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Entscheidung 2 AR 1/22


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 2. Strafsenat Entscheidungsdatum 17.01.2022
Aktenzeichen 2 AR 1/22 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2022:0117.2AR1.22.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Gegen den Verfolgten wird die Auslieferungshaft angeordnet.

Gründe

I.

Der Verfolgte befindet sich zur Zeit in Untersuchungshaft. Die britischen Behörden ersuchen mit einem Haftbefehl nach dem Muster des Abkommens über Handel und Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und der europäischen Atomgemeinschaft einerseits und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland andererseits (Trade and Cooperation Agreement - TCA) des Obersten Bezirksrichters von England und Wales vom 18. November 2021 um die Auslieferung des Verfolgten zur Strafverfolgung (TCA-EuHB). Dem liegt ein Haftbefehl des Bezirksgerichts von Westminster vom 18. November 2021 zugrunde.

Dem Verfolgten wird vorgeworfen, als Mitarbeiter der Botschaft des Vereinigten Königreichs in Berlin zwischen dem 31. Oktober 2020 und dem 1. Dezember 2020 für einen russischen Nachrichtendienst gearbeitet zu haben, indem er diesem Auskünfte und Unterlagen übergab und hierfür für finanziell entlohnt wurde. Insoweit hat die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg in ihrem Antrag vom 11. Januar 2022 die Sachverhaltsdarstellung in dem TCA-EU HW wie folgt zutreffend zusammengefasst:

„Im Einzelnen soll er Videos und Bilder der Raumaufteilung und Ausstattung der Botschaft des Vereinigten Königreichs in Berlin sowie als „Geheim" eingestufte Unterlagen und Gegenstände aus den Beständen der Botschaft sowie Kopien solcher Gegenstände und Unterlagen aus der Botschaft (im Kontext seiner Tätigkeit für die vorgenannte fremde Macht) entfernt und zwischen dem 31. Oktober 2020 und dem 10. August 2021 in seine Wohnung in P… verbracht haben (,,Anklagepunkte 2 bis 6"), versucht zu haben, einen bereits vorbereiteten Briefumschlag u.a. mit Adressen und Telefonnummern von „Mitgliedern des Britischen Staatsdienstes" zwischen dem 31. Oktober 2020 und dem 1. Dezember 2020 einem Generalmajor … von der russischen Botschaft in Berlin zuzuspielen (,,Anklagepunkt 1 "), am 5. und erneut am 6. August 2021 Aufnahmen vom Kameraüberwachungssystem der Botschaft gespeichert und aufgenommen zu haben, weil er glaubte, dass sie nützlich für die russischen Behörden sein könnten (,,Anklagepunkte 7 und 8") und am 9. August 2021 einer Person, von der er glaubte, sie sein Angehöriger des russischen Militärgeheimdienstes, Auskünfte zum baulichen Zustand der Botschaft des Vereinigten Königreichs gegeben zu haben (,,Anklagepunkt 9").

Alle vorgenannten Handlungen sollen in der Absicht, dem russischen Staat zu nutzen und zu einem dem Vereinigten Königreich abträglichen Zweck vorgenommen worden sein, und zwar sowohl aus Gründen des finanziellen Nutzens als auch aus einer Abneigung des Verfolgten gegen die Staaten seiner Staatsangehörigkeit (Vereinigtes Königreich) und seines Wohnsitzes (Deutschland).

Nach den Angaben im TCA-EuHB wurde wegen dieser Taten am 18. November 2021 ein (nationaler),,erstinstanzlicher Haftbefehl" vom Amtsgericht Westminster (Westminster Magistrates' Court) wegen Spionage im Sinne von § 1 des Official Secret Act (Gesetz über Staatsgeheimnisse) von 1911 in 9 Fällen erlassen. Spionage nach diesem Gesetz wird mit bis zu 14 Jahren Freiheitsentzug bestraft.“

Wegen weiterer Einzelheiten nimmt der Senat auf die Sachverhaltsdarstellung in dem TCA-EuHB Bezug.

Der Verfolgte hat sich in seiner richterlichen Vernehmung vom 4. Januar 2022 vor dem Amtsgericht Brandenburg an der Havel weder mit der vereinfachten Auslieferung einverstanden erklärt noch hat er auf die Einhaltung des Grundsatzes der Spezialität verzichtet.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, gegen den Verfolgten die Auslieferungshaft anzuordnen.

Der Senat entscheidet antragsgemäß.

II.

Die Voraussetzungen für die Anordnung der Auslieferungshaft liegen vor (§ 15 IRG).

Seit dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union richtet sich die Auslieferung an das Vereinigte Königreich nach dem Abkommen über Handel und Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und der europäischen Atomgemeinschaft einerseits und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland andererseits (Trade and Cooperation Agreement - TCA) vom 30. April 2021 (ABl. EU L 149, S. 10, 765 ff), nachrangig nach den Bestimmungen des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG).

Die Auslieferung des Verfolgten erscheint nicht von vornherein unzulässig (§ 15 Abs. 2 IRG).

Der übermittelte TCA-EuHB entspricht den formalen Anforderungen. Er gibt die Identität des Verfolgten an, enthält Bezeichnung und Anschrift der ausstellenden Justizbehörde, nennt die Art und die rechtliche Würdigung der Straftat einschließlich der gesetzlichen Bestimmungen und der gesetzlich vorgesehenen Höchststrafe und beschreibt die Umstände, unter denen die Tat begangen sein soll, mit Angabe der Tatzeit, des Tatortes und der Tatbeteiligung des Verfolgten ausreichend.

Die dem Ersuchen zugrunde liegende Straftat ist sowohl nach britischem Recht (§ 1 des Official Secrets Act von 1911) als auch nach deutschen Recht strafbar (§ 99 StGB) und im Vereinigten Königreich mit einer Höchststrafe von mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht.

Zu möglichen Auslieferungshindernissen hat die Generalstaatsanwaltschaft in ihrem Antrag vom 11. Januar 2022 das Folgende erwogen:

„Am 10. Dezember 2021, Eingang beim Generalstaatsanwalt des Landes Brandenburg am 14. Dezember 2021, teilte das Bundesamt für Justiz mit, dass aus Sicht der Bundesregierung keine Bedenken gegen die Einleitung des Auslieferungsverfahrens bestünden, dass Deutschland keine Erklärung nach dem TCA abgegeben hat, wonach politische Straftaten im Verhältnis zwischen Deutschland und dem Vereinigten Königreich etwa von dessen Anwendungsbereich ausgenommen seien und dass das beim Generalbundesanwalt anhängige Ermittlungsverfahren einer Auslieferung nicht entgegenstehe (BI. 48 d. A.). Darüber hinaus steht der Generalstaatsanwalt des Landes Brandenburg auch auf Arbeitsebene in ständigem Kontakt mit dem Generalbundesanwalt, der auch in diesem Rahmen keine Einwände gegen die Fortsetzung des Auslieferungsverfahrens geäußert hat.

Zwar ist gegen den Verfolgten wegen der haftbefehlsgegenständlichen Tat auch in Deutschland ein Ermittlungsverfahren anhängig (vgl. lit. b), dieses wird jedoch von der Bundesregierung und dem Generalbundesanwalt für nachrangig gegenüber dem Auslieferungsersuchen erachtet. Der Generalstaatsanwalt beabsichtigt nicht, dem entgegenzutreten.

Zwar ist die Tat auf deutschem Staatsgebiet begangen worden (vgl. lit. g Unterfall i), allerdings ist schon mit Blick auf den besonderen völkergewohnheitsrechtlichen Status der Botschaftsgebäude, welcher einem exterritorialen Status jedenfalls angenähert ist, nicht beabsichtigt, von diesem fakultativen Ablehnungsgrund Gebrauch zu machen.

Entgegen der bisherigen Ausführungen des Verfolgten drängt sich der Verdacht einer politischen Verfolgung (vgl. lit h) nicht auf. Dies mag nach Auswertung der bislang nicht in deutscher Sprache vorliegenden schriftlichen Stellungnahme des Verfolgten neu bewertet werden.

Eine Notifizierung nach Art. 602 Abs. 2 TCA ist nach Auskunft der Bundesregierung nicht erfolgt. Eine Bereichsausnahme für politische Straftaten besteht daher nicht (allgemeine Regel des Art. 601 Abs. 1 TCA).

Der Verfolgte ist auch kein deutscher Staatsangehöriger (Art. 603 TCA).

Der Generalstaatsanwalt wird zu gegebener Zeit erwägen, ob die etwaige Bewilligungserklärung davon abhängig gemacht wird, dass der Verfolgte nach erfolgter Verurteilung nach Deutschland zur Strafvollstreckung zurücküberstellt wird, denn aufgrund seines 24-jährigen Aufenthalts in Deutschland und seiner hiesigen Berufstätigkeit ist er zweifelsfrei als hier „wohnhaft" im Sinne von Art. 604 lit b. TCA anzusehen. Bislang hat der Verfolgte sich nicht in dem Sinne geäußert, dass er eine entsprechende Bedingung im Falle der Überstellung wünscht.

Dafür, dass vor der Zulässigkeits- und Bewilligungsentscheidung ergänzende Zusicherungen einzuholen wären (Art. 604 lit. c) spricht derzeit nichts. Dies mag nach Auswertung der schriftlichen Stellungnahme des Verfolgten erneut erwogen werden.“

Diesen zutreffenden Erwägungen tritt der Senat bei.

Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 15 Abs. 1 Nr. 1IRG). Der Verfolgte hat im Falle seiner Auslieferung mit der Verhängung einer erheblichen Freiheitsstrafe zu rechnen. Dieser Umstand stellt einen hohen Fluchtanreiz dar. Weniger einschneidende Maßnahmen gemäß § 25 IRG bieten keine ausreichende Gewähr, die Auslieferung sicherzustellen.

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit steht dem Vollzug der Auslieferungshaft nicht entgegen.