Gericht | OLG Brandenburg 4. Zivilsenat | Entscheidungsdatum | 11.05.2022 | |
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Aktenzeichen | 4 U 23/21 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2022:0511.4U23.21.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 28.12.2020, Az. 11 O 177/20, wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil sowie das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 25.000 € festgesetzt.
I.
Die Klägerin nimmt die beklagte Fahrzeugherstellerin aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung wegen einer vermeintlich unzulässigen Abschalteinrichtung in Anspruch.
Die Klägerin erwarb mit Kaufvertrag vom … 2017 von der … GmbH in … den streitgegenständlichen gebrauchten … mit einer Laufleistung von 23.808 km zu einem Kaufpreis von 24.890 € brutto. Die EG-Typgenehmigung für das Fahrzeug datiert vom 24.01.2013, die Erstzulassung vom 17.12.2013. In dem Fahrzeug ist ein von der Beklagten hergestellter und entwickelter Dieselmotor des Typs N47 der Schadstoffklasse Euro 5 und mit einer Leistung von 105 kW verbaut. Dieser ist von einem amtlichen Rückruf nicht betroffen. Zur Reduktion der Stickstoffemissionen (und zur Einhaltung der Grenzwerte der Schadstoffklasse) verfügt der Motor über eine regulierte Abgasrückführung. Eine Abgasnachbehandlung durch einen SCR- oder einen NOx-Speicherkatalysator findet nicht statt.
Mit Schreiben vom 14.05.2020 machte die Klägerin Schadenersatzansprüche gegenüber der Beklagten geltend und verlangte die Zahlung von 24.890 € (zzgl. Zinsen) Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs.
Die Klägerin hat behauptet, dass insbesondere bei Fahrversuchen der Deutsche Umwelthilfe e.V. (DUH) im realen Straßenverkehr bei dem Motortyp N47 im Mittel höhere NOx-Werte gemessen worden seien als in dem für die Schadstoffklasse maßgeblichen Messverfahren auf einem Prüfstand (NEFZ). Daraus schließt die Klägerin auf das Vorhandensein mehrerer unzulässiger Abschalteinrichtungen in der Motorsteuerung, durch die die Abgasrückführung (ganz oder teilweise) gezielt inaktiviert werde. So existiere ein Thermofenster, wodurch die Abgasreinigung nur in einem Temperaturbereich von + 20 bis + 30 Grad Celsius richtig funktioniere. Außerhalb dieses Temperaturbereichs sei die Wirkungsweise der Abgasrückführung dagegen iterativ reduziert und schließlich ganz abgeschaltet. Zudem verfüge das Fahrzeug über eine Fahrzykluserkennung, mit der es erkenne, wenn es einen bestimmten Fahrzyklus auf einem Rollenprüfstand für die Abgasmessung (NEFZ) abfahre. Nur unter den Bedingungen auf dem Prüfstand funktioniere die Abgasreinigung optimal. Unter anderen (realen) Bedingungen werde das Abgasrückführungsventil dagegen komplett geschlossen. Dementsprechend sei die elektronische Fehlerdiagnose des Fahrzeugs so verändert worden, dass die (gezielte) Abschaltung der Abgasrückführung nicht als Fehler ausgegeben werde.
Diese Abschalteinrichtungen verstießen gegen die relevante Abgasnorm (VO 715/2007 EG), insbesondere sei der Ausnahmetatbestand des Art. 5 Abs. 2 der VO nicht einschlägig. Der Vorstand der Beklagten habe diesen Verstoß bewusst aus Kostengründen in Kauf genommen, weil die Abgasgrenzwerte andernfalls nur mit höherem technischen und wirtschaftlichen Aufwand einzuhalten gewesen wären. Die Beklagte habe das Vorhandensein dieser Abschalteinrichtungen dem Kraftfahrbundesamt im Rahmen des Typengenehmigungsverfahrens bewusst verschwiegen.
Die Klägerin sei davon ausgegangen, ein wertstabiles und technisch einwandfreies Fahrzeug zu erwerben, welches die gesetzlichen Schadstoffwerte einhalte. Dabei seien ihr Sparsamkeit, Umweltfreundlichkeit und der Wiederverkaufswert des Fahrzeugs besonders wichtig gewesen. Bei Kenntnis der zahlreichen Manipulationen hätte sie vom Kauf dieses Fahrzeugs Abstand genommen.
Die Klägerin hat als Schadenersatz den Kaufpreis in voller Höhe nebst Deliktszinsen ohne Anrechnung von Gebrauchsvorteilen verlangt (allenfalls hilfsweise unter Zugrundelegung einer Gesamtlaufleistung von 500.000 km). Erstinstanzlich hat sie beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an sie einen Betrag von 27.382,09 € nebst Zinsen aus einem Betrag von 24.288,91 € hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 28.05.2020 zu zahlen, Zug um Zug gegen die Übereignung und Herausgabe des PKWs vom Typ … mit der Fahrzeug- Identifikationsnummer …,
2. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Annahme des im Antrag 1. genannten Fahrzeuges seit dem 14.05.2020 in Verzug befindet,
die Beklagte zu verurteilen, sie von den Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.430,38 € freizustellen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat das Vorhandensein von Abschalteinrichtungen bestritten und die entsprechenden Behauptungen der Klägerin als ins Blaue hinein qualifiziert. Auf die Überschreitung der Grenzwerte im Realbetrieb (die im Übrigen auch nur unwesentlich sei) komme es schon nicht an. Ein „illegales Thermofenster“ existiere nicht. Vielmehr hänge der Grad der Abgasrückführung aufgrund physikalischer Notwendigkeiten von einer Vielzahl von Parametern ab. Die Außentemperatur sei indes kein solcher Parameter. Im Übrigen sei eine Anpassung der Abgasrückführungsrate aus Gründen des Motorschutzes erforderlich und damit zulässig.
Dies sei auch das Ergebnis der Untersuchungskommission Volkswagen, die die Unauffälligkeit des streitgegenständlichen Motors N47 bestätige. Das Kraftfahrtbundesamt habe den Motor des Typs N47 in Kenntnis der Funktionsweise sowie unter Einsicht in die Software getestet und ebenfalls bestätigt, dass keine unzulässigen Abschaltvorrichtungen verbaut seien, wie sich aus diversen amtlichen Auskünften des KBA ergebe.
Der Rückruf von Fahrzeugen mit dem (nicht baugleichen) Motor N57 – auf den die Klägerin verweist – sei nicht wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung erfolgt, sondern auf eine versehentlich falsche Bedatung zurückzuführen.
Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 28.12.2020, auf dessen tatsächliche Feststellungen im Übrigen verwiesen wird (§ 540 Abs. 1 ZPO), abgewiesen und einen Anspruch der Klägerin wegen vorsätzlich sittenwidriger Schädigung abgelehnt. Denn es fehle an einer sittenwidrigen Täuschungshandlung und an einem Schädigungsvorsatz der Beklagten. Das Fahrzeug sei nicht von einer Rückrufaktion betroffen und verfüge über eine wirksame Typengenehmigung. In dessen Ergebnis sei das KBA zur Zulässigkeit des eingebauten Thermofensters gekommen. Selbst wenn sich in der Zukunft diese Bewertung ändern solle, handele es sich hierbei um eine vertretbare Rechtsauffassung, wie sich aus der kontroversen Diskussion in der Fachwelt ergebe. Das Thermofenster arbeite auch nach dem Vortrag der Klägerin vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise wie auf dem Prüfstand. Für das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung fehle es an greifbaren Anhaltspunkten, welche für die Annahme eines hinreichend substantiierten klägerischen Vortrags erforderlich seien – auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Klägerin mangels eigener Sachkunde und Einblick in die Produktion keine näheren Kenntnisse von Einzeltatsachen haben könne. Allein die höheren NOx-Werte im Realbetrieb ließen nicht den Schluss auf das Vorhandensein einer Abschalteinrichtung zu. Der Motortyp N57 sei nicht vergleichbar. Ein Anspruch ergebe sich auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB, weil es sich bei Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 bzw. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV nicht um Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB handele.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihr erstinstanzliches Vorbringen wiederholt und vertieft. Sie wendet sich insbesondere gegen die Auffassung des Landgerichts, wonach das bisherige Klägervorbringen keinen hinreichend substantiierten Sachvortrag zur Existenz einer Abschalteinrichtung enthalte. Der Rückruf des KBA sei nicht erforderlich, um von einer unzulässigen Anschalteinrichtung ausgehen zu können. Ein vom Oberlandesgericht Frankfurt eingeholtes Sachverständigengutachten (Dipl.-Ing. F…) bestätige, dass der Motor mit entsprechenden Sensoren ausgestattet sei und diese im laufenden Fahrbetrieb Eingriffe in die Emissionskontrollsysteme vornähmen. Eine Notwendigkeit zum Zwecke des Motorschutzes habe der Gutachter, dessen Feststellungen auch auf den streitgegenständlichen Motor übertragbar seien, verneint. Zu Unrecht sei daher das Landgericht den Beweisangeboten (Zeugen- und Sachverständigenbeweis) nicht nachgegangen. Das Ausgangsgericht sei auch rechtsfehlerhaft zu dem Schluss gekommen, dass die Überschreitung der Grenzwerte im normalen Fahrbetrieb nicht auf eine unzulässige Abschaltvorrichtung hinweise. Es sei vielmehr charakteristisch für eine derartige Funktion, dass sie die Einhaltung der Grenzwerte im NEFZ bewirke, nicht hingegen im normalen Fahrbetrieb. Dies werde auch durch die Leitlinien der Europäischen Kommission vom 26.01.2017 zur Erkennung von Abschaltvorrichtungen bestätigt. Dort würden selbstverständlich auch die Werte im Realbetrieb herangezogen. Auch die Kommission gehe davon aus, dass es Unklarheiten bei der Auslegung des Verbotes von Abschalteinrichtungen von vornherein nicht gegeben habe. Auch bei schweren Nutzfahrzeugen sei es den Herstellern gelungen, dass die Emissionswerte im Realbetrieb nicht über den zulässigen Grenzwerte lägen; dies sei allein darauf zurückzuführen, dass es bei diesen Fahrzeugen deutlich strengere Kontrollen gegeben habe. Die Hersteller könnten sich überdies auch nicht auf einen entschuldigenden Rechtsirrtum berufen. Hierfür wäre ein Ersuchen an die Kommission mit der Bitte um Auslegung des Begriffs der Abschaltvorrichtung erforderlich gewesen. Nach den Vorgaben der Europäischen Kommission bestehe bei Prüfungen auf der Straße im Realbetrieb (Kategorie 3) und Überschreitung der Grenzwerte um das 2 bis 5-Fache ein Verdacht auf das Vorhandensein einer unzulässigen Abschaltvorrichtung. Ein gerichtlicher Sachverständiger müsse überdies auch die weiteren von der Kommission vorgesehenen Messungen der Kategorie 1 (NEFZ mit minimalen Abweichungen), der Kategorie 2 (NEFZ mit begrenzter Änderung der physikalischen Reaktion des Motorsystems) sowie Kategorie 4 (überraschende Prüfungen) vornehmen. Bei Überschreitung der Messwerte müsse die Beklagte diese Überschreitungen ausführlich darlegen und erklären, um ihrer sekundären Darlegungslast nachzukommen. Wichtig dabei sei, dass nicht alleiniger Bezugspunkt die in der Verordnung 715/2007 festgesetzten Grenzwerte sei, sondern auch auf die Emissionszunahme im Vergleich zum durchgeführten NEFZ-Test abgestellt werde. Bereits die erstinstanzlich eingeführten DUH Messungen, die als NEFZ-Prüfungen auf der Straße durchgeführt worden seien und damit einer Prüfung der Kategorie 2 der Leitlinien der Kommission entsprächen, belegten, dass die Emissionen die zulässigen NEFZ-Referenzwerte im Realbetrieb um den Faktor 3 bis 7,7 überschreiten würden. Auch die Messungen der Untersuchungskommission Volkswagen würden nach den Maßstäben der EU-Kommission die dort genannten Schwellenwerte deutlich übersteigen und auf das Vorhandensein von Abschaltvorrichtungen hindeuten. Diese Einschätzung werde durch ein vom Landgericht Hannover eingeholtes Sachverständigengutachten von Prof. Dr.-Ing B… ebenfalls bestätigt. Vor dem Hintergrund der Leitlinien der Kommission könne sich die Beklagte auch nicht pauschal auf einen angeblichen Motorschutz berufen; die von ihr angegebene Dauerhaltbarkeit und der langfristige Schutz des Motors stellten ohnehin keine zulässige Rechtfertigung dar, wie die Europäische Kommission im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH in den Leitlinien dargestellt habe. Wie das von der Beklagten vorgenommene Softwareupdate belege, habe es überdies bei der Herstellung der Fahrzeuge technische Alternativen zu Abschaltvorrichtungen gegeben, um den Stickoxidausstoß ohne Schaden am Motor zu reduzieren. Die Beklagte habe sich bei der Entwicklung nur gegen deren Einsatz entschieden. Auch hinsichtlich des Thermofensters habe das Landgericht die Darlegungs- und Beweislast verkannt. Das Vorliegen einer solchen Vorrichtung sei unstreitig, für die Ausnahme der Zulässigkeit nach Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007 trage hingegen die Beklagte die Darlegungs- und Beweislast, der sie nicht hinreichend nachgekommen sei. Dass es sich bei der temperaturgesteuerten Abschalteinrichtung um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art, 3 Nr. 10 VO 715/2007 handele, sei auch nach der Entscheidung des EuGH in der Sache C-693/18 nicht mehr zu diskutieren. Dieser habe auch die Auffassung der Klägerin bestätigt, dass die Grenzwerte auf dem Prüfstand auch unter normalen Betriebsbedingungen einzuhalten seien.
Das Verhalten der Beklagten sei sittenwidrig. Die Gründe der Beklagten zur Verwendung des Thermofensters hätten insbesondere in der Erzielung eines höheren Gewinns durch Einsparung von weiteren Entwicklungskosten bestanden. Die Rechtslage sei insoweit eindeutig gewesen; bereits in einer EU-Richtlinie aus dem Jahr 1998 sei darauf hingewiesen worden, dass eine anormale Emissionsstrategie, die bei niedrigen Temperaturen unter normalen Betriebsbedingungen zu einer Verringerung der Wirkung des Emissionsminderungssystems führe, als Abschaltvorrichtung gelte. Die Beklagte habe die Abschalteinrichtungen bei der Typengenehmigung bei der zuständigen Behörde (NSAI in Irland) auch nicht angegeben. Hierzu obliege der Beklagten überdies eine sekundäre Darlegungslast, die darlegen müsste, alle relevanten Angaben gemacht zu haben. Davon sei indes nicht auszugehen, da diese andernfalls der Beklagten keine Teil-Genehmigung für die Abgasreinigung erteilt hätte.
Mit Schriftsatz vom 22. Juni 2021 (Bl. 630 ff. d.A.) hat die Klägerin zu einer Funktion namens „Kaltaufheizen“ vorgetragen, die in NOx-Speicherkatalysatoren zur Verminderung der NOx-Emissionen implementiert sei. Hintergrund sei, dass NOx-Speicherkatalysatoren eine sehr hohe Temperatur erreichen müssten (zwischen 250 bis 500 Grad Celsius), um NOx wirksam zu filtern. Bleibe der Katalysator zu kalt, könne NOx nicht wirksam reduziert werden. Im NEFZ mit geringer Last, Drehzahl und Geschwindigkeit könnten diese Temperaturen nicht, oder allenfalls am Ende, erzielt werden, so dass das Einhalten von Grenzwerten nicht erreicht werden könne. Daher habe die Beklagte das „Kaltaufheizen“ entwickelt, das unter sehr engen – realistischerweise nur im Prüfstand auftretenden – Bedingungen nach Motorstart die Verbrennung so regele, dass Kraftstoff unverbrannt den Motor verlassen könne und erst im Abgasstrang verbrannt werde, um diesen sehr schnell auf Temperatur zu bekommen.
In der Berufungsinstanz rechnet sich die Klägerin unter Zugrundelegung einer Gesamtlaufleistung von 500.000 km einen Gebrauchsvorteil von 804,47 € an. Sie beantragt nunmehr, unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Potsdam vom 28.12.2020
1. die Beklagte zu verurteilen, an sie einen Betrag von 27.178,71 € nebst Zinsen aus 24.085,53 € in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen die Übereignung und Herausgabe des PKW vom Typ …, FIN: …,
2. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Annahme des im Antrag 1. genannten Fahrzeuges seit dem 14.05.2020 in Verzug befindet,
3. die Beklagte zu verurteilen, sie von den Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.430,38 € freizustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens. Auch weiterhin habe die Klägerin keine greifbaren Anhaltspunkte für das Vorhandensein unzulässiger Abschaltvorrichtungen dargelegt; weitere amtliche Auskünfte des KBA vom 16.11.2020 und 25.02.2021 in Parallelverfahren belegten das Gegenteil. Der streitgegenständliche Motor sei weder von einem Rückruf noch von Ermittlungen der Staatsanwaltschaft betroffen. Die Abweichungen von Emissionen im Realbetrieb seien kein Indiz für das Vorhandensein unzulässiger Abschaltvorrichtungen. Denn die Grenzwertangaben bezögen sich allein auf die Prüfstandsmessungen im NEFZ. Der dortige Prüfzyklus sei auch nach dem eigenen Vortrag der Klägerin mit den Leistungsanforderungen der tatsächlichen Fahrzeugprofile nur selten in Einklang zu bringen. Ein Realbetrieb – nach willkürlichen oder vorgegebenen Parametern – sei kein Maßstab für Euro 5- und 6-Fahrzeuge gewesen. Die DUH-Messungen seien daher im hiesigen Verfahren ohne Relevanz. Wie in einem Parallelverfahren gutachterlich bestätigt, seien die über den Grenzwerten liegenden Messungen der DUH, des Umweltbundesamtes sowie des KBA auf deutlich höhere Motorlasten und veränderte Umgebungsbedingungen zurückzuführen. Der zweitinstanzliche Vortrag sei – soweit substantiiert, relevant und vorhanden – neu und auch nicht zulassungsfähig. Er sei auch nicht auf den konkreten Fall zugeschnitten, so dass es bereits Zweifel an der Zulässigkeit der Berufung gebe. Die Abgasrückführungsrate müsse an unterschiedliche Parameter angepasst werden. Dies geschehe einerseits, um den Motor zu schützen, zum anderen aber auch, um zu verhindern, dass es zu einer erhöhten Rußbildung komme, was bei einer hohen Abgasrückführungsrate der Fall sei. Eine „richtige“ oder „falsche“ Abgasrückführungsrate gebe es daher nicht. Im Übrigen sei der Vortrag, dass ein Thermofenster per se einen Sittenwidrigkeitsvorwurf begründe, nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung unzutreffend. Zulassungsrelevante Tatsachen seien im Typengenehmigungsverfahren auch nicht verschleiert worden. Dem KBA sei auch heute die Funktionsweise des Thermofensters bekannt und geprüft worden, ein Rückruf sei indes nicht erfolgt. Nicht relevant seien die von der Klägerin zitierten Leitlinien der Kommission vom 26.01.2017. Denn das streitgegenständliche Fahrzeug mit dem Motor der Schadstoffklasse Euro 5 sei deutlich vor Inkrafttreten dieser Leitlinien zugelassen worden. Soweit ähnliche Grundsätze für schwere Nutzfahrzeuge gegolten hätten, seien derart detaillierte Angaben zu den einzelnen Emissionsstrategien im Pkw-Bereich eben gerade nicht gefordert worden. Das vorgelegte Gutachten des Sachverständigen F… sei unergiebig, eigene Untersuchungen am Fahrzeug habe der Sachverständige nicht vorgenommen. Dass der Motor Sensoren habe und von zahlreichen Parametern, wie etwa der Drehzahl, gesteuert werde, sei unstreitig, belege aber das Vorhandensein unzulässiger Abschaltvorrichtungen in keiner Weise. Dies gelte auch für das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. B…. Denn dieser habe den Messungen der DUH eine Relevanz zugeschrieben, die nicht einmal den Anforderungen des aktuellsten Prüfstandards für Straßenfahrten entsprächen. Die dort festgestellten Emissionen wichen überdies lediglich geringfügig von den über 10 Jahr später eingeführten Anforderungen für Fahrzeuge der Schadstoffklasse Euro 6d ab. Der Hinweis der Klägerin, die Emissionen im Kalt- und Warmstart wichen voneinander ab, sei physikalisch nicht verwunderlich und belege für ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten nichts. Auch die klägerseits eingereichten Messungen des KBA könnten zur klägerischen Behauptung nichts beitragen. Der Hintergrund der Messungen sei unbekannt, es handele sich nach Kenntnis der Beklagten offenbar um Abgasmessungen im Straßenverkehr (RDE-Fahrten). Diese seien für das hiesige Fahrzeug nicht relevant. Selbst bei Anlehnung eines Standards für Fahrzeuge der Schadstoffklasse EU 6d-temp sei der dort geltende Konformitätsfaktor von 2,1 bei einem BMW 320d (Schadstoffklasse Euro 5) nur leicht überschritten worden. Die Beklagte habe dem KBA nach den Vorwürfen gegen die Volkswagen AG sämtliche Informationen und Beschreibungen zur Verfügung gestellt. Der Genehmigungsbehörde – der irischen NSAI – sei indes auch bei der Genehmigung die Notwendigkeit der Abhängigkeit von der Temperatur bekannt gewesen. Soweit die Klägerin auf die Entscheidung des EuGH vom 17.12.2020 verweise, habe der dortige die Volkswagen AG betreffende Sachverhalt nichts mit der streitgegenständlichen Konstellation zu tun.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
II.
1. Die Berufung ist statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet.
2. In der Sache bleibt die Berufung ohne Erfolg.
Der Klägerin stehen gegen die Beklagte die geltend gemachten Schadensersatzansprüche aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt (§ 826 BGB, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 der VO (EG) Nr. 715/2007 BGB) zu. Mangels eines Vertragsverhältnisses oder einer vertragsähnlichen Beziehung zwischen den Parteien kommen vertragliche Ansprüche von vornherein nicht in Betracht. Doch auch die Voraussetzungen für eine deliktische Haftung der Beklagten sind nicht erfüllt. Infolgedessen ist der geltend gemachte Anspruch auf Erstattung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten ebenso unbegründet wie der geltend gemachte Antrag auf Feststellung des Annahmeverzugs.
a) Der Klägerin hat keinen Anspruch auf Schadenersatz aus § 826 BGB. Nach dieser Vorschrift ist zum Schadensersatz verpflichtet, wer einem anderen in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich Schaden zufügt. Die erforderliche Sittenwidrigkeit liegt vor, wenn die schädigende Handlung nach ihrem Inhalt bzw. ihrem Gesamtcharakter im Widerspruch zum Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden steht und daher mit den grundsätzlichen Wertungen der Rechts- und Sittenordnung unvereinbar ist. Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (BGHZ 225, 316; BGH, Urteil vom 30. Juli 2020, VI ZR 5/20, Rn. 29, juris; stRspr.).
Tatsächliche Umstände, die das Handeln der Beklagten als sittenwidrig erscheinen lassen, trägt die Klägerin nicht vor. Sofern die Klägerin das Vorhandensein einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems behauptet, genügt dies allein – die Richtigkeit unterstellt – nicht, um ein vorsätzlich sittenwidriges Verhalten der Beklagten zu begründen (s.u. aa). Von den Emissionen im Realbetrieb lässt sich jedenfalls im vorliegenden Fall nicht auf das Vorhandensein einer Abschalteinrichtung in Gestalt einer Prüfstandserkennungssoftware schließen (s.u. bb). Sofern die Klägerin darüber hinaus die Existenz einer Prüfstandserkennungssoftware behauptet, ist dieser Sachvortrag als ins Blaue hinein zu qualifizieren und damit unbeachtlich (s.u. cc).
aa) Es führt nicht zu der Annahme eines vorsätzlich sittenwidrigen Verhaltens, dass die Steuerung des Emissionskontrollsystems möglicherweise auch temperaturabhängig ist. Denn eine solche Temperatursteuerung ist mit der (sittenwidrigen) Verwendung einer Prüfstandserkennungssoftware nicht zu vergleichen (BGH, Beschluss vom 09. März 2021, VI ZR 889/20). Während letztere unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abzielte und einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugerwerber in der Bewertung gleichsteht, ist der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems nicht von vornherein durch Arglist geprägt (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021, VI ZR 433/19). Sie unterscheidet nicht danach, ob sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet. Sie weist keine Funktion auf, die bei erkanntem Prüfstandsbetrieb eine verstärkte Abgasrückführung aktiviert und den Stickoxidausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert, sondern arbeitet in beiden Fahrsituationen im Grundsatz in gleicher Weise. Unter den für den Prüfzyklus maßgebenden Bedingungen (Umgebungstemperatur, Luftfeuchtigkeit, Geschwindigkeit, Widerstand etc., vgl. Art. 5 Abs. 3 a) der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 i.V.m. Art. 3 Nr. 1 und 6, Anhang III der Verordnung (EG) Nr. 692/2008 der Kommission vom 18. Juli 2008 zur Durchführung und Änderung der Verordnung 715/2007/EG (ABl. L 199 vom 28. Juli 2008, S. 1 ff.) in Verbindung mit Abs. 5.3.1 und Anhang 4 Abs. 5.3.1, Abs. 6.1.1 der UN/ECE-Regelung Nr. 83 (ABl. L 375 vom 27. Dezember 2006, S. 246 ff.) entspricht die Rate der Abgasrückführung im normalen Fahrbetrieb derjenigen auf dem Prüfstand (vgl. BGH, Beschluss vom 19.01.2021, VI ZR 433/19, Rn. 18, juris).
In diesem Zusammenhang ist es für eine Haftung aus § 826 BGB nicht maßgeblich, ob eine temperaturabhängige Steuerung („Thermofenster“) als Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 VO (EG) 715/2007 anzusehen ist (vgl. EuGH, Urteil vom 17.12.2020 - C- 693/18 - Rn. 66 ff.) und ob diese möglicherweise gemäß Art. 5 Abs. 2 Satz 2 VO (EG) 715/2007 ausnahmsweise gerechtfertigt ist. Denn jedenfalls zum (hier maßgeblichen) Zeitpunkt der Typzulassung im Jahr 2013 war die Zulässigkeit von Thermofenstern unklar (vgl. Bericht der Untersuchungskommission „Volkswagen“, S. 123; Führ, NVwZ 2017, 265; OLG Koblenz, Urteil vom 18. Januar 2021, 12 U 569/20, Rn. 32, juris). Eine Auslegung, wonach ein Thermofenster eine zulässige Abschalteinrichtung darstellt, war daher jedenfalls zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Fahrzeugs der Klägerin nicht unvertretbar. Der darin (möglicherweise) liegende Gesetzesverstoß ist für sich genommen nicht geeignet, den Einsatz dieser Steuerungssoftware durch die für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen zu lassen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021, VI ZR 433/19 Rn. 16, juris). Denn die Annahme von Sittenwidrigkeit setzt jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung des Thermofensters in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Hierfür ist jedoch nichts ersichtlich. Vielmehr hat die Klägerin - u.a. mit dem von ihm eingereichten Gutachten des Sachverständigen F… - selbst vorgetragen, dass allen beteiligten Fachleuten, Entwicklern, Aufsichts- und Prüfbehörden bekannt war, dass der (auch für das hiesige Fahrzeug geltende) NEFZ nicht geeignet ist, die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen zu überprüfen, die bei normalen Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind. Ein Handeln unter vertretbarer Auslegung des Gesetzes kann nicht als besonders verwerflich angesehen werden (OLG Koblenz, Urteil vom 18. Januar 2021, 12 U 569/20, Rn. 32, juris; OLG Brandenburg, Urteil vom 09. Juni 2021, 11 U 176/20, Rn. 30 m.w.N., juris). Auch eine lediglich fahrlässige Fehleinschätzung der rechtlichen Rahmenbedingungen - die zudem von beteiligten Fachleuten einschließlich der Genehmigungsbehörde geteilt wurde - stellt kein verwerfliches Verhalten in diesem Sinne dar. Fehlt es – wie hier - an der Verwerflichkeit, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt (vgl. BGH, Beschluss vom 15. September 2021, VII ZR 3/21). Weitere Umstände, die das Handeln der Beklagten als besonders verwerflich erscheinen lassen könnten (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021, VI ZR 433/19), sind hier jedoch nicht ersichtlich. .
Die Klägerin hat nicht hinreichend dargetan, dass die Beklagte – was ebenfalls ein Indiz für die bewusste Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sein kann – das Thermofenster im Typgenehmigungsverfahren verschleiert oder das KBA auf sonstige Weise arglistig getäuscht habe (BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021, VI ZR 433/19, Rn. 24; vgl. auch BGH, Beschluss vom 09. März 2021, VI ZR 889/20, Rn. 24, 28; OLG Düsseldorf, Urteil vom 22. Juli 2021, 22 U 97/20, Rn. 121ff., juris). Das pauschale Vorbringen, das KBA bzw. die irische Zulassungsbehörde NSAI sei von der Beklagten getäuscht worden, reicht hierfür nicht aus.
Ob die Beklagte verpflichtet war, im Typgenehmigungsverfahren Angaben zur temperaturabhängigen Arbeitsweise des Abgasrückführungssystems zu machen, lässt sich überdies nicht eindeutig feststellen. Die Beklagte trägt insoweit vor, eine detaillierte Angabe zur Funktionsweise der Abgasrückführung sei erst ab Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr. 646/2016 ab dem 16. Mai 2016 erforderlich gewesen. Erst seitdem müsse der Typgenehmigungsbehörde detailliert dargestellt werden, welche Emissionsstrategien in dem zu genehmigenden Fahrzeugtyp zum Einsatz kämen. Bei der Rechtslage zum Zeitpunkt der Beantragung der Typgenehmigung sei dies nicht erforderlich gewesen. Diese Rechtsansicht ist jedenfalls im Hinblick auf die tatsächlich erst mit der Art. 1 Nr. 4 vorgenannten Verordnung eingefügten Regelungen des Art. 5 Nr. 11 und 12 in der Verordnung (EG) Nr. 692/2008 nicht offensichtlich unvertretbar (OLG Brandenburg, Urteil vom 25. Februar 2021, 5 U 99/20, Rn. 109; OLG Düsseldorf, Urteil vom 22. Juli 2021, 22 U 97/20, Rn. 125, juris). Insoweit kann allein aus einer - unterstellt - fehlenden Angabe der Temperaturabhängigkeit der Abgasrückführung nicht geschlossen werden, dass die Beklagte einen in dem Thermofenster liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahm. Selbst wenn die Beklagte im Typgenehmigungsverfahren – erforderliche – Angaben zu den Einzelheiten der Abgasrückführung unterlassen haben sollte, wäre zudem die Typgenehmigungsbehörde gehalten gewesen, diese zu erfragen, um sich in die Lage zu versetzen, die Zulässigkeit der Abschaltvorrichtung zu prüfen (BGH, Beschluss vom 29. September 2021, VII ZR 126/21, Rn. 20 m.w.N., juris). Dies ergibt sich für das KBA als deutsche Genehmigungsbehörde aus dem Amtsermittlungsgrundsatz gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwVfG. Für die irische Genehmigungsbehörde NSAI, die nach dem unstreitigen Vortrag die Genehmigung für den Motor erteilt hat, gilt nichts anderes, da diese ebenfalls von Amts wegen alle Möglichkeiten zur Ermittlung der Umstände auszuschöpfen hat, von denen die Anwendung der gemeinschaftlichen Bestimmungen – hier der VO (EG) 715/2007 - im Einzelfall abhängt (vgl. EuGH, Urteil vom 21. September 1983, C 205/82, Rn. 35 „Deutsche Milchkontor“; Schneider in: Schoch/Schneider, VwVfG, Stand: Juli 2020, § 24 VwVfG, Rn. 21; Senat, Urteil vom 22. Dezember 2021, 4 U 19/21, Rn. 47, juris). Anhaltspunkte für wissentlich unterbliebene oder unrichtige Angaben der Beklagten im Typgenehmigungsverfahren, die noch dazu auf ein heimliches und manipulatives Vorgehen oder eine Überlistung des KBA und damit auf einen bewussten Gesetzesverstoß hindeuten würden, legt die Klägerin mithin nicht dar.
Dem Antrag der Klägerin, gemäß § 142 ZPO von der Beklagten, hilfsweise der NSAI die Antragsunterlagen anzufordern, ist aus den vorstehenden Gründen ebenfalls nicht zu entsprechen. Die bloße Vermutung von Falschangaben rechtfertigt die Anordnung der Vorlage von Unterlagen nicht (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 22. Juli 2021, 22 U 97/20, Rn. 126f., juris).
bb) Die Überschreitung der zulässigen Grenzwerte für Stickoxide im Realbetrieb bei Einhaltung der Grenzwerte im Prüfstandsbetrieb ist als solche grundsätzlich nicht geeignet, den Rückschluss auf eine unzulässige Abschalteinrichtung zu ziehen (OLG Hamm, Urteil vom 29. Juni 2021, I-13 U 434/20). Vielmehr ist bei der in Rede stehenden Schadstoffklasse Euro 5 die Überschreitung der Prüfstandswerte im Realbetrieb ein normaler Umstand, der deshalb allein nicht als Indiz für das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung dienen kann (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 19. Januar 2021, 16a U 196/19, juris Rn. 59 ff.). Denn die Überschreitung der Grenzwerte im Realbetrieb kann darauf zurückzuführen sein, dass der Motor im realen Fahrbetrieb aufgrund der konkreten Verkehrsverhältnisse deutlich mehr Schadstoffe emittiert als in einem zu Vergleichszwecken festgestellten, standardisierten Fahrzyklus auf dem Prüfstand. Insbesondere das Maß der Stickoxid-Emissionen ist von der Brenntemperatur und diese wiederum von der Außentemperatur abhängig, weshalb die Prüfstandsmessung in einem bestimmten Temperaturbereich erfolgen muss. Die Prüfstandbedingungen des NEFZ entsprechen explizit nicht den Realbedingungen, sondern bilden lediglich - wie auch der von der Klägerin zitierte Gutachter F… betont - Minimalanforderungen für eine Zulassung.
Die von der Klägerin aufgeführten Messungen von (möglicherweise) vergleichbaren Fahrzeugen (N47, Euro 5) sind vor diesem Hintergrund nicht geeignet, übermäßige Stickoxid-Emission des streitgegenständlichen Fahrzeugs zu begründen. Aus dem Abschlussbericht der Untersuchungskommission Volkswagen ergeben sich schon keine erhöhten Emissionen. Vielmehr werden die Emissionen bei dem als Vergleichsfahrzeug einzig in Betracht kommenden BMW 320d 2.0 Euro 5 als „unauffällig“ bezeichnet (S. 26 des Abschlussberichts, Anlagenband Berufungsbegründung, Bl. 9). Die Messungen der TU Graz (zitiert im Gutachten B…, Bl. 1R Anlagenband zum Schriftsatz 29.03.2021) erfolgten unter Verwendung eines anderen Testzykluses (CADC) und bei betriebswarmem Motor und kommen zu einer höchstens 3,6-fachen Überschreitung des NOx-Grenzwerts bei Fahrten innerorts. Die zitierten Messungen der DUH (Bl. 76 Anlageband zum Schriftsatz 29.03.2021) erfolgten ebenfalls unter anderen Bedingungen (RDE) und weisen für den (möglicherweise) in Betracht kommenden Vergleichstyp (BMW 320d xDrive Touring, Euro 5) eine lediglich 3-fache Überschreitung unter Realbedingungen auf. Da die Messungen unter anderen Bedingungen erfolgten, ist die Überschreitung der Prüfstandsgrenzwerte zu erwarten (vgl. BGH, Beschluss vom 15. September 2020, VII ZR 2/21, Rn. 30, juris). Schließlich blieben auch die Messungen des KBA unter Prüfstandsbedingungen (NEFZ) innerhalb der gesetzlichen Grenzwerte. Eine Abweichung zwischen Real- und Prüfstandsbetrieb, die derart erheblich ist, dass sie für sich genommen schon als greifbarer Anhaltspunkt für die Existenz einer Prüfstandserkennungssoftware dienen könnte (vgl. BGH, Beschluss vom 25. November 2021, III ZR 202/20: 9,7-fache Überschreitung), ist hier jedenfalls nicht ersichtlich. Die weiteren angeführten Messungen betreffen - soweit feststellbar - Fahrzeuge mit anderem Motortyp bzw. der Abgasnorm Euro 6 und sind schon deshalb hier nicht vergleichbar.
cc) Soweit die Klägerin darüber hinaus das Vorhandensein einer Prüfstandserkennungssoftware („Hard-Cycle-Beating“) behauptet, handelt es sich um eine unbeachtliche Behauptung ins Blaue hinein. Denn tatsächlich gibt es keine greifbaren Anhaltspunkte für die Existenz einer solchen Software in dem streitgegenständlichen Fahrzeug, die etwa mit der Umschaltlogik bei den VW-Motoren EA 189 vergleichbar wäre. Die Klägerin argumentiert im Kern, dass wegen der erhöhten Emissionen im Realbetrieb auch eine Prüfstandserkenungssoftware vorhanden sein muss. Wie bereits dargestellt (s.o. bb), sind die höheren Emissionen im Realbetrieb jedoch erwartbar und daher für sich genommen kein Hinweis auf eine Prüfstandserkennungssoftware. Die von der Klägerin ins Feld geführte Bekanntmachung der EU-Kommission vom 26. Januar 2017 (“Leitlinien“) bezieht sich auf die Entdeckung von möglichen Abschalteinrichtungen im Sinne von Art. 5 VO (EG) 715/2007, die mit einer Prüfstandserkennungssoftware nicht gleichzusetzen sind. Aus der - unterstellten - Existenz einer Abschalteinrichtung (vgl. oben aa) zum Thermofenster) lässt sich der Schluss auf die Existenz einer mit einer Umschaltlogik versehenen Software, die ihrerseits den Schluss (auch) auf ein Bewusstsein der für die Beklagte handelnden Personen von der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung zuließe, nicht ziehen.
Auch die weiteren von der Klägerin vorgetragenen Umstände, die nach ihrer Auffassung auf eine Prüfstanderkennungssoftware hindeuten, erweisen sich in dieser Hinsicht jedoch nicht als tragfähig: Kein taugliches Indiz für den vorliegenden Fall ist, dass ein anderer Motortyp (N57) desselben Herstellers von einem Rückruf betroffen war. Die von Klägerseite vorgelegten Gutachten F… und B… stützen die Annahme der Klägerin, dass erhöhte Emissionen im Realbetrieb auf eine Prüfstandserkennungssoftware hinweisen, gerade nicht. Denn beide Gutachter weisen darauf hin, dass die Stickoxidemissionen auf dem Prüfstand lediglich einen Mindeststandard widerspiegeln und die Stickoxidemissionen im Realbetrieb schon aufgrund anderer Fahrbedingungen deutlich darüber hinausgehen. Die öffentliche Äußerung des früheren Vorstandsmitglieds der Beklagten, H… D…, zur Existenz einer Abschaltvorrichtung mit der Bezeichnung „14/15-V“, ist unerheblich. Denn es ist nicht erkennbar, um welche Art von Abschaltvorrichtung es sich handeln soll und welche Motortypen davon betroffen sind. Die behauptete Funktion des Kaltaufheizens des NOx-Speicherkatalysators betrifft den hier streitgegenständlichen Motortyp nicht. Denn dieser ist nicht mit einem solchen Katalysator ausgestattet, so dass auch die Funktion des Kaltaufheizens im Fahrzeug der Klägerin nicht implementiert sein kann.
dd) Unerheblich ist auch die Behauptung der Klägerin, eine weitere Manipulation erfolge über das Diagnosesystem des Fahrzeugs (On-Board-Diagnose System, OBD), das trotz deutlich erhöhter NOx-Werte im realen Fahrbetrieb ihres Fahrzeugs keinen Fehler melde. Hierin liegt weder unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 noch eine für ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten sprechende Funktion.
(a) Eine Abschalteinrichtung liegt schon deshalb nicht vor, weil das OBD unstreitig die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems selbst weder aktiviert, verändert, verzögert noch deaktiviert i.S.d. Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 (vgl. Senat, Urteil vom 12.05.2021, 4 U 34/20, Rn. 67, juris).
(b) Die weitergehende Behauptung der Klägerin, die Beklagte habe in das OBD eingegriffen, damit dieses keine Fehlermeldung bei der unzureichenden Abgasreinigung anzeige, indiziert kein sittenwidriges Verhalten der Beklagten. Das Diagnosesystem soll Fehlfunktionen der Emissionskontrollsysteme erkennen und melden. Seine Funktionsweise ist auch nach dem Vortrag der Klägerin stets unmittelbar verknüpft mit dem Vorhandensein einer - zulässigen oder unzulässigen - Abschalteinrichtung. Hat der Hersteller eine aus seiner Sicht zulässige Abschalteinrichtung verbaut, wird das OBD, wenn dieses greift, eine Fehlfunktion der Abgasreinigung nicht anzeigen, weil aus Sicht des Herstellers keine Fehlfunktion vorliegt. Hat der Hersteller bewusst eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut, stellt sich die Programmierung des OBD dahin, Fehlfunktionen bei Wirksamwerden der unzulässigen Abschalteinrichtung nicht anzuzeigen, als notwendiger Teilbeitrag zum Verheimlichen der unzulässigen Abschalteinrichtung dar. Eine eigenständige Bedeutung als Indiz für eine bewusste Manipulation des Fahrzeugemissionssystems kommt den behaupteten Eigenschaften des OBD daher nicht zu (vgl. Senat, a.a.O., Rn. 68, juris).
(c) Soweit die Klägerin argumentiert, die Existenz eines veränderten OBD indiziere die Existenz einer Prüfstandserkennungssoftware, ist das Argument zirkulär und die Behauptung eines veränderten OBD ebenso als ins Blaue hinein zu qualifizieren.
ee) Schließlich fehlt es an dem erforderlichen Schädigungsvorsatz. Der Handelnde muss die Schädigung des Anspruchstellers gekannt beziehungsweise vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen, jedenfalls aber für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen haben. Es genügt nicht, wenn die relevanten Tatumstände lediglich objektiv erkennbar waren und der Handelnde sie hätte kennen können oder kennen müssen oder sie sich ihm sogar hätten aufdrängen müssen; in einer solchen Situation ist lediglich ein Fahrlässigkeitsvorwurf gerechtfertigt (BGH, Beschluss vom 15. September 2021, VII ZR 2/21). Aus einer (möglichen) rechtlichen Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung in Form des Thermofensters folgt kein Vorsatz hinsichtlich der Schädigung der Fahrzeugkäufer. Angesichts des Umstandes, dass das Fahrzeug der Klägerin nicht von einem Rückruf betroffen ist, kann bisher nicht davon ausgegangen werden, dass die von der Beklagten gewählte Regulierung der Abgasrückführung rechtlich unzulässig wäre. Dann liegt es jedoch fern zunehmen, den für die Beklagte tätigen Personen hätte sich die Gefahr einer Schädigung der Klägerin aufdrängen müssen.
b) Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 der VO (EG) Nr. 715/2007 bestehen mangels rechtlicher Qualifikation als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB nicht (BGH, Urteil vom 30. Juli 2020, VI ZR 5/20).
3. Ein Anspruch auf Deliktszinsen (§ 849 BGB) besteht nicht. Einer Anwendung des § 849 BGB steht schon entgegen, dass die Klägerin als Gegenleistung für die Hingabe des Kaufpreises ein in tatsächlicher Hinsicht voll nutzbares Fahrzeug erhielt (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 30. Juli .2020, VI ZR 354/19, Rn. 17 ff., juris).
4. Einen Anspruch auf Feststellung, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des streitgegenständlichen Fahrzeugs im Annahmeverzug befand, hat die Klägerin mangels Bestehens eines Hauptanspruchs nicht.
5. Der geltend gemachte Nebenanspruch auf Erstattung ihm entstandener außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten teilt das Schicksal der Hauptforderung.
6. Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 97, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
7. Eine Revisionszulassung ist nicht veranlasst, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), noch die Revision zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen ist (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
8. Die Streitwertfestsetzung für das Berufungsverfahren erfolgte nach §§ 47 Abs. 1 48 Abs. 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO.