Gericht | FG Berlin-Brandenburg 8. Senat | Entscheidungsdatum | 03.05.2022 | |
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Aktenzeichen | 8 K 8168/20 | ECLI | ECLI:DE:FGBEBB:2022:0503.8K8168.20.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden der Klägerin auferlegt.
Die Revision wird zugelassen.
Unternehmensgegenstand der Klägerin ist das Bauen von Häusern. Gesellschafter der Klägerin sind jeweils zu 50 % Herr B… und Herr C…. Herr B… ist zugleich Geschäftsführer. Im Rahmen einer Betriebsprüfung wurde festgestellt, dass die Klägerin seit 2011 eine Rückstellung geführt und diese unverändert auf die Jahre 2012 und 2013 vorgetragen habe. Die Darlehenssalden beliefen sich auf 0 Euro. Der Nachweis eines Rückstellungsbedarfes oder einer Verbindlichkeit war nach den Ausführungen im Betriebsprüfungsbericht nicht erbracht worden. Die Rückstellung war daher nach Auffassung der Betriebsprüfung im Jahr 2012 gewinnerhöhend aufzulösen.
Der Beklagte erließ am 23. Januar und 25. Januar 2017 geänderte Bescheide über Körperschaftsteuer und Gewerbesteuermessbetrag und setzte die Körperschaftsteuer 2012 und den Gewerbesteuermessbetrag 2012 auf 0 Euro fest. Er erließ ferner geänderte Bescheide über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer zum 31.12.2012 und zur Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.2012 und stellte in beiden Bescheiden den Verlust auf 32.595 € fest.
Die Klägerin legte gegen die „Steuerbescheide zur Körperschaftsteuer 2011 bis 2014“ sowie gegen die „Gewerbesteuermessbescheide 2011 bis 2014 Einspruch ein“ und machte unter anderem geltend, die Rückstellungen seien beizubehalten, da es sich um Zinsen bereits getilgter Darlehen handele, die bislang nicht ausgezahlt worden seien.
Den Einspruch wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 24. Januar 2019, die sich nach dem Rubrum – soweit für das vorliegende Verfahren relevant – auf die Körperschaftsteuer 2012 und Gewerbesteuermessbetrag 2012 bezieht, als unbegründet zurück.
Im Klageverfahren wendet sich die Klägerin gegen die gewinnerhöhende Auflösung der Rückstellung. Der Senat hat mit Beschluss vom 15. Dezember 2020 das Verfahren ausgesetzt bis zum Abschluss des gegen die Bescheide über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer zum 31.12.2012 und zur Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.2012 gerichteten Rechtsbehelfsverfahrens ausgesetzt und vertrat die Auffassung, über die Höhe des festzustellenden Verlustes könne wegen der Regelung in § 10d Abs. 4 Satz 5 EStG i.V.m. § 31 Abs. 1 Satz 1 KStG bzw. § 35b Abs. 2 Satz 3 GewStG nur im Rahmen eines gegen die Verlustfeststellungsbescheide gerichteten Rechtsbehelfsverfahrens entschieden werden. Der Beklagte hat die Einsprüche gegen die Verlustfeststellungsbescheide mit Einspruchsentscheidung vom 26.01.2021 als unbegründet zurückgewiesen. Die Bescheide sind in Bestandskraft erwachsen.
Die Klägerin macht geltend, in den Vorprüfungen sei die Passivierung der Darlehen nie infrage gestellt worden. Da die Kapitalgesellschaft keine Privatsphäre habe, sei die betriebliche Veranlassung des Darlehens nicht infrage zu stellen, so dass selbstverständlich auch anfallende Schuldzinsen Betriebsausgaben seien und im Falle nicht erfolgter Zahlung zurückzustellen seien. Es sei darauf hinzuweisen, dass im Falle der Auszahlung der Zinsen an die Ehefrauen der Gesellschafter selbstverständlich auch die steuerlichen Folgen auf Gesellschafterebene gezogen würden.
Die Klägerin beantragt,
die Bescheide über Körperschaftsteuer 2012 und Gewerbesteuermessbetrag 2012 vom 25. Januar 2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24. Januar 2019 aufzuheben,
hilfsweise die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er meint, bereits in der Einspruchsentscheidung sei darauf hingewiesen worden, dass die betriebliche Veranlassung des den Zinsverbindlichkeiten zugrundeliegenden Darlehens nicht nachgewiesen worden sei.
Die Klage ist unzulässig. Die Klägerin hat kein rechtlich schützenswertes Interesse an der Durchführung des gegen Körperschaftssteuerbescheid 2012 und den Gewerbesteuermessbescheid 2012 gerichteten Klageverfahrens, da die Bescheide über die Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes zur Gewerbesteuer auf den 31.12.2012 und die Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer zum 31.12.2012 in Bestandskraft erwachsen sind.
Die Anfechtungsklage gegen eine Nullfestsetzung ist nach der zutreffenden Rechtsprechung des BFH zulässig, wenn der Bescheid sich für den Kläger deshalb nachteilig auswirkt, weil in ihm angesetzte Besteuerungsgrundlagen im Rahmen anderer Verfahren verbindliche Entscheidungsvorgaben liefern (BFH, Urteil vom 07. Dezember 2016 –
I R 76/14 –, BFHE 256, 314, BStBl II 2017, 704, Rn. 12; BFH, Urteil vom 30. Juni 2020 – IX R 3/19 –, BFHE 269, 314, BStBl II 2021, 859, Rn. 15). Ein Steuerfestsetzungsbescheid (entsprechendes gilt für einen Gewerbesteuermessbescheid), der nicht mit einem Einspruch angefochten oder sonst verfahrensrechtlich änderbar ist, bewirkt eine inhaltliche Bindung des Verlustfeststellungsbescheides an die Besteuerungsgrundlagen der Steuerfestsetzung. Die Anfechtung der Steuerfestsetzung ist mit anderen Worten erforderlich, um den Eintritt der Bindungswirkung zu verhindern (vgl. BFH, Urteil vom 10. Februar 2015 – IX R 6/14 –, Rn. 13 und 22, juris).
Über die Höhe des Verlustes kann jedoch nach Auffassung des Senats im Falle einer Nullfestsetzung wegen der Regelung in § 10d Abs. 4 Satz 5 EStG i.V.m. § 31 Abs. 1 Satz 1 KStG bzw. § 35b Abs. 2 Satz 3 GewStG ausschließlich im Rahmen eines gegen die Verlustfeststellungsbescheide gerichteten Rechtsbehelfsverfahrens entschieden werden. Da diese Bescheide in Bestandskraft erwachsen sind, fehlt es für die Durchführung eines gegen die Nullfestsetzungen gerichteten Klageverfahren am Rechtsschutzinteresse. Soweit in der Rechtsprechung die Auffassung vertreten wird, auch bei einer Nullfestsetzung sei über die Höhe des Verlustes im Steuerfestsetzungsverfahren und nicht im Verlustfeststellungsverfahren zu entscheiden (z.B. BFH, Urteil vom 30. Juni 2020 – IX R 3/19 –, BFHE 269, 314, BStBl II 2021, 859, Rn. 16f; BFH, Urteil vom 7. Dezember 2016 I R 76/14, BStBl. II 2017, 704, FG Düsseldorf, Beschluss vom 16. Februar 2016 – 10 K 3686/13 F – juris; Finanzgericht Berlin-Brandenburg, Zwischengerichtsbescheid vom 28. April 2016 – 3 K 3106/15 –, juris; Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht, Urteil vom 26. März 2019 – 4 K 187/18 –, Rn. 21, juris) vermag der Senat dem nicht zu folgen. Diese Rechtsprechung unterscheidet nicht hinreichend zwischen der inhaltlichen Bindungswirkung des § 10d Absatz 4 Satz 4 EStG und § 35b Abs. 2 Satz 2 GewStG und der verfahrensrechtlichen Bindungswirkung des § 10d Abs. 4 Satz 5 EStG i.V.m. § 31 Abs. 1 Satz 1 KStG bzw. § 35b Abs. 2 Satz 3 GewStG.
Nach § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG und § 35b Abs. 2 Satz 2 GewStG sind bei der Verlustfeststellung die Besteuerungsgrundlagen so zu berücksichtigen, wie sie der Steuerfestsetzungen des Veranlagungszeitraums, auf dessen Schluss der verbleibende Verlustvortrag festgestellt wird, bzw. dem Steuermessbetrag für den Erhebungszeitraum zu Grunde gelegt worden sind. Die Regelung bezweckt eine inhaltliche Bindung des Verlustfeststellungsbescheides an die Steuerfestsetzung (entsprechendes gilt für den Steuermessbescheid), so dass die Besteuerungsgrundlagen im Feststellungsbescheid so zu berücksichtigen sind, wie sie der Steuerfestsetzung zugrunde liegen. Diese inhaltliche Bindungswirkung der Steuerfestsetzung entfällt allerdings, wenn die Steuer auf 0 Euro festgesetzt wird und die Änderung des Verlustes keine Änderung der Steuerfestsetzung zur Folge hätte, die Steuerfestsetzung aber verfahrensrechtlich änderbar ist. Dies folgt aus § 10d Abs. 4 Satz 5 EStG bzw. § 35b Abs. 2 Satz 3 GewStG. Danach dürfen die Besteuerungsgrundlagen bei der Feststellung nur insoweit abweichend von § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG bzw. § 35b Abs. 2 Satz 2 GewStG berücksichtigt werden, wie die Aufhebung, Änderung oder Berichtigung der Steuerbescheide ausschließlich mangels Auswirkung auf die Höhe der festzusetzenden Steuer unterbleibt. Diese Voraussetzungen sind bei einer Nullfestsetzung erfüllt. Die gegenteilige Auffassung (ausführlich FG Düsseldorf, Beschluss vom 16. Februar 2016 – 10 K 3686/13 F –, Rn. 17, juris; Finanzgericht Berlin-Brandenburg, Zwischengerichtsbescheid vom 28. April 2016 – 3 K 3106/15 –, juris; ebenso aber ohne Begründung BFH, Urteil vom 07. Dezember 2016 – I R 76/14 –, BFHE 256, 314, BStBl II 2017, 704, Rn. 15, BFH, Urteil vom 30. Juni 2020 – IX R 3/19 –, BFHE 269, 314, BStBl II 2021, 859, Rn. 16f), überzeugt den Senat nicht. Nach dem klaren und eindeutigen Wortlaut gilt die in § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG geregelte inhaltliche Bindungswirkung nicht für den Fall, dass die Höhe des festzustellenden Verlustes keine Auswirkung auf die Steuerfestsetzung hat. Diese Voraussetzung ist immer dann und (wohl) nur dann erfüllt, wenn der Steuerpflichtige einen höheren Verlust begehrt, die Steuerfestsetzung bzw. der Messbetrag aber Null Euro beträgt. Die einschränkende Formulierung „nur insoweit“ stellt klar, dass nur in diesem Sonderfall und nur soweit die Höhe der Steuerfestsetzung unverändert bleibt, keine Bindungswirkung besteht. Mit der Formulierung „ausschließlich“ hat der Gesetzgeber sichergestellt, dass der Verlustfeststellungsbescheid nur dann geändert werden kann, wenn eine Aufhebung, Änderung oder Berichtigung des Steuerbescheides noch möglich ist, aber mangels Auswirkung auf die Steuerfestsetzung unterbleibt (grundlegend zur verfahrensrechtlichen Bindungswirkung siehe BFH, Urteil vom 10. Februar 2015 – IX R 6/14 –, Rn. 13, juris).
Die amtliche Begründung bestätigt das vom Senat für zutreffend erachtete Ergebnis. Sie lautet (BT Drucks. 17/2249 S. 51):
„In Anlehnung an das geltende Recht sieht der geänderte Satz 5 des § 10d Absatz 4 EStG eine Ausnahme von der „Bindungswirkung“ des Einkommensteuerbescheids vor. Wie bisher soll der Erlass oder die Korrektur des Feststellungsbescheids auch dann möglich sein, wenn der Einkommensteuerbescheid dem Grunde nach (das heißt nach dem steuerlichen Verfahrensrecht) zwar korrigiert werden könnte, dies aber allein deshalb unterbleibt, weil sich die Höhe der festzusetzenden Steuer nicht ändert. In derartigen Fällen kann daher auf die Korrektur eines Einkommensteuerbescheids verzichtet werden; wäre die Korrektur eines Steuerbescheids dem Grunde nach möglich, kann die Verlustfeststellung ausnahmsweise unabhängig von den der Steuerfestsetzung zu Grunde gelegten Besteuerungsgrundlagen erfolgen. Wäre aber die Korrektur des Einkommensteuerbescheids unabhängig von der betragsmäßigen Auswirkung auch verfahrensrechtlich nicht möglich (z. B. wegen groben Verschuldens des Steuerpflichtigen am nachträglichen Bekanntwerden von Tatsachen und Beweismitteln oder mangels Rechtserheblichkeit der neuen Tatsachen oder Beweismittel, vgl. § 173 AO), gilt weiterhin die „Bindungswirkung“ der Einkommensteuerfestsetzung für die Verlustfeststellung…..Mit der Änderung des
§ 10d Absatz 4 Satz 4 und 5 EStG wird zur Sicherung des Rechtsfriedens – auch zugunsten des Steuerpflichtigen – das Gesetz im Sinne seiner ursprünglichen Zielsetzung sowie der bisherigen Rechtsprechung des BFH und der Anwendung in der Praxis vor Rechtsprechungsänderung klargestellt, damit erstmalige oder korrigierte Verlustfeststellungen nach Bestandskraft des Steuerbescheides für nachträglich erklärte Verluste nur möglich sind, wenn der Steuerbescheid geändert werden könnte“.
Der Gesetzgeber wollte demnach grundsätzlich bei Nullfestsetzungen die bis dahin
allgemein anerkannte verfahrensrechtliche Vorgehensweise (Anfechtung des Verlustfeststellungsbescheides) beibehalten, aber von der inhaltlichen Bindung an die Steuerfestsetzung nur dann absehen, wenn die Steuerfestsetzung verfahrensrechtlich änderbar ist.
Die Auffassung, § 10d Abs. 4 Satz 5 EStG hebe nicht etwa die Bindung des Verlustfeststellungsbescheids an die der Steuerfestsetzung zugrunde gelegten Rechtsgrundlagen auf, sondern meine nur den Verzicht auf die Erteilung eines neuen Steuerbescheids (so FG Düsseldorf, Beschluss vom 16.02.2016 10 K 3686/13 F, Rn. 17, juris), verkennt, dass auch die isolierte Änderung der Besteuerungsgrundlagen den Erlass eines neuen Steuerbescheides erforderlich macht, wenn auch es sich hinsichtlich des Regelungsgehalts um eine wiederholende Verfügung handeln dürfte. Diese Auslegung widerspricht dem Sinn und Zweck der Regelung, die Änderung des Steuerbescheides in den Fällen zu vermeiden, in denen keine geänderte Steuer festzusetzen ist.
Es bestehen weder nach dem Wortlaut noch nach dem in der amtlichen Begründung niedergelegten Regelungszweck (verfahrensrechtliche Bindung der Verlustfeststellung an die Steuerfestsetzung) Anhaltspunkte dafür, dass die Bindungswirkung des Satz 4 nur bei Änderungs- und Berichtigungsmöglichkeiten der Steuerfestsetzung außerhalb der Einspruchsverfahrens nach §§ 129 AO, 164 AO und 172 ff AO entfallen sollte. Der BFH hat dementsprechend in seinem Urteil vom 10. Februar 2015 – IX R 6/14 –, Rn. 22, juris, zu dem dort entschiedenen Fall ausgeführt, dass die Berücksichtigung von Aufwendungen im Wege des Verlustfeststellungsbescheides noch möglich gewesen wäre, wenn der Steuerpflichtige seinen Einspruch gegen den auf Null Euro lautenden Einkommensteuerbescheid nicht zurückgenommen hätte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung -FGO-.
Der Senat weicht von der Rechtsprechung des BFH (BFH, Urteil vom 07. Dezember 2016 – I R 76/14 –, BFHE 256, 314, BStBl II 2017, 704; BFH, Urteil vom 30. Juni 2020 – IX R 3/19 –, BFHE 269, 314, BStBl II 2021, 859) ab, so dass die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zuzulassen war.