Gericht | OLG Brandenburg 11. Zivilsenat | Entscheidungsdatum | 23.03.2022 | |
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Aktenzeichen | 11 EK 5/21 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2022:0323.11EK5.21.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
3. Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren bis zum 1.3.2022 wird auf 1.400,00 € festgesetzt sowie ab dem 2.3.2022 auf 600,00 €.
Von der Abfassung eines Tatbestandes wird gemäß § 313a Abs. 1 ZPO abgesehen. Gegen die Entscheidung des Senates ist ein Rechtsmittel unzweifelhaft nicht gegeben, da der Senat die Revision nicht zugelassen hat und auch die Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH nach §§ 201 Abs. 2 S. 3, 544 Abs. 2 ZPO im Streitfall nicht zulässig ist.
Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 600 € nebst geltend gemachter Zinsen. Ein solcher Anspruch folgt insbesondere nicht aus § 198 Abs. 1 S. 1 GVG. Die Voraussetzungen der unangemessenen Dauer eines Gerichtsverfahrens liegen in Bezug auf das vor dem 15. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts zum Aktenzeichen 15 UF 24/17 geführten Rechtsstreit nicht vor.
Der Entschädigungsanspruch aus § 198 Abs. 1 S. 1 GVG setzt die unangemessene Dauer eines Gerichtsverfahrens voraus. Ob die Dauer eines Gerichtsverfahrens unangemessen ist, richtet sich nach der mittlerweile ständigen Rechtsprechung des BGH, der sich der Senat anschließt, nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. Diese in § 198 Abs. 1 S. 2 GVG explizit genannten Kriterien sind zwar besonders bedeutsam, jedoch nur beispielhaft („insbesondere“) und nicht abschließend zu verstehen. Ein weiteres wichtiges Kriterium zur Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer ist die Verfahrensführung durch das Gericht, die zu den in § 198 Abs. 1 S. 2 GVG genannten Umständen in Bezug zu setzen ist (vgl. BGH, NZG 2015, 717). Bei der Würdigung der Verfahrensführung durch das Gericht muss stets beachtet werden, dass die Verfahrensbeschleunigung keinen Selbstzweck darstellt und gegenläufige Rechtsgüter gleichfalls in den Blick zu nehmen sind. Dazu zählen insbesondere die aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) folgende Gewährleistung der inhaltlichen Richtigkeit von Entscheidungen sowie die Grundsätze der richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) und des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG).
Dem Gericht muss zudem eine ausreichende Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit zur Verfügung stehen, die der Schwierigkeit und Komplexität der Rechtssache angemessen Rechnung trägt. Abgesehen von zwingenden gesetzlichen Vorgaben besteht ein Ermessen des verantwortlichen Richters hinsichtlich der Verfahrensgestaltung (vgl. BGH, a.a.O.). Zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ist ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zuzubilligen. Dementsprechend wird die Verfahrensführung des Gerichts im nachfolgenden Entschädigungsprozess nicht auf ihre Richtigkeit, sondern nur auf ihre Vertretbarkeit überprüft. Letztere darf nur verneint werden, wenn bei voller Würdigung auch der Belange einer funktionstüchtigen Rechtspflege das richterliche Verhalten nicht mehr verständlich ist. Da der Rechtsuchende keinen Anspruch auf eine optimale Verfahrensförderung hat, begründen eine vertretbare Rechtsauffassung des Gerichts oder eine nach der jeweiligen Prozessordnung vertretbare Verfahrensleitung auch dann keinen Entschädigungsanspruch, wenn sie zu einer Verlängerung des Gerichtsverfahrens geführt haben (vgl. BGH, a.a.O.; NJW 2014, 220 Rn. 32 f.; NJW 2014, 789 Rn. 43 ff.; NJW 2014, 939 Rn. 39).
Wie der Senat bereits entschieden hat, ist selbst bei einem unterdurchschnittlich geförderten Verfahren nicht ohne Weiteres eine nicht mehr vertretbare Verfahrensverzögerung anzunehmen (Senatsbeschluss v. 04.12.2013, 11 EK 4/13, Rn. 7, BeckRS 2013, 22386). Die Verfahrensdauer ist vielmehr erst dann unangemessen i.S.v. § 198 Abs. 1 S. 1 GVG, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 S.2 GVG ausgerichtete und den Gestaltungsspielraum der Gerichte bei der Verfahrensführung beachtende Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalls („Gesamtabwägung“) ergibt, dass die Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist (BGH, NZG 2015, 717 Rn. 27). Die Verfahrensdauer muss insgesamt eine Grenze überschreiten, die sich auch unter Berücksichtigung gegenläufiger rechtlicher Interessen für den Betroffenen als sachlich nicht mehr gerechtfertigt oder unverhältnismäßig darstellt (BGH, a.a.O., m.w.N.). Allerdings verdichtet sich mit zunehmender Verfahrensdauer die gerichtliche Pflicht, sich nachhaltig um eine Förderung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen (vgl. BGH, a.a.O.).
Gemessen daran liegen im Streitfall keine hinreichenden Gründe vor, die einen Entschädigungsanspruch nach § 198 Abs. 1 GVG rechtfertigen.
Dabei kommt es nicht einmal darauf an, dass die Klage bereits unschlüssig ist, weil der Kläger den Gang des Verfahrens nicht im Einzelnen dargelegt hat, sondern sich nur mit Ausschnitten des Verfahrens beschäftigt hat. Selbst wenn man nämlich das „Anhörungsrügeverfahren“ und das „Ablehnungsverfahren“ - entgegen dem Gesetz - gesondert betrachtet und bewertet, wie dies der Kläger tut, ergibt sich kein Entschädigungsanspruch des Klägers.
Für das „Ablehnungsverfahren“ ergibt sich dies ohne Weiteres aus dessen zeitlichem Ablauf. Eine vom Kläger geltend gemachte Verzögerung von vier Monaten kann unter keinen Umständen festgestellt werden. Der Kläger hat sein Ablehnungsgesuch mit Schriftsatz vom 2.9.2019 angebracht. Die Entscheidung darüber ist nach notwendiger mehrfacher Anhörung abgelehnter Richter am 13.12.2019 ergangen.
Hinsichtlich des „Anhörungsrügeverfahrens“ gilt Folgendes:
Allerdings ist hinsichtlich dieses „Verfahrens“ festzustellen, dass es Zeiten des Verfahrensstillstandes gab, nämlich vom 27.9.2019 bis zum 18.11.2019 und vom 18.12.2019 bis zum 8.10.2020.
Für den erstgenannten Zeitraum ist eine einem Familiensenat eines Oberlandesgerichts als angemessen zuzubilligende Bearbeitungszeit bei weitem noch nicht erreicht.
Hinsichtlich des weiteren Zeitraumes ist angesichts des Umstandes, dass es sich um ein sehr kompliziertes, komplexes und zudem über die Maßen umfangreiches Verfahren handelte, eine Bearbeitungszeit von sechs Monaten durchaus angemessen. Danach verbliebe noch ein Zeitraum von vier Monaten, hinsichtlich dessen sich eine unangemessene Verfahrensverzögerung im Sinne von § 198 Abs. 1 GVG diskutieren ließe. Diese Zeitdauer fällt jedoch im Verhältnis zur Gesamtverfahrensdauer von ca. 13 Jahren und vier Monaten nicht ins Gewicht. Eine solche geringfügige Verzögerung in einem einzelnen Verfahrensabschnitt, der gegenüber der Gesamtverfahrensdauer nicht entscheidend ins Gewicht fällt, ist grundsätzlich entschädigungslos hinzunehmen (vgl. Zöller, ZPO, 34. A., Rn. 5 zu § 198 GVG; Kissel/Mayer, GVG, 10. A., Rn. 13 zu § 198; BGH, Urteil vom 10.4.2014, III ZR 335/13, LS 1 und Rn. 37).
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO, § 47 Abs. 1 GKG.
Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung, noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.