Gericht | OLG Brandenburg 3. Zivilsenat | Entscheidungsdatum | 07.06.2022 | |
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Aktenzeichen | 3 U 69/21 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2022:0607.3U69.21.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 30.06.2021, Az. 13 O 300/20, wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Der Berufungsstreitwert beträgt bis zu 36.000 €.
5. Die Revision wird zugelassen.
I.
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Rückabwicklung eines Kaufvertrages auf deliktischer Grundlage in Anspruch.
Sie erwarb am 05.02.2019 bei der Z… Autohaus B… GmbH ein 2017 erstmals zugelassenes Gebrauchtfahrzeug VW Passat 2,0 l TDI, Fahrgestellnummer W…, km.-Stand: 42.874, zu einem Kaufpreis von 38.430,26 €.
Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten entwickelten Dieselmotor des Typs EA 288 ausgestattet, einem Folgemodell des Motortyps EA 189, der vom sog. VW-Abgasskandal betroffen ist. Anders als der Motortyp EA 189 ist der Motor EA 288 nicht mit einer sog. Umschaltlogik ausgerüstet, die einen Fahrbetrieb auf Rollenprüfständen erkannte und in derartigen Fahrsituationen in einen die Abgasreinigung optimierenden Modus umschaltete. Der streitgegenständliche Motor enthält u.a. ein System zur Abgasreinigung, das u.a. auf einer softwaregesteuerten Abgasrückführung beruht: Das teilweise zurückgeführte Abgas durchströmt dabei einen kennfeldgesteuert unterschiedliche Kühlleistungen erbringenden Wasserkühler (AGR-System) und nimmt anschließend erneut an der Kraftstoffverbrennung teil.
Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 21.01.2020 ließ die Klägerin die Beklagte zur Anerkennung einer Schadenersatzpflicht auffordern. Die Beklagte wies die geltend gemachten Ansprüche zurück.
Die Klägerin hat bereits erstinstanzlich behauptet, das von ihr erworbene Fahrzeug sei mit einer Zykluserkennung und einem sog. Thermofenster ausgerüstet, bei denen es sich, wie sie meint, um unzulässige Abschalteinrichtungen handele; die Abgasrückführung werde dabei bei Außentemperaturen unterhalb von etwa 17 und oberhalb von 32 Grad Celsius zurückgefahren, wobei bei Temperaturen unter 10 Grad Celsius überhaupt keine Abgasreinigung mehr stattfinde, und die eingebaute Software erkenne zudem insbesondere anhand von Temperaturmessungen sowie anderer Indizien (Fahrkurven, Entwicklung der Geschwindigkeit oder Fehlen von Lenkbewegungen) Prüfstandsfahrten, bei denen die Abgasreinigung dann uneingeschränkt funktioniere; zudem werde die AdBlue-Zufuhr per Manipulationssoftware im Straßenbetrieb gedrosselt, um deren Gesamtverbrauch zu verringern und damit kurze Nachfüllintervalle zu verhindern; der SCR-Katalysator sei in der Weise manipuliert worden, dass die Rate der Abgasrückführung unterhalb der bei ca. 200 Grad Celsius liegenden Arbeitstemperatur des Motors nur im Zyklus streckengesteuert / geplant erhöht werde, um auch insofern eine volle Abgasreinigung zu erzielen; im normalen Fahrbetrieb werde die AGR-Rate hingegen nicht erhöht.
Die Klägerin hat ferner behauptet, der Vorstand der Beklagten habe umfassende Kenntnis vom Einsatz der entsprechenden Software gehabt und durch die Frei- und Inverkehrgabe der entsprechend konstruierten unzulässigen Abschalteinrichtung eine Schädigung der Vermögensinteressen der Käufer zumindest billigend in Kauf genommen.
Die Klägerin ist der Auffassung gewesen, ihr stünden deshalb deliktische Schadenersatzansprüche zu; die Täuschung über die Umweltverträglichkeit ihres Fahrzeugs sei als sittenwidrig einzuschätzen, da sie allein aus Gründen der Gewinnmaximierung erfolgt sei; zudem habe ihr die zahlungsunwillige Beklagte Verzugszinsen zu zahlen.
Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an sie Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs ... Volkswagen, FIN: W… einen Betrag in Höhe von 38.430,26 € nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit unter Anrechnung einer in das Ermessen des Gerichts zu stellenden Nutzungsentschädigung für die Nutzung des Fahrzeugs zu erstatten, die sich aus folgender Formel ergibt: 75 % x 38.430,26 € x (Kilometerstand im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung - Kilometerstand bei Kauf) : (in das Ermessen gestellte Gesamtlaufleistung - Kilometerstand bei Kauf),
2. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Annahme der unter Ziffer 1 genannten Zug-um-Zug-Leistung im Annahmeverzug befinde; und
3. die Beklagte zu verurteilen, ihr die Kosten des außergerichtlichen Vorgehens in Höhe von 2.373,36 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu erstatten.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Rechtsauffassung vertreten, der Klägerin stünden die geltend gemachten Ansprüche nicht zu. Dazu hat sie behauptet, in dem streitgegenständlichen Fahrzeug sei keine unzulässige Abschalteinrichtung zum Einsatz gekommen; der Pkw sei - was unstreitig ist - nach der 22. Kalenderwoche 2016 hergestellt und damit entsprechend ihren internen Vorgaben ohne Fahrkurvenerkennung ausgeliefert worden; das eingebaute Thermofenster sei so konfiguriert, dass es bei Außentemperaturen zwischen -24 Grad Celsius bis + 70 Grad Celsius zu 100 % aktiv sei und nur bei noch niedrigeren oder höheren Temperaturen aus Motorschutzgründen keine Abgasrückführung erfolge; innerhalb des Thermofensters gebe es keine kontinuierliche Abstufung der Abgasrückführung in Abhängigkeit zur Außentemperatur (“Abrampung“), sie, die Beklagte, habe dem Kraftfahrtbundesamt (KBA) die skizzierte Technik vorgestellt, das diese nicht bemängelt habe (dortige Mitteilung vom 12.09.2019); das SCR-System arbeite unabhängig von der Temperatur der Umgebungsluft, so dass es auch zu keiner unzulässigen Einwirkung auf die AdBlue-Einspritzung auf dem Prüfstand komme.
Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 30.06.2021 abgewiesen.
Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Landgericht unter näherer Vertiefung ausgeführt, die Beklagte hafte der Klägerin unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt auf Schadenersatz; die Klägerin habe es nicht vermocht, hinreichend substantiiert darzulegen, dass die Beklagte sie vorsätzlich sittenwidrig geschädigt habe; die dortigen Behauptungen zur Integration unzulässiger Abschalteinrichtungen seien bereits durch die für den streitgegenständlichen Motor negativ ausgefallenen Untersuchungen des KBA und dies in gleichgelagerten Fällen bestätigende Auskünfte widerlegt, wie sie in den Bericht der Untersuchungskommission Volkswagen eingegangen seien; Anhaltspunkte für ein vorsätzlich-sittenwidriges Verhalten der Beklagten bestünden vor diesem Hintergrund nicht, zumal nicht ersichtlich geworden sei, dass und in welcher Weise die öffentlichen Institutionen mit der Automobilindustrie zur Schädigung der Verbraucher kollusiv zusammengewirkt haben könnten; dass die Beklagte im Rahmen des Typgenehmigungsverfahrens erforderliche Auskünfte nicht erteilt habe, sei ebenso wenig ersichtlich; ein verbindlicher Rückruf von mit EA 288-Motoren ausgerüsteten Fahrzeugen habe nur hinsichtlich des Modells T 6 und auch diese betreffend nicht wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen stattgefunden; schließlich lasse der Einbau von Systemen zur Abgasrückführung und -nachbehandlung mit im Prüf- und Regelfahrbetrieb unterschiedlichen Messergebnissen wegen der im Prüfbetrieb besonderen Fahrbedingungen nicht bereits auf die Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen schließen; auch andere deliktische Anspruchsgrundlagen schieden mangels einschlägiger Voraussetzungen aus.
Gegen das erstinstanzliche Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung, mit der sie ihre
klagegegenständlichen Ansprüche unter Vertiefung ihres Klagevorbringens weiterverfolgt und meint, das Landgericht habe über das Bestehen der behaupteten Abschalteinrichtungen Beweis erheben müssen.
Die Klägerin wiederholt ihre erstinstanzlich gestellten Anträge.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Sie stützt mit näheren Ausführungen die angefochtene Entscheidung.
II.
Die Berufung der Klägerin bleibt ohne Erfolg. Der Klägerin stehen keine – mangels eines Vertragsverhältnisses hier allein in Betracht kommenden – deliktsrechtlichen Ansprüche gegen die Beklagte zu.
1. Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV, Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 oder aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB, § 31 BGB bestehen nicht (BGH, Urteile vom 23. März 2021 – VI ZR 1180/20, juris Rn. 19; vom
9. März 2021 – VI ZR 889/20, juris Rn. 10; vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20, juris Rn. 10 ff., 17 ff.; vom 8. Dezember 2020 – VI ZR 244/20, juris Rn. 20).
2. Der Klägerin steht auch kein Schadensersatzanspruch auf Erstattung des Kaufpreises aus
§§ 826, 31 BGB zu.
Gemäß § 826 BGB ist derjenige, der in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, diesem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet. Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt (st. Rspr., etwa BGH, Urteile
7. Mai 2019 – VI ZR 512/17, juris Rn. 8; vom 28. Juni 2016 – VI ZR 541/15, juris Rn. 17; vom 19. November 2013 – VI ZR 336/12, juris Rn. 9 mwN).
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (etwa Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, juris Rn. 25 ff.) liegt eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung eines Fahrzeugkäufers vor, wenn der Fahrzeughersteller auf der Grundlage einer für seinen Konzern getroffenen grundlegenden strategischen Entscheidung bei der Motorenentwicklung im eigenen Kosten- und damit auch Gewinninteresse durch bewusste und gewollte Täuschung des KBA systematisch, langjährig und in hohen Stückzahlen in Deutschland in eigenen und in Fahrzeugen der weiteren Konzernunternehmen Dieselmotoren der Baureihe EA189 in Verkehr gebracht hat, deren Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt (heimlich) so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nach Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (Abl. L 171 vom 29. Juni 2007 S. 1 ff.) nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden (vgl. BGH, Urteile vom 30. Juli 2020 – VI ZR 397/19, juris Rn. 11; vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19 juris Rn. 16 ff.; Beschluss vom
8. Januar 2019 – VIII ZR 225/17, juris Rn. 5 ff.). Denn damit einher geht einerseits eine erhöhte Belastung der Umwelt mit Stickoxiden und andererseits die Gefahr, dass bei einer Aufdeckung dieses Sachverhalts eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung hinsichtlich der betroffenen Fahrzeuge erfolgen könnte. Ein solches Verhalten ist im Verhältnis zum Fahrzeugkäufer, der eines der bemakelten Fahrzeuge in Unkenntnis der illegalen Abschalteinrichtung erwarb, besonders verwerflich und mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht zu vereinbaren, und zwar unabhängig davon, ob es sich um ein Gebrauchtfahrzeug handelte (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, juris Rn. 16).
b) Von einem derartigen sittenwidrigen Verhalten kann hier bereits deshalb nicht ausgegangen werden, weil der Vortrag der Klägerin zu dem Vorhandensein (mindestens) einer unzulässigen Abschalteinrichtung in ihrem Fahrzeug bzw. zu einer angeblichen Täuschung der Behörden durch die Beklagte als "Behauptung ins Blaue hinein" zu werten ist und damit unberücksichtigt zu bleiben hat.
aa) Ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs ist allerdings bereits dann schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen (std. Rspr., etwa BGH, Urteil vom 17. November 2020 – II ZR 68/20, juris Rn. 15 mwN; Beschlüsse vom 28. Januar 2020, VIII ZR 57/19, juris Rn. 7; vom 14. Januar 2020 – VI ZR 97/19, juris Rn. 8; vom 26. März 2019 – VI ZR 163/17, juris Rn. 11). Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind (std. Rspr., BGH, Beschlüsse vom 28. Januar 2020, VIII ZR 57/19, juris Rn. 7; vom 26. März 2019 – VI ZR 163/17; jeweils m.w.N.).
Im Regelfall unerheblich ist auch, wie wahrscheinlich die behauptete Darstellung ist und ob sie auf eigenem Wissen oder auf einer Schlussfolgerung aus Indizien beruht (BGH, Beschluss vom 28. Juli 2020 – VI ZR 300/18, juris Rn. 11). Es ist einer Partei grundsätzlich nicht verwehrt, eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Umstände zu verlangen, über die sie selbst kein zuverlässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann, die sie aber nach Lage der Verhältnisse für wahrscheinlich oder möglich hält (std. Rspr.; etwa BGH, Urteile vom 29. Januar 2020 – VIII ZR 385/18, juris Rn. 83; vom 7. Februar 2019 – III ZR 498/16, juris Rn. 37; Beschluss vom
28. Januar 2020 – VIII R 57/19, juris Rn. 8 mwN). Die Vorschriften über den Beweisantritt (etwa §§ 373, 403 ZPO) verlangen grundsätzlich auch nicht, dass eine Partei sich darüber äußert, welche Anhaltspunkte sie für die Richtigkeit der unter Beweis gestellten Behauptung hat (BGH, Beschlüsse vom 14. Januar 2020 – VI ZR 97/19, juris Rn. 8; vom 1. August 2007 – III ZR 35/07, juris Rn. 7). Wie weit eine Partei ihren Sachvortrag substantiieren muss, hängt von ihrem Kenntnisstand ab (BGH, Beschluss vom 14. Januar 2020 – VI ZR 97/19, juris Rn. 8).
bb) Eine Behauptung ist aber dann unbeachtlich, wenn sie ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich "aufs Geratewohl" oder "ins Blaue hinein" aufgestellt worden ist (std. Rspr.; etwa BGH, Urteile vom 29. Januar 2020 – VIII ZR 385/18, juris Rn. 83; vom 7. Februar 2019 – III ZR 498/16, juris Rn. 37; Beschluss vom 28. Januar 2020 – VIII ZR 57/19, juris Rn. 8 mwN), mithin aus der Luft gegriffen ist und deshalb ein Rechtsmissbrauch vorliegt (BGH, Urteil vom 9. Februar 2018 – V ZR 274/16, juris Rn. 11 mwN). Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist Zurückhaltung geboten; in der Regel wird sie nur beim Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte gerechtfertigt werden können (BGH, Beschlüsse vom 28. Januar 2020 – VIII ZR 57/19, juris Rn. 8; vom 14. Januar 2020 – VI ZR 97/19, juris Rn. 8; jeweils m.w.N.).
Mangels eigener Sachkunde und hinreichenden Einblicks in die Konzeption und Funktionsweise des in seinem Fahrzeug eingebauten Motors einschließlich des Systems zur Verringerung des Stickoxidausstoßes kann der Laie keine genauen Kenntnisse von dem Vorhandensein und der konkreten Wirkung einer Abschalteinrichtung haben (BGH, Urteil vom 28. Januar 2020 – VIII ZR 57/19, juris Rn. 9). Er ist letztlich auf Vermutungen angewiesen und kann diese naturgemäß nur auf einige greifbare Anhaltspunkte stützen (BGH, Urteil vom 28. Januar 2020 – VIII ZR 57/19, juris Rn. 10). Von ihm kann daher nicht verlangt werden, dass er im Einzelnen darlegt, weshalb er von dem Vorhandensein einer oder mehrerer Abschalteinrichtungen ausgeht und wie diese konkret funktionieren. Vielmehr ist von ihm nur zu fordern, dass er greifbare Umstände anführt, auf die er den Verdacht gründet, sein Fahrzeug weise eine oder mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen auf (BGH, Urteil vom 28. Januar 2020 – VIII ZR 57/19, juris Rn. 10).
cc) Gemessen an diesen Voraussetzungen ist den Beweisantritten der insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Klägerin zu vermeintlichen unzulässigen Abschalteinrichtungen in ihrem Fahrzeug nicht nachzugehen. Sie hat ihre Behauptungen ohne greifbare Anhaltspunkte, die dem streitgegenständlichen Motortyp zuzuordnen wären, vorgebracht (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 22.06.2021 - I 13 U 194/20, juris Rn. 55; OLG Düsseldorf, Urteil vom 12. Mai 2021 – 18 U 526/19, juris Rn. 31, 43; OLG Köln, Urteil vom 28. April 2021 – 5 U 129/20, juris Rn. 30; OLG Oldenburg, Urteil vom 19. März 2021 – 6 U 283/20, juris Rn. 39, 44; OLG Stuttgart, Urteil vom 19. Januar 2021 – 16a U 196/19, juris Rn. 35; OLG Dresden, Urteil vom 4. Dezember 2020 – 9a U 2974/19,- juris Rn. 27, 29; Oberlandesgericht Naumburg, Urteil vom 10. Dezember 2020 – 4 U 51/20, juris Rn. 14; OLG Frankfurt, Urteil vom 7. Oktober 2020 – 4 U 171/18, juris Rn. 59).
(1) Mit Blick auf die behaupteten Manipulationen bei der Harnstoffeinspritzung und die Applizierung einer Fahrkurvenerkennung in die Steuerungssoftware des streitgegenständlichen Motors hat die Beklagte - von der Klägerin nicht mehr inhaltlich in Frage gestellt - vortragen lassen, dass eine solche in Fahrzeuge, deren Produktionsdatum (wie vorliegend) nach der 21. Kalenderwoche des Jahres 2016 liegt, nicht mehr hinterlegt worden ist. Soweit sich die Klägerin zur Begründung ihrer weitergehenden Behauptungen auf die in der Entscheidungsvorlage „Applikationen & Freigabeverfahren EA 288“ enthaltene Anweisung stützt, „SCR: Bedatung, Aktivierung und Nutzung der Fahrkurve zur Erkennung des Precons und des NEFZ, um die Umschaltung der Rohemissionsbedatung streckengesteuert auszulösen“, lässt sich daraus der von ihr gezogene Schluss auf den Einbau einer Prüfstandserkennung nicht ziehen, hat die dies bestreitende Beklagte hierzu doch substantiiert darauf hingewiesen, dass es entsprechender Umschaltvorgänge aus Sicherheitsgründen bedürfe, und folgt daraus noch nicht, dass dadurch in den genannten Situationen eine unterschiedlich effiziente, vor allem unter Prüfstandsbedingungen in jedem Fall eine die zulässigen Abgasgrenzwerte einhaltende (vgl. insoweit auch die Applikationsrichtlinie Bl. 241 [I] GA), Abgasreinigung erfolgt, wird doch auch auf dem Prüfstand eine Streckenfahrt zumindest imitiert.
Dessen ungeachtet wäre eine Fahrkurvenerkennung auch nicht an sich unzulässig. Vielmehr ist dies gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 715/2007 nur dann der Fall, wenn dadurch eine Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 3 Nr. 10 VO (EG) Nr. 715/2007 aktiviert wird, die die Wirkung des Emissionskontrollsystems verringert. Zu den Hintergründen der Verwendung einer Fahrkurvenerkennung in früheren Modellreihen des streitgegenständlichen Fahrzeugtyps hat die Beklagte jedoch - ohne dass es hierauf streitentscheidend ankäme - dezidiert vorgetragen, dass sich keinerlei Auswirkungen auf das Emissionsverhalten der entsprechend ausgerüsteten Fahrzeuge ergäben.
Für die Behauptung, bei ihrem Fahrzeug erfolge eine unterschiedliche Emissionsbehandlung, je nachdem ob sich das Fahrzeug in der Prüfstandsanordnung oder im Normalbetrieb befinde, hat die Klägerin keine belastbaren Umstände dargetan.
(a) Ohne Belang ist insoweit allerdings, dass ein Rückruf seitens des KBA im Zusammenhang mit der Emissionsbehandlung für Fahrzeuge der streitgegenständlichen Art von der Klägerin nicht dargelegt worden und dem Senat auch sonst nicht – insbesondere nicht aus den allgemein zugänglichen Quellen des KBA – bekannt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Januar 2020 – VIII ZR 57/19, juris Rn. 13).
(b) Der angeordnete Rückruf von mit Motoren des Typs EA 288 ausgerüsteten Fahrzeugen betraf, anderes behauptet auch die Klägerin nicht, nur solche eines anderen Fahrzeugtyps (VW T 6), so dass daraus nicht auf bei Fahrzeugen des Typs VW Passat verwendete unzulässige Abschalteinrichtungen geschlossen werden kann, ohne dass es darauf ankäme, welche technischen Hintergründe der Rückruf hatte.
(c) Der nach Bekanntwerden des "Dieselskandals" – und ersichtlich in Kenntnis des KBA auch hinsichtlich der in dem EA 288-Motor verwendeten Fahrkurve – durchgeführte Feldversuch, der in dem Bericht "Untersuchungskommission Volkswagen" niedergelegt ist, hat in Bezug auf Fahrzeuge der hier streitgegenständlichen Art keine Abweichungen der Emissionen im NEFZ und Fahrbetrieb zu keinen Erkenntnissen geführt.
(d) Die Überschreitung der zulässigen Grenzwerte für den Stickoxidausstoß im Straßenbetrieb bei Einhaltung der Grenzwerte im Prüfstandsbetrieb wäre als solche auch nicht geeignet, den Rückschluss auf eine unzulässige Abschalteinrichtung zu ziehen (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 22.06.2021 - I 13 U 194/20, juris Rn. 75; OLG Stuttgart, Urteil vom 19. Januar 2021 – 16a U 196/19, juris Rn. 59 ff.; OLG Frankfurt, Urteil vom 7. Oktober 2020 – 4 U 171/18, juris Rn. 44).
(e) Der Vortrag der Klägerin, in dem Motor ihres Fahrzeugs sei ein Thermofenster verbaut, das seiner konkreten Ausgestaltung nach nur in einem Bereich von ca. 17°C bis 32°C zu 100 % aktiv sei, außerhalb des Temperaturfensters finde indes keine Abgasbehandlung statt, ist - gerade mit Blick auf die angegebenen Temperaturwerte - nicht näher erläutert oder belegt. Insbesondere ist nicht dargetan, auf welche Erkenntnisgrundlagen die Klägerin ihre Behauptungen konkret stützt und inwieweit solche überhaupt für das vorliegende Verfahren etwas hergeben könnten, als es gerade Fahrzeuge der streitgegenständlichen Art betrifft. Soweit der Klägervertreter im Senatstermin vom 24.05.2022 hierzu ergänzend ausgeführt hat, den Schluss auf eine temperaturabhängige Abgasreinigung im Bereich von 17 bis 32 Grad Celsius daraus zu ziehen, dass auf dem Prüfstand entsprechende Bedingungen herrschten, auf dem jedoch noch zulässige Abgaswerte gemessen würden, ist dieses Vorbringen erst recht nicht hinreichend substantiiert: Offensichtlich stützt sich die Klägerin insoweit auf reine Vermutungen, ohne dafür ihr zumutbare physikalisch-technische Erklärungen zu liefern.
Im Übrigen hat die Beklagte der klägerischen Behauptung detailliert widersprochen und ausgeführt, dass eine Abgasrückführung in sämtlichen EA 288-Fahrzeugen bei Umgebungstemperaturen von -24°C bis +70°C stattfinde. Lediglich außerhalb dieses weiten Temperaturbereiches sei eine Abschaltung der Abgasrückführung aus Gründen des Motorschutzes und des sicheren Betreibens des Fahrzeugs notwendig, während innerhalb des Fensters eine vollständige Abgasreinigung stattfinde. Dies bedeute nicht, dass die AGR entweder zu 100 % aktiv oder inaktiv sei. Im Ergebnis sei die Abgasrückführung in Abhängigkeit zur Umgebungstemperatur bei praktisch allen Fahrten aktiv. Sie werde nur in absoluten Extremtemperaturen vollständig außer Kraft gesetzt, d.h. sei gar nicht mehr aktiv.
Angesichts dieses konkreten Bestreitens der Beklagten und der Überprüfungen, die im Rahmen der "Untersuchungskommission Volkswagen" stattgefunden und nicht zur Feststellung einer unzulässigen Abschalteinrichtung geführt haben, ist mithin auch dieser Vortrag der Klägerin zu ihrem Fahrzeug als ins Blaue hinein zu bewerten (vgl. Hamm, Urteil vom 22.06.2021 - I 13 U 194/20 juris Rn. 79; OLG Köln, Urteil vom 28. April 2021 – 5 U 129/20, juris Rn. 30; wohl auch OLG Düsseldorf, Urteil vom 12. Mai 2021 – 18 U 526/19, juris Rn. 33).
(2) Es kann dahinstehen, ob die jedenfalls vorhandene Abschaltung der Abgasreinigung in einem Bereich außerhalb von -24°C bis + 70°C eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne der Zulassungsvorschriften darstellt (vgl. dazu EuGH, Urteil vom 17. Dezember 2020 – C-693/18, abrufbar unter http://curia.europa.eu). Auch wenn dies der Fall sein sollte, könnte von einem sittenwidrigen Verhalten der Beklagten nicht ausgegangen werden. Die Verwendung eines solchen Thermofensters allein rechtfertigt den Vorwurf besonderer Verwerflichkeit in der gebotenen Gesamtbetrachtung nämlich nicht (BGH, Beschluss vom
9. März 2021 – VI ZR 889/20, juris Rn. 26 ff.). Hierfür bedürfte es vielmehr weiterer Umstände (BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19, juris Rn. 19), die vorliegend jedoch nicht zugrunde zu legen sind.
Für eine Bewertung als sittenwidrig reicht die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für sich genommen nicht aus, um dem Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben (BGH, Beschlüsse vom 9. März 2021 – VI ZR 889/20, juris Rn. 25 ff.; vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19, juris Rn. 16). Der darin liegende Gesetzesverstoß ist selbst unter Berücksichtigung einer etwaigen damit einhergehenden Gewinnerzielungsabsicht der Beklagten für sich genommen nicht geeignet, den Einsatz dieser Steuerungssoftware durch die für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen zu lassen. Hierfür bedürfte es vielmehr weiterer Umstände (BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19, juris Rn. 16). Eine Annahme von Sittenwidrigkeit setzt jedenfalls voraus, dass die auf Seiten der Beklagten handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein tätig waren, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (BGH, Beschlüsse vom 9. März 2021 – VI ZR 889/20, juris Rn. 25; vom
19. Januar 2021 – VI ZR 433/19, juris Rn. 19). Fehlt es hieran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt. Dabei trägt die Darlegungs- und Beweislast für diese Voraussetzung nach allgemeinen Grundsätzen der Kläger als Anspruchsteller (BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19, juris Rn. 19).
Anders als bei der ursprünglich vorhandenen Abschalteinrichtung bei Motoren des Typs EA 189 kann nicht aus der Funktionsweise eines "Thermofensters" auf eine Billigung des Gesetzesverstoßes geschlossen werden (BGH, Beschluss vom 9. März 2021 – VI ZR 889/20, juris Rn. 27). Die in Motoren des Typs EA 189 ursprünglich verwendete Software erkannte einen Prüfstandslauf, schaltete (nur) bei einem solchen die Abgasreinigung ein und war daher ersichtlich auf eine Verheimlichung angelegt. Angesichts der Funktionsweise des "Thermofensters" spricht bei diesem jedoch nichts für eine planvolle Verheimlichung, welche eine Billigung des Gesetzesverstoßes belegen würde. Die temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung führt nicht erkennbar dazu, dass bei erkanntem Prüfstandsbetrieb eine verstärkte Abgasrückführung aktiviert und der Stickoxidausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert wird, sondern arbeitet in beiden Fahrsituationen im Grundsatz in gleicher Weise. Unter den für den Prüfzyklus maßgebenden Bedingungen (Umgebungstemperatur, Luftfeuchtigkeit, Geschwindigkeit, Widerstand etc., vgl. Art. 5 Abs. 3 a) der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 i.V.m. Art. 3 Nr. 1 und 6, Anhang III der Verordnung (EG) Nr. 692/2008 der Kommission vom 18. Juli 2008 zur Durchführung und Änderung der Verordnung 715/2007/EG (ABl. L 199 vom 28. Juli 2008, S. 1 ff.) in Verbindung mit Abs. 5.3.1 und Anhang 4 Abs. 5.3.1, Abs. 6.1.1 der UN/ECE-Regelung Nr. 83 (ABl. L 375 vom
27. Dezember 2006, S. 246 ff.) entspricht die Rate der Abgasrückführung im normalen Fahrbetrieb derjenigen auf dem Prüfstand (BGH, Beschluss vom 9. März 2021 – VI ZR 889/20, juris Rn. 27).
Auch im Übrigen ist nicht erkennbar, dass die auf Seiten der Beklagten handelnden Personen nur von einer Unzulässigkeit ausgegangen sein können, denn die Zulässigkeit eines solchen "Thermofensters" wird unterschiedlich beurteilt (siehe etwa die Nachweise bei OLG Frankfurt, Urteil vom 9. Dezember 2020 – 17 U 293/19, juris Rn. 61; siehe auch OLG Hamm, Beschluss vom 5. November 2020 – 18 U 86/20, juris Rn. 5; OLG Düsseldorf, Urteil vom 8. Oktober 2020 – 8 U 169/19, juris Rn. 23).
Mithin muss es bei der angegriffenen Entscheidung verbleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision war zuzulassen, weil der Bundesgerichtshof maßgeblich zu der Frage der Substantiierung des Klagevortrages in den Fällen behaupteter Softwaremangel bei EA-288-Motoren im Rahmen des sog. VW-Dieselskandals noch keine maßgebenden Leitlinien festgesetzt hat.