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Entscheidung 3 O 121/20


Metadaten

Gericht LG Cottbus 3. Zivilkammer Entscheidungsdatum 27.04.2021
Aktenzeichen 3 O 121/20 ECLI ECLI:DE:LGCOTTB:2021:0427.3O121.20.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Klage ist dem Grunde nach gerechtfertigt.

Tatbestand

Die Klägerin verlangt Schadensersatz mit der Begründung, dass der Beklagte ihrer am 16.02.2017 geborenen Tochter ............. keinen Betreuungsplatz in einer Kindertageseinrichtung zur Verfügung gestellt hat und die Klägerin deshalb vorübergehend ihrer beruflichen Tätigkeit nicht nachgehen konnte.

Am 11.07.2017 stellte die Klägerin den Antrag, ihrer Tochter ab dem 01.04.2018 einen Betreuungsplatz in einer Kita zur Verfügung zu stellen.

Mit Bescheid vom 07.09.2017 stellte die Stadt ………………….. einen Betreuungsanspruch der Tochter der Klägerin im Umfang von bis zu 6 Stunden täglich ab dem 16.02.2018 fest.

Mit ebenfalls vom 07.09.2017 datierenden Schreiben teilte die Stadt …………………. der Klägerin mit, eine Entscheidung über den Antrag auf Zuweisung eines Kitaplatzes werde voraussichtlich erst 3 Monate vor Aufnahmebeginn erfolgen können. Die Klägerin wurde darauf hingewiesen, dass Ihrem Wunsch hinsichtlich der Unterbringung des Kindes in der von ihr ausgewählten Kindertagesstätte nur im Rahmen der verfügbaren Kapazitäten entsprochen werden könne. Aufgrund der angespannten Situation im Hinblick auf freie Betreuungsplätze innerhalb des Stadtgebietes von ……………………. wurde ihr angeraten, sich unabhängig von der Antragstellung bei Einrichtungen in freier Trägerschaft sowie Tagespflegestellen innerhalb und Betreuungseinrichtungen außerhalb der Stadt ......................... um einen Betreuungsplatz zu bemühen.

Mit Schreiben vom 17.01.2018 teilte die Stadt .........................der Klägerin mit, dass die Tochter der Klägerin voraussichtlich erst im Sommer 2018 mit einem Kindergartenplatz versorgt werden könne.

Mit Schreiben vom 31.03.2018 wies die Stadt .........................der Tochter der Klägerin einen Betreuungsplatz ab August 2018 zu.

Die Klägerin wurde im Zeitraum vom 16.04.2018 bis zum 30.06.2018 von ihrem Arbeitgeber freigestellt, damit sie ihre Tochter zu Hause betreuen kann. Arbeitsentgelt erzielte die Klägerin in dieser Zeit nicht. Die Klägerin behauptet, dass sie, wenn sie nicht zur Betreuung ihrer Tochter freigestellt gewesen wäre, bei einem monatlichen Nettoeinkommen i. H. v. 2775,03 € in dem genannten Zeitraum Einnahmen i. H. v. 5550,06 € erzielt hätte. Dieser Höhe verlangt sie Schadensersatz vom Beklagten.

Örtlicher Träger der Jugendhilfe ist für ......................... der beklagte Landkreis. Aus einem anderen Verfahren (3 O 61/19) ist gerichtsbekannt, dass der Beklagte mit öffentlich-rechtlichem Vertrag vom 30.08.2004 gemäß § 12 Abs. 1 Brdbg. KitaG die aus dem Brdbg. KitaG resultierenden Aufgaben für das Gebiet der Stadt ......................... auf diese übertragen hat.

Weiter verlangt die Klägerin Freistellung von der Verpflichtung zur Zahlung vorprozessualer Rechtsanwaltskosten, die aus einem Gegenstandswert von 5550,06 € und einem Gebührensatz von 1,8 berechnet wurden.

Die Klägerin beantragt,

 1. den Beklagten zu verurteilen, an sie 5.550,06 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 26.08.2019 zu zahlen

 2. den Beklagten zu verurteilen, die Klägerin von ihren außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten i.H.v. 782,07 € gegenüber ihren Prozessbevollmächtigten freizustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Hinsichtlich etwaiger Ansprüche aus dem StHG erhebt der Beklagte die Einrede der Verjährung.

Der Beklagte meint, einem Schadensersatzanspruch stehe entgegen, dass die Klägerin bzw. deren Tochter es unterlassen hat, Primärrechtsschutz in Anspruch zu nehmen. Sie meint, dass ein Antrag nach § 123 VwGO Erfolg gehabt hätte. Unzureichende Betreuungskapazitäten hätten dem Erfolg eines Antrags nicht entgegengestanden weil zuständige Träger der öffentlichen Jugendhilfe gehalten sei, ausreichende Kapazitäten zu schaffen.

Der Beklagte bestreitet den behaupteten Nettoverdienstausfall der Höhe nach.

Der Beklagte meint, die Klägerin müsse sich ersparte Eigenaufwendungen der häuslichen Unterbringung des Kindes anrechnen lassen. Unter anderem habe die Klägerin Fahrtkosten zur Arbeitsstelle und zur Kita erspart.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist dem Grunde nach gerechtfertigt aus § 839 BGB.

1. Der Beklagte hat seine Pflicht, der Tochter der Klägerin einen Betreuungsplatz zur Verfügung zu stellen, verletzt.

Diese Pflichtverletzung erfolgte auch schuldhaft. Dem steht insbesondere nicht die Annahme entgegen, dass in dem hier in Rede stehenden Zeitraum von Mitte April bis Ende Juni 2018 eine ausreichende Anzahl an Betreuungsplätzen nicht zur Verfügung stand. Der Beklagte ist nämlich verpflichtet, zur Erfüllung seiner aus dem Gesetz resultierenden Ansprüche eine ausreichende Anzahl von Betreuungsplätzen zu schaffen. Wenn ihm dies nicht gelungen ist, indiziert dies das Verschulden. Umstände, die dem Verschulden entgegenstünden, hat der Beklagte nicht vorgebracht.

2. Dem hieraus resultierenden Schadensersatzanspruch der Klägerin steht nicht entgegen, dass der Betreuungsanspruch nicht ihr, sondern ihrer Tochter zustand. Zur näheren Begründung kann die Ausführungen im Urteil des BGH vom 20.10.2016 (III ZR 278/15, dort ab Rn. 20) Bezug genommen werden, denen sich das Gericht anschließt.

3. Dem Anspruch der Klägerin steht auch nicht entgegen, dass die Klägerin den Betreuungsbedarf für Ihre Tochter nicht beim Beklagten, sondern bei der Stadt ......................... angemeldet hat. Der Beklagte hat seine Aufgaben durch öffentlich-rechtlichen Vertrag gemäß § 12 Abs. 1 S. 2 Brdbg. KitaG auf die Stadt ......................... übertragen. Deshalb hat er sich das Verhalten der Stadt .........................wie eigenes Verhalten zurechnen zu lassen, soweit die Stadt ......................... für ihn in der durch den Anspruch auf einen Kitaplatz oder jedenfalls durch die Geltendmachung dieses Anspruches durch Anmeldung des Betreuungsbedarfs begründeten Rechtsbeziehung tätig geworden ist. Insoweit ist die Stadt .........................nämlich als Erfüllungsgehilfin des Beklagten anzusehen, sodass sich die Zurechnung aus § 62 S. 2 VwVfG i. V. m. § 278 BGB ergibt. Der Beklagte musste sich nicht nur zurechnen lassen, dass die Stadt ......................... der Tochter der Klägerin keinen Betreuungsplatz zur Verfügung gestellt hat, sondern auch – soweit dies schadensursächlich geworden sein sollte – dass die Stadt ......................... den Beklagten nicht von dem durch sie selbst nicht erfüllbaren Betreuungsbedarf informiert und dadurch verhindert hat, dass der Beklagte selbst für die Erfüllung des Betreuungsanspruchs sorgt.

4. Dem Anspruch der Klägerin steht nicht entgegen, dass sie bzw. ihre Tochter Primärrechtsschutz nicht in Anspruch genommen haben.

a. Voraussetzung für den Anspruchsausschluss nach § 839 Abs. 3 BGB ist unter anderem, dass der Gebrauch eines Rechtsmittels zur Abwendung des Schadens geführt hätte. Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass der Gebrauch eines Rechtsmittels dazu hätte führen müssen, dass der Tochter der Klägerin zur vollständigen Vermeidung des Schadens spätestens am 16.04.2018 bzw. zur zumindest teilweisen Vermeidung des Schadens spätestens am 30.06.2018 ein Betreuungsplatz zur Verfügung steht. Ein solcher hypothetischer Kausalverlauf ist vorliegend nicht mit der erforderlichen Gewissheit festzustellen.

Zunächst ist zu berücksichtigen, dass – anders als beispielsweise im Falle einer Anfechtungsklage gegen einen belastenden Verwaltungsakt – in der vorliegenden Fallkonstellation nicht schon eine gerichtliche Entscheidung den Schaden vermieden hätte. Hätte nämlich ein Urteil oder Beschluss des zuständigen Verwaltungsgerichts den Beklagten verpflichtet, der Tochter der Klägerin einen Betreuungsplatz zur Verfügung zu stellen, so wäre allein durch diese Entscheidung die Betreuung der Tochter der Klägerin noch nicht gesichert gewesen. Es hätte vielmehr der Umsetzung dieser Entscheidung durch den Beklagten bedurft.

Dass der Beklagte der Tochter der Klägerin nicht ohne dahingehende gerichtliche Entscheidung einen Betreuungsplatz zur Verfügung gestellt hat, ist nur dadurch zu erklären, dass in dem hier in Rede stehenden Zeitraum kein Betreuungsplatz frei war. Die für den Beklagten handelnde Stadt ......................... hatte nämlich mit Bescheid vom 07.09.2017 den Betreuungsanspruch der Tochter der Klägerin ausdrücklich festgestellt. Die Richtigkeit dieser Feststellung hat der Beklagte auch im vorliegenden Verfahren nicht in Frage gestellt. Die Erfüllung des Betreuungsanspruchs ist also offensichtlich nicht deshalb unterblieben, weil der Beklagten bzw. der für die Beklagte handelnde Stadt ......................... nicht bewusst war, dass die Tochter der Klägerin einen Betreuungsanspruch hat. Vor diesem Hintergrund kommt als Grund für die Nichterfüllung dieses Anspruches lediglich das Fehlen eines freien Betreuungsplatzes in Betracht. Einen anderen Grund hat auch der Beklagte im Verfahren nicht vorgetragen.

Es ist offensichtlich, dass eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtes keine unmittelbare Auswirkung auf die Anzahl der zur Verfügung stehenden Betreuungsplätze oder der berechtigten Kinder gehabt hätte.

Das Gericht sieht auch keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine tatsächliche Vermutung dahingehend, dass der Beklagte in Reaktion auf eine solche gerichtliche Entscheidung der Tochter der Klägerin ab dem 16.04.2018 oder jedenfalls vor dem 30.06.2018 einen Betreuungsplatz hätte zur Verfügung stellen können. Man kann zwar grundsätzlich annehmen können, dass eine Körperschaft des öffentlichen Rechts sich nach Kräften bemüht, gerichtlichen Entscheidungen Folge zu leisten. Ebenso darf man erwarten, dass eine Körperschaft des öffentlichen Rechts nach Kräften bemüht ist, gesetzlich begründete Ansprüche zu erfüllen, auch wenn keine entsprechende gerichtliche Entscheidung ergangen ist. Letzteres gilt jedenfalls dann, wenn – wie es hier der Fall war – die betreffende Körperschaft sich des Bestehens des Anspruchs bewusst ist. Zur Erfüllung des Betreuungsanspruches der Tochter der Klägerin hätte es jedoch nicht genügt, dass der Beklagte sich hierum bemüht, erforderlich ist auch, dass der Beklagte zur Erfüllung tatsächlich in der Lage ist. Diese faktische Möglichkeit hat der Beklagte nicht plausibel dargelegt. Dabei ist wiederum zu berücksichtigen, dass die faktischen Möglichkeiten des Beklagten durch eine gerichtliche Entscheidung nicht erweitert worden wären. Wenn also der Beklagte nach einer gerichtlichen Entscheidung zugunsten der Tochter der Klägerin in der Lage gewesen wäre, einen Betreuungsplatz zur Verfügung zu stellen, dann hätte die gleiche Möglichkeit auch ohne eine solche gerichtliche Entscheidung bestanden. In diesem Falle wäre von einer um die Erfüllung ihrer gesetzlichen Verpflichtungen bemühten Körperschaft des öffentlichen Rechtes zu erwarten gewesen, dass sie ihre Möglichkeiten ausschöpft, auch ohne dass zuvor ein Gericht den dahingehenden Anspruch – der der Beklagten bewusst war – bestätigt. Der Beklagte hat – trotz dahingehender Aufforderung in der Ladungsverfügung vom 26.11.2020 – nicht erläutert, warum er die Maßnahmen, die er nach einer gerichtlichen Entscheidung zur Erfüllung des Betreuungsanspruches ergriffen hätte, nicht auch ohne eine gerichtliche Entscheidung ergriffen hat. Er hat lediglich darauf hingewiesen, dass in diesem Falle der „Zwang, eine gerichtliche Entscheidung umzusetzen“, nicht vorgelegen hätte. Das ist sicherlich richtig, erklärt aber nicht, warum der Beklagte es unterlassen hat, sich entsprechend dem gesetzlichen „Zwang“ zu verhalten. Unter der Prämisse, dass der Beklagte im Jahr 2018 bemüht war, sich rechtmäßig zu verhalten, ist dies nur damit zu erklären, dass ihm die Erfüllung des Betreuungsanspruches faktisch nicht möglich war.

Das Gericht sieht keine hinreichende Grundlage für eine tatsächliche Vermutung dahingehend, dass dem Beklagten die Erfüllung des Betreuungsanspruches der Tochter der Klägerin trotz offensichtlich unzureichender Kapazitäten möglich gewesen wäre. Dem steht schon entgegen, dass der Beklagte nicht dargelegt hat, welche der verschiedenen jedenfalls theoretisch in Betracht kommenden Maßnahmen zur Erfüllung des Betreuungsbedarfes der Tochter der Klägerin bei insgesamt unzureichender Kapazität er ergriffen hätte. Das Gericht sieht sich außerstande, in tatsächlicher Hinsicht zu vermuten, dass es dem Beklagten „irgendwie“ gelungen wäre, der Tochter der Klägerin einen Betreuungsplatz so rechtzeitig zur Verfügung zu stellen, dass der hier geltend gemachte Schaden der Klägerin vermieden worden wäre. Eine tatsächliche Vermutung ist eine prozessual zulässige Methode der Tatsachenfeststellung. Prozessual entspricht sie damit einer Beweisaufnahme, was nicht zuletzt dadurch zum Ausdruck kommt, dass man im Zusammenhang mit der tatsächlichen Vermutung auch von einem Anscheinsbeweis spricht. Deshalb setzt auch eine tatsächliche Vermutung wie eine Beweisaufnahme den substantiierten Vortrag der (hier: durch Vermutung) festzustellenden Tatsachen durch die beweisbelastete Partei voraus. An einer solchen substantiierten Darlegung des hypothetischen Kausalverlaufes fehlt es vorliegend aber, denn der Beklagte hat nicht dargelegt, welche konkreten Maßnahmen er zur Erfüllung des Betreuungsbedarfes der Tochter der Klägerin ergriffen hätte und ab wann gegebenenfalls der Betreuungsanspruch erfüllt worden wäre.

In zeitlicher Hinsicht ist Folgendes zu berücksichtigen:

Das Gericht hat den Beklagten mit Verfügung vom 26.11.2020 unter anderem aufgefordert zu erklären, ob er schon die Einleitung eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens oder erst eine zugunsten der Tochter der Klägerin ergangene Entscheidung zum Anlass genommen hätte, nunmehr den Betreuungsanspruch zu erfüllen. Der Beklagte hat diese Frage nicht ausdrücklich beantwortet, er hat allerdings im Schriftsatz vom 22.01.2021 unter anderem mit seiner Verpflichtung argumentiert, eine gerichtliche Entscheidung umzusetzen. Daraus kann der Schluss gezogen werden, dass der Vortrag des Beklagten dahin geht, dass er nicht schon auf die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens, sondern erst auf eine gerichtliche Entscheidung reagiert hätte. Um festzustellen, ob eine solche Reaktion auf eine hypothetische gerichtliche Entscheidung den Eintritt des Schadens ganz oder zumindest teilweise verhindert hätte, müsste zunächst festgestellt werden, bis zu welchem Zeitpunkt eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts ergangen wäre, wenn die Klägerin bzw. deren Tochter verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch genommen hätte. Dabei kann hier angenommen werden, dass dies gegebenenfalls zeitnah nach dem 17.01.2018 hätte geschehen müssen, denn unter diesem Datum hat die Stadt ......................... der Klägerin mitgeteilt, dass mit der Zurverfügungstellung eines Kitaplatzes erst im Sommer 2018 gerechnet werden könne. Ausgehend von der Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens in der 2. Januarhälfte müsste also zunächst prognostiziert werden, bis zu welchem Zeitpunkt eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts ergangen wäre.

Die Feststellung dieses hypothetischen Zeitpunktes der gerichtlichen Entscheidung ist notwendiger Teil der Feststellung eines den Schaden vermeidenden hypothetischen Kausalverlaufes. Es ist offensichtlich, dass ein Verdienstausfallschaden ab Mitte April 2018 nicht vollständig verhindert worden wäre, wenn der Beklagte eine beispielsweise im Mai 2018 ergehende gerichtliche Entscheidung zum Anlass genommen hätte, den Betreuungsanspruch zu erfüllen.

Da dem Beklagten die Darlegung eines den Schaden vermeidenden hypothetischen Kausalverlaufes obliegt, obliegt ihm auch die Darlegung, zu welchem Zeitpunkt mit einer gerichtlichen Entscheidung zu rechnen gewesen wäre, wenn die Klägerin bzw. deren Tochter den Betreuungsanspruch im gebotenen Zeitpunkt (hier angenommen: Zeitnah nach dem 17.01.2018) geltend gemacht hätte. Selbstverständlich kann von den Beklagten nicht erwartet werden, exakt darzulegen, wann in einem hypothetischen Verfahren eine Entscheidung ergangen wäre. Vom Beklagten kann aber erwartet werden, dass er zumindest einen realistischen Zeitraum nennt. Der Beklagte ist mit Sicherheit Partei einer Vielzahl von Verfahren – auch Eilverfahren – vor dem für ihn örtlich zuständigen Verwaltungsgericht. Der Beklagte muss daher in der Lage sein, zu den unter normalen Umständen zu erwartenden Verfahrenslaufzeiten vorzutragen. Der Beklagte hat hierzu jedenfalls bessere Kenntnis, als dieses Gericht.

Wenn man hingegen annimmt, dass es objektiv nicht mit hinreichender Sicherheit möglich ist, den hypothetischen Zeitpunkt einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung einzuschätzen, dann führt dies zu der Erkenntnis, dass es nicht möglich ist, einzuschätzen, in welchem Zeitpunkt der Beklagte auf eine solche Entscheidung reagiert hätte. Dementsprechend ist es dann nicht möglich, positiv festzustellen, dass diese hypothetische Reaktion des Beklagten dazu geführt hätte, dass der geltend gemachte Schaden ganz oder teilweise vermieden worden wäre. Die Voraussetzungen des Anspruchsausschlusses nach § 839 Abs. 3 BGB wären dann objektiv nicht feststellbar.

Für die Feststellung, dass bei gerichtlicher Geltendmachung des Betreuungsanspruches der Schaden ganz oder teilweise vermieden worden wäre, ist die Feststellung des Zeitpunktes, in dem eine gerichtliche Entscheidung ergangen wäre, erforderlich, aber nicht ausreichend. Hinzu kommt noch der Zeitraum, den der Beklagte benötigt hätte, um in Reaktion auf die gerichtliche Entscheidung tatsächlich einen Betreuungsplatz zur Verfügung zu stellen. Dieser Zeitraum kann schon deshalb nicht abgeschätzt werden, weil der Beklagte nicht dargelegt hat, welche konkreten Maßnahmen er ergriffen hätte. In seinem Urteil vom 21.01.2021 (2 U 104/20, Berufungsurteil zum Urteil Landgericht Cottbus 3 O 61/19) nennt das Brandenburgische Oberlandesgericht verschiedene potenzielle Maßnahmen, die der Beklagte hätte ergreifen können. Es liegt auf der Hand, dass die dort erwähnte Anmietung weiterer Räumlichkeiten und Einstellung weiteren Betreuungspersonals nicht „von heute auf morgen“ möglich gewesen wäre. Die Anmietung von Räumlichkeiten als solche mag relativ kurzfristig denkbar sein, für die Einrichtung einer Kindertagesstätte braucht man jedoch mehr als nur Räume. Soweit das Brandenburgische Oberlandesgericht die Möglichkeit der Umorganisation nennt, vermag das Gericht nicht nachzuvollziehen, welche konkreten Maßnahmen damit gemeint sind. Die ebenfalls erwähnte Aufstockung von Platzzahlen kann einerseits durch Schaffung neuer Räumlichkeiten und Einstellung neuen Personals erfolgen, dazu wurde oben bereits ausgeführt. Dass die ebenfalls zu einer Erhöhung der Platzzahlen führende, a. a. O. genannte Inkaufnahme eines höheren Betreuungsschlüssels rechtlich zulässig gewesen wäre, ist dem Vortrag des Beklagten nicht zu entnehmen.

Das Gericht hält an der bereits im Verfahren 3 O 61/19 zum Ausdruck gebrachten Rechtsauffassung fest, dass es dem Schadensersatzanspruch nicht gemäß § 839 Abs. 3 BGB entgegenstünde, wenn der Beklagte eine zugunsten der Tochter der Klägerin ergangene verwaltungsgerichtliche Entscheidung zum Anlass genommen hätte, die Tochter der Klägerin in einer Warteliste „aufrücken“ zu lassen, d. h. ihren Betreuungsbedarf zu Lasten eines anderen bereits länger wartenden Kindes zu erfüllen. Dadurch würde nämlich der Schaden durch rechtswidrige Nichterfüllung des Betreuungsanspruches nicht verhindert, sondern lediglich auf ein anderes Kind bzw. ein anderes Elternteil verlagert. Das Brandenburgische Oberlandesgericht vertritt hierzu in seinem Urteil vom 21.01.2021 (2 U 104/20) die Auffassung, dass diese Verlagerung des Schadens unerheblich sei, denn es sei allein auf den tatsächlich eingetretenen Schaden abzustellen. Dieser Rechtsauffassung folgt das Gericht nicht. Zwar ist die Annahme, es komme für § 839 Abs. 3 BGB allein darauf an, ob der konkret eingetretene Schaden vermieden worden wäre, mit dem Wortlaut der Norm vereinbar, nach hiesiger Auffassung jedoch nicht mit ihren Zweck. Dieser Zweck besteht nämlich nicht darin, den Hoheitsträger vor Schadensersatzansprüchen aufgrund (hier: bewusst) pflichtwidrigen Verhaltens zu schützen. Die Vorschrift soll vielmehr dafür Sorge tragen, dass die Vermeidung amtspflichtwidrigen Verhaltens und hieraus resultierender Schäden Vorrang hat vor dem Ausgleich von Schäden. Dieser Zweck würde nicht erreicht, sondern im Gegenteil verfehlt, wenn der pflichtwidrig handelnde Hoheitsträger einen Schadensersatzanspruch dadurch vermeiden könnte, dass er sich darauf beruft, dass er im Falle eines Rechtsmittels eine gleichartige amtspflichtwidrige Handlung nicht gegenüber dem Rechtsmittelführer sondern gegenüber einer anderen Person vorgenommen hätte.

Unabhängig davon, bestehen auch Zweifel, ob es rechtlich zulässig wäre, ein Kind gegenüber einem anderen, schon länger auf einen Betreuungsplatz wartenden Kind allein deshalb zu bevorzugen, weil das eine Kind seinen Anspruch gerichtlich geltend gemacht hat, dass andere jedoch nicht. Wenn der Träger der Jugendhilfe einer unzureichenden Betreuungskapazität dadurch Rechnung trägt, dass er eine Warteliste führt, d. h. dass er die Wartezeit zum Kriterium für die Zuteilung eines Betreuungsplatzes macht, dann tritt hierdurch eine Selbstbindung ein, mit der Folge, dass der Träger der Jugendhilfe von dieser Verfahrensweise nicht ohne sachlichen Grund abweichen darf. Der Umstand, dass ein Kind seinen Anspruch gerichtlich geltend gemacht hat, ist jedoch kein sachlicher Grund, der seine Bevorzugung gegenüber anderen, schon länger wartenden Kindern rechtfertigen würde. Durch die gerichtliche Entscheidung erlangt der Betreuungsanspruch dieses Kindes nämlich keinen höheren Wert oder Rang als der Betreuungsanspruch der anderen Kinder. Der Anspruch ergibt sich nämlich unmittelbar aus dem Gesetz, nicht erst aus der gerichtlichen Entscheidung.

Es widerspräche allgemeinen Rechtsgrundsätzen, wenn der Beklagte sich darauf berufen dürfte, dass er im Falle gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs der Tochter der Klägerin diese rechtswidrig gegenüber anderen Kindern bevorzugt hätte.

Da der Beklagte jedoch weder vorträgt, dass er eine solche Warteliste führt, noch dass er in Reaktion auf eine gerichtliche Entscheidung zugunsten der Tochter der Klägerin diese an die Spitze der Warteliste gesetzt hätte, kommt es nicht darauf an, ob ein solches Verhalten gegebenenfalls rechtlich zulässig gewesen wäre.

Unabhängig von der Frage der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des Aufrückenlassens in einer Warteliste ist zu berücksichtigen, dass der Betreuungsbedarf der Tochter der Klägerin nicht allein dadurch erfüllt worden wäre, dass sie an die Spitze einer Warteliste gesetzt wird. Es müsste noch hinzukommen, dass tatsächlich ein Betreuungsplatz frei wird, und zwar nicht ein Betreuungsplatz „irgendwo“ im Gebiet des Landkreises, sondern ein Betreuungsplatz, dessen Inanspruchnahme zumutbar war. Der gesetzliche Betreuungsanspruch kann nämlich nur durch Zuweisung eines zumutbaren Betreuungsplatzes erfüllt werden. Der Beklagte hat jedoch nicht dargelegt, dass und gegebenenfalls zu welchem Zeitpunkt vor dem 16.04.2018 oder jedenfalls spätestens vor dem 30.06.2018 ein Betreuungsplatz in einer der Tochter der Klägerin zumutbaren Einrichtung freigeworden ist.

b. Weitere Voraussetzung für den Anspruchsausschluss gemäß § 839 Abs. 3 BGB ist es, dass die Einlegung eines Rechtsbehelfes schuldhaft unterblieben ist. Ein Verschulden der Tochter der Klägerin bzw. der Klägerin selbst ist hier jedoch nicht festzustellen.

Zur Bejahung eines Verschuldens würde die (hier nicht mögliche, s. o.) Feststellung, dass ausreichend Zeit zur Verfügung gestanden hat, um eine gerichtliche Entscheidung zu erwirken und dem Beklagten eine den schadenvermeidende Reaktion auf diese gerichtliche Entscheidung zu ermöglichen nicht ausreichen. Dies ist nach hier vertretener Auffassung auch eher eine Frage des hypothetischen Kausalverlaufes als eine Frage des Verschuldens. Dem Verschulden steht jedenfalls entgegen, dass die Klägerin keinen Grund zu der Annahme hatte, dass die Inanspruchnahme gerichtlicher Hilfe dazu führen wird, dass ihrer Tochter zu einem früheren Zeitpunkt ein Betreuungsplatz zur Verfügung gestellt wird. Nachdem nämlich die Stadt ......................... bereits im September 2017 einerseits den Betreuungsanspruch der Tochter der Klägerin ab dem 16.02.2018 festgestellt und andererseits auf die angespannte Situation im Hinblick auf freie Betreuungsplätze hingewiesen hatte und nachdem sodann im Januar 2018 der Klägerin mitgeteilt wurde, dass ein Betreuungsplatz voraussichtlich erst im Sommer 2018 zur Verfügung gestellt werden könne, konnte die Klägerin nur den Schluss ziehen, dass eine ausreichende Anzahl von Betreuungsplätze nicht zur Verfügung steht. Die Klägerin hatte keinen Grund zu der Annahme, dass die Inanspruchnahme gerichtlicher Hilfe hieran etwas würde ändern können. Dass eine gerichtliche Entscheidung keinen unmittelbaren Einfluss auf die Zahl der zur Verfügung stehenden Betreuungsplätze bzw. die Zahl der zu betreuenden Kinder haben kann, war auch für die Klägerin offensichtlich. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass sich der Betreuungsanspruch unmittelbar aus dem Gesetz ergibt, also in seiner Existenz nicht von einer gerichtlichen Entscheidung abhängig ist, brauchte die Klägerin auch nicht damit zu rechnen, dass der Beklagte etwaige Möglichkeiten zur Erfüllung des Betreuungsbedarfes nur dann eingreifen würde, wenn der – durch die Stadt ......................... positiv festgestellte – Betreuungsanspruch gerichtlich geltend gemacht wird.

Der Beklagte selbst sieht sich nicht in der Lage, konkret anzugeben, auf welche Weise er die Erfüllung des Betreuungsanspruches im Falle einer gerichtlichen Entscheidung ermöglicht hätte. Er hat auch nicht erklärt, warum er die gegebenenfalls möglichen Maßnahmen nicht auch ohne eine gerichtliche Entscheidung ergriffen hat. Wenn schon der Beklagte hierzu keine Erklärung abgeben kann, dann hätte erst recht die Klägerin nicht erkennen können, dass der Beklagte trotz aus Sicht der Klägerin anzunehmender unzureichender Betreuungskapazität sich im Falle einer gerichtlichen Entscheidung (aber nicht ohne eine solche) in der Lage sieht, den Betreuungsanspruch zu erfüllen.

Der Beklagte vertritt hierzu die Auffassung, dass die Vorschrift des § 839 Abs. 3 BGB gegenstandslos wäre, wenn man ein Verschulden allein deshalb verneinen würde, weil der betroffene Bürger das Verhalten der Behörde für rechtmäßig hätte halten dürfen. Dieses Argument überzeugt nicht. Es geht hier nicht darum, ob die Klägerin erkennen konnte, dass das Verhalten des Beklagten rechtswidrig ist. Dies konnte die Klägerin zweifellos erkennen. In seinem Urteil vom 21.01.2021 (2 U 104/20) beschreibt das Brandenburgische Oberlandesgericht die an die dortige Klägerin gerichtete Mitteilung der Stadt, dass der Betreuungsanspruch aus Kapazitätsgründen erst zu einem späteren Zeitpunkt erfüllt werden könne, dahingehend, dass damit „offen angekündigt worden ist, einen bestehenden Anspruch (bewusst) nicht zu erfüllen“ (a. a. O. Seite 9). Diese Beschreibung trifft auch auf die gegenüber der hiesigen Klägerin erfolgte Mitteilung vom 17.01.2018 zu. Hier geht es aber nicht darum, ob die Klägerin die Rechtswidrigkeit erkennen konnte, sondern darum, ob sie annehmen konnte, dass eine gerichtliche Entscheidung zu einem rechtmäßigen Verhalten führen wird. Und dies konnte die Klägerin nicht erkennen, denn sie musste annehmen, dass der Beklagte zur Erfüllung des Anspruches faktisch nicht in der Lage ist und sie hatten keinen Grund zu der Annahme, dass sich durch eine gerichtliche Entscheidung hieran etwas ändern würde.

Weiter vertritt der Beklagte die Auffassung, dass „wer sich vom jeweiligen Anspruchsgegner Vorgaben dazu machen lässt, ob es sinnvoll ist, seinen Anspruch den Regeln entsprechend (§ 839 Abs. 3 BGB) durchzusetzen, kann sich später nicht darauf berufen, die Entscheidung, das Rechtsmittel zu unterlassen, habe derjenige zu verantworten, gegen den sich das Rechtsmittel gerichtet hätte“ (Schriftsatz vom 22.01.2021, Bl. 5 oben; Bl. 61 der Gerichtsakte). Das Gericht vermutet, dass der Beklagte damit sagen will, die Klägerin habe sich nicht auf die Richtigkeit des ihr durch die für den Beklagten handelnde Stadt ......................... vermittelten Eindrucks verlassen dürfen, dass die Erfüllung des Betreuungsanspruches ihrer Tochter aus Kapazitätsgründen nicht möglich sei. Diese Auffassung teilt das Gericht nicht. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass es hier nicht darum geht, ob der Beklagte es „zu verantworten“ hat, dass gerichtliche Hilfe nicht in Anspruch genommen wurde. Es kommt allein darauf an, ob die Klägerin dies verschuldet hat. Das Gericht sieht auch keinen Anlass zu der Annahme, dass die Klägerin den ihr durch den Beklagten übermittelten Informationen allein deshalb hätte misstrauen müssen, weil der Beklagte der Schuldner des Betreuungsanspruches und der Schuldner eines etwaigen Schadensersatzanspruchs ist. Zuverlässige Informationen über die Betreuungssituation im Gebiet des Beklagten bzw. im Gebiet der Stadt ......................... konnte die Klägerin nur vom Beklagten bzw. der Stadt ......................... erlangen.

Die Klägerin hatte keinen Anlass, diesen Informationen zu misstrauen, insbesondere musste sie nicht damit rechnen, dass der Beklagte bzw. die Stadt ......................... sie falsch informieren würde um sodann in einem Schadensersatzprozess der Klägerin vorzuhalten, dass der Anspruch der Tochter der Klägerin hätte gerichtlich geltend gemacht werden müssen.

5. Der Rechtsstreit ist der Höhe nach noch nicht entscheidungsreif, daher ist der Erlass eines Grundurteils angezeigt.