Gericht | OLG Brandenburg 1. Senat für Familiensachen | Entscheidungsdatum | 15.06.2022 | |
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Aktenzeichen | 9 UF 221/21 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2022:0615.9UF221.21.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der am 18.10.2021 verkündete Beschluss des Amtsgerichts Königs Wusterhausen (Az. 5 F 298/21) aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen, das auch über die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden hat.
Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben.
Der Beschwerdewert wird auf 10.000 € festgesetzt.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
I.
Die Antragsgegnerin wendet sich gegen einen Beschluss des Amtsgerichts, mit dem die Ehe der Beteiligten geschieden und der Versorgungsausgleich ausgeschlossen worden ist.
Der (im Mai 1955 geborene) Antragsteller und die (im Juli 1968 geborene) Antragsgegnerin heirateten am ….04.1992. Der Ehemann war bzw. ist freiberuflicher Schauspieler und Synchronsprecher.
Am 10.03.1992 hatten die Beteiligten einen notariellen Ehevertrag geschlossen, mit dem sie Gütertrennung vereinbarten, wechselseitig auf nachehelichen Unterhalt verzichteten und den Versorgungsausgleich ausschlossen. Die Antragsgegnerin, die aus B… stammt, arbeitete seinerzeit als (ungelernte) Kellnerin und war schwanger. Die Tochter der Beteiligten, V… S… wurde am ...1992 geboren. Die Betreuung des Kindes übernahm die Ehefrau.
Mit Schriftsatz vom 29.04.2021 stellte der Antragsteller Antrag auf Ehescheidung und gab als Trennungszeitpunkt den 10.03.2016 an. Die Zustellung der Scheidungsschrift erfolgte am 09.07.2021. Das Amtsgericht bestimmte sodann Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 18.10.2021. Zu diesem Termin erschien die (ordnungsgemäß geladene) Antragsgegnerin nicht. Mitte September 2021 war sie nach B… zurückgekehrt.
Mit am 18.10.2021 verkündeten Beschluss hat das Amtsgericht die Ehe der Beteiligten geschieden und den Versorgungsausgleich nicht durchgeführt, da er durch notariellen Ehevertrag formgemäß ausgeschlossen worden sei. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des Beschlusses verwiesen.
Gegen den am 22.11.2021 zugestellten Beschluss hat die Antragsgegnerin mit einem am 15.12.2021 beim Amtsgericht eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt, mit der sie eine Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung des Verfahrens erstrebt. Sie rügt Verfahrensfehler und beruft sich auf die Sittenwidrigkeit des Ehevertrages. Zudem sei die Trennung der Beteiligten erst im Oktober 2020 erfolgt und der Scheidungsantrag verfrüht gestellt worden.
Der Antragsteller verteidigt den angefochtenen Beschluss mit näherer Begründung.
Der Senat hat mit Verfügung vom 24.02.2022 eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren angekündigt.
II.
Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist zulässig (§§ 58 ff., 117 Abs. 1 FamFG) und hat vorläufig dahingehend Erfolg, dass das Verfahren, wie von ihr beantragt, an das Gericht des ersten Rechtszugs zurückzuverweisen ist, § 69 Abs. 1 Satz 3 FamFG.
Das Verfahren des Amtsgerichts leidet an einem wesentlichen Mangel, auf dem die angefochtene Entscheidung beruht. Das Amtsgericht hat gegen die ihm obliegende Amtsermittlungspflicht (§ 26 FamFG) verstoßen, indem es hier die für eine richterliche Kontrolle des notariellen Ehevertrages vom 10.03.1992 (vgl. § 8 VersAusglG) unverzichtbare Tatsachenaufklärung unterlassen hat.
Die richterliche Kontrolle, ob durch eine Vereinbarung über den Versorgungsausgleich eine evident einseitige und unzumutbare Lastenverteilung entsteht, hat der Tatrichter durchzuführen, wenn und soweit das Vorbringen der Beteiligten oder die Sachverhaltsumstände hierzu Veranlassung geben (vgl. hierzu BGH, FamRZ 2014, 629). Die Sachverhaltsumstände geben jedenfalls dann zu einer näheren Prüfung Veranlassung, wenn sich das Vorliegen einer typischen Unwirksamkeitsfallgruppe aufdrängt (OLG Brandenburg, 4. Familiensenat, Beschluss vom 11.08.2015 - 13 UF 102/14; Götsche in: Götsche/Rehbein/Breuers, Versorgungsausgleichsrecht, 2. Auflage, § 8 Rz. 57 m.w.N.). So liegt der Fall hier.
Die Antragsgegnerin war bei Abschluss des Ehevertrages schwanger. (In der Folgezeit hat sie auch die Betreuung des gemeinsamen Kindes V… übernommen und bis 2007 nicht mehr gearbeitet.) Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung zur Sittenwidrigkeit eines sog. vorsorgenden, d.h. eines vor oder anlässlich der Heirat und im Zusammenhang entweder mit einer Schwangerschaft oder mit der Sorge für ein gemeinsames Kind geschlossenen Ehevertrages begründet eine Schwangerschaft zwar allein noch keine ungleiche Verhandlungsposition. Sie ist aber ein Indiz dafür und rechtfertigt es, den Vertrag einer verstärkten richterlichen Inhaltskontrolle zu unterziehen (BGH, FamRZ 2009, 1041). Zudem gibt es vorliegend weitere Anhaltspunkte, die auf eine Disparität bei Vertragsabschluss hindeuten. Eine subjektive Imparität kann sich infolge der Ausnutzung einer Zwangslage, sozialer oder wirtschaftlicher Abhängigkeit oder intellektueller Unterlegenheit ergeben (BGH, FamRZ 2014, 629; FamRZ 2013, 269; FamRZ 2013, 195). Zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses (10.03.1992) war die Antragsgegnerin erst 23 Jahre alt und wenige Jahre in Deutschland. Sie besaß noch die b… Staatsangehörigkeit und arbeitete als ungelernte Servicekraft (Kellnerin). Der Antragsteller, der bei Abschluss der notariellen Vereinbarung fast 37 Jahre alt war, stand bereits längere Zeit als Schauspieler und Synchronsprecher im Berufsleben. Aufgrund seines Alters und beruflichen Werdegangs dürfte er in finanziellen Angelegenheiten erfahrener und versierter als die Antragsgegnerin gewesen sein. Die Antragsgegnerin erzielte mit ihrer ungelernten Tätigkeit auch nur ein geringes Einkommen. Die Verlängerung der Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis stand an.
Die Sache ist noch nicht entscheidungsreif. Vielmehr sind sämtliche für eine Inhalts- und Ausübungskontrolle erheblichen Umstände noch ungeklärt, so ist neben der Ermittlung der sonstigen Einkommens-, Vermögens- und persönlichen Verhältnisse beider Beteiligter insbesondere auch noch die Einholung der Auskünfte der Versorgungsträger, aus denen zur Beurteilung einer möglichen Benachteiligung eine Gesamtbilanz zu bilden ist (vgl. Götsche, a.a.O., § 8 Rz. 7 ff.), erforderlich.
Die Aufhebung des Scheidungsausspruchs und die Zurückverweisung auch des Scheidungsverfahrens waren schon zur Wahrung einer einheitlichen Verbundentscheidung geboten, § 142 FamFG.
Abgesehen davon hat das Amtsgericht die Antragsgegnerin auch nicht persönlich angehört, was einen wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne des § 117 Abs. 2 Satz 1 FamFG i.V.m. § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO darstellt (Lugani in: Münchener Kommentar, FamFG, 3. Auflage, § 128 Rz. 5). Gemäß § 128 Abs. 1 FamFG soll das Gericht die Ehegatten zur Ehescheidung persönlich anhören. Diese Anhörung dient nicht nur der Aufklärung des Sachverhalts, sondern soll auch sicherstellen, dass über Ehesachen als höchstpersönliche Angelegenheiten nicht entschieden wird, ohne dass sich die Ehegatten persönlich dazu äußern. Die Anhörung dient insbesondere dazu, dass sich der Familienrichter vom Vorliegen der Scheidungsvoraussetzungen im Rahmen der persönlichen Anhörung der Beteiligten überzeugen kann (OLG Frankfurt, NJW-RR 2022, 588). Dass ein Ehegatte trotz Ladung nicht erscheint, ist noch kein Grund, von seiner Anhörung abzusehen. (In diesem Fall sind Ordnungsmittel anzuwenden, § 128 Abs. 4 FamFG). Etwas anderes kann aber gelten, wenn er die Anhörung durch mehrfaches unentschuldigtes Fernbleiben verhindert (Zöller/Lorenz, ZPO, 34. Auflage, § 128 FamFG Rz. 5 m.w.N.). So liegt der Fall hier aber nicht.
III.
Die Nichterhebung der Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 20 Abs. 1 FamGKG. Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens war dem Amtsgericht zu übertragen (Keidel, FamFG, 20. Auflage, § 69 Rz. 39 a).
Die Festsetzung des Beschwerdewerts beruht auf den §§ 40, 43, 44, 50 Abs. 1 Satz 2 FamGKG.
Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 70 Abs. 2 FamFG) liegen nicht vor.