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Entscheidung 9 K 112/19.A


Metadaten

Gericht VG Cottbus 9. Kammer Entscheidungsdatum 29.05.2020
Aktenzeichen 9 K 112/19.A ECLI ECLI:DE:VGCOTTB:2020:0529.9K112.19.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 60 Abs 5 AufenthG, § 3 AsylVfG 1992, § 4 AsylVfG 1992, § 60 Abs 7 S 1 AufenthG

Leitsatz

Der nigerianische Staat ist hinsichtlich der Kultgruppen grundsätzlich schutzbereit und dazu auch in der Lage.
Hinsichtlich der Bedrohung durch die Kultgruppe "Eiye" besteht eine innerstaatliche Fluchtalternative.
Bluchthochdruck und Diabetes sind in Nigeria behandelbar, auch angesichts der Covid-19-Pandemie.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Der Kläger ist nach eigenen Angaben am 1. September 1981 in Benin City/Edo-State geborener nigerianischer Staatsangehöriger christlichen Glaubens vom Volk der Delta-Ibo. Er behauptet Nigeria am 15. August 2017 verlassen zu haben. Am 6. September 2017 stellte er in Deutschland einen Asylantrag.

Der Kläger war im Besitz eines von der französischen Botschaft in Abuja am 25. Juli 2017 ausgestellten Kurzaufenthaltsvisums für die Schengen-Staaten mit einer Aufenthaltsdauer von 15 Tagen und mit einer Gültigkeit vom 8. August 2017 bis 7. September 2017 und eines nigerianischen Reisepasses mit der Nummer A..., wonach er in Benin City geboren sei.

Im schriftlichen Fragebogen gab der Kläger am 6. September 2017 an, er habe das Abitur abgelegt, ein IT-Studium nicht abgeschlossen und sei zuletzt im Verkauf tätig gewesen. Er habe in der Heimat eine Lebenspartnerin, einen Sohn und eine Schwester.

In seiner persönlichen Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 8. September 2017 erklärte der Kläger im Wesentlichen, andere Personen hätten für ihn einen Pass und ein Visum beantragt. Eine Frau habe seine Unterlagen an sich genommen. Er berichtete von einer Flugreise, konnte aber keine Angaben über deren Verlauf machen. In Paris seien er und andere Leute, die die Frau dorthin gebracht habe, in einen Bus gesetzt worden, der nach Deutschland gefahren sei. Die Reisedokumente habe ihm die Frau nicht zurückgegeben. In Nigeria hätten sie ihn bedroht und ihn umbringen wollen. Vor seinen Augen hätten sie kaltblütig seinen Vater umgebracht. Dann hätten sie ihn mitgenommen. Er wisse nicht, wo seine Frau und sein Sohn seien. Diese Leute hätten zu den Badou gehört. Das alles sei in I... passiert. Er habe bei den Badou-Leuten eintreten sollen. Diese Leute brächten andere Leute um und steckten Häuser an. Er habe nicht mitmachen wollen. Deshalb sei er geflohen. Die Frau, die ihn hierher gebracht habe, habe gesagt, dass Deutschland besser sei. Die Leistungen seien besser als in Frankreich, auch die Verpflegung sei hier viel besser. Er habe zu hohen Blutdruck, Brustschmerzen, Rückenschmerzen und Diabetes. In Nigeria sei er beim Arzt gewesen. Dort habe er auch Medikamente bekommen. Der Kläger legte Verpackungen mit den Medikamenten Lisinopril 5 mg, Biophage 500 mg und Daonil vor. Er wolle in Deutschland bleiben, weil er hier eine bessere medizinische Behandlung bekomme.

In einem Attest des Facharztes für Innere Medizin A... vom 10. Oktober 2017 wurden für den Kläger die Diagnosen arterielle Hypertonie, Hyperlipidämie, Typ-2-Diabetes mellitus, mikrozytäre Anämie, VLDL Hyperlipoproteinämie gestellt. Weiter hieß es: „Die aktuellen Werte sind nicht gut, der Patient ist neu für mich, die Behandlung muss optimiert werden.“

In einem Attest vom 17. Januar 2018 des Facharztes A... wurden dieselben Diagnosen wie zuvor aufgeführt. In einem Befundbericht der Röntgenpraxis P... vom 7. Juni 2018 wurde u.a. eine geringgradige Arthrose der Iliosakralgelenke beidseits beschrieben.

In seiner persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 10. September 2018 erklärte der Kläger, er habe das Visum für Frankreich für touristische Zwecke in Abuja beantragt. Die Dame, mit der sie nach Deutschland gekommen seien, habe ihm hier den Pass abgenommen. Er habe zuletzt in I..., einem Stadtviertel von Lagos, gelebt und das Land im August 2017 verlassen. Er sei von Nigeria über Marokko nach Frankreich geflogen und mit dem Taxi zum Busbahnhof gefahren. Von dort sei er mit dem Bus nach Deutschland gefahren. Seine Eltern seien 2017 und 2018 verstorben. Seine jüngere Schwester lebe noch in Nigeria. Er habe die Grundschule und die Sekundärschule in Edo State besucht. An der Ambrose Ali Universität habe er zweieinhalb Jahre Computerwissenschaften studiert. Er habe keinen Abschluss. Zwischen Edo State und Lagos habe er Kleidung verkauft, beispielsweise an Geschäftsleute. Er habe sich versorgen können. An der Universität habe er die ganze Zeit mit einer Gruppe namens „Eiye“ („Badoo“) Probleme gehabt. Er sei dann nach Lagos gegangen, wo ihn die Gruppe auch aufgesucht habe. Im Juli 2017, als er den Geburtstag seines Sohnes vorbereitet habe, hätten die Badoo seinen Vater getötet und das ganze Haus zerstört. Sie hätten auch ihn, seine Frau und seinen Sohn bedroht. Der Tod seiner Mutter nur wenige Monate später hänge mit dem Tod seines Vaters zusammen. Eine Frau habe ihm dann vorgeschlagen, das Land zu verlassen, und ihn mit zwei anderen Leuten über Marokko nach Frankreich gebracht. Er sei von 2000 bis 2003 an der Universität gewesen. Er habe dort bei der Gruppe nicht mitmachen wollen. Sie hätten sein Studentenzimmer zerstört. Die Polizei habe nichts unternommen. Einige Wochen vor dem Vorfall im Juli 2017 habe er Drohnachrichten von ihnen auf seinem Handy erhalten. Er habe die Nachrichten der Sicherheitsbehörde der Kommune gezeigt, aber diese habe nichts unternommen. Woanders sei es nicht sicherer als in Lagos. In den Norden habe er wegen Boko Haram nicht gehen können. Wenn er zurückkehre, müsse er sich an einem sehr sicheren Ort verstecken. Sie würden ihn am sichersten Ort finden und umbringen. Er habe diese Leute an verschiedenen Orten mehrmals getroffen. Es seien immer mehrere Personen gekommen. Seit dem letzten Jahr habe er nichts mehr von seiner Frau und seinem Sohn gehört. Er habe ihre Kontaktdaten nicht. In Deutschland habe er eine Halbschwester.

Mit Bescheid vom 14. Januar 2019 versagte das Bundesamt die Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1.), lehnte den Antrag auf Asylanerkennung ab (Ziffer 2.), versagte den subsidiären Schutzstatus (Ziffer 3.), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 S. 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorlägen (Ziffer 4.), forderte den Kläger unter Androhung seiner Abschiebung nach Nigeria auf, die Bundesrepublik Deutschland binnen 30 Tagen zu verlassen (Ziffer 5.) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 6.). Zur Begründung führte das Bundesamt im Wesentlichen aus, dem Vorbringen des Klägers könne kein asylrelevanter Anknüpfungspunkt im Sinne eines Verfolgungsgrundes entnommen werden. Es handele sich bei der Gruppe „Eiye“ um einen nichtstaatlichen Akteur und bei der Verfolgung um kriminelles Unrecht. Weiter seien die Angaben des Klägers zu seinen Verfolgern pauschal, unschlüssig und nicht ausreichend substantiiert. Es sei nicht nachvollziehbar, dass er fast 14 Jahre hindurch von der Gruppe unter Druck gesetzt worden sei, andererseits aber zwischen dem Verlassen der Universität 2003 und dem Vorfall im Sommer 2017 keine Drohungen erhalten habe. Es sei nicht nachvollziehbar, warum er seine SIM-Karte nicht gewechselt habe, um die Drohungen zu unterbinden. Auch sei es nicht nachvollziehbar, warum die Gruppe nach 14 Jahren noch ein Interesse an der Mitgliedschaft des Klägers haben sollte. Schließlich sei es auch nicht nachvollziehbar, warum die Gruppe ihn im Juli 2017 habe töten wollen, wenn sie andererseits an seiner Mitgliedschaft interessiert gewesen sei. Außerdem sei eine landesweite Verfolgung durch die Gruppe nicht beachtlich wahrscheinlich, weil es in Nigeria keine Meldepflicht gäbe und ein Untertauchen in den Großstädten problemlos möglich sei. Der Kläger sei in der Lage, das erforderliche Existenzminimum durch Erwerbsarbeit zu bestreiten. Die Erkrankungen des Klägers seien nicht schwerwiegend genug, um ein Abschiebungsverbot zu begründen. Diabetes mellitus Typ II sei in Nigeria eine Volkskrankheit und behandelbar.

Der Kläger hat am 25. Januar 2019 Klage erhoben. Die Klage ist nicht begründet worden.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 14. Januar 2019, zugestellt mit Schreiben vom 15. Januar 2019, zu verpflichten festzustellen, dass der Kläger Asylberechtigter/Flüchtling ist,

hilfsweise die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 14. Januar 2019, zugestellt mit Schreiben vom 15. Januar 2019, zu verpflichten, den subsidiären Schutzstatus dem Kläger zuzuerkennen,

weiter hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG hinsichtlich des Klägers mit Blick auf Nigeria vorliegen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte verweist zur Begründung auf den angefochtenen Bescheid.

Die Kammer hat den Rechtsstreit nach Anhörung der Beteiligten mit Beschluss vom 30. März 2020 der Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen.

In der mündlichen Verhandlung am 29. Mai 2020 hat das Gericht den Kläger informatorisch angehört. Wegen der Einzelheiten wird auf die Niederschrift in der Gerichtsakte verwiesen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, den Aktenausdruck des Bundesamtes für den Kläger und auf die Erkenntnismittel laut Liste für Nigeria Bezug genommen. Sämtliche Akten und Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung des Gerichts.

Entscheidungsgründe

Das Gericht entscheidet durch die zuständige Einzelrichterin, der die Kammer den Rechtsstreit gemäß § 76 Abs. 1 Asylgesetz (AsylG) mit Beschluss vom 30. März 2020 übertragen hat. Das Gericht kann zudem gemäß § 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) trotz des Ausbleibens eines Beklagtenvertreters zur mündlichen Verhandlung in der Sache entscheiden, weil die Beklagte in der ordnungsgemäß erfolgten Ladung vom 4. Mai 2020 darauf hingewiesen worden ist, wie sich aus Blatt 60-61 der Gerichtsakte ergibt.

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage nach § 77 Abs. 1 S. 1 des Asylgesetzes (AsylG) maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung weder Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 und Abs. 4 AsylG noch auf Asyl gemäß Art. 16a Grundgesetz (GG) noch von subsidiärem Schutz bzw. auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 S. 1 AufenthG. Der Bescheid vom 14. Januar 2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Der auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gerichtete Hauptantrag des Klägers bleibt ohne Erfolg. Nach § 3 Abs. 4 1. Hs. AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 der Vorschrift ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560) ist nach § 3 Abs. 1 AsylG ein Ausländer, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.

Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 gelten nach § 3a AsylG Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist. Gleiches gilt nach § 3 a Abs. 1 Nr. 2 AsylG für eine Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, die so gravierend sind, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

Zwischen den nach § 3 a AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen (sog. Verfolgungshandlungen) und den in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Merkmalen muss nach § 3 a Abs. 3 AsylG eine Verknüpfung bestehen. Die Verfolgung muss stattfinden, weil der Verfolger dem Ausländer das in Rede stehende Merkmal, z.B. eine bestimmte politische Überzeugung, zuschreibt. Ist dies der Fall, kommt es weder darauf an, ob der Betroffene die ihm zugeschriebene Überzeugung tatsächlich aufweist (§ 3 b Abs. 2 AsylG) noch ob er aufgrund dieser tatsächlich tätig geworden ist (§ 3 b Abs. 1 Nr. 5 AsylG). Ob eine Verfolgungshandlung in diesem Sinne „wegen“ eines flüchtlingsrelevanten Merkmals erfolgt, ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung anhand des inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den – ohnehin kaum feststellbaren – subjektiven Vorstellungen und Motiven, die den Verfolgenden oder die für ihn handelnden Personen leiten (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 3. Juli 1996 - 2 BvR 1957/94 -, juris Rn. 18). Entscheidend ist mithin, wie sich die Verfolgungshandlung nach dem „objektiven Empfängerhorizont“ darstellt.

Eine „begründete Furcht“ vor Verfolgung der vorstehend beschriebenen Art liegt schließlich vor, wenn dem Antragsteller politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Dies ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anhand einer Verfolgungsprognose zu beurteilen, die die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Geschehensabläufe bei einer hypothetisch unterstellten Rückkehr des Schutzsuchenden in seinen Heimatstaat zum Gegenstand hat. Beachtlich wahrscheinlich ist eine Verfolgung danach, wenn bei der im Rahmen dieser Prognose vorzunehmenden „zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts“ die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Insofern ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung geboten, bei der letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit maßgebend ist. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Ausländers Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Eine in diesem Sinne wohlbegründete Furcht vor einem Ereignis kann auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer quantitativen oder mathematischen Betrachtungsweise weniger als 50 % Wahrscheinlichkeit für dessen Eintritt besteht. In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben allerdings die Gesamtumstände des Einzelfalls die „tatsächliche Gefahr“ („real risk“) einer politischen Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Er wird bei der Abwägung aller Umstände zudem auch immer die Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in die Betrachtung mit einstellen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es aus Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber schwere Misshandlungen bzw. Folter oder gar die Todesstrafe riskiert (vgl. zu alledem Bundesverwaltungsgericht, Urteil v. 5. November 1991 – 9 C 118/90 –, juris Rn. 17; EuGH-Vorlage v. 7. Februar 2008 – 10 C 33/07 –, juris Rn. 37).

Die begründete Furcht vor Verfolgung kann dabei sowohl auf tatsächlich erlittener oder unmittelbar drohender Verfolgung bereits vor der Ausreise im Herkunftsstaat (sog. Vorverfolgung) als auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat (sog. Nachfluchtgründe). Für Vorverfolgte gilt innerhalb des auch insoweit anzuwenden Maßstabes der beachtlichen Wahrscheinlichkeit eine Beweiserleichterung. Denn nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Qualifikationsrichtlinie) ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder unmittelbar von Verfolgung bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist. In diesen Fällen streitet also die tatsächliche Vermutung dafür, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Diese Vermutung kann allerdings widerlegt werden, wenn stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit der Verfolgung entkräften (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil v. 27. April 2010 – 10 C 5/09 –, juris Rn. 22 ff.).

Der Kläger hat keinen Verfolgungsgrund dargelegt. Bei den von ihm behaupteten Bedrohungen, der Zerstörung seines Hauses und der Tötung seines Vaters durch die Gruppe namens „Eiye“ bzw. „Badoo“ könnte es sich – unabhängig von der Glaubhaftigkeit des Vortrags – mangels anderer Anhaltspunkte allenfalls um gewöhnliches kriminelles Unrecht handeln. Eine Anknüpfung der angeblich gegen ihn gerichteten Handlungen an Rasse, Religion, Nationalität, politische Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (§ 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b AsylG) hat der Kläger nicht geltend gemacht. Insbesondere liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die fragliche Gruppe den Kläger aus politischen oder religiösen Gründen gesucht hätte.

Die dem Gericht vorliegenden Erkenntnisse zeigen, dass an den nigerianischen Universitäten zu Kult-Banden verkommene Bruderschaften existieren, die Studenten und Professoren gleichermaßen terrorisieren. Für eine Anknüpfung an einen Verfolgungsgrund gemäß §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3b AsylG finden sich in diesem Zusammenhang jedoch keine Anhaltspunkte in den Erkenntnismitteln. Bewaffnete Jugendliche terrorisieren die Bevölkerung. Mafiöse „Kulte“ prägen trotz Verboten das Leben in den Universitäten. So kommt es etwa zu Morden und Vergewaltigungen in Studentenheimen. Die mafiöse Strukturen aufweisenden „Kulte“ pflegen gewaltsame Initiationsriten und sind oft in illegale Aktivitäten verwickelt. Nach anderen Angaben sind „Kulte“ eher als Jugendbanden zu bezeichnen. Die Bandenmitglieder bleiben anonym und sind durch einen Schwur gebunden. Mitglieder sind z.B. hochrangige Beamte, Unternehmer, Politiker und Sicherheitskräfte. Heute sind „Kulte“ eines der am meisten gefürchteten Elemente der nigerianischen Gesellschaft (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Nigeria vom 12. April 2019, zuletzt aktualisiert am 18. Dezember 2019, Seite 34).

Die Gruppe „Eiye“, auch „Eye“, „Supreme Eiye Confraternity“, „Airlords“, „Birds“ oder „Flyer“ genannt, stellt einen Ableger der Pirates Confraternity dar und wurde 1965 an der University of Ibadan gegründet. Sie ist im Südwesten und in Benin am prominentesten vertreten. Beim Aufnahmeritual werden die Anwärter von hochrangigen Mitgliedern der Sekte mit Stöcken, Riemen und Waffen geschlagen, bevor sie in Zweiergruppen gegeneinander kämpfen müssen. Danach müssen sie durch eine Reihe von etwa 100 Mitgliedern laufen, die Schläge und Tritte austeilen. Das Aufnahmeritual wird beendet, indem sie vor dem Anführer niederknien, der ihnen einen Vogelnamen gibt. Es sind Anwärter aufgrund der bei dem Aufnahmeritual erlittenen Verletzungen gestorben (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich: Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Nigeria: „Geheimbund namens EYE“, 1. April 2015, Seite 1-3).

Dem Vorbringen des Klägers lässt sich nicht entnehmen, dass er aus einem flüchtlingsschutzrelevanten Merkmal wie z.B. seiner politischen Haltung oder seiner Religionszugehörigkeit ins Visier der Kultgrupe „Eiye“ geraten wäre. Wie er im Verfahren durchgehend behauptet hat, ging es immer und ausschließlich um seinen Beitritt zu der Kultgruppe. Die ausdrückliche Frage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung, warum die Kultgruppe ausgerechnet an dem Kläger bzw. seiner Familie so intensiv interessiert gewesen sein soll, vermochte der Kläger nicht schlüssig zu beantworten. Er erklärte lediglich, er wisse das selber nicht und es sei immer nur um seine Mitgliedschaft gegangen. Hieraus lässt sich kein Anhaltspunkt dafür entnehmen, dass etwaige politische oder sonstige Aktivitäten der Kultgruppe „Eiye“ oder einzelner herausragender Mitglieder, die über rein kriminelle Aktionen hinausgingen, im Fall des Klägers eine Rolle gespielt hätten.

Der Hinweis des Prozessbevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung auf etwaige Parallelen zur Fallgruppe der Zwangsrekrutierung von Soldaten führt nicht weiter. Zwar weisen die Kultgruppen nach den Erkenntnissen des Gerichts Merkmale paramilitärischer Vereinigungen auf. So können die Mitglieder der Bruderschaft „Eiye“ anhand ihrer unverwechselbaren blauen Garnituren und der blauen Baretts identifiziert werden, sind in der Regel bewaffnet, vollführen gewaltsame Aufnahmerituale und sind oft in illegale Aktivitäten verwickelt (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich: Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Nigeria: „Geheimbund namens EYE“, 1. April 2015, Seite 2; Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Nigeria vom 18. Dezember 2019, Seite 34). Es fehlt aber an Erkenntnissen darüber, dass entweder die Mitgliedschaft in einer solchen Gruppe oder die Verweigerung des Eintritts in diese Konsequenzen dergestalt hätte, dass der Betreffende allein deswegen in Nigeria staatlicherseits als politischer Gegner wahrgenommen würde oder dass ihm sonstige flüchtlingsschutzrelevante Merkmale zugeschrieben würden.

Vielmehr sprechen alle Erkenntnisse dafür, dass es sich aus staatlicher Sicht bei den Kultgesellschaften um kriminelle Vereinigungen handelt und dass der nigerianische Staat grundsätzlich schutzbereit und dazu auch in der Lage ist. Denn im nigerianischen „Secret Cult Societies and Similar Activities Prohibition Bill 2012“ sind 212 gesetzlich verbotene Bruderschaften bzw. Kulte namentlich aufgelistet, darunter auch die Gruppe „Eiye“ bzw. „Aird Lord Fraternity“ (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Nigeria: „Geheimbund namens EYE“, 1. April 2015, Seite 11 ff). Die nigerianische Polizei hat immer wieder Personen wegen Mitgliedschaft bei „Eiye“ verhaftet, unter anderem im Oktober 2015 an der Universität von Lagos, im Dezember 2015 im Ogun State und im März 2016 im Kwara State. Kultmitglieder wurden wiederholt aus Universitäten ausgeschlossen (Immigration and Refugee Board of Canada: Nigeria: The Eiye confraternity, including origin, purpose, structure, membership, recruitment methods, activities and areas of operation, state response, 8. April 2016, Seite 5-6).

Ein Anspruch des Klägers auf Asyl gemäß Art. 16a Abs. 1 Grundgesetz (GG) scheidet ebenfalls aus. Denn darauf kann sich gemäß Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG nicht berufen, wer auf dem Landweg in das Bundesgebiet einreist (vgl. Verwaltungsgericht München, Urteil v. 2. September 2019 – M 27 K 17.40338 – juris, Rn. 15). Der Kläger hat in der Anhörung vor dem Bundesamt erklärt, er sei von Frankreich aus mit dem Bus nach Deutschland gekommen.

Zudem unterscheiden sich die Voraussetzungen der Asylanerkennung gemäß Art. 16a GG und der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG lediglich dadurch, dass der Schutzbereich des § 3 AsylG weiter gefasst ist. Hier liegen die engeren Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter somit nach Ablehnung des Flüchtlingsschutzes auch unabhängig vom Reiseweg nicht vor.

Die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 AsylG sind bei dem Kläger ebenfalls nicht erfüllt. Gemäß § 4 AsylG ist ein Antragsteller subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt: 1. die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, 2. Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder 3. eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

Dass dem Kläger die Todesstrafe drohen würde, ist hier nicht ersichtlich. Ein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt besteht in Nigeria nicht. Es gibt dort keine klassischen Bürgerkriegsgebiete oder -parteien. Im Wesentlichen bestehen vier Konfliktherde: der Boko-Haram-Konflikt im Nordosten, der Ressourcenkonflikt zwischen Hirten und Bauern im M..., der latent bestehende „Biafra-Konflikt“ im Nordosten und die Spannungen im ölreichen Nigerdelta. Keiner dieser Konflikte erreicht derzeit jedoch die für einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt erforderliche Gefahrendichte (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria vom 16. Januar 2020, Seite 9; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Nigeria vom 12. April 2019, zuletzt aktualisiert am 18. Dezember 2019, Seite 9-14).

Auch eine Folter oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung durch die Kult-Gruppe „Eiye“ droht dem Kläger nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit.

Das Gericht ist aufgrund des Akteninhalts und der Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung nicht davon überzeugt, dass sich der Vorfall in I... in Lagos, der den Kläger im Sommer 2017 zur Ausreise motiviert haben will, tatsächlich ereignet hat. Denn die Angaben des Klägers zu diesem Teil seiner Verfolgungsgeschichte erachtet das Gericht als gesteigert, widersprüchlich und unsubstantiiert und daher als unglaubhaft.

Dass der Kläger während seines Studiums an der Ambrose-Ali-Universität bis etwa zum Jahr 2003 Probleme mit der Kultgruppe „Eiye“ bekam, die ihn misshandelt, sein Studentenzimmer zerstört und ihm Gegenstände weggenommen haben mag, steht noch im Einklang mit den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen, weshalb das Gericht an diesem Teil der Geschichte keine grundlegenden Zweifel hegt. Diese Ereignisse liegen jedoch viel zu lange zurück, als dass sie heute noch asylrechtliche Relevanz haben könnten.

Nicht schlüssig und nachvollziehbar sind dagegen die Angaben des Klägers zu dem Geschehen in I... in Lagos etwa 14 Jahre später. Wie oben bereits dargelegt fehlt es an jeglichen Erkenntnissen dazu, dass die Kultgruppe „Eiye“ oder Kultgruppen überhaupt an einer Person wie dem Kläger, der damals bereits ca. 34 Jahre alt war und schon eine Familie gegründet hatte, als Mitglied Interesse haben könnten. „Eiye“ rekrutiert ihre Mitglieder an Universitäten und sonstigen höheren Bildungseinrichtungen und die Aktivitäten der Kulte sind üblicherweise auf die betroffene Universität beschränkt; nach anderen Angaben sind Kulte als „Jugendbanden“ zu bezeichnen. Zielgruppe der Kultgruppen sind jedenfalls mehrheitlich Teenager und Jugendliche sowie aktuelle und frühere Studenten von tertiären Bildungseinrichtungen (Immigration and Refugee Board of Canada: Nigeria: The Eiye confraternity, including origin, purpose, structure, membership, recruitment methods, activities and areas of operation, state response, 8. April 2016, Seite 3; ACCORD, Anfragebeantwortung zu Nigeria: Informationen zu einer Kultistengruppe namens Supreme Eiye Confraternity, 2. November 2017, Seite 4). Es gibt keine Erkenntnisse darüber, dass unabhängig vom Alter praktisch jedermann durch „Eiye“ oder sonstige Kultgruppen rekrutiert würde.

Bereits dies lässt die Behauptung des Klägers, im Jahr 2017 seien sein Haus in Lagos überfallen und sein Vater getötet worden, weil der Kläger seit mehr als einem Jahrzehnt nicht Mitglied bei „Eiye“ habe werden wollen, als unglaubhaft erscheinen.

Erst recht gibt es keine Erkenntnisse darüber, dass solche Personen, die nicht Mitglied werden wollten, von den Kultgruppen über Jahre hinweg weiterhin verfolgt würden und dass es solchen Personen gegenüber zu derartigen Gewaltexzessen kommen würde, wie sie der Kläger behauptet. Etwas Derartiges ist auch den von dem Prozessbevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Erkenntnismitteln nicht zu entnehmen.

Es widerspricht bereits dem gesunden Menschenverstand, dass eine kriminelle Gruppe Mitglieder in ihren Reihen haben wollte, die sich mit den Methoden und Zielen der Gruppe nicht identifizieren und diese ablehnen. Selbst nach Ex-Mitgliedern von Kultgruppen wird selten gesucht und wenn doch, dann wird eine erfolglose Suche nach zwei bis drei Monaten abgebrochen (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Nigeria vom 12. April 2019, zuletzt aktualisiert am 18. Dezember 2019, Seite 34). Der Kläger hat aber durchgehend vehement bestritten, jemals Mitglied bei „Eiye“ gewesen zu sein.

Gewaltausbrüche im Zusammenhang mit Kultgruppen sind dokumentiert wegen interner Rivalitäten und Revierkämpfen zwischen verschiedenen Kulten sowie wegen allgemeiner schwerer Kriminalität wie Raub, Vandalismus, Besitz von Drogen und Waffen (ACCORD, Anfragebeantwortung zu Nigeria: Informationen zu einer Kultistengruppe namens Supreme Eiye Confraternity, 2. November 2017, Seite 4). Nur diejenigen, die wenn auch eventuell unter Zwang bereits einen Initiationsritus durchgemacht haben, werden als Mitglieder angesehen, die die Gruppe nicht mehr verlassen dürfen (EASO, Country of Origin Report Nigeria, Targeting of Individuals, November 2018, Seite 47). Demnach gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass widerwillige Personen mittleren Alters für eine Kultgruppe zwangsweise rekrutiert und im Fall der Weigerung getötet werden würden, ohne dass sie schon einen Initiationsritus durchgemacht hätten. Dass der Kläger einen solchen Ritus durchgemacht hätte oder sonst über Kenntnisse verfügen würde, die die Gruppe „Eiye“ als geheim ansieht und die er jetzt verraten und sie dadurch in Gefahr bringen könnte, hat er zu keinem Zeitpunkt auch nur ansatzweise dargelegt.

Auch die Schilderungen des Klägers zu seinen Erlebnissen in I.../Lagos, die ihn zur Ausreise motiviert haben sollen, wecken grundlegende Zweifel daran, dass er Opfer einer „Zwangsrekrutierung“ im Jahr 2017 geworden wäre. Sein Vortrag dazu enthält zahlreiche Widersprüche.

Während er in der Anhörung beim Bundesamt angab, der Vorfall in I... habe sich im Juli 2017 ereignet, als er den Geburtstag seines Sohnes vorbereitet habe, sagte er in der mündlichen Verhandlung, sein Sohn sei am 4. März geboren. Nach dieser zweiten Variante hätten zwischen seiner Ausreise im August und dem Überfall auf sein Haus etwa fünf Monate gelegen, was schwerlich mit einer Flucht aufgrund ernsthafter Bedrohung in Übereinstimmung zu bringen ist. Es ist auch nicht lebensnah, dass der Kläger das Geburtsdatum seines 2014 geborenen Sohnes verwechselt haben könnte, zumal er mit der Mutter des Kindes zu diesem Anlass noch vor einem Jahr telefoniert haben will.

Weiter erklärte der Kläger in seiner Anhörung vor dem Bundesamt, nach dem Überfall auf sein Haus und dem Mord an seinem Vater hätte ihm eine Frau vorgeschlagen, das Land zu verlassen, und ihn mit zwei anderen Leuten über Marokko nach Frankreich gebracht. Dagegen behauptete er in der mündlichen Verhandlung erstmals, mit Hilfe eines Freundes, mit dem er schon auf der Universität gewesen sei, bei dem Überfall 2017 in I... aus seinem Haus entkommen zu sein. Weiter sagte er erstmals in der mündlichen Verhandlung, dieser Freund habe die Verbindungen geknüpft, damit er sein Visum für die Ausreise erhalten habe. Sein Freund habe ihm auch alles über diesen Vorfall berichtet. Beide Varianten, zum einen die Frau und zum anderen der langjährige Freund, die die Ausreise des Klägers organisiert haben sollen, sind nicht miteinander vereinbar.

Erstmals in der mündlichen Verhandlung behauptete der Kläger dann auch, er habe gehört, dass dieser Freund letztes Jahr erschossen worden sei, dass er auf Youtube ein Video von dieser Tötung gesehen habe und dass auf dem Video zu hören sei, dass diejenigen, die den Freund getötet hätten, nach dem Kläger gefragt hätten.

Weiter ist festzustellen, dass der Kläger in seiner Anhörung vor dem Bundesamt angab, er habe zwischen 2003 und 2016 keine Probleme mit der Kultgruppe gehabt, sondern er habe erst im Jahr 2017 wenige Wochen vor dem Vorfall im Juli Drohnachrichten von „ihnen“ auf seinem Handy empfangen. Dagegen trug er in der mündlichen Verhandlung erstmalig vor, er sei noch in Benin 2005 oder 2006 bei seinen Geschäften behindert und geschlagen worden. Weiter sei er zu Beginn des Jahres 2014 oder 2015 in Lagos in einem Supermarkt einem Mann namens Ayo begegnet, in dem er ein Eiye-Mitglied wiedererkannt habe, der ihn bereits auf der Universität terrorisiert und Zigaretten auf dem Kläger ausgedrückt und ihn bedroht habe. Er wisse aber nicht, ob Ayo ihn in dem Supermarkt erkannt habe. Ein paar Tage, nachdem er Ayo begegnet sei, habe er Drohanrufe bekommen und seine Sim-Karte gewechselt.

Schließlich ist der eigentlich fluchtauslösende Vorfall, nämlich der Überfall auf sein Haus in I... und die Tötung seines Vaters, von dem Kläger durchgehend nur formelhaft und ohne jegliche Einzelheiten, die auf eigenes Erleben schließen lassen könnten, geschildert worden. Der Kläger erklärte auch nicht, welche Tatsachen überhaupt dafür sprechen sollen, dass die Gruppe „Eiye“ etwas damit zu tun haben könnte, da er den oder die Täter überhaupt nicht gesehen haben, sondern lediglich von seinem Vater durch Rufe zur Flucht aufgefordert worden sein will. Vollends unklar blieb auch durchgehend, warum der Tod der Mutter des Klägers ein Jahr später auf Einwirkungen der Kultgruppe zurückzuführen sein sollte, wie er noch in der Anhörung behauptete; solches wiederholte er in der mündlichen Verhandlung dann nicht mehr, berichtete aber stattdessen von der Tötung seines bis dahin nicht erwähnten Freundes.

In Zusammenschau mit den oben beschriebenen Erkenntnissen und angesichts der dargelegten zahlreichen Widersprüche und Fragwürdigkeiten handelt es sich zur Überzeugung des Gerichts hinsichtlich des Vorfalls im Sommer 2017 um einen in wesentlichen Punkten widersprüchlichen, gesteigerten und daher insgesamt unglaubhaften Vortrag. Die neuen Behauptungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung zu dem getöteten Freund und zu dem Mann namens Ayo, die für das Gericht insgesamt nicht nachprüfbar sind, waren erkennbar neue Konstruktionen mit dem Ziel, Unstimmigkeiten seines früheren Vortrags, die das Bundesamt zur Ablehnung seiner Anträge bewogen und die es in seinem Bescheid auch ausdrücklich benannt hatte, auszuräumen. Es ist nicht nachvollziehbar, warum der Kläger seine jetzigen Behauptungen nicht von Anfang an vorgetragen hat.

Unabhängig davon scheidet die Zuerkennung des subsidiären Schutzes für den Kläger aus, weil ihm hinsichtlich der Bedrohung durch die Gruppe „Eiye“ bzw. „Badoo“ eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung steht (§ 4 Abs. 3 i.V.m. § 3e Abs. 1 AufenthG).

Gemäß § 3e AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslands keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (sog. „interner Schutz“, vgl. § 3e Abs. 1 AsylG). Bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen des § 3e Abs. 1 ASylG erfüllt, sind gemäß § 3e Abs. 2 Satz 1 AsylG die im sicheren Teil des Herkunftslandes vorhandenen allgemeinen Gegebenheiten sowie die persönlichen Umstände des Klägers zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung zu berücksichtigen. Der in § 3e Abs. 1 AsylG angelegte Zumutbarkeitsmaßstab geht über das Fehlen einer im Rahmen des § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG beachtlichen existenziellen Notlage hinaus. Die Beurteilung erfordert eine Einzelfallprüfung. Dabei sind die individuellen Besonderheiten wie Sprache, Bildung, persönliche Fähigkeiten, vorangegangene Aufenthalte des Klägers in dem in Betracht kommenden Landesteil, örtliche und familiäre Bindungen, Geschlecht, Alter, ziviler Status, Lebenserfahrung, soziale Einrichtungen, gesundheitliche Versorgung und verfügbares Vermögen zu berücksichtigen. Entscheidend dafür, ob eine inländische Fluchtalternative als zumutbar angesehen werden kann, ist insbesondere auch die Frage, ob an dem verfolgungssicheren Ort das wirtschaftliche Existenzminimum des Asylsuchenden gewährleistet ist. Dies ist in der Regel anzunehmen, wenn der Asylsuchende durch eigene Arbeit oder Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu seinem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen kann. Nicht mehr zumutbar ist die Fluchtalternative, wenn der Asylsuchende an dem verfolgungssicheren Ort bei der gebotenen grundsätzlich generalisierenden Betrachtungsweise auf Dauer ein Leben zu erwarten hat, das zu Hunger, Verelendung und schließlich zum Tod führt oder wenn er dort nichts anderes zu erwarten hat als ein Dahinvegetieren am Rande des Existenzminimums.

Dem Kläger ist es zumutbar, einen Ort außerhalb von Lagos, Benin und dem Südwesten aufzusuchen. Auch religiösen Kulten kann man sich durch Flucht entziehen und sie sind nicht in der Lage, eine Person in ganz Nigeria zu verfolgen. „Kulte“ greifen generell niemanden an, der nicht selbst in Kult-Aktivitäten involviert ist. Personen, die sich vor derartigen Gruppierungen fürchten, können entweder Schutz erhalten oder aber eine innerstaatliche Relokationsmöglichkeit in Anspruch nehmen, um der befürchteten Misshandlung zu entgehen (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Nigeria vom 12. April 2019, zuletzt aktualisiert am 18. Dezember 2019, Seite 34-35). Die Gruppe „Eiye“ ist im Südwesten Nigerias und in Benin am prominentesten vertreten (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich: Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Nigeria: „Geheimbund namens EYE“, 1. April 2015, Seite 1).

Die nigerianischen Kultgruppen weisen zwar mafia-ähnliche Strukturen auf. Jedoch ist die Gruppe „Eiye“ in Nigeria nicht derart mächtig und einflussreich, dass sie staatliche Strukturen überlagern und die Staatsgewalt landesweit außer Kraft setzen könnte. Die Erkenntnisse besagen vielmehr, dass es Hinweise gibt, dass der Einfluss der „Kulte“ in letzter Zeit abgenommen hat (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Nigeria vom 18. Dezember 2019, Seite 34). Für die Gruppe „Eiye“ existieren keine verlässlichen Mitgliederzahlen, aber es wird angenommen, dass sie „Hunderte“ von Mitgliedern in Afrika und auf anderen Kontinenten hat (Immigration and Refugee Board of Canada: Nigeria: The Eiye confraternity, including origin, purpose, structure, membership, recruitment methods, activities and areas of operation, state response, 8. April 2016, Seite 3). Angesichts der oben bereits beschriebenen gesetzlichen und polizeilichen Aktivitäten in Nigeria und den lediglich einigen Hundert Mitgliedern, von denen ein Teil in anderen afrikanischen Ländern und in Europa lebt, ist von einer grundsätzlichen Schutzbereitschaft und -fähigkeit staatlicher Strukturen gegenüber „Eiye“ auszugehen.

Es ist auch nicht beachtlich wahrscheinlich, dass die fragliche Kult-Gruppe den Kläger in anderen Bundesstaaten Nigerias finden könnte. Nach den Erkenntnissen, die dem Gericht vorliegen, verfügt Nigeria, ein Staat mit ca. 200 Millionen Einwohnern und mehreren Millionenstädten, nicht über ein Meldewesen, sodass es keine Möglichkeit gibt, bei einer zuständigen Behörde nach der Wohnanschrift einer Person zu fragen. Das Fehlen von Meldeämtern und bundesweiten polizeilichen Fahndungsbehörden ermöglicht es in den allermeisten Fällen, bereits in der näheren Umgebung „unterzutauchen“ (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria vom 16. Januar 2020, Seiten 5, 6 und 16; Auskünfte vom 20. Februar 2020 und vom 9. April 2019 an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Nigeria vom 12. April 2019, zuletzt aktualisiert am 18. Dezember 2019, Seite 47). Demnach ist es äußerst unwahrscheinlich, dass eine private Organisation wie die Kult-Gruppe „Eiye“ den Kläger im Fall von dessen Rückkehr außerhalb von Lagos, Benin oder dem Südwesten suchen würde, und erst recht unwahrscheinlich ist es, dass sie in der Lage wäre ihn zu finden.

Es sind keine Gründe ersichtlich, weshalb es dem Kläger unmöglich wäre, sich in einem anderen Bundesstaat Nigerias außerhalb von Benin, Lagos oder dem Südwesten niederzulassen.

Weiterhin lebt ca. 70 Prozent der Bevölkerung in Nigeria am Existenzminimum. Subsistenzmöglichkeiten für den größten Teil der Bevölkerung bieten der (informelle) Handel und die Landwirtschaft. Das BIP pro Einwohner betrug im Jahr 2017 laut Weltbank 1.994 $, ist aber ungleichmäßig zwischen einer kleinen Elite und der Masse der Bevölkerung verteilt (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria vom 16. Januar 2020, Seite 8 und Seite 21). Über 60 Prozent der Nigerianer sind in der Landwirtschaft beschäftigt, in ländlichen Gebieten über 90 Prozent. Über 95 Prozent der landwirtschaftlichen Produktion kommt aus Subsistenzbetrieben. Historisch war Lebensmittelknappheit in fast ganz Nigeria aufgrund des günstigen Klimas und der hohen agrarischen Tätigkeit so gut wie nicht existent. Hungerperioden oder Ernährungsprobleme bei Kindern werden lediglich aus den nördlichen Grenzregionen Nigerias berichtet. Der Mangel an lohnabhängiger Beschäftigung führt dazu, dass immer mehr Nigerianer in den Großstädten Überlebenschancen im informellen Wirtschaftssektor als „self-employed“ suchen. Die Massenverelendung nimmt seit Jahren bedrohliche Ausmaße an. Die Großfamilie unterstützt in der Regel beschäftigungslose Angehörige. Generell wird die Last für Alter, Krankheit, Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung vom Netz der Großfamilie und vom informellen Sektor getragen. Allgemein kann festgestellt werden, dass auch eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit findet, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Bedürfnisse aus selbständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Nigeria vom 12. April 2019, zuletzt aktualisiert am 18. Dezember 2019, Seite 49-50).

Bei dem Kläger handelt es sich um einen erwerbsfähigen Mann, der über eine überdurchschnittliche Schul- und Universitätsausbildung verfügt. Er besuchte die Grundschule und die Sekundarschule im Edo-State und studierte dann zweieinhalb Jahre lang Computerwissenschaften. Anschließend verkaufte er Kleidung, um den Lebensunterhalt für sich, seine Frau und seinen Sohn zu bestreiten. In Deutschland arbeitet er nach eigenen Angaben in Vollzeit als Lagerarbeiter. Es sind keine Gründe ersichtlich, warum er nicht in der Lage sein sollte, seinen notwendigen Lebensunterhalt außerhalb des Südwestens erneut durch einfache Tätigkeiten z.B. im Handel, in der Landwirtschaft oder sonst im informellen Sektor zu sichern. Möglicherweise stehen ihm aufgrund seiner IT-Kenntnisse auch höherwertige Tätigkeiten, ggf. im formalen Sektor, offen.

Der Kläger gab zwar einerseits an, er habe in der Heimat eine Frau und den am 4. März 2014 geborenen Sohn Victor, erklärte aber zugleich in der mündlichen Verhandlung, er habe seit seiner Ausreise drei oder vier Mal mit ihnen gesprochen, zuletzt im März letzten Jahres. Insofern ist nicht davon auszugehen, dass der Kläger entschlossen wäre, die Familieneinheit mit seiner Frau und seinem Sohn im Fall der Rückkehr wiederherzustellen und etwaigen Unterhaltspflichten nachzukommen. Selbst wenn er dies aber anstreben sollte, stände es seiner Rückkehr nicht entgegen, weil er die Frau und den Sohn offensichtlich seit 2014 versorgt hatte und keine Gründe ersichtlich sind, warum ihm dies jetzt unmöglich sein sollte.

Dies gilt auch angesichts der aktuellen Covid-19-Pandemie. Es liegen keine belastbaren Anhaltspunkte dafür vor, dass sich Wirtschaft und Versorgungslage der Bevölkerung trotz internationaler humanitärer Hilfe und lokaler Hilfsbereitschaft derart verschlechtern, dass der Kläger nicht mehr in der Lage wäre, seinen Lebensunterhalt in Nigeria sicherzustellen. Der Internationale Währungsfonds gewährte Nigeria bereits im April 2020 Nothilfe in Höhe von 3,4 Milliarden US-Dollar, um Wirtschaft und Während in der Corona-Krise auch angesichts des Verfalls der Ölpreise zu stabilisieren („IWF gewährt Nigeria wegen Corona-Krise Milliardenhilfe“, www.spiegel.de, 28. April 2020). Selbst wenn bei einer Rückkehr des Klägers noch die aktuellen nächtlichen Ausgangssperren gelten sollten, fehlt es an Anhaltspunkten dafür, dass diese Maßnahmen dauerhaft auf unbestimmte Zeit gelten würden. Die als „Lockdown“ bzw. „Ausgangssperre“ bezeichneten Maßnahmen wurden außerdem soweit ersichtlich bisher lediglich in Lagos, Abuja und Kano verhängt, jedoch ab Anfang Mai 2020 bereits wieder gelockert. Die Maßnahmen sollen in Lagos und Abuja bis Mitte Juni 2020 auslaufen (https://www.onvista.de/news/lagos-und-abuja-wachen-auf-nigeria-lockert-corona-einschraenkungen-355744945). Für andere Orte im Süden Nigerias fehlt es an Angaben darüber, dass überhaupt ein „Lockdown“, „Ausgangssperren“ oder vergleichbare Maßnahmen verhängt worden wären.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG. Eine tatsächliche Gefahr, aufgrund der Sicherheitslage und der allgemeinen humanitären Situation in Nigeria „zwingend“ eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung zu erfahren, die ein entsprechendes sehr hohes Schädigungsniveau erreichen muss, besteht im Fall des Klägers nicht; besondere Umstände, die eine andere Beurteilung erfordern würden, liegen in seinem Fall nicht vor. Hierzu wird auf die obigen Ausführungen im Rahmen des subsidiären Schutzes zur inländischen Fluchtalternative Bezug genommen.

Ein Abschiebungsverbot aus § 60 Abs. 7 AufenthG scheidet für den Kläger ebenfalls aus. Nach § 60 Abs. 7 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dies kann aus individuellen Gründen der Fall sein, kommt aber ausnahmsweise auch infolge einer allgemein unsicheren oder wirtschaftlich schlechten Lage im Zielstaat in Betracht. Eine solche Ausnahme können die im Zielstaat herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage darstellen, wenn bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit eine extreme Gefahrenlage vorläge. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahr ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit strengeren Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit in dem Sinn drohen, dass er im Fall der Abschiebung sozusagen sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert wäre. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren, wenn also z.B. der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert wäre.
Von diesem Maßstab ausgehend bietet § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG unter dem Gesichtspunkt der extremen Gefahrenlage keinen weitergehenden Schutz als § 60 Abs. 5 i.V.m. Art. 3 EMRK. Liegen also die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen schlechter humanitärer Bedingungen nicht vor, so scheidet auch eine im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG relevante extreme Gefahrenlage aus (Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil v. 12. Oktober 2018 – A 11 S 316/17 – juris, Rn. 453). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor, wie oben bereits dargelegt. Aus der EMRK folgt ansonsten kein Recht auf Verbleib in einem Konventionsstaat allein aus dem Grund, um dort weiter medizinische, soziale oder andere Hilfe und Unterstützung zu erhalten.

Nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigt, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen (§ 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG). Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten (§ 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG).

Die Regelung in § 60a Abs. 2c und 2d AufenthG umfasst nach ihrem Wortlaut, ihrer Entstehungsgeschichte und ihrem Sinn und Zweck auch die Feststellung zielstaatsbezogener Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 7 AufenthG (Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 28. September 2017 – 2 L 85/17 – juris, Leitsatz und Rn. 13).

Bei dem Kläger greift die gesetzliche Vermutung, dass seiner Abschiebung keine zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisse aus gesundheitlichen Gründen entgegenstehen. Es fehlt an einer aktuellen und qualifizierten ärztlichen Bescheinigung. Die Atteste des Facharztes A... vom 10. Oktober 2017 und vom 17. Januar 2018 und der Bericht der Röntgenpraxis Potsdam vom 7. Juni 2018 sowie die in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Bescheinigung des Facharztes A... vom 24. September 2019, wonach der Kläger Ruhe brauche, um zu regenerieren, und es notwendig sei, dass er aus dem Wohnheim ausziehe und eine eigene Wohnung bekomme, genügen weder den gesetzlichen Anforderungen noch lassen sie Rückschlüsse auf den aktuellen Gesundheitszustand des Klägers zu, ganz zu schweigen davon, dass sie sich nicht zu einer etwaigen Entwicklung der Erkrankungen im Fall der Rückkehr verhalten.

Außerdem wären diese Erkrankungen, sollten sie aktuell noch vorliegen, in Nigeria behandelbar. In den letzten Jahren hat sich die medizinische Versorgung in den Haupt- und größeren Städten in Nigeria sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor deutlich verbessert. Rückkehrer finden in den Großstädten eine medizinische Grundversorgung vor, die im öffentlichen Gesundheitssektor allerdings in der Regel unter europäischem Standard liegt. Es gibt sowohl staatliche als auch zahlreiche privat betriebene Krankenhäuser, wobei die Behandlungen überall selbst bezahlt werden müssen. In der Regel gibt es fast alle geläufigen Medikamente in Nigeria in Apotheken zu kaufen, wobei die Qualität zweifelhaft ist (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria vom 16. Januar 2020, Seite 22).

Die Diagnosen Diabetes mellitus Typ II, Hypertonie (Bluthochdruck), Hyperlipidämie (erhöhter Fettgehalt des Blutes, Cholesterin) und Hyperlipoproteinämie (Fettstoffwechselstörung) sowie die geringgradige Arthrose der Iliosakralgelenke (Verbindung zwischen Wirbelsäule und Becken) stellen keine Erkrankungen dar, die ein Abschiebungsverbot aus gesundheitlichen Gründen rechtfertigen könnten. Wie der Kläger bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt angab, wurde er deswegen bereits in Nigeria behandelt und erhielt dort auch Medikamente. Darauf ist er im Fall der Rückkehr wieder zu verweisen. Bei Bluthochdruck und Diabetes mellitus Typ II handelt es sich um in Nigeria grundsätzlich behandelbare Erkrankungen, einschließlich etwaiger Laborkontrollen. Diabetes mellitus stellt in Nigeria eine weit verbreitete Krankheit dar, die wohl schon als Volkskrankheit bezeichnet werden kann. Die entsprechenden Medikamente sind insbesondere in Großstädten verfügbar und mit zumutbarem finanziellen Aufwand zu beschaffen (Verwaltungsgericht Augsburg, Urteil v. 27. Januar 2020 – Au 9 K 17.35055 – juris, Rn. 51; Verwaltungsgericht Würzburg, Urteil v. 22. März 2019 – W 10 K 17.33732 – juris, Rn. 56).

Dies wird auch nicht durch die aktuelle Covid-19-Pandemie in Frage gestellt. Diese Gefahr droht nicht nur dem Kläger, sondern unterschiedslos allen Bewohnern Nigerias. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG sind derartige Gefahren bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Eine derartige Anordnung gibt es für Nigeria nicht.

Wenn eine solche politische Leitentscheidung fehlt, kann der Asylsuchende Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlag ausgesetzt wäre (Verwaltungsgericht Bayreuth, Urteil v. 21. April 2020 – B 8 K 17.32211, Urteilsabdruck, Seite 22). Dafür, dass der Kläger als 38-Jähriger in Nigeria so schwer an dem Virus erkranken könnte, dass er auch angesichts mangelhafter medizinischer Versorgung in eine existenzielle Gesundheitsgefahr geraten könnte, gibt es keine Anhaltspunkte, zumal er aktuell in Deutschland der Ansteckungsgefahr im selben, wenn nicht in höherem Ausmaß wie im Herkunftsstaat ausgesetzt sein dürfte. Entgegen den alarmierenden Voraussagen von Experten blieb Afrika bislang von einer großen Corona-Katastrophe verschont. Die meisten Infektionen traten bisher in Südafrika und in Ägypten auf (https://www.nzz.ch/international/corona-covid-19-hat-afrika-bis-jetzt-weitgehend-verschont-ld.1555647). Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (Stand: 26. Mai 2020) waren in Nigeria 8.068 Infizierte registriert, davon 2.311 Genesene und 233 Todesfälle (https://www.worldometers.info/coronavirus/country/nige-ria/). Die Risikofaktoren für einen schweren Verlauf der Erkrankung wie hohes Lebensalter und/oder entsprechende Vorerkrankungen liegen bei dem Kläger nicht vor. Eine Diabetes-Erkrankung ohne Folgeerkrankungen, insbesondere Herz-Kreislauf-Erkrankungen, erhöht das Risiko nicht (vgl. Diabetes-Portal: https://www.diabsite.de/ aktuelles/nachrichten/2020/200319.html).

Die rechtmäßige Abschiebungsandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in § 34 AsylG, § 59 AufenthG. Die Ausreisefrist von 30 Tagen ergibt sich aus § 38 Abs. 1 AsylG.

Gegen die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 1 AufenthG wurde ebenfalls weder seitens des Klägers vorgetragen noch sind für das Gericht nach eigener Prüfung Gründe dafür ersichtlich, dass die Befristung auf 30 Monate ermessensfehlerhaft sein könnte. Hinsichtlich der in Deutschland lebenden Halbschwester des Klägers fehlt es an näheren Angaben, weshalb dies hier von Bedeutung sein könnte.

Die Kostenentscheidung einschließlich der Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83b AsylG. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 Abs. 2 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.