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Entscheidung 5 U 96/19


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 5. Zivilsenat Entscheidungsdatum 24.03.2022
Aktenzeichen 5 U 96/19 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2022:0324.5U96.19.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 28. Juni 2019 verkündete Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder), Az. 12 O 106/18, teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die Klägerin wird verurteilt, die in dem auf S. 3 des Urteils des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 28. Juni 2019, Az. 12 O 106/18 mit den Buchstaben ABCDA und schraffiert gekennzeichnete Fläche an die Beklagte herauszugeben.

Die einstweilige Verfügung des Amtsgerichts Eberswalde vom 26. Juli 2019, Az. 2 C 358/17, wird aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gegenstandswert für das Berufungsverfahren: bis 6.000 €

Gründe

I.

Die Klägerin verlangt von der Beklagten, es zu unterlassen, die in der Anlage B1 (GA 31) mit ABCDA bezeichnete Fläche zu betreten und Tätigkeiten auf dieser Fläche auszuüben, die Beklagte verlangt mit ihrer Widerklage die Herausgabe dieser Fläche sowie die Aufhebung der in dem Verfahren 2 C 358/17 Amtsgericht Eberswalde gegen sie ergangenen einstweiligen Verfügung. Die Klägerin begehrt darüber hinaus die Feststellung, dass sie Eigentümerin dieser Fläche ist, hilfsweise in der Berufungsinstanz, dass sie Eigentümerin des Grundstücks geworden ist, dass im Jahr 1987 als Flurstück .. im Liegenschaftskataster (Auszug aus dem Liegenschaftskataster vom 1. April 2015, Anlage 6 des einstweiligen Verfügungsverfahrens 2 C 358/17 Amtsgericht Eberswalde) verzeichnet war. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen. In dem einstweiligen Verfügungsverfahren 2 C 358/17 hat die Klägerin eine einstweilige Verfügung erwirkt, mit der der Beklagten untersagt wurde, die Flurstücke … und … wie aus der Anlage 6 ersichtlich zu betreten. Das landgerichtliche Urteil ist hinsichtlich der Besitzverhältnisse insoweit zu ergänzen, als die Beklagte bereits mit der Klageerwiderung ausgeführt hat, dass sie aufgrund des Ersuchens des Landesamtes für Ländliche Entwicklung, Landwirtschaft und Flurneuordnung am 28. Februar 2017 Eigentümerin des Flurstücks … der Flur … (= Flurstück … in dem Auszug aus dem Liegenschaftskataster vom 21. April 2015, Anlage 7 des einstweiligen Verfügungsverfahrens) ist. Weiter hat sie in der Klageerwiderung unter Bezugnahme auf eine im Auszug aus dem Bodenordnungsplan (GA 31) mit den Buchstaben ABCDA gekennzeichnete und rot schraffierte Fläche deren Herausgabe mit der Widerklage verlangt. Die Klägerin nutze rechtswidrig ihr Eigentum. Die Klägerin hat daraufhin mit Schriftsatz vom 3. April 2018 ihre Klage erweitert und beantragt, festzustellen, dass sie Eigentümerin dieser Fläche sei. Die Beklagte wiederum hat mit Schriftsatz vom 28. März 2018 bestritten, dass die Klägerin Besitzerin der streitgegenständlichen Flächen ist (GA 45). In der mündlichen Verhandlung vom 11. September 2018 hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin ausgeführt, dass die mit den Buchstaben ABCDA in der Anlage GA 31 bezeichnete Fläche diejenige sei, die im einstweiligen Verfügungsverfahren als Flurstück … bezeichnet worden sei (GA 116). Die Parteien haben in dieser mündlichen Verhandlung unstreitig gestellt, dass diese Fläche vermessen worden sei. In der mündlichen Verhandlung vom 17. März 2022 hat die Beklagte unstreitig gestellt, dass die Klägerin Besitzerin der mit den Buchstaben ABCDA bezeichneten Fläche ist.

Das Landgericht hat der Unterlassungsklage der Klägerin stattgegeben, deren Klage auf Feststellung des Eigentums an der in der Anlage zu dem angefochtenen Urteil schraffierten Fläche abgewiesen und die Widerklage der Beklagten insgesamt abgewiesen. Es sei unstreitig, dass die Klägerin die streitgegenständliche Fläche seit mehr als 30 Jahren nutze. Auf die Frage des Eigentums komme es diesem Zusammenhang nicht an, weil es der Beklagten wegen Verwirkung verwehrt sei, dem Unterlassungsanspruch der Klägerin ein eigenes Recht zum Besitz als Eigentümerin entgegenzuhalten. Seit Jahrzehnten nutze die Klägerin die streitgegenständliche Fläche als Eigenbesitzerin. Auch das Umstandsmoment sei erfüllt, denn die Beklagte habe im Jahr 2000 einen Vertrauenstatbestand dahingehend geschaffen, dass sie entlang der streitigen Grenzlinie selbst einen Zaun gesetzt habe. Die Klägerin habe dies dahingehend verstehen dürfen, dass auch die Beklagte dort die Eigentumsgrenze angenommen habe und dies auch in Zukunft so bleiben solle. Dagegen sei die Klage auf Feststellung des Eigentums der Klägerin an dem streitgegenständlichen Grundstücksteil unbegründet. Der Voreigentümer, mit dem die Klägerin im Jahr 1987 den notariellen Grundstückskaufvertrag geschlossen habe, sei wegen falscher Eintragung des Flurstücks … nicht Eigentümer gewesen. Entgegen der Ansicht der Klägerin komme auch ein gutgläubiger Erwerb des Grundstücks nach Art. 230, 233 § 2 Abs. 1 EGBGB i. V. m. § 8 der Grundstücksdokumentationsordnung der DDR nicht in Betracht. Mit der letztgenannten Norm sei eine mit §§ 891, 892 BGB im Wesentlichen übereinstimmende Vorschrift zum Schutz des gutgläubigen Erwerbers im Recht der DDR verankert gewesen. Auch danach sei ein gutgläubiger Erwerb nur in dem Umfang möglich, der sich aus dem Grundbuch und dem Liegenschaftskataster ergebe. Ein gutgläubiger Erwerb scheide deshalb aus, weil sich aus dem Schreiben des Landrates des Landkreises … vom 26. September 2018 ergebe, dass das in der Karte als Dreieck eingezeichnete Flurstück … nur eine Grundstücksfläche von ca. 140 qm aufweise. Die in der Ergänzungskarte und im Grundbuch Blatt … verzeichneten 1.060 qm passten vielmehr zu der Fläche, die in der Ergänzungskarte mit der Flurstücksnummer … versehen worden sei. Auf eine Grundstücksfläche von 140 qm habe sich der gute Glaube der Klägerin daher von vornherein nicht beziehen können.

Gegen das ihr am 10. Juli 2019 zugestellte Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) hat die Beklagte mit am 22. Juli 2019 bei dem Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese, nach entsprechender Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist, mit am 10. Oktober 2019 eingegangenem Schriftsatz begründet. Die Klägerin hat nach Verlängerung der Berufungserwiderungsfrist bis zum 13. Dezember 2019 mit an diesem Tag bei dem Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz Anschlussberufung eingelegt.

Die Beklagte trägt zur Begründung ihrer Berufung ergänzend vor, wie sich aus dem nunmehr berichtigten Tatbestand der angefochtenen Entscheidung ergebe, sei im Jahr 2000 der Zaun von der Beklagten allein deswegen an dieser Stelle gesetzt worden, weil wegen der Bodenfeuchtigkeit eine andere Stelle nicht möglich gewesen sei. Er habe auch wegen von der Klägerin vorgenommenen Aufschüttungen nicht an einer anderen Stelle errichtet werden können und habe darüber hinaus dem Schutz der Kinder gedient. Der Besitz durch die Klägerin erfolge rechtsgrundlos. Das Landgericht habe weder ihre Eigentumsstellung noch die Richtigkeitsvermutung des Grundbuchs berücksichtigt. Die aus der Anlage B 2 ersichtliche und mit ABCDA gekennzeichnete Fläche sei Teil des Flurstücks … und stehe in ihrem Eigentum. Eine Besitzstörung in diesem Umfang werde nicht einmal von der Beklagten behauptet. Ein Vertrauenstatbestand zu Gunsten der Klägerin sei nicht geschaffen worden. Das Landgericht habe bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt, dass der Herausgabeanspruch der Kernbestandteil des Eigentums sei und dessen Ablehnung die wirtschaftliche Enteignung bedeute. Die Tochter der Klägerin sei Miteigentümerin der Flurstücke … und ….

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des am 28. Juni 2019 verkündeten Urteils des Landgerichts Frankfurt (Oder), Az. 12 O 106/18, die Klägerin nach den erstinstanzlich gestellten Widerklageanträgen zu verurteilen

sowie die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

unter teilweiser Abänderung des am 28. Juni 2019 verkündeten Urteils des Landgerichts Frankfurt (Oder), Az. 12 O 106/18, festzustellen, dass sie Eigentümerin der auf dem durch die Beklagte mit Schriftsatz vom 12. Dezember 2017 eingereichten Lageplan mit den Buchstaben ABCDA schraffierten Fläche geworden ist,

hilfsweise festzustellen, dass sie Eigentümerin der Fläche des 1987 im Grundbuchblatt … eingetragenen Flurstücks …, Flur … durch Kaufvertrag vom 30. Oktober 1987 und Eintragung im Grundbuch am 17. Dezember 1988 geworden ist,

sowie die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Klägerin ist der Ansicht, sie habe das Flurstück … (alt) bereits vom Berechtigten erworben. Dieses Flurstück sei seit 1952 in dieser Form im Liegenschaftskataster geführt worden. Der erste Eigentumswechsel habe im Jahr 1962 stattgefunden, weitere dann in den Jahren 1979, 1981 und 1985. Keinem der Erwerber seit 1952 sei die Unrichtigkeit des Grundbuchs und des Liegenschaftskatasters bekannt gewesen. Im Jahr 1987, als sie den Kaufvertrag mit ihrem Rechtsvorgänger abgeschlossen habe, seien in den amtlichen Karten keine Gebäude eingezeichnet gewesen. Der heutige Katasterstand nach Durchführung der Flurneuordnung sei unabhängig vom alten Zustand des Liegenschaftskatasters. Wäre die Grenze nach dem Liegenschaftskataster nicht zu ermitteln, wäre zudem nach § 920 BGB der Besitzstand maßgeblich. Sie habe im Jahr 1987 nicht erkennen können, dass das Flurstück … nur ca. 140 qm groß sei. Für den gutgläubigen Erwerb komme es auf den Grenzverlauf an, wie er sich aus dem Liegenschaftskataster ergebe. Die Auflassung vom 4. Juli 2013, mit der die Beklagte das Grundstück erworben habe, habe sich schon nicht auf die streitige Teilfläche ABCDA bezogen. Das Landgericht habe diesen Gesichtspunkt der „falsa demonstratio non nocet“ erkennbar übersehen. Der vormalige Ehemann der Beklagten habe ihr gegenüber am 10. Dezember 2019 erklärt, den Zaun zum See hin auf der Grenze zwischen den Grundstücken zu errichten. Er habe 2013 den Besitzstand so übertragen wollen, wie er schon zu DDR-Zeiten gewesen sei. Jedenfalls habe sie nach Art. 237 § 2 EGBGB Eigentum an dem Grundstück erworben. Durch den Hilfsantrag werde der Klageantrag in der Hauptsache beschränkt. Sie, die Beklagte, hätte das Grundstück 1987 nicht gekauft, wenn sie gewusst hätte, dass ca. die Hälfte des als Garten hinter dem Haus genutzten Landes und der Seezugang gar nicht zum Grundstück gehören. Die Beklagte habe sich im Jahr 2007 im Protokoll der Verhandlung zur Grenzregulierung im Flurneuordnungsverfahren über die Grenze entsprechend der Besitzverhältnisse geeinigt. Der Herausgabeanspruch der Beklagten sei zudem verjährt. Dieser verjähre nach § 474 Abs. 1 Nr. 5 ZGB in 10 Jahren. Nach § 475 Nr. 2 S. 2 ZGB trete die Verjährung spätestens mit Ablauf von 10 Jahren nach Vollendung der schädigenden Handlung ein.

II.

Berufung der Beklagten und Anschlussberufung der Klägerin sind zulässig, sie wurden insbesondere jeweils form- und fristgerecht eingelegt und begründet (§§ 517, 519, 520 ZP bzw. § 524 ZPO).

Die Berufung der Beklagten hat Erfolg; sie führt zur Abweisung der Klage insgesamt und zur Verurteilung der Klägerin zur Herausgabe sowie zur Aufhebung der einstweiligen Verfügung des Amtsgerichts Eberswalde vom 26. Juni 2019.

1.

Die Beklagte kann von der Klägerin widerklagend als Eigentümerin die Herausgabe der in der Anlage zu diesem Urteil schraffierten und mit den Buchstaben ABCDA bezeichneten Teilfläche des Grundstücks Flur …, Flurstück … verlangen.

Die Beklagte ist eingetragene Eigentümerin des Flurstücks … der Flur …, die Klägerin Besitzerin der im Tenor bezeichneten Teilfläche dieses Grundstücks. Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung vom 17. März 2022 deren unmittelbaren Besitz nicht mehr bestritten. Der Klägerin steht ein Recht zum Besitz an dieser Fläche nicht zu.

Die Klägerin kann dem auf § 985 BGB gestützten Herausgabeanspruch auch nicht entgegenhalten, sie habe diese Teilfläche gutgläubig erworben. § 891 Abs. 1 BGB knüpft die Vermutung der Rechtsinhaberschaft an die Grundbucheintragung. Weil im Rechtsverkehr Klarheit darüber bestehen muss, auf welchen konkreten Teil der Erdoberfläche sich ein eingetragenes Recht bezieht, besteht Einigkeit darüber, dass sich die Richtigkeitsvermutung des Grundbuches auch auf den sich aus dem Liegenschaftskataster ergebenden Grenzverlauf erstreckt (RGZ 73, 125, 129; BayObLGZ 1987, 410, 412 f.; OLG Frankfurt, OLGZ 1985, 156, 157 f.; OLG Nürnberg, MDR 1976, 666; OLG Celle, NJW 1956, 632, 633). Nach § 2 Abs. 2 GBO werden die Grundstücke im Grundbuch nach dem Liegenschaftskataster benannt. Der Grenzverlauf kann danach in aller Regel über die in Spalte 3 b des Bestandsverzeichnisses des Grundbuches eingetragene Parzellennummern in Verbindung mit der Katasterkarte erschlossen werden (BGH MDR 2006, 923 f. Rn. 8, juris). Die Angabe des Flächenmaßes im Grundbuch ist demgegenüber eine bloß informatorische Tatsachenangabe (Erman/Artz, BGB, § 891 Rn. 7). Die Richtigkeitsvermutung des Grundbuchs erstreckt sich auch auf den sich aus dem Liegenschaftskataster ergebenden Grenzverlauf (BGH FGPrax 2017, 195 Rn. 19). Unter dem Liegenschaftskataster in diesem Sinne ist nicht allein die Flurkarte (so allerdings noch BGH VersR 1973, 617; in diese Richtung auch BGHZ 199, 31 Rn. 12; zustimmend Kummer/Möllering in: Praxis der Kommunalverwaltung, Vermessungs- und Geoinformationsrecht Sachsen-Anhalt, Nr. 6.2.3), sondern das Liegenschaftskataster als Ganzes zu verstehen (vgl. BGH NJW-RR 2006, 662 Rn. 8 m. w. N). So verstanden gehört auch das auf den Grenzverlauf bezogene Vermessungszahlenwerk zu dem Inhalt des Grundbuchs, der zugunsten eines Erwerbers gemäß § 892 BGB als richtig gilt. Der Grenzverlauf kann zwar in aller Regel über die in Spalte 3 b des Bestandsverzeichnisses des Grundbuchs eingetragene Parzellennummern i. V. m. der Katasterkarte erschlossen werden (vgl. BGH NJW-RR 2006, 662 Rn. 8). Stimmen aber (ausnahmsweise) Vermessungszahlenwerk und Liegenschaftskarte nicht überein, bezieht sich die Richtigkeitsvermutung auf den Grenzverlauf, wie er aus dem Vermessungszahlenwerk hervorgeht, und nicht auf die daraus (graphisch fehlerhaft) abgeleitete Liegenschaftskarte (in diesem Sinn BGH FGPrax 2017, 195 Rn. 19).

Ein an eine Eintragung knüpfender gutgläubiger Erwerb durch die Beklagte bzw. ihren Rechtsvorgänger kommt hinsichtlich der Teilfläche ABCDA, die Gegenstand des Herausgabeverlangens der Beklagten ist, schon deswegen nicht in Betracht, weil ein solches mit einer eigenen Flurstücksnummer versehenes Grundstück zu keinem Zeitpunkt im Grundbuch gebucht war.

Aber auch hinsichtlich des Flurstücks …, wie es bis April 2015 als dreieckiges Grundstück mit einer Größe von ca. 140 qm in der Liegenschaftskarte wiedergegeben war (Anlage B3, GA 33), hat ein gutgläubiger rechtsgeschäftlicher Erwerb durch die Klägerin durch den notariellen Kaufvertrag vom 30. Oktober 1987 bzw. durch ihren Rechtsvorgänger durch den notariellen Kaufvertrag vom 23. Mai 1985 nicht stattgefunden. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass hinsichtlich des Flurstücks … im April 2015 durch das Liegenschaftskataster allein ein bestehender Zeichenfehler korrigiert wurde, weil die Darstellung der Flurstücksgrenze in der Flurkarte mit dem Grenznachweis in den maßgebenden Katasterunterlagen nicht übereinstimmte. Dies entspricht der Mitteilung des Landkreises … vom 21. April 2015. Damit ergab sich auch schon vor der Berichtigung des Zeichenfehlers, der als Berichtigung tatsächlicher Angaben die Eigentumsverhältnisse unberührt ließ, aus dem Grundbuch kein Flurstück … in den Grenzen, wie es in der Liegenschaftskarte bis April 2015 als Dreieck dargestellt war. Bereits deswegen fehlt es an einer tatsächlichen Grundlage für eine Vermutung nach § 891 Abs. 1 BGB und einen sich daran anknüpfenden gutgläubigen Erwerb der Klägerin nach § 892 Abs. 1 BGB (bzw. § 8 GDO).

An diesem Ergebnis ändern auch die Ausführungen im Schriftsatz der Klägerin vom 21. März 2022 nichts. Die Richtigkeitsvermutung des § 891 BGB erstreckt sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auf den sich aus dem Liegenschaftskataster ergebenden Grenzverlauf (so schon BGH NJW-RR 2006, 662 Rn. 8; BGH FGPrax 2017, 195 Rn. 19; ebenso Münchener Kommentar/Kohler, BGB, § 891 Rn. 6; BeckOGK/Hertel, BGB, § 891 Rn. 7). Der Bundesgerichtshof hat in seinem Beschluss vom 20. Juli 2017 – Az. V ZB 47/16 – (FGPRax 2017, 195) lediglich seine Auffassung dahingehend geäußert, dass vieles dafür spreche unter „dem Liegenschaftskataster“ in diesem Sinne nicht allein die Flurkarte, sondern das gesamte Vermessungszahlenwerk zu verstehen, die Rechtsfrage aber nicht abschließend entschieden.

Auch nach Auffassung des Senats ist unter dem Liegenschaftskataster, wie es durch die katastermäßige Bezeichnung des Grundstücks im Grundbuch (§ 2 Abs. 2 GBO) in Bezug genommen wird, der gesamte Inhalt des Liegenschaftskatasters zu verstehen und nicht nur die Liegenschaftskarte. Aber selbst wenn man dies anders sehen wollte, könnte sich die Klägerin nicht auf die Vermutungswirkung des § 891 Abs. 1 BGB berufen.

Die Vermutungswirkung des § 891 Abs. 1 BGB käme in diesem Fall deswegen nicht zum Tragen, weil ein Grundstück in der Form eines Dreiecks, wie es durch die Liegenschaftskarte ausgewiesen war, zu keinem Zeitpunkt existierte. § 891 Abs. 1 BGB begründet keine dahingehende Vermutung, dass es das Grundstück überhaupt gibt (m. w. Nachw. BeckOGK/Hertel, BGB § 891 Rn. 7). Ein Flurstück … in der Form eines Dreiecks war zu keinem Zeitpunkt im Liegenschaftskataster ausgewiesen bzw. im Grundbuch eingetragen, weil nach den, auch nach Auffassung der Parteien unstreitig richtigen Vermessungszahlenwerk das Flurstück … nicht dreieckig, sondern viereckig war und eine völlig andere Lage hatte. Die Liegenschaftskarte enthielt zudem einen Übertragungsfehler mit der zusätzlich fehlerhaften Bezeichnung des nicht existierenden dreieckigen Flurstücks mit der Flurstücksnummer …. Wegen der widersprüchlichen Angaben im Liegenschaftskataster – Liegenschaftskarte einerseits und das ihr zugrundeliegende Zahlenwerk andererseits – bestünde aber jedenfalls keine Vermutung im Sinne von § 891 Abs. 1 BGB, dass ein Flurstück …, wie es in der Liegenschaftskarte bis April 2015 ausgewiesen war, bis dahin auch bestanden hat.

Damit bedarf es vorliegend keiner abschließenden Entscheidung darüber, ob Gegenstand der Vermutungswirkung – wie dies die Klägerin geltend macht – allein die Liegenschaftskarte ist. Selbst wenn eine Vermutung auf der Grundlage der Liegenschaftskarte bestünde, stünde das Eigentum der Beklagten aufgrund des unstreitigen Zahlenwerks fest (vgl. Münchener Kommentar/Kohler, BGB, § 891 Rn. 6). Eine Schriftsatzfrist, wie sie von der Klägerin nach Schluss der mündlichen Verhandlung mit Schriftsatz vom 21. März 2022 verlangt worden ist, war ihr zu den rechtlichen Hinweisen, zu denen sie zudem in der Verhandlung und in dem genannten Schriftsatz Stellung genommen hat, daher nicht zu gewähren.

Dem Herausgabeverlangen der Beklagten kann die Klägerin nicht entgegenhalten der Anspruch sei verwirkt. Soweit es um die Verwirkung des Herausgabeanspruchs aus dem in das Grundbuch eingetragenen Eigentum geht, ist zu berücksichtigen, dass die Ansprüche aus dem eingetragenen Eigentum nach der ausdrücklichen Entscheidung des Gesetzgebers in § 902 Abs. 1 BGB als unverjährbar ausgestaltet sind und die Verwirkung des Herausgabeanspruchs das Eigentum als "Rechtskrüppel" (vgl. Staudinger/Gursky, BGB, § 902 Rdn. 1) zurücklässt, das gegen die Eintragung im Grundbuch noch nicht einmal im Wege der Ersitzung nach § 900 Abs. 1 BGB erstarken kann. Für die Verneinung des Herausgabeanspruchs des im Grundbuch eingetragenen Eigentümers unter dem Gesichtspunkt der Verwirkung folgt daraus, dass eine Verwirkung nur angenommen werden kann, wenn sich die Verpflichtung zur Herausgabe für den Besitzer als schlechthin unerträglich darstellt (BGH, Urteil vom 16. März 2007 – V ZR 190/06 –, Rn. 10, juris).

Die Klägerin hat schon nicht dargelegt, dass die Herausgabe der im Eigentum der Beklagten stehenden Teilfläche für sie in diesem Sinne unerträglich ist, so dass im Ergebnis eine Verwirkung des Herausgabeanspruchs nicht festgestellt werden kann.

Entgegen der Auffassung der Klägerin ist der Herausgabeanspruch auch nicht nach den geltenden Verjährungsvorschriften des ZGB verjährt. Auch nach dem Recht der DDR (§ 479 Abs. 1 S. 1 ZGB) unterlagen, entsprechend der Regelung in § 902 Abs. 1 S. 1 BGB Ansprüche aus eingetragenen Rechten, hier dem eingetragenen Eigentum der Beklagten, nicht der Verjährung.

Die Beklagte kann danach von der Klägerin die Herausgabe der im Tenor bezeichneten Teilfläche verlangen.

2.

Steht nach den Ausführungen unter Ziffer 1 fest, dass die Beklagte Eigentümerin des im Grundbuch gebuchten Grundstücks Flur …, Flurstück … ist, ist die Klägerin nicht Eigentümerin der im Tenor bezeichneten Teilfläche ABCDA und auch nicht Eigentümerin des bis zum April 2015 in der Liegenschaftskarte geführten dreieckigen Flurstücks …. Die Feststellungsklage der Klägerin hat damit sowohl hinsichtlich des mit der Berufung weiter verfolgten Hauptantrages und des Hilfsantrages keinen Erfolg.

3.

Soweit die Beklagte mit der Berufung die Abweisung der Klage hinsichtlich ihrer Verurteilung zur Unterlassung von Besitzstörungen hinsichtlich der Fläche ABCDA (Anlage B2, GA 31) verurteilt worden ist, hat das Rechtsmittel Erfolg und führt zur Abweisung der Klage.

Dem Erfolg der Berufung steht nicht entgegen, dass der von der Klägerin geltend gemachten Besitzstörung nach § 863 BGB nur entgegengehalten werden kann, die Entziehung oder die Störung sei keine verbotene Eigenmacht. Wird mit der petitorischen Widerklage das Recht zum Besitz geltend gemacht und ist diese ebenso entscheidungsreif wie die Besitzschutzklage, so ist zur Vermeidung widersprechender Entscheidungen die Besitzschutzklage entsprechend § 864 Abs. 2 BGB abzuweisen und der Widerklage stattzugeben (m. w. Nachw. Grüneberg/Herrler, BGB, § 863 Rn. 3).

4.

Die Berufung der Beklagten hat schließlich auch insoweit Erfolg, als mit der Widerklage die Aufhebung der einstweiligen des Amtsgerichts Eberswalde vom 26. Juli 2019, Az. 2 C 358/17 wegen veränderter Umstände (§§ 936, 927 Abs. 1 ZPO) verlangt wird.

Das Aufhebungsverlangen ist bereits deswegen begründet, weil die Klägerin hinsichtlich des Flurstücks …, wie es in der Liegenschaftskarte bis April 2015 enthalten war und das in dieser Form Gegenstand des einstweiligen Verfügungsverfahrens war, bereits keine Besitzstörungen durch die Beklagte dargelegt hat.

Das Aufhebungsverlangen kann auch im vorliegenden Verfahren im Wege der Widerklage geltend gemacht werden, obwohl es Teil des einstweiligen Verfügungsverfahrens ist. Die in einem Rechtsstreit über eine Klage nach vorausgegangenem Verfügungsverfahren erhobene Widerklage, mit der die Aufhebung einer einstweiligen Verfügung begehrt wird, weist keine so grundlegenden Verfahrensunterschiede zur Klage auf, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung nicht oder nur unter Schwierigkeiten in Betracht kommt (BGH MDR 2017, 168, 172 f.).

5.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10, 711, 713, 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

Die Voraussetzungen über eine Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor.