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Entscheidung 4 U 153/21


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 4. Zivilsenat Entscheidungsdatum 08.06.2022
Aktenzeichen 4 U 153/21 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2022:0608.4U153.21.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Cottbus vom 28.06.2021, Az. 3 O 196/20, wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Dieses Urteil sowie das angefochtene Urteil des Landgerichts Cottbus sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

4. Der Streitwert wird auf bis zu 13.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin nimmt die beklagte Fahrzeugherstellerin aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung wegen einer vermeintlich unzulässigen Abschalteinrichtung in Anspruch.

Die Klägerin erwarb mit Kaufvertrag vom … 2019 von der Autohaus … GmbH in … den streitgegenständlichen gebrauchten BMW 116d mit einer Laufleistung von 42.432 km zu einem Kaufpreis von 12.810 € brutto. Die Erstzulassung datiert aus 2015. In dem Fahrzeug ist ein von der Beklagten hergestellter und entwickelter Dieselmotor des Typs B37 mit der Schadstoffklasse Euro 6 verbaut.

Zur Reduktion der Stickstoffemissionen (und zur Einhaltung der Grenzwerte der Schadstoffklasse) verfügt der Motor über eine Abgasrückführung sowie über einen NOx-Speicherkatalysator. Der Grad der Abgasrückführung ist von einer Reihe verschiedener Parameter abhängig, u.a. auch von der Umgebungstemperatur (sog. „Thermofenster“).

Das Fahrzeug der Klägerin ist von einem amtlichen Rückruf nicht betroffen.

Mit Schreiben vom 28.05.2020 forderte die Klägerin eine Nachrüstung des Fahrzeugs und bot die Rückgabe des Fahrzeugs gegen Erstattung des Kaufpreises an.

Die Klägerin meint, bei der temperaturabhängigen Steuerung der Abgasrückführung handele es sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung. Diese führe im Realbetrieb zu einem erhöhten Ausstoß von Stickoxiden.

Zudem verfüge das Fahrzeug über eine Fahrzykluserkennung („Hard Cycle Beating“), mit der es erkenne, wenn es einen bestimmten Fahrzyklus auf einem Rollenprüfstand für die Abgasmessung (NEFZ) abfahre. Nur unter den Bedingungen auf dem Prüfstand funktioniere die Abgasreinigung optimal. Unter anderen (realen) Bedingungen werde das Abgasrückführungsventil dagegen komplett geschlossen. Dementsprechend sei die elektronische Fehlerdiagnose des Fahrzeugs (OBD) so verändert worden, dass die (gezielte) Abschaltung der Abgasrückführung nicht als Fehler ausgegeben werde.

Diese Abschalteinrichtungen verstießen gegen die relevante Abgasnorm (VO 715/2007 EG), insbesondere sei der Ausnahmetatbestand des Art. 5 Abs. 2 der VO nicht einschlägig. Der Vorstand der Beklagten habe diesen Verstoß bewusst aus Kostengründen in Kauf genommen, weil die Abgasgrenzwerte andernfalls nur mit höherem technischen und wirtschaftlichen Aufwand einzuhalten gewesen wären. Die Beklagte habe das Vorhandensein dieser Abschalteinrichtungen dem Kraftfahrbundesamt im Rahmen des Typengenehmigungsverfahrens bewusst verschwiegen.

Die Klägerin sei davon ausgegangen, ein wertstabiles und technisch einwandfreies Fahrzeug zu erwerben, welches die gesetzlichen Schadstoffwerte einhalte. Dabei seien ihr Sparsamkeit, Umweltfreundlichkeit und der Wiederverkaufswert des Fahrzeugs besonders wichtig gewesen. Bei Kenntnis der zahlreichen Manipulationen hätte sie vom Kauf dieses Fahrzeugs Abstand genommen.

Die Klägerin hat als Schadenersatz den Kaufpreis in Höhe von 12.810,00 € abzüglich Nutzungen von 547,82 € (unter Zugrundelegung einer Laufleistung von 500.000 km), d.h. 12.262,18 € verlangt. Erstinstanzlich hat sie beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an sie einen Betrag von 12.262,18 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11.06.2020 zu zahlen, Zug um Zug gegen die Übereignung und Herausgabe des PKW vom Typ BMW 116d mit der Fahrzeugidentifikationsnummer …,

2. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Entgegennahme des im Antrag 1. genannten Fahrzeuges in Annahmeverzug seit dem 28.05.2020 befindet,

3. die Beklagte zu verurteilen, sie von den Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.101,94 € freizustellen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat erstinstanzlich die Auffassung vertreten, dass das „Thermofenster“ nicht als unzulässige Abschalteinrichtung anzusehen sei. Jedenfalls sei das Thermofenster weder objektiv sittenwidrig noch liege dem ein Schädigungsvorsatz zugrunde. Das OBD sei nicht manipuliert, weil die Funktionsweise des Thermofensters schon nicht fehlerhaft sei. Dass die Stickoxid-Emissionen im Realbetrieb diejenigen auf dem Prüfstand übersteigen, sei erwartbar und kein Anhaltspunkt für eine unzulässige Abschalteinrichtung. Der Genehmigungsbehörde sei die Funktionsweise des Thermofensters bei der Beantragung der Typengenehmigung mitgeteilt worden. Dass das Fahrzeug der Klägerin auch sonst nicht mit unzulässigen Abschalteinrichtungen ausgestattet sei, werde auch dadurch belegt, dass das KBA in Kenntnis der Funktionsweise des streitgegenständlichen Motors diesen nicht zurückgerufen habe.

Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 28.06.2021, auf dessen tatsächliche Feststellungen im Übrigen verwiesen wird (§ 540 Abs. 1 ZPO), abgewiesen und einen Anspruch der Klägerin wegen vorsätzlich sittenwidriger Schädigung abgelehnt. Der Einbau eines Thermofensters bei der Abgasrückführung stelle keine sittenwidrige Schädigungshandlung dar. Denn eine Umschaltlogik sei nicht vorhanden. Die Regelung funktioniere vielmehr im Fahrbetrieb und auf dem Prüfstand in gleicher Weise. Es fehle jedenfalls an einem Vorsatz, da die europarechtliche Rechtslage uneinheitlich gewesen sei und daher ein Rechtsirrtum nicht ausgeschlossen werden könne. Ob das Thermofenster für den Motorschutz unerlässlich sei, könne dahinstehen. Es könne auch nicht deshalb von einem vorsätzlichen Handeln ausgegangen werden, weil das OBD des Fahrzeugs keinen Fehler der Abgasreinigung melde. Denn wenn die Beklagte vertretbar von der Zulässigkeit des Thermofensters ausgehen konnte, musste das OBD auch nicht einen entsprechenden Fehler anzeigen. Der Vortrag der Klägerin zu anderen unzulässigen Abschalteinrichtungen sei nicht schlüssig, da die Klägerin in weiten Teilen zu anderen Motortypen vorgetragen habe. Es gebe jedoch keinen Erfahrungssatz, der einen Generalverdacht gegenüber sämtlichen Dieselmotoren eines Konzerns begründen könne. Schließlich sei der Klägerin auch kein Schaden entstanden. Ein Anspruch ergebe sich auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB, weil es sich bei Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 bzw. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV nicht um Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB handele. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB scheitere am Fehlen einer vorsätzlichen Täuschung.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihr erstinstanzliches Vorbringen wiederholt und vertieft. Sie wendet sich insbesondere gegen die Auffassung des Landgerichts, wonach das bisherige Klägervorbringen keinen hinreichend substantiierten Sachvortrag enthalte. Die Klägerin habe beinahe 6-fache Überschreitungen der Grenzwerte für NOx aufgezeigt. Es seien verschiedentlich Motoren der Beklagten getestet worden; dabei seien Manipulationen „flächendeckend“ aufgetreten. Dies sei ein greifbarer Anhaltspunkt dafür, dass die Beklagte Manipulationen vorgenommen habe, um Typgenehmigungen zu erhalten. Das Fehlen eines Rückrufs schließe Manipulationen nicht aus. Ein vom OLG Frankfurt eingeholtes Sachverständigengutachten (Dipl.-Ing. F…) bestätige, dass der Motor mit entsprechenden Sensoren ausgestattet sei und diese im laufenden Fahrbetrieb Eingriffe in die Emissionskontrollsysteme vornähmen. Eine Notwendigkeit zum Zwecke des Motorschutzes habe der Gutachter, dessen Feststellungen auch auf den streitgegenständlichen Motor übertragbar seien, verneint. Die Klägerin macht Ausführungen zur Steuerung von SCR-Katalysatoren und zu Folgemängeln eines Software-Updates. Das Ausgangsgericht sei auch rechtsfehlerhaft zu dem Schluss gekommen, dass die Überschreitung der Grenzwerte im normalen Fahrbetrieb nicht auf eine unzulässige Abschaltvorrichtung hinweise. Es sei vielmehr charakteristisch für eine derartige Funktion, dass sie die Einhaltung der Grenzwerte im NEFZ bewirke, nicht hingegen im normalen Fahrbetrieb. Dies werde auch durch die Leitlinien der Europäischen Kommission vom 26.01.2017 zur Erkennung von Abschaltvorrichtungen bestätigt. Dort würden selbstverständlich auch die Werte im Realbetrieb herangezogen. Auch die Kommission gehe davon aus, dass es Unklarheiten bei der Auslegung des Verbotes von Abschalteinrichtungen von vornherein nicht gegeben habe. Auch bei schweren Nutzfahrzeugen sei es den Herstellern gelungen, dass die Emissionswerte im Realbetrieb nicht über den zulässigen Grenzwerte lägen; dies sei allein darauf zurückzuführen, dass es bei diesen Fahrzeugen deutlich strengere Kontrollen gegeben habe. Die Hersteller könnten sich überdies auch nicht auf einen entschuldigenden Rechtsirrtum berufen. Hierfür wäre ein Ersuchen an die Kommission mit der Bitte um Auslegung des Begriffs der Abschaltvorrichtung erforderlich gewesen. Nach den Vorgaben der Europäischen Kommission bestehe bei Prüfungen auf der Straße im Realbetrieb (Kategorie 3) die Überschreitung der Grenzwerte um das 2 bis 5-Fache ein Verdacht auf das Vorhandensein einer unzulässigen Abschaltvorrichtung. Ein gerichtlicher Sachverständiger müsse überdies auch die weiteren von der Kommission vorgesehenen Messungen der Kategorie 1 (NEFZ mit minimalen Abweichungen), der Kategorie 2 (NEFZ mit begrenzter Änderung der physikalischen Reaktion des Motorsystems) sowie Kategorie 4 (überraschende Prüfungen) vornehmen. Bei Überschreitung der Messwerte müsse die Beklagte diese Überschreitungen ausführlich darlegen und erklären, um ihrer sekundären Darlegungslast nachzukommen. Wichtig dabei sei, dass nicht alleiniger Bezugspunkt die in der Verordnung 715/2007 festgesetzten Grenzwerte sei, sondern auch auf die Emissionszunahme im Vergleich zum durchgeführten NEFZ-Test abzustellen sei. Bereits die erstinstanzlich eingeführten DUH Messungen, die als NEFZ-Prüfungen auf der Straße durchgeführt worden seien und damit einer Prüfung der Kategorie 2 der Leitlinien der Kommission entsprächen, belegten, dass die Emissionen die zulässigen NEFZ-Referenzwerte im Realbetrieb um den Faktor 3 bis 7,7 überschreiten würden. Auch die Messungen der Untersuchungskommission Volkswagen würden nach den Maßstäben der EU-Kommission die dort genannten Schwellenwerte deutlich übersteigen und auf das Vorhandensein von Abschaltvorrichtungen hindeuten. Diese Einschätzung werde durch ein vom LG Hannover eingeholtes Gutachten von Prof. Dr.-Ing. B… ebenfalls bestätigt. Vor dem Hintergrund der Leitlinien der Kommission könne sich die Beklagte auch nicht pauschal auf einen angeblichen Motorschutz berufen; die von ihr angegebene Dauerhaltbarkeit und der langfristige Schutz des Motors stellten ohnehin keine zulässige Rechtfertigung dar, wie die Europäische Kommission im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH in den Leitlinien dargestellt habe. Hinsichtlich des Thermofensters habe das Landgericht die Darlegungs- und Beweislast verkannt. Das Vorliegen einer solchen Vorrichtung sei unstreitig, für die Ausnahme der Zulässigkeit nach Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007 trage hingegen die Beklagte die Darlegungs- und Beweislast, der sie nicht hinreichend nachgekommen sei. Dass es sich bei der temperaturgesteuerten Abschalteinrichtung um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 3 Nr. 10 VO 715/2007 handele, sei auch nach der Entscheidung des EuGH in der Sache C-693/18 nicht mehr zu diskutieren. Dieser habe auch die Auffassung der Klägerin bestätigt, dass die Grenzwerte auf dem Prüfstand auch unter normalen Betriebsbedingungen einzuhalten seien.

Das Verhalten der Beklagten sei sittenwidrig. Die Gründe der Beklagten zur Verwendung des Thermofensters hätten insbesondere in der Erzielung eines höheren Gewinns durch Einsparung von weiteren Entwicklungskosten bestanden. Die Beklagte habe die Abschalteinrichtungen bei der Typengenehmigung bei der zuständigen Behörde auch nicht angegeben. Hierzu obliege der Beklagten überdies eine sekundäre Darlegungslast, die darlegen müsste, alle relevanten Angaben gemacht zu haben. Davon sei indes nicht auszugehen, da diese andernfalls der Beklagten keine Teil-Genehmigung für die Abgasreinigung erteilt hätte.

Mit Schriftsatz vom 31.08.2021 hat die Klägerin zu einer weiteren unzulässigen Abschalteinrichtung vorgetragen: Dabei handele es sich um eine „Kaltstartheizen“-Funktion, die bei praktisch allen Motorsteuerungen des Motors B37 und B47 vorhanden sei. Diese habe der sachverständige Zeuge Dr. Heitz bei einer Untersuchung von 69 untersuchten Binärdateien der Motorsteuerungen von Fahrzeugen aus den Jahren 2011 bis 2018 festgestellt. Diese Funktion werde nur im Prüfstand aktiviert, da ihr Einsatz auch im Realbetrieb schädlich für den Abgasstrang sei und zu häufigeren Wartungsintervallen führe. Hintergrund sei, dass der im streitgegenständlichen Fahrzeug verbaute NOx-Speicherkatalysator eine sehr hohe Temperatur erreichen müsse (zwischen 250 bis 500 Grad Celsius), um NOx wirksam zu filtern. Bleibe der Katalysator zu kalt, könne NOx nicht wirksam reduziert werden. Im NEFZ mit geringer Last, Drehzahl und Geschwindigkeit könnten diese Temperaturen nicht, oder allenfalls am Ende, erreicht werden, so dass das Einhalten von Grenzwerten nicht erreicht werden könne. Daher habe die Beklagte das „Kaltaufheizen“ entwickelt, das unter sehr engen – realistischerweise nur im Prüfstand auftretenden – Bedingungen nach Motorstart die Verbrennung so regele, dass Kraftstoff unverbrannt den Motor verlassen könne und erst im Abgasstrang verbrannt werde, um diesen sehr schnell auf Temperatur zu bekommen. Die Beklagte habe diese Funktion weder dem KBA noch der irischen Zulassungsbehörde offengelegt. Auch wenn diese Funktion erst einmal bei den Motoren B37 und B47 festgestellt worden seien, mache dies deutlich, dass in den Motoren der Beklagten Abschaltvorrichtungen implementiert worden seien. Daher sei auch bei dem hier streitgegenständlichen Motor vom Vorhandensein einer unzulässigen Abschaltvorrichtung auszugehen. Die Erkenntnisse zum „Kaltaufheizen“ seien erst im Juni 2021 der Klägerin bekannt geworden. Erstinstanzlich habe daher ein entsprechender Vortrag nicht erfolgen können.

Für Nutzungen rechnet sich die Klägerin nunmehr 1.429,13 € (unter Zugrundelegung einer Laufleistung von 500.000 km) an. In der Berufungsinstanz beantragt die Klägerin, unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Cottbus vom 16.06.2021

1. die Beklagte zu verurteilen, an sie 11.380,87 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11.06.2020 zu bezahlen, Zug um Zug gegen die Übereignung und Herausgabe des PKW Typs BMW 116d, FIN: …,

2. die Beklagte zu verurteilen, an sie 415,54 € Deliktszinsen zu bezahlen, Zug-um-Zug gegen die Übereignung und Herausgabe des PKW Typs BMW 116d, FIN: FIN: …,

3. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Annahme des im Antrag 1. genannten Fahrzeuges seit dem 12.06.2020 in Verzug befindet,

4. die Beklagte zu verurteilen, sie von den Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.101,94 € freizustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens. Das „Thermofenster“ sei weder objektiv sittenwidrig, noch liege dem ein Schädigungsvorsatz zugrunde. Entsprechendes gelte für das OBD, wenn dieses keinen Fehler bei einer gewollten Funktion anzeige. Angesichts der gewollten Unterschiede des NEFZ zu den Realbedingungen seien höhere NOx-Emissionen im Realbetrieb kein Indiz für eine Abschalteinrichtung. Ein SCR-Katalysator sei im streitgegenständlichen Fahrzeug gar nicht verbaut. Die von der Klägerin vorgetragenen Messungen beträfen den Motortyp B 37 gar nicht. Lediglich von der Untersuchungskommission Volkswagen sei ein BMW 216d Euro mit dem Motortyp B37 getestet, eine unzulässige Abschalteinrichtung aber gerade nicht festgestellt worden. Zulassungsrelevante Tatsachen seien im Typengenehmigungsverfahren auch nicht verschleiert worden. Nicht relevant seien die von der Klägerin zitierten Leitlinien der Kommission vom 26.01.2017. Denn das streitgegenständliche Fahrzeug mit dem Motor der Abgasnorm Euro 6 sei deutlich vor Inkrafttreten dieser Leitlinien zugelassen worden. Die Funktion des „Kaltaufheizens“ sei in dem streitgegenständlichen Fahrzeug gar nicht implementiert.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

II.

Die Berufung ist statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet. In der Sache bleibt die Berufung ohne Erfolg.

1. Der Klägerin stehen gegen die Beklagte die geltend gemachten Schadensersatzansprüche aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt (§ 826 BGB, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB, § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 der VO (EG) Nr. 715/2007 BGB) zu. Mangels eines Vertragsverhältnisses oder einer vertragsähnlichen Beziehung zwischen den Parteien kommen vertragliche Ansprüche von vornherein nicht in Betracht. Doch auch die Voraussetzungen für eine deliktische Haftung der Beklagten sind nicht erfüllt. Infolgedessen ist auch der geltend gemachte Anspruch auf Erstattung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten ebenso unbegründet, wie der geltend gemachte Antrag auf Feststellung des Annahmeverzugs.

a) Der Klägerin steht kein Anspruch auf Schadenersatz aus § 826 BGB zu. Nach dieser Vorschrift ist zum Schadensersatz verpflichtet, wer einem anderen in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich Schaden zufügt. Die erforderliche Sittenwidrigkeit liegt vor, wenn die schädigende Handlung nach ihrem Inhalt bzw. ihrem Gesamtcharakter im Widerspruch zum Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden steht und daher mit den grundsätzlichen Wertungen der Rechts- und Sittenordnung unvereinbar ist. Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (BGHZ 225, 316; BGH, Urteil vom 30. Juli 2020, VI ZR 5/20, Rn. 29, juris; stRspr.).

Tatsächliche Umstände, die das Handeln der Beklagten als sittenwidrig erscheinen lassen, trägt die Klägerin nicht vor.

aa) Es führt nicht zu der Annahme eines vorsätzlich sittenwidrigen Verhaltens, dass die Abgasrückführung (auch) temperaturabhängig gesteuert wird. Denn eine solche Temperatursteuerung ist mit der (sittenwidrigen) Verwendung einer Prüfstandserkennungssoftware nicht zu vergleichen (BGH, Beschluss vom 09. März 2021, VI ZR 889/20). Während letztere unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abzielte und einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugerwerber in der Bewertung gleichsteht, ist der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems nicht von vornherein durch Arglist geprägt (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021, VI ZR 433/19). Sie unterscheidet nicht danach, ob sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet. Sie weist keine Funktion auf, die bei erkanntem Prüfstandsbetrieb eine verstärkte Abgasrückführung aktiviert und den Stickoxidausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert, sondern arbeitet in beiden Fahrsituationen im Grundsatz in gleicher Weise. Unter den für den Prüfzyklus maßgebenden Bedingungen (Umgebungstemperatur, Luftfeuchtigkeit, Geschwindigkeit, Widerstand etc., vgl. Art. 5 Abs. 3 a) der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 i.V.m. Art. 3 Nr. 1 und 6, Anhang III der Verordnung (EG) Nr. 692/2008 der Kommission vom 18. Juli 2008 zur Durchführung und Änderung der Verordnung 715/2007/EG (ABl. L 199 vom 28. Juli 2008, S. 1 ff.) in Verbindung mit Abs. 5.3.1 und Anhang 4 Abs. 5.3.1, Abs. 6.1.1 der UN/ECE-Regelung Nr. 83 (ABl. L 375 vom 27. Dezember 2006, S. 246 ff.) entspricht die Rate der Abgasrückführung im normalen Fahrbetrieb derjenigen auf dem Prüfstand (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021, VI ZR 433/19, Rn. 18, juris).

In diesem Zusammenhang ist es für eine Haftung aus § 826 BGB nicht maßgeblich, ob eine temperaturabhängige Steuerung („Thermofenster“) als Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 VO (EG) 715/2007 anzusehen ist (vgl. EuGH, Urteil vom 17. Dezember 2020 - C- 693/18 - Rn. 66 ff.) und ob diese möglicherweise gemäß Art. 5 Abs. 2 Satz 2 VO (EG) 715/2007 ausnahmsweise gerechtfertigt ist. Denn jedenfalls zum (hier maßgeblichen) Zeitpunkt der Typzulassung (spätestens) im Jahr 2015 war die Zulässigkeit von Thermofenstern unklar (vgl. Bericht der Untersuchungskommission „Volkswagen“, S. 123; Führ, NVwZ 2017, 265; OLG Koblenz, Urteil vom 18. Januar 2021, 12 U 569/20, Rn. 32, juris). Eine Auslegung, wonach ein Thermofenster eine zulässige Abschalteinrichtung darstellt, war daher jedenfalls zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Fahrzeugs der Klägerin nicht unvertretbar. Der darin (möglicherweise) liegende Gesetzesverstoß ist für sich genommen nicht geeignet, den Einsatz dieser Steuerungssoftware durch die für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen zu lassen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021, VI ZR 433/19 Rn. 16, juris). Denn die Annahme von Sittenwidrigkeit setzt jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung des Thermofensters in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Hierfür ist jedoch nichts ersichtlich. Vielmehr hat die Klägerin - u.a. mit dem von ihm eingereichten Gutachten des Sachverständigen Fester - selbst vorgetragen, dass allen beteiligten Fachleuten, Entwicklern, Aufsichts- und Prüfbehörden bekannt war, dass der (auch für das hiesige Fahrzeug geltende) NEFZ nicht geeignet ist, die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen zu überprüfen, die bei normalen Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind. Ein Handeln unter vertretbarer Auslegung des Gesetzes kann nicht als besonders verwerflich angesehen werden (OLG Koblenz, Urteil vom 18. Januar 2021, 12 U 569/20, Rn. 32, juris; OLG Brandenburg, Urteil vom 09. Juni 2021, 11 U 176/20, Rn. 30 m.w.N., juris). Auch eine lediglich fahrlässige Fehleinschätzung der rechtlichen Rahmenbedingungen - die zudem von beteiligten Fachleuten einschließlich der Genehmigungsbehörde geteilt wurde - stellt kein verwerfliches Verhalten in diesem Sinne dar. Fehlt es – wie hier - an der Verwerflichkeit, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt (vgl. BGH, Beschluss vom 15. September 2021, VII ZR 3/21). Weitere Umstände, die das Handeln der Beklagten als besonders verwerflich erscheinen lassen könnten (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021, VI ZR 433/19), sind hier jedoch nicht ersichtlich. .

Die Klägerin hat nicht hinreichend dargetan, dass die Beklagte – was ebenfalls ein Indiz für die bewusste Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sein kann – das Thermofenster im Typgenehmigungsverfahren verschleiert oder das KBA auf sonstige Weise arglistig getäuscht habe (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021, VI ZR 433/19, Rn. 24; vgl. auch BGH, Beschluss vom 09. März 2021, VI ZR 889/20, Rn. 24, 28; OLG Düsseldorf, Urteil vom 22. Juli 2021, 22 U 97/20, Rn. 121ff., juris). Das pauschale Vorbringen, das KBA bzw. die irische Zulassungsbehörde NSAI sei von der Beklagten getäuscht worden, reicht hierfür nicht aus.

Ob die Beklagte verpflichtet war, im Typgenehmigungsverfahren Angaben zur temperaturabhängigen Arbeitsweise des Abgasrückführungssystems zu machen, lässt sich überdies nicht eindeutig feststellen. Die Beklagte trägt insoweit vor, eine detaillierte Angabe zur Funktionsweise der Abgasrückführung sei erst ab Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr. 646/2016 ab dem 16. Mai 2016 erforderlich gewesen. Erst seitdem müsse der Typgenehmigungsbehörde detailliert dargestellt werden, welche Emissionsstrategien in dem zu genehmigenden Fahrzeugtyp zum Einsatz kämen. Bei der Rechtslage zum Zeitpunkt der Beantragung der Typgenehmigung sei dies nicht erforderlich gewesen. Diese Rechtsansicht ist jedenfalls im Hinblick auf die tatsächlich erst mit der Art. 1 Nr. 4 vorgenannten Verordnung eingefügten Regelungen des Art. 5 Nr. 11 und 12 in der Verordnung (EG) Nr. 692/2008 nicht offensichtlich unvertretbar (OLG Brandenburg, Urteil vom 25. Februar 2021, 5 U 99/20, Rn. 109; OLG Düsseldorf, Urteil vom 22. Juli 2021, 22 U 97/20, Rn. 125, juris). Insoweit kann allein aus einer - unterstellt - fehlenden Angabe der Temperaturabhängigkeit der Abgasrückführung nicht geschlossen werden, dass die Beklagte einen in dem Thermofenster liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahm. Selbst wenn die Beklagte im Typgenehmigungsverfahren erforderliche Angaben zu den Einzelheiten der Abgasrückführung unterlassen haben sollte, wäre zudem die Typgenehmigungsbehörde gehalten gewesen, diese zu erfragen, um sich in die Lage zu versetzen, die Zulässigkeit der Abschaltvorrichtung zu prüfen (BGH, Beschluss vom 29. September 2021, VII ZR 126/21, Rn. 20 m.w.N., juris). Dies ergibt sich für das KBA als deutsche Genehmigungsbehörde aus dem Amtsermittlungsgrundsatz gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwVfG. Für die irische Genehmigungsbehörde NSAI, die nach dem unstreitigen Vortrag die Genehmigung für den Motor erteilt hat, gilt nichts anderes, da diese ebenfalls von Amts wegen alle Möglichkeiten zur Ermittlung der Umstände auszuschöpfen hat, von denen die Anwendung der gemeinschaftlichen Bestimmungen – hier der VO (EG) 715/2007 - im Einzelfall abhängt (vgl. EuGH, Urteil vom 21. September 1983, C 205/82, Rn. 35 „Deutsche Milchkontor“; Schneider in: Schoch/Schneider, VwVfG, Stand: Juli 2020, § 24 VwVfG, Rn. 21; Senat, Urteil vom 22. Dezember 2021, 4 U 19/21, Rn. 47, juris). Anhaltspunkte für wissentlich unterbliebene oder unrichtige Angaben der Beklagten im Typgenehmigungsverfahren, die noch dazu auf ein heimliches und manipulatives Vorgehen oder eine Überlistung des KBA und damit auf einen bewussten Gesetzesverstoß hindeuten würden, legt die Klägerin mithin nicht dar.

Dem Antrag der Klägerin, gemäß § 142 ZPO von der Beklagten, hilfsweise der NSAI die Antragsunterlagen anzufordern, ist aus den vorstehenden Gründen ebenfalls nicht zu entsprechen. Die bloße Vermutung von Falschangaben rechtfertigt die Anordnung der Vorlage von Unterlagen nicht (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 22. Juli 2021, 22 U 97/20, Rn. 126f., juris).

bb) Auch der klägerische Vortrag zur Funktion des „Kaltaufheizens“ zeigt kein sittenwidriges Verhalten der Beklagten auf, unabhängig davon, dass die Beklagte dargelegt hat, dass diese Funktion in dem streitgegenständlichen Fahrzeug gar nicht implementiert sei. Zunächst ist zu bemerken, dass der von der Klägerin zitierte Gutachter Heitz keinerlei Emissionsmessungen durchgeführt hat, so dass schon die Relevanz der behaupteten Funktion im Hinblick auf eine Gefährdung der Typgenehmigung nicht ersichtlich ist.

Jedenfalls aber ist ein objektiv verwerfliches Handeln nicht ersichtlich. Nach den bereits zuvor dargelegten Grundsätzen genügt es hierfür im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. So setzt die Annahme von Sittenwidrigkeit in diesen Fällen jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung einer – wie hier - temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Fehlt es hieran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt (vgl. BGH, Beschluss. v. 29. September 2021 – VII ZR 126/21 – Rn. 14 m.w.N.).

Ein solches Vorstellungsbild zeigt die Klägerin nicht auf. Die von ihr behauptete „Kaltstartheizen“-Vorrichtung beschränkt sich nicht nur auf den Prüfstand. Nach ihrer Sachdarstellung ist diese Funktion bei einem Motorstart aus dem kalten Zustand erst oberhalb einer Umgebungstemperatur von 15 Grad Celsius bis 35,5 Grad Celsius aktiv bei einer Motorkühltemperatur von über 15 Grad Celsius. Auch wenn dieses Temperaturfenster den Bedingungen des NEFZ entspricht, herrschen auch außerhalb des NEFZ Umgebungstemperaturen von 15 Grad Celsius und mehr. Auch die weiteren behaupteten Bedingungen sind erkennbar nicht prüfstandsbezogen. Ein System der Prüfstandserkennung liegt damit nicht vor (vgl. BGH, Urteil vom 16. September 2021 – VII ZR 322/20 – Rn. 19 zum Temperaturfenster).

Auf die Frage, ob es sich beim Kaltaufheizen um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 VO (EG) 715/2007 handelt, kommt es nicht an. Insoweit kann auf die entsprechenden Ausführungen zum Thermofenster verwiesen werden.

cc) Die Überschreitung der zulässigen Grenzwerte für Stickoxide im Realbetrieb bei Einhaltung der Grenzwerte im Prüfstandsbetrieb ist als solche grundsätzlich nicht geeignet, den Rückschluss auf eine unzulässige Abschalteinrichtung zu ziehen (OLG Hamm, Urteil vom 29. Juni 2021, I-13 U 434/20). Vielmehr ist bei der in Rede stehenden Schadstoffklasse Euro 6 die Überschreitung der Prüfstandswerte im Realbetrieb ein normaler Umstand, der deshalb allein nicht als Indiz für das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung dienen kann (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 19. Januar 2021, 16a U 196/19, juris Rn. 59 ff.). Denn die Überschreitung der Grenzwerte im Realbetrieb kann darauf zurückzuführen sein, dass der Motor im realen Fahrbetrieb aufgrund der konkreten Verkehrsverhältnisse (z.B. wegen unvermeidlicher Standzeiten) deutlich mehr Schadstoffe emittiert als in einem zu Vergleichszwecken festgestellten, standardisierten Fahrzyklus auf dem Prüfstand. Insbesondere das Maß der Stickoxid-Emissionen ist von der Brenntemperatur und diese wiederum von der Außentemperatur abhängig, weshalb die Prüfstandsmessung in einem bestimmten Temperaturbereich erfolgen muss. Die Prüfstandbedingungen des NEFZ entsprechen explizit nicht den Realbedingungen, sondern bilden lediglich - wie auch der von der Klägerin zitierte Gutachter F… betont - Minimalanforderungen für eine Zulassung.

Ein konkreter Sachvortrag über erhöhte NOx-Emissionen des hier streitgegenständlichen Motortyps B37 ist nur im Hinblick auf die Messungen der Untersuchungskommission Volkswagen erkennbar. Nur dort ist – soweit erkennbar – ein Fahrzeug der Beklagten (216d 1.6l) mit dem Motortyp B37 im Hinblick auf die NOx-Emissionen gemessen worden. Bei der Bewertung der Messergebisse der Untersuchungskommission ist zu beachten, dass die tabellarisch und grafisch dargestellten Messwerte nur diejenigen der ersten Messfahrt widerspiegeln. Diese Messwerte, die eine mehr als 8-fache Überschreitung des Grenzwertes bei „NEFZ warm“ und RDE-Fahrten anzeigen, sind jedoch nach dem beschreibenden Text nicht aussagekräftig, da es sich um eine Fehlmessung handelt, die in eine Phase der Regeneration des Partikelfilters fiel. Es wurden deshalb noch zwei weitere Messungen an weiteren Fahrzeugen desselben Typs vorgenommen. Diese zeigen „niedrige Werte im NEFZ warm auf dem Rollenprüfstand und zeigten auf dem Testgelände Miramas bei allen Straßenmessungen inklusive RDE NOx-Werte unterhalb von 240 mg/km“. Dieser Maximalwert entspricht bei der anzusetzenden Abgasnorm Euro 6 und 80mg/km als Grenzwert einer maximal dreifachen Überschreitung des Grenzwertes.

Da die Messungen unter anderen Bedingungen erfolgten, ist die Überschreitung der Prüfstandsgrenzwerte zu erwarten (vgl. BGH, Beschluss vom 15. September 2020, VII ZR 2/21, Rn. 30, juris). Eine Abweichung zwischen Real- und Prüfstandsbetrieb, die derart erheblich ist, dass sie für sich genommen schon als greifbarer Anhaltspunkt für die Existenz einer Prüfstandserkennungssoftware dienen könnte (vgl. BGH, Beschluss vom 25. November 2021, III ZR 202/20: 9,7-fache Überschreitung), ist hier bei einer lediglich 3-fachen Überschreitung jedenfalls nicht ersichtlich.

Soweit die Klägerin darüber hinaus andere Motortypen der Beklagten (und anderer Hersteller) und behauptet, die Motortypen seien dem der Klägerin „vergleichbar“, ist dieser Sachvortrag schon von vorneherein aus den nachfolgenden Gründen nicht relevant. Eine Vergleichbarkeit ist erst dann gegeben, wenn die Messung der Emissionen im Realbetrieb zumindest denselben Hersteller, dieselbe Abgasnorm und denselben Motortyp betrifft. Eine herstellerübergreifende Vergleichbarkeit scheidet offensichtlich aus. Ebenso gilt dies für den Vergleich bei verschiedenen Abgasnormen, weil diesen deutlich verschiedene NOx-Grenzwerte zugrunde liegen (Euro 5: 180mg/km; Euro 6: 80mg/km). Dies gilt auch dann, wenn derselbe Motortyp des Herstellers betroffen ist, weil der Einordnung desselben Motortyps in verschiedene Abgasnormen eine unterschiedliche Abgasnachbehandlung (SCR- und/oder NOx-Speicherkatalysator) zugrunde liegt. Schließlich scheidet auch eine Vergleichbarkeit verschiedener Motortypen desselben Hersteller aus. Denn aus der – hier einmal unterstellten – Existenz einer unzulässigen Abschalteinrichtung in einem Motortyp kann nicht der Schluss gezogen werden, dass eine solche Abschalteinrichtung ebenso in dem anderen Motortyp eingebaut wurde. Im Ergebnis bedeutet dies, dass alle die Emissionsmessungen, die andere als den streitgegenständlichen Motortyp bzw. Abgasnormen betreffen, von vornherein nicht relevant sein können. Die Behauptung einer „Vergleichbarkeit“ ist dann unbeachtlich, weil ins Blaue hinein getätigt.

Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die Klägerin zu Emissionsmessungen an einem Motor B37 mit der Abgasnorm Euro 6 vortragen müsste. Dies ist jedoch nur bei den bereits beschriebenen Messung der Untersuchungskommission Volkswagen der Fall. Dagegen betreffen die Gutachten F… und B… den Motortyp N47. Aus der Tabelle über die Messungen der DUH ist kein Fahrzeug zu entnehmen, welches dem hier streitgegenständlichen vergleichbar wäre. Der BMW 320d, Euro 6 hat einen N47. Die Messungen der TU Graz im Auftrag des Umweltbundesamt betreffen soweit ersichtlich kein Fahrzeug mit dem Motortyp B37. Die Messung des Department for Transport betrifft einen BMW 320x, Euro 6, der ebenfalls nicht mit einem Motor vom Typ B37 ausgestattet ist.

dd) Die folgenden weiteren vorgetragenen Indizien eignen sich nicht für einen Schluss auf einen erhöhten NOx-Ausstoß bzw. – wie auch immer geartete – Abschalteinrichtung im Motor der Klägerin. Die Ausführungen der Klägerin zum SCR-Katalysator sind nicht relevant, weil das Fahrzeug nicht über einen solchen Katalysator verfügt. Ebenso sind die Ausführungen der Klägerin zu Folgemängeln eines Software-Update nicht relevant, weil ihr Fahrzeug kein solches Update erhalten hat. Die (streitige) Äußerung des früheren Vorstandsmitglieds der Beklagten, H… D…, zur Existenz einer Abschaltvorrichtung mit der Bezeichnung „14/15-V“, ist unerheblich. Denn es ist nicht erkennbar, um welche Art von Abschaltvorrichtung es sich handeln soll und welche Motortypen davon betroffen sind.

ee) Soweit die Klägerin über das Thermofenster und das Kaltaufheizen hinaus das Vorhandensein einer Prüfstandserkennungssoftware („Hard-Cycle-Beating“) behauptet, handelt es sich um eine unbeachtliche Behauptung ins Blaue hinein. Denn tatsächlich gibt es keine greifbaren Anhaltspunkte für die Existenz einer solchen Software in dem streitgegenständlichen Fahrzeug, die etwa mit der Umschaltlogik bei den VW-Motoren EA 189 vergleichbar wäre. Die Klägerin argumentiert im Kern, dass wegen der erhöhten Emissionen im Realbetrieb auch eine Prüfstandserkenungssoftware vorhanden sein muss. Wie bereits dargestellt, sind die höheren Emissionen im Realbetrieb jedoch erwartbar und daher für sich genommen kein Hinweis auf eine Prüfstandserkennungssoftware. Die von der Klägerin ins Feld geführte Bekanntmachung der EU-Kommission vom 26. Januar 2017 (“Leitlinien“) bezieht sich auf die Entdeckung von möglichen Abschalteinrichtungen im Sinne von Art. 5 VO (EG) 715/2007, die mit einer Prüfstandserkennungssoftware nicht gleichzusetzen sind. Aus der - unterstellten - Existenz einer Abschalteinrichtung lässt sich der Schluss auf die Existenz einer mit einer Umschaltlogik versehenen Software, die ihrerseits den Schluss (auch) auf ein Bewusstsein der für die Beklagte handelnden Personen von der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung zuließe, nicht ziehen.

ff) Unerheblich ist auch die Behauptung der Klägerin, eine weitere Manipulation erfolge über das Diagnosesystem des Fahrzeugs (On-Board-Diagnose System, OBD), das trotz deutlich erhöhter NOx-Werte im realen Fahrbetrieb ihres Fahrzeugs keinen Fehler melde. Hierin liegt weder unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 noch eine für ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten sprechende Funktion. Eine Abschalteinrichtung liegt schon deshalb nicht vor, weil das OBD unstreitig die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems selbst weder aktiviert, verändert, verzögert noch deaktiviert i.S.d. Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 (vgl. Senat, Urteil vom 12.05.2021, 4 U 34/20, Rn. 67, juris).

gg) Schließlich fehlt es an dem erforderlichen Schädigungsvorsatz. Der Handelnde muss die Schädigung des Anspruchstellers gekannt beziehungsweise vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen, jedenfalls aber für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen haben. Es genügt nicht, wenn die relevanten Tatumstände lediglich objektiv erkennbar waren und der Handelnde sie hätte kennen können oder kennen müssen oder sie sich ihm sogar hätten aufdrängen müssen; in einer solchen Situation ist lediglich ein Fahrlässigkeitsvorwurf gerechtfertigt (BGH, Beschluss vom 15. September 2021, VII ZR 2/21). Aus einer (möglichen) rechtlichen Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung in Form des Thermofensters folgt kein Vorsatz hinsichtlich der Schädigung der Fahrzeugkäufer. Angesichts des Umstandes, dass das Fahrzeug der Klägerin nicht von einem Rückruf betroffen ist, kann bisher nicht davon ausgegangen werden, dass die von der Beklagten gewählte Regulierung der Abgasrückführung rechtlich unzulässig wäre. Dann liegt es jedoch fern zunehmen, den für die Beklagte tätigen Personen hätte sich die Gefahr einer Schädigung der Klägerin aufdrängen müssen.

b) Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 der VO (EG) Nr. 715/2007 bestehen mangels rechtlicher Qualifikation als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB nicht (BGH, Urteil vom 30. Juli 2020, VI ZR 5/20).

3. Ein Anspruch auf Deliktszinsen (§ 849 BGB) besteht nicht. Einer Anwendung des § 849 BGB steht schon entgegen, dass die Klägerin als Gegenleistung für die Hingabe des Kaufpreises ein in tatsächlicher Hinsicht voll nutzbares Fahrzeug erhielt (vgl. hierzu BGH, Urteil v. 30. Juli 2020 - VI ZR 354/19, Rn. 17 ff.).

4. Einen Anspruch auf Feststellung, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des streitgegenständlichen Fahrzeugs im Annahmeverzug befand, hat die Klägerin mangels Bestehens eines Hauptanspruchs nicht.

5. Der geltend gemachte Nebenanspruch auf Erstattung ihm entstandener außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten teilt das Schicksal der Hauptforderung.

6. Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 97, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

7. Eine Revisionszulassung ist nicht veranlasst, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), noch die Revision zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen ist (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Die Entscheidung orientiert sich an den gefestigten Grundsätzen der obergerichtlichen Rechtsprechung.

8. Die Streitwertfestsetzung für das Berufungsverfahren erfolgte nach §§ 47 Abs. 1 48 Abs. 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO.