [B] 46/20 - 122 Ss 18/20, zit. nach Juris), bedarf es insoweit auch keiner gesonderten Feststellungen hinsichtlich eines Gefährdungsvorsatzes.
3. Die bei der Bemessung der Rechtsfolgen zusätzlich veranlasste tatgerichtliche Bewertung der Umstände des Einzelfalls in objektiver und subjektiver Hinsicht im Hinblick darauf, ob das gesamte Tatbild vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle in solchem Maße abweicht, dass die indizierte Verhängung eines Fahrverbotes unangemessen wäre (vgl. KG, Beschl. v. 14. April 2020 – 3 Ws [B] 46/20 - 122 Ss 18/20; Beschl. v. 3. Juni 2021 – 3 Ws [B] 140/21, jeweils zit. nach Juris), ist ebenfalls frei von Rechtsfehlern.
Die den Urteilsgründen zu entnehmende Würdigung, mit der das Amtsgericht im Rahmen des bestehenden tatgerichtlichen Ermessens trotz der vorliegenden Besonderheiten des Rotlichtverstoßes – u.a. unter Berücksichtigung der festgestellten Größe der unübersichtlichen Kreuzung mit mehreren Fahrspuren je Richtung sowie der zweigleisigen Straßenbahnstrecke und einer Haltestelle zwischen den Richtungsfahrbahnen – die Indizwirkung der Verwirklichung des Regelbeispiels für das Vorliegen eines groben Verkehrsverstoßes nicht als entkräftet angesehen hat, hält einer Überprüfung in der Rechtsbeschwerdeinstanz Stand. Dabei ist hinsichtlich des zu Grunde liegenden Handlungsunwertes der Tat auch zu berücksichtigen, dass der Rotlichtverstoß ausweislich der getroffenen Feststellungen nicht auf eine kurzzeitige Unaufmerksamkeit der Betroffenen zurückzuführen ist (vgl. hierzu beispielsweise OLG Frankfurt, Beschl. v. 11. März 2020 – 1 Ss-OWi 72/20, zit. nach Juris), sondern auf einem vorsätzlichen Verhalten und vermeidbaren Verbotsirrtum beruhte.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.