Toolbar-Menü
 
Sie sind hier: Gerichtsentscheidungen Entscheidung

Entscheidung 1 L 192/21


Metadaten

Gericht VG Potsdam 1. Kammer Entscheidungsdatum 25.11.2021
Aktenzeichen 1 L 192/21 ECLI ECLI:DE:VGPOTSD:2021:1125.1L192.21.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

1. Der Antrag wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.

2. Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag des Antragstellers,

dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, das Stellenbesetzungsverfahren über die im Justizministerialblatt für das Land Brandenburg vom ausgeschriebene Stelle für eine Richterin am S... – als weitere dienstaufsichtsführende Richterin – oder einen Richter am S... – als weiterer dienstaufsichtsführender Richter – (Besoldungsgruppe R 2 BbgBesO) bei dem Sozialgericht N... fortzusetzen,

hat keinen Erfolg.

Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Verwaltungsgericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf einen Streitgegenstand treffen, wenn der Antragsteller das Bestehen eines Anspruchs auf die begehrte Leistung (Anordnungsanspruch) und die besondere Dringlichkeit der Entscheidung (Anordnungsgrund) glaubhaft macht.

Der Antragsteller hat einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, denn effektiver Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes - GG) gegen den unberechtigten Abbruch eines Auswahlverfahrens kann nur im Wege des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens erlangt werden. Der Antragsteller, der die zeitnahe Fortführung des begonnenen Auswahlverfahrens mit dem bestehenden Bewerberkreis begehrt, kann dies selbst im Erfolgsfall durch eine Klage in der Hauptsache nicht erreichen, so dass sich der Anordnungsgrund aus dem Inhalt des Rechtsschutzbegehrens ergibt, dass auf eine sofortige Verpflichtung des Dienstherrn gerichtet ist und daher bereits aus strukturellen Gründen nur im Wege des Eilrechtsschutzes verwirklicht werden kann,

BVerwG, Urteil vom 3. Dezember 2014 - 2 A 3.13 -, juris Rn. 22.

Sowohl der Dienstherr als auch die Bewerber haben ein Interesse an der zeitnahen Klärung der Frage, in welchem Auswahlverfahren die offene Stelle vergeben wird, da eine Rückabwicklung nicht ohne Probleme möglich sein wird.

Nach der Rechtsprechung des Bundeverwaltungsgerichts ist der Abbruch des Auswahlverfahrens binnen eines Monats nach Zugang er Abbruchmitteilung im Verfahren nach § 123 VwGO geltend zu machen. Nach Ablauf der Monatsfrist darf der Dienstherr darauf vertrauen, dass der Bewerber sein Begehren im neuen Auswahlverfahren verfolgt und den Abbruch nicht mit einer Klage angreift und er insoweit sein Klagerecht verwirkt hat,

BVerwG, Beschluss vom 3. Dezember 2014, a. a. O. Rn. 24.

Die Mitteilung über den Abbruch des Auswahlverfahrens ist dem Antragsteller ausweislich der aktenkundigen Postzustellungsurkunde am 9. Februar 2021 zugestellt worden. Der Antrag nach § 123 VwGO ist am 8. März 2021 beim Verwaltungsgericht eingegangen und somit innerhalb der Monatsfrist.

Der Antragsteller hat jedoch einen Anordnungsanspruch aus Art. 33 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG) auf Fortsetzung des Bewerbungsverfahrens nicht glaubhaft gemacht.

Zunächst kann der Antragsteller mit seinem Vorbringen, der Bescheid sei formell rechtswidrig, da die zuständige Justizministerin persönlich die Verfügung zum Abbruch des Auswahlverfahrens nicht unterschrieben habe, nicht durchdringen. Gemäß § 11 Abs. 1 der Gemeinsamen Geschäftsordnung für die Ministerien des Landes Brandenburg (GGO) unterzeichnet der Minister oder die Ministerin Dokumente von grundsätzlicher Bedeutung sowie Vorlagen oder wichtige Mitteilungen an Verfassungsorgane der Bundesrepublik Deutschland, der Länder und ausländischen Staaten und an andere Mitglieder der Landesregierung. Im Übrigen unterzeichnet die Bearbeiterin oder der Bearbeiter die von ihr oder ihm verfassten Dokumente grundsätzlich selbst. Die Staatssekretärin war demnach, da ihr die übergeordnete Leitung, Ordnung, Organisation und Überwachung des gesamten Behördenbetriebs obliegt, befugt, das Auswahlverfahren abzubrechen. Anders als der Antragsteller meint, handelt es sich bei der Organisation des Ausschreibungsverfahrens und dessen Abbruch nicht um eine konkrete Besetzung oder Ernennung, sondern lediglich um ein vorgeschaltetes Verfahren, welches erst in der Ernennung enden soll. Es handelt sich daher nicht um ein Dokument von grundsätzlicher Bedeutung, für dessen Unterzeichnung die Ministerin persönlich zuständig wäre. Das hier in Rede stehende Verfahren ist ersichtlich nicht mit den ausdrücklich genannten Angelegenheiten vergleichbar.

 Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit des Abbruchs ist allerdings in formeller Hinsicht, dass die oder der verbliebene(n) Bewerber davon rechtzeitig und in geeigneter Form in Kenntnis gesetzt und der wesentliche Abbruchgrund schriftlich dokumentiert wird,

 BVerwG, Urteil vom 3. Dezember 2014, a. a. O. Rn. 20.

 Diesem Erfordernis ist mit Schreiben vom 4. Februar 2021 Genüge getan worden. Entgegen der Auffassung des Antragstellers reicht es aus, wenn der Dienstherr die wesentlichen Gründe, die zur seiner Entscheidung geführt haben, mitteilt. Eine umfassende Darlegung der Ermessenserwägungen ist nicht erforderlich.

Entgegen der Auffassung des Antragstellers war der Richterwahlausschuss an der Entscheidung, das Auswahlverfahren abzubrechen, nicht zu beteiligen. Gemäß § 11 Abs. 1 des Brandenburgischen Richtergesetzes (BbgRiG) entscheidet das zuständige Mitglied der Landesregierung gemeinsam mit dem Richterwahlausschuss über die Einstellung, die erstmalige Berufung in ein Richterverhältnis auf Lebenszeit, die Versetzung sowie über die Ernennung, durch die ein Richteramt mit höherem Endgrundgehalt als dem eines Eingangsamtes verliehen wird. Nach Absatz 2 wird der Präsident oder die Präsidentin eines oberen Landesgerichts auf Vorschlag der Landesregierung vom Richterwahlausschuss gewählt. Weitere Befugnisse des Richterwahlausschusses sind in § 22a BbgRiG geregelt, wonach der Richterwahlausschuss in den Fällen, in denen ein Richteramt zu besetzen ist, welches mit Dienstaufsichtsbefugnissen über Richterinnen und Richter verbunden ist, unter Berücksichtigung des dort näher geregelten Verfahrens eine Entscheidung trifft. Nach § 23 BbgRiG entscheidet der Richterwahlausschuss hinsichtlich der Richter auf Probe und Richter kraft Auftrags über die Übernahme in das Richterverhältnis auf Lebenszeit. Damit sind die Aufgaben des Richterwahlausschusses eindeutig und abschließend formuliert. Darüber hinaus gehende Aufgaben kommen dem Richterwahlausschuss nicht zu. Zieht also – wie hier – ein vom Richterwahlausschuss vorgeschlagener Bewerber seine Bewerbung zurück, so geht der diesbezügliche Vorschlag ins Leere und der Richterwahlausschuss entscheidet erst dann wieder über die Stellenbesetzung, wenn ihm entsprechende Vorschläge unterbreitet werden. Es stellt also keinen Verfahrensfehler dar, wenn der Richterwahlausschuss zum beabsichtigten Abbruch des Auswahlverfahrens nicht angehört oder daran beteiligt worden ist.

Die Aufgaben des Präsidialrates sind abschließend in § 60 BbgRiG geregelt. Eine Beteiligung hat u. a. zu erfolgen bei jeder Einstellung von Richterinnen und Richtern sowie der Ernennung zur Richterin oder zum Richter auf Lebenszeit, bei jeder Übertragung eines Richteramtes mit höherem Endgrundgehalt als dem eines Eingangsamtes, bei jeder Versetzung sowie bei der Rücknahme der Ernennung und der Entlassung einer Richterin oder eines Richters auf Probe und einer Richterin oder eines Richters kraft Auftrags. Der Abbruch eines Auswahlverfahrens wird nicht als beteiligungspflichtige Maßnahme aufgeführt. Danach ist es vorliegend unschädlich, dass der Präsidialrat nicht beteiligt worden ist.

Der Antragsteller kann sich schließlich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass das Auswahlverfahren in materieller Hinsicht zu Unrecht abgebrochen worden ist.

Bereits vor geraumer Zeit hat das Bundesverwaltungsgericht allgemein zum Abbruch des Auswahl- und Besetzungsverfahrens festgestellt, dass der Dienstherr ein eingeleitetes Bewerbungs- und Auswahlverfahren aus sachlichen Gründen jederzeit beenden und von einer ursprünglich geplanten Beförderung absehen darf. Als eine aus dem Organisationsrecht des Dienstherrn erwachsende verwaltungspolitische Entscheidung berührt der Abbruch des Auswahlverfahrens grundsätzlich nicht die Rechtsstellung von Bewerbern. Das für den Abbruch des Auswahlverfahrens maßgebliche organisations- und verwaltungspolitische Ermessen ist ein anderes als das bei einer Stellenbesetzung zu beachtende Auswahlermessen.

 BVerwG, Urteil vom 22. Juli 1999 - 2 C 14.98 -, juris Rn. 26.

 Dem Bewerbungsverfahrensanspruch ist auch bei der Entscheidung über den Abbruch eines laufenden Auswahlverfahrens Rechnung zu tragen. Dem Dienstherrn kommt hinsichtlich der Beendigung eines eingeleiteten Bewerbungs- und Auswahlverfahrens ein weites organisations- und verwaltungspolitisches Ermessen zu. Der Abbruch des Besetzungsverfahrens bedarf jedoch eines sachlichen Grundes. Der Abbruch des Auswahlverfahrens kann in materieller Hinsicht sowohl aus der Organisationsgewalt des Dienstherrn als auch aus Gründen gerechtfertigt werden, die aus Art. 33 Abs. 2 GG hergeleitet werden. Jedenfalls bedarf der Abbruch eines Auswahlverfahrens dann, wenn die Planstelle weiter zur Verfügung steht und das ausgeschriebene Amt auch weiterhin vergeben werden soll, eines sachlichen Grundes, der den Vorgaben aus Art. 33 Abs. 2 GG genügt. Der Dienstherr kann demnach das Auswahlverfahren abbrechen, wenn es fehlerhaft ist und nicht mehr zu einer ordnungsgemäßen Auswahlentscheidung führen kann oder wenn eine erneute Ausschreibung erforderlich wird, um eine hinreichende Anzahl leistungsstarker Bewerber zu erhalten. Genügt die Abbruchentscheidung diesen Vorgaben nicht, ist sie unwirksam und das in Gang gesetzte Auswahlverfahren nach dessen Maßgaben fortzuführen.

BVerwG, Beschluss vom 3. Dezember 2014, a. a. O. Rn. 19.

 Art. 33 Abs. 2 GG bietet keinen Schutz davor, dass weitere Bewerber in ein (neues) Auswahlverfahren einbezogen werden. Der Bewerbungsverfahrensanspruch umfasst keinen Anspruch darauf, dass das ursprüngliche Bewerberfeld im Rahmen einer wiederholten Auswahlentscheidung unverändert bleibt. Die mit einer Reduzierung des Bewerberkreises verbundene Gefahr, dass der Dienstherr das Auswahlverfahren mangels einer hinreichenden Anzahl leistungsstarker Bewerber abbricht, ist grundsätzlich unbeachtlich. Vor einer solchen Reduzierung des Bewerberkreises schützt der Bewerbungsverfahrensanspruch nicht.

 BVerfG, Kammerbeschluss vom 25. Januar 2017 - 2 BvR 2076/16 -, juris Rn. 26, BayVGH, Beschluss vom 5. April 2019 - 3 CE 19.314 -, juris Rn. 17; OVG LSA, Beschluss vom 3. Januar 2019 - 1 M 145/18 -, juris Rn. 8.

 Nach diesen Grundsätzen ist auch der hier in Rede stehende Abbruch des Auswahl- und Besetzungsverfahrens einer Stelle für einen weiteren dienstaufsichtsführenden Richter am S... zu beurteilen; die dargestellten Maßgaben sind auf das Richterdienstrecht übertragbar.
Der Antragsgegner hat in nicht zu beanstandender Weise von seinem Ermessen Gebrauch gemacht und das Auswahlverfahren abgebrochen. Tragender Grund dafür war, wie der Antragsgegner in seiner Entscheidung festgestellt hat, dass der Bewerberkreis, der zunächst aus drei Personen bestand, sich aufgrund der Bewerbungsrücknahme zunächst eines Bewerbers im und der weiteren Bewerbungsrücknahme der ausgewählten Bewerberin im erheblich reduziert hatte und der Antragsteller als einziger Bewerber verblieben war. Es ist nicht zu beanstanden, dass nach einem Zeitablauf von drei Jahren seit der ursprünglichen Ausschreibung der Dienstherr den Bewerberkreis, der aufgrund der Bewerbungsrücknahmen auf eine Person, nämlich den Antragsteller, reduziert worden war, erweitern will und hierzu eine neue Ausschreibung anstrebt, um überhaupt eine Auswahlentscheidung (aus mehreren Bewerbern) treffen zu können und dem öffentlichen Interesse an der Besetzung der Stelle mit dem am geeignetsten Bewerber Genüge zu tun. Es ist daher auch nicht zu beanstanden, wenn der zur Auswahlentscheidung befugte Dienstherr sich entschließt, mit dem Ziel einer bestmöglichen Besetzung der Beförderungsstelle einen breiteren Interessentenkreis anzusprechen.
Allein aufgrund des Zeitablaufs ist es hinreichend wahrscheinlich, dass etwa Bewerber, die 2018 entweder aus persönlichen Gründen von einer Bewerbung abgesehen haben oder die die dienstlichen Anforderungen zum damaligen Zeitpunkt noch nicht erfüllten, bei einer erneuten Ausschreibung am Auswahlverfahren teilnehmen können. Dabei spielt es für die Rechtmäßigkeit des Abbruchs des Auswahlverfahrens keine Rolle, dass die große Zeitspanne dadurch entstanden ist, dass der Antragsteller mit Erfolg gegen die Besetzung der Stelle durch eine Mitbewerberin vorgegangen ist, denn das Auswahlverfahren dient – wie bereits ausgeführt – dem öffentlichen Interesse an der bestmöglichen Besetzung und nicht dem Interesse des einzelnen Bewerbers an seiner Beförderung.
Anhaltspunkte für eine manipulative Gestaltung des Auswahlverfahrens, welche das Ziel verfolgt hätte, den Kläger willkürlich auszuschließen, sind weder auf der Grundlage des Vorbringens des Antragstellers noch nach dem Inhalt des vorliegenden Verwaltungsvorgangs erkennbar. Dies gilt für den Abbruch des Auswahlverfahrens ebenso wie für die vom Antragsteller bemängelte Aktenführung. Selbst wenn es Absprachen gegeben haben sollte, die zum Inhalt gehabt hätten, dass das Auswahlverfahren neu durchzuführen wäre, weil man den Antragsteller für die ausgeschriebene Stelle für nicht geeignet hielte, so hätte dies ein legitimer Grund für ein neues Auswahlverfahren sein und in der Entscheidung seinen Niederschlag finden können. Maßgeblich ist jedoch, dass der Antragsgegner gerade nicht hierauf, sondern auf eine Erweiterung des Bewerberkreises als tragenden Grund abgestellt hat. Es bleibt dem Antragsteller unbenommen, sich an einem erneuten Auswahlverfahren zu beteiligen.
Soweit der Antragsteller meint, dass der Antragsgegner gehalten wäre, vor einer Entscheidung über einen etwaigen Abbruch des Auswahl- und Besetzungsverfahrens zunächst seine dienstliche Beurteilung, die von ihm auf dem Verwaltungsrechtsweg erfolgreich angefochten wurde, neu zu erstellen, um so überprüfen zu können, ob nicht doch er, der Antragsteller, ein hinreichend gut qualifizierter Bewerber sei, so vermag er damit nicht durchzudringen. Denn auch – unterstellt – dann, wenn der Antragsteller im Rahmen seiner neu zu erstellenden dienstlichen Beurteilung zu einem Ergebnis gelangt, das über das zuvor erreichte hinaus ginge und ihn als (ggf. sehr) geeigneten Bewerber ausweisen würde, ist es dem Dienstherrn aus Rechtsgründen mit Blick auf das in Art. 33 Abs. 2 GG enthaltene Prinzip der Bestenauslese gerade nicht verwehrt, durch den Abbruch und eine Neuausschreibung der Stelle den Bewerberkreis über einen einzelnen Bewerber hinaus zu erweitern und ggf. einen (oder mehrere) noch besser geeignete(n) Bewerber zu ermitteln.

 Vgl. etwa SächsOVG, Beschluss vom 29. Mai 2020 - 2 B 97/20 -, juris Rn. 17 (Aktualisierung des Bewerberkreises als sachlicher Grund).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 2 i. V. m. § 53 Abs. 2 Nr. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG), wobei wegen der mit dem Antrag verbundenen Vorwegnahme der Hauptsache auf eine Reduzierung des Auffangwerts verzichtet wird.