Gericht | VG Cottbus 8. Kammer | Entscheidungsdatum | 05.07.2022 | |
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Aktenzeichen | 8 K 2058/16.A | ECLI | ECLI:DE:VGCOTTB:2022:0705.8K2058.16.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 3 AsylVfG 1992 |
Die Beklagte wird unter entsprechender Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 4. Oktober 2016 verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens trägt die Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Der am ... Februar 1983 geborene Kläger ist nach eigenen Angaben afghanischer Staatsangehöriger vom Volke der Hazara. Er reiste am 2. August 2016 auf dem Landweg u.a. über Griechenland in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 8. August 2016 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) Asyl.
In seiner Anhörung vor dem Bundesamt gab er an, Afghanistan im Januar 2016 aufgrund seines christlichen Glaubens verlassen zu haben. Sein Vater sei seit Langem tot, seine Mutter und auch seine Ehefrau lebten nach wie vor in der Provinz Ghazni, wo auch er bis zu seiner Ausreise gelebt habe. Ebenso ein Onkel und eine Tante. In Afghanistan habe er bis zur 3. Klasse die Schule besucht und sodann eine Ausbildung als KFZ-Mechaniker absolviert. In diesem Beruf habe er auch bis zu seiner Ausreise gearbeitet und etwa 10.000 Afghani im Monat verdient. Seine Ausreise, die etwa 6.000 Euro gekostet habe, habe er aus den eigenen Ersparnissen finanziert. Er interessiere sich seit 2014 für den christlichen Glauben. Zu diesem Zeitpunkt sei ein Freund von ihm, der als Dolmetscher für die amerikanischen Soldaten gearbeitet habe, zu ihm in die Werkstatt gekommen und habe ihm ein Buch über den christlichen Glauben geschenkt. Das Christentum habe ihn interessiert, weil Jesus Christus sich für die Sünden der Menschen an das Kreuz habe nageln lassen. Er habe seinen Glauben aber für sich behalten, da es in Afghanistan nicht möglich gewesen sei, den Glauben auszuleben. Anlass für seine Ausreise sei dann gewesen, dass er dieses Buch zu Hause gehabt hätte. Am 10. Januar 2016 sei der Mullah dann bei ihm zu Hause gewesen, wo er mit seiner Frau und seiner Mutter gelebt habe, und habe das Buch, bei dem es sich um das Neue Testament gehandelt habe, gefunden. Das Buch habe auf dem Fensterbrett gelegen. Normalerweise habe er es immer versteckt. Nur an diesem Tag habe er das nicht getan. Er selbst sei an dem Tag nicht zu Hause, sondern bei der Arbeit in Jaghuri, etwa drei bis vier Stunden entfernt von seinem Heimatort, gewesen. Nur ein bis drei Mal im Monat sei er nach Hause gefahren. Nachdem der Mullah da gewesen sei, habe seine Frau ihn angerufen und ihm mitgeteilt, dass es für ihn und die Familie gefährlich sei. Der Mullah habe in der Moschee verkündet, dass er sich für den christlichen Glauben interessiere und konvertiert sei. Er sei dann nicht mehr nach Hause zurückgekehrt, da seine Frau gesagt habe, wenn er zurückkehre, werde er gesteinigt. Das Geld für die Ausreise sei bei seinem Arbeitgeber gewesen, was üblich sei. Dort habe es einen Safe gegeben, in dem sein Arbeitgeber das Geld gelagert habe. Am Christentum gefiele ihm die Botschaft, alle Menschen zu lieben. Im Islam werde man stattdessen beauftragt, Selbstmordanschläge auszuüben. Nach seiner Flucht sei er dann in Griechenland getauft worden. Zur Untermauerung seines diesbezüglichen Vorbringens legte der Kläger eine „Taufbescheinigung“ des Samara Mission Centers aus Athen vor, wonach der Kläger am 22. Juli 2016 getauft worden sein soll. Die Taufe habe so stattgefunden, dass er in einen Teich vor der Kirche eingetaucht worden sei. Danach sei man zum Gebet in die Kirche gegangen. Kontakt zur der Samaria Kirche habe er erlangt, weil die afghanischen und iranischen Mitarbeiter Lebensmittel an die Flüchtlinge verteilt hätten. Am Samstag und Sonntag habe es Veranstaltungen gegeben und am Dienstag und Mittwoch hätten sie Spendensammlungen und Essen für Flüchtlinge organisiert. Er habe auch an einem Unterricht über den christlichen Glauben teilgenommen, der in persischer Sprache stattgefunden habe. Der Islam habe für ihn bereits in seinem bisherigen Leben keine Bedeutung gehabt. Es handele sich lediglich um Propaganda für Selbstmordattentäter.
Mit Bescheid vom 4. Oktober 2016, dem Kläger am 17. November 2016 zugestellt, lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers sowohl mit Blick auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1) als auch die Anerkennung als Asylberechtigter (Ziffer 2) und die Zuerkennung subsidiären Schutzes (Ziffer 3) ab. Außerdem stellte es fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 S. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorlägen (Ziffer 3) und forderte den Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland binnen 30 Tagen nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen (Ziffer 4). Für den Fall der Nichteinhaltung dieser Frist drohte es dem Kläger die Abschiebung nach Afghanistan an (Ziffer 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG befristete das Bundesamt auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung.
Zur Begründung seiner ablehnenden Entscheidung führte das Bundesamt im Wesentlichen aus, dass der Kläger eine Verfolgung nicht glaubhaft gemacht habe. Dass der Mullah des Ortes die Familie besucht habe, obwohl kein männliches Familienmitglied im Hause gewesen sei, sei in dem afghanischen Kulturkreis gänzlich unüblich und daher unglaubhaft. Außerdem sei nicht klar, wie der Mullah darauf kommen konnte, dass die Bibel ausgerechnet dem Kläger gehören könnte. Ebenfalls konstruiert erscheine, dass der Kläger ausgerechnet an diesem Tag nicht zu Hause gewesen sein wolle und dann unmittelbar von der Arbeitsstelle, wo er auch alle seine Ersparnisse aufbewahrt habe, geflüchtet sei. Die Kenntnisse des Klägers über das Christentum seien zudem dürftig und auch habe er keine schlüssigen und nachvollziehbaren Angaben zu den inneren Beweggründen für seine Konversion vorgetragen.
Hiergegen hat der Kläger am 24. November 2016 Klage erhoben, die er im Wesentlichen damit begründet, dass ihm aufgrund seiner Konversion im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan Verfolgung drohe.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 4. Oktober 2016 zu verpflichten,
ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,
hilfsweise, ihm subsidiären Schutz zu gewähren,
weiter hilfsweise, festzustellen, dass für ihn ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 S. 1 des Aufenthaltsgesetzes hinsichtlich Afghanistans vorliegt.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung beruft sie sich auf den streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamtes und führt ergänzend aus, dass der formale Vollzug des Glaubenswechsels durch eine Taufe für die Annahme einer ernsthaften Hinwendung zum Christentum nicht ausreichend sei. Dass der Wechsel im Falle des Klägers aus einer tiefgreifenden, geänderten religiösen Grundeinstellung beruht habe, lasse sich aufgrund von dessen Angaben insbesondere in der Anhörung vor dem Bundesamt nicht feststellen.
Der Kläger ist in der mündlichen Verhandlung informatorisch angehört worden. Das Gericht hat außerdem in der mündlichen Verhandlung Beweis zur Frage der Konversion des Klägers durch Zeugenvernehmung erhoben. Für den Inhalt der Anhörung und das Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der Sitzungsniederschrift verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, den seitens des Bundesamtes vorgelegten Verwaltungsvorgang sowie die den Kläger betreffende Ausländerakte Bezug genommen. Diese Unterlagen waren ebenso wie die in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung.
Das Gericht konnte trotz Nichterscheinens eines Vertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung verhandeln und entscheiden, da die Beteiligten in der ordnungsgemäß erfolgten Ladung auf diese Möglichkeit gemäß § 102 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) hingewiesen worden sind.
Die zulässige Klage ist bereits mit dem Hauptantrag begründet. Denn der Kläger hat in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage nach § 77 Abs. 1 S. 1 des Asylgesetzes (AsylG) maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Der Bescheid des Bundesamtes vom 4. Oktober 2016 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, soweit er dieser Verpflichtung entgegensteht (vgl. § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO).
Nach § 3 Abs. 4 1. Hs. AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 der Vorschrift ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560) ist nach § 3 Abs. 1 AsylG ein Ausländer, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
Als Verfolgung im Sinne dieser Vorschrift gelten gemäß § 3 a Abs. 1 Nr. 1 AsylG Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention) keine Abweichung zulässig ist. Gleiches gilt nach § 3 a Abs. 1 Nr. 2 AsylG für eine Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, die so gravierend sind, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.
Zwischen den nach § 3 a AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen (sog. Verfolgungshandlungen) und den in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Merkmalen (sog. Verfolgungsgründe) muss nach § 3 a Abs. 3 AsylG eine Verknüpfung bestehen. Erforderlich aber auch ausreichend ist insoweit, dass die Verfolgung stattfindet, weil der Verfolger dem Ausländer das in Rede stehende Merkmal, z.B. eine bestimmte politische Überzeugung, zuschreibt. Ist dies der Fall, kommt es weder darauf an, ob der Betroffene die ihm zugeschriebene Überzeugung tatsächlich aufweist (§ 3 b Abs. 2 AsylG) noch ob er aufgrund dieser tatsächlich tätig geworden ist (§ 3 b Abs. 1 Nr. 5 AsylG). Ob eine Verfolgungshandlung in diesem Sinne „wegen“ eines flüchtlingsrelevanten Merkmals erfolgt, ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung anhand des inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den – ohnehin kaum feststellbaren – subjektiven Vorstellungen und Motiven, die den Verfolgenden oder die für ihn handelnden Personen leiten (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 3. Juli 1996 - 2 BvR 1957/94 -, juris Rn. 18). Entscheidend ist mithin, wie sich die Verfolgungshandlung nach dem „objektiven Empfängerhorizont“ darstellt.
Eine „begründete Furcht“ vor Verfolgung der vorstehend beschriebenen Art liegt schließlich vor, wenn dem Antragsteller Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Dies ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anhand einer Verfolgungsprognose zu beurteilen, die die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Geschehensabläufe bei einer hypothetisch unterstellten Rückkehr des Schutzsuchenden in seinen Heimatstaat zum Gegenstand hat. Beachtlich wahrscheinlich ist eine Verfolgung danach, wenn bei der im Rahmen dieser Prognose vorzunehmenden „zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts“ die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Insofern ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung geboten, bei der letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit maßgebend ist. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Ausländers Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Eine in diesem Sinne wohlbegründete Furcht vor einem Ereignis kann auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer quantitativen oder mathematischen Betrachtungsweise weniger als 50 % Wahrscheinlichkeit für dessen Eintritt besteht. In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben allerdings die Gesamtumstände des Einzelfalls die „tatsächliche Gefahr“ („real risk“) einer politischen Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Er wird bei der Abwägung aller Umstände zudem auch immer die Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in die Betrachtung mit einstellen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es aus Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber schwere Misshandlungen bzw. Folter oder gar die Todesstrafe riskiert (vgl. zu alledem BVerwG, Urteil vom 5. November 1991 - 9 C 118/90 -, juris Rn. 17; EuGH-Vorlage vom 7. Februar 2008 - 10 C 33/07 -, juris Rn. 37).
Die begründete Furcht vor Verfolgung kann dabei sowohl auf tatsächlich erlittener oder unmittelbar drohender Verfolgung bereits vor der Ausreise im Herkunftsstaat (sog. Vorverfolgung) als auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat (sog. Nachfluchtgründe). Für Vorverfolgte gilt innerhalb des auch insoweit anzuwenden Maßstabes der beachtlichen Wahrscheinlichkeit eine Beweiserleichterung. Denn nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Qualifikationsrichtlinie) ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder unmittelbar von Verfolgung bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist. In diesen Fällen streitet also die tatsächliche Vermutung dafür, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Diese Vermutung kann allerdings widerlegt werden, wenn stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit der Verfolgung entkräften (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 5/09 -, juris Rn. 22 ff.).
Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe hat der Kläger einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Der Verfolgungsgrund der Religion umfasst nach § 3 b Abs. 1 Nr. 2 AsylG insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstigen religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind. Wird auf die Entschließungsfreiheit des Schutzsuchenden, seine Religion in einer bestimmten Weise zu praktizieren, durch die Bedrohung mit Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit eingewirkt, so liegt ein Eingriff in die Religionsfreiheit vor. Um als flüchtlingsschutzrelevante Verfolgungshandlung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG qualifiziert zu werden, muss es sich bei dem zu erwartenden Eingriff allerdings um eine schwerwiegende Rechtsverletzung handeln, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigt. Eine solche erhebliche Beeinträchtigung kann nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs sowohl vorliegen, wenn gravierende Eingriffe in die Freiheit des Betroffenen, seinen Glauben im privaten Bereich zu praktizieren, vorliegen, als auch dann, wenn die Freiheit, den Glauben öffentlich zu leben, beeinträchtig wird (vgl. EuGH, Urteil vom 5. September 2012 – C-71/11 u.a. –, juris Rn. 69; BVerwG, Urteile vom 20. Februar 2013 – 10 C 23.12 –, juris Rn. 24 und vom 25. August 2015 – 1 B 40.15 –, juris Rn. 11). Die Beachtlichkeit der drohenden Verletzungshandlung ist somit nicht danach zu beurteilen, ob diese in einen Kernbereich der privaten Glaubensbetätigung (forum internum) oder in einen weiteren Bereich der öffentlichen Glaubensausübung (forum externum) eingreift (so aber die frühere deutsche Rechtsprechung, vgl. bspw. BVerwG, Urteil vom 20. Januar 2004 – 1 C 9.03 – juris Rn. 12 m.w.N). Es kommt vielmehr darauf an, ob der Schutzsuchende befürchten muss, dass ihm auf Grund seiner öffentlichen religiösen Betätigung, die zur Wahrung einer religiösen Betätigung besonders wichtig ist, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine schwere Rechtsverletzung droht, insbesondere die Gefahr, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt oder verfolgt zu werden. Dabei kann bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung erreichen (BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 C 23.12 – juris Rn. 26).
Bei der Beurteilung der Frage, ob ein dem dargestellten Maßstab entsprechender Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit vorliegt und als Verfolgungshandlung zu qualifizieren ist, sind eine Reihe objektiver wie auch subjektiver Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Hierfür hat das Gericht auf einer ersten objektiven Stufe festzustellen, welche Maßnahmen und Sanktionen gegenüber dem Betroffenen in seinem Herkunftsland voraussichtlich ergriffen werden und wie gravierend diese sind. Auf einer zweiten Stufe ist in subjektiver Hinsicht zu ermitteln, ob der Kläger sich aus voller innerer Überzeugung von seinem bisherigen Bekenntnis gelöst hat. Maßgeblich ist insoweit, wie der Einzelne seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar ist. Das setzt zwar nicht voraus, dass der Betroffene innerlich zerbrechen oder jedenfalls schweren seelischen Schaden nehmen würde, wenn er auf eine entsprechende Praktizierung seines Glaubens verzichten müsste. Jedoch muss die konkrete Glaubenspraxis ein zentrales Element seiner religiösen Identität bilden und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar sein (vgl. VG Magdeburg, Urteil vom 39. September 2014 – 5 A 193/13 MD –, juris S. 7 EA).
Die religiöse Identität – gegebenenfalls nach Hinwendung zu der angenommenen Religion – sowie die innere Tatsache, dass die unterdrückte religiöse Betätigung für ihn ein zentrales Element seiner religiösen Identität bildet und daher für ihn unverzichtbar ist, muss der Schutzsuchende zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen (§ 108 Abs. 1 S. 1 VwGO). Dies ist nur anhand seines Vorbringens und im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf seine innere Einstellung möglich. Dafür ist das religiöse Selbstverständnis des Betroffenen grundsätzlich sowohl vor als auch nach der Ausreise aus dem Herkunftsland von Bedeutung. Beruft er sich auf eine Gefährdung wegen Konversion zu einem anderen Glauben, muss er zudem die inneren Beweggründe glaubhaft machen, die ihn zur Konversion veranlasst haben. Von einem Erwachsenen, der sich zum Bekenntniswechsel entschlossen hat, darf außerdem im Regelfall erwartet werden, dass er mit den wesentlichen Grundzügen seiner neuen Religion vertraut ist. Welche Anforderungen dabei im Einzelnen zu stellen sind, richtet sich vorwiegend nach der Persönlichkeit und der intellektuellen Disposition des Schutzsuchenden (vgl. zum Vorstehenden insgesamt: EuGH, Urteil vom 5. September 2012 – C-71/11 u.a. – juris Rn. 70; BVerfG, Beschluss vom 3. April 2020 – 2 BvR 1838/15 –, juris, Rn. 28 ff.; BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 C 23.12 –, juris, Rn. 30 f. und Beschluss vom 25. August 2015 – 1 B 40.15 –, juris, Rn. 14; OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 11. November 2020 – 2 LA 35/20 –, juris, Rn. 12; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 5. Dezember 2017 – A 11 S 1144/17 –, juris, Rn. 63; OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18. Juni 2019 – 13 A 3930/18.A –, juris, Rn. 72; Beschluss vom 27. April 2016 – 13 A 854/16.A –, juris, Rn. 10 und Beschluss vom 10. September 2014 – 13 A 1171/14.A –, juris, Rn. 7). Diese – zur Konversion entwickelten Maßstäbe – gelten im Grundsatz auch dann, wenn sich der Betroffene nicht einem neuen Glauben, sondern etwa einer atheistischen Weltanschauung zugewandt hat (vgl. VG Cottbus, Urteil vom 20. November 2020 – 3 K 1379/16.A –, juris Rn. 26; VG Lüneburg, Urteil vom 13. Juni 2017 – 3 A 136/16 –, juris Rn. 32 f.; VG Magdeburg, Urteil vom 39. September 2014 – 5 A 193/13 MD –, juris S. 7 ff. EA).
Gemessen daran kann vorliegend offenbleiben, ob der Kläger Afghanistan bereits vorverfolgt verlassen hat. Denn jedenfalls drohen dem Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit landesweit Verfolgungsmaßnahmen seitens staatlicher und nichtstaatlicher Akteure aufgrund seiner Abkehr vom Islam.
Bereits vor der Machtübernahme durch die Taliban wurde in der Rechtsprechung davon ausgegangen, dass Personen, die sich vom Islam angewandt haben und zum Christentum konvertiert sind, in Afghanistan mit Verfolgungsmaßnahmen rechnen müssen, wenn sie ihren Glauben offen praktizieren oder aus Angst vor Übergriffen verheimlichen müssen und dadurch in erheblich Gewissenskonflikte geraten. Zum Christentum konvertierte ehemalige muslimische Glaubensangehörige sind in Afghanistan gezwungen, ihren Glauben entweder ganz zu verleugnen oder ihn zumindest auch im privaten Umfeld zu verheimlichen, da anderenfalls schwerwiegende Übergriffe durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure drohen. Dauerhafter Schutz vor derartigen Übergriffen war – auch nur in bestimmten Landesteilen – zu keinem Zeitpunkt erreichbar (vgl. zur Situation vor der Machtübernahme: OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 22. Januar 2020 – 13 A 11356/19 –, juris Rn. 38; VG Augsburg, Urteil vom 5. November 2018 – Au 5 K 16.31345 –, juris Rn. 27; VG Greifswald, Urteil vom 12. April 2017 – 3 A 1282/16 As HGW –, juris Rn. 38; VG Würzburg, Urteil vom 30. September 2016 – W 1 K 16.31807 –, juris Rn. 23; VG Dresden, Urteil vom 28. Oktober 2016 – 7 K 3036/14.A –, juris Rn. 23, jeweils m.w.N).
Die Zahl afghanischer Christen kann nicht verlässlich angegeben werden. Nichtmuslimische Gruppierungen, zu denen auch Sikhs, Baha’i und Hindus gehören, machen jedenfalls weniger als 1 % der afghanischen Bevölkerung aus. Öffentlich zugängliche christliche Kirchen gibt es nicht. Nach der Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan ist der Islam die Staatsreligion. Zwar ist die Religionsfreiheit in der afghanischen Verfassung verankert. Die von Afghanistan ratifizierten internationalen Verträgen und Konventionen sind jedoch allesamt im Lichte des generellen Islamvorbehalts zu verstehen. Die Glaubensfreiheit und damit das Recht auf freie Religionswahl gelten demnach für Muslime nicht. Darüber hinaus ist die Abkehr vom Islam (Apostasie) nach Scharia-Recht auch strafbewehrt. In der Rechtspraxis spielt die Anwendung der Scharia, nach der Konversion als Verbrechen mit der Todesstrafe zu ahnden ist, eine gewichtige Rolle, auch wenn die Todesstrafe jedenfalls vor der Machtübernahme der Taliban nicht vollstreckt wurde (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 31. Mai 2018, S. 9 f.).
Konvertiten zum Christentum droht ebenso wie Apostaten im Allgemeinen die Gefahr der Strafverfolgung durch den afghanischen Staat. Apostasie ist im afghanischen Strafgesetzbuch nicht ausdrücklich geregelt, gehört nach herrschender Rechtsauffassung aber zu den nicht ausdrücklich definierten „ungeheuerlichen Straftaten“, die nach der hanafitischen Lehre mit dem Tod oder mit bis zu lebenslanger Haft bestraft werden. Zudem müssen Konvertiten mit sozialer Ächtung und mit Gewalt bis hin zur Lynchjustiz durch Familienangehörige, andere Mitglieder der örtlichen Gemeinschaft sowie durch regierungsfeindliche Kräfte rechnen. Personen, die zum Christentum konvertiert sind, sind deshalb gezwungen, ihren Glauben zu verheimlichen und sich so zu verhalten, als wären sie (weiterhin) Muslime. Dies setzt grundsätzlich die Teilnahme am religiös-kulturellen Leben, etwa den Besuch der Moschee und das Fasten während des Ramadan, voraus. Mit welcher Intensität die Religionsausübung erwartet wird, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Während der nicht regelmäßige Moscheebesuch, insbesondere, wenn er z.B. beruflich begründet werden kann, in den Großstädten nicht notwendig mit einem Verlust der Glaubwürdigkeit verbunden ist, ist der Gefährdungsgrad nicht regelmäßig praktizierender Muslime in ländlichen Gegenden erheblich höher. Rückkehrer aus dem westlichen Ausland können in besonderem Maße sozialem Druck ausgesetzt sein nachzuweisen, dass sie an religiösen Riten überzeugt teilnehmen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update der SFH-Länderanalyse, Afghanistan: Gefährdungsprofile, 30. September 2020, S. 13 f.; Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Anfragenbeantwortung der Staatendokumentation, Afghanistan, Aktuelle Lage von Konvertiten, 23. Juli 2020; ACCORD, Afghanistan: Apostasie, Blasphemie, Konversion, Verstoß gegen islamische Verhaltensregeln, gesellschaftlich Wahrnehmung von RückehrerInnen aus Europa, 15. Juni 2020, S. 4 ff.; EASO Country Guidance: Afghanistan, Guidance Note and common analysis, Juni 2019, S. 68 f.; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018, S. 66 ff.; EASO, Informationsbericht über das Herkunftsland, Afghanistan, Gezielte Gewalt gegen Individuen aufgrund gesellschaftlicher und rechtlicher Normen, Dezember 2017, S. 24 ff.; Zum vorstehenden insgesamt: VG Cottbus, Urteil vom 5. April 2022 – VG 3 K 562/17.A –, n.v.).
Da bei der Konversion vom Islam zum Christentum in Afghanistan nicht in erster Linie das Christentum als problematisch angesehen wird, sondern die Abkehr vom Islam (vgl. Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation, Afghanistan, 28. Januar 2022, S. 113), macht es im Hinblick auf die Gefährdungslage keinen Unterschied, ob der Betroffene sich aus tiefgreifender innerer Überzeugung lediglich vom Islam abgewandt oder ob aber sich zudem einer anderen Religion zugewandt hat. Bereits die Kritik am Islam wird nicht akzeptiert, so dass Atheisten ebenso gefährdet sind wie Konvertiten.
Dass sich die vorstehend beschriebene Situation durch die Machtübernahme der Taliban seit Mitte August 2021 zugunsten der Konvertiten bzw. Apostaten verändert haben könnte, ist nach Auffassung des Gerichts in keiner Weise wahrscheinlich (so auch schon: VG Freiburg (Breisgau), Urteil vom 24. August 2021 – A 14 K 5099/17 –, juris Rn. 41 ff.). Zwar liegen insoweit noch keine validen Informationen über die Auswirkungen der Machtübernahme durch die Taliban vor (Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation, Afghanistan, 28. Januar 2022, S. 114). Aber angesichts der Tatsache, dass es das erklärte Ziel der Taliban ist, in Afghanistan ein Islamisches Emirat unter Geltung der Scharia zu errichten (vgl. dazu: UK Home Office, Afghanistan, Fear of the Taliban, 9. Februar 2022, Kap. 5.4) und die Taliban Personen, die ihrer Auslegung des Islams zuwiderhandeln, seit jeher als „Abtrünnige“ betrachten (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Gefährdungsprofile, Update der SFH-Länderanalyse, 31. Oktober 2021, S. 18; EASO, Country Guidance: Afghanistan, Common analysis and guidance note, November 2021, S. 90), gibt es keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass Konvertiten bzw. Apostaten dort nunmehr keine Verfolgung mehr zu befürchten hätten. Dementsprechend gehen auch die der Kammer vorliegenden Erkenntnismittel – soweit sie sich zu dieser Frage verhalten – einhellig davon aus, dass für entsprechende Personen (nach wie vor) eine beachtliche Wahrscheinlichkeit für Verfolgungshandlungen seitens staatlicher und nichtstaatlicher Akteure besteht (vgl. ACCORD, Afghanistan: Aktuelle Lage & Überblick über relevante Akteure; Situation gefährdeter Gruppen, März 2022, S. 25; EASO, Country Guidance: Afghanistan, Common analysis and guidance note, November 2021, S. 90; Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation, Afghanistan, 28. Januar 2022, S. 109).
Diese Erkenntnislage zugrunde gelegt droht dem Kläger im Falle einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung in Anknüpfung an seine religiösen Überzeugungen. Denn die subjektive Schwere der Verletzung der Religionsfreiheit liegt gemessen an den obigen Maßstäben ebenfalls vor. Insoweit ist das Gericht aufgrund des Vorbringens des Klägers im Klageverfahren und insbesondere in der mündlichen Verhandlung zur Überzeugung gelangt, dass für den Kläger jedenfalls sein bereits in Afghanistan begonnener Abfall vom muslimischen Glauben mittlerweile dergestalt identitätsprägend ist, dass davon auszugehen ist, dass er sich den islamischen Regeln insbesondere betreffend das Beten und Fasten nicht mehr ohne ernsthafte Gewissensnöte unterwerfen könnte.
Insbesondere nach dem persönlichen Eindruck, den das Gericht von dem Kläger in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, hat sich der Kläger ernsthaft und aus voller innerer Überzeugung vom Islam abgewandt. Bereits beim Bundesamt und im Klageverfahren hatte der Kläger mehrfach auf seine kritische Haltung zum Islam hingewiesen und diese u.a. damit begründet, dass die Botschaft des Korans für ihn von Zwang und Gewalt geprägt sei. Dieses Vorbringen hat er in der mündlichen Verhandlung vertieft und glaubhaft dahingehend ergänzt, dass ihn der islamische Glaube bereits in Afghanistan nicht überzeugt habe. Dinge wie Beten und Fasten habe er lediglich aufgrund des gesellschaftlichen Drucks mitgemacht. Während des Ramadan habe er dann heimlich gegessen und getrunken. Nunmehr bete er nur noch Gebete aus der Bibel und richte sein Verhalten auch sonst nicht mehr am Islam aus. Bspw. esse er regelmäßig Schweinefleisch.
Das Gericht hat während der mündlichen Verhandlung insgesamt den Eindruck gewonnen, dass der Kläger das Christentum und die Lehren der Bibel, mit denen er mehr oder wenig zufällig in Kontakt gekommen ist, vor dem Hintergrund seiner seit jeher islamkritischen Einstellung dann als eine Art „Befreiung“ empfunden hat. Aufgefallen ist in diesem Zusammenhang insbesondere, dass der Kläger nicht müde wurde zu betonen, welche Bedeutung für ihn die Möglichkeit der freien Entscheidung für einen Lebensweg und eine Religion einnimmt. Überzeugend hat der diesbezüglich zudem geschildert, dass er sich diese Freiheit auch für seine Kinder wünscht und sie deshalb trotz seiner eigenen Hinwendung zum Christentum nicht zwingen würde, denselben Weg einzuschlagen. Die Freiheit gerade von religiösen Zwängen hat im Leben des Klägers nach Einschätzung des Gerichts inzwischen eine derartige Bedeutung eingenommen, dass er diese aus innerer Überzeugung heraus auch nicht mehr aufzugeben bereit ist.
Dieser Eindruck hat sich auch dadurch verfestigt, dass der sonst sehr zurückhaltend und eher unsicher auftretende Kläger seine Kritik am Islam in der mündlichen Verhandlung freimütig geäußert hat und offenbar – das hat die einvernommene Zeugin bestätigt – auch außerhalb des Gerichtsaals kommuniziert. Die Zeugin hat außerdem von sich aus darauf hingewiesen, dass der Kläger eine – jedenfalls aus ihrer Erfahrung – für islamische Männer untypisch moderne Einstellung bspw. im Hinblick auf Gleichberechtigungsfragen aufweise.
Bezeichnend erscheint dem Gericht schließlich, wie der Kläger auf die Frage der Einzelrichterin nach den Vorzügen des Christentums gegenüber dem Islam ohne Nachzudenken und aus voller Inbrunst mit „Alles“ geantwortet hat. In diesem und anderen Momenten der mündlichen Verhandlung war die von dem Kläger für den Islam empfundene Verachtung im Gerichtssaal gleichsam spürbar.
Auch im Übrigen sieht das Gericht keinen Anlass, am Wahrheitsgehalt der vom Kläger vorgetragenen Abwendung vom Islam zu zweifeln. Dass das Vorbringen des Klägers asyltaktisch motiviert sein könnte, vermochte die Einzelrichterin insgesamt nicht zu erkennen. Hiergegen spricht aus Sicht des Gerichts auch, dass der Kläger, zu den Gründen für seine Kontaktaufnahme mit der Samaria Church in Athen befragt, freimütig eingeräumt hat, dass diese zunächst nur deshalb erfolgte, weil dort Essen an Flüchtlinge verteilt wurde. Auf die Idee, sich taufen zu lassen, sei er erst später gekommen.
Das Gericht ist nach alledem sicher, dass sich der Kläger über einen längeren Prozess hinweg aus einer festen, ernst gemeinten inneren Überzeugung vom Islam abgewandt hat und sein Leben danach ausrichtet. Ob die zur Überzeugung des Gerichts ebenfalls glaubhaft vorgetragene Hinwendung zum Christentum die Identität des Klägers bereits in einer Weise prägt, dass er auch nicht mehr in der Lage wäre, auf die Betätigung dieses Glaubens im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan zu verzichten, bedarf vor diesem Hintergrund keiner Entscheidung. Denn nach der dargestellten Erkenntnislage wäre der Kläger im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan bereits wegen seiner Abkehr vom Islam mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt.
Dem Kläger steht auch keine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 3 e AsylG zur Verfügung. Die bereits geschilderten Gefahren für vom Glauben abgefallene Muslime drohen in Afghanistan landesweit, zumal nach der Machtübernahme durch die Taliban (vgl. VG Freiburg (Breisgau), Urteil vom 24. August 2021 – A 14 K 5099/17 –, juris Rn. 56). Zwar mögen Repressionen in städtischen Gebieten aufgrund der größeren Anonymität weniger als in Dorfgemeinschaften zu befürchten sein. Selbst in einer Stadt wie Kabul würde aber ein vom Glauben abgefallener Muslim unweigerlich auffallen, etwa, weil er sich den vorgeschriebenen täglichen Gebeten und dem Moscheebesuch entzieht (vgl. so bereits vor Machtübernahme durch die Taliban: VG Cottbus, Urteil vom 13. November 2020 – VG 3 K 1259/16.A –, n.v.; VG Augsburg, Urteil vom 5. November 2018 – Au 5 K 16.31345 –, juris Rn. 34 m.w.N.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO und § 83 b AsylG.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711, 709 der Zivilprozessordnung.