Gericht | OLG Brandenburg 6. Zivilsenat | Entscheidungsdatum | 24.05.2022 | |
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Aktenzeichen | 6 U 9/22 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2022:0524.6U9.22.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts Neuruppin vom 30.12.2021, Aktenzeichen 1 O 314/20, wird verworfen.
Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Der Streitwert für die I. Instanz und II. Instanz wird auf 20.684,97 € festgesetzt.
I.
Der Kläger verlangt von der Beklagten eine Kaufpreiszahlung für von ihm vertriebene Waren aus Filz.
Auf Antrag des Klägers hat das Amtsgericht Wedding am 01.10.2020 gegen die Beklagte einen Vollstreckungsbescheid über einen Hauptforderungsbetrag von 20.684,97 € nebst Nebenforderungen und Verfahrenskosten erlassen. Gegen den ihr am 06.10.2020 zugestellten Vollstreckungsbescheid hat die Beklagte form- und fristgerecht Einspruch mit am 08.10.2020 bei dem Amtsgericht Wedding eingegangenem Schreiben eingelegt. Für den weiteren Sach- und Streitstand wird auf den Tatbestand des am 30.12.2021 verkündeten Urteils des Landgerichts Neuruppin ergänzend Bezug genommen.
Das Landgericht hat den Vollstreckungsbescheid aufgehoben und die Klage abgewiesen, weil ein der Zahlungsforderung etwaig zugrunde liegender Kaufvertrag mangels Gewerbezulassung des Klägers im Sinne von §§ 35 Abs. 1 GewO, 134 BGB jedenfalls nichtig sei. Für die Einzelheiten der landgerichtlichen Entscheidung wird auf die Gründe des angefochtenen Urteils verwiesen.
Das landgerichtliche Urteil ist dem Kläger gemäß Empfangsbekenntnis seines Prozessbevollmächtigten am 04.01.2022 zugestellt worden. Die von dem Prozessbevollmächtigten des Klägers eingereichte Berufungsschrift ist am 18.01.2022 vorab per Telefax mit dem handschriftlichen Zusatz „Versand im ERV nicht möglich“ beim Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangen, zugleich ist die Berufung begründet worden. Das Original des Schriftsatzes ist bei Gericht auf dem Postweg am 20.01.2022 eingegangen. Eine Übersendung auf elektronischem Weg ist auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht erfolgt. Mit Schriftsatz vom 10.02.2022 hat die Beklagte auf die Berufung erwidert; hierauf sowie auf die weiteren wechselseitigen Schriftsätze der Parteien im Berufungsverfahren nebst Anlagen wird Bezug genommen.
Mit Senatsverfügung der stellvertretenden Vorsitzenden vom 03.05.2022 ist der Kläger darauf hingewiesen worden, dass seine Berufung voraussichtlich gemäß § 522 Abs. 1 Satz 1 ZPO als unzulässig zu verwerfen sein wird, weil sie bei Gericht nicht fristgerecht in der seit dem 01.01.2022 geltenden gesetzlichen Form - insbesondere nicht über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) - eingelegt und eine gegebenenfalls vorübergehende technische Unmöglichkeit nicht wie gemäß § 130d ZPO geboten mit der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft gemacht worden ist. Eine Stellungnahme des Klägers ist dazu in der hierfür gesetzten zweiwöchigen Frist nicht erfolgt.
II.
Die Berufung des Klägers ist als unzulässig zu verwerfen (§ 522 Abs. 1 ZPO), weil er bereits die Frist zur Einlegung der Berufung nicht gewahrt hat.
1. Die einmonatige Frist zur Berufungseinlegung hat mit Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils gemäß Empfangsbekenntnis des klägerischen Prozessbevollmächtigten am 04.01.2022 zu laufen begonnen (§ 517 ZPO) und endete mit Ablauf des 04.02.2022. Weder die am 18.01.2022 vorab per Telefax noch die am 20.01.2022 im Original eingegangene Berufungs- und Berufungsbegründungsschrift haben diese Frist gewahrt, denn die Übermittlung per Telefax bzw. auf dem Postweg entsprach nicht der seit dem 01.01.2022 hierfür gemäß § 130d ZPO geltenden Form.
a) Nach § 130d Satz 1 ZPO sind vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt eingereicht werden, als elektronisches Dokument im Sinne des § 130a ZPO zu übermitteln. Dies bedeutet praktisch die Nutzungspflicht elektronischer Signaturen (vgl. § 130a Abs. 3 Fall 1) oder die Versendung über De-Mail bzw. beA (vgl. § 130a Abs. 3 Fall 2 ZPO i.V.m. Abs. 4). Nur wenn eine Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist, bleibt die Übermittlung gemäß § 130d Abs. 1 Satz 2 ZPO nach den allgemeinen Vorschriften als Ersatzeinreichung zulässig. Die vorübergehende Unmöglichkeit ist gemäß § 130d Satz 3 ZPO bereits bei der Ersatzeinreichung oder - sollte auch dies nicht möglich sein - unverzüglich danach glaubhaft zu machen; auf Anforderung ist ein elektronisches Dokument nachzureichen. Diese Vorschriften gelten im gesamten Anwendungsbereich der ZPO. Die betreffenden Formerfordernisse sind daher auch auf die Berufungsschrift und die Berufungsbegründungsschrift anzuwenden (vgl. Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 19. Auflage, § 130d Rn. 1).
Bei Nichteinhaltung der nach § 130d ZPO geltenden Formvorschrift, die als Zulässigkeitsvoraussetzung von Amts wegen zu prüfen ist, sind die entsprechenden Prozesserklärungen nicht wirksam (vgl. BT-Drs. 17/12634, S. 27; Musielak/Voit/Stadler, a.a.O. Rn 4). Betrifft der Formfehler eine Klage oder - wie vorliegend - ein Rechtsmittel, sind diese mithin als unzulässig abzuweisen respektive zu verwerfen (vgl. BT-Drs. a.a.O.; Musielak/Voit/Stadler, a.a.O. Rn. 10; Zöller/Greger, ZPO, 34. Auflage, § 130d Rn. 1).
b) Soweit ausnahmsweise die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig ist, wenn die Einreichung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist, sind die daran zu stellenden Anforderungen vom Kläger nicht glaubhaft gemacht.
aa) Eine zulässige Ersatzeinreichung setzt voraus, dass die technische Unmöglichkeit einschließlich ihrer vorübergehenden Natur mit der Ersatzeinreichung selbst glaubhaft gemacht wird oder - ausnahmsweise - diese Glaubhaftmachung unverzüglich nachgeholt wird. Dabei spielt es keine Rolle, ob die vorübergehende technische Unmöglichkeit in der Sphäre des Gerichts liegt oder beim Einreichenden. Die an die genannten Voraussetzungen geknüpfte Möglichkeit zur Ersatzeinreichung gilt daher insbesondere auch bei technischen Problemen im Einflussbereich des Rechtsanwalts einschließlich des beA. Der Gesetzgeber hat damit sicherstellen wollen, dass die technischen Einrichtungen zur elektronischen Einreichung vorgehalten werden und der Einreicher bei technischen Problemen unverzüglich für Abhilfe sorgt (Musielak/Voit/Stadler, a.a.O. Rn. 3; Zöller/Greger, a.a.O. Rn. 2).
bb) Im Streitfall ist eine solche Glaubhaftmachung, dass die Übermittlung eines elektronischen Dokuments dem Klägervertreter aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich war, weder mit Einreichung der Berufungsschrift noch unverzüglich danach unter Darlegung der Hinderungsgründe für eine sofortige Glaubhaftmachung erfolgt. Der handschriftliche Vermerk auf dem Telefax „Versand im ERV nicht möglich“ genügt den Anforderungen an die für eine wirksame Ersatzeinreichung erforderliche Glaubhaftmachung ersichtlich nicht. Daraus erschließt sich lediglich die Behauptung einer technischen Unmöglichkeit, nicht aber ergeben sich daraus die betreffenden Umstände, die gegebenenfalls zu einer vorübergehenden technischen Unmöglichkeit der Einreichung der Berufungsschrift als elektronisches Dokument geführt haben.
c) Es ist auch keine weitere Berufungsschrift noch fristwahrend und formgerecht - hier spätestens bis zum Ablauf der Monatsfrist am 04.02.2022 - bei Gericht eingegangen. Die Berufung ist vor diesem Hintergrund nach Anhörung des Klägers gemäß § 522 Abs. 1 Satz 2 und 3 ZPO durch Beschluss als unzulässig zu verwerfen.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
3. Der Streitwert für das Berufungsverfahren bemisst sich gemäß §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 48 Abs. 1 Satz 1, 43 Abs. 1 GKG, §§ 3 ff. ZPO auf den Wert der mit der Klage geltend gemachten Hauptforderung. Die erstinstanzlich erfolgte Streitwertfestsetzung nach Maßgabe des von dem verfahrensgegenständlichen Vollstreckungsbescheid umfassten Gesamtbetrages (22.498,77 €) - einschließlich der für die Wertfestsetzung unbeachtlichen Verfahrenskosten und der für die vorgerichtliche Tätigkeit des Klägervertreters geltend gemachten Nebenforderung - ist gemäß § 63 Abs. 3 Nr. 2 GKG von Amts wegen entsprechend abzuändern.