Gericht | FG Berlin-Brandenburg 16. Senat | Entscheidungsdatum | 23.03.2022 | |
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Aktenzeichen | 16 K 5011/22 | ECLI | ECLI:DE:FGBEBB:2022:0323.16K5011.22.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 30 AO 1977, Art 32 EUV 2016/679, § 33 Abs 1 Nr 1 FGO, § 1, § 2 FVG, § 17a Abs 2 GVG, § 40 Abs 1 VwGO, § 41 Nr 1 ZPO, § 17a Abs 4 GVG, § 32i Abs 2 AO 1977, § 33 Abs 1 Nr 4 FGO, § 51 Abs 1 S 1 FGO, § 51 Abs 2 FGO |
Leitsätze:
1.
Für eine Klage zur Feststellung der Rechtswidrigkeit der Versendung gerichtlicher Schreiben durch das Finanzgericht per Fax ist nicht der Finanzrechtsweg, sondern der Verwaltungsrechtsweg gegeben.
2.
Datenschutzverstöße sind keine Abgabenangelegenheiten.
3.
Finanzgerichte sind keine Finanzbehörden.
4.
Ein Richter ist nicht kraft Gesetzes wegen Mitwirkung bei dem vorausgegangenen Verwaltungsverfahren ausgeschlossen, wenn er bei dem vorausgegangenen Gerichtsverfahren mitgewirkt hat, denn ein Gerichtsverfahren ist kein Verwaltungsverfahren.
Angewendete Vorschriften:
FGO § 33 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 1 Nr. 4, § 51 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2
AO § 30, § 32i Abs. 2
FVG § 1, § 2
VwGO § 40 Abs. 1
GVG § 17a Abs. 2, Abs. 4
ZPO § 41 Nr. 1
DSGVO Art. 32
Der Rechtsweg zu den Finanzgerichten ist unzulässig.
Das Verfahren wird an das Verwaltungsgericht C… verwiesen.
Die Beschwerde wird nicht zugelassen.
I.
Gegenstand des Rechtsstreits sind im Wesentlichen die datenschutzrechtlichen Rechte der Kläger in Bezug auf die Verarbeitung der die Kläger betreffenden, personenbezogenen Daten durch das Finanzgericht. Die Kläger rügen insoweit die Verletzung ihrer Datenschutzrechte und des Steuergeheimnisses durch die Versendung von Faxen durch das Finanzgericht in zahlreichen von ihnen vor dem Finanzgericht geführten Verfahren.
Nach Anhörung hinsichtlich der möglichen Unzuständigkeit des Finanzgerichts tragen die Kläger im Wesentlichen vor, dass das Gericht nicht in eigener Sache entscheiden dürfe und einer Verweisung an das Verwaltungsgericht nicht zugestimmt werde. Es sei auch fraglich, ob das Finanzgericht nicht doch eine Finanzbehörde sei. So sei auch ein Geständnis der Finanzverwaltung im Verfahren 16 K 2059/21 als gerichtlicher Rechtsschutz ausgelegt worden. Eine Zuordnung zum Verwaltungsgerichtsweg sei fraglich, weil keine analoge Regelung zum § 32i Abgabenordnung in der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – bzw. Verwaltungsverfahrensgesetz existiere. Die Rechtsfrage habe zudem auch Breitenwirkung, so dass zumindest die Beschwerde zuzulassen sei.
II.
Die Zuständigkeit des Finanzgerichts ist nicht gegeben.
1.
Gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO – ist der Finanzrechtsweg gegeben in Streitigkeiten über Abgabenangelegenheiten, soweit die Abgaben durch Bundesfinanzbehörden oder Landesfinanzbehörden verwaltet werden.
a)
Es liegt schon keine Abgabenangelegenheit vor. Die Kläger machen geltend, während Gerichtsverfahren hätte das Gericht datenschutzrechtliche Bestimmungen missachtet und damit indirekt auch das Steuergeheimnis. Damit geht es aber nicht um eine Streitigkeit über Steuern.
aa)
Bei der Abgrenzung der Rechtswegzuständigkeit zwischen den Zivilgerichten und den Verwaltungsgerichten haben sich in der Rechtsprechung folgende Abgrenzungskriterien entwickelt:
Ob eine Streitigkeit öffentlich-rechtlich oder bürgerlich-rechtlich ist, richtet sich nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird (st. Rspr.; etwa Gemeinsamer Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschlüsse vom 04.06.1974 GmS-OGB 2/73, BSGE 37, 292; vom 10.04.1986 GmS-OGB 1/85, BGHZ 97, 312, 313 f.; vom 29.10.1987 GmS-OGB 1/86, BGHZ 102, 280, 283; vom 10.07.1989 GmS-OGB 1/88, BGHZ 108, 284, 286 m. w. N.; BGH, Urteil vom 10.01.1984 VI ZR 297/81, BGHZ 89, 250, 251; Beschlüsse vom 24.07.2001 VI ZB 12/01, BGHZ 148, 307, 308; vom 29.04.2008 VIII ZB 61/07, BGHZ 176, 222 Rn. 8; vom 14.04.2015 VI ZB 50/14, BGHZ 204, 378 Rn. 12; BSG, NZS 2014, 918 Rn. 8; BSG, Beschluss vom 25.10.2017 B 7 SF 1/16 R, Juris Rn. 6). Dabei kommt es nicht auf die Bewertung durch die klagende Partei, sondern darauf an, ob sich das Klagebegehren nach den zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachen bei objektiver Würdigung aus einem Sachverhalt herleitet, der von Rechtsätzen des Zivilrechts oder des öffentlichen Rechts geprägt wird (BGH, Urteile vom 23.02.1988 VI ZR 212/87, BGHZ 103, 255, 257; vom 01.12.1988 IX ZR 61/88, BGHZ 106, 134, 135; vom 28.02.1991 III ZR 53/90, BGHZ 114, 1, 5; Beschlüsse vom 30.01.1997 III ZB 110/96, NJW 1997, 1636 unter II.1.; vom 30.05.2000 VI ZB 34/99, VersR 2000, 1390 unter 1.; vom 29.04.2008 VIII ZB 61/07, BGHZ 176, 222 Rn. 8; vom 17.12.2009 III ZB 47/09, VersR 2011, 90 Rn. 7; vom 14.04.2015 VI ZB 50/14, BGHZ 204, 378 Rn. 12). Entscheidend ist demnach die wahre Rechtsnatur des geltend gemachten Anspruchs (BGH, Beschluss vom 27.10.2009 VIII ZB 42/08, BGHZ 183, 49 Rn. 13; BVerwG, Urteil vom 19.05.1994 5 C 33/91, BVerwGE 96, 71, 74).
Es kommt darauf an, ob der zur Klagebegründung vorgetragene Sachverhalt für die aus ihm hergeleitete Rechtsfolge von Rechtssätzen des Zivil- oder des öffentlichen Rechts geprägt wird. Die in dieser Weise vorzunehmende Abgrenzung weist das Streitverhältnis in diejenige Verfahrensordnung, die ihm nach der gesetzgeberischen Wertung in der Sache am besten entspricht, und bewirkt zugleich, dass regelmäßig diejenigen Gerichte anzurufen sind, die durch ihre Sachkunde und Sachnähe zur Entscheidung über den in Frage stehenden Anspruch besonders geeignet sind (BGH, Urteile vom 10.01.1984 VI ZR 297/81, BGHZ 89, 250, 252, und vom 23.02.1988 VI ZR 212/87, BGHZ 103, 255, 257).
Bloße Vorfragen beeinflussen hingegen den Rechtsweg nicht und sind von den zuständigen Gerichten selbständig zu beantworten (BGH, Beschluss vom 02.12.2010 IX ZB 271/09, ZInsO 2011, 44, Juris Rn. 5; BVerwG, Beschluss vom 12.04.2013 9 B 37/12, ZInsO 2013, 1043, Juris Rn. 6).
bb)
Der Senat ist der Auffassung, dass diese Grundsätze auch für die Abgrenzung zwischen den verschiedenen Verwaltungsgerichtsbarkeiten heranzuziehen sind.
cc)
Danach wird die hier streitige Frage, ob in den früheren bzw. noch andauernden anderen Gerichtsverfahren der Kläger der Schriftverkehr des Gerichts mit den jeweiligen Beteiligten, insbesondere mit dem dort jeweils beklagten Finanzamt, per Fax zulässig war, von Rechtssätzen nicht des Steuerrechts, sondern des Datenschutzrechts geprägt. Die Frage wird primär durch Auslegung von § 32 Datenschutz-Grundverordnung – DSGVO – zu entscheiden sein. Hingegen ergibt sich die Antwort nicht aus § 30 Abgabenordnung – AO –. Dort ist zwar geregelt, welche Daten dem Steuergeheimnis unterfallen, wer dem Steuergeheimnis unterliegt und in welchen Fällen die Offenbarung von dem Steuergeheimnis unterliegenden Daten zulässig ist. Dass die Bediensteten des Finanzgerichts dem Steuergeheimnis unterliegen und die personenbezogenen Daten in den Gerichtsverfahren geschützt sind, ist aber unstreitig und evident. Die Antwort auf die Frage, welche technischen Kommunikationsmöglichkeiten vom Gericht verwendet werden dürfen, lässt sich hingegen § 30 AO nicht entnehmen.
Damit ist der Kern des Rechtsstreits datenschutzrechtlich. Die datenschutzrechtliche Frage ist nicht lediglich eine Vorfrage zur Frage, ob das Steuergeheimnis verletzt ist, sondern die Kernfrage. Läge ein Datenschutzverstoß vor, wäre ein evtl. dann auch vorliegender Verstoß gegen das Steuergeheimnis lediglich ein Reflex dieser Rechtsfrage.
b)
Zudem ist das Finanzgericht weder eine Bundesfinanzbehörde noch eine Landesfinanzbehörde. Diese sind in § 1 und § 2 des Gesetzes über die Finanzverwaltung (Finanzverwaltungsgesetz – FVG –) definiert. Die Finanzgerichte sind als Gerichte dort nicht aufgeführt. Sie sind daher keine Finanzbehörde. Selbst wenn man den Streit, ob das Finanzgericht in einem Gerichtsverfahren datenschutzrechtliche Bestimmungen und damit das Steuergeheimnis missachtet hat, noch als „Streitigkeit über Abgabenangelegenheiten“ sehen wollte, wären es keine Angelegenheiten, die durch eine (Bundes- oder Landes-) Finanzbehörde verwaltet werden. Das Gericht ist vielmehr (im datenschutzrechtlichen Sinne zwar möglicherweise eine Behörde, aber) eine Nicht-Finanzbehörde.
2.
Gemäß § 32i Abs. 2 Abgabenordnung – AO – (i. V. m. § 33 Abs. 1 Nr. 4 FGO) ist der Finanzrechtsweg gegeben für Klagen der betroffenen Person hinsichtlich der Verarbeitung personenbezogener Daten gegen Finanzbehörden wegen eines Verstoßes gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen im Anwendungsbereich der DSGVO oder der darin enthaltenen Rechte der betroffenen Person. Das Gericht ist aber – wie dargelegt – gerade keine Finanzbehörde.
3.
Für datenschutzrechtliche Klagen gegen Nicht-Finanzbehörden ist daher gemäß § 40 Abs. 1 VwGO der Rechtsweg zu den (allgemeinen) Verwaltungsgerichten gegeben. Eine Spezialzuweisung an die Finanzgerichte liegt nicht vor. Daher ist es auch irrelevant, dass in der Verwaltungsgerichtsordnung keine Spezialnorm existiert wie § 32i AO, da die Zuständigkeit schon aus der allgemeinen Norm des § 40 VwGO folgt.
III.
1.
Da die Rechtslage eindeutig ist, war die Beschwerde nicht zuzulassen (§ 17a Abs. 4 Satz 4 und 5 GVG).
2.
Das Gericht entscheidet in seiner geschäftsplanmäßigen Besetzung, da die hiernach berufenen Richter nicht kraft Gesetzes von einer Mitwirkung ausgeschlossen sind.
a)
Insbesondere liegt kein Ausschluss gemäß § 51 Abs. 2 FGO vor wegen Mitwirkung bei dem vorhergehenden Verwaltungsverfahren.
Zu unterscheiden sind einerseits die Maßnahmen der Gerichtsverwaltung bei der Zurverfügungstellung der technischen Infrastruktur und andererseits deren Benutzung durch die Richter im Einzelfall.
Die Gerichtsverwaltung entscheidet über die Anschaffung von Hardware und Software, wie z. B. Faxgeräte und deren Programmierung, sowie über die allgemeinen Nutzungsbedingungen für deren Einsatz. Bei diesem Verwaltungsverfahren gilt die Justizverwaltungshierarchie, die Bediensteten des Gerichts sind weisungsgebunden gegenüber dem Präsidenten, dieser gegenüber dem Justizministerium. Die Zurverfügungstellung der technischen Infrastruktur unterliegt der datenschutzrechtlichen Aufsicht des Landesdatenschutzbeauftragten.
Hingegen handelt es sich bei der Fallbearbeitung einzelner Rechtsstreitigkeiten durch die Spruchkörper des Gerichts nicht um ein Verwaltungsverfahren, sondern um ein Gerichtsverfahren. Die Richter sind dabei unabhängig und unterliegen auch keiner datenschutzrechtlichen Aufsicht.
An dem Verwaltungsverfahren der Zurverfügungstellung der Infrastruktur und der Festlegung der allgemeinen Regeln für die Faxbenutzung waren die erkennenden Richter nicht beteiligt. An den Gerichtsverfahren, in denen die Infrastruktur (Faxgeräte) benutzt wurde, waren die erkennenden Richter in einem Teil der von den Klägern zitierten Fälle zwar beteiligt, Gerichtsverfahren sind jedoch keine Verwaltungsverfahren und daher auch keine vorausgegangenen Verwaltungsverfahren im Sinne von § 51 Abs. 2 FGO.
b)
Gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i. V. m. § 41 Nr. 1 Zivilprozessordnung – ZPO – ist ein Richter kraft Gesetz ausgeschlossen in Sachen, in denen er selbst Partei ist oder bei denen er zu einer Partei in dem Verhältnis eines Mitberechtigten, Mitverpflichteten oder Regresspflichtigen steht, was vorliegend aber gerade nicht der Fall ist. Die entscheidenden Richter sind gerade nicht selbst Partei. Auch die anderen Tatbestandsalternativen liegen nicht vor, da diese auf das Verhältnis eines Richters zu Dritten abstellt.
c)
Ein allgemeiner Rechtsgrundsatz des Inhalts, dass ein Richter kraft Gesetzes ausgeschlossen wäre, wenn er in irgendeiner Weise auch sein früheres Verhalten mit beurteilen müsste, besteht nicht.
Im Unterschied zum Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, für das in § 18 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG eine sehr weite, generalklauselähnliche Ausschlussregelung besteht, sind die Ausschlussregeln für die Fachgerichte (§ 41 ZPO, § 51 FGO) sehr präzise und ausdifferenziert gefasst. Die in diesen beiden Vorschriften enthaltene Aufzählung der gesetzlichen Ausschließungsgründe ist abschließend (BFH, Beschluss vom 09.05.2018 X B 143/17, BFH/NV 2018, 973, Juris Rn. 33, 34 mit weiteren Nachweisen zur ständigen höchstrichterliche Rechtsprechung von BGH und BVerwG). Diese Wertung beruht auf der verfassungsrechtlichen Forderung, den gesetzlichen Richter im Voraus möglichst eindeutig zu bestimmen. Dies schließt eine analoge Anwendung der Ausschließungsgründe auf andere Fälle aus.